GöttinGer Miszellen
Beiträge zur ägyptologischen Diskussion
Heft 242
Göttingen 2014
Göttinger Miszellen is a refereed journal
Advisory Board:
Mohamed Sherif Ali, Kairo
Heike Behlmer, Göttingen
Ola El-Aguizi, Kairo
Fayza Haikal, Kairo
Christian E. Loeben, Hannover
Boyo Ockinga, Sydney
Wolfgang Schenkel, Tübingen
Wolfhart Westendorf, Göttingen
recommended abbreviation: GM
ISSN 0344-385X
Herausgegeben von Mitarbeitern
des Seminars für Ägyptologie und Koptologie
der Georg-August-Universität Göttingen
V.i.S.d.P.: Heike Sternberg-El Hotabi
Satz und Layout: Orell Witthuhn
Druck und Verarbeitung: Hubert & Co., Göttingen
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Kein Teil des Buches darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, CD-ROM, DVD, Internet
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INHALTSVERZEICHNIS
TECHNISCHE HINWEISE .......................................................................................4
MISZELLEN
Castillos, Juan José: Semi‐Mythological Heroes in Early Egypt ...........................5
Deglin, Flavie: Le mot šfnw dans les textes Égyptiens ......................................13
Masoud, Abdel‐Hamid: Symposium and Ithyphallic Figures from Saïs, Egypt ..25
Mladjov, Ian S. R.: Rediscovering Queen Tanodjmy: A Probable Link Between
Dynasties 18 and 19 ..............................................................................57
Miatello, Luca: On the Etymology of jtn and the Solar Iconography.................71
Monnier, Franck: La construction des grandes voûtes en chevrons de l’Ancien
Empire ...................................................................................................89
Theis, Christoffer: JHWH in einem altägyptischen Zauberspruch? .................105
Taterka, Filip: An Intriguing Passage from the Akhenaten’s Boundary Stelae
Evoking Royal Ancestors......................................................................111
NOTIZEN ZUR LITERATUR
Ternes, Bernd/ Mülstegen, Stefan/ Graefe Erhart: Neues zum Pyramidenbau –
Versuchsergebnisse.............................................................................. 119
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CHRISTOFFER THEIS
JHWH in einem altägyptischen Zauberspruch?*
Beim Ritual der vier Kugeln, welches in mehreren parallelen Überlieferungen aus Ägypten
erhalten ist, handelt es sich um einen Brauch zum Schutz für den Gott Osiris respektive
dessen Grabstätte, allerdings wird auch das Land Ägypten mit einbezogen und mit einer
rituell durchgeführten magischen Umkreisung versehen, um es vor seinen äußeren Feinden zu
schützen.1 In der zweiten Ritualnotiz existiert eine bisher als voces magicae bzw. Abracadabra
gedeutete Passage; die vorgeblichen voces magicae sollen im Fokus des vorliegenden
Beitrags stehen und für diese eine Deutung als semitische Anrufung einer Gottheit
herausgestellt werden.
Den umfangreichsten Textzeugen des Rituals stellt Pap. New York 35.9.21, Kol. XXVI–
XXXII dar, der ursprünglich einem ’Iy-m-ḥtp gehörte und aus der Zeit der zweiten
Perserherrschaft respektive dem Beginn der Ptolemäerzeit stammt.2 Ebenso sind Extrakte des
Textes auf weiteren Papyri erhalten geblieben, die von JEAN-CLAUDE GOYON
zusammengestellt wurden.3 Es handelt sich hierbei um Pap. Berlin P. 3037, rt. I–III, Pap.
Louvre 3237+3239 sowie Pap. Brooklyn 47.218.138, x+XIV,10–21–x+XV und x+XVI,x–
XVI,1–15.4 Im Tempel des Amun von Hībis in der Oase al-Ḫārğa wurde das Ritual
desgleichen wie im Bau des Taharqo in Karnak angebracht.5 Ein größtenteils zerstörter
* Der vorliegende Beitrag entstand im Rahmen des Teilprojekts A03 des von der Deutschen
Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Sonderforschungsbereichs 933 “Materiale Textkulturen” an der
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg.
1 Hierzu sei auf C. THEIS, Magie und Raum. Der magische Schutz ausgewählter Räume im alten Ägypten
nebst einem Vergleich zu angrenzenden Kulturbereichen, Kap. VII (in Druckvorbereitung für ORA)
verwiesen. Dieses Ritual ist von einer vergleichbaren Handlung mit einem Ball zu trennen, die z.B. in Edfou
I, 62 und III, 348 erscheint und den Titel Èqr Hm# „Schlagen des Balls“ trägt, hierzu zusammenfassend C.E.
DE VRIES, A Ritual Ball Game?, in: G.E. KADISH (ed.), Studies in Honor of John A. Wilson, SAOC 35,
Chicago 1969, S. 25–35, hier S. 28–31.
2 Siehe J.-C. GOYON, Le papyrus d’Imouthès, fils de Psintaês au Metropolitan Museum of Art de New-York
(Papyrus MMA 35.9.21), New York 1999, S. 63–73 und id., Textes mythologiques II.: Les révélations du
mystère des quatre boules, in: BIFAO 75 (1975), S. 349–399. Verbesserungen bei J.F. QUACK, Philologische
Miszellen 1, in: LingAeg 2 (1992), S. 151–153, hier S. 151. Eine Zusammenstellung der Textzeugen liegt bei
GOYON, Papyrus d’Imouthès, S. 63f. und N. FIEDLER, Sprüche gegen Seth. Bemerkungen zu drei späten
Tempelritualen, Heidelberg 2011, S. 338f. vor.
3 Siehe GOYON, in: BIFAO 75 (1975), S. 349–352 und id., Papyrus d’Imouthès, S. 63 mit Anm. 2 [Anm. 2].
4 Vgl. hierzu die Zusammenstellung von J.-C. GOYON, Le recueil de prophylaxie contre les agressions des
animaux venimeux du Musée de Brooklyn (Papyrus Wilbour 47.218.138), SSR 5, Wiesbaden 2012, S. 100;
hierzu auch die Rezension von J.F. QUACK, Rezension zu J.-C. Goyon, Le recueil de prophylaxie contre les
agressions des animaux venimeux du Musée de Brooklyn (Papyrus Wilbour 47.218.138), SSR 5, Wiesbaden
2012, in: WdO 43 (2013), S. 256–272. Im vorliegenden Beitrag wurde die Zählung der gebotenen
Publikation verwendet.
5 Publiziert wurde das Ritual im Tempel von Hībis in der Oase al-Ḫārğa von N. DE GARIS-DAVIES, The Temple
of Hibis, III: The Decoration, New York 1953, Tf. 19f. und B. PORTER & R.L.B. MOSS, Topographical
Bibliography of Ancient Egyptian Hieroglyphic Texts, Reliefs, and Paintings, 7 Bde., Oxford 21960–1990,
hier VII, S. 288 (Raum 15, Nr. 143f.); zum Ritual im Bau des Taharqo R.A. PARKER, J. LECLANT & J.-C.
GOYON, The Edifice of Taharqa by the Sacred Lake of Karnak, Brown Egyptological Studies VIII,
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Kalksteinblock, der sich heute in Moskau, Pushkin Museum of Fine Arts, I.1.b.1022 befindet,
weist noch drei Zeilen mit wenigen Zeichen auf;6 ebenso zeigt Paris, Musée Guimet, Inv.
14730 lediglich noch drei Reihen Text.7 Das jüngste heute bekannte Stück stellt Pap. London,
BM 10288, I,1–7 aus der frühen Ptolemäerzeit dar.8 Alle Textzeugen datieren somit in die
Zeit zwischen der 25. Dynastie und dem Beginn der Ptolemäerzeit. Dass das Ritual an sich
aber höchstwahrscheinlich älteren Ursprungs ist, zeigen Kugeln, die bereits aus dem Mittleren
Reich belegt sind.9 Ebenso muss auf Pap. Chester Beatty XI, frg. F, rt. x+5 aus der 19.
Dynastie hingewiesen werden, da hier noch der kurze Ritualvermerk Dd=tw rA pn Hr fd.t
bnn[.t] „Man spreche diesen Spruch über vier Tonkugeln“ erhalten ist.10 Ob dieser Textzeuge
wirklich dem Ritual der vier Kugeln zuzuordnen ist, oder ob es sich um einen magischen Text
handelt, der vier Tonkugeln in einem ganz anderen Zusammenhang als materia sacra einsetzt,
kann nicht gesagt werden.
Nur auf vieren der genannten Textträger hat sich die zu besprechende Textstelle erhalten. In
der ersten Ritualnotiz des Rituals, die in Pap. New York 35.9.21, XXVII,8, in Pap. Brooklyn
47.218.138, x+XV,7, in Pap. Berlin P. 3037, rt. und auf der Ostwand in H2 des Tempels von
Hībis erhalten ist, liegt die betreffende problematische Stelle im Text vor. Nachdem die vier
Kugeln aufgefordert wurden, den ehrwürdigen Gott zu schützen, folgen die nachstehend in
Zusammenstellung gebotenen Zeichen:11
6
7
8
9
10
11
Providence 1979, S. 61–65 & Tf. 25, zuletzt auch A. VON LIEVEN, Bemerkungen zum Dekorationsprogramm
des Osireion in Abydos, in: B. HARING & A. KLUG (Hgg.), 6. Ägyptologische Tempeltagung. Funktion und
Gebrauch altägyptischer Tempelräume, Königtum, Staat und Gesellschaft früher Hochkulturen 3,1,
Wiesbaden 2007, S. 167–186, hier S. 185.
Publiziert von S. HODJASH & O.D. BERLEV, The Egyptian Reliefs and Stelae in the Pushkin Museum of Fine
Arts, Moscow, St. Petersburg 1982, S. 180 (Nr. 123). Das Stück wird dort in die 26. Dynastie datiert, oder
stammt nach GOYON, Papyrus d’Imouthès, S. 63 [Anm. 2] aus der 30. Dynastie.
Publiziert von A. MORET, Catalogue du Musée Guimet, Galerie égyptienne: Stèles, Bas-Reliefs, Monuments
divers, Annales du Musée Guimet 32, Paris 1909, S. 126f.
Publiziert von R.A. CAMINOS, Another Hieratic Manuscript from the Library of Pwerem Son of Ḳiḳi (Pap.
B.M. 10288), in: JEA 58 (1972), S. 205–224, Tf. 36.
Hierbei handelt es sich um zwei Tonkugeln aus Mirğissa, siehe R.K. RITNER, The Mechanics of Ancient
Egyptian Magical Practise, SAOC 54, Chicago 1993, S. 161; A. VILA, Un rituel d’evoûtement au Moyen
Empire Égyptien, in: M. SAUTER (éd.), L’homme, hier et aujourd’hui. Recueil d’études en hommage à André
Leroi-Gourhan, Paris 1973, S. 625–639, hier S. 637 sowie Y. KOENIG, I Testi di Esecrazione di Mirgissa
(Nubia). A propos des textes d’envoûtement de Mirgissa, in: A. ROCCATI & A. SILIOTTI (eds.), La Magia in
Egitto ai Tempi dei Faraoni, Milano 1987, S. 301–312, hier S. 302 & S. 311 mit Anm. 10. Die nächst
jüngeren Kugeln stammen aus Grab Z 52 in Zāwiyat al-Aryan und datieren in das Neue Reich. Diese sind
nach D. DUNHAM, Zawiyet el-Aryan. The Cemeteries adjacent to The Layer Pyramid, Boston 1978, S. 40f.
(Nr. 16, 21f. & 24) mit Markierungen versehen worden. Es bleibt fraglich, ob auch die von W.M. FLINDERS
PETRIE, The Tombs of the Courtiers and Oxyrhynchos, BSAE 37, London 1925, S. 5 & Tf. IV,12 publizierte
Kugel aus dem frühdynastischen Friedhof in Abydos wirklich einem frühen Vorläufer dieses Rituals dienen
sollte oder ob sie vielleicht für einen ganz anderen Zweck hergestellt worden war.
Vgl. A.H. GARDINER, Chester Beatty Gift, 2 Bde., London 1935, Tf. 66; Inventarnummer London, BM EA
10691,5.
Siehe die Zusammenstellung bei GOYON, in: BIFAO 75 (1975), S. 369 und die Inschrift im Tempel von
Hībis bei DE GARIS-DAVIES, Hibis III, Tf. 20 [Anm. 5].
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Pap. Brooklyn 47.218.138,
x+XV,7
26. Dynastie
Hībis, Ostwand von H 2
27. Dynastie
Pap. New York 35.9.21,
XXVII,8
30. Dyn./ Beginn der
Ptolemäerzeit
Pap. Berlin P. 3037, rt.
Ptolemäerzeit
Die Lautfolgen in Pap. New York 35.9.21, XXVII,8 und in Pap. Brooklyn 47.218.138,
x+XV,7 wurden von Goyon als voces magicae gedeutet und zuerst als AI-r#-k# und AI-Hy-r#-k#
umschrieben.12 Folgend deutete er sie als eine Art Anrufung „Ȏ Raka, bis“.13 Es stellt sich die
Frage, wie die Worte im Kontext der Ritualnotiz zu den vier Kugeln zu deuten sind – handelt
es sich wirklich nur um unverständliche voces magicae im Sinne eines Abracadabra14 oder
lässt sich für einige Worte eine Bedeutung finden, die sich mit einem Zauber in Verbindung
bringen lässt?
Als Interpretation der ersten Anrufung
in Pap. New York 35.9.21, XXVII,8 ist
aufgrund bekannter Umschreibungen semitischer Wörter in Hieroglyphen an eine Wiedergabe
für Al-k# mit einer zugrunde liegenden semitischen Entsprechung ’e/ilka, vergleichbar
akkadischem ilka oder hebräischem ָאֵ ל, mit der Bedeutung „Dein (m.) Gott“ zu denken.15
12 Vgl. GOYON, in: BIFAO 75 (1975), S. 368. Vergleichbar auch C. LEITZ (Hg.), Lexikon der ägyptischen
Götter und Götterbezeichnungen, 8 Bde., OLA 110–116, Leuven 2002–2003, hier Bd. I, S. 536b & S.
549a+b, wo die Namen als AIrk, AIHrk und AIH-bnn umschrieben werden.
13 GOYON, Papyrus d’Imouthès, S. 67 [Anm. 2] und id., Recueil de Prophylaxie, S. 105 [Anm. 4]. Einen
vergleichbaren Ausruf zeigt Pap. London, BM EA 10042, rt. VII,12 mit
popo rwk# popo rAk# popo rwrA, siehe C. LEITZ, Magical and Medical Papyri of the New
Kingdom, Hieratic Papyri in the British Museum VII, London 1999, S. 42 & Tf. 18. Die beiden Lautfolgen
rwk# und r#k# wurden von RITNER, Egyptian Magical Practice, S. 193 mit Anm. 890 [Anm. 9] als Vorläufer
des demotischen lg „entfernen/ beseitigen“ gedeutet. Zur Deutung der Worte aus Sektion Q von Pap. London,
BM EA 10042, rt. VII,12 merkte J.B. BORGHOUTS, Ancient Egyptian Magical Texts, Leiden 1978, S. 89 mit
Anm. 304 an: „Unintelligible words (Egyptian?)“. Das in Pap. London, BM EA 10042, vs. II,3 zweimal
rk bei LEITZ, Magical and Medical Papyri, S. 49 & Tf. 22 erfüllt mit Determinativ die
erscheinende
Bedingung als Vorläufer des demotischen Verbums. Pap. Berlin P. 3031, I,10 bei M.Z. ALLAM, Papyrus
Berlin 3031. Totentexte der 21. Dynastie mit und ohne Parallelen, Bonn 1992, Tf. 9f. zeigt eine zu Pap.
London, BM EA 10042, rt. VII,12 vergleichbare Nennung mit Pnh#qh#q, AIq#r und Rwb#.
14 Zuerst belegt bei Quintus Sammonicus Serenus, Liber medicinalis LI (935), der sein Werk etwa 200 n.Chr.
verfasste, siehe den Text bei F. VOLLMER, Quinti Sereni Liber Medicinalis, Corpus Medicorum Latinorum
II/3, 1916, S. 45 [Online verfügbar unter http://latin.packhum.org/loc/1515/1/0#0; Zugriff am 29. März
2014].
15 Vgl. z.B. die Schreibungen des Substantivs ’Ēl im Ägyptischen bei J.E. HOCH, Semitic Words in Egyptian
Texts of the New Kingdom and Third Intermediate Period, Princeton, New Jersey 1994, S. 27f. (Nr. 16), S.
50 (Nr. 48), S. 91 (Nr. 113), S. 113 (Nr. 144), S. 176 (Nr. 235), S. 201f. (Nr. 272), S. 204f. (Nr. 278), S. 214
(Nr. 294), S. 323 (Nr. 466) und S. 384 (Nr. 576). Eventuell wird ’Ēl bereits in Pap. Budapest 51.1960, B,6 in
einem Zauberspruch angerufen, der um 1250–1000 entstanden ist, siehe L. KÁKOSY, Fragmente eines
unpublizierten magischen Textes in Budapest, in: ZÄS 117 (1990), S. 140–157, hier S. 150 mit Anm. m. Man
vergleiche nur die Schreibungen des Gottesnamens in Pap. Wilbour bei R.O. FAULKNER, in: A.H. GARDINER,
The Wilbour Papyrus, 4 Bde., London 1942–1952, hier IV, S. 3 & S. 8. Des Weiteren ist Alk#.tÌ in Pap.
Brooklyn 47.218.138, x+IX,13 bei GOYON, Recueil de Prophylaxie, S. 61 & Tf. 9 [Anm. 4] belegt. J.F.
QUACK, Zauber ohne Grenzen. Zur Transkulturalität der spätantiken Magie, in: A.H. PRIES, L. MARTZOLFF,
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Die ausführlichste Variante liegt im Tempel von Hībis mit
vor. Diese ist als
syllabische Schreibung von Yw (A)l-k#Ì sp-Èn.w „Yw, dein Gott, zweimal“ zu deuten. Eine
Elision des Alephs ist für das Ägyptische belegt.16 In diesem Sinne ist auch die in Pap.
Brooklyn 47.218.138, x+XV,7 teilweise leider zerstörte Passage
zu interpretieren.
Nun ist naturgegeben die Frage zu stellen, ob mit Yw hier eine Kurzform eines bekannten
Gottesnamens vorliegen könnte.17 Diese passt auf den ersten Blick nicht mit einer Form von
JHWH, nebst einer angenommenen zentralsemitischen Langform *Yahwiyu,18 zusammen. Auf
alternative Schreibungen der Kurzform in ägyptischen Texten wurde bereits früher
hingewiesen.19 Der Name erscheint in mehreren Schreib- und Aussprachevarianten, so sind
z.B. Jaho oder Jao, manchmal auch Jahu, belegt, wobei die Schreibung des h als fakultativ zu
bewerten ist. In Zusammensetzungen taucht auch Jo auf. Demnach könnte im obigen Fall
durchaus eine verkürzte Form Yw vorliegen, wobei eine Entwicklung von *Yahwiyu > *Yahwi
> *Yahû zugrunde liegt, bei der es sich um eine Schreibung ohne h handelt, und damit *Yaû
als Abschluss steht.
Das folgend an zweiter Position in Pap. New York 35.9.21, XXVII,8 erscheinende
AHy (A)l-k# ist am Schluss erneut mit „dein Gott“ unter Elision des Alephs zu
lesen. Der erste Teil AHy lässt sich aber aufgrund des fehlenden anlautenden y sowie der
Differenz zwischen ḥ und h nicht mit JHWH in Verbindung bringen. Als semitische
Entsprechung bietet sich aḫī/ „ אָ ִחיMein Bruder“ an, wobei aber fraglich bleibt, warum in
einem Zauberspruch „Mein Bruder, dein Gott“ gesprochen werden sollte. Als Varianten
sowie im Tempel von Hībis
liegen in Pap. Berlin P. 3037, rt.
16
17
18
19
R. LANGER & C. AMBOSS (Hgg.), Rituale als Ausdruck von Kulturkontakt. „Synkretismus“ zwischen
Negation und Neudefinition. Akten der interdisziplinären Tagung des Sonderforschungsbereiches
„Ritualdynamik“ in Heidelberg, 3.–5. Dezember 2010, Studies in Oriental Religions 67, Wiesbaden 2013, S.
177–199, hier S. 183 mit Anm. 27 nennt als weiteren fremdsprachigen Einfluss die Passage Pap. Brooklyn
47. 218.138, x+XVI,20f.
Vgl. HOCH, Semitic Words, S. 28 (Nr. 16) [Anm. 15].
Nach J.C. DE MOOR, The Rise of Yahwism. The Roots of Israelite Monotheism, BETL 91, Leuven 21997, S.
162–169 könnte in KTU 1.1 IV:13–20 ebenfalls Jw vorliegen, wozu sich allerdings B. BECKING, s.v. Jahweh,
www.wibilex.de, § 3.2 [Online verfügbar unter http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/22127/; Zugriff
am 29. März 2014] kritisch äußert.
Vgl. hierzu M. GÖRG, YHWH – ein Toponym? Weitere Perspektiven, in: BN 101 (2000), S. 10–14, hier S.
12. Diese Langform wird dem unter Amenophis III. belegten Toponym
zugrunde liegen, siehe
hierzu M.C. ASTOUR, Yahweh in Egyptian Topographic Lists, in: M. GÖRG & E. PUSCH (Hgg.), Festschrift
Elmar Edel, 12. März 1979, ÄAT 1, Wiesbaden 1979, S. 17–34; BECKING, s.v. Jahweh, www.wibilex.de, §
3.3; J. LECLANT, Fouilles et travaux au Soudan, 1955–1960, in: Or 31 (1962), S. 120–144, hier S. 128; id.,
Tétragramme à l’époque d’Aménophis III, in: M. MORI (ed.), Near Eastern Studies dedicated to H.I.H. Prince
Takahito Mikasa, Wiesbaden 1991, S. 215–217 und id., Les fouilles de Soleb (Nubie soudanaise), in: S.
SCHOTT (Hg.), Göttinger Vorträge, NAW Göttingen, Phil.-Hist. Klasse 13, Göttingen 1965, S. 211–216. Vgl.
hierzu auch speziell H. GOEDICKE, The Tetragram in Egyptian?, in: JSSEA 24 (1994), S. 24–27, hier S. 24–
26; M. GÖRG, Jahwe – ein Toponym?, in: BN 1 (1976), S. 7–14 und id., in: BN 101 (2000), S. 10–14.
Vgl. hierzu und zum Folgenden J.F. QUACK, Griechische und andere Dämonen in spätdemotischen
magischen Texten, in: T. SCHNEIDER (Hg.), Das Ägyptische und die Sprachen Vorderasiens, Nordafrikas und
der Ägäis. Akten des Basler Kolloquiums zum ägyptisch-nichtsemitischen Sprachkontakt, Basel 9.–11. Juli
2003, AOAT 310, Münster 2004, S. 427–507, hier S. 456f. Als exotischere Formen sind Iawa in Pap. Mag.
LL. 16, 1f. und Jae, Jeu und Jeo(u)e belegt, vgl. ibd. S. 457 und Belegstellen S. 484; zitierte Stelle bei F.L.
GRIFFITH & H. THOMPSON, The Demotic Magical Papyrus of London and Leiden, 3 Bde., London 1904–
1909, Tf. 16, Zeile 1f.
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vor.20 Die Zeichen des Berliner Papyrus lassen sich als ÌHÌwy Ìr+ ky
deuten, was dementsprechend als „ÌHÌwy, tue (etwas) anderes!“ zu übersetzen wäre.
Die Zeichenfolge in Pap. Berlin P. 3037, rt.
wäre wohl als ägyptisches Ìr+
ky Ìr+ ky in einer eigenartigen Schreibung zu lesen und als „Tue (etwas) anderes! Tue (etwas)
anderes!“ zu übersetzen. Dass in vier sonst fast immer parallel verlaufenden Schriften an
dieser Position die Lesungen derart abweichen, ließe sich mit dem Unverständnis einer dem
Schreiber unbekannten Sprache erklären. Der bisher älteste bekannte Text Pap. Brooklyn
47.218.138, x+XV,7 wie auch Pap. New York 35.9.21, XXVII,8 hätten dementsprechend das
Semitische noch gut tradiert respektive überliefert. Der Verfasser von Pap. Berlin P. 3037, rt.
scheint die Passage bereits nicht mehr verstanden zu haben und re-interpretierte den Text
sozusagen nach seiner Vorstellung ins Ägyptische.
Wenn es sich bei der oben herausgestellten Identifizierung tatsächlich um eine Form des
Namens JHWH handeln sollte, wäre es meines Wissens die früheste Nennung dieser Gottheit in
einem ägyptischen Zauberspruch,21 da Pap. Brooklyn 47.218.138 bereits aus der 26. Dynastie
stammt.22 Hier sei explizit nur auf das magische Milieu verwiesen; bereits der Eigentümer des
Totenbuch-Papyrus Princeton Pharaonic Roll 5 aus der 18. Dynastie trägt den im ägyptischen
als Atwny-ro-yh wiedergegebenen kanaanäischen Eigennamen AAdönÍ-röoë-yäh „Mein Herr ist
der Hirte von Yah“23 und unter Amenophis III. ist JHWH in einem Toponym belegt.24
Besonders interessant wäre die Zusammenstellung mit anderen Göttern in Pap. Brooklyn
47.218.138, x+XV,6–11 – genannt werden die Götter des Himmels, die der Erde, die des
Südens, des Nordens, des Westens sowie des Ostens. Hierbei handelt es sich in allen Fällen
um Wesen, die auch in anderen magischen Schutzsprüchen aus Ägypten als machtvoll
erscheinen. Demnach müsste im vorliegenden Fall auch JHWH als mächtige Unterstützung in
20 Vgl. GOYON, in: BIFAO 75 (1975), S. 369 und DE GARIS-DAVIES, Hibis III, Tf. 20 [Anm. 5].
21 Siehe QUACK, in: SCHNEIDER (Hg.), Sprachen Vorderasiens, S. 483f. [Anm. 19] zu den späteren Belegen.
Die von G. PETTINATO, Ebla and the Bible, in: BiAr 43 (1980), S. 203–216, hier S. 203–205 aufgestellte
Vermutung, dass bereits in Texten aus Ebla das theophore Element Ja in nomina propria eine Kurzform von
JHWH darstellt, konnte von BECKING, s.v. Jahwe, in: WibiLex 2008, http://www.wibilex.de, § 3.1 und H.W.
MÜLLER, Gab es in Ebla einen Gottesnamen Ja?, in: ZA 70 (1980), S. 70–92, hier S. 82–89 überzeugend
widerlegt werden, da in den Namen nicht NI für ià sondern eine Abkürzung für NI.NI= ì-lí vorliegt. Generell
zur Hinwendung fremder Völker zum Gott V. HAARMANN, JHWH-Verehrer der Völker. Die Hinwendung von
Nichtisraeliten zum Gott Israels in alttestamentlichen Überlieferungen, AThANT 91, Zürich 2008, S. 170–
254.
22 Vgl. U. VERHOEVEN, Untersuchungen zur späthieratischen Buchschrift, OLA 99, Leuven 2001, S. 304–306;
zuletzt kehrte GOYON, Recueil de Prophylaxie, S. 5 [Anm. 4] wieder zur Datierung in die Ptolemäerzeit
zurück. Bekräftigend zur Datierung von VERHOEVEN jetzt QUACK, in: WdO 43 (2013), S. 256. Mit ibd. ist als
antike Provenienz Ilfantīn anzugeben; dies nannte auch P.F. O’ROURKE, An Egyptian Royal Book of
Protection of the Late Period (p. Brooklyn 47.218.49), New York 2002, S. 24f. für Pap. Brooklyn 47.218.49,
die beide aus demselben Fundkomplex stammen. Auf die schlechten Erhaltungsmöglichkeiten für Papyri im
Raum Heliopolis wiesen A. VON LIEVEN, Rezension zu D. Meeks, Mythes et légendes du Delta d’après le
papyrus Brooklyn 47.218.84, MIFAO 125, Kairo 2006, in: BiOR 65 (2008), S. 618–622, hier S. 619 und J.F.
QUACK, Rezension zu D. Meeks, Mythes et légendes du Delta d’après le papyrus Brooklyn 47.218.84,
MIFAO 125, Kairo 2006, in: OrNS 77 (2008), S. 106–111, hier S. 106 hin; vgl. hierzu auch H.-W. FISCHERELFERT, Rezension zu V. Altmann, Die Kultfrevel des Seth. Die Gefährdung der göttlichen Ordnung in zwei
Vernichtungsritualen der ägyptischen Spätzeit (Urk. VI), SSR 1, Wiesbaden 2010, in: LingAeg 19 (2011), S.
327–331, hier S. 331.
23 Siehe die Besprechung des Namens von T. SCHNEIDER, Zur Interpretation des Eigennamens des PapyrusBesitzer, in: B. LÜSCHER, Der Totenbuch-Papyrus Princeton Pharaonic Roll 5, BAÄ 2, Basel 2008, S. 45–50.
24 Siehe die in Anm. 18 genannte Literatur.
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GM 242 (2014)
den Zauberspruch eingegliedert worden sein.25 Aus der ersten Hälfte des siebten Jahrhunderts
stammt die Nennung des Gottes in einer Inschrift im Vorraum eines Grabes in Bēt Layy
(BLay(7):3) „JHWH errettet“ ()הושע יהוה.26 Hier fungiert er als Retter für den Verstorbenen
oder Flüchtlinge, die sich in dem Grab verborgen hatten,27 in einem kurzen magischen Text,
so dass die Nennung in einem Zaubertext aus Ägypten durchaus auf einer vorderasiatischen
Beeinflussung beruhen könnte.
Als eine späte Definition von Magie sei zum Abschluss noch auf Ṭašköprüzāde, Miftāḥ I,
277,13–18 verwiesen.28 Nach seiner Auslegung würde die im Ritual der vier Kugeln
vorliegende Stelle eine Kombination von ägyptischen und hebräischen Elementen in Form des
Gottesnamens nebst der angewandten Mittel belegen, wie es auch für viele andere Quellen
gilt, in denen diese Art der Vermischung kultureller Gedanken zu greifen ist. Doch wäre die
direkte Anrufung JHWHs die bisher früheste bekannte Integrierung der Gottheit in einen
ägyptischen Zauberspruch.
Abstract: The article comprehends a discussion of a short invocation in Pap. New York 35.9.21,
XXVII,8, in Pap. Brooklyn 47.218.138, x+XV,7, in Pap. Berlin P. 3037, rt. and on the eastern wall, H
2 of the temple in Hībis. It is shown that in this egyptian ritual beneath the semitic passage ’e/ilka
„Your (m.) Gott“, written in Hieroglyphics, also JHWH is mentioned in a short form of his name as Yw
for protection.
Résumé: L’article présente une discussion d’une invocation brève, attestée sur le Pap. New York
35.9.21, XXVII,8, le Pap. Brooklyn 47.218.138, x+XV,7, le Pap. Berlin P. 3037, rt. et sur le mur est
(H2) du temple d’Hībis. On a pu montrer que le rituel égyptien contient un passage sémitique ’e/ilka
„Ton (m.) dieu“, écrit en égyptien. De plus, JHWH est invoqué sous la forme abrégée de Yw afin de
prêter son assistance.
Christoffer Theis
Ägyptologisches Institut der Ruprecht-KarlsUniversität Heidelberg
Marstallhof 4
D- 69117 Heidelberg
25 Zur Rolle als Chaosbezwinger H. NIEHR, Der höchste Gott. Alttestamentlicher JHWH-Glaube im Kontext
syrisch-kanaanäischer Religion des 1. Jahrtausends v.Chr., BZAW190, Berlin/ New York 1990, S. 129–140.
26 Publiziert von J. RENZ, Die althebräischen Inschriften, Handbuch der althebräischen Epigraphik, Band I,
Darmstadt 1995, S. 249. Hiphiel der Wurzel √jšc. Weitere Texte, die JHWH nennen, liegen in Graffiti aus
dem sechsten vorchristlichen Jahrhundert bei J. NAVEH, Hebrew Graffiti from the First Temple Period,
in: IEJ 51 (2001), S. 194–207, hier S. 199f. vor.
27 So zuletzt G. EBERHARDT, JHWH und die Unterwelt, FAT II/23, Tübingen 2007, S. 373. Auch die unter
der Grabinschrift des ‘Ūrīyāhû in Ḫirbat al-Kūm, Grab II, angebrachte Hand wird als apotropäisches
Schutzsymbol verstanden, siehe S. M ITTMANN, Die Grabinschrift des Sängers Uriahu, in: ZDPV 97
(1981), S. 139–152, hier S. 140, Abb. 1 und id., Das Symbol der Hand in der altorientalischen
Ikonographie, in: R. KIEFFER & J. BERGMAN (Hgg.), La main de dieu. Die Hand Gottes, WUNT 94,
Tübingen 1997, S. 19–47; zusammenfassend zur Literatur EBERHARDT, JHWH und die Unterwelt, S. 369,
Anm. 16f. Zuletzt deutete MARTIN LEUENBERGER, Gott in Bewegung, FAT 76, Tübingen 2011, S. 155–
157 die Inschrift als reinen Segen. Noch in nachchristlicher Zeit fungierten Amulette in Form einer
Hand als Schutz, siehe z.B. das bei T. SCHRIRE, Hebrew Amulets. Their Decipherment and
Interpretation, London 1966, S. 147, Tf. 2, Nr. 11 publizierte Stück.
28 Siehe M. ULLMANN, Die Natur- und Geheimwissenschaften im Islam, HdO I/VI,2, Leiden 1972, S. 361.