Berlin
14. März 2006
Tagungsbericht
Reform des Kündigungsschutzes
Unnötige Verunsicherung oder wirksamer Impuls für neue Arbeitsplätze?
Referenten, Moderator und Veranstalter: Dr. Heinrich Kolb MdB (FDP), Dr. Peter Leo Gräf (WirtschaftsWoche), Brigitte Pothmer MdB
(Bündnis 90/Die Grünen), Prof. Dr. Michael Eilfort (Stiftung Marktwirtschaft), Dr. Rainer Wend MdB (SPD), Prof. Dr. Juergen B. Donges
(Kronberger Kreis, Universität zu Köln), Prof. Dr. Heide Pfarr (Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut der Hans-BöcklerStiftung), Prof. Dr. Thomas Straubhaar (HWWI), Laurenz Meyer MdB (CDU/CSU); Reihenfolge von links nach rechts.
Die sich verfestigende Massenarbeitslosigkeit in Deutschland ist in
den vergangenen Jahrzehnten neben einem ökonomischen Problem immer mehr zu einer gesellschafts- und sozialpolitischen
Herausforderung geworden. Nicht
nur, dass fehlende Arbeitsplätze
die Finanzierung der öffentlichen
Haushalte und der Sozialsysteme
belasten. Auch Produktionsmöglichkeiten und damit Wohlstands-
Übersicht der Beiträge:
S. 2
Prof. Dr. Thomas Straubhaar
S. 4
Prof. Dr. Juergen B. Donges
S. 5
Prof. Dr. Heide Pfarr
S. 7
Dr. Heinrich Kolb MdB (FDP)
Laurenz Meyer MdB (CDU/CSU)
Dr. Rainer Wend (SPD)
Brigitte Pothmer MdB
(Bündnis 90/Die Grünen)
zuwächse bleiben ungenutzt.
Arbeitslosigkeit und insbesondere
Langzeitarbeitslosigkeit führen
häufig zur Ausgrenzung und
Abschottung der Arbeitslosen von
der Teilhabe am sozialen Leben
und können mit erheblichen psychischen Belastungen einhergehen. Es ist daher nur folgerichtig,
dass die Große Koalition den
Abbau der Arbeitslosigkeit als
zentrale Verpflichtung ihrer Regierungspolitik deklariert hat. Klar ist
aber auch, dass bloße Absichtserklärungen noch keine Lösungsstrategie, geschweige denn eine
Erfolgsgarantie für mehr Beschäftigung sind.
Vor diesem Hintergrund hat die
Stiftung Marktwirtschaft gemeinsam mit dem Hamburgischen
WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) am
14. März 2006 namhafte Experten
und Politiker nach Berlin eingeladen, um über Reformnotwendigkeiten und Reformoptionen bei
einem strittigen Thema, dem
gesetzlichen Kündigungsschutz,
zu diskutieren. Moderator der
Diskussion war Dr. Peter Leo Gräf,
Redakteur der WirtschaftsWoche.
Sowohl die Erkenntnisse der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung als auch der Blick in andere Länder zeigen, dass alle politischen Maßnahmen für mehr Beschäftigung zum Scheitern verurteilt sind, wenn es nicht gelingt,
bestehende Arbeitsmarktrigiditäten aufzulösen und den Arbeitsmarkt insgesamt flexibler auszugestalten. Zentraler Ansatzpunkt
Reform des Kündigungsschutzes
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hierfür kann nur die institutionelle
Rahmenordnung des Arbeitsmarktes sein. Sie legt fest, wie die
Akteure auf dem Arbeitsmarkt aufeinander einwirken,
wie sie auf äußere
Veränderungen reagieren können und ob
damit die Entstehung
und Verfestigung von
Arbeitslosigkeit einhergeht.
Ein politisch besonders umstrittener Bereich der deutschen Arbeitsmarktordnung ist der gesetzliche Kündigungsschutz. Für die
einen ist er geradezu Symbol einer
verkrusteten und beschäftigungsfeindlichen Arbeitsmarktordnung.
Sie sehen in ihm in erster Linie
eine Einstellungsbarriere, da die
Unternehmen befürchten müssen,
selbst in wirtschaftlichen Notsituationen notwendige Entlassungen nur unter hohen Kosten und
mit erheblichem bürokratischen
Aufwand durchführen zu können.
Gerade diese negativen gesamtwirtschaftlichen Beschäftigungs-
wirkungen ziehen jedoch die
Anhänger der gegenwärtigen Kündigungsschutzregelungen unter
Bezugnahme auf die empirische
Datenlage in Zweifel.
Stattdessen verweisen sie darauf, dass
eine Lockerung des
Kündigungsschutzes
die Unsicherheit der
Arbeitnehmer unnötig
befördern und negative
ökonomische
Rückwirkungen hervorrufen könnte.
Prof. Dr. Michael Eilfort, Vorstand
der Stiftung Marktwirtschaft,
betonte in seiner Begrüßung, dass
das Risiko, auf Dauer arbeitslos zu
bleiben, in unserer Gesellschaft
sehr ungleich verteilt sei. Die
Tatsache, dass auch in konjunkturell guten Zeiten die notwendige
Beschäftigungsdynamik nicht erreicht werde, zeige ganz offenkundig, dass diverse Barrieren den
Wiedereintritt in den Arbeitsmarkt
behinderten. Daher komme man
nicht umhin, die Mauern, die man
um die Arbeitsplätze gezogen
habe – also auch den Kündigungsschutz – auf den Prüfstand
zu stellen. Arbeitsmarktpolitik
dürfe sich nicht nur an den
Interessen der Arbeitsplatzinhaber
orientieren und es zugleich bei
den Arbeitssuchenden bei der
„ Verwaltung
von
Chancenlosigkeit“ auf hohem bürokratischen Niveau belassen. Zwar
wolle niemand ernsthaft behaupten, dass der Kündigungsschutz
die singuläre Ursache der Arbeitslosigkeit in Deutschland sei. Mit
Blick auf knapp fünf Millionen Arbeitslose könne man aber genauso wenig den Status quo mit bis
zu fünf Millionen Arbeitslosen und
einem Langzeitarbeitslosenanteil
von rund 50 % als zufriedenstellend und schon gar nicht als sozial gerecht bezeichnen. Daher
müsse man darüber diskutieren,
wie der Kündigungsschutz besser
organisiert werden könne, um den
Interessen der Arbeitnehmer, der
Unternehmen und vor allem auch
der Arbeitslosen gleichermaßen
gerecht zu werden.
Wer oder was ist zu schützen?
Alternativen zum heutigen Kündigungsschutz
Prof. Dr. Thomas Straubhaar,
Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI)
Prof. Dr. Thomas Straubhaar, Leiter
des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI), gab zu
Beginn seines Vortrages zu bedenken, dass es in Ländern wie der
Schweiz, den USA oder auch Dänemark keinen vergleichbaren Kündigungsschutz wie in Deutschland
gebe, dort aber annähernd Vollbeschäftigung herrsche. Bei uns hingegen komme die derzeit gute konjunkturelle Entwicklung mit einem
Wirtschaftswachstum von rund 1,5
% nicht auf dem Arbeitsmarkt an.
Stattdessen sei dieser durch Symp-
tome wie „Jobless Growth“ und
eine zu hohe Beschäftigungsschwelle charakterisiert. Die Folge:
„Auf dem deutschen Arbeitsmarkt
herrscht nahezu Stillstand“. Man
komme daher nicht daran vorbei,
auch den Kündigungsschutz auf
den Prüfstand zu stellen und zu fragen, ob er sein eigentliches Ziel
noch erreiche.
Veränderte internationale
Rahmenbedingungen
Eine zentrale Ursache für die fehlende
Beschäftigungsdynamik
sieht Straubhaar darin, dass
wesentliche Elemente der deutschen Arbeitsmarktordnung noch
aus einer Zeit stammten, die stark
mit dem Begriff der Industrie verbunden gewesen sei. Industrie sei
Unnötige Verunsicherung oder wirksamer Impuls für neue Arbeitsplätze?
jedoch etwas Statisches. Aufgrund
ihrer Standortgebundenheit habe
sie in der Vergangenheit auf Seiten
der Arbeitnehmer zu Beschäftigungssicherheit geführt und damit gleichzeitig den Arbeitgebern
Planungssicherheit gegeben.
Dementsprechend sei
Arbeitsmarktpolitik
in Deutschland bis
heute auf Stabilität,
Bewahrung und die
Vermeidung von Risiken ausgerichtet. Neue Konkurrenten auf
dem Weltmarkt, die fortschreitende Globalisierung und der intensiver werdende Standortwettbewerb
hätten die Situation jedoch von
Grund auf verändert und erforderten Flexibilität und Dynamik. Heute
gehe es nicht länger darum,
Beschäftigung zu schützen, sondern neue Beschäftigung rasch zu
ermöglichen: Notwendig sei „Mobilität statt Verharrung“.
Auch wenn der empirische Zusammenhang zwischen Beschäftigungslosigkeit und Kündigungsschutz nicht besonders ausgeprägt sei, bedeute das nicht, dass
der Kündigungsschutz für die Entwicklung der Arbeitslosigkeit bedeutungslos wäre, warnte Prof.
Straubhaar. Denn zum einen sei es
kaum möglich, diejenigen Arbeitsplätze statistisch zu erfassen, die
aufgrund von Kündigungsschutzregeln oder anderer Ursachen der
hohen Beschäftigungsschwelle in
Deutschland gar nicht erst entstünden. Zum anderen sei nachgewiesen, dass ein restriktiver Kündigungsschutz die Langzeitarbeitslosigkeit begünstige. Und
schließlich zeigten internationale
Vergleiche, dass die besondere
rechtliche Begünstigung einer bestimmten Gruppe durch gutgemeinte Schutzklauseln die Er-
werbsbeteiligung dieser Gruppe
senke. Die Intention des Gesetzgebers, bestehende Arbeitsplätze
zu schützen, sei daher zum Scheitern verurteilt.
Dennoch könne
man
selbstredend nicht dem
Kündigungsschutz
alleine die knapp
fünf Millionen Arbeitslosen anlasten. Aber in Zeiten sich schnell
verändernder Umweltbedingungen
und
eines
unvermeidlichen
Strukturwandels sei er das völlig
falsche Instrument, um Arbeitnehmer zu schützen. Vielmehr sei er
Teil der hohen Beschäftigungsschwelle und begünstige das Entstehen von Langzeit arb eit slosigkeit. An die Stelle
der auf Bewahrung ausgelegten
Arb eit smarkt p olitik müsse daher
eine
auf
die
Schaffung neuer
Arbeitsplätze ausgerichtete Strategie treten.
Ein grundlegendes
Reformmodell
Vor diesem Hintergrund sprach
sich Straubhaar für ein grundlegendes Reformmodell aus, das
sowohl die Abschaffung des Kündigungsschutzes in seiner heutigen Form als auch den Wegfall der
Arbeitslosenversicherung beinhaltet. Um die Arbeitnehmer vor
Willkür zu schützen, reiche es aus,
wenn an die Stelle des heutigen
Kündigungsschutzes eine fest vereinbarte, nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit gestaffelte Abfindungszahlung durch den Arbeitgeber trete. Würde pro Jahr Be-
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triebszugehörigkeit ein Monatsgehalt als Abfindung gezahlt, so
würde ein Arbeitnehmer etwa ab
einer Beschäftigungsdauer von
acht Jahren besser gestellt als
beim heutigen Arbeitslosengeld.
Gleichzeitig könnten die Arbeitslosenversicherung
abgeschafft
und die Lohnnebenkosten um bis
zu 6,5 Prozentpunkte gesenkt werden. Da die Höhe der Abfindung
unabhängig von der Dauer der
Arbeitslosigkeit bliebe, erhielten
Arbeitslose zudem einen zusätzlichen Anreiz, möglichst schnell
eine neue Beschäftigung aufzunehmen. Das steuerfinanzierte
Arbeitslosengeld II bliebe als soziales Grundsicherungsnetz unberührt, so dass niemand unter
das Existenzminimum fiele.
Pro f esso r
Straubhaar
schloss mit dem
Fazit, dass der
beste Schutz für
Arbeitnehmer in
flexiblen Arbeitsmärkten mit niedrigen Beschäftigungsschwellen zu sehen sei. Dann hätten
Arbeitssuchende die besten Chancen, schnell wieder eine neue
Beschäftigung zu finden. In diesem
Sinne sei „kein Kündigungsschutz
oft der beste Kündigungsschutz“.
Moderierte die Veranstaltung: Dr. Peter
Leo Gräf (re.) von der WirtschaftsWoche.
Reform des Kündigungsschutzes
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Flexibler Kündigungsschutz
für mehr Beschäftigung
Prof. Dr. Juergen B. Donges,
Mitglied des Kronberger Kreises, Universität zu Köln
Wie seine beiden Vorredner warnte
auch Prof. Dr. Juergen B. Donges,
Direktor des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität zu
Köln, vor der Vorstellung, dass der
Kündigungsschutz die alleinige
Ursache der unbefriedigenden Beschäftigungssituation in Deutschland sei. „So wie kein gesetzlicher
Kündigungsschutz Arbeitslosigkeit
verhindern kann, ist durch eine
Flexibilisierung des Kündigungsschutzes, für sich genommen, das
Problem der Arbeitslosigkeit nicht
zu lösen.“ Es sei daher auch nicht
verwunderlich, wenn empirische
Studien über die Beschäftigungswirkungen des Kündigungsschutzes zu ambivalenten Ergebnissen
kämen. Jedoch folge daraus kein
zwingendes Argument für die
Beibehaltung des bestehenden
Regelungsrahmens.
Problemfeld Kündigungsschutz
Denn zum einen lägen gesicherte
Erkenntnisse darüber vor, dass
mit steigendem Niveau des Kündigungsschutzes die Langzeitarbeitslosigkeit zunehme und sich
der Anreiz für Unternehmen verstärke, Anpassungen des Arbeitsvolumens bei ungünstiger Absatzlage zunächst über eine Verringerung der Wochenarbeitszeit
vorzunehmen sowie neue Arbeits-
verträge zeitlich
ohne sachlichen
Grund zu befristen.
Zum anderen sei
der deutsche Kündigungsschutz als vergleichsweise
rigide und wenig transparent anzusehen. Problematisch seien vor
allem die zu vielen Generalklauseln
und unbestimmten Rechtsbegriffe,
die das deutsche Kündigungsschutzgesetz prägten. Diese hätten zu zahlreichen Einzelfallentscheidungen der Arbeitsgerichtsbarkeit mit großer Signalwirkung
geführt – und zwar weit über das
ursprüngliche Willkürverbot hinaus. Das Kündigungsrecht des Arbeitgebers stehe mittlerweile unter
einem strengen „ Ultima-RatioPrinzip“ . Ein Übriges trage die
Tatsache bei, dass es gekündigte
Arbeitnehmer praktisch nichts
koste, auch gegen im Prinzip
unstrittige Kündigungen zu klagen,
um eine finanzielle Abfindung zu
erwirken. Die Unternehmen sähen
daher den Kündigungsschutz vor
allem als kostenträchtiges und
zeitaufwendiges Hemmnis, das die
Dispositionsfreiheit bei Personalentscheidungen einschränke
und notwendige Umstrukturierungen verzögere.
Unabhängig davon, ob es sich
dabei eher um die „gefühlten“ oder
die tatsächlichen Wirkungen des
Kündigungsschutzes
handele,
„ passiert, was immer passiert,
wenn die Arbeitsleistung im betriebswirtschaftlichen Kalkül als zu
teuer erscheint“: Die Unternehmen
versuchten, einen steigenden Arbeitsbedarf mit Überstunden statt
mit Neueinstellungen zu decken,
setzten auf den verstärkten Einsatz
von Maschinen oder verlagerten
die Produktion gleich ganz ins
Ausland. Darüber hinaus seien sie
bei der Einstellung von Personen
besonders zögerlich, bei denen
aufgrund
der
Kriterien
der
Sozialauswahl die Kosten einer
späteren Kündigung besonders
hoch veranschlagt werden müssten, z.B. ältere Menschen und
Alleinerziehende.
Das Konzept des
Kronberger Kreises
Von daher sei es nur sachgerecht,
über die Flexibilisierung des Kündigungsschutzes nachzudenken.
Als Reformentwurf skizzierte Prof.
Donges den von ihm mitentwickelten Vorschlag des Kronberger
Kreises. Als zentrales Element
sehe dieser für den Tatbestand
betriebsbedingter Kündigungen
drei Optionen vor, den Kündigungsschutz auf freiwilliger Basis
abdingbar zu machen:
• Im Abfindungsmodell würde ein
neu einzustellender Arbeitnehmer mit dem Arbeitgeber vereinbaren, im Kündigungsfall keinen
Anspruch auf Kündigungsschutz geltend zu machen und
stattdessen eine im Voraus ausgehandelte finanzielle Abfindung zu erhalten.
Unnötige Verunsicherung oder wirksamer Impuls für neue Arbeitsplätze?
• Im Lohnzuschlagsmodell würde
der Arbeitssuchende vertraglich
auf den Kündigungsschutz zugunsten einer höheren Entlohnung verzichten.
• Im Markteintrittsmodell würde ein
Arbeitssuchender
ohne Kompensation auf den Kündigungsschutz verzichten. Dadurch
könne er die bei
seiner Beschäftigung anfallenden
Arbeitskosten senken und seine Einstellungschancen
verbessern. Diese
dritte Option wende sich an Arbeitssuchende, die aufgrund
ihrer niedrigen Produktivität zum
herrschenden Tariflohn keine Beschäftigung fänden.
Für alle drei Optionen
gelte, dass der bestehende Kündigungsschutz erhalten bliebe, falls keine einzelvertragliche Vereinbarung
zustande
kommen sollte. Zudem solle der Übergang zu einem neuen
Kündigungsschutzregelwerk sukzessiv
erfolgen, indem es
nur für neu abzu-
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schließende Arbeitsverträge zur
Anwendung komme.
Prof. Donges betonte, dass durch
das Flexibilisierungsmodell des
Kronberger Kreises dem Individualrecht auf Sicherung von Beschäftigungs- und Erwerbschancen mehr Raum gegeben werde.
Um mehr nachhaltige Beschäftigungszugewinne zu erzielen,
seien darüber hinaus aber noch
weitere durchgreifende Strukturreformen am Arbeitsmarkt erforderlich, um diesen insgesamt flexibler zu machen und Raum für
eine stärkere Lohndifferenzierung
in regionaler, sektoraler und qualifikatorischer Hinsicht zu schaffen.
Kündigungsschutz:
Sündenbock für die Beschäftigungskrise
Prof. Dr. Heide Pfarr,
Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts
der Hans-Böckler-Stiftung
Anders als ihre Vorredner sah Prof.
Dr. Heide Pfarr, Direktorin des
Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der HansBöckler-Stiftung, keine Notwendigkeit für eine grundlegende Neustrukturierung oder gar Abschaffung des Kündigungsschutzes.
Ganz im Gegenteil zeigten empirische Befragungen, dass eine breite Mehrheit der Bevölkerung dem
Kündigungsschutz eine hohe Bedeutung beimessen würde. Erfreulich sei immerhin die Bestätigung
der beiden Vorredner, dass der
Kündigungsschutz nicht allein ursächlich für die Arbeitslosigkeit sei.
Umso mehr sei sie vor diesem Hintergrund über die nachdrücklichen
Plädoyers für seine Abschaffung
verwundert. Denn der Kündigungsschutz habe keineswegs die häufig
unterstellten negativen Auswirkungen.
Ungerechtfertigte
Befürchtungen
Zwar erhielte man in der
Tat eine verheerende
Bewertung des Kündigungsschutzes, wenn man Unternehmen diesbezüglich nach ihrer
Meinung befrage. Empirische Untersuchungen zum Einstellungsverhalten sprächen jedoch eine
andere Sprache: Die einzige Variable, die das Einstellungsverhalten der Unternehmen determiniere, sei die wirtschaftliche Lage
des Unternehmens. Auch könne
nicht – wie behauptet – ein massenhaftes Ausweichverhalten beobachtet werden. Weder der
Anstieg des Anteils der Leiharbeit
von ein auf zwei Prozent noch die
Zunahme befristeter Verträge
außerhalb des öffentlichen Dienstes von sieben auf knapp zehn
Prozent zeugten von großen
Bemühungen der Wirtschaft, den
Kündigungsschutz gezielt zu
umgehen.
Darüber hinaus würden die durch
den Kündigungsschutz entstehenden Kosten überschätzt. So erhielten bei arbeitgeberseitigen Beendigungen von Arbeitsverhältnissen nur 15 % der Gekündigten
eine Abfindung, bei Betrieben mit
über 500 Beschäftigten seien es
allerdings immerhin 38 % . Die
angeblich so hohe Klagequote
betrage ebenfalls nur 15 % und
gerade einmal die Hälfte derjenigen, die klagten, erhielten auch
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Reform des Kündigungsschutzes
Das von Prof. Auf Seiten der Arbeitnehmer führe
Straubhaar vorge- die Abfindungsregel für einen
stellte Abfindungs- Großteil der Beschäftigten zu einer
modell – auch als Verschlechterung im Vergleich
„ Hamburger Drei- zum Status quo. So würde bei
sprung“ bekannt – Unternehmen mit bis zu 500
sei hingegen ins- Mitarbeitern die durchschnittliche
besondere für klei- Dauer der Betriebszugehörigkeit
nere und mittlere deutlich unter den von Prof.
Unternehmen risi- Straubhaar errechneten acht Jahkoreich. Die Ab- ren liegen, ab denen sich ein
schaffung der Ar- gekündigter Arbeitnehmer besser
Im Diskurs: Prof. Dr. Heide Pfarr und Dr. Nico Fickinger von beitslosenversiche- als heute mit Bezug des Arbeitsder Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
rung und der Über- losengeldes stellen würde. Der
gang zu einem rei- Medianwert der Betriebszugeeine Abfindung. Außerdem sei zu
nen Abfindungsmodell bedeute die hörigkeit in Unternehmen mit wekonstatieren, dass sich UnsicherAufkündigung einer Risikogemein- niger als 500 Mitarbeitern betrage
heit und Kosten der Gerichtsverschaft. Da das Risiko, bei einem sogar nur rund zwei Jahre.
fahren in Grenzen hielten, da die
kleineren oder mittleren UnternehArbeitsgerichtsbarkeit die effektivmen gekündigt zu
Dies bedeute, dass
ste und schnellste Gerichtsbarkeit
werden, aber rund
die Hälfte der gekünin Deutschland sei.
achtmal höher sei als
digten Arbeitnehmer
bei einem Großunterim Modell von Prof.
Ungeeignete Reformmodelle?
nehmen, wäre eine
Straubhaar
höchAbfindungsregel in
stens zwei MonatsVor dem Hintergrund dieser EinPhasen des wirtgehälter
als
schätzung trafen beide vorgestellschaftlichen
AbAbfindung erhielten,
ten Reformmodelle zur Flexibilischwungs für viele
während heute das
sierung des Kündigungsschutzes
kleinere und mittlere Unternehmen Arbeitslosengeld bis zu 12 Monate
auf vehementen Widerspruch von
existenzbedrohend. Die Höhe der gezahlt werde. Daher führe die
Prof. Pfarr. „ Zu den Optionen, die
Abfindungen, die aufgrund von Umsetzung dieses Reformmodells
Herr Kollege Donges vorgetragen
unvermeidlichen Entlassungen ge- zu finanziellen Einbußen und folghat, nur einen Hinweis: Das geht
zahlt werden müssten, würde viel- lich zu einer Gefährdung des
an der Realität völlig vorbei.“ Statt
fach die finanzielle Leistungsfähig- Lebensstandards breiter Beeiner vorgeblich freien Vereinbakeit der dann ohnehin angeschla- völkerungsschichten. „Diese sozirung zwischen den Arbeitsvergenen Unternehmen übersteigen. alen Schutzrechte aufzugeben für
tragsparteien handele es sich in
Folglich müssten die Unternehmen eine zarte Hoffnung, geht vielleicht
der Regel allein um eine einseitige
in ihrer Personalpolitik von vorn- ein bisschen weit.“
Option des Arbeitgebers. Denn
herein darauf bedacht sein, eine
diejenigen, die im Stande seien,
möglichst hohe
mit dem Arbeitgeber auf AugenFluktuation unter
höhe über die Bedingungen ihres
den Beschäftigten
Arbeitsvertrages zu verhandeln,
zu erzielen, damit
gehörten im Regelfall nicht zu der
nur geringe AbfinGruppe der Arbeitslosen. Mendungszahlungen
schen hingegen, die Schwierigkeianfielen. Investititen hätten, eine Beschäftigung zu
onen in die Qualifinden, verfügten nicht über die
fizierung von Benotwendige Verhandlungsmacht,
schäftigten würzumal sie bei Verweigerung der
den sich damit
Arbeitsaufnahme in Konflikt mit
nur noch in Ausder Sozialversicherung gerieten.
nahmefällen loh- Kontroverse Diskussion: Politiker und Wissenschaftler im
nen.
regen Austausch über die vorgestellten Reformmodelle.
Unnötige Verunsicherung oder wirksamer Impuls für neue Arbeitsplätze?
Politische Eingangsstatements der Diskussion
Dr. Heinrich Kolb MdB, Sprecher für Arbeitsrechtpolitik der
FDP-Bundestagsfraktion
Laurenz Meyer MdB, Vorsitzender der Arbeitsgruppe Wirtschaft und
Technologie der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Dr. Rainer Wend MdB, Sprecher der Arbeitsgruppe Wirtschaft und
Technologie der SPD-Bundestagsfraktion
Brigitte Pothmer MdB, Arbeitsmarktpolitische Sprecherin von
Bündnis 90/Die Grünen
Dr. Heinrich Kolb
Die politische Diskussionsrunde
eröffnete Dr. Heinrich Kolb MdB. Er
wies eingangs darauf hin, dass man
zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit
vor allem beim unternehmerischen
Mittelstand ansetzen müsse. Von
den großen DAX-Unternehmen seien hingegen in den nächsten Jahren
kaum positive Beschäftigungseffekte zu erwarten.
Kolb warnte davor, die unternehmerische Bereitschaft, Arbeitsplätze zu
schaffen, ausschließlich als Ergebnis der Auftragslage in den Unternehmen zu sehen. Zusätzlich seien
auch andere Einflussfaktoren wie
etwa die Freude am Unternehmertum oder die Einstellung der Gesellschaft zu Unternehmen von Bedeutung. Aus der Perspektive der
Unternehmer stelle der relativ rigide
Kündigungsschutz einen negativen
Faktor dar. Selbst wenn seine
Flexibilisierung – wie von manchen
behauptet – nicht zu einem Anstieg
der Beschäftigung führe, so sei auf
jeden Fall mit einer geringeren
Sockelarbeitslosigkeit zu rechnen.
Davon würden insbesondere gering
Qualifizierte profitieren, die heute
kaum mehr eine Chance auf dem
Arbeitsmarkt hätten.
Von daher sei es anzuraten, vor
allem kleinere und mittlere Unternehmen vom Kündigungsschutz
zu befreien. Die FDP schlage hierzu
eine Anhebung des Schwellenwertes von heute 10 auf 50 Beschäftigte vor. Daneben solle der Kündigungsschutz anstatt bereits nach
sechs Monaten erst nach vier Jahren Betriebszugehörigkeit wirksam
werden. Und schließlich sei es sinnvoll, den Vertragsparteien bereits
bei Abschluss des Arbeitsvertrages
die Möglichkeit zu geben, eine
Abfindungszahlung für den Fall der
arbeitgeberseitigen Auflösung des
Arbeitsverhältnisses festzulegen.
Dadurch ließen sich die heute aufgrund von langwierigen Arbeitsgerichtsprozessen entstehenden Unsicherheiten bei den Arbeitgebern
vermeiden.
Laurenz Meyer MdB
Laurenz Meyer MdB betonte, dass
die Reform des Kündigungsschutzes kein Allheilmittel sei, sondern
allenfalls ein Stein in einem Mosaik
von Maßnahmen. Vor allem sei der
Abbau von Kündigungsschutzregeln kein Selbstzweck; vielmehr
gehe es um die Beseitigung von
Einstellungshemmnissen. Fünf bis
sechs Millionen Arbeitsplätze in
Form von Schwarzarbeit würden
zeigen, dass es in Deutschland
genügend Arbeit gebe.
Angesichts internationaler Erfahrungen müsse man zur Kenntnis
nehmen, dass vieles von dem, was
bisher als Schutzfunktion verstan-
7
den wurde, sich auf lange Sicht vor
allem als Einstellungsbarriere erwiesen habe. Hingegen zeigten Beispiele in Ländern wie Dänemark, wo
der Kündigungsschutz praktisch
abgeschafft worden sei, dass man
Arbeitsmarktflexibilität und soziale
Absicherung sehr wohl miteinander
vereinbaren könne. Zwar gebe es in
Dänemark mehr Entlassungen als in
Deutschland, aber gleichzeitig würden die Menschen auch wesentlich
schneller wieder einen Arbeitsplatz
finden. „Die Langzeitarbeitslosigkeit, die wir hier kennen, diese
Verkrustung, gibt es dort nicht.“
Eine solche Politik brauche jedoch
einen langen Atem. In Dänemark
habe es acht Jahre gedauert, bis
die Reformen ihre volle Wirkung
entfaltet hätten.
Auf Widerspruch stieß das „Abfindungsmodell“ von Prof. Straubhaar,
da dieses mit höheren Kosten für
die Arbeitgeber verbunden sei.
Zudem erfordere die Abschaffung
der Arbeitslosenversicherung die
Etablierung
eines
Ersatzinstruments. Kurzfristig müssten
jedoch insbesondere Lösungen für
kleinere und mittlere Unternehmen
gefunden werden, die aufgrund der
Komplexität und den scheinbar
unvorhersehbaren Folgen des
Arbeitsrechts Neueinstellungen so
lange wie möglich hinauszögerten.
Eine der dringlichen Aufgaben dieser Legislaturperiode sei es, hier
gemeinsam mit den Tarifpartnern
Lösungsvorschläge
für
mehr
Flexibilität zu erarbeiten.
Reform des Kündigungsschutzes
8
Dr. Rainer Wend MdB
„Nach meiner Einschätzung ist das
Thema Kündigungsschutz in seiner
Bedeutung maßlos überschätzt –
übrigens von allen Seiten“, betonte
Dr. Rainer Wend MdB zu Beginn seiner Ausführungen. Die von Prof.
Pfarr präsentierten Zahlen zeigten,
dass der Kündigungsschutz kaum
eine solch belastende
Wirkung
für
die
Arbeitgeber habe, wie
diese im Allgemeinen
behaupteten. Andererseits müssten aber
auch die Gewerkschaften und die SPD
erkennen, dass der
Kündigungsschutz in
wirtschaftlichen Umbruchszeiten keine besondere
Sicherheit geben könne. Daher sei
eine differenzierte Betrachtung notwendig.
Einerseits könne die Lockerung des
Kündigungsschutzes einen Beitrag
zum
Abbau
der
Langzeitarbeitslosigkeit leisten, da die
„ Umschlagsgeschwindigkeit“ von
Arbeitsplätzen steige. Auch wenn
dadurch nicht die Gesamtzahl der
Arbeitslosen sinke, sei dieser Effekt
angesichts der hohen Langzeitarbeitslosigkeit positiv zu werten.
Andererseits jedoch könne die
erhöhte Unsicherheit, die mit einem
flexibleren Kündigungsschutz einhergehe, sich negativ auf den
Konsum und damit die wirtschaftliche Entwicklung auswirken.
Vor diesem Hintergrund zeigte sich
Dr. Wend zwar grundsätzlich gesprächsbereit, was Modifikationen
des Kündigungsschutzes betreffe.
Einer isolierten Veränderung des
Kündigungsschutzrechtes erteilte er
allerdings eine klare Absage. Vielmehr müssten Reformen des
Arbeitsrechts ineinander greifen.
Gerade das von Laurenz Meyer
genannte Beispiel Dänemark verdeutliche dies.
Kritisch äußerte sich Dr. Wend zum
Vorschlag des Kronberger Kreises.
Das
Arbeitsrecht
sei
die
Voraussetzung dafür, dass sich die
Arbeitsvertragsparteien halbwegs
auf gleicher Augenhöhe begegnen
könnten. Die von Prof. Donges vorgeschlagene freie Vereinbarung über die
Modalitäten des Kündigungsschutzes würde in
Wahrheit in einem „einseitigen Diktat“ der
Arbeitgeber
enden.
Stattdessen plädierte Dr.
Wend
für
die
Vereinbarung
der
Reg ierung sk o alit io n,
den Kündigungsschutz erst nach
zwei Jahren Betriebszugehörigkeit
wirken zu lassen. Dies sei eine einfache, transparente Lösung und
würde es den Arbeitgebern ermöglichen, bei verbesserter Auftragslage Arbeitsplätze zu schaffen, ohne
befürchten zu müssen, diese in
naher Zukunft nur unter hohen
Kosten wieder kündigen zu können.
Brigitte Pothmer MdB
Brigitte Pothmer MdB sprach sich
für einen unideologischen Umgang
mit dem Kündigungsschutz aus. Mit
dem Ziel, die Situation der Outsider
des Arbeitsmarktes zu verbessern,
hätten die Grünen während der rotgrünen
Bund esregierung
die
Erhöhung
d e s
Sc h w el lenwertes
von fünf
auf zehn
Mitarbeiter sowie Erleichterungen für
Existenzgründer bei befristeten
Arbeitsverhältnissen mitgetragen.
Die Ergebnisse seien jedoch ernüchternd, stellte Brigitte Pothmer fest. Vor
allem sei festzustellen, dass der
erhoffte stärkere Personal-Turnover
bei den Langzeitarbeitslosen, die
häufig zur Gruppe der gering
Qualifizierten gehörten, bisher vollkommen ausgeblieben sei: „Die haben wir damit überhaupt nicht
erreicht“.
Angesichts dieser Feststellung
könne sie derzeit nicht erkennen,
dass eine weitere Lockerung des
Kündigungsschutzes die Situation
am deutschen Arbeitsmarkt verbessern würde. Demgegenüber sei zu
befürchten, dass eine weitergehende Liberalisierung sogar negative
Effekte mit sich bringe. So stelle sich
vor allem die Frage, wie ein höheres
Arbeitsplatzrisiko die Konsumentscheidungen und Arbeitsplatzwahl
der Arbeitnehmer beeinflusse.
Gerade im Hinblick auf mehr
Flexibilität und Mobilität könne sich
die von Dr. Wend befürwortete
Verlängerung der Probezeit auf zwei
Jahre als kontraproduktiv erweisen.
So entstünde der Anreiz, auf einen
Arbeitsplatzwechsel zu verzichten,
weil damit vorerst ein Verlust an
Kündigungsschutz verbunden wäre.
Die Lösung könne allein in der
Verbindung von Flexibilität und
Sicherheit liegen – das sei auch das
Erfolgsgeheimnis von Dänemark.
„Deswegen bin ich der Auffassung,“
so Brigitte Pothmer, „ dass der
Handlungsbedarf derzeit nicht in
erster Linie bei der Lockerung des
Kündigungsschutzes liegt.“
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