Im Umkreis des Todes
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Über dieses E-Book
Drei Psychologinnen, die in ihrer langjährigen Tätigkeit immer wieder mit dem Phänomen des Todes in Berührung gekommen sind und viele Menschen bei der Begegnung mit dem Tod begleitet haben, geben Einblick in eine Erfahrungswelt, die immer mit einer Wandlung und Erneuerung der Erkenntnisse verbunden scheint.
Aniela Jaffé:
"Der Tod in der Sicht von C.G. Jung"
Marie-Louise von Franz:
"Archetypische Erfahrungen in der Nähe des Todes"
Liliane Frey-Rohn:
"Sterbeerfahrungen psychologisch beleuchtet"
Marie-Louise von Franz
Biografie Marie-Louise von Franz arbeitete analytisch und wissenschaftlich seit dem Jahre 1934 eng mit C.G. Jung zusammen. Ihre zahlreichen Publikationen in englischer und deutscher Sprache gehen Fragen der heutigen Zeit mit pragmatischem und symbolischem Sinn aus der Sicht der Analytischen Psychologie an. Viele ihrer Publikationen betreffen Schnittpunkte zwischen den Geistes-und Naturwissenschaften. Im Zentrum steht dabei ein Weltverständnis, das auf dem engen Kontakt mit dem Unbewußten gründet. Bis zu ihrem Tod 1998 war sie neben ihrer umfangreichen publizistischen Arbeit jahrzehntelang als Dozentin und Analytikerin in Küsnacht-Zürich tätig.
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Buchvorschau
Im Umkreis des Todes - Marie-Louise von Franz
Vorwort der Herausgeber
Dem Thema «Tod» wurden in den letzten Jahren die mannigfaltigsten Publikationen gewidmet. Man kann sich fragen, warum wir ein weiteres Buch dazu erscheinen lassen, das nun bereits in einer dritten Auflage vorliegt. Viele der bisherigen Veröffentlichungen zu diesem Thema, insbesondere die Berichte von Sterbeerfahrungen, gaben in großem Maße zu verschiedensten Spekulationen, Projektionen und Behauptungen betreffend dem Leben nach dem Tod, dem Jenseits, der Reinkarnation usw. Anlass. Innerhalb dieser Flut von Mutmaßungen schien es sinnvoll, einige spezifische Standpunkte, Erfahrungen, Deutungsansätze und Perspektiven der Analytischen Psychologie zu Wort kommen zu lassen, die mit einem tiefenpsychologischen Verständnis das steigende Interesse, das diesem Thema heute zugewendet wird, etwas genauer beleuchten.
Drei Autorinnen, die alle in langjähriger psychologischer Tätigkeit in immer wieder einzigartiger Weise mit dem Phänomen des Todes in Berührung gekommen sind, schrieben die Beiträge zum vorliegenden Band. Sie geben einen eindrücklichen Einblick in die tiefenpsychologischen Möglichkeiten einer Auseinandersetzung mit dem Tod und vermögen in dieser Hinsicht vielen eine Hilfe zu bieten. Des weiteren sind die vorliegenden Arbeiten vielleicht die einzigen, die sich so ausführlich mit den Träumen von dem Tode Nahestehenden befassen.
Aniela Jaffé, Mitarbeiterin und Herausgeberin des biographischen Erinnerungsbuchs C.G. Jungs¹, stellt den Tod in der Sicht von C.G. Jung dar, was besonders auch durch die Schilderung der von Jung erlebten eigenen «Sterbeerfahrung» nach seinem Herzinfarkt im Jahre 1944, von dem er genesen sollte, einen beeindruckenden Beitrag darstellt. Aniela Jaffé nimmt Bezug auf Jungs verschiedene Aufsätze zum Thema Tod sowie auf seine Briefe und persönlichen Mitteilungen, die um diese Problematik kreisen, und gibt einen umfassenden Überblick über die Erfahrungs- und Gedankenwelt C.G. Jungs zum Phänomen des Todes.
Liliane Frey-Rohns Beitrag, in dem einige persönliche Erlebnisse im Umkreis des Todes aufgeführt sind sowie mehrere aufschlussreiche Träume von Menschen, die dem Tod nahe standen, befasst sich vor allem mit Berichten über Sterbeerfahrungen von klinisch Scheintoten und den von ihnen nachträglich geschilderten Erlebnissen und geschauten Bildern. Sie unterzieht diese Erfahrungen einer ausführlichen Untersuchung anhand der Erkenntnisse der Analytischen Psychologie und der Forschung zum Phänomen der Synchronizität und stellt Bezüge zu den kultischen Heilträumen, zur altiranischen Mystik und zu den Theorien über den Begriff des «subtilen Körpers» her. Es gelingt Liliane Frey-Rohn, nicht nur anregende Deutungsansätze der Sterbeerlebnisse zu geben, sondern auch das Interesse, das ihnen heute entgegengebracht wird, psychologisch zu beleuchten.
Mit den Archetypischen Erfahrungen in der Nähe des Todes befasst sich der Aufsatz von Marie-Louise von Franz. In ihrer praktischen Tätigkeit als Tiefenpsychologin hat sie immer wieder Menschen auf ihrem Weg zum Tod begleitet. Sie erzählt und deutet Träume sowie andere seelische Erfahrungen, die den einzelnen jeweils – ihrem Bewusstseinszustand entsprechend – ihr nahendes Sterben ankündigten und ihnen im Umgang mit dem Sterbenmüssen zu größerer Bewusstheit und einem gewandelten Verständnis des Todes verhelfen wollten. Im Zusammenhang mit den neuesten Forschungen auf dem Gebiet der Physik diskutiert Marie-Louise von Franz außerdem die möglichen Formen einer raum-zeitlosen oder -unabhängigen Dimension der Psyche.
Allen drei Beiträgen ist gemeinsam, dass sie das geheimnisvolle Erlebnis des Todes als eine Wandlung zu einem neuen Sein verstehen, und dass – gestützt auf psychologisches Erfahrungsgut – der Tod nicht nur als Ende, sondern auch als Beginn eines «Ganz-Anderen» verstanden wird. Das macht es zu einem auf neue Horizonte verweisendes Buch, ohne dass je der erfahrungswissenschaftliche Boden zugunsten von spekulativen Mutmaßungen verlassen würde.
Letztlich wird der Tod, trotz allem Licht, das von verschiedenster Seite auf ihn geworfen werden kann, ein Geheimnis bleiben; aber man kann dieser Erfahrung durch größeres Bewusstsein und neugewonnene Einsichten wohl gelöster entgegenblicken.
Elena Hinshaw-Fischli / Robert Hinshaw
1 Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G. Jung, aufgezeichnet und herausgegeben von Aniela Jaffé, Zürich, 1962
Der Tod in der Sicht von C.G. Jung²
Aniela Jaffé
In seinem Aufsatz Seele und Tod ³ schrieb Jung: «In der geheimen Stunde des Lebensmittags setzt die Geburt des Todes ein». Etwa zwischen dem 35. und dem 45. Jahr, wenn die Lebenskurve ihren Höhepunkt erreicht, setzt die große Wende ein. «Leben» bedeutet Aufstieg und Abstieg, Werden und Vergehen, und angesichts dieser Lebens- und Todeseinheit «hat man noch einzusehen, wie sehr Lebenwollen gleich Sterbenwollen ist»⁴. Nur der bleibt lebendig, der mit dem Leben sterben will.
Das bewusste «Ja» zu einer solchen Ganzheit bestimmte auch Jungs Einstellung zum eigenen Lebensende sowie zum Tod des Mitmenschen. Mit 85 Jahren schrieb er einer Frau, die in Sorge um einen schwerkranken Freund war:
«Ich versuche, Leben und Tod anzunehmen. Fände ich mich nicht bereit, das eine oder das andere zu akzeptieren, würde ich mich nach meinen persönlichen Motiven fragen. […] In den äußersten Situationen von Leben und Tod sind umfassendes Verstehen und umfassende Einsicht von höchster Bedeutung. Es sind die unerlässlichen Faktoren unserer Entscheidung, zu gehen oder zu bleiben und gehen zu lassen oder nicht gehen zu lassen»⁵.
Dass auch Jung diese überlegene Einstellung nicht von vorneherein gegeben war, sondern dass er um sie ringen musste, wird uns noch beschäftigen.
Das definitive und immer näher rückende Ziel des alternden Menschen ist der Tod. Der moderne Mensch, der sich nicht zu den religiös Gläubigen zählen darf, geht meist unvorbereitet dem Tod entgegen, und hier setzt die Analytische Psychologie C.G. Jungs ein. Ursprünglich hatte Jung die Psychologie der Individuation, den Bewusstwerdungsprozess als Auseinandersetzung mit den Inhalten der unbewussten Psyche, im Hinblick auf den Sinn der zweiten Lebenshälfte gestaltet. So ist im Grunde genommen das, was er darüber gedacht und geschrieben hat, zum großen Teil eine, wenn auch nur indirekt ausgesprochene, Alterspsychologie. Letzten Endes ist auch der Individuationsprozess nicht nur eine Schule des Lebens, sondern, wenn er richtig verstanden wird, auch eine Vorbereitung auf den Tod. Es geht dabei nicht nur um vertiefte Selbsterkenntnis, nicht nur um Verwirklichung der eigenen Ganzheit, sondern im Verlauf des Prozesses erfährt und erkennt der Mensch eine Macht, die aus dem Unbewussten wirkt und die über seinen Ich-Willen hinweg entscheidend in sein Leben eingreifen kann. Man weiß, was man selber möchte und was man erstrebt, aber immer wieder wird das eigene Wollen unverhofft durchkreuzt, sogar das eigene ethische Handeln; denn oft ist es so, dass ich das Gute, das ich will, nicht tue, aber das Böse tue, das ich nicht will. Die Verwirklichung seiner selbst, das Werden der Persönlichkeit, ist immer auch eine Relativierung oder eine Hintansetzung des Ich gegenüber dem autonomen und darum als numinos erlebten Willen des Nicht-Ich, kein ohnmächtiges Geschehenlassen, vielmehr ein bewusstes «Ja» zu dessen Intentionen oder ein demütiges «Ja» zur eigenen Unterlegenheit.
Eine äußerste Steigerung dieser Haltung erfordert das Sterben, denn es ist, psychologisch gesehen, ein vollständiges Loslassen, ein Auslöschen des Ich und seiner Bewusstseinswelt in einem unbekannten, dunklen Nicht-Ich. Jung schrieb nach einer schweren Krankheit, die den 70-jährigen an den Rand des Todes geführt hatte: «Nur das ist schwierig: sich vom Körper zu lösen, nackt zu werden und leer von Welt und Ich-Willen. Wenn man den rasenden Lebenswillen aufgeben kann, und wenn es einem vorkommt, als fiele man in bodenlosen Nebel, dann beginnt das wahre Leben mit allem, wozu man gemeint war, und was man nie erreichte. Das ist etwas unaussprechlich Großes»⁶. Und in einem anderen Brief schrieb er: «Der aspectus mortis ist eine gewaltig einsame Sache, wenn man in Gottes Gegenwart aller Dinge beraubt wird. Die eigene Ganzheit wird gnadenlos erprobt»⁷.
Ähnlich erlebte es ein Briefpartner Jungs in einem Todestraum, der eine Art Individuationsweg darstellte, und an dessen Ende eine Stimme ihm befahl, in einen Abgrund zu springen. Er wehrte sich verzweifelt; dann gehorchte er. Zu seiner Überraschung stürzte er nicht in die Tiefe, sondern schwamm beseligt «in das Blau der Ewigkeit»⁸.
Eindrückliche Todesträume finden sich in dem Buch von E. Herzog Psyche und Tod ⁹. Sie zeigen mit großer Deutlichkeit, dass die unbewusste Seele um den Tod weiß; und wer den Träumen Beachtung schenkt, wird oft schon viele Jahre vor dem Sterben auf den Tod vorbereitet.
Träume, in denen man selber stirbt, treten meist in der Zeit einer schwierigen und leidvollen Umstellung im realen Leben auf, können aber gerade darum auch als Todes-Vorbereitung aufgefasst werden, im Sinne einer Notwendigkeit, den Ich-Willen zu opfern: nicht selten ist auch ein Sterben in das Leben hinein gefordert.
Jung hat seine Gedanken über den Tod als persönliche Auffassungen formuliert, ohne dass ihm wissenschaftliche Beweise zur Verfügung standen, und ohne dass er sie für notwendig gehalten hätte. Es ging ihm nicht um objektiv gültige Aussagen, nicht einmal um logische Konsequenz, denn es finden sich manche Widersprüche in seinen Formulierungen. Seinen Aussagen lagen eigene Erfahrungen zugrunde, und er folgte dem Strom seelischer Bilder. «Ich leihe den wunderlichen Mythen der Seele ein aufmerksames Ohr», heißt es in seinem Erinnerungsbuch¹⁰. Und dieses Fabulieren nannte er «mythologein». «Für den Verstand ist das „mythologein" eine sterile Spekulation, für das Gemüt aber bedeutet es eine heilende Lebenstätigkeit; sie verleiht dem Dasein einen Glanz, welchen man nicht missen möchte. Es liegt auch kein zureichender Grund vor, warum man ihn missen