Verschiedene: Die Gartenlaube (1858) | |
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No. 50. | 1858. |
Es war Abend, als wir die kleine, aber lebhafte Hafenstadt betraten. Wir verfügten uns sogleich nach Colhorn’s Laden, in dem es, wie immer, viel zu thun gab. Eine beträchtliche Anzahl Matrosen, deren Aeußeres wenig Anziehendes hatte, weil sie eben erst gelandet waren, versorgten sich mit neuen Kleidungsstücken. Besonders stark begehrte Artikel waren blau- und rothwollene Jacken. Aber auch Beinkleider, feine seidene Halstücher, schwarzlederne Glanzmützen und andere Dinge mehr fanden guten Absatz.
Wir warteten, bis der Laden sich etwas geleert hatte, und fragten dann nach dem Besitzer desselben. Herr Colhorn trat uns sogleich entgegen, um zu hören, was wir etwa begehren möchten. Henricksen zog das sauber zusammengelegte Tuch hervor und reichte es ihm mit der Frage, ob er dasselbe als bei ihm gekauft anerkenne.
Herr Colhorn unterwarf es einer genauen Prüfung und bejahte dann die Frage, indem er etwas pikirt den Grund derselben zu wissen verlangte. Henricksen wollte aufbrausen, weshalb ich ihn zu schweigen bedeutete und statt seiner das Wort ergriff.
„Sie werden uns einige Minuten Gehör schenken, Herr Colhorn,“ sprach ich, „und zwar ohne Zeugen. Es handelt sich um ein Menschenleben, um die Entdeckung einer spurlos verschwundenen Persönlichkeit.“
„Und die vermuthen Sie mit Hülfe dieses Tüchleins aufzufinden?“ warf er lächelnd ein.
„Wir hegen in der That diese Hoffnung.“
Herr Colhorn schüttelte den Kopf, öffnete aber gleichzeitig die Thür seines Privatzimmers und bat uns, einzutreten. Er folgte und schloß hinter sich zu.
„Wir sind jetzt ungestört,“ sagte er, „sprechen Sie also!“
Ich theilte ihm möglichst kurz das Vorgefallene mit und Herr Colhorn hörte mit gespannter Aufmerksamkeit zu. Als ich geendet hatte, sagte er:
„Was aber kann ich dabei thun? Es sind bei mir ganz ähnliche Tücher von Vielen gekauft worden, kann ich da wissen, wer gerade dieses eine davon käuflich an sich gebracht hat?“
„Es verkehren bei Ihnen vorzugsweise viele nordische Seeleute,“ versetzte ich, „Schweden, Norweger, Finnen und Russen.“
„Wohl wahr,“ erwiderte Colhorn, „allein die meisten dieser meiner ab- und zugehenden Kunden kenne ich nicht dem Namen nach.“
Ich machte den Kaufmann jetzt darauf aufmerksam, daß der Kauf des Tuches vor drei Jahren stattgefunden habe, bemerkte ferner die Jahreszeit, in der dies ohne Frage geschehen sein mußte, und wagte zuletzt sogar den Tag des Kaufes zu bestimmen.
„Sie sind gewiß ein gewissenhafter Kaufmann und führen also genau Buch,“ schloß ich meine Bemerkungen, „Es dürfte sich daher der Tag ermitteln lassen, an welchem das Tuch bei Ihnen gekauft ward, und wenn ich Ihnen außerdem noch sage, daß der Käufer ein Steuermann war, starkes strohfarbenes Haar trug und von Figur völlig diesem meinem Freunde hier glich: so genügen vielleicht diese Andeutungen zur Ermittelung des Käufers.“
„Das wäre in der That nicht unmöglich,“ versetzte Herr Colhorn. „Steuerleute entnehmen von mir gewöhnlich viele Artikel, es kommt sogar häufig vor, daß sie für einen Theil der Mannschaft mit einkaufen, weil diese gewöhnlich kein Geld hat. In diesem Falle pflege ich den Namen der betreffenden Steuerleute in mein Buch zu schreiben und die von mir entnommenen Artikel einzeln dabei aufzuführen! Wollen Sie mir noch einmal den Tag nennen?“
Ich that es.
„Sie sollen auf der Stelle eine ganz bestimmte Antwort erhalten,“ sprach Herr Colhorn, zog den Schellenzug und befahl dem eintretenden Burschen, das Ladenbuch vom Jahre 17.. zu bringen.
Eine Minute später lag dasselbe vor uns.
Unter lautem Herzklopfen folgten wir den suchenden Augen des Kaufmannes.
„Der achte September, glauben Sie, war es?“ fragte er, die einzelnen Tage überfliegend.
„Der Kauf muß zwischen dem sechsten und neunten dieses Monats geschehen sein,“ antwortete Henricksen.
Colhorn las weiter und murmelte dabei halblaut eine Menge fremd klingende Namen vor sich hin. Plötzlich rastete der suchende Finger.
„Steuermann Torkel Veen vom russischen Schoonerschiff „Pawlowsk?“ sprach er. „Den Mann muß ich kennen – er trägt strohblondes Haar, ist von gedrungener Gestalt, jung und gewandt, und er hat, wie ich selbst hier notirt habe, am siebenten September des genannten Jahres ein solches Tuch gekauft.“
Henricksen ward bald bleich, bald roth. Die Spur des Räubers seiner Braut – denn dafür hielt er jetzt den bezeichneten Steuermann – war durch das zufällig aufgefundene Tuch, wie es schien, glücklich entdeckt worden.
„Hat sich der Mann inzwischen wieder hier blicken lassen?“ fragte ich den gefälligen Kaufmann.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 713. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_713.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)