Verschiedene: Wünschelruthe | |
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So man bey Diesem wie bey Dem erfunden.
Doch wer dem Andern vorzuziehn, ist streitig;
Das Volk, getheilt, bekämpft sich wechselseitig;
Und schwebt in Sorgen, harrend, wer von dannen
Ob es der Wuth gelingt den Muth zu bannen,
Ob Tapferkeit besiegt tollkühnes Wagen. -
Doch mehr noch fühlt, als die besorgten Mannen,
Das holde Kind Herminja Sorg’ und Plagen,
Befahret ihres bessren Theils Vernichtung.
Sie war ein Kind Kassan’s, dem die Gefilde
Von Antiochjen unterthänig waren.
Sammt Reich und Beuten fiel dieß Frauenbilde
Nun aber wies sich ihr der Tankred milde,
Ließ sie kein Leid in ihrer Haft erfahren;
Auf ihres hohen Vaterlands Verheerung
Empfing sie noch als Königinn Verehrung.
Sie frey zurück, der Ritter seltner Güte;
Sorgte, daß Niemand ihr die Hab’ entwandte,
Daß all ihr Gold, all ihr Gestein sie hüte.
Sie sah ihn, der im Glanz der Jugend brannte,
Und blieb von Lieb gefesselt, so die Schlingen
Nur fest und fester zieht beym Gegenringen.
So kam’s, daß, war der Leib auch frey, doch immer
Herz und Gemüthe sich in Fesseln fanden.
Vom süßen Herrn, von den geliebten Banden.
Doch königliche Zucht und Scheu, die nimmer
Aus einer edlen Maid Gemüthe schwanden:
Die zwangen sie, zu Freunden sonder Weilen
Und sie begeben sich gen Sion’s Mauern,
Wo sie beym Heidenkönig Schutz erlangen.
Bald muß sie dort der Mutter Tod betrauern
Vom düsterlichen Leidgewand umfangen.
So im unseel’gen Bann ihr Herz durchdrangen,
Solch sehnend Lieben, das die Seele fühlet,
So großer Gluthen Flamme nie gekühlet.
Sie liebt und glüht; bey’m Hoffen Trost zu holen
Und Speiße den verschlossnen Liebeskohlen
Kann nur Erinnrung, Hoffnung nicht, vergönnen;
Und umjemehr dieß Glühn geheim, verstohlen
Im Busen glimmt, jehöher steigt sein Können!-
Der Tankred her, ihr Hoffen aufzufrischen.
Die andern Städter allzumahl erschauen
So viel, unbändig Volk mit bangem Harme.
Klar aber wird der trübe Blick der Frauen,
Den lieben Freund aufsuchend, rings die Auen
Durchlugt mit sehnsuchtvollem Blick die Arme;
Lugt oft umsonst; oft wähnt sie klar und lauter
Zu sehn, und spricht: „ja, dieser ist mein Trauter!“
Historische Lieder.
Hätten wir alle Zeiten hindurch die Gedichte, welche bei oder gleich nach den Begebenheiten gemacht sind und stellten sie chronologisch neben einander, so hätten wir darin ein Buch, das, indem es jedesmal die Welt- und historischen Ansichten der Zeitgenossen enthielte, eine Geschichte bildete, die, wenn sie auch faktisch abweichend wäre, doch das innerste Treiben und Leben des Volks uns klarer machen würde, als hundert Compilationen.
Wir sehen dieß selbst jetzt noch; vergleichen wir nur die Gedichte die seit 30 Jahren entstanden, und sich auf die Zeit beziehen; welchen Spiegel der ganzen Nation, ihrer Denkungsart, ihrer Wünsche, Hoffnungen, Lage, Gebrechen, der Stufe ihrer Bildung etc. besitzen wir in ihnen. Und doch leben die jetzigen Dichter nicht recht eigentlich im Volke mehr, wie viel mehr würden jene Gedichte uns sein die zum Theil im Volke entstanden, gesungen und verklungen sind, anderen Platz machend. Sie sind gleichsam wie der Chor der Tragödie, die Stimme der Welt und Nemesis bei den Thaten des Volks.
Im Einzelnen läßt sich hier nichts sagen, ihr poetischer Werth ist oft gering, doch ist 36. 101 nicht ohne solchen und 102 hat etwas prophetisches.
Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_179.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)