[gesichtete Version][gesichtete Version]
Inhalt gelöscht Inhalt hinzugefügt
K Änderungen von 80.108.191.163 (Diskussion) auf die letzte Version von Invisigoth67 zurückgesetzt
Markierung: Zurücksetzung
 
(44 dazwischenliegende Versionen von 23 Benutzern werden nicht angezeigt)
Zeile 1:
[[FileDatei:1698 Campra L'Europe Galante.jpg|thumb|upright=1.7mini|[[André Campra]], ''L'Europe galante'' zweite Auflage (1698)]]
'''Galante Musik''' ist zum einen Musik, die nach Stilempfinden des 17. und 18. Jahrhunderts Modendem Ideal des [[Galant]]enen“ Rechnung trägt. Der Begriff fand zum anderen eine Verengung in der Musikwissenschaft des 19. und 20. Jahrhunderts: Im Vordergrund stehen dabei Kompositionen, denen eine Abkehr vom [[Barockmusik|Barock]] in seiner eher [[Rhetorik|rhetorischen]] Formensprache attestiert werden kann, die gleichzeitig jedoch noch nur bedingt der [[FrühklassikVorklassik]] beigemessene Qualitäten aufweisen. Der galante Stil lässt sich an dieser Stelle als Schritt auf den formal freieren [[Empfindsamer Stil|empfindsamen Stil]] sehen, der die Frühklassik vorbereitete.
 
== Urteilsmuster des 17. und 18. Jahrhunderts ==
[[Datei:Nicolas Lancret 001.jpg|mini|hochkant|[[Nicolas Lancret]]: ''Fête galante'' ("Das Moulinet"), ca. 1730. Potsdam, [[Schloss Sanssouci]]]]
[[File:1720 Der spanische teutsche und niederlaendische Krieg p238.png|thumb|left|upright=1.3|[[Striptease]] zu Musik aus ''Der spanische, teutsche, und niederländische Krieg oder: des Marquis von ... curieuser Lebens-Lauff'', Bd. 2 (Franckfurt/ Leipzig, 1720), 238.]]
Der originär auf [[Galante Conduite|Conduite]], ein spezifisches (ritterliches) Verhalten bezogene Begriff ließ sich im 17. Jahrhundert nur bedingt auf Musik anwenden. Dabei besteht ein Zusammenhang zum künstlerischen Genre der [[Fête galante]], das von [[Watteau]] begründet wurde und seit 1717 klar als solches definiert war. Im Blick auf galante [[Sujet]]s ist das Wort in mehreren Kompositionen ausdrücklich mit Musik verbunden, so in [[André Campra]]s ''L'EuropeL’Europe galante'' (1697) wie in [[Jean-Philippe Rameau]]s ''[[Les Indes galantes]]'' (1735). Beide Kompositionen feiern die Übereinkunft Europas respektive der Welt imin Galanten.einem Europagalanten huldigt,Liebesideal. soIn die''L’Europe Insinuation von „Lgalante''Europe galante“huldigt Europa allerorten dem Ideal. Dieder galanten Liebe. In Rameaus [[Ballett|Opéra-Ballet]] bestimmt sie selbst diedas Leben der Menschen Indiensin alsfernen und exotischen Ländern wie LebensbereichPersien, Türkei, der VerfeinerungInkas in Peru und Zivilisationder hervorbringt;„Wilden“ in Amerika.<ref>Die Nennung von "Les Indes…" im Titel bei Rameau ist also etwas irreführend, da das feiertLand Rameaus(Ost-)Indien gar nicht vorkommt, wohl aber verschiedene "west-indische" Völker, also [[BallettIndianer]] Amerikas: die [[Inka]]s in Peru und sogenannte "Wilde" ("Sauvages"). Siehe Booklet und Libretto zu: Jean-Philippe Rameau: ''Les Indes galantes'', Les Arts florissants, William Christie, erschienen bei: harmonia mundi France, 1991 (3 CDs).</ref>
 
Von galanter Musik wird im 17. Jahrhundert vor allem in Geschmacksurteilen gesprochen, und diese beziehen sich breitgefächert auf Handlungen, die Darbietung, wie auf die Kunst der Komposition. Opern mit Liebeshandlung sind per se galant, sobald man sie etwa mit geistlicher Musik vergleicht. Liebeslieder sind noch klarer in ihrer Interaktion wie in ihrer Verbindung mit [[Galante Poesie|galanter Poesie]] galant. Die Interaktion einer Sängerin mit dem Publikum, kann für das Geschmacksurteil sorgen. Kompositionsstrukturen sind damit anfänglich jedoch nur bedingt abgebildet. Die großen Hauptstile sind [[Italienischer Stil (Musik)|italienisch]], [[Französische Oper|französisch]] oder [[Gemischter Stil (Musik)|gemischt]] respektive deutsch. Das Wort Galant„galant“ steht gegenüber diesen Einordnungen eher frei zur Verfügung, um eine momentane Wirkung zu bezeichnen. Wie in der Poesiekritik kommt es im ausgehenden 17. Jahrhundert zunehmend für alle Kleinformen als Würdigung in Frage. Es steht dabei zumeist für das „Nette“ und angenehmAngenehme, Überraschendedie dersatztechnisch ansonstenrelativ gezielt(oder scheinbar) einfache, aber elegante und einfachengefällige Komposition, die sich mit anderen Adjektiven gar nicht in ihrem intimen Genuss würdigen ließe.
 
[[FileDatei:1736 Les Indes Galantes.png|thumbmini|hochkant|[[Louis Fuzelier]] und [[Jean-Philippe Rameau]], ''Les Indes Galantes'' (1735/36)]]
Zudem werden Kompositionen, bei denen Formvollendung nicht im Vordergrund steht, im späten 17. Jahrhundert zunehmend als galant bezeichnet. Ein Musikstück ist galant, wenn es dem Publikum Freiheit imangenehme UrteilUnterhaltung und in[[Eleganz|elegante]] derZerstreuung Assoziationbietet, lässt.also Musik ist, die sich zum [[Divertissement]] eignet und als Hintergrundmusik arrangierte Kompositionen gewinnen häufig das Attribut. CamprasEntscheidend ''L'Europeist galante''ein undmusikästhetisches Rameaus[[Vergnügen]], ''Leswozu Indes galantes'' teilen im selben Moment Kompositionsaspekte mit den Kleinformen: Bezeichnend ist für sieauch stilistische Vielfalt, Tanzbarkeit, eventuell auch Aufführbarkeit im Rahmen einer galanten Festlichkeit, Interaktion, der Blick auf das Detail der einzelnen zusammengefügten Stückegehören. VergleichbareEntsprechende Arrangements von galanten Detailstudien bieten die Suiten-Sammlungen [[Michel-Richard Delalande]]s, [[François Couperin]]s und [[Marin Marais]]', die im frühen 18. Jahrhundert kleine Musikstücke zu bunten Themensträußen zusammenfügen. Auf der Suche nach etwas Charakteristischem, das gleichzeitig nicht abstoßen darf, nach Musik für den Moment einer überraschenden Empfindung, die gleichzeitigspielerisch nichtund verstörenzugleich darfgeistreich mit Erwartungen umgeht, dieaber allenfallsnicht spielerischzu mitkompliziert, Erwartungenschwierig umgehtoder „belastend“ wirkt, entstehen hier eigene Kompositionen, die Zeitgenossen als galant einstufen. Wie bei galanter Poesie und Erzählkunst wird der „nette„nette“ Einfall“oder mithübsche demEinfall Wortals galant gewürdigt, wie der Verzicht auf "mathematische" Pedanterie, dieeine Mischung aus (scheinbarer) Leichtigkeit und Freiheit, die „geschmackvoll“mit ''bon Goût'' (geschmackvoll), ''Esprit'' (Geist) und „elegant“Eleganz genutzt wird.
 
Vor allem Kompositionen, bei denen nicht eine kontrapunktisch-strenge, „[[Mathematik|mathematisch]] errechnete“ Formvollendung angestrebt wird, wie sie in der Tradition des ''[[stile antico]]'' im Vordergrund steht, werden im 17. Jahrhundert zunehmend als „galant“ bezeichnet. In einem ähnlichen Sinne schreibt bereits 1640 [[Pietro della Valle|Pietro Della Valle]] an Guidiccioni über einen von ihm beobachteten Wandel des musikalischen Stils des berühmten Organisten und Cembalisten [[Girolamo Frescobaldi]]:
 
{{Zitat
| Text = Und wenn er heute eine andere Manier verwendet, mit mehr Galanterie 'alla moderna' (= nach moderner Art), – die Euer Herrschaft nicht so gut gefällt, – so muss er das tun, weil er wohl mit der Erfahrung gelernt hat, dass, wenn er allen Leuten gefallen will, diese Art eben galanter ist, obwohl weniger wissenschaftlich; und wenn er es schafft, wirklich Vergnügen zu bereiten, haben der Ton und der Spieler nicht mehr zu fordern.
| Autor = Pietro Della Valle 1640 an Guidiccioni
| Quelle =
| ref = <ref>Italienischer Originaltext: "E se oggi usa un'altra maniera, con più galanterie alla moderna, che a V.S. non piace tanto, lo dee fare, perchè con la sperienza averà imparato che per dar gusto all'universale delle genti, questo modo è più galante, benché meno scientifico, e mentre ottenga di fare veramente diletto, il suono e 'l suonatore non ha più che pretendere." Siehe: Frederick Hammond: "Girolamo Frescobaldi" (= constellatiomusica 8), italienische Übersetzung von Roberto Pagano, Palermo: L'Epos, 2002 (urspr. 1983), S. 156–157 (Hammond zitiert nach Solerti: Le origini del melodramma, Turin: Fratelli Bocca, 1903, S. 158).</ref>
}}
 
Im gleichen Sinne schreibt [[Johann Mattheson]] 80 Jahre später (in ''Das forschende Orchestre'', 1721) – und nennt dabei einige seiner Zeitgenossen beim Namen, die er zu dieser Zeit zu den galantesten zählt:
 
{{Zitat
| Text = Glaubet wohl ein Mensch in dieser Welt, / daß die allerberühmtesten und galantesten Componisten in Europa, als [[Giovanni Maria Capelli|Gio. Mar. Capelli]], [[Antonio Maria Bononcini|Anton. Bononcini]], [[Francesco Gasparini|Franc. Gasparini]], [[Benedetto Marcello|Bened. Marcello]], [[Antonio Vivaldi|Vivaldi]], [[Antonio Caldara|Caldara]], [[Alessandro Scarlatti|Alessand. Scarlatti]], [[Antonio Lotti|Lotti]], ''[[Reinhard Keiser|Keiser]]'' / ''[[Georg Friedrich Händel|Händel]]'' / ''[[Georg Philipp Telemann|Telemann]]'' etc. bey allen ihren wunderschönen Sachen wohl einen eintzigen [[Zirkel|Circul]]-Strich [= Zirkelstrich] gethan haben / dadurch ihre Arbeit besser / als sonst geraten wäre ? Und alles Volck ruft : ''Nein !'' Nun sind sie aber ihrer vortreflichen / musicalischen (nicht mathematischen) Wissenschaft / ihrer grossen Kundschafft menschlicher Gemüther und Regungen, ihres ''ingenii'' [= Geistes] wegen / was sie sind; nicht aber in ''regard'' [= hinsichtlich] der ''[[Arithmetik|arithmetique]]'' und der [[Zahl]]en.
| Autor = Johann Mattheson
| Quelle = "Das forschende Orchestre", Hamburg 1721, S. 275–277
| ref = <ref>Johann Mattheson: ''Das forschende Orchestre''. Hamburg 1721, S. 275–277 ([https://imslp.org/wiki/Das_forschende_Orchestre_(Mattheson%2C_Johann) online], gesehen am 31. August 2017).</ref>
}}
 
Mattheson erklärt in einer Fußnote zu dieser Textstelle, wie er das Wort „galant“ hier verstanden wissen möchte: {{Zitat | Text = Zwischen galant und galant ist ein Unterschied. Wenn der Herr Rector Hübner von der Pedanterie und der Galanterie als zwo Pesten der Schulen schreibet / so verstehet er durch die letztere eben nicht viel Gutes. So wie man heutiges Tages gar manches verdächtiges Frauenzimmer / ja wohl garstige Kranckheiten / mit einem galanten Praedicato zu belegen pfleget.<ref>Mattheson spielt hier auf zwei seinerzeit offenbar stehende Ausdrücke an, nämlich: 1) "Galantes Frauenzimmer" = eine (Art) [[Hure]], zumindest eine Dame, die "verdächtig" viele Männerbekanntschaften "unterhält"; 2) "Galante Krankheiten" = Geschlechtskrankheiten wie [[Syphilis]] etc., die nicht zuletzt durch den Verkehr bestimmter (oder vieler) Männer mit "galanten Frauenzimmern" übertragen wurden und werden, und sich so weit ausbreiten können.</ref> Die Italiäner aber verstehen durch einen ''galant huomo'' einen wackern / geschickten / tüchtigen und redlichen Kerl, / ''un valent'uomo'', wie ich es in alten Autoribus … oft je geschrieben finde. Und in solchem / als seinen rechten genuinen Verstande<ref>"genuiner Verstand" : hier = ursprüngliche Bedeutung</ref> / nehmen wir das Wort auch hier.<ref>Johann Mattheson: ''Das forschende Orchestre''. Hamburg 1721, S. 276 ([https://imslp.org/wiki/Das_forschende_Orchestre_(Mattheson%2C_Johann) online]).</ref>}}
 
=== Galanter Stil ===
Aus den vagen Würdigungen kurzer und überraschender Effekte undeiner freiererfreieren Verwendung der Formen entwickelt sich im frühen 18. Jahrhundert ein eigener Diskurs über den galanten Stil in der Musik. Autoren wie [[Johann Mattheson]], [[Johann David Heinichen]] oder [[Johann Joachim Quantz]] führen ihn in kritischen Journalen, imin Werken des Kompositionsunterrichts wie in Vorworten von Partiturdrucken. Ein wichtiges Definitionskriterium für den galanten Stil wird dabei der Verzicht auf ''strenge'' oder ''gebundene Schreibart''. Geschmacksurteile des frühen 18. Jahrhunderts finden damit Mitte des 18. Jahrhunderts eine theoretische Fundierung. War der Gesang eines Hirtenmädchens in einer [[Tafelmusik]] Delalandes zu Beginn des Jahrhunderts galant, da hier eine Darbieterin in einfacher Manier liebenswürdig galant auftrat, so lässt sich nun als Theorie behaupten, dass derDer galante Stil gibt der [[Homophonie (Musik)|Homophonie]] neuen Wert gibt, achtet auf Kantabilität und [[Melodie]]linie achtet,und underteilt dem strengen [[Kontrapunkt]] wie den komplizierten Kompositionsmustern etwades der''stile [[Fuge (Musik)|Fugen]] [[Johann Sebastian Bach]]santico'' eine Absage erteilt. Konnte man im frühen 18. Jahrhundert Überraschungen als galante Momente rechtfertigen, so wird es mit der theoretischen Fixierung der Diskussion möglich, einzelne [[Dissonanz]]en für galant zu erklären. Mitte des 18. Jahrhunderts erfasst schließlich die [[Empfindsamer Stil|Empfindsamkeitsdebatte]] das Galante. Wo beiursprünglich Delalande,neue CouperinMöglichkeiten unddes MaraisVergnügens, Möglichkeitender des[[Schönheit]], ScherzesEleganz und des überraschenden indes „netten“ GefühlsDivertissements gesucht wurden, geht es jetzt darum, grundlegend Freiheit für das Gefühl zu gewinnen. Der galante Stil wird nun als Gegenpol zu konventionalisierten, rhetorischeren Kompositionsformen des 17. Jahrhunderts definiert und weist in dieser Konfrontation am Ende in die Frühklassik. Obwohl auch in Johann Sebastian Bachs Spätwerk, beispielsweise im 2. Teil des [[Das Wohltemperierte Klavier|Wohltemperierten Klaviers]], Ansätze des galanten Stils erkennbar sind, wird ihm als Vertreter des ''[[stile antico]]'' die Positionierung im Galanten entzogen, ein Epochenbruch für das mittlere 18. Jahrhundert definiert.
 
=== Galanterie ===
[[Datei:Bach Partiten op. I 1731 Titelblatt.png|mini|Johann Sebastian Bach: "Clavir Übung op. I", 1731, Titelseite]]
Mit der Bereitschaft, das Adjektiv „galant“ in Anerkennung des angenehm überraschenden Moments, des interessanten und mit spielerischer Leichtigkeit erreichten Effekts zu benutzen, geht im Lauf des 18. Jahrhunderts eine spezielle Bedeutung von „Galanterien“ einher. Gemeint sind damit effektvolle Kleinkompositionen, die im Verlauf einer Suite etwa nach der festgelegten Folge der Tanzsätze nicht notwendig auftauchen müssten, jedoch zur Überraschung wie zum Divertissement eingebaut werden. Der Artikel zu den [[Suiten für Violoncello solo (Bach)|Bach'schen Suiten für Violoncello solo]] bietet hier das charakteristische zeitgenössische Beispiel.
In der Musik des 17. und 18. Jahrhunderts bezeichnet der Begriff „Galanterie“ innerhalb der Suite alle Arten von Tänzen oder effektvollen Charakterstücken, die nach der [[Ouvertüre|Ouverture]] oder der festgelegten Folge der traditionellen und musikalisch relativ komplexen (oder gravitätischen) Grundtänze ''[[Allemande]]'', ''[[Courante]]'' und [[Sarabande]] nicht notwendig auftauchen müssten, jedoch zur Überraschung und Auflockerung, also zum Divertissement, eingebaut werden. Dazu gehören vor allem solche Tänze, die am Hofe [[Ludwig XIV.|Ludwigs XIV.]] in [[Schloss Versailles|Versailles]] und im französischen Bühnentanz in Mode gekommen waren, wie z.&nbsp;B. ''[[Gavotte]]'', ''[[Menuett]]'', ''[[Bourrée]]'', ''[[Rigaudon]], [[Air (Musik)|Air]]'', ''[[Passepied]]'', ''[[Loure]]'', ''[[Furlana|Forlane]]'' u.&nbsp;a. Der Fantasie bei Charakterstücken waren rein theoretisch keine Grenzen gesetzt, es gibt jedoch einige Titel, die vor allem in Deutschland bei Telemann, Bach, Händel, [[Christoph Graupner|Graupner]] u.&nbsp;a. öfters vorkommen, wie: ''[[Badinerie]]'' (Scherz), ''[[Réjouissance]]'' (Fröhlichkeit), ''[[Carillon]]'' (Glockenspiel) etc.
 
{{Hauptartikel|Suite (Musik)}}
 
== Galanter Stil (20. Jahrhundert) ==
Seit dem 20. Jahrhundert versteht man unter dem Begriff „galanter Stil“ in einem etwas engeren Blickwinkel Musik zwischen Spätbarock und Klassik, die sich durch bereits oben genannte Merkmale wie einfache Satzstruktur, Betonung der Melodielinie und der Dur-Tonarten, also insgesamt durch eine gewisse "Leichtigkeit" vom hochbarocken Stil abhebt, in Richtung zu einem musikalischen [[Rokoko]]. Diese modernen stilistischen Entwicklungen gingen vor allem mit der sogenannten [[Neapolitanische Schule (Musik)|neapolitanischen Schule]] ab den 1720er Jahren einher, und auch in einem etwas abgeschwächten Maße in der französischen Musik der gleichen Zeit. In Deutschland gilt Telemann als ein stilistischer Vorreiter. Typische Komponisten sind etwa [[Giovanni Battista Pergolesi|Pergolesi]], [[Leonardo Vinci]], [[Francesco Feo]], [[Leonardo Leo]], [[Johann Adolph Hasse]], [[Johann Gottlieb Graun|Johann Gottlieb]] und [[Carl Heinrich Graun]], [[Franz Benda|Franz]] und [[Georg Anton Benda]], [[Jacques Hotteterre]], [[Joseph Bodin de Boismortier|Joseph-Bodin de Boismortier]], [[Michel Corrette]] u.&nbsp;a.
 
Der Begriff wurde bzw. wird gelegentlich auch abschätzig verwendet für eine Musik, die im Vergleich mit den komplexen kontrapunktischen Künsten vor allem des zeitgleich wirkenden Johann Sebastian Bach oder mit den [[Oratorium|Oratorien]] Händels als relativ „primitiv“, ja „billig“ oder sogar „minderwertig“ angesehen wurde und vielleicht noch wird. Ähnliches ist allerdings schon vom alternden Händel überliefert, der sich seit den 30er-Jahren manchmal über die moderne Musik jüngerer Komponisten amüsierte und 1746 die kompositorischen Künste des 30-jährigen [[Christoph Willibald Gluck]] mit denen seines (allerdings sehr musikalischen) Kochs Gustav Waltz verglich.<ref>Walter Siegmund Schultze: ''Georg Friedrich Händel'', VEB Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1980, S. 69 f.</ref>
 
Diese moderneren musikalischen Strömungen führten zur musikalischen Klassik und bildeten das stilistische Fundament der Musik von [[Joseph Haydn]] und [[Wolfgang Amadeus Mozart]].
 
== Literatur ==
* Frederick Hammond: "Girolamo Frescobaldi" (= constellatiomusica 8), italienische Übersetzung von Roberto Pagano, Palermo: L'Epos, 2002 (urspr. 1983), S. 156–157.
* Wilhelm Seidel: Artikel ''Galanter Stil''. In: ''[[Die Musik in Geschichte und Gegenwart]].'' 2. neubearbeitete Auflage. Sachteil Band 3. Bärenreiter, Kassel 1995, ISBN 3-7618-1104-7, Sp. 983–989.
* [[Daniel Heartz]]: ''Music in European Capitals. The Galant Style, 1720–1780.'' Norton, New York NY u. &nbsp;a. 2003, ISBN 0-393-05080-7.
* Johann Mattheson: ''Das forschende Orchestre''. Hamburg 1721 ([https://imslp.org/wiki/Das_forschende_Orchestre_(Mattheson%2C_Johann) online]).
* Mark A. Radice: ''The Nature of the „Style Galant“. Evidence from the Repertoire.'' In: ''The Musical Quarterly'' Vol. 83, No. 4 (Winter, 1999), {{ISSN|0027-4631}}, S. 607–647.
* Booklet und Libretto zu: Jean-Philippe Rameau: ''Les Indes galantes'', Les Arts florissants, William Christie, erschienen bei: harmonia mundi France, 1991 (3 CDs).
* Walter Siegmund Schultze: ''Georg Friedrich Händel'', VEB Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1980.
* {{MGG2|Verfasser=Wilhelm Seidel|Lemma=Galanter Stil|Band=S3|SpalteVon=983|SpalteBis=989|ID=mgg15410}}
* David A. Sheldon: ''The Galant Style Revisited and Re-Evaluated.'' In: ''[[Acta Musicologica]]'' 47, 1975, {{ISSN|0001-6241}}, S. 240–270.
 
== WeblinksEinzelnachweise ==
<references />
* [http://www.kulturserver-swh.de/home/martinstoehr/zeitleiste.html Zeitleiste der Komponisten (Barock/Klassik)]
 
[[Kategorie:Barock (Musik)]]
[[Kategorie:FrühklassikVorklassik]]