Tangens und Kotangens

trigonometrische Funktionen
(Weitergeleitet von Tangens)

Tangens und Kotangens sind trigonometrische Funktionen und spielen in der Mathematik und ihren Anwendungsgebieten eine herausragende Rolle. Der Tangens des Winkels wird mit bezeichnet, der Kotangens des Winkels mit . In älterer Literatur findet man auch die Schreibweisen für den Tangens und für den Kotangens.

Schaubild der Tangensfunktion (Argument x im Bogenmaß)
Schaubild der Kotangensfunktion (Argument x im Bogenmaß)

Definition

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Historisch/geometrisch

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Definition am Einheitskreis:
 

Ersten Gebrauch der Tangensfunktion machte der persische Mathematiker Abu al-Wafa (940–998). Die Bezeichnung „Tangens“ wurde 1583 vom Mathematiker Thomas Finck eingeführt. Die Bezeichnung „Kotangens“ entwickelte sich aus complementi tangens, also Tangens des Komplementärwinkels.[1]

Die Wahl des Namens Tangens erklärt sich unmittelbar durch die Definition im Einheitskreis. Die Funktionswerte entsprechen der Länge eines Tangentenabschnitts:

 
 
Ein rechtwinkliges Dreieck, mit Bezeichnungen der drei Seiten bezogen auf einen variablen Winkel α am Punkt A und einen rechten Winkel am Punkt C

In einem rechtwinkligen Dreieck ist der Tangens eines Winkels   das Längenverhältnis von Gegenkathete zu Ankathete und der Kotangens das Längenverhältnis von Ankathete zu Gegenkathete:

 

Daraus folgt unmittelbar:

  (siehe auch Sekans und Kosekans)

sowie

 

Analytische Definition

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Sinus und Kosinus können auch auf einer axiomatischen Basis behandelt werden, weshalb für den Tangens und Kotangens das Gleiche gilt. Komplexe Argumente werden durch analytische Definition ermöglicht. Dabei gilt eine Surjektivität von Sinus und Kosinus als komplexwertige Funktion. Daraus resultierend sind Tangens und Kotangens als komplexwertige Funktion ebenso surjektiv.

Beziehung zu Taylorreihen

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Tangens und Kotangens können als Quotienten von je zwei Taylorreihen dargestellt werden. Beruhend auf diesen Reihen lassen sich auch Arkustangens und Arkuskotangens als Quotienten von je zwei Taylorreihen darstellen (siehe Reihenentwicklung).

Beziehung zur Exponentialfunktion

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Tangens und Kotangens sind als Trigonometrische Funktionen eng mit der Exponentialfunktion verbunden, wie auch der Sinus, Kosinus, Sekans und Kosekans, wobei aus

 

für den Tangens mit   und Kotangens mit  

 

resultiert.

Formal – mit Definitions- und Wertebereich

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Formal kann die Tangensfunktion mittels der Sinus- und Kosinusfunktionen durch

  mit  

definiert werden,[2] wobei der Wertebereich   je nach Anwendung die reellen Zahlen   oder die komplexen Zahlen   sind. Um zu verhindern, dass der Nenner   Null wird, werden beim Definitionsbereich   die Nullstellen der Cosinus-Funktion weggelassen:

 

im Reellen bzw.

 

im Komplexen.

Der Kotangens kann analog dazu durch

  mit  

definiert werden, wobei sich für dessen Definitionsbereich

 

im Reellen bzw.

 

im Komplexen ergibt, wenn gewährleistet werden soll, dass der Nenner   ungleich Null ist.

Für den gemeinsamen Definitionsbereich von   und  

 

gilt

 

Eigenschaften

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Entstehung der Tangensfunktion aus der Winkelbewegung im Einheitskreis

Periodizität

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Der Tangens und der Kotangens sind periodische Funktionen mit der Periode  , es gilt also  .

Monotonie

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Der Tangens ist in jedem Intervall zwischen zwei aufeinanderfolgenden Polstellen streng monoton steigend.
Der Kotangens ist in jedem Intervall zwischen zwei aufeinanderfolgenden Polstellen streng monoton fallend.

Symmetrien

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Tangens und Kotangens sind punktsymmetrisch zum Koordinatenursprung:

 
 

Nullstellen

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Tangens:  
Kotangens:     

Polstellen

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Tangens:  
Kotangens:     

Wendestellen

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Tangens:  
Kotangens:     

Sowohl die Tangensfunktion als auch die Kotangensfunktion haben Asymptoten, aber weder Sprungstellen noch Extrema.

Differenzierbarkeit

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Tangens und Kotangens sind beliebig oft differenzierbar.[3]

Tangens Kotangens
     
     
     
     

Wichtige Funktionswerte

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Tangens Kotangens Ausdruck num. Wert
      0
      0,2679491…
      0,3249196…
      0,4142135…
      0,5773502…
      0,7265425…
      1
      1,7320508…
      2,4142135…
      3,7320508…
      Polstelle

[4]

Umkehrfunktionen

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Durch passende Einschränkung der Definitionsbereiche erhält man folgende Bijektionen:

Tangens
 

Die Umkehrfunktion

 

heißt Arkustangens und ist folglich ebenfalls bijektiv.

Kotangens
 

Die Umkehrfunktion

 

heißt Arkuskotangens und ist folglich ebenfalls bijektiv.

Asymptoten

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Aus den einseitigen Grenzwerten[5]

    und  

resp.[6]

    und    

leiten sich die Grenzwerte[5]

    und  

resp.[6]

    und    

her. Somit kann man nach der Einschränkung auf die Intervalle     resp.     die Definitionsbereiche wenigstens um die Endpunkte   resp.   der Intervalle wieder erweitern und unter Anpassung der Wertebereiche die beiden Funktionen stetig fortsetzen zu

 

resp.

 

mit   als den erweiterten reellen Zahlen.

Die so erweiterten Funktionen sind ebenfalls stetig umkehrbar.

Reihenentwicklung

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Tangens für |x| < ½π (im Bogenmaß)

Die Taylorreihe mit dem Entwicklungspunkt   (Maclaurinsche Reihe) lautet für  [7]

 

Dabei sind mit   die Bernoulli-Zahlen und mit   die Dirichletsche Lambda-Funktion bezeichnet.

Aus der Reihendarstellung folgt für  :

  1.   und
  2.   ist streng monoton steigend mit  .

Ersetzt man in der Reihendarstellung   durch  , ergibt sich für  :

  ist streng monoton fallend und  .

Kotangens

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Die Laurent-Reihe lautet für  [8]

 

Damit hat man für   im Konvergenzbereich   die Taylor-Reihe

 ,

wobei   die Langevin-Funktion bezeichnet. Die Partialbruchzerlegung des Kotangens lautet für  

 

Die Partialbruchzerlegung des Kotangens stammt von Leonhard Euler (§ 178 Introductio in analysin infinitorum, 1748) und wurde als eines seiner schönsten Resultate bezeichnet.[9] Ein einfacher Beweis benutzt den Herglotz-Trick.[10][11] Eine Folgerung aus der Formel ist die Ableitung der Werte der Riemannschen Zetafunktion an den geraden natürlichen Zahlen.

Ableitungen

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Bei der Ableitung von Tangens und Kotangens tauchen die ansonsten eher wenig gebräuchlichen trigonometrischen Funktionen Sekans und Kosekans auf:

 
 

Die  -ten Ableitungen lassen sich mit der Polygammafunktion ausdrücken:

 
 

Stammfunktionen

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Tangens
     mit        
Kotangens
     mit        

Komplexes Argument

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    mit  
    mit  

Darstellung des Sinus und Kosinus mithilfe des (Ko-)Tangens

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Die Auflösung der Identitäten

 
 

nach   bzw.   ergibt bei Beschränkung auf den ersten Quadranten

  für  ,
  für  .

Die etwas komplizierteren Erweiterungen auf ganz   lassen sich entweder kompakt als Grenzwert mit Hilfe der Floor-Funktion   oder elementarer mittels abschnittsweise definierter Funktionen darstellen:

 
 

Rationale Parametrisierung

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Der Tangens des halben Winkels kann dazu verwendet werden, verschiedene trigonometrische Funktionen durch rationale Ausdrücke zu beschreiben: Ist  , so ist

 

Insbesondere ist

 

eine Parametrisierung des Einheitskreises mit Ausnahme des Punktes   (der dem Parameter   entspricht). Einem Parameterwert   entspricht dabei der zweite Schnittpunkt der Verbindungsgeraden von   und   mit dem Einheitskreis (s. a. Einheitskreis#Rationale Parametrisierung).

Additionstheoreme

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Die Additionstheoreme für Tangens und Kotangens lauten:

 

Aus den Additionstheoremen folgt insbesondere für doppelte Winkel:

 

Anwendung: Tangens und Steigungswinkel

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Beispiel für eine Steigung

Der Tangens liefert eine wichtige Kennzahl für lineare Funktionen: Jede lineare Funktion

 

besitzt als Graphen eine Gerade. Der Tangens des (orientierten) Winkels   zwischen der positiven x-Richtung und der Geraden ist die Steigung   der Geraden, d. h.  . Dabei ist es egal, welche der beiden Halbgeraden man als zweiten Schenkel wählt.

Auch unter der Steigung einer Straße versteht man den Tangens des Steigungswinkels. Das Beispiel im Bild rechts zeigt eine Steigung von 10 % entsprechend einem Steigungswinkel von etwa 5,7° mit dem Tangens von 0,1.

Anwendung in der Physik

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Tangens und Kotangens können benutzt werden, um die zeitliche Abhängigkeit der Geschwindigkeit beim Wurf eines Körpers nach oben zu beschreiben, wenn für den Strömungswiderstand der Luft eine turbulente Strömung angesetzt wird (Newton-Reibung). Das Koordinatensystem werde so gelegt, dass die Ortsachse nach oben zeigt. Für die Geschwindigkeit gilt dann eine Differenzialgleichung der Form   mit der Schwerebeschleunigung   und einer Konstanten  . Dann ergibt sich:

 ,

wobei   die Grenzgeschwindigkeit ist, die beim Fall mit Luftwiderstand erreicht wird. Wegen der oben angegebenen engen Zusammenhänge zwischen Kotangens und Tangens kann man diese zeitliche Abhängigkeit auch genauso gut mit Hilfe des Tangens ausdrücken:

 

Diese Lösung gilt, bis der Körper den höchsten Punkt seiner Bahn erreicht hat (also wenn   ist, das heißt für  ), daran anschließend muss man den Tangens hyperbolicus verwenden, um den folgenden Fall mit Luftwiderstand zu beschreiben.

Differentialgleichung

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Der Tangens ist eine Lösung der Riccati-Gleichung

 .

Faktorisiert man die rechte Seite, so erhält man

 

mit der imaginären Einheit  . Der Tangens (als komplexe Funktion) hat die Ausnahmewerte  ,  : Diese Werte werden niemals angenommen, da die konstanten Funktionen   und   Lösungen der Differentialgleichung sind und der Existenz- und Eindeutigkeitssatz ausschließt, dass zwei verschiedene Lösungen an derselben Stelle denselben Wert besitzen.

Siehe auch

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Commons: Tangensfunktion – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: tan – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wikiversity: Tangens und Kotangens – Kursmaterialien

Einzelnachweise

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  1. Josef Laub (Hrsg.): Lehrbuch der Mathematik für die Oberstufe der allgemeinbildenden höheren Schulen. 2. Band. 2. Auflage. Hölder-Pichler-Tempsky, Wien 1977, ISBN 3-209-00159-6, S. 223.
  2. Per Dreisatz ist sin/cos = tan/1.
  3. Differenzierbarkeit. In: Uni-kiel.de. Abgerufen am 11. April 2022.
  4. Für den größten gemeinsamen Teiler   dieser Winkel gilt:
     
  5. a b Die Geraden   und   sind senkrechte Asymptoten der Tangensfunktion   wie auch waagrechte der Umkehrfunktion  
  6. a b Die Geraden   und   sind senkrechte Asymptoten der Kotangensfunktion   wie auch waagrechte der Umkehrfunktion  
  7. Milton Abramowitz, Irene Stegun: Handbook of Mathematical Functions. Dover Publications, New York 1964, ISBN 0-486-61272-4, 4.3.67. (Memento vom 31. März 2009 im Internet Archive)
  8. Milton Abramowitz, Irene Stegun: Handbook of Mathematical Functions. Dover Publications, New York 1964, ISBN 0-486-61272-4, 4.3.70. (Memento vom 31. März 2009 im Internet Archive)
  9. Aigner, Ziegler, Das Buch der Beweise, Springer 2018, S. 207
  10. Dargestellt in Aigner, Ziegler, Das Buch der Beweise, 2018, S. 207 ff., Kapitel 26
  11. Jürgen Elstrodt, Partialbruchzerlegung des Kotangens, Herglotz-Trick und die Weierstraßsche stetige, nirgends differenzierbare Funktion, Mathematische Semesterberichte, Band 45, 1998, S. 207–220