Chernklassen

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In der Mathematik, genauer in der algebraischen Topologie und in der Differentialgeometrie und -topologie, sind Chernklassen ein spezieller Typ von charakteristischen Klassen, die komplexen Vektorbündeln zugeordnet werden.

Chernklassen sind nach Shiing-Shen Chern benannt, der sie in den 1940er-Jahren erstmals allgemein definierte.

Grundidee und Motivation

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Chernklassen sind charakteristische Klassen. Sie sind damit topologische Invarianten von komplexen Vektorbündeln über glatten Mannigfaltigkeiten und zwei isomorphe Vektorbündel haben somit dieselben Chernklassen. Die Chernklassen liefern also eine Möglichkeit zu verifizieren, dass zwei Vektorbündel über einer glatten Mannigfaltigkeiten verschieden sind, jedoch kann mit ihrer Hilfe nicht entschieden werden, dass zwei Vektorbündel isomorph sind (da nicht-isomorphe Vektorbündel dieselbe Chernklasse haben können).

In der Topologie, der Differentialgeometrie und der algebraischen Geometrie ist es oft wichtig, die maximale Anzahl linear unabhängiger Schnitte eines Vektorbündels zu bestimmen. Chernklassen ermöglichen, darüber Information zu erhalten, zum Beispiel mit dem Riemann-Roch-Theorem oder dem Atiyah-Singer-Indexsatz. Das ist einer der Gründe, warum Chernklassen ein wichtiges Hilfsmittel der modernen Mathematik sind.

Chernklassen sind darüber hinaus in vielen Fällen der Praxis auch explizit berechenbar. In der Differentialgeometrie (und in Teilen der algebraischen Geometrie) können Chernklassen als Polynome in den Koeffizienten der Krümmungsform ausgedrückt werden.

Daher werden Chernklassen benutzt, um verschiedenste Probleme der Mathematik anzugehen. Auch in der Physik finden sie Anwendung.

Die Chernklasse eines Hermiteschen Vektorbündels auf einer glatten Mannigfaltigkeit

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Sei eine glatte Mannigfaltigkeit, ein hermitesches Vektorbündel mit Rang über und ein Zusammenhang auf . Die -te Chernform von ist dann durch die Koeffizienten des charakteristischen Polynoms der Krümmungsform von gegeben, das heißt

.

Die Determinante wird über dem Ring der -Matrizen mit Einträgen aus dem Polynomring über der kommutativen Algebra der geraden komplexen Differentialformen auf gebildet. Die Krümmungsform ist Lie-Algebra-wertig, und durch

definiert, wobei die Zusammenhangsform und die äußere Ableitung ist.

Die, ebenfalls mit bezeichnete, -te Chernklasse ist definiert als die de Rhamsche Kohomologieklassen der -ten Chernform. Die Chernklasse, also die Kohomologieklasse der Chernform, hängt nicht von der Wahl des Zusammenhangs in ab. Die Chernklasse ist also eine Invariante des Vektorbündels, während die Chernform vom gewählten Zusammenhang abhängt.

Man kann zeigen, dass die Chernklassen im Bild von liegen.

Beispiel: Das komplexe Tangentialbündel der Riemannschen Zahlenkugel

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Sei CP1 die Riemannsche Zahlenkugel, der eindimensionale komplexe projektive Raum. Sei weiter eine holomorphe lokale Koordinate, das komplexe Tangentialbündel, die Vektoren haben an jedem Punkt die Form , dabei bezeichnet eine komplexe Zahl. Wir zeigen, dass keinen nirgends verschwindenden Schnitt hat.

Dafür benötigen wir folgende Tatsache: Die erste Chernklasse eines trivialen Bündels ist Null, d. h.

Davon kann man sich dadurch überzeugen, dass ein triviales Bündel stets eine flache Metrik hat.

Nun zeigen wir

Betrachte dazu eine Mannigfaltigkeit mit der Kähler-Metrik

Die Krümmungsform zu ist dann durch

gegeben. Nach Definition der ersten Chernklasse ist

Wir müssen zeigen, dass die Kohomologieklasse von von Null verschieden ist. Dazu berechnen wir das Integral

durch Koordinatentransformation. Nach dem Satz von Stokes hätte das Integral einer exakten Form dagegen den Wert 0, also ist nicht trivial.

Dieses Beispiel zeigt zugleich, durch den Bezug auf den Satz von Stokes, dass differentialtopologische Anwendungen der Chernschen Klassifizierung (z. B. in der Physik, siehe unten) vor allem „Umlauf-Probleme“ betreffen werden.

Sei ein komplexes Vektorbündel über dem topologischen Raum . Die Chernklassen von sind eine Folge von Elementen der Kohomologie von . Die -te Chernklasse von , die üblicherweise bezeichnet wird, ist ein Element von , der Kohomologie von X (mit ganzzahligen Koeffizienten). Man definiert auch die totale Chernklasse

als Element von .

Die Chernklassen genügen den folgenden vier Axiomen:

  • für jedes .
  • Funktorialität: Ist eine stetige Funktion und das mittels zurückgeholte Bündel, so ist für jedes .
  • Additivität: Ist ein weiteres komplexes Bündel, so ist die Chernklasse der Whitney-Summe durch
gegeben, das heißt für jedes ist
  • Normalisierung: Die totale Chernklasse des tautologischen Geradenbündels über ist . Dabei bezeichnet das Poincaré-Dual der Hyperebene .

Alexander Grothendieck hat diese Axiome durch etwas schwächere ersetzt:

  • Funktionalität: (siehe oben)
  • Additivität: Ist eine exakte Sequenz von Vektorbündeln, dann ist .
  • Normalisierung: Ist ein Geradenbündel, dann ist , dabei bezeichnet die Eulerklasse des zugrunde liegenden reellen Vektorbündels.

In der Tat charakterisieren diese Eigenschaften die Chernklassen eindeutig. Einige wichtige Folgerungen sind

  • Ist der Rang von , so ist für jedes (die totale Chernklasse ist insbesondere wohldefiniert).
  • Die höchste Chernklasse von (also , der Rang von ) ist immer gleich der Eulerklasse des zugrunde liegenden reellen Vektorbündels.

Da die Chernklassen hier Kohomologieklassen mit ganzen Koeffizienten sind, sind sie etwas feiner als die oben im Riemannschen Beispiel betrachteten, die reelle Koeffizienten hatten.

Konstruktion von Chernklassen

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Es gibt mannigfache Wege, sich dem Ziel zu nähern, jeder einzelne fokussiert einen etwas anderen Aspekt der Chernklassen.

Die ursprüngliche Herangehensweise war algebraische Topologie. Die unendliche Graßmann-Mannigfaltigkeit ist der klassifizierenden Raum für -dimensionale komplexe Vektorbündel. Das bedeutet, dass jedes -dimensionale komplexe Vektorbündel über der Basis als Pullback des tautologischen Bündels unter einer stetigen Abbildung erhalten werden kann. Die Chern-Klassen des tautologischen Bündels werden als universelle Chern-Klassen bezeichnet und die Chern-Klassen eines durch die Abbildung klassifizierten Vektorbündels erhält man durch Zurückziehen der universellen Chern-Klassen mittels der in Kohomologie induzierten Abbildung . Die Chern-Klassen des tautologischen Bündels können explizit durch Schubertzykel ausgedrückt werden.

Cherns Zugang verwandte Differentialgeometrie und den oben beschriebenen Zugang über die Krümmungsform. Er zeigte, dass beide Zugänge äquivalent sind.

Der axiomatische Zugang von Alexander Grothendieck zeigt, dass man die Chernklassen nur für Geradenbündel festlegen muss.

Chernklassen treten auch in der algebraischen Geometrie auf natürliche Weise auf. Die verallgemeinerten Chernklassen der algebraischen Geometrie können für lokal freie Garben über jeder nichtsingulären Varietät definiert werden. Die Chernklassen der algebraischen Geometrie verlangen vom zugrundeliegenden Körper nur die algebraische Abgeschlossenheit, insbesondere müssen Vektorbündel nicht unbedingt komplex sein.

Vom gewählten Zugang unabhängig ist die intuitive Bedeutung einer Chernklasse die von 'benötigten Nullstellen' eines Vektorbündelschnittes: Zum Beispiel die Aussage, dass man einen Igel nicht kämmen kann. Auch wenn dies eigentlich eine Frage betreffend reelle Vektorbündel ist (die „Stacheln“ des Igels sind reelle Geraden), gibt es Verallgemeinerungen, in denen die Stachel komplex sind, oder für den eindimensionalen projektiven Raum über anderen Körpern.

Chernklassen von Geradenbündeln

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Ein wichtiger Spezialfall ist der eines Geradenbündels . Die einzige nichttriviale Chernklasse ist in diesem Fall die erste, die ein Element der zweiten Kohomologiegruppe von ist. Da sie die höchste Chernklasse ist, ist sie gleich der Eulerklasse des Bündels.

Die erste Chernklasse erweist sich als eine vollständige Invariante, die die komplexen Geradenbündel klassifiziert. Das heißt, dass eine Bijektion zwischen den Isomorphieklassen komplexer Geradenbündel über und den Elementen von gibt, man ordnet hierbei jedem Bündel seine erste Chernklasse zu. Die Addition in entspricht unter dieser Bijektion dem Tensorprodukt.

In der algebraischen Geometrie ist diese Klassifikation der komplexen Geradenbündel durch die erste Chernklasse eine erste Annäherung an die Klassifikation holomorpher Geradenbündel durch lineare Äquivalenzklassen von Divisoren.

Die Chernklassen sind für komplexe Bündel einer größeren Dimension keine vollständige Invariante mehr.

Chernklassen fast-komplexer Mannigfaltigkeiten und Kobordismustheorie

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Die Theorie der Chernklassen liefert Kobordismus-Invarianten fast-komplexer Mannigfaltigkeiten.

Ist eine fast-komplexe Mannigfaltigkeit, so ist sein Tangentialbündel ein komplexes Vektorbündel. Dessen Chernklassen werden auch als die Chernklassen von bezeichnet. Ist kompakt und geradedimensional, etwa -dimensional, dann kann jedes Monom vom Totalgrad in den Chernklassen von mit der Fundamentalklasse von gepaart werden und liefert eine ganze Zahl, eine Chernzahl von . Ist eine weitere fast komplexe Mannigfaltigkeit derselben Dimension, dann sind und genau dann kobordant, wenn sie dieselben Chernzahlen haben.

Verallgemeinerungen

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Es gibt eine Verallgemeinerung der Theorie der Chernklassen, in der die gewöhnliche Kohomologietheorie durch eine verallgemeinerte ersetzt wird, die die Zusatzeigenschaft der komplexen Orientierbarkeit haben muss. Die formalen Eigenschaften der Chernklassen bleiben die dieselben, nur ist in der Regel, die die erste Chernklasse eines Tensorproduktes von Geradenbündeln berechnet, die Addition durch die entsprechende Operation zu ersetzen.

Auf orientierten Mannigfaltigkeiten der Dimension kann jedes Produkt von Chernklassen vom Totalgrad mit der Fundamentalklasse gepaart werden und liefert so eine ganze Zahl, eine Chernzahl des Vektorbündels. Hat die Mannigfaltigkeit beispielsweise Dimension sechs, so ergeben sich die verschiedenen Chernzahlen aus , und . Im Allgemeinen ist die Anzahl der verschiedenen Chernzahlen die Anzahl der Partitionen von .

Wie oben erwähnt, sind die Chernzahlen des Tangentialbündels eine (fast) komplexen Mannigfaltigkeit eine wichtige Invariante.

Der Cherncharakter

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Chernklassen können verwandt werden, um einen Ringhomomorphismus von der topologischen K-Theorie eines Raumes in die Vervollständigung seiner rationalen Kohomologie zu konstruieren. Dieser Cherncharakter ist für Geradenbündel durch

gegeben.

Für Summen von Geradenbündeln wird der Cherncharakter durch Additivität definiert, hieraus ergibt sich eine Darstellung der Cherncharakters durch die Chernklassen. Diese wird verwandt, um den Cherncharakter für alle Vektorbündel zu definieren, die ersten Terme sind

Ist die Summe der Geradenbündel mit ersten Chernklassen , so ist

Im differentialgeometrischen Zugang über die Krümmung ist der Cherncharakter explizit durch

gegeben, dabei bezeichnet die Krümmung.

Der Cherncharakter hilft beispielsweise bei der Berechnung der Chernklassen eines Tensorproduktes. Genauer besitzt er die beiden folgenden Eigenschaften

Die erste dieser Formeln kann, wie oben erwähnt, mit Hilfe des Grothendieckschen Additivitätsaxioms für Chernklassen zu der Aussage verallgemeinert werden, dass ein Homomorphismus abelscher Gruppen von der K-Theorie in die rationale Kohomologie von ist. Die zweite Gleichung besagt, dass dieser Homomorphismus multiplikativ ist, also sogar ein Homomorphismus von Ringen ist.

Pontrjagin-Klassen

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Für ein reelles Vektorbündel über einem topologischen Raum definiert man die Pontrjagin-Klassen durch

Hierbei ist die Komplexifizierung des reellen Vektorbündels . (Man kann zeigen, dass stets ist, weshalb man nur die geraden Chern-Klassen betrachtet.)

Nowikow bewies, dass die rationalen Pontrjaginklassen des Tangentialraums differenzierbarer Mannigfaltigkeiten invariant unter Homöomorphismen sind. Sie sind aber nicht invariant unter Homotopieäquivalenzen. Die Novikov-Vermutung besagt, dass (in Abhängigkeit von der Fundamentalgruppe) gewisse Kombinationen rationaler Pontrjagin-Klassen invariant unter Homotopie-Äquivalenzen sind.

Der Signatursatz von Hirzebruch besagt, dass sich die Signatur geschlossener differenzierbarer Mannigfaltigkeiten als eine Kombination von Pontrjagin-Klassen (das L-Polynom) berechnen lässt. Aus dem Atiyah-Singer-Indexsatz folgt, dass sich auch der Index des Dirac-Operators einer Spin-Mannigfaltigkeit als eine Kombination von Pontrjagin-Klassen (das Â-Polynom) berechnen lässt.

Chernklassen in der algebraischen Geometrie

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Es sei eine glatte projektive Varietät über einem algebraisch abgeschlossenen Körper und ihr Chow-Ring. Grothendieck bewies, dass es eine eindeutige Theorie von Chernklassen gibt, welche jeder lokal freien kohärenten Garbe Chernklassen zuordnet, so dass die folgenden Axiome erfüllt sind:

  • Für jede invertierbare Garbe ist .
  • Für jeden Morphismus ist .
  • Für jede exakte Sequenz ist .

Die Konstruktion der algebraischen Chernklassen verläuft analog zur Konstruktion der topologischen Chernklassen über den Satz von Leray-Hirsch. Insbesondere liefern für algebraische Vektorbündel über glatten komplexen projektiven Varietäten beide Konstruktionen dieselben Chernklassen.

Chernklassen in der Physik

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Auch in der Physik finden seit etwa 2015 die Chernklassen verstärkt Anwendung und werden auch explizit so genannt (was vorher nicht der Fall war), seitdem jetzt nicht nur in der Hochenergiephysik, sondern verstärkt auch in der Festkörperphysik neue differentialtopologische Aspekte behandelt werden: Neben älteren „Umlauf“-Aussagen der Physik, etwa dem Aharonov-Bohm-Effekt der Quantenmechanik oder dem altbekannten Meissner-Ochsenfeld-Effekt der Supraleitung dienen Chernklassen in der Physik jetzt vor allem zur differentialtopologischen Klassifizierung von Umlauf-Singularitäten, vor allem beim sog. Quanten-Hall-Effekt bzw. bei den sog. Topologischen Supraleitern bzw. Topologischen Isolatoren. Dabei ergibt sich der Zusammenhang mit der Mathematik aus der Tatsache, dass die Magnetische Flussdichte über ihr Vektorpotential als „effektive Krümmung“ fungiert obwohl in einem flachen Raum gearbeitet wird.

Allgemeiner besteht eine Beziehung zu den Yang-Mills-Theorien, wobei der mathematische Begriff „Krümmung“ in der Physik als „Feldstärke“ fungiert. Der physikalische „Hilbertraumzustand“ entspricht einer projektiv-komplexen Mannigfaltigkeit, weil der Zustand derselbe bleiben soll, wenn mit einer komplexen Zahl multipliziert wird.