Theater für Engel: Das Leben als religiöses Experiment
()
Über dieses E-Book
Mehr von Prof. Tomás Halík lesen
Berühre die Wunden: Über Leid, Vertrauen und die Kunst der Verwandlung Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenIch will, dass du bist: Über den Gott der Liebe Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenAll meine Wege sind DIR vertraut: Von der Untergrundkirche ins Labyrinth der Freiheit Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenGeduld mit Gott: Die Geschichte von Zachäus heute Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen
Ähnlich wie Theater für Engel
Ähnliche E-Books
Zum Thema "Kirche" Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenEntleerte Geheimnisse: Die Kostbarkeit des christlichen Glaubens Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenWo Glaube ist, da ist auch Lachen: Kabarettistische Leckerbissen zur Reformation Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenWas fehlt der evangelischen Kirche?: Reformatorische Denkanstöße Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenGlaube und sein Bruder Zweifel Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenHeimweh nach Herrlichkeit: Ein Trappist über die Fülle des Lebens Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenCredo: Eine Gebrauchsanweisung fürs Leben Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenWarum ich kein Atheist bin: Glaube für Skeptiker Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenGeist und Leben 3/2015: Zeitschrift für christliche Spiritualität Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenWege zur Menschlichkeit: Von der absoluten Notwendigkeit der Gnade. Vortrag im Rahmen des Alternativprogramms zum Katholikentag 2012 in Mannheim. Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenWahres Leben: Christsein auf evangelisch Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenGott und die Bibel Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenBeichte: Gottes vergessenes Angebot Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenHinführungen zu den Lesungen im Gottesdienst Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenErmutigung: Religiöse Reden zur Gegenwart Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenFür die Vernunft: Wider Moralisierung und Emotionalisierung in Politik und Kirche Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenProtevangelium: Zur Frage der kanonischen Geltung des Alten Testaments und seiner christologischen Auslegung Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenCoram Deo versus Homo Deus: Christliche Humanität statt Selbstvergottung Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenIm Anfang war das Wort: Sprache, Politik, Religion Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenLeiden und Böses: Vom schwierigen Umgang mit Widersinnigen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie Nacht ist voller Sterne: Gebete in dunklen Stunden Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenPhrase unser: Die blutleere Sprache der Kirche Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenChrist. Glauben. Leben.: Der Jesus-Weg Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenReformation des Herzens: Eine vierwöchige Reise zurück zu den Wurzeln Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDialektische Theologie Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenFilm und Verkündigung: Filme als Brücke zwischen Glaube und Themen junger Menschen - Entwürfe für die Jugendarbeit Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenGott funktioniert nicht: Deswegen glaube ich an ihn Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenCalvin: ... und was von der Reformation übrig blieb Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenJazz und Kirche: Philosophische, theologische und musikwissenschaftliche Zugänge Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen
Christentum für Sie
Die Psalmen: Das Gebetbuch der Bibel Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenKleine Geschichte des trinitarischen Dogmas in der Alten Kirche Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Beten: Dem heiligen Gott nahekommen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenCompendium Wortschatz Deutsch-Deutsch, erweiterte Neuausgabe: 2. erweiterte Neuausgabe Bewertung: 3 von 5 Sternen3/550 Engel für das Jahr: Ein Inspirationsbuch Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Sprachliche Stilfiguren der Bibel Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenSpuren des Heils: Meditationen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenSchön, dass du da bist: Im Kindergarten durchs Kirchenjahr Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenLateinische Kirchenväter Bewertung: 5 von 5 Sternen5/5Die Bibel: Revidierte Einheitsübersetzung 2017. Gesamtausgabe. Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenPardon, ich bin Christ: Neu übersetzt zum 50. Todestag von C. S. Lewis Bewertung: 5 von 5 Sternen5/5Gemeinsames Leben Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie flache Erde oder Hundert Beweise dafür, daß die Erde keine Kugel ist Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenEin Jahr mit den Psalmen: 365 Andachten Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenEffektives Bibelstudium: Die Bibel verstehen und auslegen Bewertung: 3 von 5 Sternen3/5Die eigene Freude wiederfinden Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenRituale für Hipster & Heilige und alles dazwischen: Gin-Tonic-Liturgie, Barista-Gebete & Bike-Segen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenRauhnächte: Die schönsten Rituale Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenLicht über Licht: Die schönsten Gebete und Meditationen der Weltreligionen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenSchöpfung und Fall: Theologische Auslegung von Genesis 1 bis 3 Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDas Buch Henoch (Die älteste apokalyptische Schrift): Äthiopischer Text Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenNachfolge Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenWas ich erlebte, als ich anfing, für fremde Menschen zu beten Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDer innere Kompass: Was uns ausmacht und was wirklich zählt Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenJona und der unverschämt barmherzige Gott Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenWarum es Gott nicht gibt und er doch ist Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenWorte der Freiheit: Die Seligpreisungen Jesu Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDas Gespräch mit Gott: Beten mit den Psalmen Bewertung: 3 von 5 Sternen3/5Leben vom Meister lernen: Practicing the Way Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenEinführung in das Christentum - für heute Bd.2: Der Glaube an Jesus Christus Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen
Rezensionen für Theater für Engel
0 Bewertungen0 Rezensionen
Buchvorschau
Theater für Engel - Prof. Tomás Halík
Tomáš Halík
Theater für Engel
Das Leben
als religiöses Experiment
Aus dem Tschechischen von Markéta Barth
unter Mitarbeit von Benedikt Barth
7584.pngDas Buch entstand mit Unterstützung des Projektes »Kreativität und Anpassungsfähigkeit als Voraussetzung für den Erfolg Europas in der vernetzten Welt«, Reg.-Nr. CZ.02.1.01/0.0/0.0/16_019/0000734, finanziert aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung.
Titel der Originalausgabe:
Divadlo pro anděly. Život jako náboženský experiment
Nakladatelství Lidové noviny, Praha 2010
Für die deutschsprachige Ausgabe:
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2019
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Die Bibeltexte sind entnommen aus:
7643.pngDie Bibel. Die Heilige Schrift
des Alten und Neuen Bundes.
Vollständige deutsche Ausgabe
© Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2005
Umschlaggestaltung: wunderlichundweigand, Stefan Weigand
Umschlagmotiv: © Martin Stanek, Prag
E-Book-Konvertierung: Daniel Förster, Belgern
ISBN E-Book 978-3-451-81564-5
ISBN Print 978-3-451-38469-1
»Wir sind ja ein Schauspiel für die Welt geworden,
für Engel und Menschen.«
1 Kor 4,9
Dem Andenken an die teuren Freunde, die unbequemen Christen Jiří Němec, Ivan Medek und Bonaventura Bouše in Erinnerung an das letzte Gespräch mit Bonaventura, dem Franziskanerpriester und Kierkegaard-Propheten, kurz vor seinem Tod.
Auf meine Bemerkung über einen Bischof, dass er ein netter Mensch sei, antwortete er sehr scharf:
»Das reicht heute nicht. Der Herr Jesus war nicht nett …«
Inhalt
Anmerkungen des Autors zur deutschen Ausgabe
Am Anfang war die Anrede
Gott wohnt in der Möglichkeit
Gott wohnt in der Geschichte
Die Welt ist ein Theater
Kann man Glauben ohne Glauben leben?
Die Pflicht des Christen, manchmal ein Atheist zu sein
Gott und die Sternschnuppe
Gott auf dem Vorhof der Heiden
Mehr als die Wächter auf den Morgen
Gott wohnt in der Freiheit
Über den Glauben, die Untreue und die Macht, zu vergeben
Der Große Bruder ist der Vampir der Freiheit, Gott ist das Blut der Freiheit
Freundschaft mit dem Unbekannten
In vielerlei Dunkelheit
Ich trete in das Spiel ein
Über den Autor
Anmerkungen des Autors zur deutschen Ausgabe
Dieses Buch entstand in der Stille und Einsamkeit einer Einsiedelei im Rheinland, in der ich seit zwanzig Jahren regelmäßig den Sommer verbringe. Ein Nebenprodukt dieser Wochen der Kontemplation ist in der Regel die Niederschrift eines neuen Buches. Ich habe dieses Buch im Jahre 2010 während des Pontifikats Papst Benedikts geschrieben, und die Gedanken dieses Papstes boten mir mancherlei Inspiration, insbesondere sein Vorschlag »an unsere ungläubigen Freunde«: Wenn sie den katholischen Glauben nicht vollständig annehmen können, mögen sie doch wenigstens den Gedanken der Existenz Gottes als Hypothese annehmen, mögen sie doch leben, »etsi Deus daretur« – als ob es Gott gäbe.
Ich stellte mir die Frage, ob dieser Weg zu dem »unbekannten Gott«, der von Pascal und Kant inspiriert ist, für unsere »ungläubigen Freunde« wirklich »begehbar« ist, ob sie ihn nicht als sophistischen, abgemilderten »Missionsimperialismus« ablehnen würden. Sollen wir nicht lieber dem Ratschlag von Emmanuel Lévinas folgen und die »Andersartigkeit« der anderen, ihr eigenes Selbstverständnis und ihre »Exterritorialität« respektieren, statt allzu leicht »das Fremde auf das Eigene« zu übertragen?
Gleichzeitig hat sich mir die Frage aufgedrängt, ob auch wir »Gläubige« unseren Glauben an Gott, der oft verborgen, in eine undurchdringliche Wolke des Geheimnisses gehüllt ist, inmitten einer Welt voller Ambivalenz und Paradoxien, nicht auch als eine Hypothese leben, die wir durch die Praxis des Lebens aus dem Glauben immer wieder prüfen müssen. Denn das, was jetzt für uns der Hauptgegenstand unserer Hoffnung ist, werden wir erst »in eschato« in eine gewisse Erkenntnis umwandeln können, erst wenn wir Gott, jenen äußersten »Horizont der Horizonte« schauen werden, von Angesicht zu Angesicht. Sind wir denn nicht alle Schauspieler in einem Drama, die auf die begrenzte Bühne und auf unsere menschliche, beschränkte Perspektive angewiesen sind, die eben nicht die Perspektive der Engel ist?
Während des Jahrzehnts, das auf die Niederschrift dieses Buches folgte, änderten und ändern sich Welt und Kirche rasant. Der große Papst Benedikt XVI. beendete in Würde eine lange Etappe der Kirchengeschichte, sein Nachfolger eröffnete radikal eine neue. Das Thema der vergangenen Etappe war die Aussöhnung der Kirche mit der Moderne. Joseph Ratzinger beendete dieses lange Zeitalter der Konfrontation, indem er das konstatierte, worauf er sich in dem berühmten Dialog mit Jürgen Habermas¹ geeinigt hatte: Der christliche und der säkulare Humanismus brauchen sich gegenseitig, um die Gefahr ihrer Einseitigkeiten wechselseitig korrigieren zu können. Die Kirche muss dem Vorbild des Tempels in Jerusalem folgend einen »Vorhof für die Heiden« eröffnen – einen Raum für diejenigen, die den Glauben der Kirche nicht vollständig teilen. Sollte sie das nicht tun, wird sie ihre Katholizität verlieren und sich in eine Sekte verwandeln.
Papst Franziskus tat einen weiteren Schritt. Am Vorabend seiner Wahl erwähnte er die neutestamentliche Aussage über Jesus, der an der Tür steht und anklopft. Und er fügte hinzu: Heute aber klopft Jesus vom Inneren der Kirche, er will hinaus – und wir müssen ihm mutig folgen. Ja, für die Dynamik Gottes ist heute auch schon jener »Vorhof der Heiden« zu eng, der Geist Gottes öffnet uns die Augen und unser Herz zu einer »Kirche ohne Grenzen«. Gewiss ist diese erfüllte Katholizität letztendlich eine eschatologische Verheißung – wenn wir aber wahrnehmen, was um uns herum in der Kirche und in der Welt einstürzt, und dies ohne die Angst der Kleingläubigen, sondern mit den Augen des Glaubens und der Hoffnung als »Zeichen der Zeit« wahrnehmen, müssen wir den Mut haben, in neue Räume hinauszutreten. Eine Krise ist immer eine Chance. Das, was zerreißt, sind nur zu enge und brüchige Schläuche. Der Herr schenkt uns neuen Wein ein.
Tomáš Halík,
Prag, im Januar 2019
1 Vgl. Habermas, Jürgen/Ratzinger, Joseph: Dialektik der Säkularisierung. Über Vernunft und Religion. Freiburg i. Br. 2018.
Am Anfang war die Anrede
Ich denke heute an die Engel, jene unbeobachtbaren Zeugen, jene schweigenden Zuschauer, die von irgendwoher aus den fernen Logen des himmlischen Amphitheaters unser irdisches Wimmeln verfolgen. Was sagen sie zum Theater unserer Geschichte? Unterhalten sie sich gut? Lachen sie? Weinen sie? Klatschen sie? Sind sie gespannt?
Und auch wenn sie vielleicht in keinem anderen Himmel als im Paradies unserer frommen Vorstellungskraft wohnen sollten, kann der Gedanke an sie, ein spielerischer, scheinbar unnützer, unserem Fragen Flügel verleihen: Wie würde wohl die Geschichte, deren Bestandteil wir sind, wirken, wenn sie aus einer radikalen Draufsicht, also aus einer ganz anderen Perspektive, betrachtet würde als aus derjenigen, mit der wir so sehr verwachsen sind, dass wir sie meistens in einer naiven Selbstverständlichkeit für die einzig mögliche und richtige halten?
Meine älteste Erinnerung ist die Folgende: Einmal ist mir als kleinem Jungen bewusst geworden, dass die Perspektive, von der aus ich die Welt um mich herum anschaue, einzigartig und nicht austauschbar ist; dass das, was ich gerade in diesem Augenblick von jenem Ort aus sehe, an dem ich stehe, und das, was ich dabei erlebe und was ich denke, dass dies kein anderer sieht, spürt oder denkt – jeder von uns hat eine eigene Welt, wie auch immer wir uns physisch, gefühlsmäßig oder gedanklich nahe sind. Bis heute fühle ich in mir den Blitz jener Einsicht, jene Mischung aus Erstaunen, Erregung, aber auch des Einsamseins.
Vielmals habe ich mich danach gesehnt, den Kreis der eigenen Bestimmung zu überschreiten und die Welt auch mit den Augen der anderen zu sehen, an ihren Erfahrungen auf irgendeine Weise teilzuhaben. Gerade diese Leidenschaft hat mich dazu angeregt, zu lesen (besonders verbotene Literatur), durch die Welt zu pilgern, sowohl nach rechts als auch nach links zu diskutieren. Ich habe danach gestrebt und ich strebe danach, diejenigen zu verstehen, die ganz anders als ich denken; jene Wurzeln zu entdecken, die Bedingungen und die Zusammenhänge, in denen sich ihre Gedanken, Ansichten und Haltungen formten, sich wenigstens ein wenig dem Sinn und der Wahrheit auch dessen anzunähern, was mich spontan reizt und abstößt, was für mich auf den ersten Blick keinen Sinn ergibt. Die Wahrheit verbirgt sich gerne; warum sollte man also auf der Suche nach ihr an den Grenzen des eigenen Zuhauses anhalten, warum sollte man sich auf dem Weg zu ihr nicht auch auf jene Gebiete vorwagen, die fremd und feindselig erscheinen? Die Wahrheit ist ein Buch, das noch niemand von uns zu Ende gelesen hat; es ist daher vielleicht nicht unhöflich, in ihm auch über die Schulter der anderen blickend zu lesen.
Sollte es mir einmal vergönnt sein, das Panorama des Lebens in seiner Ganzheit zu überblicken, in seiner ganzen Wahrheit, von jenem einen Standort über allen Horizonten aus, die ich bisher kenne und die ich mir vorstellen kann? Werde ich einmal den »Horizont der Horizonte« erblicken? Werde ich das Glück haben, jenen Kontext zu erblicken, der es ermöglicht, den Sinn auch dessen zu begreifen, was mir hier und jetzt notwendigerweise absurd erscheint? Mit anderen Worten: Werde ich einmal unsere Welt »mit den Augen der Engel« sehen können?
Der Glaube an Engel und Dämonen kam mir daher immer wichtig vor, weil er implizit die Überzeugung einschließt, dass die Menschen Menschen sind, aber keine Engel und Dämonen. Die anderen nicht als Engel oder Dämonen wahrzunehmen, sich davor zu hüten, so zu tun, als sei man ein Engel, oder andere Menschen zu dämonisieren – das kann vielen Tragödien voll von Irrtümern vorbeugen. Soll uns der Gedanke an Engel, der uns daran erinnert, dass wir selbst keine Engel sind, nicht auch vor der Versuchung beschützen, die Tatsche zu vergessen, dass unser menschlicher Horizont notwendigerweise begrenzt ist?
***
Der christliche Glaube mahnt die Sehnsucht nach der Erkenntnis des Absoluten zur eschatologischen Geduld, zur Demut der Pilger: Der Apostel lehrt, dass alles, was wir auf dieser Erde über Gott wissen können, über den Horizont der Horizonte, über den gesamten sinnstiftenden Kontext, nur ein Rätsel ist, nur eine Widerspiegelung in einem blinden Spiegel, nur ein Gleichnis. Glauben, dem Glauben eine Chance zu geben, bedeutet nicht, sich von der Vernunft zu befreien, sondern lediglich vom Hochmut der Vernunft. Dem Glauben Raum zu geben, setzt voraus, dass wir uns von der Illusion befreien, dass wir die Tiefe der Wahrheit mit unserem Wissen voll ergreifen und sie in unseren Besitz und in unsere Regie überführen können. Wer auch immer für sich oder seine Gruppe das Monopol auf die Wahrheit beansprucht, verrät schon mit diesem Anspruch, dass er außerhalb der Wahrheit steht. Weder mit der Vernunft noch mit dem Glauben können wir die Wahrheit in ihrer Fülle erobern und beherrschen. Der Glaube offenbart die Wahrheit des Lebens: Das Leben ist ein unerschöpfliches Geheimnis, das Hoheitsgebiet Gottes, das wir nicht »privatisieren« können. Der Glaube lehrt uns, mit diesem Geheimnis zu leben, und die Last der Fragen zu ertragen, deren vollständige Beantwortung unsere Kompetenz übersteigt.
Der Glaube, wie ihn die christliche Tradition versteht, ist Bestandteil einer Trias: Er schreitet immer gemeinsam mit der Hoffnung und mit der Liebe. Begleitet wird er von der geduldigen Hoffnung – jedoch auch von der Liebe, deren Sehnsucht nach Erfüllung nicht gestillt werden kann. »Unruhig ist unser Herz«, bekennt der heilige Augustinus. Die heilige Unruhe des Herzens und des Geistes wird immer die Bemühungen der Vernunft und der Phantasie, der Wissenschaft und der Kunst beleben, hinter den Horizont des bereits Erkannten durchzudringen. Dieselbe Sehnsucht regt heute die Gespräche von Menschen über die Grenzen von Kulturen und Religionen hinweg an und ermuntert die Versuche, die Schätze der verschiedenen geistlichen Wege zu teilen. Alles, was auf dem Gebiet der Erkenntnis und des Verständnisses getan wurde, getan wird und getan werden wird, verdient Respekt. Das Geheimnis zu respektieren, bedeutet nicht, zu resignieren. Es bedeutet nicht, in der Anstrengung, mehr wissen zu wollen, nachzulassen; es bedeutet nicht, verantwortungslos, faul und undankbar das große Geschenk der Vernunft brachliegen zu lassen und die Offenheit unseres Geistes nicht zu nutzen.
Nichtsdestotrotz behält das Pascal’sche Diktum stets seine Gültigkeit: Die größte Leistung der Vernunft ist es, ihre eigenen Grenzen anzuerkennen. Die Vernunft wird unvernünftig, wenn sie nicht in der Lage ist, vernünftig zu unterscheiden und demütig die Grenzen ihrer Kompetenz anzuerkennen. Dort, wo die Vernunft auf eigenen Flügeln bis zur Sonne des Geheimnisses gelangen will, welches nur dem Glauben und der Hoffnung gegeben wird, endet sie wie Ikarus mit verbrannten Flügeln – sie stürzt ab: entweder in die Finsternis des Wahnsinns (erinnern wir uns an Nietzsche!), oder sie endet noch schlimmer, indem sie zur Ideologie degeneriert, die dämonisch oder lächerlich sein kann (erinnern wir uns an den marxistischen »wissenschaftlichen« Atheismus!). Der heutige wissenschaftliche Rationalismus ist meistens schon demütiger, sachlicher und selbstkritischer, als es der adoleszent-stolze Rationalismus der Aufklärung oder der positivistische Szientismus der letzten Jahrhunderte waren, was den Respekt den Fragen gegenüber angeht, mit denen sich die Theologie beschäftigt. (Die wissenschaftliche Vernunft ist jedoch heute anderen Versuchungen ausgesetzt, als die »letzten Fragen nach Sinn« restlos erklären zu wollen, nämlich der Versuchung, ihre Entdeckungen in der Praxis ohne Rücksicht auf ethische Kriterien zu realisieren und immer größere Risiken zu ignorieren.)
Das Geheimnis des Glaubens müssen wir heute nicht gegenüber dem wissenschaftlichen Rationalismus verteidigen; bis auf manche polternden Ausnahmen (die jedoch weder aus Sicht der Wissenschaft noch aus Sicht der Philosophie und Theologie große Aufmerksamkeit verdienen) herrscht an dieser Front Ruhe und eine beiderseitige Anerkennung der Grenzen der jeweiligen Kompetenzen. Das Geheimnis des Glaubens muss jedoch bis heute vor einem übermäßigen Rationalismus in der Theologie beschützt werden. (Jener Typ der spätneuzeitlichen, verflachten neuscholastischen Theologie, in dem, besonders bei uns, noch vor nicht allzu langer Zeit Generationen von Priestern und Gläubigen erzogen wurden und den ich hier vor allem meine, schien in der Welt der letzten Jahrzehnte gestorben zu sein, aber heute tauchen als Reaktion auf gegensätzliche Extreme im postmodernen religiösen Denken neue Versionen von ihm auf.)
Der theologische Rationalismus der klassischen Metaphysik, der behauptet, dass die Vernunft in ihren Überlegungen über die erschaffene Welt bis zum Beweis der Existenz des Erschaffers zu gelangen vermag, sollte diese Leistung der Vernunft nicht mit dem Glauben verwechseln (der keine Leistung der Vernunft ist, sondern ein Geschenk der Gnade); er sollte nicht, wenn er auf dem Boden der Rechtgläubigkeit bleiben soll, auf die er hochheilig schwört, den auf diese Art errechneten »Ersten Beweger« zu billig und zu schnell mit jenem Geheimnis identifizieren, auf das sich der Glaube bezieht und auf das hin sich die Hoffnung öffnet. Jenes Dogma des Ersten Vatikanischen Konzils über die rationale Erkennbarkeit Gottes, das die Verteidiger des metaphysischen Realismus gerne zitieren, wollte das Bündnis des Glaubens und der Vernunft gegenüber dem Fideismus (besonders gegenüber der romantischen Auffassung des Glaubens als eines »Abhängigkeitsgefühls«) und dem biblischen Fundamentalismus verteidigen; bestimmt wollte es jedoch nicht das Geheimnis der göttlichen Unbegreiflichkeit verkleinern, es wollte nicht mit scholastischen Spekulationen den Glauben als den (von der Gnade inspirierten) Mut, in das Geheimnis einzutreten, ersetzen. Gott handelt sicher nicht gegen die Vernunft, die er selbst dem Menschen gegeben hat. Er ist jedoch zu groß, als dass er sich mit diesem seinem geschaffenen Geschenk erfassen, umschließen und erschöpfen ließe.
»Begreifst du, so ist es nicht Gott«, lehrt der heilige Augustinus. Und wenn dieses Geheimnis selbst zu uns spricht und sich im Wort mitteilt, wie die christliche Lehre von der Offenbarung lehrt, dann vergessen wir nicht, dass dieses Wort jedoch notwendig auf unsere menschliche Beschränktheit der Fähigkeit zuzuhören, es zu begreifen und auszudrücken stößt. Die Quelle des Glaubens ist die Selbstmitteilung Gottes in Schrift und Tradition, also Gott selbst als der anredende Logos. Der Akt des Glaubens schließt mit ein, diesem Wort zuzuhören – jenem Wort, das zu uns »im Fleische« kommt – und schließt auch die Bereitschaft des Gläubigen ein, es in seine Lebensgeschichte zu inkarnieren.
Das Christentum lehrt, dass das »Wort Fleisch wurde« – also kein Engel, kein »unsichtbarer Geist« – und es sich selbst und uns damit der Notwendigkeit ausgesetzt hat, alle Beschränkungen zu ertragen, die die »Fleischlichkeit« (das beschränkte, von Natur und Geschichte bedingte Dasein, das in einen konkreten Raum und in eine bestimmte Zeit geworfen wird) notwendigerweise mit sich bringt.
Im Text der Bibel wimmelt es von Engeln – wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass diejenigen, die diese Geschichten erzählen, und diejenigen, die ihnen zuhören und sie weitergeben, Menschen sind. Menschen sind »Fleisch« – sie sind in einem bestimmten kulturellen Raum (der eine bestimmte bedingte und eingeschränkte Art des Begreifens und des Sich-Äußerns bietet) und in einem bestimmten unverwechselbaren Augenblick der Geschichte situiert, sie sind durch ihre Perspektive eingeschränkt. Der Gedanke an Engel erinnert, wie schon gesagt wurde, daran, dass wir keine Engel sind (auch nicht dann, wenn wir über den Glauben nachdenken); deshalb begleiten meine Reflexionen über den Glauben, über jenes große göttliche Geschenk, ein andauerndes Interesse an der »Fleischlichkeit« (Menschlichkeit) unseres Glaubens. Vielleicht macht nämlich gerade dieser Blickwinkel unsere Überlegungen über den Glauben – den fleischgewordenen Glauben an das fleischgewordene Wort – im Unterschied zu einem matten religiösen Idealismus – erst wirklich christlich.
***
In den ersten Versen des Prologs des Johannesevangeliums – dieses Textes, der es verdient, immer wieder neu gelesen und durchdacht, übersetzt, ausgelegt und kommentiert zu werden – finde ich mein ganzes Credo, das Bekenntnis meines Glaubens. Goethes Faust übersetzt den Satz »Am Anfang war das Wort« im Geist der Neuzeit »Am Anfang war die Tat«. Nach vielem Überlegen schlage ich heute noch eine weitere Übersetzung vor: Am Anfang war die Anrede.
»Am Anfang war die Anrede. Diese Anrede war Gott selbst.« Gleich danach werden zwei unheimlich wichtige Sachen gesagt: Gott selbst ist ein undurchdringliches Geheimnis: Niemand hat Gott jemals gesehen. Jedoch: »Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.« Das bedeutet: Das göttliche Wort ist jetzt »Fleisch«, Menschsein – das Menschsein ist jetzt und für immer das, wodurch diese Anrede verständlich wird.
Wenn wir das Menschsein »lesen«, lesen wir von Gott. Das Evangelium sagt uns, dass wir durch das Menschsein Jesu von Nazareth nicht nur das Geheimnis des Menschseins als Menschsein verstehen lernen können, sondern das Geheimnis Gottes selbst, denn »das Fleisch » und »das Wort« lassen sich nicht mehr trennen.
***
Der Glaube, wie ich ihn verstehe, ist die Fähigkeit, die Wirklichkeit als Anrede wahrzunehmen: Er ist die Bemühung zuzuhören, verstehen zu lernen und eine Antwort zu geben. Ich bin davon überzeugt, dass das die kostbarste (und zugleich die interessanteste, die abenteuerlichste) Möglichkeit überhaupt ist, die das Menschsein bietet: sein Leben als einen Dialog zu leben; in beständigem Zuhören und Antworten aufmerksam und verantwortlich zu leben. Ich nehme an, dass jeder Mensch (auch über die Grenzen der Konfessionen und Traditionen hinweg) zu dieser Lebensweise prinzipiell fähig ist. Wenn ich ein wenig pathetisch sein darf, würde ich sagen, dass man, wenn man sein Leben auf diese Weise lebt, diese Möglichkeit realisiert und den eigentlichen Sinn des Menschseins verwirklicht.
Glaube und Unglaube (beziehungsweise die verschiedenen Formen des Glaubens) sind für mich nicht Aufstellungen von Überzeugungen hinsichtlich metaphysischer Fragen, sondern elementare Grundeinstellungen zum Leben: Wie erleben wir elementare Lebenssituationen und wie verstehen wir sie? Keinen Glauben zu haben oder den Glauben zu verlieren, bedeutet, nicht die Fähigkeit oder die Bereitschaft zu haben oder zu verlieren, das Leben als Dialog wahrzunehmen.
Dem Glauben, wie ich ihn verstehe, erscheint das Leben als ein Geschenk und als eine Herausforderung. Wir können wachsam gegenüber dieser Herausforderung sein oder schläfrig, offen oder verschlossen. Wir können das Leben natürlich auch ganz anders interpretieren und erleben; wir können es zum Beispiel völlig monologisch leben, selbst unser Ziel wählen und es ohne jede Rücksichtnahme verfolgen – wie es ein Werbeslogan zum Ausdruck bringt: Binde Dich nicht, sprenge die Fesseln! Ein Mensch aber, der die Anrede annimmt, bindet sich dadurch an sie.
Ich konzentriere mich mehr auf die Art des Glaubens als auf den Inhalt des Glaubens. Es interessiert mich mehr, wie ein Mensch glaubt, als woran er glaubt. Religionspsychologen stellen sich die Frage, ob in verschiedenen Glaubenssystemen (beliefs) ein ähnlicher Glaubenstyp (faith) vorkommen kann. Dies