Tempolimit
Ein Tempolimit ist eine Maßnahme zum Klimaschutz und zur Erhöhung der Verkehrssicherheit. Tempolimits sind ein kostengünstiges, einfach umsetzbares und nachweislich wirksames Mittel zur Erreichung der Klimaschutzziele. Ein Tempolimit kann von der Regierung durch eine Änderung der Straßenverkehrsordnung eingeführt werden.
Gefordert wird von mehreren Organisationen Tempo 100 auf Autobahnen, Tempo 80 auf Landstraßen und Tempo 30 innerorts, nach der Formel „100–80–30“. Erwartet wird dadurch für Deutschland eine Reduzierung der Treibhausgasemissionen von über 36 % im Straßenverkehr.
Tempolimit bezeichnet umgangssprachlich auch die zulässige Höchstgeschwindigkeit im Straßenverkehr.
Forderung
Tempo 100–80–30 fordern ein Bündnis von VCD, adfc, VSF, BUND, Greenpeace, Verkehrsunfall-Opferhilfe, Klimaschutz im Bundestag, GdP NRW und HannovAIR. Initiator ist die DUH.[1]
Die Grünen fordern in ihrem Regierungsprogramm 2021 Tempo 130/120 auf Autobahnen und in Ortschaften generell Tempo-30.[2]
Die Evangelische Kirche Deutschland hat im November 2022 in der Synode beschlossen, bei allen PKW-Fahrten im kirchlichen Kontext ein Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen und 80 km/h auf Landstraßen einzuhalten, um Treibhausgas-Emissionen spürbar zu reduzieren.[3][4]
Audi-Vorstand Markus Duesmann hält Tempolimits und autofreie Sonntage für „erprobte Maßnahmen“, die „ein kleiner Schritt für Autofahrerende“ wären, aber „ein großer Sprung für Energieeinsparungen“.[5]
In der Schweiz fordern die Parteien Grüne, SP und GLP Tempo-100.[6]
Die Deutsche Umwelthilfe fordert von der Regierung, ab 1. März 2023 Tempo 100–80–30 verbindlich einzuführen.[7]
Ziele
Die wichtigsten Ziele sind:
- Reduktion der Schadstoffe – (Klimaschutz)
- Reduktion des Treibstoffverbrauches – (fossile Energie und geopolitische Abhängigkeit)
- Reduktion der Unfälle und Unfallfolgen – (soziale und wirtschaftliche Folgen)
- Reduktion der Verkehrstoten – („Vision Zero“)
- Verbesserung des Lebensgefühls – („Lebenswerte Städte“)
Grundlagen
2019 war der Verkehrssektor in Deutschland für rund 164 Millionen Tonnen Treibhausgase verantwortlich. Das entspricht 20 % der Treibhausgasemissionen Deutschlands. Gegenüber 1990 ist der relative Anteil um 7 % Prozent gestiegen.[8] Das Bundes-Klimaschutzgesetz verlangt aber eine Reduktion auf 85 Mio. Tonnen bis spätestens 2030.
Für jedes Jahr ist die zu erreichende Reduktion festgeschrieben: auf 150 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente für das Jahr 2020, 145 Mio. To. (2021), 139 Mio. To. (2022), 134 Mio. To. (2023), 128 Mio. To. (2024), 123 Mio. To. (2025), 117 Mio. To. (2026), 112 Mio. To. (2027), 105 Mio. To. (2028), 96 Mio. To. (2029), 85 Mio. To. (2030).[9] 2020 und 2021 wurden die Zahlen nur scheinbar (wegen Corona) erreicht, aber in der Prognose deutlich verfehlt (siehe Grafik).[10]
Das Bundesverfassungsgericht erklärte 2021 mehrere Teile des Gesetzes als mit den Grundrechten unvereinbar und verpflichtete den Gesetzgeber, bis Ende 2022 die Minderungsziele entsprechend zu regeln. Entsprechend schnell und wirksam muss nachgesteuert werden.
Ein Tempolimit kann helfen:
„Die Einführung eines allgemeinen Tempolimits auf Autobahnen wäre ein kurzfristig realisierbarer, kostengünstiger und wirksamer Beitrag zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen des Verkehrs. Zudem würde auch die Verkehrssicherheit erhöht und die Lärm- und Schadstoffemissionen gemindert.“
50 % der Bevölkerung fordern ein generelles Tempolimit, 25 % befürworten ein befristetes Tempolimit für drei Jahre, 24 % lehnen ein Tempolimit ab.[11]
Das FDP-geführte Verkehrsministerium hingegen verfehlt bisher die im Bundesklimaschutzgesetz vorgegebenen Ziele und sträubt sich, Tempolimits umzusetzen.[12][13] Eine Verkehrspolitische Sprecherin fasst zusammen: „Ein allgemeines Tempolimit ist weder von uns gewollt, noch macht es für den Klimaschutz oder die Verkehrssicherheit Sinn, sondern ist reine Symbolpolitik, die wir ablehnen.“[14]
Der vom Verkehrsminister beklagte Schildermangel führte zu einer symbolischen Schilderspende durch die Letzte Generation.
Aktuelle Untersuchungen
Die Deutsche Umwelthilfe berechnete für Tempo–100 und Tempo–80 eine Reduktion von insgesamt 11,1 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente, das entspricht 36 %. Auf der Autobahn werden durch Tempo–100 etwa 9,6 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente gespart.[15][16]
Dazu nutzten sie eine Studie des Umweltbundesamtes von 2023, in der differenzierte Berechnungen zu Tempo–120 und Tempo–80 angestellt wurden. Eine ebenso differenzierte Studie für Tempo–100 soll demnächst erfolgen.[17][18]
Autobahn
Im Jahr 2020 verursachten Pkw und leichte Nutzfahrzeuge auf Bundesautobahnen in Deutschland Treibhausgasemissionen von rund 30,5 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente.[19] Ein Tempolimit von 100 km/h würde die Treibhausgasemissionen um 6,9 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente mindern. Das entspricht einer Minderung von 31 %.[15] Ein Tempolimit von 120 km/h würde die Emissionen um jährlich 6,7 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente reduzieren, entsprechend 21 %.[17] Ein Tempolimit von 130 km/h würde die Treibhausgasemissionen um 1,6 Millionen Tonnen reduzieren, entsprechend 4,9 %.[20]
Tempo | Reduktion | in % |
---|---|---|
100 | 9,6 Mio. Tonnen[15] | 31 % |
120 | 6,7 Mio. Tonnen[17] | 21 % |
130 | 1,6 Mio. Tonnen [20] | 4,9 % |
In der Schweiz und in Lichtenstein ist Tempo-120 schon seit 1985 selbstverständlich. Grüne, SP und GLP fordern jetzt Tempo-100.
Tempo-100 gilt auch in Brüssel, Niederlande, Norwegen, Montenegro und Zypern.
Landstraße
Rund 43 % der Gesamtfahrleistung von Personenkraftwagen (Pkw) werden in Deutschland auf Straßen außerhalb geschlossener Ortschaften erbracht (Autobahnen ausgenommen).[8] Ein Tempolimit von 80 km/h würde die Treibhausgasemissionen um 1,1 Millionen Tonnen CO2 reduzieren. Das entspricht einer Minderung von 5 bis 8 %.[21]
In der Schweiz und in Lichtenstein ist Tempo 80 schon seit 1985 selbstverständlich. Tempo 80 gilt auch schon in vielen anderen europäischen Ländern.
Innerorts
Der Deutsche Städtetag fordert für die Kommunen mehr Rechte bei der Verkehrsplanung. Über 390 Kommunen unterstützen bisher diese Forderung, darunter alle Großstädte, und decken damit etwa 1/3 der Bevölkerung ab.[22]
Viele Hauptstädte haben generell Tempo 30 eingeführt, beispielsweise Paris, Antwerpen, Brüssel, Mainz, Hannover, Helsinki, Oslo.[23]
Das Bundesumweltamt empfiehlt Tempo-30 in Ortschaften.[25] Damit können Unfälle und Unfallfolgen deutlich verringert werden, da der Bremsweg deutlich kürzer ist als bei Tempo-50. Es entsteht sozusagen eine unfallfreie Zone (grün). In Spanien gilt generell Tempo-30 in städtischen Straßen mit zwei Fahrbahnen.[26] In Helsinki konnten die Todesfälle durch Tempo-30 auf Null reduziert werden.[27][28]
Tempo | Reaktions- | Bremsweg[24] |
---|---|---|
30 km/h | 16,7 m | 3,5 m |
50 km/h | 27,8 m | 9,8 m |
Die Reduktion der Abgase beträgt bei Tempo-30 je nach Stadt zwischen 0,5 und 5,5 % CO2-Äquivalente.[15]
Autofreier Sonntag
Eine weitere Möglichkeit zur Verringerung klimaschädlicher Abgase sind autofreie Tage. Greenpeace schlägt vor, ein Jahr lang zweimal im Monat einen autofreien Sonntag einzuführen. Damit könnten 1,3 Milliarden Liter fossile Brennstoffe eingespart werden und die Importabhängigkeit würde verringert werden. Das entspreche 2,6 Prozent des Kraftstoffabsatzes pro Jahr in Deutschland und 1,4 Prozent der Ölimporte.[29]
Audi-Chef Markus Duesmann ist offen für autofreie Tage.[5]
Situation in Europa
Land | innerorts | Landstraße | Autobahn |
---|---|---|---|
Spanien | 30 | 90 | 120 |
Zypern | 50 | 80 | 100 |
Schweiz | 50 | 80 | 120 |
Niederlande | 50 | 80 | 100/130 |
Frankreich | 50 | 80 | 130 |
Dänemark | 50 | 80 | 130 |
Belgien | 50 | 90 | 120 |
Luxemburg | 50 | 90 | 110/130 |
Italien | 50 | 90 | 130 |
Tschechien | 50 | 90 | 130 |
Polen | 50 | 90 | 140 |
Österreich | 50 | 100 | 130 |
Deutschland | 50 | 100 | unbegrenzt |
Einige Länder haben unterschiedliche Tempolimits tagsüber und nachts. Andere unterscheiden auch trockene oder nasse Straße, oder weitere Straßentypen (siehe detaillierte Tabelle). Das führt zu unübersichtlichen Verhältnissen (siehe Hinweisschilder) und einer großen Streuung in der Unfallstatistik. Schweden hat 20 Verkehrstote pro 1 Mio. Einwohner, Rumänien 92 Tote.[31] Eine Vereinheitlichung der Höchstgeschwindigkeiten ist von der EU derzeit nicht geplant. Zur Unfallreduzierung setzt die EU mit der ISA auf eine technische Lösung.
Einzelnachweise
- ↑ DUH: Tempolimit: Für Klimaschutz und Sicherheit
- ↑ Die Grünen: 130/120 auf Autobahnen, generell 30 in Ortschaften (Wahlprogramm 2021)
- ↑ EKD-Synode: Klimaaktivistin appelliert an Synodale: „Jetzt zu schweigen, ist das größte Risiko von allen“
- ↑ EKD-Synode: Beschluss zu Tempolimit in der evangelischen Kirche
- ↑ a b Tagesschau: Audi-Chef für autofreie Tage und Tempolimit
- ↑ 20 Min: Grüne fordern Tempo 100 auf Schweizer Strassen
- ↑ DUH fordert Ampelkoalition auf, ab dem 1. März 2023 ein Tempolimit 100–80–30 einzuführen – für Klimaschutz und Verkehrssicherheit
- ↑ a b c Bundesministerium Umwelt: Klimaschutz im Verkehr | Baustein 5: Jetzt mal langsam! Geschwindigkeitsbegrenzungen
- ↑ Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG), Anlage 2 (zu § 4): Zulässige Jahresemissionsmengen für die Jahre 2020 bis 2030
- ↑ Umweltbundesamt: Klimaschutzziele im Verkehrssektor
- ↑ ZDF Politbarometer: FDP will weiter freie Fahrt : Tempolimit: Grüne und SPD lassen nicht locker
- ↑ a b Spiegel: Wissing hält Tempolimit wegen Schildermangel für nicht umsetzbar
- ↑ Tagesschau: FDP bremst weiter
- ↑ FDP: Ein Tempolimit auf Autobahnen ist reine Symbolpolitik, auf heise.de
- ↑ a b c d Deutsche Umwelthilfe: Neue Berechnung belegt: Klimaschutzwirkung von Tempolimit 100–80–30 viel größer als bisher angenommen (Pressemeldung)
- ↑ Deutsche Umwelthilfe: Berechnung des CO2-Einsparpotentials eines generellen Tempolimits 100–80–30
- ↑ a b c Umweltbundesamt: Tempolimit auf Autobahnen und Außerortsstraßen (2023)
- ↑ Umweltbundesamt: Flüssiger Verkehr für Klimaschutz und Luftreinhaltung Abschlussbericht, 361 Seiten.
- ↑ Umweltbundesamt: Tempolimit auf Autobahnen
- ↑ a b Umweltbundesamt: Tempolimit auf Autobahnen mindert CO2-Emissionen deutlich
- ↑ Tempolimit auf Straßen außerorts. (PDF) Umweltbundesamt, 25. März 2022, abgerufen am 25. Januar 2023.
- ↑ "Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten", auf staedtetag.de
- ↑ In diesen europäischen Großstädten gilt Tempo 30, auf businesstraveller.de
- ↑ a b BFU: Berechnungsgrundlagen und Parameter
- ↑ Umweltbundesamt: empfiehlt Tempo-30 (Erklär-Video, 4:14)
- ↑ Fakten aus Madrid / Spanien, auf de.30kmh.eu
- ↑ NDR: Keine Verkehrstoten: Was Helsinki richtig macht.
- ↑ Fakten aus Helsinki / Finnland, auf de.30kmh.eu
- ↑ Greenpeace: Zehn Maßnahmen, um den Ölverbrauch kurzfristig zu senken
- ↑ Freie Fahrt: Länder ohne Tempolimit. Abgerufen am 25. Januar 2023.
- ↑ ADAC: EU Verkehrsunfallstatistik (2021): Verkehrstote in Europa: Die Straßen dieser Länder sind besonders gefährlich