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Der Teezauberer
Der Teezauberer
Der Teezauberer
eBook140 Seiten2 Stunden

Der Teezauberer

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Über dieses E-Book

Was geschieht, wenn Träume wahr werden? Wenn die Welt beginnt, sich im Rhythmus der Gedanken eines Menschen zu drehen? Eigentlich müsste Jakob glücklich sein: Er liebt seine Frau, seine kleine Teehandlung, und er hat eine ganz besondere Fähigkeit - wenn er vorliest, werden die Geschichten vor den Augen seiner Zuhörer zu Bildern; die Namen von Teesorten werden zu duftender Sommerhitze oder kühlem Herbstwind. Doch eines Morgens im späten Frühling beginnt er zu verstehen, dass sein Reisen auf Worten ihn nirgendwo ankommen lässt. Eine vage Sehnsucht ist in ihm und nährt seine Träume - von einem Leben auf Tucholskys ›Schloß Gripsholm‹ oder im Chicago alter Filme und von seiner großen Liebe zu Musils ›Portugiesin‹. Getrieben von diesen Wunschbildern reist er in die Stadt, die schon immer ein Tor zu anderen Welten war - Hamburg. Dort wird ihm ein geheimnisvoller Tee serviert und das Wunderbare geschieht: Seine Traumwelt wird zur Wirklichkeit ...
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum1. Nov. 2012
ISBN9783869133256
Der Teezauberer

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    Buchvorschau

    Der Teezauberer - Ewald Arenz

    EWALD ARENZ

    DER TEEZAUBERER

    ROMAN

    ars vivendi

    Vollständige eBook-Ausgabe der im ars vivendi verlag erschienenen Originalausgabe (4. Auflage 2009)

    © 2002 by ars vivendi verlag

    GmbH & Co. KG, Cadolzburg

    Alle Rechte vorbehalten

    www.arsvivendi.com

    Umschlaggestaltung: Philipp Starke, Hamburg

    Datenkonvertierung eBook: ars vivendi verlag

    eISBN 978-3-86913-325-6

    Als Jakob dreißig Jahre alt war, lag er eines Nachts im späten Frühling auf dem federnden Kissen der Haare seiner Frau und zählte sein Leben, weil er fürchtete, wieder zu träumen. Am offenen Fenster entlang strich ein kühler Wind wie an der See.

    Jede Tasse Tee, jede Tasse Kaffee, die in dieser Stadt getrunken wurde, war zuvor durch Jakobs Hände gegangen. Er besaß ein Großhandelshaus, und alle Geschäfte der Stadt, in denen Tee, Gewürze oder Kaffee gehandelt wurden, gehörten – auch wenn sie verschiedene Namen trugen – ihm.

    Neben ihm lag seine Frau, deren Haare beim Gehen schwangen, als hätten sie winzige Glaskugeln an den Spitzen, in denen sich das Licht fing.

    Zwischen Marietta und der Wand lag, das Gesicht rot und warm vom Schlaf, die Lippen ein wenig geöffnet, laut und ruhig atmend, ein kleines Mädchen.

    Dann gab es einen besten Freund. Den man immer seltener sah. Jakob hatte manchmal Angst, ihn nur noch Freund nennen zu können.

    Dann gab es, was Jakob sich als Schüler unter der großen Freiheit vorgestellt hatte: Im Café zu frühstücken und zu lesen; sehr früh, wenn die Stadt eben erst zu arbeiten beginnt.

    Dann gab es gelegentlich einen Ritt durch einen Wald.

    Es gab Sommermorgen.

    Es gab Nächte, in denen Marietta und Jakob sich liebten, zusammen lachten und ineinander einschliefen.

    Es gab Augenblicke auf einer Brücke über dem Fluß inmitten von schwirrenden Insekten und den Geruch von Holunder dazu.

    Und das war alles.

    Manchmal gab es noch einen überraschenden, atemlosen Kuß der Tochter.

    Aber das war wirklich alles.

    Der Wind ging durch den Frühling und war kühl und zupfte an Jakobs Gedanken.

    Er überlegte, daß über die Jahre etwas verlorengegangen sein mußte. Aber als er lange genug nachgedacht hatte, fand er, daß es anders war; daß er nämlich nichts verloren hatte, sondern etwas Unbestimmtes nicht gefunden hatte. Er hatte nur das Gefühl, etwas verloren zu haben, weil er nicht mehr auf Worten reisen konnte.

    »Tee!« sagte Jakob leise in die Dunkelheit des Raumes. Die Luft wurde noch ein wenig kühler, aber Jakob roch nicht den grünen, leichten Duft und sah weder Japan noch China.

    »Kaffee!« flüsterte er und zwang seine Gedanken nach Afrika. Aber die Bilder blieben blaß. Die Tür bewegte sich, weil die Luft um Jakob plötzlich warm wurde und nach oben stieg.

    »Tee!« probierte es Jakob noch einmal.

    Nicht Seide noch Geschmack noch Duft noch Geräusch. Marietta deckte sich zu, nachdem es im Raum wieder kühl wurde und Jakob ernüchtert schwieg.

    »Verdammt!« sagte er laut. Aber Marietta und das Kind schliefen weiter. Jakob verstand plötzlich, daß sein Reisen auf Worten immer nur Ersatz gewesen war. Er war ins Unbestimmte gereist, hatte nach Unbestimmtem gesucht und war schließlich nirgends angekommen. Deswegen träumte er wohl. Deswegen hatte er angefangen, sich vor dem Träumen zu fürchten. Seine Träume waren so:

    Er stieg durch die Teefelder Assams hoch hinauf in ein leeres Schloß, ging über knarrendes Parkett durch die Räume und lehnte sich vorsichtig aus den Fenstern. So tief unten lag das Land, daß Jakob Höhenangst hatte. In seinen Träumen hatte er oft Höhenangst.

    Oder er fuhr mit einem schwankenden, offenen Lift hinunter auf einen Bahnsteig. Zigeuner warteten dort auf ihren Zug. Unter ihnen eine junge Frau, von der Jakob wußte, daß sie ihn liebte und daß er sie wiederliebte. In den fünf Minuten, bis der Zug fuhr.

    Aus diesen Träumen wachte er verstört auf, denn er liebte Marietta. An manchen Tagen, wenn sie nachmittags auf dem Sofa lag und eingeschlafen war, breitete sich ihr Haar wie eine Flüssigkeit in Wellen um ihr schmales Gesicht. Wenn er dann die Hand auf ihren Kopf legte, federte sie leicht zurück.

    »Verdammt!« sagte er noch einmal, aber leiser, weil er trotz allem nicht wollte, daß Marietta und die Tochter aufwachten. In dieser Nacht träumte er davon, daß er seine Arbeiter mit Gold bezahlte; einen um den anderen, bis er mit leerer Börse dastand. Dann war er mit einem kaputten Fahrrad am Fluß und wollte durchfahren. Aber der Fluß stieg über die Ufer und Jakob schwamm. Im Schwimmen erwachte er, drehte sich Marietta zu und schob die Hand unter ihre Hüfte, während er wieder einschlief, obwohl er Lust hatte, leise aufzustehen und durch die Nacht zu wandern.

    Am Tage handelte Jakob mit Wohlgerüchen. Das heißt, Jakob handelte mit Kaffee und Tee und Gewürzen. Das zumindest sagte er den Leuten, die ihn nach seinem Beruf fragten. Marietta wußte es besser. Sie hatte sich in Jakob verliebt, als sie ihn eines Tages in einem seiner Läden über eine Kiste gebeugt gesehen hatte, seine Augen geschlossen und so andächtig den Duft des Tees atmend, als bete er. Der Großhandel mit Tee und Kaffee ist seltsam genug für jemanden, der in der Mitte des Landes lebt und von jedem Meer wenigstens vierhundert Kilometer entfernt ist. Zwar ging durch die Stadt ein Fluß, doch war der nicht schiffbar, so daß Jakob zu Beginn seiner geschäftlichen Laufbahn seine Waren durch einen Agenten ordern und per Bahn kommen ließ. Er fuhr immer selbst zum Bahnhof, um dabeizusein, wenn seine Arbeiter die Kisten und Säcke verluden. Aber den Betrieb im Güterbahnhof mochte er nicht; es roch dort nach Vieh, nach Eisen und nach Staub; Gerüche, die nur selten zu Jakob sprachen.

    Zu Anfang, als er noch ein Neuling im Geschäft war, genügten die Düfte, zusammen mit den fremdartig klingenden Namen, Jakob für Minuten reisen zu lassen. Er stand dann inmitten einiger Kisten, auf die mit grauer oder schwarzer Farbe in Schablonenschrift die schönen fremden Namen gepinselt waren. Sogar die Anweisungen klangen fremdartig schön:

    Darjeeling, 1st Flush, 60 lbs. Handle with care. Store dry.

    Panjab Tea. 1st Flush, 55 lbs. Store in a dry palace.

    Green Tea, Gunpowder Prime Quality. Hong Kong Shipping Co., Singh Palan Cie. Store in a dry place.

    Cogollo. Colombia

    Balzacbro Medellin Excelso

    Tanzania Coffee Arabica

    Coffea rustica. Arabian blend. Dark. Via Hambrugh.

    Was mit den Wörtern geschehen konnte, wenn sich ein indischer oder arabischer Arbeiter, der kaum lesen konnte, in den Lagerhallen versah und die Buchstabenschablonen falsch verwendete! Dann wurde aus dem eilig hingesprühten kühlen, trockenen Ort ein kühler, trockener Palast. Aber viel mehr amüsierte Jakob, sich vorzustellen, daß es kein Irrtum war, sondern daß irgendwo in Arabien Menschen waren, die sich unter Hambrugh eine Stadt vorstellten. Es mußte eine ganz andere Stadt sein als das Hamburg, in dem die Kompanien saßen, von denen er Rechnungen bezog.

    Die Düfte und die Namen. Tee roch nicht so bitter, wie er schmecken konnte. Tee roch leicht und grün und man konnte sich fast vorstellen, diesen Duft zu essen. Das einfache Wort Tee formte sich aus graugrünen, durchsichtigen Schwaden in der Dämmerung des Lagers. Tee war ein Zauberwort und hieß: China, Japan, Indien.

    Jakob schmeckte diese Namen, und während er sie schmeckte, ließ er die Bilder in seinem Kopf sich entfalten.

    Indien: Raschelnde Seide der Plantagenbesitzerinnen. Frauen, die mit einem Glas in der Hand auf einer Veranda stehen und den Tee wachsen sehen.

    Männer in Tropenweiß. Ein Tropenhelm? Lieber kein Helm. Aber zumindest ein Pferd. Jakob bestimmte seiner Vorstellung vom Plantagenbesitzer ein Pferd. Er ritt selber gerne.

    Pflückerinnen, die eintönig singend den ganzen Tag arbeiten. Den ganzen Tag.

    Sonne.

    Japan: Tee auf den engen Bergen der Insel. Pflückerinnen, die manchmal kichern und manchmal singen und lächeln. Grüner Tee, der mit einem Bambusbesen schaumig geschlagen wird und so schmeckt, wie ihn europäisches Wasser nicht bereiten kann – er schmeckt so, wie er riecht.

    China: Tee und Tee und Tee und Bauern in kommunistischer Einheitskleidung, blau oder grau und alle mit einer Mütze. Aber so fern von Beijing, daß sie dem Kommunismus noch glauben, wie es in der Hauptstadt niemand mehr tut, und ganze Familien pflücken mit heiligem Ernst für das Land. Stiller, linder Regen und das dampfende Tal des gelben Flusses. Die Mongolei – das Grasland. Und Schriftzeichen auf Teeziegeln, die Jakob nicht lesen konnte. Das irritierte und faszinierte ihn zugleich.

    »Tee«, sagte er damals, als er von der Teekiste aufsah, Marietta und ihr Haar und ihr Lächeln bemerkte, »Tee ist ein Zauberwort. Ich reise, wenn ich Tee sage. Wie kann ich Ihnen dienen?«

    Und da verliebte sich Marietta in Jakob, der auf einem Wort reisen konnte.

    Damals mochte Jakob seinen Laden vor allem, wenn es im Sommer regnete. Dann stand er manchmal an langen, leeren Vormittagen inmitten der schönen Dinge, die er bei sich versammelt hatte. Teeschalen aus fast durchsichtigem Porzellan, kleine Bambusbesen zum Schlagen des grünen Tees und schwere Messingmörser, um Ziegeltee zu stoßen. Nichts störte die Düfte, weil die Luft klar und kühl war und nur ein wenig nach Regen roch. An solchen Tagen war es eine wunderbare Sache, ein Teehändler zu sein. An so einem Tag betrat Luise den Laden. Sie schüttelte das nasse, kurze Haar, bevor sie sich von Jakob begrüßen ließ. Sie war eine seiner ältesten Freundinnen, und obwohl sie sich selten sahen, verstanden sie sich auch nach langen Pausen immer ohne die Verlegenheit, die Zeit zwischen manche Freundschaften legen kann. Sie war ein wenig jünger als Jakob und von spröder, schwieriger Schönheit; vielen Männern zu kühl und zu klug. Um allen anderen zuvorzukommen, war sie sich selbst gegenüber brutal ehrlich und verlangte das von allen anderen auch. Besonders von denen, die sie liebte.

    »Es gibt ein Problem«, sagte sie.

    Jakob lächelte. Er glaubte, das Problem zu kennen.

    »Bist du verliebt, schöne Luise?« fragte er.

    »Ein bißchen«, sagte Luise, nahm halb verlegen das gläserne Teesieb in die Hand und spielte geistesabwesend damit. Manchmal – sehr selten – war sie zu sich selbst nicht ganz ehrlich.

    »Ein bißchen viel«, sagte Jakob und legte den Kopf schief, »wer ist es?«

    »Ich kenne

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