Verschiedene: Die Gartenlaube (1858) | |
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Bergsack und Stock ab, nahm die Büchse herunter, und sprang, was ich springen konnte, den Berg hinauf.
„Ich hatte noch keine drei Sätze gethan, da fuhr er schon mit dem Kopfe herum – der Art Gesellen haben ein schlecht Gewissen – und mich sehen, aufspringen und die Büchse an den Backen reißen, war das Werk eines Augenblicks. Zu gleicher Zeit schrie ihm aber auch Wastel sein drohendes „Halloh,“ entgegen und wie er den zweiten Mann sah, und nun wohl merkte, daß es ihm an den Kragen ging, setzte er die Büchse erschrocken ab. Ich hätte ihn jetzt bequem umschießen können,“ fuhr Ragg ruhig fort, „aber wir wollten ihn gern lebendig haben und – wenn’s nicht gerade sein muß, ist’s doch immer eine häßliche Geschichte. So also schrie ich dem Burschen zu: seine Büchse fortzuwerfen, oder er wäre ein todter Mann, und sprang zu gleicher Zeit wieder rasch auf ihn ein. Daran dachte er aber nicht und umdrehn und in die nächsten Laatschen hineinfahren, war im Nu geschehn.
„An manchem andern Platze wäre das vielleicht nun gerade recht gut gegangen, denn Jemanden durch die Laatschen zu verfolgen, ist ein verzweifelt mühselig Ding; hier aber mußte er keinesfalls wissen, wohin die führten. Der ganze Laatschenstreifen war keine zwanzig Fuß breit, und unter ihnen weg sank der Abgrund, während der Wastel und ich den einzigen Ausweg, der nach rechts und links abführte, leicht überschießen konnten.
„Jetzt haben wir ihn,“ schrie Wastel auch, als er vorwärtssprang und in die Laatschen mit hineinsetzte, – „pass’ nur da draußen auf, Ragg, daß er nicht über die Lanne springt!“ – Aber er kam nicht weiter – ein furchtbar gellender Schrei tönte plötzlich vom Rand der Klamm herüber und als wir erschreckt und lautlos halten blieben, hörten wir erst unten etwas Hartes gegen die Felsen schlagen, und gleich darauf schallte der Schuß der durch den Sturz losgegangenen Büchse zu uns herauf.
„Gott sei seiner armen Seele gnädig,“ sagte der Wastel und drehte sich schaudernd um. – Wir Beide standen jetzt still und horchten, aber Nichts ließ sich hören.
„Ob man wohl hinuntersehen kann?“ sagte ich endlich.
„Ich mag’s nicht sehen,“ meinte der Wastel, „ich hab’ genug an dem Schuß.“
„Ich arbeitete mich jetzt durch die Laatschen durch, wo ich gleich vorn den Hut des Wilderers fand. Wie ich aber an den Rand kam, hingen die Zweige tief darüber hinunter und zwischen der Wurzel der einen durch, bröckelte das Gestein los, und stürzte mit hohlem Fall in den Abgrund nieder. Ich stand auf den Zweigen schon über der Tiefe. Es wurde mir unheimlich da draußen und ich kroch zum Wastel zurück.
„Wollen wir hinunter klettern und nachsehen?“ sagte ich endlich. Der Wastel erwiderte Nichts, wir warfen unsere Büchsen über den Rücken und stiegen thalab, mußten auch einen großen Umweg machen, unten hineinzukommen, und es mochte immer eine Stunde darüber hingegangen sein, eh’ wir den Platz erreichten. Indessen hatte es stärker an zu schneien gefangen und der Wind heulte so häßlich durch die hohle Klamm – es war ein gar so fatales Gefühl, da unten nach einem zerschmetterten Menschen zu suchen. Wir hatten ihn aber doch nicht umgebracht, er war selber da hinuntergesprungen, und wenn wir ihn auch dazu getrieben, ei, was zum Teufel hatte er auf fremdem Reviere zu suchen.“
„Da liegt die Büchse,“ sagte der Wastel plötzlich, – der Kolben war abgebrochen und das Gewehr durch den Sturz losgegangen – aber wo war der Wilderer? Gerad in die Höh’ konnte man bis oben hinauf unter die überhängenden Laatschen sehen, an ein Anhalten unterwegs war nicht zu denken, die Wand bog sich dort sogar nach innen, und selbst der Bergstock lag etwa zehn Schritt von der Büchse entfernt – aber kein Blutfleck, auf dem der dünne fallende Schnee in keinem Fall liegen geblieben wäre. Oben durch war er auch nicht gekommen, so lange wir oben standen, und wir zerbrachen uns jetzt den Kopf, was aus dem Burschen geworden sein könne. Gewißheit mußten wir aber darüber haben. Wastel nahm deshalb das zerbrochene Gewehr, ich den Stock, und wir ließen uns die Müh’ nicht verdrießen und kletterten noch einmal hinauf. Hol’s der Deixel, der Vogel war ausgeflogen, und zwar seit wir den Fleck verlassen hatten, denn die ganz frische Spur im „Neuen“ ließ auch nicht den mindesten Zweifel darüber. Todesangst mußte er aber in der Zeit daß wir oben suchten, ausgestanden haben, denn wie wir jetzt Alles ablegten und vorsichtig da hinauskrochen, woher die Spur kam, fanden wir, daß er die ganze Zeit über und bis wir fort waren, da draußen über dem Abgrunde an den Zweigen des Laatschenbusches gehangen haben muß. Außen an der Wand waren die Spuren seiner Fußspitzen, als er sich wieder hinaufgearbeitet, und wenn einer von den dünnen Zweigen gebrochen oder ihm nur die Hand ausgerutscht oder „verkrampft“ wäre, lag er unten bei seinem Gewehr, den Hals wie den Kolben gebrochen.“
Ragg hatte die ganze Geschichte in einem, nur ihm allein von allen Jägern eigenthümlichen, schauerlichen Bergdialekt und mit flüsternder Stimme erzählt, wobei man wirklich mit peinlicher Aufmerksamkeit zuhören mußte, zu verstehen was er meinte. Vorsichtig schaute er dabei dann und wann über den Hang hinunter, den Bock nicht aus den Augen zu verlieren. Der stand aber noch baumfest da unten und rührte und regte sich nicht.
„Und habt Ihr nie erfahren wer der Wilderer war?“
Ragg schüttelte den Kopf und meinte, still dabei vor sich hinlachend: „Der ist damals mit ausgerupften Federn davongekommen, wird aber wohl an der Lektion über dem Abgrund da drüben genug gehabt haben. Wir haben ihn hier drüben wenigstens nie wieder gespürt. Uebrigens“ – setzte er leise, mit dem Finger dabei drohend hinzu - „wußte er auch wohl warum, und daß wir ihn jetzt kannten. Wo er sich wieder hätt’ sehn lassen, wär’ ihm eine Kugel gewiß gewesen.“
Ragg prahlte nicht im Mindesten; es herrscht zwischen den Jägern und Wilderern im Gebirge noch ein so romantisches und vollkommen ausgebildetes Faustrecht, wie es sich der Dichter, der die Poesie ganz aus der Wirklichkeit verschwunden wähnt, gar nicht besser wünschen könnte. Wo sich Jäger und Wildschütz im Berg begegnen, ist es zwischen Beiden eine Sache auf Tod und Leben, und wer am schnellsten die Büchse an den Backen reißt und den Anderen über den Haufen schießt, hat gewonnen. Der Jäger ist allerdings stets im Vortheil, denn er hat für alle Fälle das Gesetz auf seiner Seite; draußen auf Gottes freier Alm aber und mit den wilden Bergen um sich her, wo alle „Civil- und Militairbehörden umsonst ersucht werden, dem mit rechtsgültigem Paß Reisenden, nöthigenfalls Schutz angedeihen zu lassen,“ hülfe ihm das oft gar wenig, wenn er nicht, außer dem Gesetz, auch noch die eigene Waffe bei sich führte, mit der er den auf ihn anlegenden Wilderer rasch und für immer unschädlich macht.
Der unerwartete Zeuge. Bei meinem letzten Besuche des Mississippi kam ich an einem schönen Herbstabende nach dem Dorfe Deepwoods, wohin ich von Moody Creek aus aufgebrochen war. Das Wirthshaus war voll Leute und ich hörte, es sei Gerichtssitzung. An dem oberen Ende der Tafel saßen die Richter und ein halb Dutzend Advocaten, die Landschaftsbeamten und zahlreiche Zuhörer. Ich hatte mit einem Kaufmanne, Namens Landor Wallace, in dem Orte etwas zu thun und machte mich nach seinem mir bekannten Geschäftslocale auf. Ich fand es jedoch fest verschlossen und wandte mich deshalb seiner Privatwohnung zu. Ich pochte, eine Schwarze öffnete. Auf meine Frage, ob Mr. Wallace zu Hause sei, sah sie mich zuerst eine Weile an und brach dann in Thränen ans.
„Zu Hause sein, aber Master todt,“ schluchzte sie.
Darauf hörte ich von ihr, daß er Tags zuvor ermordet worden und morgen darüber Gericht gehalten werden solle. Unter solchen Umständen wollte ich die Familie nicht stören und, nachdem ich mir einige Umstände von der Negerin hatte sagen lassen, kehrte ich nach dem Wirthshause zurück, um mich dort näher zu erkundigen. Dort vernahm ich zwar einige Gerüchte, die mir jedoch nicht klar wurden, und mußte mich deshalb bis zum nächsten Tage gedulden, um eine Einsicht in die Sache zu gewinnen.
Obwohl der Mord erst kürzlich geschehen und der Leichnam noch nicht beerdigt war, so sollte doch die Sache gleich verhandelt werden, weil der Gerichtshof zu den Vierteljahrssitzungen versammelt und ein Angeklagter und Zeugen vorhanden waren.
Als ich am nächsten Morgen in den Gerichtssaal trat, kam die Sache gleich vor. Der Angeklagte war ein Mann von nicht mehr als 25 Jahren, Namens Edward Demarton. Er war mehrere Jahre hindurch Commis
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