Einführung zum Thema
Anaesthesiologie
https://doi.org/10.1007/s00101-022-01229-1
Angenommen: 7. November 2022
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Springer Nature 2022
Weaning beginnt bereits mit der
Beatmung
Zentraler Bestandteil des intensivmedizinischen Alltags
Onnen Moerer
Klinik für Anästhesiologie, Universitätsmedizin Göttingen, Georg-August-Universität Göttingen,
Göttingen, Deutschland
Die invasive maschinelle Beatmung ist aus
der modernen Intensivmedizin nicht wegzudenken und schafft neben der direkten
Behandlung der respiratorischen Insuffizienz v. a. die Zeit für die Behandlung der
zugrundeliegendenUrsache[1]. Jedes Jahr
werden weltweit mehr als 1 Mio. Patienten
wegen eines akuten respiratorischen Versagens beatmet. Die Beatmung stellt eine
potenziell lebensrettende Maßnahme dar,
und wir haben heute Technologien und
-verfahren an der Hand, die eine differenzierte und individualisierte Beatmung
ermöglichen. Eine vorzeitige Beendigung
der Beatmung oder ein fehlgeschlagener
Extubationsversuch mit Reintubation birgt
das Risiko einer erhöhten Rate von beatmungsassoziierten Pneumonien und hat
Einfluss auf das Outcome der Patienten.
Auf der anderen Seite kann eine prolongierte Beatmung zu lebensbedrohlichen
Komplikationen führen, ist mit einer unnötig langen Sedierungsdauer, längeren
Verweildauer auf der Intensivstation und
einem hohem intensivmedizinischen Ressourcenverbrauch, Morbidität und Mortalität verbunden [2, 3]. Das gilt insbesondere
für das prolongierte Weaning, ein häufiges
und klinisch relevantes Problem [3].
» Jährlich werden weltweit mehr
als 1 Mio. Patienten wegen akuten
respiratorischen Versagens beatmet
Aufgrund des demografischen Wandels
und der wachsenden Zahl älterer Menschen in Deutschland sowie der Multimorbidität beatmeter Patienten wird die Zahl
der Patienten mit prolongiertem Weaning
zukünftig weiter steigen.
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Ziel ist es, die Beatmung zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu beenden.
„Das Weaning beginnt mit der Beatmung“
Damit ist der erste Schritt der, das Team für
dieses Ziel zu sensibilisieren und die Rahmenbedingungen zu hinterfragen. Ist die
Grunderkrankung ausreichend therapiert?
– Muss mein Patient oder meine Patientin so tief sediert sein? Muss sie oder er
überhaupt sediert sein? Ist mein Zielwert
auf der Richmond Agitation Sedation Scale
(RASS) erreicht? – Muss er oder sie kontrolliert beatmet werden? Toleriert sie oder er
eine assistierende Beatmung? Und wenn
ja, ist die Höhe der Druckunterstützung
wirklich erforderlich? ... Wie viel Atemarbeit muss mein Patient leisten? Wie viel
kann er leisten? . . . Stimmt die Flüssigkeitsbilanz? Ist die Lunge noch zu feucht? Ist
mein Patient mangel- oder überernährt?
Ist eine Mobilisation begonnen worden
und möglich? ...
Die hier aufgeführten Fragen sind exemplarisch zu sehen. Es sind die üblichen
Fragen, die sich wie an einer Perlschnur
aufreihen lassen und am Ende jedes Organ
einbeziehen. Und wir merken nicht nur,
dass alle Fragen direkt oder indirekt die
Lunge bzw. das respiratorische System ins
Visier nehmen, sondern auch, dass wir am
Ende Zeit und Personal brauchen, um die
Antworten auf unsere Fragen zu erarbeiten
und die therapeutischen Konsequenzen zu
ziehen.
Beim Großteil der Patienten gestaltet
sich der Prozess problemlos, stellt den Intensivmediziner bei Patienten im prolongierten Weaning allerdings vor teilweise
große Herausforderungen und verursacht
einen erheblichen Teil der ArbeitsbelasDie Anaesthesiologie
1
Einführung zum Thema
tung des Personals auf einer Intensivstation [4]. Nicht selten liegt eine hochkomplexe Kombination folgender Faktoren vor:
– inkomplette pulmonale Resolution
des aktuellen Ereignisses (z. B. der
Pneumonie),
– Folgen der prolongierten Beatmung
(eingeschränkte Lungenfunktion
infolge beatmungsinduzierter Lungenschäden, ventilatorinduzierte
Funktionsstörung des Zwerchfells),
– direkte Folgen der kritischen Erkrankung (z. B. Critical-Illness-Polyneuropathie und -Myopathie, septische
Kardiomyopathie) und
– vorbestehende Komorbiditäten mit
direkter Auswirkung (z. B. Herz- und
Niereninsuffizienz).
Aufgrund der Bedeutung der Entwöhnung
von der mechanischen Beatmung steht
das Weaning im kontinuierlichen wissenschaftlichen Fokus, mit dem Ziel der Ermittlung der effektivsten und effizientesten Methoden. Darüber hinaus ist es auch
Gegenstand von Initiativen zur Qualitätsverbesserung, um Evidenz und bewährte Verfahren umzusetzen. Hierzu gehört
die interdisziplinäre und interprofessionelle Erstellung von Leitlinien [5–7], aber auch
die Zertifizierung der Entwöhnung von der
Beatmung in der Intensivmedizin, die sich
die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) und andere zur Aufgabe gemacht haben [8].
» Der komplexe Prozess des
Weanings muss in einem
ganzheitlichen Ansatz adressiert
werden
In dieser Ausgabe der Zeitschrift Die
Anaesthesiologie fassen Prof. Johannes
Bickenbach und Dr. Sebastian Fritsch die
Herausforderungen zusammen, die die
Entwöhnung von der Beatmung an uns
stellt [9]. Hierbei ist es den Autoren in
ihrem sehr lesenswerten Artikel gelungen,
einen großen allumfassenden Bogen zum
Thema Weaning zu schlagen. Beginnend
mit aktuellen Definitionen und Klassifikationen sowie der Pathophysiologie
informiert der Beitrag über allgemeine
therapeutische Strategien, Prädiktoren des
Weaning-Erfolgs, den Stellenwert automatisierter Weaning-Algorithmen und die
2
Die Anaesthesiologie
Besonderheiten bei COVID-19 bedingtem
Lungenversagen. Last but not least werden die außerklinische Beatmung sowie
das langfristige Outcome nach einfachem
und prolongiertem Weaning behandelt.
Die Autoren greifen für den Leser zentrale
Aspekte und Empfehlungen zum Weaning
auf, wie sie die umfangreichen nationalen
Leitlinien [4–6], insbesondere die kürzlich
revidierte S2k-Leitlinie zum prolongierten
Weaning [5], zum Gegenstand haben und
ergänzen diese um aktuelle Studien auf
diesem Gebiet. Bickenbach und Fritsch
betonen zu Recht, dass der komplexe
Prozess des Weanings in einem ganzheitlichen Ansatz adressiert werden muss.
Beatmungskomplikationen vermeiden
heißt auch, prolongierte Beatmung und
Schwierigkeiten beim Weaning vermeiden. Bickenbach und Fritsch widmen sich
deshalb den Komplikationen einer nichtprotektiven Beatmungseinstellung und
den Problemen einer kontrollierten Beatmung. Der Vermeidung von „ventilatorassociated pneumonia“ (VAP), „ventilatorinduced lung injury“ (VILI) und „ventilator-induced diaphragmatic dysfunction“
(VIDD) muss im klinischen Alltag, wenn
möglich, eine hohe Priorität eingeräumt
werden, um die Inzidenz prolongierter
Weaning-Verläufe positiv zu beeinflussen.
Die wichtigsten Schritte im Entwöhnungsprozess, zur Vermeidung einer
unnötigen Verlängerung der mechanischen Beatmung, sind das rechtzeitige
Erkennen („diagnostic triggering“) der
Bereitschaft zur Entwöhnung und der
Bereitschaft zur Extubation. Im Rahmen
des Screenings (adäquate Oxygenierung?
Pulmonale und mentale Funktion? Klinische Stabilität?) und der Anwendung
von Screeningtests wie dem weithin etablierten Rapid Shallow Breathing Index
(RSBI, Beatmungsfrequenz/Tidalvolumen
[f/VT]) wird überprüft, ob die Bedingungen für einen Spontanatmungsversuch
erfüllt sind. Der prädiktive Wert des RSBI
wird immer wieder hinterfragt, und die
Autoren stellen neuere Ansätze wie den
Integrative Weaning Index (IWI) vor. Allerdings muss grundsätzlich angemerkt
werden, dass der RSBI nicht die „Extubierbarkeit“ testet und uns damit auch
nicht von der Aufgabe befreit nachzuweisen, dass der Patient dazu in der Lage
ist, eine suffiziente Spontanatmung ohne
Unterstützung durch das Beatmungsgerät
aufrechtzuerhalten [10].
» Fortwährende Kontrolle aller
Organfunktionen und Angehen
behebbarer Einflüsse sichern den
Erfolg
Dem multifaktoriellen Puzzle der Ursachen, die eine erfolgreiche Befreiung vom
Beatmungsgerät verhindern, widmen die
Autoren einen beträchtlichen Teil ihres
Leitthemenartikels. Dieser Schwerpunkt
ist meines Erachtens wohlbegründet, denn
der immer wiederkehrende Rundumblick
auf alle Organfunktionen und das Angehen
behebbarer Einflüssemachenam Endeden
entscheidenden Unterschied. Die Autoren
betonen weiterhin, dass „für die Behandlung dieser hochkomplexen Patienten
eine systematische Gesamtstrategie unter
Beteiligung zahlreicher Fachdisziplinen
und Berufsgruppen erforderlich ist“. Die
Erfüllung von Strukturmerkmalen, wie die
Durchführung gemeinsamer Visiten und
interprofessionellen Fallbesprechungen,
kann dazu beitragen.
Der Beitrag kann dem Leser nur empfohlen werden, nicht nur, um in Kürze einen
Überblick über den gesamten Prozess der
Entwöhnung von der Beatmung und die
allgemeinen Behandlungsstrategien zu erhalten, sondern auch, um dafür begeistert
zu werden, sich darüber hinaus noch tiefer
in einen der Dreh- und Angelpunkte moderner Intensivmedizin zu einzuarbeiten.
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. med. Onnen Moerer
Klinik für Anästhesiologie, Universitätsmedizin
Göttingen, Georg-August-Universität
Göttingen
Göttingen, Deutschland
onnen.moerer@med.uni-goettingen.de
Interessenkonflikt. O. Moerer gibt an, dass kein
Interessenkonflikt besteht.
Literatur
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awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/001-021l_S3_
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26.11.2022
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Die Anaesthesiologie
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