Verschiedene: Die Gartenlaube (1858) | |
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ihre scrupulöse Reinlichkeit neben der vollständigen geistigen Verkümmerung
nicht zu einer Erziehung in einer Familie. Fremd
oder durch Verwandtschaft mit ihr verbunden, würde sie eine Familie
nicht unverständig und motivlos einseitig erzogen haben. Noch
weniger stimmen Reinlichkeit und Stricken zu einem umherziehenden
Leben. Reinlichkeit ist bei Vagabonden die letzte aller guten
Eigenschaften, und zur Ausbildung im Stricken haben solche Leute
weder Lust noch Zeit. Reinlichkeit und Stricken stimmen aber
vortrefflich zu einer Erziehung, wie Caroline sie beschreibt, bei
der die Absicht dahin geht, die Gefangene durch thierisches Wohlsein
und eine mechanische Beschäftigung von Gedanken höherer Art
abzulenken.
Caroline ist keine Betrügerin, dieses Resultat halten wir nach gewissenhafter Erwägung aller Umstände für sicher. Aber wer ist sie? Auf diese Frage haben wir keine Antwort. Wir überlassen die Lösung des dunkeln Räthsels der Zukunft, verhehlen uns aber nicht, daß, nachdem fast vier Jahre seit den öffentlichen Schritten des Offenbacher Gerichts verflössen sind, die Hoffnung, daß dereinst Carolinen ihr Recht und ihren Feinden ihre Strafe werde, schwach zu werden beginnt.
Die Gartenlaube vertritt die Interessen der Familie. Unterhaltung,
Belehrung und Anregung spendet sie unter dem freundlichen
Schatten ihres anspruchlosen Titels. Sie verbreitet sich
über die wichtigsten Zweige des menschlichen Wissens, und führt
die Familienglieder in verständlicher Unterhaltung wie an Freundeshand
an die Quellen der Weisheit und Erfahrung.
Zu den Interessen der Familie zählt auch die Erziehung. Die Nachwelt entsproßt ihrem Schooße. Das Wohl kommender Geschlechter wird in ihr begründet oder begraben. Die Erziehung ist der Familie größtes Privilegium, ihre heiligste Pflicht, ihre schönste Aufgabe. Ihr Pfad ist aber oft labyrinthisch, ihr Ziel verschleiert. Leicht ist’s, auf Abwege sich verirren, und nicht selten ermüdet Geduld und Kraft an ihren Verschlingungen, und das Pflichtgefühl erschlafft an ursprünglichen oder selbsterschaffenen Schwierigkeiten. Sollte man darum nicht die Hand eines erfahrenen Rathgebers willkommen heißen, wenn er, durchglüht von heiliger Begeisterung, sie als Führer bietet?
Als solcher auf verschiedene Höhenpunkte zu führen und von dort her eine Aus- und Umschau zu halten, das ist des Verfassers Absicht. Beginnen wir zuerst mit der Bedeutung der Mutter für die Erziehung.
Suchen wir die Namen der Edlen unserer und aller Nationen aus der Geschichte hervor, sie, die Bürgerkronen schmückten, sie, die Glanz der Großmuth umstrahlte, sie, die als Dichterfürsten glänzten: der Mutter Einfluß weckte entweder das Talent oder leitete es in seine Bahnen. Ohne diese ihre Mutter würden sie nur gewöhnliche Menschen oder doch ganz andere geworden sein, als wie wir sie kennen.
Die besten unserer Zeitgenossen, die edelsten von unsern Freunden, fragt man sie, wessen Name noch ihr Herz mit freudiger Rührung füllt, wenn schon der Schnee des Alters auf dem Haupte lagert; wessen Worte, Blick und Wesen sie stets frisch und jugendlich bewahren, hier zur Ermunterung und drüben zur Verwarnung: der Mutter! – Und geht es uns denn selber anders? Ist nicht das Bild der Liebe, das sich um die Tage unserer Kindheit flechtet, auch unauslöschlich tief in’s eigne Herz gegraben? – Der aber, dem es fehlt, ihm füllt Nichts auf der Welt die Lücke aus.
„Die Mutter kann nicht ohne Hülfe des Vaters erziehen“ – das ist eine weit verbreitete Ansicht; aber es ist nicht minder wahr: „Der Vater auch nicht ohne Mitwirkung der Mutter.“ Die Kraft und Strenge, die Härte und Schärfe, das Markige und Eckige, das Strebende und Kämpfende, das Schaffende, mit einem Wort, das Männliche des Charakters verlangt den Mann der That zum Vorbild und zur Stütze. Das Pflegen und Erhalten, das Ordnen und das Dulden, das Zarte und das Sinnige, das Glättende und Gleichende, das Schmückende und Empfangende, kurz, das Aesthetisch-Weibliche kann nur dem Mutterherzen entquellen. Und wie jene erst gemeinschaftlich den edlen Charakter bilden, so kann ein solcher auch nur in vereinter Einwirkung von Vater und Mutter gedeihen.
Der Verfasser hat als Lehrer mannichfache Gelegenheit gehabt, den Charakter der Kinder in ihrem Verhältnis zu dem der Eltern zu beobachten. Es ist Thatsache, daß Leidenschaften und Laster, welche sich auf übermäßiges Begehren zurückführen, wie Trunksucht, Dieberei, geschlechtliche Sünden u. a. m. selten vom Vater auf die Kinder übergehen. Wie mancher Sohn eines Trunkenbolds z. B. ist der nüchternste Mensch, der Sohn des Geizigen oder Habsüchtigen ist in der Regel Verschwender. Kinder sind dem Verfasser bekannt, deren Vater ein fleißiger Insasse des Zuchthauses war, sie selbst waren ehrlich. – Wenn aber die Mutter sich dieser oder ähnlicher Laster schuldig macht, so folgen die Kinder ihren Fußstapfen.
Der erziehliche Einfluß der Mutter ist größer, als der des Vaters. Der Letztere kann oft nur durch die Erstere wirken. – Der Mutter allein ist des Kindes früheste Kindheit anvertraut, die ersten Eindrücke auf das zarte Wesen kommen von ihr, ihrer Hut ist nicht allein die früheste Entwickelung des hülflosen Körpers, nein, auch die unscheinbare, aber unendlich wichtige Anregung der Empfindung und des Bewußtseins anvertraut. Darin liegt aber der Urquell von „Glück und Unglück“ im ganzen spätern Leben; denn nur Gesundes kann Gesundes erzeugen, nur dem Reinen kann das Reine entsprießen.
In seinen ersten Lebensjahren ist das Kind nur ein treues Abbild seiner Umgebung. Achtet man auf seine Lebensäußerungen, es bewegt sich, blickt, drückt in Mienen und Gebehrden aus, spricht in Ton und Urtheil wie die Mutter oder wie die Wärterin, die es stets umspielt. Das ist mehr als blos äußerliche Nachahmung. Man stelle es auf die Probe! Bald wird man sich überzeugen, daß die Denk- und Empfindungs-Weise des Kindes ganz mit derjenigen übereinstimmt, von welcher es täglich Zeuge gewesen. – Der Charakter wird also begründet und angelegt durch die Mutter, wenn sie sich dem Kinde weiht. Aber auch fernerhin ist das Kind immer mehr auf die Mutter angewiesen, als auf den Vater, den sein Geschäft, seine Sorge für das Wohl der Familie häufig und anhaltend daran hindert. Da hat die Mutter Gelegenheit, das zu pflegen, was unter ihren Augen gekeimt hat, was durch ihr eigenes Wesen und Walten entstanden ist.
Ein großer Theil des „Glücks“ der Kinder ist mithin der Mutter in die Hand gegeben. – Welch ein erhabener Gedanke, beseligendes Bewußtsein für jede Mutter, welche erfüllt sie nicht mit wahrem Stolz!
Allein es ist eine Aufgabe, ein Problem für die Mutter. Ihr Ziel zu erreichen, kostet Mühe, Anstrengung und Opfer. Ja, und die Opfer eben sind es, woran ihre Kraft, ihr Pflichtgefühl so leicht scheitert. Es ist so erhebend, so begeisternd, eine Mutter, die ihre Aufgabe begriffen hat, in mütterlicher Liebe und Würde unter den Kleinen walten zu sehen; aber dieses Bild hat man nicht allzu häufig. – Gäbe es mehr Cornelien an Muttertreue, es würde mehr Gracchen geben an Mannesmuth und Edelsinn!
Aber in vielen Fällen scheint die Mutter keine Vorstellung zu haben von ihrem erhabenen Berufe, von ihren heiligen Pflichten, von der Wichtigkeit ihres Wirkens, von der großen Verantwortung gegen sich selbst, ihre Kinder und gegen Gott. Leider aber werden unsre jungen Mädchen auch zu allem Möglichen, zu verkrüppelten Zierpflanzen mißverstandener Civilisation eher erzogen, als zu Müttern.
Schon im täglichen Verkehr hat es das Volksbewußtsein durch den Volksmund (Sprüchwort) zur Weisheit gestempelt „das Ehren des Kleinen.“ Die tägliche Erfahrung hat es gelehrt. –
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_052.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)