Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1858) 305.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

No. 21. 1858.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Ein Gottesgericht.
Vom Verfasser der „neuen deutschen Zeitbilder.“
(Fortsetzung.)


Ich setzte mein Verhör fort und machte zuerst noch einige schwächere Versuche zur Ermittelung der Wahrheit.

„Hatte der junge Graf Ruthenberg hier Verbindungen angeknüpft?“

„Meines Wissens nicht.“

„Wie war seine Lebensweise?“

„Er verbrachte seine Zeit im Schlosse, in der Gesellschaft seiner Tante.“

„Auch Sie waren in der Gesellschaft der Frau Gräfin?“

„Es war mein Beruf hier.“

„Sah der junge Graf Sie oft allein, mein Fräulein?“

„Selten.“

„War er bei Ihnen hier in diesem Zimmer?“

„Nie, mein Herr.“

Sie sprach die Worte mit Stolz, aber doch ungewiß, zum ersten Male ungewiß, seitdem sie sich wieder gefaßt hatte.

„Mein Fräulein, er hat Sie auch nicht mit Liebesanträgen verfolgt?“

Sie hatte wieder ihre volle Sicherheit.

„Mein Herr, wozu diese Frage?“

Ich mußte zu stärkeren Mitteln schreiten. Vorher hatte ich noch ein paar Fragen nach einer andern Richtung hin.

„Ging der Graf hier auf die Jagd?“

„Nein.“

„Machte er allein Spaziergänge?“

„Ich habe nie davon gehört.“

„Kennen Sie die Tochter des Försters der Gräfin?“

„Sie kommt oft zum Schlosse.“

„Hat der junge Graf Ruthenberg sie gesehen?“

„Ich weiß das nicht.“

„Sie haben auch nie davon gehört?“

„Nie!“

Sie hatte rasch geantwortet, wie vorher. Aber auf einmal sah ich, wie sie nachdenkend wurde. Dann schüttelte sie leise den Kopf, für sich, in einer fast schmerzlichen Weise.

Ich hatte noch eine Frage an sie.

„Im Dienste der Gräfin ist ein Jäger?“

„Ja, mein Herr.“

„Sie hat ihn ebenfalls im vorigen Jahre von Bad Ems mitgebracht?“

„Ja.“

„Hatten Sie ihn schon früher gekannt?“

Durch ihr Gesicht flog eine augenblickliche, helle Röthe. Sie besann sich ein paar Secunden; dann antwortete sie aber ruhig:

„Er hatte in der Nachbarschaft des Gutes gedient, auf dem ich als Gesellschafterin war.“

Ich mußte jetzt meinen entscheidenden Schlag gegen sie ausführen.

„Fräulein, an Ihre Zimmer stößt unmittelbar ein Bibliothekzimmer?“

Die Frage mußte ihr einen furchtbaren Stich in das Herz gegeben haben; sie zuckte heftig zusammen.

„Ja!“ antwortete sie kaum hörbar.

„Darf ich bitten, mich hinzuführen?“

Sie war wieder blaß geworden, wie eine Leiche, und ihre Hände zitterten.

Ich war aufgestanden. Sie erhob sich gleichfalls, vermochte es aber nur schwer, denn sie mußte ihre Arme zu Hülfe nehmen, indem ihre Kniee zu brechen drohten.

„Ich bitte, mir zu folgen,“ sagte sie, sich etwas zusammennehmend.

Sie führte mich durch ihr Schlafzimmer in das Bibliothekzimmer. Die Lage war so, wie der Graf Ruthenberg sie beschrieben hatte.

Ich sah mich in dem Zimmer um. Es war ein geräumiges, regelmäßig viereckiges Gemach. Die Wände waren mit hohen, alten Repositorien bedeckt, in denen überall Bücher, meist mit alten Einbänden, standen. Der Boden war parketirt. Das Parket war altmodisch, aber gut erhalten. In der Mitte standen mehrere längliche Tische mit Schreibmaterial. Das Zimmer war ein Eckzimmer und hatte zwei Thüren und drei Fenster.

Durch die eine Thür waren wir aus der Schlafstube der Gesellschafterin eingetreten. Die zweite war links davon in der innern Seitenwand; sie führte in den Corridor, an dem auch die Zimmer der Gesellschafterin lagen. Die drei Fenster führten sämmtlich in den Garten; eins der Thür des Corridors und zwei der Thür des Schlafzimmers gegenüber. Vor diesen beiden letzten zog sich draußen in geringer Entfernung das Spalier eines Apfelbaumes vorüber. Die Zweige, mit Blättern bedeckt, bildeten jetzt eine dichte Hecke; vor sechs bis acht Wochen waren sie noch kahl gewesen. Das Alles übersah ich leicht beim ersten Eintritt in die Stube; es stimmte gleichfalls überall zu der Beschreibung des Grafen Ruthenberg.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 305. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_305.jpg&oldid=- (Version vom 5.6.2018)