Verschiedene: Die Gartenlaube (1858) | |
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No. 12. | 1858. |
(Fortsetzung.)
Der Obersteiger und sein Sohn.
Die Gold- und Silberbergwerke in Kremnitz sind alle uralt; die Jahrhunderte haben da Schächte und Stollen abgebaut und verödet liegen lassen und wieder andere in den Schooß der Berge getrieben, die endlich dasselbe Schicksal erfahren. Manche dieser alten Gruben hängen durch einen halbverschütteten unwegsamen Gang mit den vielverzweigten neuen Gruben zusammen, aber der Knappe von heute kennt meist diesen Zusammenhang nicht; er hat eine natürliche Scheu vor den vereinsamten unterirdischen Feldern der Thätigkeit seiner Vorfahren, und schauerliche Bergmannssagen verschreien sie als ungeheuer. Was hätte er auch dort zu suchen und zu schaffen? Edle Metalle, welchen er nachstrebt, sind ja dort nicht mehr zu finden; sie lohnen seinen Fleiß nur in den Gängen, die er selbst in das erzhaltige Gestein treibt. Was kümmert ihn, wie weit sich die Häuer früherer Jahrhunderte in die Berge gewühlt? Er wühlt sich am andern Ort hinein, und wo irgend so ein altes Stollenloch in einen neuen mündet, da verbaut er es mit Querhölzern, und läßt jenseit derselben die Gespenster früherer ungetreuer Bergleute ihr Wesen treiben. Daß solche Gespenster in den alten Schächten und Gruben umherirren, daran zu zweifeln wäre sündhafte Verwegenheit eines Knappen; denn wenigstens die des Mariahilfschachtes haben fast Alle das entsetzliche Schachtgespenst gesehen, obgleich eigentlich keiner weiß, wie es aussieht, weil, wenn es ihnen erschienen ist, ihnen die Augen meist den Dienst versagten. Und das ist nicht seit einigen Jahren geschehen: Viele sagen seit zwanzig Jahren, Andere, das sei wohl länger als hundert Jahre; denn ihre Väter und Großväter haben ihnen erzählt, daß auch sie es schon gesehen. Die seltsamsten und wunderlichsten Sagen sind von diesem Schachtgespenst in Umlauf. So war, um nur Eins zu erwähnen, die allgemeine stille Annahme, die man sich nur flüsternd und mehr mit ängstlichen Gebehrden und Mienen, als mit lauten Worten mittheilte, der alte Obersteiger Martin Ambrunn sei mit dem Schachtgespenst näher bekannt, als die andern Sterblichen, ja er übe einen gewissen vertraulichen Einfluß auf das Gespenst.
Aus welchen Thatsachen dieses seltsame Gerücht entstanden war, konnte eigentlich Niemand bestimmt angeben; die widersprechendsten und abenteuerlichsten Dinge wurden in dieser Hinsicht behauptet und erzählt, so daß ein halbweg vernünftiger Mensch sie alle auf Rechnung einer erhitzten und vom Leben in der Erde verdüsterten Volksphantasie setzen mußte. So viel stand inzwischen doch fest, daß der alte Obersteiger ein finsterer, grämlicher, schweigsamer Mann war, der mit den Leuten kaum das Allernothwendigste sprach, alle Vergnügungen mied, sich scheu in sein Haus zurückzog, wenn er nicht im Schachte arbeitete, und in diesem meist weit länger verweilte, als die andern Obern oder die Häuer. Das ganze Wesen dieses Mannes war unheimlich, und man konnte annehmen, daß dieser Umstand ihn in den Augen der Bergleute zum Kumpan des Schachtgespenstes gemacht habe. Uebrigens hatte er nicht nur von seinen Obern, sondern auch von der ganzen Knappschaft das Lob der strengsten Berufstreue und einer Thätigkeit, welche die aller Andern weit hinter sich ließ. Erholung schien er gar nicht zu kennen; er kannte nur Arbeit. Und wie uneigennützig er war, bewies er dadurch, daß er von seinem kärglichen Einkommen viel an Bedürftige wandte und alles wahrhaft Gute reichlich unterstützte. In seinem Hause sah es dagegen ärmlich aus, eben so war seine und seines Weibes Kleidung vernachlässigt, was doch mit seinem Stande als Obersteiger nicht harmoniren wollte. Ein feines Auge hätte sogar die Bemerkung machen müssen, daß diese Armuth eine ostensible Schaustellung sein möchte aus Zwecken, die sich freilich nicht errathen ließen.
Eines Sommermorgens – es war Montag – hatte sich der alte Obersteiger mit dem Beginne des Tages von seinem Lager erhoben und war eben damit beschäftigt, seinen Brodkorb voll zu packen (die Menge des Brodes, die er hineinsteckte, hätte einem Unbefangenen auffallen müssen, aber er schien dieses Geschäft gern jedem andern Auge zu verbergen), als er plötzlich seinen einzigen Sohn Leberecht, den Steiger, neben sich stehen sah, den er noch im tiefsten Schlafe vermuthet hatte. Verwundert sah der alte Mann an dem jungen empor und brummte:
„Schon?! Erst nach Mitternacht heim; kannst kaum ein Auge geschlossen haben.“
„Habe keins geschlossen,“ versetzte der Sohn eben so mürrisch wie der Vater. „Ich habe mich gestern Abend beim Tanz in der Tanne schwer geärgert.“
Der Alte antwortete darauf nichts und der Sohn schwieg ebenfalls verlegen. Er kämpfte mit sich selbst, aber er rang sich auf und platzte heraus:
„Vater, ich muß mit Euch reden. So kann’s nicht bleiben, ich gehe zu Grunde.“
Der Alte warf ihm einen eiskalten fragenden Blick zu.
„Ich hab’ Euch noch nichts davon gesagt, denn es ist mit Euch nicht gut von solchen Dingen reden; ich kann nicht leben ohne die Bergmeisters Lina. Wenn sie nicht bald mein Weib
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_157.jpg&oldid=- (Version vom 5.6.2018)