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Seite:Die Gartenlaube (1858) 010.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

als das auf dem doppeleisernen Riesen Leviathan, sehr lang, aber nun doch eigentlich zu kurz, wenigstens in den Verbindungsbrücken, die während der Ebbe so steil hinunter und hinauf führen, daß Niemand ohne Leiter passiren kann. Da nun aber viel Vieh über die Brücken passiren soll und fette Ochsen in gymnastischen Künsten wenig leisten, studirt man jetzt über Mittel, sie in die Höhe zu ziehen. Das erinnert an unsere lieben, getreuen Schildbürger, denen Gras auf der Stadtmauer wuchs, das sie dem Gemeindeochsen nicht vorenthalten wollten, so daß sie ihm ein Seil um den Hals warfen und ihn hinaufzogen. Es schmeckte ihm schon unterwegs, so daß er die Zunge heraussteckte. „Seht, es schmeckt ihm schon!“ rief der Bürgermeister, der scharfsinnigste aller Schildbürger.

Aber wir sprachen von der riesigen, schwimmenden Landungsbühne im Welthafen Liverpools. Sie kostet bis jetzt 140,000 Pfund, also rundgenommen 1 Million Thaler, ein schönes Stück Geld, und ist ein Vorposten des ungeheueren, hohen, festungsartigen Princeß-Pier’s (Landungsplatzes), von welchem vier große, bewegliche Brücken hinunterführen, damit sich die Bühne mit der Fluth heben, mit der Ebbe gelenkig senken kann. Die Bühne selbst ist also eine auf dem Meere schwimmende Ebene, auf 63 rechtwinkeligen Pontons ruhend, die fest an einander gekettet und so gefesselt sind, daß sie sich nur an Ort und Stelle mit Fluth und Ebbe heben und senken können und ihre Verbindung mit dem großen Pier durch die beweglichen Brücken immer sicher bleibt. Aber diese Brücken sind für die Ebbezeit zu kurz gerathen, so daß Niemand mit schwerem Gepäck auf- und absteigen, geschweige, große Lasten und Vieh transportiren kann. Der Ingenieur des colossalen Baues will nun deshalb eine Art Dampfrutschbahn auf den Brücken anbringen und Vieh und Menschenkind mit Dampf hinauf- und herunterrutschen lassen, aber Sir William Cubitt, wie der Mann heißt, weiß noch nicht, wie das eigentlich anzufangen sei. Er hat gesagt: entweder durch eine fixe Locomotive die Ketten, an welchen die Rutschwagen hängen, auf- und abwickeln, oder durch hydraulische Presse, die mir einen sehr hinderlichen und kostbaren Preßzwang einzuschließen scheint. Die Bühne wiegt 80,000 Centner und ist von Thomas Vernon und Sohn in Liverpool gebaut worden. Die Brücken wurden in der Maschinenbauanstalt von Fairbairn in Manchester gegossen. In Deutschland und anderswo hätte man sich vielleicht erst die Ebbe und die schiefe Ebene, die dann von den Brücken für eine bestimmte Entfernung gebildet worden sein würde, angesehen und probirt, ob man darauf passiren könne; in England machte man die Sache erst fertig und sieht sich’s nun in voller Wirklichkeit für eine Million Thaler Entree an. So muß man’s machen, wenn man eine „praktische“ Nation heißen, und von der Cölnischen Zeitung und Allen, die auf ähnlicher Höhe der Bildung stehen, angebetet sein will. Mit der ungeheueren Landungsbühne haben sie bis jetzt ein Hinderniß des Landens geschaffen; früher stieg man direct den Princeß-Landungsplatz hinauf und wand die Lasten direct auf und ab. Jetzt muß Alles erst auf die Bühne und seine Rolle spielen, Vieh nicht ausgenommen, wie die armen Deutschen, welche mit der „Allgemeinen Dampfschifffahrtsgesellschaft“ („General Steam Navigation Company“) mit dem „John Bull“ oder „der City of Hamburg“, oder der „Caledonia“, oder dem „Pilot“, oder der „Germania“ oder der „Counteß of Landsdale“ von Hamburg in London ankommen, in der Mitte der Themse halten müssen, um in die Hände der berüchtigten Themse-Räuberbande zu fallen, aus deren Gefangenschaft sie sich oft für einen Preis lösen müssen, der die Reisekosten verdoppelt.

Das Schiff hält mitten auf der Themse, die Compagnie hat ihr Geld und überläßt nun diese Deutschen (kein Einziger der Schiffsmannschaften kann ein Wort Deutsch) sich selbst und den Themse-Räubern, die mit ihren Kähnen herankommen und einen Passagier nach dem andern mit Gepäck hineinlocken. Ehe sie mit ihren Opfern landen, pressen sie ihnen zum Theil enorme Preise für den Katzensprung weit ab, 2–3 Thaler, Gepäck extra. Das „Gesetz“ erlaubt dieser „Wassermann-Bande“ 6 Pence à Person, aber Niemand vom Schiffe oder vom Lande aus unterrichtet sie davon oder steht ihnen bei gegen die geschäftsmäßig getriebene räuberische Erpressung. Da dieselbe Compagnie auch von andern Häfen, von Rotterdam, Boulogne, Havre, Antwerpen, Calais den Dampfschiffverkehr mit London in den Händen hat, machen wir betreffende Herrschaften, die von oder nach London reifen wollen, auf diesen Umstand aufmerksam, mit dem Rathe, sich nur zu 3, 4 oder 5 Personen den Themsekähnen anzuvertrauen, à Person 6 Pence nach der Landung zu zahlen und jeden Raubanfall, jede Weigerung zu landen, durch sofortiges Anpacken zu erzwingen. Für Diebstähle ihrer eigenen Leute auf ihren Schiffen ist die Compagnie nicht verantwortlich, wie Schreiber dieses aus speciellen Fällen und durch Correspondenz mit der gewaltigen Compagnie specificiren kann. Auch dies mag man sich merken, ehe man sich der gebildetsten, reichsten und nobelsten Nation mit Gut und Leben anvertraut.




Die Wohlfahrtspolizei in der Natur.

Man hat mehrfach obigen Ausdruck, menschlichen Verhältnissen entnommen, auch auf die Natur angewandt. Andere haben es wieder tadeln wollen und gemeint, es sei lächerlich, solche gemachte Verhältnisse als Bilder auf die frische, freie Natur zu übertragen. Wir glauben aber gerade darin einen Ton zu hören, der sinniger Naturbetrachtung einen neuen Reiz verleiht, der uns, indem wir uns desselben Ausdruckes bedienen, nur beweist, daß in dem überaus zusammengesetzten und dennoch einfachen Reiche der Natur auch die einfachsten Mittel genügen, Wohlfahrt zu fördern.

Die Natur ist nie todt. Sie schafft auch unter dem Schneemantel, unter der Frostdecke. In den Winterknospen liegen weich eingefilzt zarte Winterblätter, um der Pflanze Nahrung zuzuführen, und eingehend genug hat man gerade in neuester Zeit das Winterleben der Bäume an Kastanien- und Aspenknospen beobachtet. Wenn nun in jetziger Jahreszeit der Maulwurf den tiefergrabenden Regenwürmern tiefer entgegengräbt, Meisen und Sperlinge emsiger als je in dem Gefurche der Baumrinden die Insecteneier ablesen, Spechte selbst es nicht verschmähen, zwischen Krähen und Elstern die Wiesen nachgehends abzusuchen, wobei ich erst jüngst einen dreisten, schönen Grünspecht beobachtete: so ist das eben je ein Zug der natürlichen Wohlfahrtspolizei, die Alles thut „aus innerem Antriebe, aus Mission“ oder, wie Andere wollen, „der bloßen, freien Station“ wegen. Wenn unsere öffentliche Wohlfahrt der Inbegriff aller der Vorkehrungen ist, welche jedem Staatsangehörigen ein ruhiges und gesichertes Leben verschaffen und alle Beeinträchtigungen des Einzelnen somit beseitigen wollen, so ist das in der Natur mindestens ebenso. Die Straßen werden auch in Ordnung gehalten; alles Aas wird beseitigt, auf daß nicht etwa Pest entstehe, wie unter den trägen Moslems des Orients, in deren Städten Aashaufen und Pest gleicherweise anwidern und das Wohnen geradezu eine Strafe wäre, wenn nicht die Wohlfahrtspolizei in der Gestalt ihrer verwilderten Hunde ihre gehorsamen Diener schickte. Jede Gegend bringt hervor, was ihren Bewohnern fruchtet, selbst Kampf und Noth, die besten Lehrmeister der Menschheit.

Die natürliche Wohlfahrtspolizei bietet selbst erst die Mittel der Gesundheitspflege in unzähligen Naturstoffen der künstlichen dar. Störenfriede oder gar nichtsnutziges Gesindel werden geflohen oder gar, wenn’s angeht, verwiesen. Ein Jedes hat seine Arbeit, seine Erholung, seine rechtmäßige Freude. Für Wittwen und Waisen ist gesorgt; Jeder kann sein Recht suchen, sich auf erlaubte Weise sichern und vertheidigen. –

Wunderbar einfach sind alle dem entsprechende Einrichtungen in der Natur vorhanden. Und wer könnte es leugnen, daß diese kleine und doch so große Wohlfahrtspolizei von wohlthätigem Einflusse auf die Menschen sei! – So hilft die Thierwelt Verkehr und Straße bessernd und reinigend erhalten, wie die Polizei der öffentlichen Wohlfahrt es kaum vermag. Im Großen sind es die Raubvögel, die Aasgeier Afrika’s und Asiens vor Allem, die grauen Geier Amerika’s, die Alligatoren und Fische der Flüsse, selbst der Meere. Ihnen reihen sich an Hyänen, Wölfe, Hunde und selbst bis zu den gefräßigen Krebsen und unsauberen Aaskäfern herab will keins zurückbleiben. Wie oft erzählen uns Lichtenstein und Humboldt in ihren Reisen, wie die Geier schon gierig, obwohl geduldig zusehen, wenn ein tigerartiges Raubthier seine Beute verzehrt, um ja keinen Rest faulen zu lassen. Allerdings zunächst nur für sich sorgend, folgen sie ihrem Hunger; aber uns wächst mittelbar der Vortheil

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_010.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)