„Galante Musik“ – Versionsunterschied
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'''Galante Musik''' ist zum einen Musik, die nach Stilempfinden des 17. und 18. Jahrhunderts
== Urteilsmuster des 17. und 18. Jahrhunderts ==
[[Datei:Nicolas Lancret 001.jpg|mini|hochkant|[[Nicolas Lancret]]: ''Fête galante'' ("Das Moulinet"), ca. 1730. Potsdam, [[Schloss Sanssouci]]]]
Der originär auf [[Galante Conduite|Conduite]], ein spezifisches (ritterliches) Verhalten bezogene Begriff ließ sich im 17. Jahrhundert nur bedingt auf Musik anwenden. Dabei besteht ein Zusammenhang zum künstlerischen Genre der [[Fête galante]], das von [[Watteau]] begründet wurde und seit 1717 klar als solches definiert war. Im Blick auf galante [[Sujet]]s ist das Wort in mehreren Kompositionen ausdrücklich mit Musik verbunden, so in [[André Campra]]s ''
Von galanter Musik wird im 17. Jahrhundert vor allem in Geschmacksurteilen gesprochen, und diese beziehen sich breitgefächert auf
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Vor allem Kompositionen, bei denen nicht eine kontrapunktisch-strenge, „[[Mathematik|mathematisch]] errechnete“ Formvollendung angestrebt wird, wie sie in der Tradition des ''[[stile antico]]'' im Vordergrund steht, werden im 17. Jahrhundert zunehmend als „galant“ bezeichnet. In einem ähnlichen Sinne schreibt bereits 1640 [[Pietro della Valle|Pietro Della Valle]] an Guidiccioni über einen von ihm beobachteten Wandel des musikalischen Stils des berühmten Organisten und Cembalisten [[Girolamo Frescobaldi]]:
{{Zitat
| Text = Und wenn er heute eine andere Manier verwendet, mit mehr Galanterie 'alla moderna' (= nach moderner Art), – die Euer Herrschaft nicht so gut gefällt, – so muss er das tun, weil er wohl mit der Erfahrung gelernt hat, dass, wenn er allen Leuten gefallen will, diese Art eben galanter ist, obwohl weniger wissenschaftlich; und wenn er es schafft, wirklich Vergnügen zu bereiten, haben der Ton und der Spieler nicht mehr zu fordern.
| Autor = Pietro Della Valle 1640 an Guidiccioni
| Quelle =
| ref = <ref>Italienischer Originaltext: "E se oggi usa un'altra maniera, con più galanterie alla moderna, che a V.S. non piace tanto, lo dee fare, perchè con la sperienza averà imparato che per dar gusto all'universale delle genti, questo modo è più galante, benché meno scientifico, e mentre ottenga di fare veramente diletto, il suono e 'l suonatore non ha più che pretendere." Siehe: Frederick Hammond: "Girolamo Frescobaldi" (= constellatiomusica 8), italienische Übersetzung von Roberto Pagano, Palermo: L'Epos, 2002 (urspr. 1983), S. 156–157 (Hammond zitiert nach Solerti: Le origini del melodramma, Turin: Fratelli Bocca, 1903, S. 158).</ref>
}}
Im gleichen Sinne schreibt [[Johann Mattheson]] 80 Jahre später (in ''Das forschende Orchestre'', 1721) – und nennt dabei einige seiner Zeitgenossen beim Namen, die er zu dieser Zeit zu den galantesten zählt:
{{Zitat
| Text = Glaubet wohl ein Mensch in dieser Welt, / daß die allerberühmtesten und galantesten Componisten in Europa, als [[Giovanni Maria Capelli|Gio. Mar. Capelli]], [[Antonio Maria Bononcini|Anton. Bononcini]], [[Francesco Gasparini|Franc. Gasparini]], [[Benedetto Marcello|Bened. Marcello]], [[Antonio Vivaldi|Vivaldi]], [[Antonio Caldara|Caldara]], [[Alessandro Scarlatti|Alessand. Scarlatti]], [[Antonio Lotti|Lotti]], ''[[Reinhard Keiser|Keiser]]'' / ''[[Georg Friedrich Händel|Händel]]'' / ''[[Georg Philipp Telemann|Telemann]]'' etc. bey allen ihren wunderschönen Sachen wohl einen eintzigen [[Zirkel|Circul]]-Strich [= Zirkelstrich] gethan haben / dadurch ihre Arbeit besser / als sonst geraten wäre ? Und alles Volck ruft : ''Nein !'' Nun sind sie aber ihrer vortreflichen / musicalischen (nicht mathematischen) Wissenschaft / ihrer grossen Kundschafft menschlicher Gemüther und Regungen, ihres ''ingenii'' [= Geistes] wegen / was sie sind; nicht aber in ''regard'' [= hinsichtlich] der ''[[Arithmetik|arithmetique]]'' und der [[Zahl]]en.
| Autor = Johann Mattheson
| Quelle = "Das forschende Orchestre", Hamburg 1721, S. 275–277
| ref = <ref>Johann Mattheson: ''Das forschende Orchestre''. Hamburg 1721, S. 275–277 ([https://imslp.org/wiki/Das_forschende_Orchestre_(Mattheson%2C_Johann) online], gesehen am 31. August 2017).</ref>
}}
Mattheson erklärt in einer Fußnote zu dieser Textstelle, wie er das Wort „galant“ hier verstanden wissen möchte: {{Zitat | Text = Zwischen galant und galant ist ein Unterschied. Wenn der Herr Rector Hübner von der Pedanterie und der Galanterie als zwo Pesten der Schulen schreibet / so verstehet er durch die letztere eben nicht viel Gutes. So wie man heutiges Tages gar manches verdächtiges Frauenzimmer / ja wohl garstige Kranckheiten / mit einem galanten Praedicato zu belegen pfleget.<ref>Mattheson spielt hier auf zwei seinerzeit offenbar stehende Ausdrücke an, nämlich: 1) "Galantes Frauenzimmer" = eine (Art) [[Hure]], zumindest eine Dame, die "verdächtig" viele Männerbekanntschaften "unterhält"; 2) "Galante Krankheiten" = Geschlechtskrankheiten wie [[Syphilis]] etc., die nicht zuletzt durch den Verkehr bestimmter (oder vieler) Männer mit "galanten Frauenzimmern" übertragen wurden und werden, und sich so weit ausbreiten können.</ref> Die Italiäner aber verstehen durch einen ''galant huomo'' einen wackern / geschickten / tüchtigen und redlichen Kerl, / ''un valent'uomo'', wie ich es in alten Autoribus … oft je geschrieben finde. Und in solchem / als seinen rechten genuinen Verstande<ref>"genuiner Verstand" : hier = ursprüngliche Bedeutung</ref> / nehmen wir das Wort auch hier.<ref>Johann Mattheson: ''Das forschende Orchestre''. Hamburg 1721, S. 276 ([https://imslp.org/wiki/Das_forschende_Orchestre_(Mattheson%2C_Johann) online]).</ref>}}
=== Galanter Stil ===
Aus den
=== Galanterie ===
[[Datei:Bach Partiten op. I 1731 Titelblatt.png|mini|Johann Sebastian Bach: "Clavir Übung op. I", 1731, Titelseite]]
In der Musik des 17. und 18. Jahrhunderts bezeichnet der Begriff „Galanterie“ innerhalb der Suite alle Arten von Tänzen oder effektvollen Charakterstücken, die nach der [[Ouvertüre|Ouverture]] oder der festgelegten Folge der traditionellen und musikalisch relativ komplexen (oder gravitätischen) Grundtänze ''[[Allemande]]'', ''[[Courante]]'' und [[Sarabande]] nicht notwendig auftauchen müssten, jedoch zur Überraschung und Auflockerung, also zum Divertissement, eingebaut werden. Dazu gehören vor allem solche Tänze, die am Hofe [[Ludwig XIV.|Ludwigs XIV.]] in [[Schloss Versailles|Versailles]] und im französischen Bühnentanz in Mode gekommen waren, wie z. B. ''[[Gavotte]]'', ''[[Menuett]]'', ''[[Bourrée]]'', ''[[Rigaudon]], [[Air (Musik)|Air]]'', ''[[Passepied]]'', ''[[Loure]]'', ''[[Furlana|Forlane]]'' u. a. Der Fantasie bei Charakterstücken waren rein theoretisch keine Grenzen gesetzt, es gibt jedoch einige Titel, die vor allem in Deutschland bei Telemann, Bach, Händel, [[Christoph Graupner|Graupner]] u. a. öfters vorkommen, wie: ''[[Badinerie]]'' (Scherz), ''[[Réjouissance]]'' (Fröhlichkeit), ''[[Carillon]]'' (Glockenspiel) etc.
{{Hauptartikel|Suite (Musik)}}
== Galanter Stil (20. Jahrhundert) ==
Seit dem 20. Jahrhundert versteht man unter dem Begriff „galanter Stil“ in einem etwas engeren Blickwinkel Musik zwischen Spätbarock und Klassik, die sich durch bereits oben genannte Merkmale wie einfache Satzstruktur, Betonung der Melodielinie und der Dur-Tonarten, also insgesamt durch eine gewisse "Leichtigkeit" vom hochbarocken Stil abhebt, in Richtung zu einem musikalischen [[Rokoko]]. Diese modernen stilistischen Entwicklungen gingen vor allem mit der sogenannten [[Neapolitanische Schule (Musik)|neapolitanischen Schule]] ab den 1720er Jahren einher, und auch in einem etwas abgeschwächten Maße in der französischen Musik der gleichen Zeit. In Deutschland gilt Telemann als ein stilistischer Vorreiter. Typische Komponisten sind etwa [[Giovanni Battista Pergolesi|Pergolesi]], [[Leonardo Vinci]], [[Francesco Feo]], [[Leonardo Leo]], [[Johann Adolph Hasse]], [[Johann Gottlieb Graun|Johann Gottlieb]] und [[Carl Heinrich Graun]], [[Franz Benda|Franz]] und [[Georg Anton Benda]], [[Jacques Hotteterre]], [[Joseph Bodin de Boismortier|Joseph-Bodin de Boismortier]], [[Michel Corrette]] u. a.
Der Begriff wurde bzw. wird gelegentlich auch abschätzig verwendet für eine Musik, die im Vergleich mit den komplexen kontrapunktischen Künsten vor allem des zeitgleich wirkenden Johann Sebastian Bach oder mit den [[Oratorium|Oratorien]] Händels als relativ „primitiv“, ja „billig“ oder sogar „minderwertig“ angesehen wurde und vielleicht noch wird. Ähnliches ist allerdings schon vom alternden Händel überliefert, der sich seit den 30er-Jahren manchmal über die moderne Musik jüngerer Komponisten amüsierte und 1746 die kompositorischen Künste des 30-jährigen [[Christoph Willibald Gluck]] mit denen seines (allerdings sehr musikalischen) Kochs Gustav Waltz verglich.<ref>Walter Siegmund Schultze: ''Georg Friedrich Händel'', VEB Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1980, S. 69 f.</ref>
Diese moderneren musikalischen Strömungen führten zur musikalischen Klassik und bildeten das stilistische Fundament der Musik von [[Joseph Haydn]] und [[Wolfgang Amadeus Mozart]].
== Literatur ==
* Frederick Hammond: "Girolamo Frescobaldi" (= constellatiomusica 8), italienische Übersetzung von Roberto Pagano, Palermo: L'Epos, 2002 (urspr. 1983), S. 156–157.
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* Johann Mattheson: ''Das forschende Orchestre''. Hamburg 1721 ([https://imslp.org/wiki/Das_forschende_Orchestre_(Mattheson%2C_Johann) online]).
* Mark A. Radice: ''The Nature of the „Style Galant“. Evidence from the Repertoire.'' In: ''The Musical Quarterly'' Vol. 83, No. 4
* Booklet und Libretto zu: Jean-Philippe Rameau: ''Les Indes galantes'', Les Arts florissants, William Christie, erschienen bei: harmonia mundi France, 1991 (3 CDs).
* Walter Siegmund Schultze: ''Georg Friedrich Händel'', VEB Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1980.
* {{MGG2|Verfasser=Wilhelm Seidel|Lemma=Galanter Stil|Band=S3|SpalteVon=983|SpalteBis=989|ID=mgg15410}}
* David A. Sheldon: ''The Galant Style Revisited and Re-Evaluated.'' In: ''[[Acta Musicologica]]'' 47, 1975, {{ISSN|0001-6241}}, S. 240–270.
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<references />
[[Kategorie:Barock (Musik)]]
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