Verschiedene: Die Gartenlaube (1858) | |
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No. 35. | 1858. |
„So muß der Meister benutzen die Krisis,“ fuhr lächelnd der Jude nun fort; „ist die Krisis benutzt doch worden von Vielen. Meister Friedel hat noch einige Außenstände, – müssen eingezogen werden in den Beutel, – das Stück Feld, der Garten, das Haus ist zugeschrieben der Frau, und so ist’s glatt, da wird übrig bleiben und gerettet werden das Meiste, wenn Herr Friedel es macht, wie Andere, – wenn er anzeigt seine Insolvenz, so er nicht leidlich verkauft in Braunschweig.“
„Insolvenz?“ fragte heimlich und tief erschrocken der Gesell, „und ich soll dazu rathen? O nein, nein, Herr Wurm,“ setzte er bittend hinzu, „geben Sie einen anderen Rath, denken Sie an den ehrlichen Meister, an die Frau Meisterin, – das thun diese ehrlichen Menschen nicht, – ich kann’s auch nicht –“
„So bezahlt, bezahlt Alles ehrlich! bezahlt die Wolle, die Spinnerei, die Farbe, die Appretur, – alle Rechnungen,“ eiferte still der Jude und nahm schnell von Neuem das Goldstück aus dem Beutel. „Hier, hier, Herr Tuchknapp’, hab’ doch für Sie bestimmt den Friedrichsd’or, – nehmen Sie, will nicht bleiben in Schulden, – und wär’s gewesen doch besser, wenn ich hätte geschwiegen.“
Er wollte fort, aber der Gesell ließ ihn nicht, nahm auch das Goldstück nicht, sondern blickte den Juden erschrocken und mit feuchten Augen an, – er wollte reden und vermochte es nicht, ergriff nur die Hände des Juden und hielt sie fest, wie ein Rettungsseil.
Auch der Jude schwieg. Eine tiefere Bewegung, als man glauben möchte, ging durch sein Gewissen, durch sein Gemüth. – Endlich sagte er:
„Wenn die Tuche nicht abgesetzt werden in Braunschweig und wenn Sie, lieber Glogauer, nicht befolgen wollen den guten Rath, so kommen Sie mit den Tuchen nach Breslau, – wollen sehen, was sich läßt thun damit, – könnte sein, daß es ginge, wenn ich selbst dort bin.“
Er gab dem Gesellen die Adresse für Breslau, und als er ihm vergeblich noch einmal das Goldstück aufgenöthigt hatte, erklärte er, er bleibe Schuldner, – er wolle den Friedrichsd’or aufheben.
Auch wickelte er wirklich das Goldstück in ein Papier und steckte es in seine Brieftasche. Dann reichte er dem Gesellen die Hand zum Abschied, indem er sagte:
„Wollen uns nicht vergessen, – wollen Beide immer bleiben brav.“
„Und haben Sie den Rath, welchen Sie mir gaben, auch den ehrlichen Meistersleuten angedeutet?“ fragte heimlich der Gesell.
Der Jude schüttelte verneinend den Kopf mit den Worten:
„Ueberlass’ ich das ganz doch Ihnen, – und haben Sie doch Zeit zu rechnen und zu überlegen, bis gewonnen sein wird ein Meßresultat in Braunschweig.“
Damit wendete er sich und verließ das Haus. Draußen klopfte er an’s Fenster, den Meistersleuten ein flüchtiges Lebewohl sagend.
Der Gesell stand noch im Hausflur, hatte nicht Lust, sofort in die Stube zu treten, wollte nochmals hinauf in die Bodenkammer, einige Minuten noch allein sein. Ehe er jedoch die erste Treppenstufe erreichte, klinkte Meister Friedel die Thür auf.
„Dafür belohne Sie Gott!“ sprach er gerührt; „o, lieber Glogauer, nun denken Sie ja nicht mehr daran, daß Sie –“ er drückte ihm die Hand und setzte leise hinzu: „daß Sie fort wollen. Nun werden wir ja wieder arbeiten können, der Jude wird uns gewiß auch wieder Wolle ablassen auf Credit, – verzeih’ es uns Gott, daß wir den Mann zuweilen den Wollwurm nannten. In unserm Hause, lieber Glogauer, soll’s nicht wieder geschehen.“
„Gewiß nicht,“ antwortete zerstreut der Gesell, da jetzt die Meisterin herauskam.
„Bernhard, wir danken Ihnen,“ sagte sie mit Innigkeit, indem sie dem Gesellen die Hand gab.
„Könnte ich doch mehr thun,“ erwiderte ruhig der Erröthende und schlug die Augen nieder.
„Vielleicht glückt es mir nun auch in Braunschweig,“ fuhr die Meisterin fort.
„Vielleicht,“ wiederholte der Gesell.
„Das walte Gott,“ schloß Meister Friedel und griff nach der Thürklinke.
In der Stube gingen alle Drei an ihre Arbeit. Niemand äußerte es, – und doch suchten Alle das vorhin Versäumte reichlich wieder einzubringen.
Die freudige Erhebung des Gemüthes aber, welche Alle durch den veränderten Sinn des Wolljuden gewonnen hatten, fing an, mehr und mehr sich abzuschwächen. War doch nur eine Sorge gewichen, – und nicht einmal gewichen für immer, nur hinausgeschoben mit ihrer Gefahr auf zwei Monate. Und gab es doch
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 497. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_497.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)