039 - Werlau - ST
039 - Werlau - ST
Untersuchungszentrale
der EisenbahnUnfalluntersuchungsstelle
des Bundes
Aktenzeichen: 60uu201109/0593323#007001
Datum: 12.06.2013
Gefährliches Ereignis im Eisenbahnbetrieb
Ereignisart: Zugkollision
Datum: 11.09.2011
Zeit: 14:06 Uhr
Benachbarte Betriebsstellen: Werlau St. Goar
Streckennummer: 2630
Kilometer: 123,664
Untersuchungsbericht
Zugkollision, 11.09.2011, Werlau St. Goar
Veröffentlicht durch:
Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung,
EisenbahnUnfalluntersuchungsstelle des Bundes
RobertSchumanPlatz 1
53175 Bonn
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Untersuchungsbericht
Zugkollision, 11.09.2011, Werlau St. Goar
Inhaltsverzeichnis:
Seite
1 Zusammenfassung ..............................................................................................6
1.1 Hergang .................................................................................................................6
1.2 Folgen....................................................................................................................6
1.3 Ursachen ...............................................................................................................6
2 Vorbemerkungen .................................................................................................8
2.1 Organisatorischer Hinweis.....................................................................................8
2.2 Ziel der EisenbahnUnfalluntersuchung.................................................................
8
2.3 Mitwirkende............................................................................................................9
3 Ereignis.................................................................................................................9
3.1 Hergang .................................................................................................................9
3.2 Todesopfer, Verletzte und Sachschäden.............................................................
10
3.3 Wetterbedingungen .............................................................................................10
4 Untersuchungsprotokoll ...................................................................................10
4.1 Zusammenfassung von Aussagen ......................................................................10
4.2 Notfallmanagement..............................................................................................12
4.3 Untersuchung Infrastruktur ..................................................................................13
4.4 Untersuchung der Leit und Sicherungstechnik...................................................
19
4.5 Untersuchung der betrieblichen Handlungen ...................................................... 19
4.5.1 Zugfahrten im Streckenabschnitt Boppard –Oberwesel ...................................... 19
4.5.2 Handlungsabläufe des Zugpersonals IC 2313.....................................................
19
4.5.3 Handlungsabläufe in der Betriebszentrale Frankfurt/M ....................................... 20
4.5.4 Fahrdienst auf den Betriebsstellen ...................................................................... 20
4.6 Auswertung von Fahrtverlauf und Sprachaufzeichnungen .................................. 21
4.7 Interpretation der Unfallspuren ............................................................................25
5 Auswertung und Schlussfolgerungen ............................................................. 25
6 Bisher getroffene Maßnahmen der Beteiligten ............................................... 27
7 Sicherheitsempfehlungen .................................................................................27
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Abbildungsverzeichnis:
Abb. 13: Aufnahmen von der Unfallstelle................................................................................7
Abb. 4: Lageplan ......................................................................................................................9
Abb. 5: Oberhalb der Böschung gelegene Hangmulde..........................................................14
Abb. 6: Gerinne ......................................................................................................................15
Abb. 7: blockierter Durchlass .................................................................................................16
Abb. 8: Auszug Fahrtverlaufsaufzeichnung............................................................................22
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Abkürzungsverzeichnis
AEG Allgemeines Eisenbahngesetz
BMVBS Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
BPol Bundespolizei
BÜ Bahnübergang
BZ Betriebszentrale
EBA EisenbahnBundesamt
EBL Eisenbahnbetriebsleiter
EBO Eisenbahn Bau und Betriebsordnung
EIU Eisenbahninfrastrukturunternehmen
ERA Europäische Eisenbahn Agentur
ESO Eisenbahnsignalordnung
EUB EisenbahnUnfalluntersuchungsstelle des Bundes
EUV EisenbahnUnfalluntersuchungsverordnung
EVU Eisenbahnverkehrsunternehmen
NE Nichtbundeseigene Eisenbahn
Nflst Notfallleitstelle
Nmg Notfallmanager
RLS Rettungsleitstelle
RPZ Räumungsprüfung auf Zeit
SB Sicherheitsbehörde
SMS Sicherheitsmanagementsystem
TP Transportleitung (seit 01.01.2012 = Verkehrsleitung)
ZbkSig Zentralblocksignal
ZES Zentralschaltstelle
Zs1 Ersatzsignal
Üst Überleitstelle
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1 Zusammenfassung
1.1 Hergang
Am 11.09.2011 kollidierte IC 2313 (HamburgAltona – Stuttgart Hbf) auf der linksrheinischen
Strecke 2630 Köln – Bingen, zwischen den Bahnhöfen Werlau und St. Goar in Kilometer
123,664 mit einem Murgang.
1.2 Folgen
Der Triebfahrzeugführer wird schwer, 10 Reisende und 4 Mitarbeiter werden leicht verletzt.
Das führende Triebfahrzeug und die ersten vier Wagen entgleisen mit allen Achsen. Das
führende Triebfahrzeug, der nachlaufende Steuerwagen und drei weitere Reisezugwagen
bleiben in leichter Schräglage nicht profilfrei zum Nachbargleis liegen. Triebfahrzeug und
Reisezugwagen werden dabei erheblich beschädigt.
1.3 Ursachen
Durch ein im Hang befindliches natürliches Gerinne sind nach unwetterartigen Regenfällen
ca. 80 bis 100 m³ Schlamm und Geröllmassen zu Tal gegangen. Diese türmten sich am
hangseitig befindlichen Eingang eines Durchlasses in km 123,664 auf und überspülten die
Streckengleise.
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Abb. 13: Aufnahmen von der Unfallstelle
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2 Vorbemerkungen
2.1 Organisatorischer Hinweis
Mit der Richtlinie 2004/49/EG zur Eisenbahnsicherheit in der Gemeinschaft (Eisenbahn
sicherheitsrichtlinie) wurden die Mitgliedstaaten der europäischen Union verpflichtet, unab
hängige Untersuchungsstellen für die Untersuchung bestimmter gefährlicher Ereignisse ein
zurichten.
Diese Richtlinie wurde mit dem 5. Gesetz zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften
vom 16. April 2007 umgesetzt und die EisenbahnUnfalluntersuchungsstelle des Bundes
(EUB) eingerichtet. Die weitere Umsetzung der Sicherheitsrichtlinie erfolgte durch die Eisen
bahnUnfalluntersuchungsverordnung (EUV) vom 05.07.2007.
Die Leitung der EisenbahnUnfalluntersuchungsstelle des Bundes (EUB) liegt beim Bundes
ministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS). Zur Durchführung der Unter
suchungen greift die Leitung der EUB auf die Untersuchungszentrale beim Eisenbahn
Bundesamt die fachlich ausschließlich und unmittelbar dem Leiter der EUB untersteht
zurück.
Näheres hierzu ist im Internet unter >> www.eisenbahnunfalluntersuchung.de << eingestellt.
2.2 Ziel der EisenbahnUnfalluntersuchung
Ziel und Zweck der Untersuchungen ist es, die Ursachen von gefährlichen Ereignissen auf
zuklären und hieraus Hinweise zur Verbesserung der Sicherheit abzuleiten. Untersuchungen
der EUB dienen nicht dazu, ein Verschulden festzustellen oder Fragen der Haftung oder
sonstiger zivilrechtlicher Ansprüche zu klären und werden unabhängig von jeder gerichtli
chen Untersuchung durchgeführt.
Die Untersuchung umfasst die Sammlung und Auswertung von Informationen, die Erarbei
tung von Schlussfolgerungen einschließlich der Feststellung der Ursachen und gegebenen
falls die Abgabe von Sicherheitsempfehlungen. Die Vorschläge der Untersuchungsstelle zur
Vermeidung von Unfällen und Verbesserung der Sicherheit im Eisenbahnverkehr werden der
Sicherheitsbehörde und, soweit erforderlich, anderen Stellen und Behörden oder anderen
Mitgliedstaaten der EU in Form von Sicherheitsempfehlungen mitgeteilt.
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2.3 Mitwirkende
Im Rahmen der Sachverhaltsermittlung und Ursachenerforschung wurden folgende externe
Stellen einbezogen:
• Zentrale Auswertstelle (ZAS) der Deutschen Bahn AG, Nürnberg
3 Ereignis
3.1 Hergang
Auf der Zugfahrt von HamburgAltona nach Stuttgart Hbf kollidierte der der IC 2312 im links
rheinischen Streckenabschnitt, der Strecke 2630 (Köln – Bingen), zwischen den Bahnhöfen
Werlau und St. Goar in Kilometer 123,664 mit einem im Gleis befindlichen Murgang.
Abb. 4: Lageplan
Quelle: IVLPlan DB Netz AG bearbeitet durch EUB
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Infolge der Kollision entgleist das führende Triebfahrzeug (Baureihe 101), der nachlaufende
Steuerwagen und weitere drei Reisezugwagen mit allen Achsen. Aufgrund eines technischen
Defektes am Steuerwagen befand sich das Triebfahrzeug an der Zugspitze.
Das führende Triebfahrzeug kommt im km 123,8 zum Stillstand. Die entgleisten Fahrzeuge
des Zugverbandes stehen nicht profilfrei zum Nachbargleis.
Vor dem Unfallzug befuhren die Zugfahrten TR 25337 (Koblenz Hbf nach Bingen (Rhein))
sowie IC 2312 (Stuttgart Hbf nach Dortmund Hbf) den späteren Unfallabschnitt. Hinweise auf
bauliche Auffälligkeiten im besagten Streckenabschnitt offenbarten sich hierbei nicht.
3.2 Todesopfer, Verletzte und Sachschäden
Der Triebfahrzeugführer wird schwer, 10 Reisende und 4 Mitarbeiter werden leicht verletzt.
Es entstanden erhebliche Schäden an den Fahrzeugen sowie der Infrastruktur die über
schlägig wie folgt abgeschätzt wurden:
• Schienenfahrzeuge 1.900.000 €
• Infrastruktur 500.000 €
3.3 Wetterbedingungen
Der Unfall ereignete sich unmittelbar bzw. während unwetterartiger Regenfälle.
4 Untersuchungsprotokoll
4.1 Zusammenfassung von Aussagen
Im Folgenden sind die Aussagen von Mitarbeitern der Eisenbahnunternehmen auszugsweise
zusammengefasst.
Aussage des Triebfahrzeugführers IC 2313:
Eine verwertbare Aussage des Triebfahrzeugführers des verunfallten Zuges liegt nicht vor.
Aussage des Zugführers IC 2313:
Zum Ereigniszeitpunkt habe er sich mit zwei Betreuerinnen im Sonderabteil neben dem
Dienstabteil aufgehalten. Anschließend sei er mit einer Betreuerin zur Zugspitze des IC 2313
gegangen. Die Betreuerin habe sich in den Führerstand der Lok gedrängt. Der Triebfahr
zeugführer habe verletzt auf dem Boden gelegen. Er habe der Betreuerin mitgeteilt, dass Sie
„die rote Taste“ auf dem Führerstand drücken solle um den Notruf abzusetzen. Das Abset
zen des Notrufes wäre jedoch nicht möglich gewesen. Anschließend habe die Betreuerin den
Führerstand verlassen und sei evtl. entgegenkommenden Zügen zum Absetzen eines
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Nothaltes entgegen gelaufen. Um 14:13 Uhr habe er telefonisch den Nothalt an die TP
Frankfurt/M abgesetzt. Kurze Zeit später habe die TP Frankfurt die Sperrung der Strecke
sowie die Oberleitungsabschaltung bestätigt.
Aussage der Zugbegleiterin B 3:
Zum Ereigniszeitpunkt habe sie sich im Dienstabteil des Wagens 10 aufgehalten. Nach dem
Anlegen der Warnweste habe sie mit dem Zugchef den Zug verlassen und sich zur Zugspit
ze begeben. Bereits ausgestiegene Reisende habe sie aufgefordert, wieder zurück in den
Zug zu gehen. Es herrschte Unwetter und starker Regen. Sie sei auf den Führerstand geklet
tert und habe dort den am Boden schwer verletzt liegenden Triebfahrzeugführer angetroffen.
Der Tf sei ansprechbar gewesen. Sie habe versucht einen Notruf abzusetzen. Dies sei aus
technischen Gründen nicht möglich gewesen.
Die Aussagen weiterer Zugbegleiter des IC 2313 sind für die Untersuchung des Ereignisses
nicht relevant und im Weiteren nicht wiedergegeben.
Aussage des Triebfahrzeugführers IC 2312:
Am 11.09.2011 habe er den IC 2312 von Stuttgart Hbf nach Dortmund Hbf gefahren. In dem
Bereich km 123,600 zwischen Üst. Urbar Nord und Boppard habe er keine Auffälligkeiten an
oder neben der Strecke beobachtet.
Angaben des Triebfahrzeugführers TR 25337:
Am Sonntag den 11.09.2011 habe er den Zug 25337 von Koblenz Hbf nach Bingen (Rhein)
gefahren. Auf der Höhe von Rhens und Spay habe es stark angefangen zu regnen und zu
hageln. Aufgrund dessen habe er die Geschwindigkeit seines Zuges wegen schlechter Sicht
verringert. Das Unwetter habe bis Oberwesel angedauert. Bezüglich der Gleislage und dem
Zustand des Hanges in km 123,6 sei ihm nichts aufgefallen.
Stellungnahme des Fahrdienstleiters Oberwesel:
Gegen 14:13 Uhr habe ihn der Streckendisponent aufgefordert den IC 2004 (Laufweg: Mainz
– Koblenz) anzuhalten. Daraufhin habe er über GSMR Zug 2004 gestellt. Danach sei über
GSMR ein Anruf von einem Mitarbeiter Fachlinie Fahrbahn eingegangen, der ihm mitteilte,
er solle sofort die Oberleitung ausschalten. Der Mitarbeiter habe angegeben, sich mit dem
Auto zufällig an der Unfallstelle zu befinden. Im Anschluss habe die Notfallleitstelle angeru
fen und ihn über das Ereignis informiert. Er habe den Fdl Boppard beauftragt die Oberleitung
abzuschalten. Kurze Zeit später sei die Bestätigung der Oberleitungsabschaltung eingegan
gen.
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Aussage des Fdl Boppard:
Am 11.09.2011 sei IC 2313 im Bf Boppard um 14:01 Uhr durchgefahren. Der Zug habe am
Sbk 77 Ersatzsignal erhalten. Die Zs1 Bedienung sei um 14:03 Uhr erfolgt. Er sei durch die
Notfallleitstelle Frankfurt um 14:18 Uhr über die Entgleisung des IC 2313 unterrichtet wor
den. Um 14:20 Uhr seien die beiden Streckengleise Boppard – Oberwesel und Oberwesel –
Boppard gesperrt worden. Um 14:36 Uhr sei die freie Strecke Oberwesel – Boppard und
Gegenrichtung durch die ZES Borken ausgeschaltet worden.
Angaben des Notfallleitstellenbedieners in der BZ Frankfurt/M:
Er sei durch eine Mitarbeiterin von DB Fernverkehr über die Entgleisung unterrichtet worden.
Weitere Aussagen zum detaillierten Ablauf der Zugfunkgespräche könne er nicht machen. Er
verwies auf die Sprachspeicherauswertung.
Angaben des Streckendisponenten DB Fernverkehr:
Gegen 14:10 Uhr habe er telefonisch durch das Zugpersonal von der Entgleisung des IC
2313 erfahren. Ihm sei mitgeteilt worden, dass die Lok und die beiden ersten Wagen ent
gleist seien und der Tf verletzt sei. Er habe danach unverzüglich die Notfallleitstelle, den Be
reichsdisponent der BZ sowie seinen Schichtleiter informiert. Er gehe zwischen Eingang des
Telefonates und der Übermittlung des Gespräches von ca. 2 Minuten aus.
4.2 Notfallmanagement
Nach § 4 Abs. 3 Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG) haben die Eisenbahnen die Verpflicht
ung, an Maßnahmen des Brandschutzes und der technischen Hilfeleistung mitzuwirken. In
einer Vereinbarung zwischen den Innenministerien der Länder und der DB AG hat man sich
auf eine Verfahrensweise verständigt. Für die DB Netz AG gelten die entsprechenden Brand
und Katastrophenschutzgesetze der Länder.
Das Notfallmanagement der DB AG ist in der Richtlinie (Ril) 123 näher beschrieben und ge
regelt.
Um 14:14 Uhr informierte die RLS Montabaur die Notfallleitstelle (Nflst) Frankfurt/M über die
Zugentgleisung auf der Rheinstrecke. Zu diesem Zeitpunkt war die Nflst über das Ereignis
bereits unterrichtet. Der zuständige Notfallmanager wurde durch die Notfallleitstelle um 14:28
Uhr unterrichtet. Die Bestätigung der Oberleitungsabschaltung für die Schaltgruppen
Boppard UrbarNord und UrbarNord – Boppard durch die Zentrale Schaltstelle (ZES) Bor
ken erfolgte um 14:36 Uhr. Das Eintreffen des Notfallmanagers am Unfallort ist nicht doku
mentiert.
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Wie den im Kapitel 4.1 dargestellten Zeugenaussagen zu entnehmen war, konnte der vorge
sehene Notruf zur Auslösung der soeben beschriebenen Alarmierungskette sowie Sperrung
der betroffenen Gleise aufgrund einer unfallbedingten Beschädigung der im Triebfahrzeug
vorhandenen „technischen Notrufeinrichtung“ durch an Bord befindliche Betriebspersonale
nicht ausgelöst werden.
Die DB Fernverkehr AG unterrichtet ihre Zugbegleitpersonale grundsätzlich auf der Grundla
ge der Ril 408.0581 „Verhalten bei Gefahr“. Die Triebfahrzeugführer werden nach dem in der
TSI erforderlichen Triebfahrzeugführerheft Ril 418 unterrichtet. Bedingt durch den nicht mehr
zur Verfügung stehenden Zugfunk wäre es notwendig gewesen andere Fernsprecheinrich
tungen gemäß 408.0581 3 (3) zu nutzen, da auf der Strecke 2630 im relevanten Bereich
keine Streckenfernsprecher mehr vorhanden sind. Somit stand im vorliegenden Fall dem
Zugbegleitpersonal als Kommunikationsmittel das Mobiltelefon zur Verfügung.
Die Prozessbeschreibung LN 2603 0501 – Erste Maßnahmen bei Eintritt von Ereignissen/
Störungen eingreifen kennt für den Arbeitsplatz des Notfallleitstellenbedieners keinen
Handlungsschritt der sich explizit mit Meldungen über gefährliche Ereignisse im Eisenbahn
betrieb aus den Transportleitungen der Eisenbahnverkehrsunternehmen ergibt. Dies deckt
sich mit den Vorgaben der Betriebsleitstellenrichtlinie (Ril 420). Die „Regionalen Zusätze zur
Ril 420 der Betriebszentrale Frankfurt/M Teil II“ mit den Meldewegen bei Gefährlichen Ereig
nissen im Eisenbahnbetrieb richten sich ausschließlich an die Mitarbeiter der DB Netz AG.
4.3 Untersuchung Infrastruktur
Bei der Strecke 2630 handelt es sich gemäß der TranseuropäischenEisenbahn
Interoperabilitätsverordnung (TEIV) um eine konventionelle Strecke der Kategorie VII des
transeuropäischen Eisenbahnsystems.
Der Streckenabschnitt von Werlau St. Goar ist elektrifiziert, zweigleisig und mit punktförmi
ger Zugbeeinflussung (PZB) ausgerüstet. Die Strecke ist mit D 4 klassifiziert deren max. zul.
Radsatzlast mit 22,5 t und deren max. zul. Fahrzeuggewicht je Längeneinheit mit 8,0 t/m
angegeben ist. Auf dem Streckenabschnitt findet sowohl Personen als auch Güterzugver
kehr statt. Die maximale Streckengeschwindigkeit im betroffenen Abschnitt liegt gemäß dem
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Verzeichnis der örtlich zugelassenen Geschwindigkeit (VZG) bei Vzul. =110 km/h. Betreiber
der Infrastruktur ist die DB Netz AG.
Der maßgebliche Hanganschnitt erstreckt sich auf einer Länge von 80 m von km 123,600 bis
km 123,680. Er ist ca. 120 m hoch mit einer durchschnittlichen Neigung von 35° bis 45°. Es
liegt eine starke Bewaldung vor. Bei dem anstehenden Gestein handelt es sich überwiegend
um plattige bis bankige Quarzite und grau Schiefer. Aufgrund der Klüftung sind die Felsen
teilweise in unterschiedlich große, entfestigte Blöcke zerlegt. Oberhalb der Böschung befin
det sich eine leicht ansteigende und muldenförmig ausgeprägte landwirtschaftlich genutzte
Fläche. Diese Mulde entwässert mehr oder weniger konzentriert über ein in dem Hangan
schnitt befindliches natürliches Gerinne, welches wiederum direkt in den Durchlass unter der
DBStrecke bei km 123,664 (Entgleisungsstelle) mündet. Das Wasser wird durchein Rohr
unter der parallellaufenden Bundesstraße B 9 in den Rhein abgeleitet.
Abb. 5: Oberhalb der Böschung gelegene Hangmulde
Das Gerinne ist unterhalb der oberen Böschungskante abschnittsweise bis zu 3 m breit und
bis zu 5 m tief. Aufgrund der Einschnittsbildung liegen hier die GerinneFlanken großflächig
frei. Diese bestehen aus Ablagerungen von relativ kleinen Korndurchmessern und können
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daher von dem anströmenden Wasser leicht abtransportiert werden. Auf der GerinnenSohle
befinden sich Geröllmassen von Kantenlängen bis ca. 40 cm.
Abb. 6: Gerinne
Der unter der DBStrecke befindliche Durchlass in km 123,664, der auch als Fußwegunter
führung genutzt wird wurde durch die abgehenden Wasser, Geröll und Schlammmassen
(Kantenlänge des Gerölls bis ca. 40 cm) am bergseitigen Eingang verstopft. Das Material
türmte sich somit bahnrechts auf, geriet in den Gleisbereich und brachte den Zug zum Ent
gleisen. Schätzungen zufolge betrug die gesamte abgegangene Gesteinsschuttmenge ca.
80 – 100 m³.
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Abb. 7: blockierter Durchlass
Quelle: DB Netz AG
Nach Aussagen eines örtlich ansässigen Natur und Wanderführers habe dieser vor dem
Ereignis eine maximale Regenmenge von 25 l/m² in einem Zeitraum von 0,5 bis 1 Stunde
gemessen. Da sich im Bereich von St. Goar sowie der näheren Umgebung keine Station (mit
hoch aufgelösten Daten) des Deutschen Wetterdienstes befand ist eine exakte Aussage zu
den Niederschlagshöhen nicht unmittelbar möglich.
Unterstellt man oben genannte Niederschlagsmenge und schätzt das Einzugsgebiet über
schlägig zu ca. 30.000 m² ab, wären in kurzer Zeit etwa 750 m³ Wasser nahezu konzentriert
in das Gerinne gelangt. Dies ist auch deshalb möglich, da der nahezu ebene Ackerboden
durch vorherige Regenfälle offensichtlich stark gesättigt war. In Verbindung mit den Feinan
teilen der landwirtschaftlichen Ackerfläche, der Schuttablagerung an den Gerinnenflanken
und sonstigem Lockergestein hat sich die Mure gebildet.
Da es sich bei der vorliegenden Strecke 2630 um eine Bestandsinfrastruktur handelt, finden
die einschlägigen TSI denen darüber hinaus keine Anforderungen an Erdbauwerke zu ent
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nehmen waren keine Anwendung und es sind ausschließlich nationale Vorschriften heran
zuziehen.
National finden sich Anforderungen an den Bau, den Betrieb sowie die Benutzung von
Bahnanlagen in der EisenbahnBau und Betriebsordnung (EBO), wobei hinsichtlich Erd
bauwerke keine unmittelbaren Anforderungen formuliert wurden. Im § 17 der EBO „Untersu
chen und Überwachen der Bahnanlage“ ist in Absatz 2 die Anforderung enthalten, dass ge
fährdete Stellen so zu überwachen sind, dass Betriebsgefährdungen rechtzeitig erkannt und
Gegenmaßnahmen getroffen werden können. Durch die zugehörige amtliche Begründung
wird zum Ausdruck gebracht, dass sich die Überwachung auch auf außerhalb der Bahnanla
gen gelegene Stellen bezieht und hierbei beispielhaft „Böschungen“ aufgeführt.
Weiterhin ist im § 2 der EBO „Allgemeine Anforderungen“ ausgeführt, dass Bahnanlagen
allgemein so beschaffen sein müssen, dass sie den Anforderungen der Sicherheit und Ord
nung genügen. Diese Anforderungen an Bahnanlagen gelten als erfüllt, sofern die Vorschrif
ten der EBO eingehalten werden und soweit keine ausdrücklichen Vorschriften enthalten
sind, die Bahnanlagen den anerkannten Regeln der Technik entsprechen.
Als für die weitere Untersuchung maßgebliche Anspruchgrundlage wurde die Richtlinie „Erd
bauwerke und sonstige geotechnische Bauwerke planen, bauen und instand halten“ der DB
Netz AG identifiziert. In der Modulgruppe 8001 sind neben anderen die Anforderungen an die
Inspektion von Erbauwerken im vorliegenden Fall Böschungen/Felshänge enthalten.
Bei den vorgesehenen Inspektionsarten wird zwischen der Überwachung, der Untersuchung
(U), der Begutachtung (B) und der Sonderinspektion unterschieden. Darüber hinaus werden
Erdbauwerke in Abhängigkeit ihres Gefährdungspotentials für den Eisenbahnbetrieb und
Dritte in Bauwerksklassen 13 eingeteilt. Der zu untersuchende Hanganschnitt ist in die
Klasse 3 eingestuft.
Die vorzunehmenden Inspektionen wurden für den Hanganschnitt von km 123,600 bis Km
123,680 durch die DB Netz AG nachgewiesen:
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es existieren keine Mängel bzw. es gehen keine Gefahren für die Bahnstrecke vom
Hang aus.
Nach einem Felssturz in km 126,1 am 28.02.2002 bei dem ein ICZug entgleiste, wurde eine
Begutachtung der das Gleis gefährdenden Hangbereiche zwischen km 119,450 und km
129,744 vorgenommen. Im Ergebnis dieser Inspektion wurden Sofortmaßnahmen seitens
der DB AG eingeleitet. Hierbei wurden Räum und Sicherungsarbeiten, welche im Wesentli
chen in der Errichtung von Fangzäunen und Steinschlagschutznetzen bestand, durchgeführt.
Diese Maßnahmen wurden unter anderem in den Abschnitten von
• Km 123,215 – Km 123,590 (Baulos 3) und
• Km 123,770 – Km 124,100 (Baulos 4)
durchgeführt.
In dem zwischen Baulos 3 und 4 befindlichen Hanganschnitts wurden aufgrund des Ingeni
eurgeologischen Gutachtens keine Sicherungsmaßnahmen für notwendig gehalten (Gefähr
dung durch Felssturz erst ab km 123,770).
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4.4 Untersuchung der Leit und Sicherungstechnik
Die Signalanlagen im Bf St.Goar wurden am 23.06.2011 infolge eines Kurzschlusses in der
Fahrleitung so stark beschädigt, dass die komplette Sicherungsanlage außer Betrieb ge
nommen werden musste. Das zum Unfallzeitpunkt angewandte Betriebsverfahren zwischen
den Bahnhöfen Oberwesel (Üst. Urbar Nord) und Boppard (ZbkSig.74) und in der Gegen
richtung von ZbkSig 77 bis Üst. Urbar Nord wurde mit Zs1 und RpZ durchgeführt. Zur Opti
mierung der Streckenauslastung werden in der betrieblichen Rückfallebene Rückmeldepos
ten eingesetzt.
Als Kommunikationssystem ist das Mobilfunksystem GSMR (Global System for Mobile
Communication – Railways) eingerichtet. Nach der Inbetriebnahme von GSMR wurden die
Streckenfernsprecher an der Strecke 2630 zurück gebaut.
4.5 Untersuchung der betrieblichen Handlungen
4.5.1 Zugfahrten im Streckenabschnitt Boppard –Oberwesel
Die Zugkollision des IC 2313 in km 123,664 ereignete sich um 14:03:45**. Der in diesem
Streckenabschnitt voraus laufende RB 25337 passierte den Ereignisort um ca. 13:18 Uhr***.
Der im Streckenabschnitt Oberwesel – Boppard (Nachbargleis) verkehrende IC 2312 durch
fuhr den relevanten Abschnitt um ca. 14:00 Uhr***.
** Uhrzeitangaben nach der Elektronischen Fahrten Registrierung des IC 2313.
Die Angabe im Leitsystem Disposition Netz (LeiDisN) der BZ Frankfurt/M bricht um 14:04 Uhr ab.
***Angabe aus LDN der BZ Frankfurt/M
4.5.2 Handlungsabläufe des Zugpersonals IC 2313
Der Triebfahrzeugführer leitete höchstwahrscheinlich bei einer registrierten Geschwindigkeit
von 112 km/h ca. 45 m vor der Ereignisstelle eine Schnellbremsung ein. Nach der Kollision
mit den Geröllmassen war der Tf schwer verletzt. Weitere betriebliche Handlungen wurden
nicht festgestellt.
Der Zugführer befand sich mit weiteren zwei Zugbegleiterinnen zum Ereigniszeitpunkt im
Wagen 10. Nach der Kollision versuchte er vergeblich über die interne Sprechstelle mit dem
Triebfahrzeugführer Kontakt aufzunehmen. Anschließend zogen sich der Zugführer und eine
Begleiterin Warnwesten an, betätigten die Notentriegelung und liefen in Richtung des Trieb
fahrzeuges.
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Die Zugbegleiterin verschaffte sich Zutritt zum Führerraum des Triebfahrzeuges. Die Zugbe
gleiterin fand den Tf im Führerstand verletzt am Boden liegend. Sie versuchte einen Notruf
abzusetzen. Das Absetzen des Notrufes war technisch nicht möglich.
4.5.3 Handlungsabläufe in der Betriebszentrale Frankfurt/M
Notfallleitstelle Frankfurt/M
Der Mitarbeiter auf dem Bedienplatz „Notfallleitstelle“ in der BZ Frankfurt/M wurde durch eine
Mitarbeiterin der Transportleitung Fernverkehr (TP) über das Ereignis informiert. Dokumenta
tionen über dieses Gespräch wurden nicht geführt. Die weiteren Handlungsschritte ergeben
sich aus den Aufschreibungen im Notfallmeldeblatt der Notfallleitstelle und den Sprachspei
cheraufzeichnungen.
Transportleitung der DB Fernverkehrs AG
Gegen 14:10 Uhr erhielt der Mitarbeiter der TP über Mobiltelefon die Nachricht durch den
Zugchef, dass IC 2313 bei St.Goar entgleist sei. Dieser machte Angaben über die Anzahl der
entgleisten Wagen und die Verletzung des Tf.
4.5.4 Fahrdienst auf den Betriebsstellen
Fahrdienstleiter Boppard
Gegen 14:01Uhr wurde die Durchfahrt des IC 2313 auf Hauptsignal im Bf Boppard zugelas
sen. Aufgrund des dauerhaften Stellwerksausfalls in St. Goar erhielt IC 2313 am Selbst
blocksignal (Sbk) 77 Ersatzsignal. Die Zs1 Bedienung erfolgte nach Aussage des dienst ha
benden Fdl gegen 14:03 Uhr. Gegen 14:18 Uhr wurde der Fdl durch die Notfallleitstelle
Frankfurt/M über die Entgleisung des IC 2313 benachrichtigt. Um 14:20 Uhr sperrte der
Fahrdienstleiter die Gleise von Boppard – UrbarNord und von UrbarNord – Boppard. Die
Abschaltung der Oberleitung erfolgte um 14:36 Uhr durch die ZES Borken.
Fahrdienstleiter Oberwesel
Laut Sprachauswertung wurde der Fdl um 14:17:13 Uhr durch den Streckendisponenten von
der Zugkollision mit anschließender Entgleisung unterrichtet und aufgefordert IC 2004 anzu
halten. Um 14:17:39 Uhr wurde IC 2004 während der Fahrt durch den Bahnhof Oberwesel
gestellt. Die Bestätigung des Zughaltes durch den Tf an den Fdl erfolgte umgehend. Alle
weiteren dispositiven Handlungen des Fdl sind für die Untersuchung nicht relevant.
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4.6 Auswertung von Fahrtverlauf und Sprachaufzeichnungen
Auswertung der Elektronischen Fahrtenregistrierung (EFR) für das führende Triebfahrzeug
101 0248 der DB Fernverkehr AG / RB Nord:
Das Triebfahrzeug ist mit einer induktiven Zugsicherungsanlage der Bauform LZB 80/180;
System PZB 90 mit Elektronischer FahrtenRegistrierung ausgerüstet. Die Zugfahrt des IC
2313 erfolgte mit dem Führerstand 1 voraus. Am Datensteller waren die Bremsart 9 und 200
Bremshundertstel (schnellwirkend) eingegeben worden. Die Zugleistung wurde im unter
suchten Abschnitt im PZBBetrieb gefahren. Die Aufzeichnungen wurden auf die Streckenki
lometrierung am Sbk 77 = km 117,1 normiert.
Im untersuchten Bereich wurde ab km 123,750 (bezogen auf die Normierung) aus einer re
gistrierten Geschwindigkeit von 112 km/h der Beginn einer Geschwindigkeitsreduzierung
aufgezeichnet. Die Überschreitung der Geschwindigkeit um 2 km/h gegenüber der örtlich
zugelassenen Geschwindigkeit von 110 km/h ist aufgrund vorhandener Messungenauig
keiten vernachlässigbar.
Um 14:03:45 Uhr (DSKZeit)* ist nach 45 m bei einer Geschwindigkeit von 109 km/h die Ab
senkung des Druckes der Hauptluftleitung registriert. Die Ursache der Druckabsenkung kann
das Einleiten einer Schnellbremsung durch den Tf bzw. auch eine Beschädigung im Zugver
band durch den Ereigniseintritt sein. Die Aufzeichnung der EFR bricht ca. 65 m nach Regist
rierung der Druckabsenkung in der Hauptluftleitung bei einer zuletzt registrierten Geschwin
digkeit von 85 km/h ab. Als Folge der Entgleisung des IC 2313 ist der weitere Wegeverlauf
des führenden Triebfahrzeuges nicht mehr nachweisbar.
Der exakte Zeitpunkt und die genaue Geschwindigkeit des Zuges bei Eintritt des Ereignisses
sind aus der Aufzeichnung nicht feststellbar.
*DSKZeit entspricht nicht Echtzeit
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Abb. 8: Auszug Fahrtverlaufsaufzeichnung
Quelle: DB AG
Auswertung der Sprachaufzeichnungen (GSMR):
Sprachaufzeichnungen IC 2313 (bei beiden Sprachaufzeichnungen kam kein Gespräch zu
stande):
Sprachaufzeichnungen Fdl Oberwesel: (5 von 7 Verbindungen:)
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A 14:17:13 14:17:22 00:00:09 Zugdispo 4 Oberwesel
Zeile „A“: Zugdispo 4 informiert Fdl Oberwesel von der Entgleisung des IC 2313 und beauf
tragt den Fdl IC 2004 anzuhalten.
Zeile „B“: Fdl Oberwesel beauftragt IC 2004 anzuhalten. IC 2004 bestätigt den Halt seines
Zuges.
Zeile „C“: Zugdispo erkundigt sich nach dem Standort des IC 2004. Absprache mit dem Fdl
den Zug in den Bahnhof Oberwesel zurückzusetzen.
Zeile „D“: Fdl Oberwesel informiert den IC 2004 über die Entgleisung des IC 2313.
Zeile „E“: Das Gespräch zum Tf 2313 kam nicht zustande
Sprachaufzeichnungen Fdl Boppard (3 von 8 Verbindungen):
Zeile „A“: Zugdispo 6 informiert Fdl Boppard von der Entgleisung des IC 2313. Fdl Boppard
teilt mit, dass er soeben über die Notfallleitstelle informiert wurde.
Zeile „B“: Fdl Boppard informiert Zug 25341 über Zugentgleisung und teilt dem Tf mit, dass
mit 14:20 Uhr die Gleise Boppard – UrbarNord und UrbarNord – Boppard gesperrt sind.
Zeile“C“: Bei der Sprachaufzeichnung mit IC 2313 kommt kein Gespräch zustande.
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Die 28 Sprachaufzeichnungen der Zugdisposition 4 und 6 ergaben keine weiteren untersu
chungsrelevanten Erkenntnisse. Die Ereignis bezogenen Gespräche der Zugdisposition 4
und 6 spiegeln sich bei den Fahrdienstleitern Boppard und Oberwesel wieder.
führt wurden nur Gespräche, die in Zusammenhang mit der Zugkollision des IC 2313 stehen.
Auswertung der Sprachaufzeichnungen (analoge Zugfunktechnik):
Sprachaufzeichnungen des Bedienplatzes der Notfallleitstelle in der BZ*** :
In der Zeit von 14:14 Uhr bis 14:58 Uhr wurden am Bedienplatz der Notfallleitstelle 27 Ge
spräche geführt. Für die Untersuchung sind folgende Gespräche relevant:
*** Die angegebenen Uhrzeiten der Sprachaufzeichnungen entsprechen nicht der tatsächlichen Uhrzeit
**** Uhrzeitabweichung von 5 Minuten
Zeile „B“: Notfallleitstelle erfragt den Standort des IC 2313 beim Fdl Boppard. Fdl Boppard
kann hierzu keine genaue Angabe machen. Die Notfallleitstelle informiert den Fdl über die
Entgleisung des IC 2313.
Zeile „C“: Fdl Oberwesel informiert die Notfallleitstelle, dass die Oberleitung der freien Stre
cke zwischen UrbarNord und Boppard sowie zwischen Boppard und UrbarNord und die
dazwischen liegenden Bahnhöfe St.Goar und Werlau ausgeschaltet sind.
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4.7 Interpretation der Unfallspuren
Der unter der DBStrecke befindliche Durchlass in km 123,664 wurde durch die abgehenden
Wasser, Geröll und Schlammmassen am bergseitigen Eingang verstopft. Das Material
türmte sich somit bahnrechts auf und geriet in den Gleisbereich. Der IC 2313 kollidierte mit
diesen Geröllmassen und entgleist mit dem führenden Triebfahrzeug und weiteren vier Per
sonenwagen. Anhand der Entgleisungsspuren ist davon auszugehen, dass das führende
Triebfahrzeug nach der Kollision mit den Geröllmassen auf diese aufkletterte und nach links
abirrte. Das Triebfahrzeug und die weiteren vier entgleisten Wagen kamen nach ca. 100 m
nicht profilfrei zum Nachbargleis zum Stehen.
5 Auswertung und Schlussfolgerungen
Der Hanganschnitt zwischen km 123,600 und km 123,680 wurde seit 2005 bis einschl. zur
Sonderinspektion nach dem Murenabgang durch zwei verschiedene Anlagenverantwortliche,
durch zwei verschiedene Fachbeauftragte, durch ein bahnfremdes Ingenieurgeologisches
Büro sowie durch Geologen der DB International inspiziert und von allen Fachleuten als un
bedenklich eingestuft.
Auch wenn die Inspektionen des Hanganschnitts selbst plausibel und fachlich nachvollzieh
bar erscheinen, ist es durch die besonderen äußeren Bedingungen
• Niederschläge bis zur Sättigung des Ackerbodens, die dann das abfließen und aus
spülen von Feinanteilen aus dem Boden begünstigten und
• die große Wassermenge (starke Niederschläge im topografischen Einzugsgebiet)
dazu gekommen, dass das im Hanganschnitt befindliche Gerinne im Sohlbereich bis auf den
anstehenden Fels abgespült wurde, dadurch die Seitenflanken des Gerinnes aufgerissen
und großteils übersteilt sowie in diesem Bereich befindliche Wurzeln freigelegt bzw. verletzt
wurden.
Zum Schutz des Eisenbahnbetriebes vor einem ähnlich gelagerten Folgeereignis aber auch
den bestehenden Schäden sind an der Ereignisstelle Sicherungsmaßnahmen zwingend ge
boten.
In einer Entfernung von ca. 7 bzw. 10 km von der Unfallstelle ist es im Zeitraum von 08/2011
bis 08/2012 auf der dem Rhein gegenüberliegenden Strecke 3507 ebenfalls zu zwei hier
bekannten Abgängen gekommen. Bei dem Ereignis am 06.08.2011 kollidierte ca. in km
102,8 bei Kestert die Zugfahrt DPN 25020 mit einem Murgang. Hierbei wurden 4 Personen
leicht verletzt und es kam zur Entgleisung des ersten Drehgestells des führenden Steuerwa
gens. Am 29.06.2012 ist es zwischen Kaub und St. Goarshausen zu einem Erdrutsch ge
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kommen. Ein Großteil des Materials sei in einem Netz gelandet, ein Teil auf den Strecken
gleisen. Allen Ereignissen waren starke, anhaltende Regenfälle vorausgegangen.
Ob und ggf. inwieweit diese Ereignisse auf sich ändernde Umweltbedingungen zurückzufüh
ren und künftig mit höheren Eintrittswahrscheinlichkeiten zu rechnen sein könnte, sollte mit
tels einer Risikobetrachtung weiter untersucht werden. Nach Abschätzung der
Eintrittwahrscheinlichkeiten und Mengen künftiger zu erwartender Regenspenden, sollten
Gerinne bzw. Entwässerungseinrichtungen nebst zugehörigen Einzugsgebieten einer Über
prüfung unterzogen, notwendige weitergehende Sicherungsmaßnahmen identifiziert und
umgesetzt werden.
Die zur Abwendung weiterer Gefahren aus dem Eisenbahnbetrieb notwendige Sperrung des
Nachbargleises wurde 14 Minuten nach dem Ereigniszeitpunkt umgesetzt. Ursächlich für die
Zeitdifferenz zwischen dem Schadenseintritt gegen 14:06 Uhr und der Sperrung des Nach
bargleises um 14:20 Uhr war der Ausfall des Zugfunksystems aufgrund des beschädigten
Triebfahrzeuges.
Gefährliche Ereignisse im Eisenbahnbetrieb werden seitens der DB Fernverkehr AG und der
DB Netz AG ausschließlich nach der Ril 408.0581 behandelt. Prozessbeschreibungen, die
ein Meldeverfahren vom Zugbegleitpersonal, bei Ausfall des Triebfahrzeugführers, über die
TP zur Nflst beschreiben, gibt es nicht. Das Sicherheitsmanagementsystem der DB Netz AG
(Ril 162 und Ril 420) beschreibt den durch die TP Fernverkehr angesteuerten Meldeweg
nicht. Es ist davon auszugehen, dass der nicht prozessuale „interne Kommunikationsweg“
genutzt wurde, weil die nach 408.0581 3 (3) „andere Fernsprechverbindung“ – hier Mobiltele
fon – keine Ziel führenden Gesprächsadressaten offenbaren kann. Durch den Rückbau der
Fernsprechstreckenverbindung auf dem Streckenabschnitt (VZG 2630) konnte das Zugbe
gleitpersonal nach dem Ausfall des Zugfunksystems der Forderung der Ril 408.0581 3 (3)
nach Absetzen eines Nothaltauftrages nicht nachkommen. Der Nothaltauftrag fordert zwin
gend, dass die handelnden Personale, sowohl der abgebenden Stelle wie der annehmenden
Stelle mit den Regeln und Wortlauten der Ril 408.0581 genauestens vertraut sein müssen.
Folglich kann die Rückfallebene – Annehmen eines Nothaltauftrages bei Ausfall des Zug
funksystems nicht durch Personale, die nicht in die Bestimmungen der Ril 408.0581 unter
richtet und geschult sind, übernommen werden.
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6 Bisher getroffene Maßnahmen der Beteiligten
Nach Beseitigung der verunfallten Fahrzeuge und des Geröllmaterials wurde die DB Netz
AG mit der Errichtung von Murgangbarrieren begonnen. Bis zur endgültigen Fertigstellung
der endgültigen Sicherungselemente wurde eine Langsamfahrstelle 70 km/h in Verbindung
mit einem Sicherungsposten eingerichtet.
7 Sicherheitsempfehlungen
Gemäß § 6 EisenbahnUnfalluntersuchungsverordnung (EUV) sowie Art. 25 Abs. 2 der
Richtlinie 2004/49/EG ergehen an die Sicherheitsbehörde (EisenbahnBundesamt) nachfol
gende Sicherheitsempfehlungen:
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