Verschiedene: Die Gartenlaube (1858) | |
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Braut gesehen zu haben. Das Tuch war offenbar noch ganz neu und nur ein paar Mal getragen worden.
„Nicht wahr, Ihr laßt es mir zum Andenken an meine Freundin?“ sagte Leonore nach einer Weile.
Henricksen gab es dem Mädchen zurück, indem er sprach:
„Behaltet es immerhin, Leonore, für mich hat es doch keinen Werth.“
Da langte ich danach, entfaltete es noch einmal und betrachtete es genau.
„Wo machtet Ihr denn den Fund?“ fragte ich das Mädchen.
„Weit ab von Marie Anne’s Wohnung,“ versetzte sie. „Es hing an einem Ginsterbusch am Ende des hohen Seedeiches. Wahrscheinlich hatte die Arme dort geruht, und beim Aufbrechen mag ihr das Tuch entglitten sein.
„Da steht auf einem Zettel der Name des Kaufmanns, der mit solchen Tüchern handelt,“ fiel ich ein. „Ich kenne den Mann; er lebt in der nächsten Hafenstadt. So viel ich weiß, versorgen sich in seinem Laden viele Matrosen für sich und ihre Geliebten mit den erforderlichen Luxusartikeln. Am häufigsten aber verkehren bei ihm Seeleute des europäischen Nordens.“
Henricksen sah ein, daß dies ein Fingerzeig sein könne, den Unbekannten zu ermitteln, in dessen Gesellschaft mehrere Personen Marie Anne kurz vor ihrem Verschwinden gesehen hatten. Er ergriff ihn mit hoffnungsvoller Lebhaftigkeit, reichte Leonore die Hand, und wollte auf der Stelle den Hof verlassen. Ich hielt ihn zurück, indem ich dem Mädchen einen Wink gab, mir ein kurzes Gespräch unter vier Augen zu gönnen. In ihrem Blicke entdeckte ich etwas Unstätes, und dies ließ mich annehmen, sie möge noch etwas geflissentlich geheim halten.
„Liebes Kind,“ redete ich sie an, während sich Henricksen wieder mit dem Tuche beschäftigte, „Du kennst gewiß den Geber dieses Tuches.“ Lächelnd verneinte sie.
„Ich verspreche Dir das schönste Busentuch im ganzen Laden von Colhorn, wenn Du mir den Mann nennst oder näher bezeichnest, aus dessen Händen Marie Anne jenes Dir nun so liebe Andenken an sie empfing.“
„Wahrhaftig, ich kenne ihn nicht,“ sagte Leonore mit großer Bestimmtheit.
„Du kanntest aber Henricksen und wußtest, daß sich Deine Freundin ihm verlobt hatte?“
„Sie selbst hatte es mir gesagt, von Person aber kannte ich ihn nicht.“
„Sahst Du auch den Mann nicht, der Marie Anne jenes Tuch schenkte?“ forschte ich weiter.
Leonore schlug die Augen nieder. Sie ging offenbar mit sich zu Rathe, ob sie auch klüger handle, wenn sie lieber schweige, als spreche. Nach kurzem Besinnen aber sah sie mir frei in’s Gesicht, indem sie sagte:
„Ja, ich habe ihn zweimal, aber nur von ferne gesehen.“
„Wann, Leonore, wann?“ rief Henricksen, der achtsam auf unser Gespräch gelauscht hatte. „Ich muß es wissen, und sollte ich Gewalt brauchen!“
„Ein paar Tage, ehe Marie Anne mir gestand, daß sie sich mit Euch verlobt habe,“ sprach das Mädchen vollkommen ruhig.
„Sie fügte hinzu, nun sei es entschieden, sie werde Frau Henricksen, nicht die Frau des Steuermanns –“
„Sein Name? Sein Name?“ riefen wir Beide zugleich.
„Marie Anne stockte und verschwieg ihn mir,“ schloß Leonore ihre kurze Auskunft.
Henricksen schlug beide Hände über sein Antlitz, während ich die Frage an Leonore richtete:
„Würdest Du ihn wiedererkennen, wenn Du den Unbekannten je wieder sehen solltest?“
„Ich glaube, daß ich dies vermöchte,“ gab sie ruhig zur Antwort.
„Er hatte starkes, strohfalbes Haar,“ sprach wieder gefaßt Henricksen.
„Das er ziemlich lang trug,“ ergänzte Marie Anne’s Freundin.
„Im Uebrigen glich er mir an Größe und Haltung?“
„Als ob Ihr Zwillingsbrüder wäret.“
Henricksen steckte das Tuch zu sich und erfaßte meine Hand.
„Komm, Tom Peter,“ sprach er, „mir brennt der Boden unter den Füßen! In Colhorn’s Laden müssen wir weitere Nachrichten einziehen.“
„Ihr wollt mir also das einzige Angedenken an Marie Anne rauben?“ fragte Leonore betrübt.
„Ihr sollt Euer Eigenthum unbeschädigt wieder erhalten,“ erwiderte Henricksen, und ich setzte lächelnd hinzu, das Kinn des hübschen Kindes sanft berührend: „Getröste Dich, Leonore! Dafür, daß Du uns dies Tüchlein auf ein paar Stunden leihst, sollst Du eine Mütze von mir erhalten, um welche Dich alle Deine Mitschwestern beneiden werden!“
Sie machte darauf keinen Versuch, uns länger aufzuhalten. Das gefundene Tuch wohl verwahrend, das Marie Anne am Tage ihres Verschwindens entweder getragen, oder doch bei der Hand gehabt haben mußte, verließen wir den Hof und schlugen die nächsten Richtwege durch das wüste Heideland nach der Seeküste ein.
Mein Weg führte mich von den berühmten Quecksilberwerken von Idria in Kärnthen nach dem Karst, dem höhlenreichen Kalksteinplateau Illyriens. Meine Begleiter, ein Sachse und ein Engländer, und ich beschlossen natürlich, die berühmte Adelsberger Grotte nicht zu übergehen.
In Begleitung von drei Führern und drei Andern, welche die Beleuchtung zu besorgen hatten, traten wir unsern Weg nach der Grotte an. Derselbe führt vom Städtchen Adelsberg hinab in das anmuthige Thal der Poik. Nach Verlauf von einer kleinen halben Stunde erreichten wir den Eingang, der eine natürliche Kluft bildet, die durch ein Gitterthor gesperrt wird. Dicht daneben, aber 60 Fuß tiefer, stürzt sich die Poik durch eine andere Spalte in die Höhle.
Ein breiter, mäßig hoher Gang führte uns erst etwas aufwärts, dann aber 13 Stufen abwärts über eine natürliche Brücke, ein Felsengewölbe, das jedenfalls durch die Poik, welche mindestens 100 Fuß darunter hinbraust, ausgewaschen worden ist, zu dem sogenannten Balcon, von welchem man den ersten größeren Theil der Höhle, den Dom, am besten übersieht. Derselbe, 510 Fuß vom Eingange entfernt, ist 154 F. breit und erhebt sich 70 F. über den Standpunkt des Beschauers, während seine Tiefe unter dem Balcon mindestens das Doppelte beträgt. Wunderbar gestaltete Säulen von Kalksinter (Stalagmiten) von Fingerlänge bis zu 50 Fuß im Umfange und 30 Fuß Höhe, bald als kolossale Baumstämme, bald als riesige Spargel oder unförmliche Statuen gestaltet, scheinen das Gewölbe zu stützen, während gleich seltsam geformte Stalaktiten von der Decke herabhängen. An der einen Seite desselben befindet sich ein Denkmal zur Erinnerung an die Anwesenheit des Kaisers Franz I., mit der Inschrift: „Franz I., Kaiser von Oesterreich, der Gerechte, der Gütige, der Weise, stand am 16. Mai 1816 hier, und besah diesen unterirdischen Schauplatz der wirkenden Natur.“
Von da etwas abwärts steigend, standen wir plötzlich an einer dunklen Kluft, aus welcher das Tosen des Wassers herauf schallte, und an deren Rande hin der Weg in die „alte Grotte“ führt. Hier wurde die Fahrt allerdings etwas gefährlich, aber obgleich der Führer uns abrieth, dieselbe zu betreten, so schritt doch unser Engländer muthig voran und wir eben so rüstig hinterdrein. Dies hatte jedoch sehr bald ein Ende; der schlüpfrige Pfad wurde immer schmaler, bis zu einer Breite von 12–15 Zoll. Rechts hatten wir die steile Felsenwand und links einen Abgrund von 50–70 Fuß Tiefe; ein Ausgleiten auf dem schlammigen Boden hätte uns also jedenfalls das Tageslicht nicht wieder erblicken lassen. Als uns aber der Führer gar noch einen Gang von ungefähr 20–25 Zoll Höhe zeigte, durch welchen wir auf allen Vieren im Schlamme hindurchkriechen sollten, so erklärten wir einstimmig, auf die Wunder dieses Theiles der Höhle Verzicht leisten zu wollen; nur der Engländer steckte noch neugierig den Kopf hinein, da ihm aber in demselben Augenblicke ein herabfallender Tropfen die Stearinkerze auslöschte,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 700. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_700.jpg&oldid=- (Version vom 1.12.2020)