„Kriegsgefangenenlager Parchim“ – Versionsunterschied

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Das '''Kriegsgefangenenlager Parchim''' wurde bald nach Beginn des [[Erster Weltkrieg|Ersten Weltkriegs]], im Oktober 1914, auf einem ehemaligen [[Kavallerie]]-[[Exerzieren|Exerzierplatz]] am westlichen Stadtrand von [[Parchim]] in [[Mecklenburg-Vorpommern]] errichtet. Anfangs waren dort knapp 400 Gefangene in Zelten untergebracht. Im Frühjahr 1915 lebten bereits circa 8.000 [[Alliierte|alliierte]] Soldaten dort - Franzosen, Belgier, Russen, Serben und Engländer; außerdem auch belgische Zivilgefangene. Ihre Zahl stieg rasch an, solange die deutschen Truppen noch vorrückten. Das Lager bei Parchim war mit seiner Kapazität für bis zu 25.000 Gefangene eines der größten deutschen Kriegsgefangenenlager im Ersten Weltkrieg. Hier lebten bis zu 15.000 alliierte Soldaten in rund 250 Holz[[Baracke|baracken]] – während die Stadt Parchim damals nur etwa 9.000 Einwohner hatte. Während es im Kriegsgefangenenlager schon in den ersten Jahren elektrisches Licht gab, wurde Parchim erst nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, nämlich ab 1922, an das Stromnetz angeschlossen. Im Lager gab es nach den Nationalitäten der Gefangenen getrennte Küchen. In den Werkstätten führten Internierte gegen Entlohnung Handwerksarbeiten aus. Bestimmte Räume in den Holzbaracken wurden als Kirche bzw. Synagoge genutzt. Die gefangenen Soldaten konnten Sport treiben und Theaterstücke aufführen; es gab auch eine Musikkapelle und einen Chor. Die Gefangenen mussten Zwangsarbeit beim Holzeinschlag, in der Landwirtschaft und in den Gewerbebetrieben der Umgebung leisten. Ein Teil von ihnen wurde auf Arbeitslager in [[Schleswig-Holstein]] und im heutigen Dänemark verteilt, wo sie Torf stechen und andere schwere körperliche Arbeit verrichten mussten.
Das '''Kriegsgefangenenlager Parchim''' wurde bald nach Beginn des [[Erster Weltkrieg|Ersten Weltkriegs]], im Oktober 1914, auf einem ehemaligen [[Kavallerie]]-[[Exerzieren|Exerzierplatz]] am westlichen Stadtrand von [[Parchim]] in [[Mecklenburg-Vorpommern]] errichtet. Anfangs waren dort knapp 400 Gefangene in Zelten untergebracht. Im Frühjahr 1915 lebten bereits circa 8.000 [[Alliierte|alliierte]] Soldaten dort - Franzosen, Belgier, Russen, Serben und Engländer; außerdem auch belgische Zivilgefangene. Ihre Zahl stieg rasch an, solange die deutschen Truppen noch vorrückten. Das Lager bei Parchim war mit seiner Kapazität für bis zu 25.000 Gefangene eines der größten deutschen Kriegsgefangenenlager im Ersten Weltkrieg. Hier lebten bis zu 15.000 alliierte Soldaten in rund 250 Holz[[Baracke|baracken]] – während die Stadt Parchim damals nur etwa 9.000 Einwohner hatte. Während es im Kriegsgefangenenlager schon in den ersten Jahren elektrisches Licht gab, wurde Parchim erst nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, nämlich ab 1922, an das Stromnetz angeschlossen. Im Lager gab es nach den Nationalitäten der Gefangenen getrennte Küchen. In den Werkstätten führten Internierte gegen Entlohnung Handwerksarbeiten aus. Bestimmte Räume in den Holzbaracken wurden als Kirche bzw. Synagoge genutzt. Die gefangenen Soldaten konnten Sport treiben und Theaterstücke aufführen; es gab auch eine Musikkapelle und einen Chor. Die Gefangenen mussten Zwangsarbeit beim Holzeinschlag, in der Landwirtschaft und in den Gewerbebetrieben der Umgebung leisten. Ein Teil von ihnen wurde auf Arbeitslager in [[Schleswig-Holstein]] und im heutigen Dänemark verteilt, wo sie Torf stechen und andere schwere körperliche Arbeit verrichten mussten.


Viele Gefangene litten an körperlichen und seelischen Krankheiten oder an ihren im Kampf erlittenen Verletzungen. Insgesamt 1.400 Soldaten, die im Kriegsgefangenenlager Parchim starben, wurden auf dem Ende 1914 gegenüber dem Lager eingerichteten Friedhof am Dammer Weg beerdigt. Im Juni 1916 wurde auf diesem Friedhof ein von einem Gefangenenenkommittee entworfenenes und finanziertes Ehrenmal in Anwesenheit russischer, serbischer, französischer und belgischer Gefangener und deutscher Offiziere eingeweiht. Während die Westalliierten ihre Toten in den 1920er-Jahren [[Exhumierung|exhumiert]] und in ihre Heimat überführt haben, liegen 735 russische, [[Russisches Kaiserreich|zaristische]] Soldaten noch heute dort.
Viele Gefangene litten an körperlichen und seelischen Krankheiten oder an ihren im Kampf erlittenen Verletzungen. Insgesamt 1.400 Soldaten, die im Kriegsgefangenenlager Parchim starben, wurden auf dem Ende 1914 gegenüber dem Lager eingerichteten Friedhof am Dammer Weg beerdigt. Im Juni 1916 wurde auf diesem Friedhof ein von einem Gefangenenkomitee entworfenes und finanziertes Ehrenmal in Anwesenheit russischer, serbischer, französischer und belgischer Gefangener und deutscher Offiziere eingeweiht. Während die Westalliierten ihre Toten in den 1920er-Jahren [[Exhumierung|exhumiert]] und in ihre Heimat überführt haben, liegen 735 russische, [[Russisches Kaiserreich|zaristische]] Soldaten noch heute dort.


Im September 1920, knapp zwei Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, verließen die letzten Kriegsgefangenen des Ersten Weltkriegs das Lager bei Parchim. Das Lager wurde jedoch nicht geschlossen; vielmehr wurden hier rund 10.000 Rotarmisten - manche mit ihren Familien - interniert, die im [[Polnisch-Sowjetischer Krieg|Polnisch-Sowjetischen Krieg]] in das damals deutsche [[Ostpreußen]] abgedrängt, dort von den Deutschen entwaffnet und als Gefangene nach Parchim gebracht worden waren. Die sowjetischen Gefangenen des Polnisch-Sowjetischen Krieges wurden deutlich schlechter behandelt als die Kriegsgefangenen des Ersten Weltkriegs; sie litten an Kälte und Hunger sowie an Krankheiten wie [[Typhus]] und [[Fleckfieber]]. Rund 1.200 sowjetische Lagerinsassen starben. In der Parchimer Bevölkerung bestand vor dem Hintergrund der Erfahrungen in der [[Novemberrevolution]] 1918/19 die Befürchtung, dass sich örtliche Kommunisten mit den Internierten zusammentun und die bürgerliche Ordnung gefährden könnten. Die überlebenden sowjetischen Lagerinsassen konnten – nach Abschluss entsprechender Abkommen mit der [[Sowjetunion]] – bis Juli 1921 in ihre Heimat zurückkehren. Im Herbst 1921 kaufte dann der [[Mecklenburg-Schwerin#Freistaat_Mecklenburg-Schwerin_(1919–1933)|Freistaat Mecklenburg-Schwerin]] die Holzbaracken des Gefangenenlagers auf, um ihr Material im Siedlungsbau weiterzuverwenden.
Im September 1920, knapp zwei Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, verließen die letzten Kriegsgefangenen des Ersten Weltkriegs das Lager bei Parchim. Das Lager wurde jedoch nicht geschlossen; vielmehr wurden hier rund 10.000 Rotarmisten - manche mit ihren Familien - interniert, die im [[Polnisch-Sowjetischer Krieg|Polnisch-Sowjetischen Krieg]] in das damals deutsche [[Ostpreußen]] abgedrängt, dort von den Deutschen entwaffnet und als Gefangene nach Parchim gebracht worden waren. Die sowjetischen Gefangenen des Polnisch-Sowjetischen Krieges wurden deutlich schlechter behandelt als die Kriegsgefangenen des Ersten Weltkriegs; sie litten an Kälte und Hunger sowie an Krankheiten wie [[Typhus]] und [[Fleckfieber]]. Rund 1.200 sowjetische Lagerinsassen starben. In der Parchimer Bevölkerung bestand vor dem Hintergrund der Erfahrungen in der [[Novemberrevolution]] 1918/19 die Befürchtung, dass sich örtliche Kommunisten mit den Internierten zusammentun und die bürgerliche Ordnung gefährden könnten. Die überlebenden sowjetischen Lagerinsassen konnten – nach Abschluss entsprechender Abkommen mit der [[Sowjetunion]] – bis Juli 1921 in ihre Heimat zurückkehren. Im Herbst 1921 kaufte dann der [[Mecklenburg-Schwerin#Freistaat_Mecklenburg-Schwerin_(1919–1933)|Freistaat Mecklenburg-Schwerin]] die Holzbaracken des Gefangenenlagers auf, um ihr Material im Siedlungsbau weiterzuverwenden.

Version vom 4. Oktober 2024, 17:22 Uhr

Das Kriegsgefangenenlager Parchim wurde bald nach Beginn des Ersten Weltkriegs, im Oktober 1914, auf einem ehemaligen Kavallerie-Exerzierplatz am westlichen Stadtrand von Parchim in Mecklenburg-Vorpommern errichtet. Anfangs waren dort knapp 400 Gefangene in Zelten untergebracht. Im Frühjahr 1915 lebten bereits circa 8.000 alliierte Soldaten dort - Franzosen, Belgier, Russen, Serben und Engländer; außerdem auch belgische Zivilgefangene. Ihre Zahl stieg rasch an, solange die deutschen Truppen noch vorrückten. Das Lager bei Parchim war mit seiner Kapazität für bis zu 25.000 Gefangene eines der größten deutschen Kriegsgefangenenlager im Ersten Weltkrieg. Hier lebten bis zu 15.000 alliierte Soldaten in rund 250 Holzbaracken – während die Stadt Parchim damals nur etwa 9.000 Einwohner hatte. Während es im Kriegsgefangenenlager schon in den ersten Jahren elektrisches Licht gab, wurde Parchim erst nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, nämlich ab 1922, an das Stromnetz angeschlossen. Im Lager gab es nach den Nationalitäten der Gefangenen getrennte Küchen. In den Werkstätten führten Internierte gegen Entlohnung Handwerksarbeiten aus. Bestimmte Räume in den Holzbaracken wurden als Kirche bzw. Synagoge genutzt. Die gefangenen Soldaten konnten Sport treiben und Theaterstücke aufführen; es gab auch eine Musikkapelle und einen Chor. Die Gefangenen mussten Zwangsarbeit beim Holzeinschlag, in der Landwirtschaft und in den Gewerbebetrieben der Umgebung leisten. Ein Teil von ihnen wurde auf Arbeitslager in Schleswig-Holstein und im heutigen Dänemark verteilt, wo sie Torf stechen und andere schwere körperliche Arbeit verrichten mussten.

Viele Gefangene litten an körperlichen und seelischen Krankheiten oder an ihren im Kampf erlittenen Verletzungen. Insgesamt 1.400 Soldaten, die im Kriegsgefangenenlager Parchim starben, wurden auf dem Ende 1914 gegenüber dem Lager eingerichteten Friedhof am Dammer Weg beerdigt. Im Juni 1916 wurde auf diesem Friedhof ein von einem Gefangenenkomitee entworfenes und finanziertes Ehrenmal in Anwesenheit russischer, serbischer, französischer und belgischer Gefangener und deutscher Offiziere eingeweiht. Während die Westalliierten ihre Toten in den 1920er-Jahren exhumiert und in ihre Heimat überführt haben, liegen 735 russische, zaristische Soldaten noch heute dort.

Im September 1920, knapp zwei Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, verließen die letzten Kriegsgefangenen des Ersten Weltkriegs das Lager bei Parchim. Das Lager wurde jedoch nicht geschlossen; vielmehr wurden hier rund 10.000 Rotarmisten - manche mit ihren Familien - interniert, die im Polnisch-Sowjetischen Krieg in das damals deutsche Ostpreußen abgedrängt, dort von den Deutschen entwaffnet und als Gefangene nach Parchim gebracht worden waren. Die sowjetischen Gefangenen des Polnisch-Sowjetischen Krieges wurden deutlich schlechter behandelt als die Kriegsgefangenen des Ersten Weltkriegs; sie litten an Kälte und Hunger sowie an Krankheiten wie Typhus und Fleckfieber. Rund 1.200 sowjetische Lagerinsassen starben. In der Parchimer Bevölkerung bestand vor dem Hintergrund der Erfahrungen in der Novemberrevolution 1918/19 die Befürchtung, dass sich örtliche Kommunisten mit den Internierten zusammentun und die bürgerliche Ordnung gefährden könnten. Die überlebenden sowjetischen Lagerinsassen konnten – nach Abschluss entsprechender Abkommen mit der Sowjetunion – bis Juli 1921 in ihre Heimat zurückkehren. Im Herbst 1921 kaufte dann der Freistaat Mecklenburg-Schwerin die Holzbaracken des Gefangenenlagers auf, um ihr Material im Siedlungsbau weiterzuverwenden.

Auf dem Gefangenenfriedhof am Dammer Weg wurden während des Zweiten Weltkrieges 465 Ostarbeiter sowie 50 Militärangehörige verschiedener Staaten beigesetzt.

Heute erinnert – außer einigen wenigen Exponaten im Museum der Stadt Parchim – nur noch das Ehrendenkmal auf dem Gefangenenfriedhof an das Kriegsgefangenenlager Parchim. Auf dem Lagergelände befand sich zwischenzeitlich der von dem chinesischen Investor Jonathan Pang gegründete Flughafen Schwerin-Parchim. Dessen Betriebsgenehmigung wurde am 12. April 2019 ausgesetzt; seit dem 1. Februar 2013 ist der Flughafen Schwerin-Parchim geschlossen.

Literatur

  • Behrang Samsami, Die verborgene Stadt: Das Kriegsgefangenenlager bei Parchim. In: Norddeutscher Rundfunk (NDR), Nordmagazin, 8. Oktober 2014, 19:30 Uhr, (online)
  • Gefangenenfriedhof am Dammer Weg. In: parchim.de, (online)