Sonnenwende über dem Schloss
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Eine Beziehungsnovelle zur Entwicklung und Begegnung zweier Menschen mit ganz unterschiedlicher Lebenserfahrung und Herkunft.
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Buchvorschau
Sonnenwende über dem Schloss - Helfried Stockhofe
Das Fräulein Hans auf dem Weg zur Frau
1
Das Fräulein Hans
machte seinem Namen alle Ehre: Fräulein
erinnert an eine ledige Volksschullehrerin aus längst vergangenen Zeiten und Hans
an einen jungen Mann, vielleicht aus einem Märchen wie Hans im Glück
. Beides aus der heutigen modernen Zeit gefallen. Und doch war das Fräulein keine zerbrechliche alte Jungfer, sondern eine knackige Vierzigerin, die man gelegentlich mit einem Gewehr am Waldrand entlang marschieren sah und durchaus für einen forschen Jäger nach einer gelungenen Jagd halten konnte.
Das männliche Auftreten passte zu ihrem seltsamen Namen und auch das Fräulein
erschien nicht unpassend, wenn man an Burgfräulein
denkt, weil dieser Frau tatsächlich eine Burg gehörte. Die Burg - oder was von ihr übrig geblieben war - thronte auf einem felsigen baumbestandenen Hügel, der zu einer Versammlung von Hügeln gehörte, die sich wie ein Kegelspiel auf einer weiten Ebene zusammengefunden hatten. Und auf jedem dieser Hügel stand einst eine Burg oder zumindest eine Wallfahrtskapelle. Der Burgberg des Fräuleins war zwar der kleinste - man konnte ihn vom Tal aus in kaum mehr als einer halben Stunde besteigen - er war aber der Einzige, von dem auch ein kleines Schloss herabgrüßte, an den Hang gebaut und vielleicht nur 50 Meter Luftlinie unterhalb der Burgruine liegend. In jenem schmucken Schlösschen wohnte das Fräulein. Auf derselben Seite des Berges zog sich eine dörfliche Siedlung bis ins Tal hinab.
Auch das Schloss gehörte unserem adligen Fräulein. Und als Burg- und Schlossfräulein sah sie oft hinauf zu der einst so stolzen Burg, manchmal mit einem Seufzer, weil sie sich ausmalte, dass ihr Schloss wohl auch irgendwann einmal als eine solche Ruine enden würde.
Den vollständigen Namen der Frau kannte im Ort niemand, allenfalls der Pfarrer oder der Bürgermeister. Man nannte sie nur Fräulein Hans
ganz ohne ein von
und ohne einen ihrer Vornamen. Im Dorf zu sehen war sie nur bei den sonntäglichen Kirchgängen. Es ergab sich jedoch nur selten die Gelegenheit, mit dem Fräulein wirklich ins Gespräch zu kommen. Die Kontakte zur Dorfbevölkerung überließ sie einem Angestellten, der sich um alles rund ums Haus
kümmerte, aber auch im Haus und sogar um das leibliche Wohl seiner Chefin - und er war ein guter Koch! Niemals glaubte auch nur einer, dass der Verwalter sein Kümmern auch auf das sexuelle Wohlbefinden des Fräuleins erstreckte. Auch da wirkte sie wie aus der Zeit gefallen oder besser, wie aus dem Leben gefallen. Das Fräulein erschien sexuell unantastbar, wie ein Neutrum oder eher noch wie ein Jüngling mit Faible für die Natur und die Jagd. Wenn sich Männer der Umgebung nach Frauen umsahen, gehörte sie bestimmt nicht dazu und auch die Frauen des Dorfes rechneten sie nicht zu Ihresgleichen. Und keiner machte sich Gedanken darüber, ob der wesentlich ältere Verwalter ein Auge auf seine Chefin werfen könnte, fast keiner.
Sie selbst aber zog sich manchmal nackt vor dem großen Spiegel aus und schien sich damit vergewissern zu wollen, ob sie alles besaß, was zu einer Frau gehört: Ein Busen, der bei ihr immer noch erstaunlich fest wirkte, und eine Scham ohne männliches Beiwerk zwischen schmalen Hüften. Sie lehnte ihren Körper nicht ab, sondern war durchaus stolz auf ihn - wobei nicht zu verkennen war, dass die Festigkeit seiner Formen ihr ganz besonders gefiel. Und sie erinnerte sich wehmütig an ihre Jugend, in der sich testosterongesteuerte Jungs dafür interessierten und einige von ihnen ihn sogar etwas näher kennenlernten. Damals, so glaubte sie, war sie noch ein Mädchen wie alle anderen in ihrer Schulklasse, aber als sie nach ihrem Abitur und dem plötzlichen Unfalltod ihrer Eltern umzog in das kleine Schloss eines alten Onkels, musste sie bald in ein ernstes Erwachsenendasein springen. Denn auch der Onkel verstarb kurz darauf und sie erbte das Schloss samt der Ländereien. Trotz dieses Erbes war sie aber kein Hans im Glück, obwohl: Der Hans im Glück hatte auch anfangs einen Klumpen Gold, der ihn beschwerte, und erst als er am Schluss mittellos dastand, fühlte er sich befreit. Nun, so leicht würde das Fräulein ihre goldene Bürde wohl nicht loswerden. Zumal sie sich mit Eifer in ihre neuen Aufgaben stürzte.
Problematischer als die Bürde des Schlosses und des ganzen Besitzes war für das Fräulein jedoch ihre ungesellig wirkende Art. Dabei unternahm sie anfangs durchaus Versuche, sich irgendwie in die Dorfgemeinschaft einzugliedern, doch vieles misslang. Es lag wohl auch an der unterschiedlichen Mentalität zwischen den Einheimischen und der Zugezogenen, sicher aber auch an der Trauer nach den Todesfällen. Doch ein jungenhaftes Auftreten hatte sie schon immer und es kam einfach nichts Gescheites bei ihren Annäherungen heraus - egal an welches Geschlecht. Es blieb ihr scheinbar nichts anderes, als ihr Schicksal als geschlechtsneutrales Fräulein Hans
anzunehmen.
Auf Empfehlung ihres Verwalters, der das erfolglose Bemühen seiner Chefin bedauerte, kam das Fräulein der Dorfbevölkerung aber anderweitig entgegen: So durften sich Hochzeitspaare vor der Schlosskulisse ablichten lassen und der Vorplatz des Schlosses konnte von allen Vereinen für ihre besonderen Feste genutzt werden. Sie stellte dafür sogar Strom- und Wasserversorgung kostenlos zur Verfügung. Wenn aber Vereinsabordnungen mit großen bunten Schirmen daherkamen und um ihre Schirmherrschaft baten, lehnte sie dankend ab. Solche Versuche gab es allerdings nur wenige, denn bald wurde allen klar, dass die Schlossherrin ein anderes Gemüt besaß als der Vorgänger, ihr Onkel in seinen jungen Jahren. Statt Dorffeste mitzufeiern, mit deren Gebräuchen sie nichts anfangen konnte, zog sie sich in ihr Schloss und in die Natur zurück, unternahm morgendliche Streifzüge und spazierte manchmal sogar nachts ihren Burgberg hinauf - immer mit dem Gewehr bewaffnet - und schaute sehnsüchtig hinunter in die erleuchteten Zimmer der Dorfgemeinschaft.
So ging es etwa zwanzig Jahre lang und niemals war dabei etwas Ungewöhnliches geschehen, bis jener warme Abend Anfang Mai kam, der das Leben des Fräuleins verändern sollte.
2
Der Burgberg stand unter Naturschutz, wohl wegen seiner hohen alten Bäume und der großen Felsen, die sich imposant zwischen die Baumriesen schoben und die ganz oben als Fundament der alten Burganlage dienten. Dort gab es auch einen Aussichtspunkt. Er war für das Fräulein reserviert, denn überall an den möglichen Aufgängen zur Burganlage stand: Privatbesitz! Betreten verboten!
und es gehörte nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, wie das Fräulein auf jeden schießen würde, der sich auf den Hügel wagte. Dem Fräulein gaben diese Schilder die Sicherheit, sogar nachts hier umherwandern zu können. Oben schaute sie hinunter zum Schloss und über das Dorf hinweg auf die umliegenden Felder und Wälder, die größtenteils zum Schlossbesitz gehörten, aber fast alle verpachtet waren.
Wenn sie nachts dort oben saß, auf einem von der Tagessonne noch gewärmten Felsen, dann genoss sie, neben der manchmal wundervollen freien Sicht auf die Sterne oder in den Mondnächten auf das vermeintliche Antlitz des Nachbargestirns, von dem sie sich stets angeblickt fühlte, den leisen Wind und die gelegentliche warme Brise, die aus den umgebenden Tälern über den Burgberg streifte. Spät am Abend lauschte sie in eine große Stille, die nur unterbrochen wurde von Geräuschen in den Baumwipfeln, von einem Knacken auf dem Waldboden oder auch manchmal von einem Auto, das die letzten Bewohner in das Dorf zurückbrachte.
Sie dachte dort viel über ihr Leben nach, das man bei gutem Willen als geregelt und ruhig bezeichnen konnte, von außen aber auch als traurig oder gar trostlos wahrgenommen wurde. Dies galt auch für das Leben ihres Verwalters. Gelegentlich erspähte sie in einem erleuchteten Fenster ihres Schlosses diesen älteren Mann, der sich um alles kümmerte und der sich auch um sie sorgte, wenn sie wieder