Verschiedene: Die Gartenlaube (1858) | |
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fragt sich der unbefangene Leser, wie es komme, daß man nicht schon längst Hand an’s Werk gelegt habe. Die Störrigkeit der englischen Regierung allein steht der Erfüllung des allgemeinen Wunsches im Wege. Die Einstimmigkeit der Völker und Regierungen Europa’s und Amerika’s, die unzweifelhaftesten Manifestationen der britischen und ostindischen Handelswelt sind bis jetzt an dem Starrsinn Lord Palmerstons und Stratford de Redcliffe’s gescheitert. Die Einwendungen dieser Staatsmänner, nachdem sie die Unternehmung von technischer Seite nicht länger beanstanden können, beruhen auf Rücksichten für den commerciellen und politischen Bestand ihres Landes und der Türkei.
Wie einst Venedig in Folge der Entdeckung der Fahrstraße um das Cap der guten Hoffnung zu Gunsten der oceanischen Nationen, so würde, meinen die Widersacher des Projects, England durch den Durchstich der Landenge von Suez zu Gunsten der mittelländischen Häfen in Verfall gerathen. Der Vorsprung, welchen Triest, Genua, Marseille u. s. w. vor London und Liverpool hätten, müßte über kurz oder lang den Ruin der britischen Industrie und des britischen Handels herbeiführen.
Hierauf entgegnete Herr von Lesseps und die übrigen Fürsprecher der Unternehmung, der edle Lord scheine ob dieses Vorsprungs in der Entfernung jene Ueberlegenheit zu vergessen, deren sich England in Bezug auf Industrie, Capitalien, Marine, Verbindungen und Unternehmungsgeist vor allen Völkern Europa’s und, mit Ausnahme der letzteren Eigenschaft, Amerika’s erfreut. So lange die englische Nation im Besitze dieser Vortheile bleibt, habe sie einen Wettstreit mit keinem Volke der Erde zu scheuen. Weder Oesterreich, noch Frankreich, noch Amerika können ihre Manufacte zu so billigen Preisen herstellen, wie die Fabrikanten Großbritanniens. Nur mit hohen, wohl zu hohen Schutzzöllen, ja mitunter mit gänzlicher Prohibition glauben sie gegen die Uebermacht der Engländer bestehen zu können. Die Energie der anglo-sächsischen Race bürge dafür, daß sie die einmal eroberte Stellung nicht aufgeben wird. Endlich biete der Orient, zumal wenn China zugänglich gemacht, Australien sammt der übrigen Inselwelt, so wie Ostafrika und die am arabischen Golf gelegenen Länder volkreicher und gesitteter werden, der Industrie und dem Handel aller Staaten der Welt ein ungeheures sich immer erweiterndes Feld.
Von politischer Seite betrachtet, fuhr der ängstliche Premier fort, liege in der Durchbohrung des Isthmus offenbar Gefahr für England sowohl als für die Türkei.
Durch Handel bereichert und gekräftigt, werde es eines Tages dem Pascha von Egypten einfallen, sich von dem Verbande mit dem türkischen Reiche loszureißen, und so werde die Schwächung, wo nicht die Auflösung des letzteren durch eigenes Zuthun der Westmächte erfolgen. Mit Hinblick auf England walten noch erheblichere Bedenklichkeiten vor. Der Canal von Suez, den größten Kriegsschiffen zugänglich, würde die am Mittelmeer gelegenen großen Militairstaaten fortwährend zu einem Angriff auf Ostindien einladen. Das Unternehmen des Generals Bonaparte stehe als warnendes Beispiel da.
Angenommen, daß Egyptens Aufblühen mit einer definitiven Losreißung enden müsse – was eine immerhin bestrittene Voraussetzung bleibt – so sehen wir in dieser eventuellen Sachlage keinen Grund zu einer wirklichen Schwächung des Mutterlandes. Vasall oder unabhängiger Regent, wird der Beherrscher Egyptens aus religiösen Motiven nicht minder, als aus Rücksichten für seine Herrscheransprüche stets ein treuer, weil natürlicher, Verbündeter des Sultans bleiben. Fiele Constantinopel in russische Hände – und von dieser Seite allein kann man vernünftigermaßen Besorgniß hegen – dann wäre es auch um die Selbstständigkeit Egyptens geschehen. Die Bereitwilligkeit, mit welcher Saïd-Pascha seinem bedrohten Suzerain im letzten Kriege gegen Rußland mit Geld, Truppen und Schiffen Beistand leistete, enthebt uns aller weiteren Begründung dieser Ansicht. Endlich aber haben der Sultan und sein Großvezir Reschid Pascha das Unternehmen für ein nützliches erklärt, und nur des englischen Gesandten Widerstand halte die Pforte ab, dem Project die Sanction zu ertheilen.
Ohne auf die Neutralisirung des Canals übergroßes Gewicht zu legen, könne die Befürchtung der Invasion Indiens nach der Ueberzeugung der Freunde des Projects, einer ernsten Discussion ebenfalls nicht widerstehen. Offenbar habe der Premier Frankreich im Auge, denn weder Oesterreich mit seinen paar Schiffen, noch Rußland, zur Ohnmacht im Euxin verdammt, können dem ersten Minister Großbritanniens als gefährliche Gegner erscheinen. Frankreich aber sei zur Erkenntniß gelangt, daß seine Interessen als leitende europäische Großmacht mit jenen Englands auf das Glücklichste übereinstimmen. Im Bunde mit England und von wenigstens verhältnißmäßig liberalem Geiste in seiner auswärtigen Politik geleitet, schreibe Frankreich Europa, so zu sagen, Gesetze vor, wohingegen ein Bruch mit dem großen Inselvolke bis jetzt noch immer einen verderblichen Ausgang nahm. Sollte indeß zwischen beiden Nationen ein Krieg ausbrechen, so gibt den Engländern außer dem Besitz von Malta, Corfu und Aden – Festungen und Arsenale, deren jedes zu Asien näher liegt, als Toulon – ihrer unüberwundenen Kriegsflotte die Mittel an die Hand, ihre Besitzungen im indischen Ocean glorreich zu behaupten. Dieser allein sei es auch bisher zu verdanken gewesen, daß Großbritannien seine Colonien wirksam zu schützen wußte. Der Mangel einer Durchfahrt durch den Isthmus von Suez habe Frankreich in den früheren Zeiten nicht verhindert, in den asiatischen Gewässern zu erscheinen; Brest sei auch jetzt dem Cap der guten Hoffnung und somit Ostindien näher gelegen, als Plymouth oder sonst ein Kriegshafen der Manche; dennoch fürchte England einen Angriff von dieser Seite nicht, weil die Erfahrung seine Uebermacht zur See häufig bestätigt hat.
Dem sei nun so oder anders, was immer auch der Vortheil Englands erheischen möge, die Canalisirung der Erdenge von Suez liegt im Interesse aller übrigen Völker der Erde, und der Sondervortheil des Einzelnen wird endlich dem Wohl der Gesammtheit weichen müssen. Weder die Eisenbahn durch Egypten, noch der aus Eifersucht wider den Canal vorgeschlagene Schienenweg über Syrien nach dem persischen Meerbusen können die directe maritime Verbindung Europa’s mit Asien ersetzen. Beide versprechen beachtenswerthe Ergänzungen zu werden: einen Ersatz für den Seecanal bieten sie nicht. Die Beharrlichkeit des Herrn von Lesseps im Bunde mit der öffentlichen Meinung der Völker, und bald vielleicht auf diplomatischem Wege unterstützt, wird ehelang über das Vorurtheil, ja den Eigensinn der Staatsmänner Englands den Sieg davon tragen.
Das nöthige Capital, wozu Saïd-Pascha allein 32 Millionen beizusteuern versprach, ist bis auf 30 Millionen, welche die Gründer den englischen Plätzen vorbehalten, gezeichnet. Sollte England auf seinem Widerstande noch lange beharren, so dürfte man am Ende seine Zustimmung für entbehrlich erachten. Hoffen wir indeß, daß Englands jetzige Staatsmänner zur Erkenntniß der wahren Interessen ihres Landes gelangen, und keinen offenen Zwiespalt hervorrufen werden in einer Frage, deren Lösung die Einigung und das Wohl aller Nationen bezweckt.
Es war im Jahre 1853, als bei der Kunst- und Industrieausstellung im Krystallpalaste zu New-York unter den ausgestellten Stickereiarbeiten des Hauses Wank, Bennett u. Comp. am Broadway ein prachtvoll gestickter Shawl unter den Besuchern, namentlich dem weiblichen Theile des Publicums, ein besonderes Aufsehen erregte. Man erkundigte sich mit Interesse nach der Urheberschaft dieser kunst- und geschmackvollen Arbeit und erfuhr, daß es ein Werk deutscher Frauenhände sei, zum nicht geringen Staunen der Amerikaner, wie mit stolzfreudigem Antheil jener Deutschen, bei denen das Nationalgefühl noch nicht völlig erstorben ist.
Die Verfertigerinnen waren zwei Schwestern, die zwei Jahre
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 166. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_166.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)