sei dein täglich Brod. Dann wirst du gewiß ein tüchtiger Musiker. –
Suche unter deinen Kameraden die aus, die mehr als du wissen. –
Von deinen musikalischen Studien erhole dich fleißig durch Dichterlectüre. Ergehe dich oft im Freien! –
Von Sängern und Sängerinnen läßt sich manches lernen, doch glaube ihnen auch nicht alles. –
Hinter den Bergen wohnen auch Leute. Sei bescheiden, du hast noch nichts erfunden und gedacht, was nicht Andere vor dir schon gedacht und erfunden. Und hättest du’s, so betrachte es als ein Geschenk von Oben, das du mit Anderen zu theilen hast. –
Das Studium der Geschichte der Musik, unterstützt vom lebendigen Hören der Meisterwerke der verschiedenen Epochen, wird dich am schnellsten von Eigendünkel und Eitelkeit curiren. –
Ein schönes Buch über Musik ist das: „Ueber Reinheit der Tonkunst“ von Thibaut. Lies es oft, wenn du älter wirst. –
Gehst du an einer Kirche vorbei und hörst Orgel darin spielen, so gehe hinein und höre zu. Wird es dir gar so wohl, dich selbst auf die Orgelbank setzen zu dürfen, so versuche deine kleinen Finger und staune vor dieser Allgewalt der Musik. –
Versäume keine Gelegenheit, dich auf der Orgel zu üben; es giebt kein Instrument, das am Unreinen und Unsauberen im Tonsatz wie im Spiel alsogleich Rache nähme, als die Orgel. –
Singe fleißig im Chor mit, namentlich Mittelstimmen. Dies macht dich musikalisch. –
Was heißt denn aber musikalisch sein? Du bist es nicht, wenn du die Augen ängstlich auf die Noten gerichtet, dein Stück mühsam zu Ende spielst; du bist es nicht, wenn du (es wendet dir Jemand etwa zwei Seiten auf einmal um,) stecken bleibst, und nicht fortkannst. Du bist es aber, wenn du bei einem neuen Stück das, was kommt, ohngefähr ahnest, bei einem dir bekannten, auswendig weißt, — mit einem Worte, wenn du Musik nicht allein in den Fingern, sondern auch im Kopf und Herzen hast. –
Wie wird man aber musikalisch? Liebes Kind, die Hauptsache, ein scharfes Ohr, schnelle Auffassungskraft, kömmt wie in allen Dingen von Oben. Aber es läßt sich die Anlage bilden und erhöhen. Du wirst es, nicht dadurch daß du dich einsiedlerisch Tagelang absperrst, und mechanische Studien treibst, sondern dadurch, daß du dich in lebendigem, vielseitig-musikalischem Verkehr erhältst, namentlich dadurch, daß du viel mit Chor und Orchester verkehrst. –
Höre fleißig auf alle Volkslieder; sie sind eine Fundgrube der schönsten Melodieen, und öffnen dir den Blick in den Charakter der verschiedenen Nationen. –
Uebe dich frühzeitig im Lesen der alten Schlüssel. Viele Schätze der Vergangenheit bleiben dir sonst verschlossen. –
Achte schon frühzeitig auf Ton und Charakter der verschiedenen Instrumente; suche ihre eigenthümliche Klangfarbe deinem Ohr einzuprägen. –
Gute Opern zu hören, versäume nie. –
Ehre das Alte hoch, bringe aber auch dem Neuen ein warmes Herz entgegen. Gegen dir unbekannte Namen hege kein Vorurtheil. –
Urtheile nicht nach dem Erstenmalhören über eine Composition; was dir im ersten Augenblick gefällt, ist nicht immer das Beste. Meister wollen studirt sein. Vieles wird dir erst im höchsten Alter klar werden. –
Bei Beurtheilung von Compositionen unterscheide, ob sie dem Kunstfach angehören, oder nur dilettantische Unterhaltung bezwecken. Für die der ersten Art stehe ein; wegen der anderen erzürne dich nicht! –
„Melodie“ ist das Feldgeschrei der Dilettanten, und gewiß eine Musik ohne Melodie ist gar keine.
Robert Schumann: Musikalische Haus- und Lebensregeln. Robert Friese, Leipzig 1850, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Musikalische_Haus-_und_Lebensregeln.pdf/3&oldid=- (Version vom 1.8.2018)