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Der Wilderer

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Textdaten
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Autor: Friedrich Gerstäcker
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Titel: Der Wilderer
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aus: Die Gartenlaube, Heft 10, S. 138–139
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Auszug aus: Eine Gemsjagd in Tyrol. Ernst Keil, Leipzig 1857, Kapitel 7. Ragg’s Erzählung vom Wilderer.
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[138]
Der Wilderer.[1]
Von Fried. Gerstäcker.

„Sehn Sie die Laatsche da drüben?“ nahm da Ragg das Gespräch, das aber jetzt mit unterdrückter Stimme geführt wurde, wieder auf – „gleich die da drüben; die, wo das Dickicht bis zum Abgrund hinläuft, hinüberhängt?“

„Ja, Ragg – aber ich kann da drüben Nichts erkennen.“

„Ist auch jetzt nichts mehr da zu sehen,“ sagte er, leise dabei vor sich hin lachend, „fünf Jahre sind’s aber jetzt, da hat die eine Laatsche, die dort über die steile Wand hinüberhängt, einem Malefizkerl von Wilderer einmal einen großen Gefallen gethan.“

„Einem Wilderer?“

„Ich und der Wastel,“ erzählte Ragg jetzt weiter, nachdem er erst noch einmal einen vorsichtigen Blick nach unten geworfen, ob der Bock noch dastände, „waren drüben am Scharfreuter gewesen, und an der Grenze hingegangen, theils zu sehen ob das Wild dort viel herüber wechsele, theils auch umzuschauen ob wir keine fremde Fährten finden könnten, denn daß hier Wilddiebe von Baiern herüberkämen hatten wir schon gehört. Den Morgen um neun Uhr etwa war ein leichter Schnee gefallen, und es schneite noch in dünnen, einzelnen Flocken, als wir oben an der Luderstauden, gerade wo die erste Klamm gegen das Joch vorläuft, eine ganz frische Mannsfährte fanden, die keiner von uns kannte. Das konnte Niemand anders als ein Wilderer sein, und während Einer die Fährte hielt, während der Andere scharf umherschaute, ob er den Burschen nicht vielleicht so aus freier Hand entdeckte, folgten wir so rasch und leise wir konnten.

„Das ging nun allerdings gut, so lange wir oben am Joch blieben, denn dort lag wenigstens Schnee genug zum Spüren, der Malefizkerl hatte das aber auch wohl bedacht und war in eine der nächsten Klammen hinein und, Gott weiß wie, darin herum gestiegen, so daß wir auf den kahlen Steinen zuletzt die Spur verloren, und nun nicht wußten wo er geblieben war. Wastel wollte nun zwar, wir sollten uns trennen und nach verschiedenen Seiten suchen. Hatte er sich aber irgend wo eingedrückt und sah uns anpirschen, so wäre ein Einzelner verloren gewesen; auf zwei schießen die Schufte aber nicht sogleich.“

„Hanthiert nur nicht so mit den Händen, Ragg, Ihr liegt überhaupt zu nahe an der Wand, und wenn der Bock einmal den Kopf hier heraufdreht, muß er ja die helle Hand in der Sonne herumfahren sehen.“

„Der steht noch baumfest“ erwiderte der Jäger, indem er einen Blick hinunterwarf, und dann einen halben Schritt von dem Rande des Hanges wegrutschte.

„Und der Wilddieb?“

„Warten Sie nur – die Fährten nahmen im Ganzen die Richtung nach dem Leckbach zu. Wastel glaubte nun freilich nicht, daß er sich so weit von der Grenze weggemacht hätte. Das blieb sich aber ganz gleich, Grenze oder nicht, denn drüben auf königlichem Gebiet hatte er jedenfalls eben so wenig Recht, zu jagen wie hier, und erwischten ihn die Jäger, so ging’s ihm nicht um ein Haar besser, als wenn wir ihn kriegten. Wir äugten also aus dem Wald heraus, die ganze Leckbach sorgfältig ab, spürten noch einmal über das Joch hinüber, auf dem Schnee, und mußten endlich glauben, er habe uns vielleicht irgendwo auf seiner Spur gesehen, und sei wieder in das andere Revier, wohin wir ihm nicht folgen durften, zurückgewechselt. Viel Zeit hatten wir übrigens auch nicht mehr zu verlieren, denn wir wollten die Nacht noch nach der Grasberg Alm und mit dem Umhersuchen war der Tag ziemlich draufgegangen. So stiegen wir denn rasch hintereinander her aufwärts, als mich der Wastel plötzlich, ohne ein Wort zu sagen, am Arme packt, und dort hinauf zeigte, etwa in die Gegend, wo der dürre Baum da oben auf der schmalen Lanne steht. Ich guckte hin, und kauerte da nicht der verdammte Hallunke so ruhig auf einem umgefallenen Baum, und kaute an einer Brodrinde oder irgend etwas Anderem, als ob er daheim in seiner Hütte, und nicht mit der Büchse auf einem fremden Reviere säße?

„Der kann nicht mehr fort,“ flüsterte mir dabei der Wastel zu – „ich springe hier unten herum. Du von der Seite hinauf und dann haben wir ihn in der Mitte – vorn ist die Klamm und da kann nicht einmal ein Gemsbock hinunter!“

„Wie wir ihn nur erst gewahr wurden, hatten wir uns gleich hinter einen Laatschenbusch gedrückt und, ohne ein Wort zu reden, rutschte der Wastel ein Stück auf der Erde fort, bis er in einen kleinen Graben kam. Den annehmend, schnitt er dem Wilderer den Weg von jener Seite ab, denn hätte der’s erzwingen wollen, braucht’ er ihn ja nur über den Haufen zu schießen. Mir konnt’ er auch nicht mehr wegkommen, und wie ich sah daß der Wastel war wo er sein sollte, pirscht’ ich mich noch vorsichtig auf etwa hundert Schritt von dem Burschen an, legte dann meinen Hut, [139] Bergsack und Stock ab, nahm die Büchse herunter, und sprang, was ich springen konnte, den Berg hinauf.

„Ich hatte noch keine drei Sätze gethan, da fuhr er schon mit dem Kopfe herum – der Art Gesellen haben ein schlecht Gewissen – und mich sehen, aufspringen und die Büchse an den Backen reißen, war das Werk eines Augenblicks. Zu gleicher Zeit schrie ihm aber auch Wastel sein drohendes „Halloh,“ entgegen und wie er den zweiten Mann sah, und nun wohl merkte, daß es ihm an den Kragen ging, setzte er die Büchse erschrocken ab. Ich hätte ihn jetzt bequem umschießen können,“ fuhr Ragg ruhig fort, „aber wir wollten ihn gern lebendig haben und – wenn’s nicht gerade sein muß, ist’s doch immer eine häßliche Geschichte. So also schrie ich dem Burschen zu: seine Büchse fortzuwerfen, oder er wäre ein todter Mann, und sprang zu gleicher Zeit wieder rasch auf ihn ein. Daran dachte er aber nicht und umdrehn und in die nächsten Laatschen hineinfahren, war im Nu geschehn.

„An manchem andern Platze wäre das vielleicht nun gerade recht gut gegangen, denn Jemanden durch die Laatschen zu verfolgen, ist ein verzweifelt mühselig Ding; hier aber mußte er keinesfalls wissen, wohin die führten. Der ganze Laatschenstreifen war keine zwanzig Fuß breit, und unter ihnen weg sank der Abgrund, während der Wastel und ich den einzigen Ausweg, der nach rechts und links abführte, leicht überschießen konnten.

„Jetzt haben wir ihn,“ schrie Wastel auch, als er vorwärtssprang und in die Laatschen mit hineinsetzte, – „pass’ nur da draußen auf, Ragg, daß er nicht über die Lanne springt!“ – Aber er kam nicht weiter – ein furchtbar gellender Schrei tönte plötzlich vom Rand der Klamm herüber und als wir erschreckt und lautlos halten blieben, hörten wir erst unten etwas Hartes gegen die Felsen schlagen, und gleich darauf schallte der Schuß der durch den Sturz losgegangenen Büchse zu uns herauf.

„Gott sei seiner armen Seele gnädig,“ sagte der Wastel und drehte sich schaudernd um. – Wir Beide standen jetzt still und horchten, aber Nichts ließ sich hören.

„Ob man wohl hinuntersehen kann?“ sagte ich endlich.

„Ich mag’s nicht sehen,“ meinte der Wastel, „ich hab’ genug an dem Schuß.“

„Ich arbeitete mich jetzt durch die Laatschen durch, wo ich gleich vorn den Hut des Wilderers fand. Wie ich aber an den Rand kam, hingen die Zweige tief darüber hinunter und zwischen der Wurzel der einen durch, bröckelte das Gestein los, und stürzte mit hohlem Fall in den Abgrund nieder. Ich stand auf den Zweigen schon über der Tiefe. Es wurde mir unheimlich da draußen und ich kroch zum Wastel zurück.

„Wollen wir hinunter klettern und nachsehen?“ sagte ich endlich. Der Wastel erwiderte Nichts, wir warfen unsere Büchsen über den Rücken und stiegen thalab, mußten auch einen großen Umweg machen, unten hineinzukommen, und es mochte immer eine Stunde darüber hingegangen sein, eh’ wir den Platz erreichten. Indessen hatte es stärker an zu schneien gefangen und der Wind heulte so häßlich durch die hohle Klamm – es war ein gar so fatales Gefühl, da unten nach einem zerschmetterten Menschen zu suchen. Wir hatten ihn aber doch nicht umgebracht, er war selber da hinuntergesprungen, und wenn wir ihn auch dazu getrieben, ei, was zum Teufel hatte er auf fremdem Reviere zu suchen.“

„Da liegt die Büchse,“ sagte der Wastel plötzlich, – der Kolben war abgebrochen und das Gewehr durch den Sturz losgegangen – aber wo war der Wilderer? Gerad in die Höh’ konnte man bis oben hinauf unter die überhängenden Laatschen sehen, an ein Anhalten unterwegs war nicht zu denken, die Wand bog sich dort sogar nach innen, und selbst der Bergstock lag etwa zehn Schritt von der Büchse entfernt – aber kein Blutfleck, auf dem der dünne fallende Schnee in keinem Fall liegen geblieben wäre. Oben durch war er auch nicht gekommen, so lange wir oben standen, und wir zerbrachen uns jetzt den Kopf, was aus dem Burschen geworden sein könne. Gewißheit mußten wir aber darüber haben. Wastel nahm deshalb das zerbrochene Gewehr, ich den Stock, und wir ließen uns die Müh’ nicht verdrießen und kletterten noch einmal hinauf. Hol’s der Deixel, der Vogel war ausgeflogen, und zwar seit wir den Fleck verlassen hatten, denn die ganz frische Spur im „Neuen“ ließ auch nicht den mindesten Zweifel darüber. Todesangst mußte er aber in der Zeit daß wir oben suchten, ausgestanden haben, denn wie wir jetzt Alles ablegten und vorsichtig da hinauskrochen, woher die Spur kam, fanden wir, daß er die ganze Zeit über und bis wir fort waren, da draußen über dem Abgrunde an den Zweigen des Laatschenbusches gehangen haben muß. Außen an der Wand waren die Spuren seiner Fußspitzen, als er sich wieder hinaufgearbeitet, und wenn einer von den dünnen Zweigen gebrochen oder ihm nur die Hand ausgerutscht oder „verkrampft“ wäre, lag er unten bei seinem Gewehr, den Hals wie den Kolben gebrochen.“

Ragg hatte die ganze Geschichte in einem, nur ihm allein von allen Jägern eigenthümlichen, schauerlichen Bergdialekt und mit flüsternder Stimme erzählt, wobei man wirklich mit peinlicher Aufmerksamkeit zuhören mußte, zu verstehen was er meinte. Vorsichtig schaute er dabei dann und wann über den Hang hinunter, den Bock nicht aus den Augen zu verlieren. Der stand aber noch baumfest da unten und rührte und regte sich nicht.

„Und habt Ihr nie erfahren wer der Wilderer war?“

Ragg schüttelte den Kopf und meinte, still dabei vor sich hinlachend: „Der ist damals mit ausgerupften Federn davongekommen, wird aber wohl an der Lektion über dem Abgrund da drüben genug gehabt haben. Wir haben ihn hier drüben wenigstens nie wieder gespürt. Uebrigens“ – setzte er leise, mit dem Finger dabei drohend hinzu - „wußte er auch wohl warum, und daß wir ihn jetzt kannten. Wo er sich wieder hätt’ sehn lassen, wär’ ihm eine Kugel gewiß gewesen.“

Ragg prahlte nicht im Mindesten; es herrscht zwischen den Jägern und Wilderern im Gebirge noch ein so romantisches und vollkommen ausgebildetes Faustrecht, wie es sich der Dichter, der die Poesie ganz aus der Wirklichkeit verschwunden wähnt, gar nicht besser wünschen könnte. Wo sich Jäger und Wildschütz im Berg begegnen, ist es zwischen Beiden eine Sache auf Tod und Leben, und wer am schnellsten die Büchse an den Backen reißt und den Anderen über den Haufen schießt, hat gewonnen. Der Jäger ist allerdings stets im Vortheil, denn er hat für alle Fälle das Gesetz auf seiner Seite; draußen auf Gottes freier Alm aber und mit den wilden Bergen um sich her, wo alle „Civil- und Militairbehörden umsonst ersucht werden, dem mit rechtsgültigem Paß Reisenden, nöthigenfalls Schutz angedeihen zu lassen,“ hülfe ihm das oft gar wenig, wenn er nicht, außer dem Gesetz, auch noch die eigene Waffe bei sich führte, mit der er den auf ihn anlegenden Wilderer rasch und für immer unschädlich macht.




  1. Aus Gerstäcker’s bei Ernst Keil erschienenen Werke: „Eine Gemsjagd in Tyrol.“