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Die Choralreform im lutherischen Baltikum und Punschels Universal-Choralbuch (1839)

1994, IAH Bulletin 22

IA H B U L L E T IN P ublikation d er In te rn atio n a le n A rbeitsgem einschaft fü r Hymnologie In te rn a tio n a l Fellow ship for R esearch in Hymnology C ercle In te rn atio n a l d ’E tudes Hym nologiques Nr. 22 Juli 1994 Das 19. J a h rh u n d e rt im K irchenlied. V orträge u n d R efe ra te d e r lA H -T a g itn g 1993 J ä rv en p ä ä - F in la n d Rijksuniversiteit G roningen Instituut voor Liturgiew etenschap R e d a k t io n : H ed d a T. D urnbaugh D r. Ja n R . Luth Instituut voor Liturgiew etenschap Nieuwe Kijk in ’t Jatstraat 104 N L - 9712 SL G roningen ISSN 0925-5451 IA H -Sekretariat: M agda R iehm Beethovenstr. 2 D-69121 H eidelberg E r sc h e in t in d e r R e g e l e in m a l jä h rlic h D e r P reis f ü r d a s B u lle tin ist f ii r IA H -M itg lie d e r im M itg lied sb eitra g begriffen, B ib lio th e k sp reis 2 5 .-D M . I n h a lt/C o n te n ts In M em oriam C hristian B runners, Leon W itkowski 1908-1992 1 K arol W urm 1913-1993 3 D ragotin Cvetko 1911-1993 7 G ru ß der IA H an K onrad A m eln zum 95. G eburtstag 9 H a u p tr e f e r a te C hristian B unners T oom as Siitan K arl D o rneger A ustin C. Lovelace A ndreas M arti Theologische P rogram m e und Problem e im K irchengesang des 19. Jahrh u n d erts 11 D ie C horalreform im lutherischen Baltikum und Punscheis U niversal­ C horalbuch (1839) 37 D as 19. Jah rh u n d ert im deutschsprachigen katholischen K irchenlied 51 P opulär M usic C ulture and C hurch Song in N ineteenth-C entury A m erica 79 V erordnet oder aus dem Volk? K irchengesang zwischen H errschaftsinstrum ent und M ittel der Em anzipation 93 R une J. A ndersen M arkus Jenny Hym nologie und H ym nodie in Konflikt: B etrachtungen aus ästhetischer Perspektive 111 D ie Stärken und Schwächen der hymnologisch-enzyklopädischen A rbeit im 19. Jah rh u n d ert und die A ufgaben der Hym nologie heute 135 Ü b r ig e B e itr ä g e Elisabet W entz-Janacek M echthild W enzel A lan Luff Erkki T uppurainen Inger Selandcr G erh ard C artford Volksvarianten und neues Liedgut eine kleine U ntersuchung aus Südschweden 1820-1900 143 V ortrag zur Eröffnung der Gesangbuch -Ausstellung in L uthers Sterbehaus, L utherstadt Eisleben, 16. M ärz 1993 151 T he B aroque Captivity of the G erm an C hurch and the rom antic captivity of the English churches 159 D as Sam ische (Lappische) Kirchengesangbuch Finnlands 1993 163 Chorales and hymns in the Swcdish tem perance m ovem ent 1880 to 1920. 167 Ludvig M . Lindem an and Folk Style Hym nody 181 H edw ig T. D urnbaugh "Die W erkstatt stellt sich vor" A u th o rs’, C om posers’, T ranslators’ W orkshop H inw eise zur M anuskripterstellung IA .H . Bulletin G uidelines for the P rep aratio n of M anuscripts I.A .H Bulletin 37 D ie C h o r a lr e fo r m im lu th e r is c h e n B a ltik u m und P u n s c h e is U n iv e r s a l­ C h o r a lb u c h (1 8 3 9 ) T o o m a s S iit a n W ir sollten bei der G eographie anfangen und den Begriff "Baltikum" bestim m en. W enn auch in heutiger Politik die drei baltischen Staaten - ­ E stland, L ettland und L itauen - m eistens als ein einheitliches G anzes angesehen w erden, kann von einer kulturhistorischen Einheit dieser L änder jedoch keine R ed e sein. Seit dem 16. Jah rh u n d ert teilte das heutige Baltikum sich in vier G ebiete auf: E stland, Livland, K urland und das m it Polen vereinigte Litauen. A n das letzte schloß sich auch der östliche Teil Lettlands, Latgale an; als rekatholisiertes G ebiet bleibt es aber außerhalb dieser B etrachtung. D as H erzogtum K urland gehörte bis zum E nde des 18. Jah rh u n d erts als V asallenstaat zu Polen-L itauen, welches aber den deutschen und protestantischen C harakter Kurlands anerkannte. Livland um faßte das heutige N ord-L ettland und Süd-Estland; der Status der nördlichen und westlichen G ebiete Estlands hat sich m ehrm als geändert. Nach dem N ordischen K rieg gingen E stland und Livland gem äß dem russisch­ schw edischen Friedensvertrag in russischen Besitz über, und seit der dritten T eilung Polens 1795 standen E stland, Livland und K urland auf der K arte R ußlands als drei Baltische G ouvernem ents. D ieser historische Exkurs m ag die V erw altungsordnung der lutherischen K irche sowie die verw ickelte sprachliche Situation im Baltikum im 19. Jh. begreiflich m achen; daraus näm lich erklären sich die G eschichte des hiesigen G esangbuches und die V erordnungen zum Kirchengesang. Zum Beispiel w urden am A nfang des 19. Jh. auf diesem G ebiet, das in der G rö ß e m it dem heutigen Ö sterreich vergleichbar ist, die G esangbücher in fünf Sprachen gedruckt: auf R eval-E stnisch (für das G ouvernem ent E stland), auf D o rp a t­ Estnisch und Lettisch (für das G ouvernem ent Livland), auf K urländisch­ Lettisch, und auf D eutsch für deutsche G em einden, dabei noch getrennt für E stland und Livland. 1818. wurde in St. Petersburg ein besonderes G esang­ buch für deutsche G em einden in R ußland gedruckt. D iese G esangbücher w aren u ntereinander wesentlich verschieden. W ie verschiedenartig der K irchengesang in m usikalischer H insicht war, können wir uns heute kaum vorstellen. W egen der verw ickelten politischen und adm inistrativen Lage und des wirtschaftlichen Tiefstand nach m ehreren 38 K riegen w urden im ganzen Baltikum bis zum E nde des 18. Jah rh u n d erts zu den lediglich Texte enthaltenden G esangbücher keine M elodienbücher gedruckt. Z u r E ntstehung dieser m annigfaltigen V ariabilität haben auch die ersten volkssprachigen Liedübersetzungen (hauptsächlich aus dem A nfang des 17. Jh.) von deutschen Pastoren, die in hiesigen Sprachen nur kläglich dichten konnten, sicherlich mitgeholfen. In E stland w aren diese Texte oft ohne R eim und Rhythm us, und es ist schwer vorzustellen, wie sie überhaupt gesungen w urden. U m 1700 haben die in D eutschland geschulten P astoren und K irchenm usiker den G esang in den estnischen G em einden m ehrm als scharf kritisiert und m anche w aren der M einung, hier w erde keine einzige W eise richtig (d.h. wie in D eutschland) gesungen. E s ist tatsächlich schwer, sich einen einstim m igen G em eindegesang in dieser Z eit vorzustellen, und natürlich w urde die reichliche Tradition des volkstüm lichen Choralsingens, das hier noch am A nfang des 20. Jh. einigerm aßen erhalten war, dam als nicht geschätzt. Seit der M itte des 16. bis zum A nfang des 18. Jh. haben die K riege zwischen R ußland, Schw eden und Polen Livland schonungslos verw üstet. D iese M ächte w urden h ier auch von verschiedenen K irchen vertreten, als K onkurrenten haben hier Schweden und Polen m öglichst starke Erziehungssystem e aufzubauen versucht. In dieser arm en Zeit konnte m an zwar die ersten volks­ sprachigen G esangbücher in D ruck geben, jedoch kein Choralbuch. M an kann nur verm uten, welche Choralbücher hier in diesen Jah rh u n d erten gebraucht w urden; offensichtlich stam m ten sie aus verschiedenen deutschen G ebieten und die Ausw ahl w ar zufällig - das, was m an erreichen konnte. A uch in H andschrift um geschriebene C horalbücher w urden verw endet. Im Estnischen Literarischen M useum zu T artu, im Archiv der G elehrten Estnischen G esellschaft wird ein von G ustav Swahn, dem O rganisten bei der H elm etschen Kirche, A nno 1774 m it bew undernsw ertem Fleiß geschriebenes und gebundenes C horalbuch1 aulbew ahrt, das 162 M elodien zu 373 Liedern enthält; d aru n ter finden sich auch wenig bekannte M elodien, teilweise offen­ sichtlich örtlicher H erkunft. D ie Choräle sind in dieser Sam m lung im 2- und 3-stim m igen Satz m it G eneralbaß gegeben, die M elodien sind in R okoko­ M anier reichlich verziert und die Sprünge m eistens mit D urchgangstönen gefüllt. E lm ar A rro (1899-1985) beschreibt* 2 eine etwas spätere h and­ E estnisches und D eutsches C horal-B uch, o d e r Sam m lung aller M clodeyen die bey das I'.estnische G esangbuch im Pernauschcn K reyse gebraucht w erden. Z usam m en getragen von G ustav Swahn, O rganiste bey d e r H elm etschen Kirche A nno 1774. /K M KO Ö ES: M .A .51/ A R R O , E. G eschichte d e r baltischen K irchenm usik und geistlichen T onkunst. H andschrift. S.213a. 39 schriftliche C horalsam m lung des O rganisten der R igaer Petrikirche J.A .F ehre3. A m A nfang des 19. Jh. war das Fehlen örtlicher C horalbücher das größte Problem beim baltischen Kirchengesang. 1840 schrieb der M usikdirektor der U niversität zu T a rtu F riedrich B renner4: E s ergab sich nun, daß der öffentlichen G ottesverehrung eine nam hafte Z ahl in ihren M elodien wesentlich abw eichenden C horalbücher zugrunde lag, welche überdies, je nach den A nsichten des jedesm aligen O rganisten oder V orsängers, in einzelnen Stücken ih rer A nw endung noch M odification im Gefolge hatten, die vollends jed en festen H altpunkt für den G esang der G em einde raubten. G eorg M ichael T elem ann schrieb im V orbericht zu seinem C horalbuch A nno 1812: M an h ö rt leider an m anchen O rten, bei der Begleitung des G esanges einer G em einde m it der O rgel, nur gar zu deutlich was für häßliche Z usam m enstim m ungen und D isharm onien daraus en t­ stehen, w enn Jem an d in diesem Stück eigensinnig ist, und bloß das von seinem V orgänger geerbte, oder von ihm selbst, ohne genügsam e K enntniß w eder der authentischen, noch lokalen Beschaffenheit der C horal-M elodien ... zusam m en getragenes C horalbuch das G esetz seyn läßt, wonach sich seine G em einde in ihrem G esänge bestim m en soll. D e r Stand des G em eindegesangs hing wesentlich auch davon ab, ob er von der O rgel her oder vom V orsänger geleitet wurde. In den g rößeren Kirchen, wo geschulte O rganisten den C horal m it konzertartigen Zw ischenspielen verzierten, drängten sie den G em eindegesang in den H intergrund. D arü b er berichtet der P asto r Joh an n L eberecht E hregott Punschei in seiner Schrift U eb er d e n E v a n g e lisc h e n C h o ra l-M e lo d ie n -G e sa n g in d e r R u ss isc h e n O stseeg o u v e m e m e n ts (R iga, 1840): H ö rt m an doch ja selbst in den Kirchen unserer g rößeren Städte bei voller V ersam m lung selten oder nie eine G em einde singen, sondern n u r die O rgel spielen und etw a Einzelne singen, wie diese es gerade verstehen. In kleineren, hauptsächlich ländlichen G em einden, wo es keine O rgel oder keinen ordentlichen O rganisten gab, stand der volkstüm lich variierte C horalbuch mit verschiedenen Zw ischen-Spielen ü ber das Rigische G esangbuch (1800): in d e r B ibliothek d e r G esellschaft für G eschichte und A ltertum skunde, Riga. 4 D as Inland, 1840, Nr.44 Sp.695-696 40 G em eindegesang jedoch sehr verschiedenartigen Beeinflussungen offen, besonders den schlichteren pietistischen L iedern und dem G esang der B rüdergem eine. Im Jah re 1806 sind in K urland ein neues kurländisch-lettisches und 1810 in Livland ein neues lettisches und deutsches G esangbuch in G ebrauch genom m en w orden, w elcher U m stand ein dringendes B edürfnis nach einem neuen C horalbuch aufkom m en ließ. D as erste baltische gedruckte C horalbuch5 w urde von dem in Danzig geborenen kurländischen P astor G ottfried G eorg Mylich (1735-1815) 1810 in M itau6 veröffentlicht7. D ieses kleines Buch - 38 Seiten in Q uartform at - war wohl ziem lich wenig verbreitet, es ist m ir bis heute nicht gelungen, ein Exem plar davon ausfindig zu m achen; nicht einm al d er beste K enner baltischer C horalbücher E lm ar A rro erw ähnt es in seinen Schriften. Im Ja h re 1812 ließ der R igaer D om kantor und M usikdirektor der Stadtkirchen G eo rg M ichael T elem ann (1748-1831) sein C horalbuch in Riga drucken8. W eil die neuen G esangbücher in Livland erst vor zwei Jah ren erschienen, w ar die Z eit zu kurz für die V orbereitung eines Choralbuches, das die verschiedenartige Ü berlieferung des livländischen K irchengesangs durchgearbeitet hätte. U nd das ist T elem anns B estreben auch nicht gewesen. E r fixiert leidenschaftslos n u r die Lage des Choralgesangs in Riga, für etwas A nderes hatte er offensichtlich auch keine Berufung, wie er auch selbst im V orbericht zeugt: Ich bringe die M elodien so, wie sie in unseren R iga’schen K irchen am allgem einsten gehört w erden ... Z um R eform ator der übrigen fühle ich keinen Beruf... G efällt Jem and die hiesige A rt zu singen nicht, dem gestehe ich aufrichtig, dass ich m it derselben auch nicht durchgängig zufrieden bin. C horalbuch, w elches die M elodien des neuen lettischen G esangbuchs en thält. M itau, 1810. H e u te Jelgava R E C K E , J.F.v., N A PIE R SK Y , K.E. A llgem eines S chriftsteller- und G eleh rten ­ Lexikon d e r Provinzen Livland, E sthland und K urland. M itau, 1827-1832. Bd.3 S.295297. Sam m lung a lte r und n eu er C horal-M elodien fü r das seit dem Ja h re 1810 in die evangelisch-lutherischen und reform ierten Kirchen zu Riga und in Livland eingeführte N eue G esangbuch; mit H arm onie verbunden von G eorg M ichael T E L E M A N N , C an to r und M usik-D irektor in Riga. Riga, 1812. 41 T elem ann hatte von seinem b erü h m ten G roßvater G eorg Philipp in H am burg eine gute A usbildung in K irchenm usik bekom m en und studierte an der K ieler U niversität Theologie, deshalb neigte er auch dazu, den in D eutschland gebräuchlichen M elodievarianten den V orzug zu geben - weit m ehr als das in den frü h eren handschriftlichen C horalbüchern im Baltikum der Fall war, wie E lm ar A rro m erkt, im W iderspruch zu seiner einleitenden B ehauptung9. T elem ann geht hier von alten, vom G en eralbaß begleiteten M elodiegebilden aus, denen er bisweilen auch Zw ischenspiele hinzufügt. V erm utlich war die Abw eichung des C horalsatzes vom Z eitgeschm ack sowie die zu enge V erknüpfung m it der örtlichen T radition die U rsache, d aß dieses C horalbuch n u r kurz im G ebrauch blieb und im 19. Jh. ziem lich scharfe K ritik erfuhr, d eren T on auch noch E lm ar A rro benutzt, w enn er schreibt10* : A us der U neinheitlichkeit des W erkes erklärt sich, w arum dieses ... C horalbuch keine V erbreitung finden konnte und bald der vollständigen V ergessenheit anheimfiel: das G anze war leider nur ein Flickwerk, das keiner klaren G rundlinie folgte, sondern lediglich lahm e K om prom isse bot. D ennoch fällt es uns heute schwer zu sagen, inwieweit T elem anns Sam m lung für das erste V iertel des 19. Jh. bedeutend war: W ir könnten auch verm uten, d aß im G egensatz E lm ar A rros B ehauptung das Buch sich wenigstens anfangs als A usfüllung des V akuum s doch ziem lich weit verbreitet hat, dafür spricht auch die H eftigkeit, m it d er Punschei die Sam m lung im Jah re 1825 tadelt. R eform ieren des G em eindegesangs im G eist der A nsichten des 19. Jh. war nur durch Z usam m enstellung eines neuen universalen C horalbuches denkbar, das den B edürfnissen der m ehrsprachigen G esangbücher der ganzen Region in A ugen b eh alten könnte, in m usikalischer H insicht einheitlich w äre und dann auch allgem ein angenom m en w erden könnte. D iese A rbeit h at Johann L eberecht E h reg o tt Punschei (1778-1849), Pastor in L ösern11 vorgenom m en. In den Ja h ren 1825-26 verbreitete er in Livland einen v E .A R R O , o p . d t . S.214. 10 E .A R R O , op. d t . S.215. 11 H e u te Liezere 42 1 t t t R undbrief , in dem er die Lage des Kirchengesangs kritisierte und zur G ründung eines V ereins "für V erbesserung und B elebung des G esangs und Orgelspiels" in Livland und der C horalm elodie-Schulen bei den L andgem einden aufrief. D iese 24 Seiten um fassende H andschrift ist ein sehr aufschlußreiches D okum ent zum Stand und zu den Problem en des hiesigen K irchengesangs am Anfang des 19. Jh. D anach b ereitet er m it U nterstützung der ersten fünf livländischen Provinzialsynoden (1834-38) und eines von ihnen gegründeten K om itees ein neues C horalbuch vor, welches 1839 in Leipzig durch B reitkopf und H ärtel publiziert wurde. J.L .E .P unschel stam m te aus Sachsen (geboren in E hrenfriedersdorf bei C hem nitz). 1790-98 w ar er Schüler der Thom asschule in Leipzig, (in der Z eit des K antors Jo h an n A dam H iller) und studierte anschließend 1798-1801 an der Leipziger U niversität Theologie. Als er sich 1825 zum L eiter der hiesigen C horalreform anbot, betonte er auch selbst die besondere B edeutung dieser Erziehung: ...weil m ir G o tt das, wenigstens hier in Liefland seltene Glück gew ährt hat, daß ich von m einem 5 Jah re an in Sachsen für K irchen­ gesang und Orgelspiel m ethodisch unterrichtet und gebildet, von m einem 12ten Ja h re aber in Leipzig auf der Thom as-Schule, unter L eitung des V aters eines bessern G esanges u nter den D eutschen, des seel. C apellm eister Hiller, darin vervollkom m net worden, so, daß ich nicht nur m eh rere Jah re als O rganist und V orsänger in einer Leipziger K irche von H iller selbst noch als Schüler angestellt gewesen, sondern auch noch zuletzt als Praefect dem zweyten C hore in einer der beyden dortigen H auptkirchen vorgestanden habe, b iete ich mich zur Einrichtung und Leitung des G anzen an.* 13 In Livland h at Punschei seit 1801 gearbeitet, zuerst als H auslehrer, dann als L eh rer in der E rziehungsanstalt in K arlsberg bei D robbusch (K irchspiel A rrasch), seit 1809 als L eiter der Jungenschule in D robbusch (die Schule w urde 1813 nach T inger in K urland überführt) und 27.8.1816 w urde er in L ösern als P asto r ordiniert. D o rt blieb er bis zu seinem T o d 14. z J.L .E .P U N SC H E L . E n tw urf zu einer V ereinigung beso nders zwischen Predigern L ieflands fü r V erbesserun g und B elebung des G esanges und O rgelspiels in unsern L and-K irchen und L and-G em einden. H andschrift, 1825/26. Im A rchiv d e r evangelisch-lutherischen Paulus-G em einde zu Viljandi. G ed ru kt in T allinn, 1993. 13 J.L .E .P U N SC H E L , E ntw urf..., S.17. ^ O T T O W , M., L E N Z , W. (H g.) D ie evangelischen P red iger Livlands bis 1918. Köln, 1977. Nr. 1458. 43 In Leipzig geschult, ging Punschei zuerst von den Ideen der A ufklärungszeit aus, welche in Leipzig von den beiden K antoren der Thom asschule der 2. H älfte des 18. J vertreten wurden: dem Schüler J.S.Bachs Jo h an n Friedrich D oles (1715-1797), für den die K irchenm usik vor allem "leicht und ungekünstelt" sein m ußte, und dem L ehrer Punscheis, Johann A dam H iller (1728-1804), der gegen E n d e des Jahrh u n d erts schrieb, daß "Musik zur E rw eckung der A ndacht zw ar nicht überflüssig, aber auch nicht unentbehrlich ist"15. A uch für Punschei sind "edle Simplizität und W ürde" das Ideal gew esen und auch er b rauchte in seinen Schriften über K irchenm usik oft die Schlagw örter "zweckmäßig" und "Erbauung". A ls direkte V orbilder und auch A utoritäten, auf die er sich im Falle etw aiger K ritik stützen konnte, galten für Punschei zeitgenössische deutsche C horalbücher. Z u r gleichen Z eit hat er in der V orrede betont: D ies ist jedoch keineswegs so aufgeführt w orden, daß diese A rbeit etw a bloß eine K om pilation oder Abschrift aus den m ehr als 30 C horalbüchern, welche dabei gebraucht w urden, sondern eine selbständige, nach geprüften G rundsätzen abgefaßte, eigentüm liche A rb eit gew orden ist. D ie erste A uflage des Punschelschen C horalbuches16 enthält 372 C horäle (u n ter 362 N um m ern). Bei den m eisten wird auch auf die A u to ren der H arm onisierungen hingew iesen (bei vielen gleich auf etliche - w enn ein C horal in derselben Form in m ehreren Q uellen vorkom m t, oder w enn ein C horal aus m eh reren H arm onisierungen kom piliert w urde). Eindeutige H inw eise gibt es insgesam t 490. D ie angeführten N am en und Sam m lungen nach H äufigkeit des V orkom m ens sind: F E D E R , G. V erfall und R estauration. In: G eschichte K irchenm usik. Hg. v. F.Blum e. Kassel, 1965. S.221. der evangelischen E vangelisches C horalbuch zunächst in Bezug au f die deutschen, lettischen und esthnischen G esangbücher d e r russischen O stsee-P rovinzen au f den W unsch d e r Livländischen Provinzial-Synode b earbeitet und anfertigt von J.L .E .PU N SC H E L . Leipzig, 1839. 44 Rinck: Schneider: Rinck C h o ralfreu n d : B lüher (1825): H iller (1793): Schicht (1819): Fischer: K ühnau (1786/90): W .Fr.Bach: Apel: U m breit: 112 61 57 49 36 35 32 31 13 11 10 Stolze: Rinck A n h a n g : W erner: Zschiesche: K ittel (1803): Nitsche: J.S.Bach: G eißler: H esse: G raun: Silcher: 9 7 7 6 3 3 2 2 2 1 1 W eitaus überw iegend, 176 M al, ist von J. Chr. H. Rinck entliehen worden. A m E n d e der V orrede zur ersten A uflage faßt Punschei die H auptziele seiner A rb eit kurz zusam m en: U n d so hoffe ich ... m it G ottes H ilfe den G rund zu legen zu einem allgem eineren, richtigeren, w ürdigeren und gleichförm igen Kirchengesange. W as versteht Punschei u nter dem richtigen Kirchengesang? In seinem R u n d b rief aus dem Ja h re 1825/26 forderter, daß die M elodieen so gesungen und gespielt würden, wie sie gesungen o d er gespielt w erden m üssen, wenn sie eine M elodie und nicht ein galim athias von m eh reren M elodieen seyn s o lle n 77 H ie r k lin g t in P u n s c h e is W orte d a s W issen d a ru m , w as e in e richtige M e lo d ie sei. D ie R e fo r m d e r K ir c h e n m u s ik a m A n fa n g d e s 19. Jh . w a r v o r a lle m e in e R e s ta u ra tio n ; d a s n e u e G e sch ic h tsb ew u stse in d e r e u ro p ä isc h e n K id tu r h a tte sic h a b e r n o c h n ic h t h era u sg eb ild et, u n d d ie Q u e lle n fo rsc h u n g ste c k te n o c h in d e n K in d e rsc h u h e n . S o k o n n te sic h d ie R e sta u ra tio n w e itg e h e n d n u r a u f d ie V o rste llu n g v o n d e n Q u ellen , u n d n ic h t a u f ihre g rü n d lic h e K e n n tn is stütze n. I m J a h re 1825 r ie f P u n s c h e i z u r G r ü n d u n g vo n M e lo d ie n s c h u le n auf, w o d e r P a s to r ( u n d erst in zw e ite r L in ie d e r O rg a n ist o d e r d e r G em eind evo rsän g er, w en n d e r P a sto r u n m u s ik a lis c h ist) d e r G e m e in d e n a c h d e m C h o ra lb u ch d e n richtigen G e sa n g beib ring en sollte. N a c h w e lc h e m B u c h a b er? P u n s c h e i k la f f j a se lb e r ü b e r d a s F e h le n e in es g e m e in sa m e n C h o ra lb u c h e s u n d d ie U n ­ ta u g lic h k e it d e r v o rh a n d e n e n , so w ie ü b er ihre U n tersch ied lich keit. W eiter u n te n 17 J.L .E .P U N S C H E L , Entw urf..., S.4. 45 e rw ä h n t e r18, d a ß e r se lb e r in d iese r A r b e it H illers S a m m lu n g g e b ra u c h t h a t: E r vertraut a lso d e m , d a s d e n Q u e llen n ä h e r ist (H illers S a m m lu n g ist in L e ip zig e rsch ie n en ), u n d a u c h d e r Ü b e rlie fem n g - se in e m L eh rer. S e it d e r zw e ite n A u fla g e s in d a u c h H in w e is e a u f d ie H e r k u n ft d e r M e lo d ie n a u s C arl v o n W in te rfe ld s W erk Ü b er d e n C h o ralgesa n g 19 hinzu g efüg t. B e i d e r C h o ra lrefo rm w a r d ie R o lle d e s P a stors se h r w ichtig. In d e r V o rred e z u r zw e ite n A u fla g e se in e r S a m m lu n g b r in g P u n sc h e i (zu r S ic h e m n g se in e r P o s itio n e n ? E r w a r j a a u c h se lb e r zue rst P a s to r u n d K o n sisto ria lra t) ein längeres Z ita t a u s e in e m B r ie f M a rtin L u th e rs A n a lle lieb en C h risten in L iffla n d , s a m t ihren P fa rrh erm u n d Predigern (1525), dessen Original ihm aus der Stadtbibliothek zu R iga bekannt war. D ieser B rief weist die K om petenz über den G em eindegesang eben den Pastoren zu (1525 war es ja n u r so m öglich!). Punschei weist seine Kollegen auch d arau f hin, daß ... selbst nach der K irchen-O rdnung III/5 7 ist uns die A ufsicht über G esang und O rgelspiel förm lich übergeben.20 Sich auf die Ü berlieferung verlassend, hat Punschei in der ersten V orrede jedoch nicht nur das V orbild deutscher C horalbücher und der A utoritäten deutscher K irchenm usik betont, sondern auch ganz vorsichtig auch auf die lokale E igenart des G esangs hingewiesen: [D enn 3.] stehen uns in den neuesten, besten und vorzüglichsten C horalbüchern D eutschlands so sichere F ü h rer zu geböte, indem die K ritik der neu ern und neuesten Zeit, besonders eines Rin[c]k, M arx, R auhe, Fischer, Blüher, K ühnau und anderer, hier Vorzügliches geleistet hat, - daß ich mich nur getrost diesen sichern F ührern überlassen konnte, doch so, daß ich in einigen Abw eichungen, welche w eder willkürliche und provinzielle, noch auch dem C h arak ter der M elodie selbst w idersprechende, wirklich in dem selben begründet und durch tüchtige A utorität auch anderswo eingeführt sind, den hier bei uns gebräuchlichen G ang beibehielt. D as letzte Z itat enthält im Z usam m enhang m it M elodievarianten noch einen wesentlichen A spekt: welche "Abweichungen" (wovon?!) zuzulassen sind und 18 Ib id e m , S.5. ^ S p ätere A uflage: C. von W IN T E R F E L D , D e r evangelische K irchengesang, 3 Bd., B erlin, 1843-1847. 20 J.L .E .P U N SC H E L , E ntw urf..., S.7. 46 welche nicht. D er V orrede nach ist Punscheis Ziel "die Feststellung einer möglichst reinen M elodie". A uch "rein" ist ein wichtiges Schlagw ort in der M usikästhetik der Z eit, vom G esichtspunkt der "wahren" Kirchenm usik aus b etrach tet ist das fast dasselbe, was "Zweckmäßig". "Rein” bed eu tet vom Ü b erm aß an "künstlichen" befreit, ist also "einfach" und "allgemein". D ie "reine" und "richtige" M elodie m uß aber auch dem inneren C harakter des Liedes entsprechen. D as Problem der Ü bereinstim m ung von Text und M elodie ist besonders kom pliziert in einer Situation, wo eine M enge von G esangbüchern längere Z eit ohne entsprechende M elodiebücher existiert hat. D an n w erden m eh rere Texte m it sehr verschiedenen M elodien gesungen, wichtig ist dabei vor allem nur die m etrische Ü bereinstim m ung. D aß das im Baltikum das H auptproblem bei der M elodienw ahl darstellte, können wir in G. M . T elem anns Schrift Ü b er d ie W a h l d e r M e lo d ie e in es K irch en lie d es21 n a c h le se n . P u n s c h e i h a t in se in e r S a m m lu n g a lle M e lo d ie n n a c h d e r m e trisc h e n S tm k tu r d e r T e xte (A n z a h l d e r Z e ile n u n d M e tn im - tro ch ä isch , ja m b is c h , d a k ty lisc h o d e r v e rm isc h t) g m p p e n w e is e zu sa m m e n g e b ra c h t, s o d a ß d e m O rg a nisten f ü r je d e s M e t m m e in e g ro ß e A n z a h l v o n M e lo d ie n z u r A u s w a h l b ereit ste h e n . U m h ie r a u c h d ie in h a ltlic h e Ü b e re in stim m u n g z u erzielen, h a t P u n s c h e i in se in C h o ra lb u ch viele P a ra lle lm e lo d ie n herangezogen, w a s a u c h a ls ein M a n g e l se in e r A r b e it a n g e seh e n w urde. E r rechtfertigt sic h h ierü b e r in d e r Vorrede, in d e m e r d ie reich eren M ö g lic h ke ite n hervorhebt, je d e m T e xt e in e d e m C h a ra k te r e n tsp re c h e n d e M e lo d ie z u fin d e n : V ielleich t h ä tte ich m ic h wegen d e r A u f n a h m e m e h re rer P a ralle l­ M e lo d ie n zu e n tsc h u ld ig e n . A b e r n ic h t n u r d ie a c h t h ie r b erü cksich tig ten G e sa n g b ü ch er, in w elch en s o v ie l c ha ra kteristisch v e rsch ied e n e L ie d e r a u f d a sse lb e M e tm m , ja ! a u f d ieselb e M e lo d ie V o rko m m en , so n d e rn a u c h , d a ß ich m eh rere, h ie r g a n z u n b e k a n n te o d e r in V erg essen h eit g e ra ten e a lte h errlich e M elo d ie n w ie d e m m in s L e b e n n tfe n m ö ch te , d ü rfte d ie s w o h l rechtfertigen. A u c h w ird g e w iß u n sere religiös regere u n d m u s ik a lis c h g e bildetere Z e it d a m it n ic h t u n zu frie d e n sein, d a ß ih r h ier d ie M itte l g e b o te n w erden, k ü n ftig je d e s L ie d n a c h e in e r se in e m C h a ra k te r a n g e m e sse n e n M e lo d ie z u sin g en u n d n ich t, w ie b ish e r im m e rfo rt, L ie d e r v o ll L o b , P reis u n d J u b e l a u f K reuz-, B u ß - u n d B e g rä b n is-M e lo d ie n u n d um g ekeh rt. P u n s c h e i sp ric h t a u c h ü b e r w ürdigen K irchengesang. W ü rd ig ist, w a s "richtig" 21 Riga, 1821. 47 ist, das, w a s d e r N a tu r d e s G e sa n g s zu g e h ö rt u n d k e in e d e m Z e itg e s c h m a c k a n g ep a ß te w illk ü rlich e Z u ta t darstellt. Zum B e isp ie l b e ze ic h n e t e r d ie O rg elzw isch en spiele a ls "unwürdig", u n d se in e r M e in u n g n a c h b ietet g e ra d e d ie E in fü h m n g d e s n e u e n C h o ra lb u c h e s d ie b este G e leg en h e it a lle d iejen ige n z u verbieten: s o h a lte ich d ie s f ü r d e n b e sten Z e itp u n k t, a lle u n d je d e Z w isc h e n sp ie le zu verdrängen, u n d auch b e i u n s e b e n so z u verbieten, w ie d ie s n a m e n tlic h je tz t im G ro ß h e rzo g tu m B a d e n obrig keitlich g e sch e h e n ist. In d e r V o rred e z u r zw e ite n A u fla g e (1 8 4 3 ) fo rd e rte P u n s c h e i n o c h h e ftig er d ie A b s c h a ffu n g a lle r Z w isc h e n sp ie le , u n te r H in w e is a u f m e h re re m a ß g e b e n d e d e u ts c h e K irc h en m u sik er, d ie a u f d e m selb e n S ta n d p u n k t ste h e n , u n d ß g f h in zu , d a ß e r sic h s e h r fre u e , d a ß se lb st b e i u n s m e h re re O rganisten a u f d e m L a n d e a n g efa n g en h a b e n , sie (d ie Z w isc h e n s p ie le ) w egzulassen..., u n d zeig t d a m it an, w ie a llg e m e in d ie Z w isc h e n sp ie le eigentlich verbreitet w aren. A m k rä ftig sten ta d e lt P u n s c h e i a b e r d ie fre ie n V erziem n g e n d e r M e lo d ie ("die S c h n ö r k e l"). I n se in e r Z e it ste llten n ic h t m e h r d ie V e rzie m n g e n in R o k o k o ­ M a n ie r in d e n a llen C h o ra lb ü c h e r d a s H a u p tp ro b le m dar, so n d e rn d ie v o lk s tü m lic h e S in g a rt d e r e in fa c h e n V orsänger. E in e vortrefflich e P assa g e ü b e r d ie V erziem n g e n fin d e n w ir in d e r V orrede z u r zw e ite n A u fla g e (1843), d ie a u c h d e n b e i A u se in a n d e rs e tz u n g e n ü b e r Ä s th e tik d e s K irch en g esa n g s a m A n f a n g d e s 19. J a h rh u n d e rts s e h r c h a ra kteristisc h en W o rtsc h a tz e nth ä lt: M ö c h te n n u n a u c h n u n m e h r d ie h ö c h s t un w ü rd igen , g a n z u n k irc h lic h e n S c h n ö rk e l, w e lc he in vielen G e m e in d e n n o c h im m e r d ie M e lo d ie b is z u r U n k e n n tlic h k e it e n tstellen , im m e r m e h r a u sg ero ttet w erden, d a m it ein reiner, e in fa c h e r u n d w ürdiger G e m e in d e g esa n g erzielt werde, o h n e w elc h e n k e in e E r b a u u n g m ö g lic h ist! D ie re ic h lic h e V e rzie m n g d e r M e lo d ie n ist im v o lk s tü m lic h e n M u sizie re n u m 1800 o ffe n s ic h tlic h n o c h g a n z selbstve rstä n d lic h g ew esen, u n d m a n k a n n ve rm u te n, d a ß a u c h d ie stu fe n w e ise m it V orschlägen g e fü llten In terva lle im o b en e rw ä h n te n h a n d sc h riftlic h e n C h o ra lb u ch v o n G u sta v S w a h n n ic h t a u s d e r P ra xis d e s O rgelspiels, so n d e rn a u s v o lk stü m lic h e r S in g w eise s ta m m e n . W en n je tz t d ie C h o ra lrefo rm d e s 19. Jh . e in e e in fa c h e u n d u n verzierte M e lo d ie in "kirchlich" la n g sa m e r T e m p o a ls I d e a l a u f stellt, b e g in n t d a m it n ic h t e in e se h r tiefg reifen d e V e r ä n d e m n g im m u s ik a lisc h e n B e w u ß tse in ü b e rh a u p t? U n d sc h lie ß lic h m u ß K irc h en g e sa n g n a c h P u n sc h e i allg e m e in u n d g leic h fö rm ig sein . A u c h h ie r zitiert e r d en o b en erw ä h n te n L u th e r-B rief: 48 S o m a c h t n u u n d h a lte t M esse, sin g et u n d leset ein trä ch tig a u f ein erley W eise, a n e in e m O rt w ie a m and ern ... P u n s c h e is A b s ic h t war, d ie E in h e it im G e b ra u c h d e r M e lo d ie n h e rzu ste llen . S c h o n 1826 h a t P u n s c h e i ü b e r d ie N o tw e n d ig k e it e in es u n ive rsa len " N o n n a lC h o ra l-B u c h e s f ü r u n se re P rovin zen " geschrieben22, welches er dann endlich selbst zusam m enstellte und 1839 herausgab. H ier w erden m eh rere verschiedensprachige G esangbücher berücksichtigt, die wir in der V orrede aufgezählt finden: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. D as Reval-estnische Gesangbuch von 1816. D as D orpat-estnische Gesangbuch von 1816. D ie neue A uflage desselben, noch nicht ediert. D as Livländisch-lettische von 1810 und 1833. D as K urländisch-lettische von 1806. D ie Sam m lung alter und n eu er L ieder usw., Riga 1810 und 1820. D as G esangbuch für die deutschen G em einden des H erzogtum s E stland und den D om zu Reval von 1787. D ie Petersburgische Sam m lung gottesdienstlicher L ieder usw. von 1818. H inzu kam en seit der zweiten Auflage 9. D as R evalsche deutsche Gesangbuch von 1771, 1841 wieder abgedruckt 10. D as M itausche deutsche Gesangbuch von 1771 und das alte kurländisch-lettische Gesangbuch, 1836 w ieder abgedruckt und d er A ufforderung des M oskauer K onsistorium s R echnung tragend die fehlenden M elodien für 11. D as G esangbuch der K olonial-G em einden an der W olga aus dem m eh rere G esänge der B rüdergem eine in die späteren A uflagen der Punschelschen Sam m lung aufgenom m en wurden. D ie G leichförm igkeit ist in dem dam aligen Russischen Z arenreich nicht bloß eine theologische, sondern auch eine politische Frage gewesen, besonders seit dem Ja h re 1832, als der neuen K irchenordnung gem äß statt des Livländischen G eneral-K onsistorium das G eneral-K onsistorium in 22 Ib id e m , S.22. 49 St.P etersburg gegründet w urde. A uch Punschei sollte bei jedem m usikalischen V orhaben das K onsistorium in S t.P etersburg um eine G enehm igung ersuchen. A uffallend ist, das die gedruckten (also zensierten) D okum ente m eistens nicht Livland, E stland oder K urland, sondern lediglich russische O stseeprovinzen erw ähnen. E ine gleichartige C horalsam m lung wurde vom O rganisten der Olai-K irche zu T allinn Joh an n A ugust H agen 1844 in E rfu rt gedruckt. D iese richtete sich aber n u r nach den Bedürfnissen estländischer und livländischer G esangbücher, und offensichtlich w urde sie vom G eneral-K onsistorium in S t.P etersburg als zu provinziell nicht so gern angenom m en. A uch konnte H agen sich als O rganist m it den kirchlichen B ehörden nicht so geschickt verständigen, wie Punschei. Punscheis Ideal ist ein universales C horalbuch gewesen, das in seiner m usikalischer F orm grundsätzlich eine Kom pilation von deutschen C horalbüchern darstellt. Seine U niversalität ist eine der G ründe für seine unglaublich lange G ebrauchszeit: zusam m en m it den A nhängen erschien es in 16 A uflagen; in E stland w urde ein neues G esangbuch m it M elodien erst am erstem A dvent 1991 eingeführt - also war Punscheis C horalbuch bei uns anderthalb Ja h rh u n d erte am tlich im G ebrauch! D abei folgt aber Punschei auch einer anderen T endenz in der C horalreform des 19. Jahrhunderts, näm lich der, die lokale Eigentüm lichkeit der G esangstradition abzuschaffen; diese blieb allenfalls noch in den geistlichen V olksliedern erhalten.