Academia.eduAcademia.edu

KLEINE BEITRÄGE ZU DEN UNPUBLIZIERTEN Bo-TEXTEN (III) AKKADISCH-SUMERISCHE FRAGMENTE

2023, KASKAL Rivista di storia, ambienti e culture del Vicino Oriente Antico Volume 20

UNIVERSITÀ CA’ FOSCARI VENEZIA KASKAL Rivista di storia, ambienti e culture del Vicino Oriente Antico Volume 20 2023 LoGisma editore Firenze 2024 UNIVERSITÀ CA’ FOSCARI VENEZIA KASKAL Rivista di storia, ambienti e culture del Vicino Oriente Antico Volume 20 _ 2023 Direzione _ Editorial Board Stefano de Martino, Frederick Mario Fales, Giovanni Battista Lanfranchi, Lucio Milano, Simonetta Ponchia Consiglio scientifico _ Scientific Board Yoram Cohen, Paola Corò, Stefano de Martino, Frederick Mario Fales, Francis Joannès, Michael Jursa, Giovanni Battista Lanfranchi, Cécile Michel, Lucio Milano, Daniele Morandi Bonacossi, Simonetta Ponchia, Michael Roaf, Jack M. Sasson Segreteria scientifica e di redazione _ Editorial and Scientific Assistant Stefania Ermidoro Progetto grafico _ Graphic project Daniele Levi Direttore responsabile _ Managing Director Ines Thomas Editore _ Publisher LoGisma editore – Via Zufolana, 4 – I-50039 Vicchio (Firenze) www.logisma.it Stampa _ Print Press Up srl – Via Cassia Km 36,300 – I-01036 Nepi (VT) Distribuzione _ Distribution Orders can be either addressed to the publisher, or to: Casalini Libri s.p.a. _ Via B. da Maiano 3 _ I-50014 Fiesole (Firenze) http://www.casalini.it All articles submitted to KASKAL have undergone a peer-review process. ISBN 978-88-94926-80-4 ISSN 1971-8608 Stampato in aprile 2024 KASKAL Rivista di storia, ambienti e culture del Vicino Oriente Antico Volume 20 (2023) KLEINE BEITRÄGE ZU DEN UNPUBLIZIERTEN Bo-TEXTEN (III) AKKADISCH-SUMERISCHE FRAGMENTE* Oğuz Soysal Unter den unpublizierten Boğazköy-Texten Bo 6087 – Bo 6434 (zur Publikation vorgesehen in der Reihe von Chicago Hittite Dictionary Supplements Nr. 4) befinden sich vier kleine, nicht-hethitische Bruchstücke, deren Sprache als Akkadisch(-Sumerisch) zu klassifizieren ist. Hier sind diese Texte in Umschrift und Übersetzung nebst sprachlich-inhaltlicher Kommentare vorgelegt. 1. Bo 6120 Bo 6120 ist ein einseitiges, leicht abgeriebenes Fragment. Die Textgattung wurde von D. Schwemer identifiziert (persönliche Mitteilung vom 05.11.2020 mit zahlreichen Lesungsvorschlägen). Es handelt sich um das Vokabular “An: Anum I”. Die Zeilen 10’-19’ sind dupliziert aus, oder parallel zu KUB 3.118 + KBo 26.1 I! 1’-6’ (CTH 309.4), woraus die geringfügigen Ergänzungen hier übernommen wurden. Die teilweise erhaltene Kolumne enthält sumerische Aussprachen der Götternamen und Kommentare auf Sumerisch und Akkadisch (nur in Zeile 16’). * Das Manuskript wurde im Januar 2023 abgeschlossen. Zum Dank verpflichtet bin ich J. Fincke (s. Nr. 2, 4) und D. Schwemer (s. Nr. 1, 2) für ihre weiterführenden Kommentare und Vorschläge im mesopotamischen Sprachbereich. Für das Geschriebene bin ich selbstverständlich allein verantwortlich. Das Projekt der unveröffentlichten Bo-Texte wird seit 2020 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft befördert. 60 Oğuz Soysal Bo 6120 § 1’ 1’ (Zeichenspuren?) ———————————— § 2’ 2’ (Zeichenspuren) 3’ [ … dam-an]-{na-ak-ke} ————————————————— § 3’ 4’ [ … dam-bà]n?-{da-an-na-ak?}-k[e] 5’ [ … ](-) {x-x-x} (-)[ ] {x-x} —————————————————————— § 4’ 6’ [ … ](-){x? en-ki}-g┐-{ak?-ke?} 7’ [ … ](-){x-x-a-ia} 8’ [ … ]-{x-ak-ke} 9’ [ … ] el-{líl?-la}-ak-ke —————————————————— § 5’ 10’ [ … d]{am-ma}-u-tu-a-an-{ki} —————————————————— § 6’ 11’ [ … d]{ni}- en- š┐r ———————————————— § 7’ 12’ [ … dši]-im-{bi}- zi ———————————————— § 8’ 13’ [ … dg]{a}ga 14’ [ … ] { } (eras.) {x} [ 15’ [ … gišgidru]-ma~-šu-du7-{a} 16’ [ … na-aš] ~a-a\-\ì #i-i[r-ti] Kleine Beiträge zu den unpublizierten Bo-Texten (III) 61 ———————————————————— § 9’ 17’ [ … dme-e]n-ni-{en}-ni-{an-na} 18’ [ … ]- {x-ba?}-ak-ke ——————————————————— § 10’ 19’ [ … dig-ga]-al-{la?} [ (abgebrochen) Kommentare: Die vorliegende Götterliste in den Zeilen 10’-19’ läuft grundsätzlich parallel zu den mesopotamischen Vorlagen (Tafel I) und umfasst sechs Gottheiten. Die Nummerierung der Götternamen folgt Litke 1998, 24-25; vgl. auch Schwemer 2020, 13: Zeile 10’: (I 28) dAmma-utu-anki = dNammu (Mutter des Enki). Zeile 11’: (I 29) dNinšar = Antu / dIštar (Gemahlin des Anu). Wie es in KUB 3.118 + KBo 26.1 I! 2’3’ der Fall ist, wurde die im Folgenden erwartete Göttin dBēletilī (I 30) nicht aufgenommen; vgl. aber den Kommentar zur Zeile 3’ unten (I 25). Zeile 12’: (I 31) dŠimbizi = Antu / dIštar (Gemahlin des Anu). Zeilen 13’-16’: (I 32) dGaga = dNin-šubur (Wesir des Anu) mit dem Kommentar zum Beinamen dieses Gottes [gišgidru]-ma~-šu-du71-a (= [na-aš] ~a-a\-\ì #i-i[r-ti] “Halter des grossen Szepters”. KUB 3.118 + KBo 26.1 I! 4a’ bietet hierfür dIliabrat statt dNin-šubur. Zeilen 17’-18’: (I 33) dMe-ninnu-an-na = dPap-sukkal. Der Kommentar hierzu kann als [lú-gišig-mašta-a]b?-ba-ak-ke vermutet werden, was aber eher dem folgenden Gott Iggalla (I 34) entsprechen würde; vgl. Litke 1998, 25; Scheucher 2012, 656. Zeile 19’: (I 34) dIggala = dNin-šubur (Mann der Doppeltür). Die Zeilen 3’-9’, in denen die Namen der Gottheiten verloren gegangen sind, aber im erhaltenen Kontext mit ihren Familienverhältnissen vorgestellt sind, wären wie folgt zu rekonstruieren. Einige Zeilen scheinen von den mesopotamischen Vorlagen abzuweichen, daher konnten ihre Entsprechungen nicht ausfindig gemacht werden: Zeile 3’: [… dam-an]-na-ak-ke “[Gemahlin] des [A]nu” wäre dBēletilī (I 25). Zeile 4’: [… dam-bà]n-da-an-na-ak-ke “[Ne]ben[frau] des Anu” wäre dNinursala (I 26). Zeile 6’: […] en-ki-ga-ak-ke “[Mutter] des Enki” wäre dNammu = ama dEn-ki-ga-ke4 (I 27). Zeilen 7’-8’: Nach einem Vorschlag von D. Schwemer wären die Zeilen als [am-m]a-{a}-a-ia / [… an]{na-ak}-ke zu vervollständigen, die 21 en ama a-a an-na-ke4-ne “21 Herrscher(gottheiten), Mütter (und) Väter des Anu” (I 24; Litke 1998, 23) entsprechen würden. Zeile 9’: […] el-{líl?-la}-ak-ke “[…] des Enlil”; zu Belegen dEl/nlil s. Litke 1998, 37 m. Anm. 147-149; Scheucher 2012, 658. Ab Zeile 10’ setzt sich die Götterliste (I 28-34) erwartungsgemäß fort, wie oben dargestellt wird. 1. Beachte, dass die beiden Versionen aus Boğazköy Bo 6120:15’ und KUB 3.118 + KBo 26.1 I! 4a’ hierfür das Zeichen “du7” statt “du8” verwenden; vgl. Scheucher 2012, 656. 62 Oğuz Soysal 2. Bo 6201 Bo 6201 ist ein doppelseitiges, kleines Fragment des unteren Teils der Vorderseite und oberen Teils der Rückseite (mit rechtem Rand) einer Tafel, deren textlicher Inhalt nicht-hethitisch ist. Die Textgattung wurde von D. Schwemer als medizinischer Text (CTH 537) vorgeschlagen (persönliche Mitteilung vom 10.11.2021 mit weiterführenden Lesungsvorschlägen). Vorderseite II? § 1’ 1’ ] {x}.LAGAB? 2’ ]-{x}-ma 3’ i-n]{e}eš ———————————————————————————— § 2’ 4’ [DIŠ? … ](-){x} DAB-tu₄ DAB-sú SAG.DU GE6.MUŠEN ————————————————————————————————— (Tafelende) Rückseite III? § 1 1-4? (unlesbare Zeichen) ———————————— §2 5’ (abgebrochen) ](-){x} a-~a-m{e}š BÍL Kleine Beiträge zu den unpublizierten Bo-Texten (III) 63 Kommentare: Vs. II 1’: Etwa (Ú)GIŠ.LAGAB (= puquttu) eine dornige (medizinische) Pflanze (CAD P [2005] 515 “thorn, barb”) ? (Vorschlag J. Fincke). Vs. II 3’: [in]êš “[Er wird sich er]holen”. Vs. II 4’: [šumma … ] #ibtu i#bassu qaqqad i##ūr mūši “[Wenn] ein Anfall […] ihn packt, […] den Kopf eines Nachtvogels […]”. Mit dem zweiten Satz beginnt wohl die Vorschrift für die Herstellung des Medikamentes mit den vorgesehenen Ingredienzen. Zur Formel šumma #iptu “wenn ein Anfall” im mesopotamischen Bereich s. Stol 1993, 95-96. GE6.MUŠEN steht für das übliche ge 6 -a-muš en (= i##ūr mūši) “Nachtvogel = Eule”; Salonen 1973, 168. Rs. III 5’: a~amiš taqallu “Du röstest […] zusammen mit […]” (Vorschlag J. Fincke). Oder alternativ zu lesen: […]-{e} KU6.M{E}Š BÍL = […] nūnī taqallu “Du röstest […] von Fischen”. Alle Zeichen sind am rechten Rand der Tafel geschrieben. 3. Bo 6225 Bo 6225 ist ein einseitiges, teilweise abgeriebenes Fragment mit zwei Kolumnen, dessen Inhalt uns eine erfreuliche Überraschung bietet. Ein damals als “unlesbar” klassifiertes (vgl. Konkordanz, hethiter.net/: hetkonk (2.0), folgend einer Bemerkung von H. G. Güterbock aus den 1930er-Jahren) und daher beiseitegelassenes Fragment hat sich nun Dank der digitalen Technologie als das ergiebigste unter den vier hier vorgestellten Fragmenten herausgestellt. Es handelt sich nämlich um ein Fragment zur akkadischen Fassung des Telipinu-Erlasses (CTH: 19.I “Rescrit de Telibinu. Version akkadienne”), der eine der wichtigsten Quellen der hethitischen Geschichte und königlichen Administration repräsentiert. Der Inhalt von Bo 6225 III 2’-6’ entspricht der hethitischen Version KBo 7.15 + KBo 12.4 III 5’-10’ (// KUB 11.2+ Vs. 11’-15’). Der Inhalt von Bo 6225 IV 7’-15’ entspricht der weiteren hethitischen Version KUB 11.1 + KBo 19.96 IV 14-18 (// KBo 3.67+ IV 1’-6’) und bietet knapp 17 schlecht erhaltene Zeilen, davon sind nur 8 Zeilen teilweise verständlich. Trotz des mageren 64 Oğuz Soysal Textinhalts lassen sich akkadische Entsprechungen zur hethitischen Fassung festlegen, die einige lexikalische Zugewinne ermöglichen. Nach Konkordanz gehören alle akkadische Fragmente des Telipinu-Erlasses, KBo 1.27, KBo 28.124, KUB 3.85 und 89, zu einer einzigen Tafel, deren Zeichenformen und Schriftduktus eine exakte Datierung nicht zulassen. Auf jeden Fall lassen sich dabei keine altertümlichen Merkmale beobachten.2 Unser Fragment Bo 6225 von der Rückseite III und IV der Tafel soll aufgrund der inhaltlichen Verhältnisse der gesamten Komposition ungefähr nach dem Bruchstück KUB 3.89 (Rs. III / IV), und zwar einer Lücke von sechs Paragraphen, platziert werden. KUB 3.89 IV §§ 1’-3’ entsprechen dem Inhalt von §§ 39-[41] der hethitischen Version.3 Es fehlen dann §§ 42-47, und das mittelbar fortsetzende Stück Bo 6225 § 1’ entspricht dem Kontext von § 47?-48 der hethitischen Version. Rückseite III § 1’ 1’ (Zeichenspuren) 2’ na-ak-bá-tú(-){x?} (-)[ —————————————— § 2’ 3’ {i-na} {URU}@a-{at}-ti [ 4’ {GAL}.GEŠTIN UGULA {LÚ}.MEŠ{x}(.)[ 5’ ma-am-ma-a-an I? {x}(./-)[ ———————————————————— § 3’ 6’ {ù i-}na {URU}@[a-at-ti 7’ š{a x x x} [ (abgebrochen) Rückseite IV § 1’ 1’-5’ (unleserliche Zeilen) 6’ ]-{x}-bi-{it ? la-a(?) e-ep}-p[u?7’ i-na Φa]-{ar-ki(?)}-ma (einige unleserliche Zeichen) 8’-9’ (unlesbar) 10’ ](-){x-x-x-x-x} ~i-i\-\ù 11’ ](-){x-x-~u-ú ? ib-ba-a-šu-ú} 12’ ] ú ? -{zu}-uz-zi ma-{am-ma?-a?-an?} 13’ [ú-ul -b]i ? -ru a-na {ši-im-ti-šu-nu} 14’ [il-li-ku -šu?]-{nu i-zu-uz}-zu 15’ ]-{x ? -x i-iz}-zu-{uz}-zu 16’ (einige unleserliche Zeichen) (abgebrochen) 2. 3. Vgl. Starke 1985, 111: “nach den Zeichenformen aus dem 14. Jh.”. Paragraphenzahlen nach Hoffman 1984, 46 ff., 61 f., die auch im Folgenden für die ganze Textkomposition zugrunde gelegt werden. Kleine Beiträge zu den unpublizierten Bo-Texten (III) 65 Kommentare: III 2’-7’ (§§ 33-35): Knappe lexikalische Entsprechungen beider Sprachen an dieser Textstelle bringen keine überraschenden bzw. weiterführenden Ergebnisse, wie etwa das Akkadische nakbatu hier III 2’ für das Hethitische panku- “Gesamtheit; Versammlung” in KBo 7.15 + KBo 12.4 III 5’ (// KUB 11.2+ Vs. 11’), das seit den frühen Jahren der Hethitologie wohl bekannt ist. IV 6’ (§ 47): Versuchsweise würde {la-a(?) e-ep-p[u?-šu?] dem Hethitischen kuit⸗za ienzi⸗ma […] in KUB 11.1+ IV 11’ entsprechen, wo aber ein Negationswort fehlt; vgl. noch [m]a-am-ma la-a e-e[p?-pu?-uš?] “nie[m]and darf t[un]” (KUB 3.89+ IV 3’) = Heth. lē ēššanzi “man soll nicht tun” (KBo 3.1+ III 48). IV 7’ (§ 48): Sollte die Ergänzung und Lesung [ina wa]rki-ma zutreffen, wäre diese das Äquivalent von heth. [appiz]zian⸗a “danach aber” (KUB 11.1+ IV 13’) zu bestimmen; vgl. den akkadischen Ausdruck [i]na warki-ya “nach mir” in § 40 des Telipinu-Erlasses (KUB 3.89+ IV 5’) und dessen hethitische Wiedergabe mit ammel / [am]muk EGIR-an (KBo 3.67+ III 8’ // KUB 11.5 Rs. 1). IV 10’ (§ 48): ~i\\u (eigentlich ~ī\u / ~i\ītu) “Vergehen, Frevel; Sünde” ist ein geläufiges Wort im Boğazköy-Akkadischen, dessen hethitische Entsprechungen waštai-, waštant-, waštul, wašdumar und ~aratar / ~aratnant- zu erwarten sind (Soysal 2006, 129). Keines dieser Wörter tritt aber im betreffenden Paragraphen (§ 48) des Telipinu-Erlasses auf, stattdessen scheint das umstrittene Wörterpaar āi pappi (KUB 11.1 IV 14’; noch einmal auch in IV 7’) vorzuliegen. Bisher konnte keine überzeugende Erklärung zum Verständnis von āi pappi vorgebracht werden.4 Zwei Textstellen des Telipinu-Erlasses benutzen dieses Wörterpaar in der Wendung āi pappi (UL) na~~anza eš-, wobei die ersten beiden Bildungselemente wohl im nominalen Dativ-Lokativ-Kasus stehen. Man kann hierfür formal von einer verankerten Kombination zweier Wörter wie ai wai und a~ra wa~ra mit Reimbildung ausgehen, die im vorliegenden Fall als “bei / bezüglich a. p. (nicht) vorsichtig / achtsam sein” zu deuten wäre. Sollte das Akkadische ~i\\u das (partielle) Pendant von a. p. sein, wäre hierfür eine Übersetzung “Frevel und Sünde” denkbar. Dabei ist auch zu bemerken, dass ~i\\u oft mit dem semi-synonymen Begriff gillatu “Sünde” zusammen vorkommt.5 Falls das Wort gillatu auch in diesem Paragraphen des Telipinu-Erlasses gegenwärtig ist, wäre seine Platzierung in der Lücke am Anfang der Zeile 11’ zu erwarten. Ein weiterer Beleg zu āi pappi (UL) na~~anza eš- außerhalb des Telipinu-Erlasses stammt aus KBo 49.167 Vs. 2’-13’ (// KUB 28.1 III 5’-21’). Hierbei handelt es sich ebenfalls um ein königliches Edikt um Ethik und Moral aus althethitischer Zeit (Soysal 2007); die Wendung kann hier in einer ähnlichen Sphäre verstanden werden: 4. 5. Der Versuch von Hoffmann 1984, 50-51 m. Anm. 1 und 52-53, das Wort nach der Emendation QA!-ABBI und mit Hilfe des Akkadischen ajju qabbu zu erklären, scheitert, da diese Verwendung im Telipinu-Erlass noch einmal (KUB 11.1+ IV 7’) und anscheinend auch in einem anderen Text KBo 49.167 Vs. 3’ (siehe unten) in gleicher Schreibweise wiederholt wird. Gegen diesen Vorschlag hat sich auch Beckman 1986, 572, ausgesprochen. Eine an für sich plausiblere Wiedergabe “trouble? (and) danger?/harm?” in CHD P (1997) 101 basiert nur auf dem Kontext des Textes und bietet dabei keine philologische Erklärung. Ein weiterer Versuch, ausgehend von bloßem Gleichklang mit dem homer.-griechischen Ausruf ὢ πόποι (Berman apud Puhvel, HED 1-2 [1984] 14), ähnlich van den Hout 2003, 198 “oh so”, bringt keine vernünftige Lösung für die Problematik. Die Bedeutung bei Hoffner 1997, 131 Anm. 429, “heaven forbid!(?)” ist gleichfalls sprachlich unbegründet. CAD G (1956) 72, CAD @ (1956) 209. Auch im Boğazköy-Akkadischen KUB 4.47 Rs. 11 (Beckman 2007, 71, 75) und KUB 39.88 IV 5-6 (Beckman 2014, 52-53). 66 Oğuz Soysal 2’ [… A-NA(?) …?] D├NGIR.MEŠ na-a~-~a-[an-te-eš (a-ša-an)-du? …?] 3’ [… a-a-i p]a-{ap}-pí na-a~-~[a-an-te-eš a-ša-an-du(?)] “[Man soll den] Göttern ehrfür[chtig] sein, [… bezüglich? a.] p. vors[ichtig sein]” Wenngleich man āi pappi nach bisheriger Beleglage eher als ein althethitisches Sprachprodukt annehmen möchte, bleiben die Herkunft, Wortbildung und Etymologie dieser seltsamen Wendung weiterhin offen. IV 11’ (§ 48): […](-){x-x-~u-ú?} {ib-ba-a-šu-ú} erinnert formell an den Ausdruck pa~ru ibbašū (KUB 3.85+ I 4), der nach dem heth. Vorbild taruppanteš ešir “sie waren vereinigt” gebildet ist (KBo 3.67+ I 4; vgl. Starke 1985, 110), und soll UL n[a~~anteš ešir(?)] in KUB 11.1+ IV 14’ entsprechen; etwa [… (Negation)] pal~u ibbašū ? Vgl. den lexikalischen Eintrag (Sum.) [@UŠ] = (Akk.) PAL@U “furchtbar; ehrfürchtig” = ! (Heth.) na~šaraz “Furcht; Respekt” in KBo 1.52:13 (CHD L-N [1989] 343). Die Schreibweise ib-ba-a-šu-ú mit einer a-Pleneschreibung wird anscheinend in anderem Bruchstück der gleichen Tafel der akkadischen Version des Telipinu-Erlasses KBo 28.124+ I 6’ als [ib-ba]-{a-šu-ú} wiederholt (so nach der Handkopie von H. M. Kümmel), während KUB 3.85+ I 4 die übliche Schreibung ib-bá-šu-ú verwendet. IV 12’-13’ (§ 48): Da das akkadische Verbum uzuzzu “stehen” sehr umfangreiche Interpretationsmöglichkeiten bietet, wäre eine Übersetzung hierfür und Bestimmung einer entsprechenden Angabe in der heth. Version zu vage. Die Zeilen 12’-13’ zusammen sollen aufgrund des Kontexts mit einer Negation mamman / [ul …] “[nie]mand […]te” rekonstruiert werden, wobei das akkadische Prädikat wiederum unklar bleibt. IV 13’-[14’] (§ 48): Der Inhalt dieser Zeilen lässt sich leicht mit der euphemistischen Redewendung ana šīmti alāku “zum Schicksal gehen = (eines natürlichen Todes) sterben” wiederherstellen, der in der hethitischen Version KUB 11.1+ IV 15’ mit šiuniya~~- wiedergegeben wird. Andererseits findet man im gleichen Dokument auch das akkadisch-hethitische Pendant [m@ant]eli ištib ana šimtišu ill[ik] (KBo 1.27+ II 11) = m@antiliš⸗a LUŠU.GI kišat n⸗aš DINGIR-LIM-iš kikkiššuwan dāiš (KBo 3.67+ II 8-9 // KUB 11.5 Vs. 4’; vgl. Starke 1985, 111), wobei die heth. Übersetzung dieser Redewendung als ein Idiom für den hethitischen König “(beginnen) zum Gott (zu) werden” verwendet wird. Obwohl heth. šiuniya~~- und DINGIR-LIM-iš kiš- wegen ihres gemeinsamen akkadischen Äquivalents im Telipinu-Erlass zunächst als Synonyme erscheinen, wird man doch eine klare Nuancierung zwischen beiden Verben wahrnehmen: DINGIR-LIM-iš kiš- ist für die hethitischen Könige und möglicherweise die königliche Familie reserviert, während šiuniya~~- in Bezug auf die einfachen Menschen verwendet wird.6 Das Verbum šiuniya~~- findet man in der Sekundärliteratur meistens in der Bedeutung “von einem Gott (mit Krankheit) geschlagen werden” bzw. “durch die Gottheit(sentscheidung) sterben”.7 Angesichts des vorliegenden 6. 7. Wie z. B. dandukiššar “Menschheit” in der hier besprochenen Belegstelle KUB 11.1+ IV 13’, und sogar šuppal(a)- “Vieh” in den hethitischen Gesetzen § 163; s. Hoffner 1997, 130-131, 213. Tischler, HEG S/2 (2006) 1088. Die Deutung von šiuniya~~- als “wahnsinnig werden” ist sicher eine weit hergeholte Auslegung von Hoffner 1997, 213, wiederholt in CHD Š/3 (2013) 506, und nicht mehr vertretbar. Kleine Beiträge zu den unpublizierten Bo-Texten (III) 67 Kontextes und vor allem der Gleichsetzung mit ana šīmti alāku tendiere ich šiuniya~~- in unserer Textstelle mit “verewigt werden” (sinngemäß einfach “versterben”) wiederzugeben. Damit wäre wohl gemeint, dass an die bösgesinnten Menschen nach ihrem Tod zukünftig auf negative Weise und mit ihrem schlechten Ruf erinnert wird. IV 14’-15’ (§ 48): Das Verb zâzu “(auf)teilen” erinnert im familienrechtlichen Zusammenhang an die Aufteilung des elterlichen Erbes8 und sollte den verschiedenen verbal- und nominellen Formen von šarra- “(auf)teilen, zerteilen”, wie šarriyauwan dāir, šarranaš, šarranna und šarra(na)z(a) in der hethitischen Version (KUB 11.1+ IV 13-18 // KBo 3.67+ IV 1’-6’) entsprechen. Neben ai pappi und šiuniya~~- bildet karpinatt- (im Text Pl. Nom. karpinattiš) ein weiteres problematisches und daher immer noch diskussionswürdiges Wort in § 48 (KUB 11.1+ IV 13’) des Telipinu-Erlasses, dessen Äquivalent in der hier behandelten akkadischen Version Bo 6225 nicht erhalten ist. Auch für karpinatt- findet man in der Sekundärliteratur bisher lediglich unbegründete und zurückhaltende Vorschläge (zuletzt HW2 K Lfg. 27 [2020] 184 mit früherer Bibl.), das im folgenden Kontext vorkommt: (13’) [m]ān [appiz]zian⸗a dandukišnaš karpinattiš(-)[…] (14’) [par]ni? ša[(rr)iy]auwan dāir “[A]ls aber [spä]ter die karpinatt- (Pl.) der Menschheit […? (Akk.)] im [Hau]s? zu zerte[i]len begannen”. Dieser tadelnde Satz erinnert sinngemäß an den Bericht in § 7 (KBo 3.1+ I 21-22 // KUB 11.1+ I 20’) des Telipinu-Erlasses über das innerpolitisch turbulente Regierungsende von @attušili I.: mān appizziyan⸗ma ÌR.MEŠ DUMU.MEŠ LUGAL maršeššer nu É.MEŠ-ŠUNU karipūwan dāir “Als aber später die Diener der Prinzen untreu wurden, begannen sie ihre Häuser zu verzehren”. Die inhaltliche Zustimmung beider Ermahnungssätze legt nahe, dass sich das etwas negativ wirkende Nomen karpinatt- mit dem ähnlich anklingenden Verb karip- “fressen, verzehren” semantisch in Verbindung bringen lässt, obwohl hier morphologisch keine befriedigende Analyse zur Wortbildung von karpinatt- geboten werden darf.9 Auf jeden Fall würde ein Bedeutungsansatz wie “Fressgier” zum Sinn zweier Sätzen im Telipinu-Edikt § 7 und § 48 zum Ausdruck der Vergeudung des königlichen Eigentums durch die untreuen Untertanen gut passen. Im Folgenden soll § 48 des Telipinu-Erlasses (KUB 11.1+ IV 13’-18’ // KBo 3.67+ IV 1’-6’) aufgrund der oben vorgeschlagenen Interpretationen erneut vorgelegt werden, wobei die hethitischen Wörter, die in der akkadischen Version Bo 6225 ihre Entsprechungen finden, als Fettdruck hervorgehoben sind: 13’ [ma]-{a-an} [ap-pí-iz]-zi-an-na da-an-du-ki-iš-na-aš kar-pí-na-at-ti-{iš}(-)[…] 14’ [pár?]-ni ša[(r-r)i-Υ]a-u-Φa-an da-a-ir ne a-a-i pa-ap-pí Ú-UL {n}[a-a~-~a-an-te-eš e-še-er(?)] 15’ [(n)]e a-pád-d[(a)]10 ši-ú-ni-Υa-a~-~a-ti ki-nu-na ki-it pa-{an-da}-[la-az …?] 16’ [(ma)]-a-na-aš a{t-t}i-iš TI-iš-Φa-an-te-eš šar-ra-na-a[š? še-er(?)] 17’ [ku-Φ]a-at-ka4 ú-e-ri-iz-zi ku-i-ta-aš-ša! šar-ra-an-[n]{a KA×U-az} ú-e-ri-i{z-zi} 8. 9. Vgl. Codex Hammurabi §§ 180-183 (Roth 1995, 118). Eine Entscheidung darüber, ob und wie karpinatt- mit dem möglichen Nominalsuffix -att aus karipabgeleitet werden kann, erfordert mühsame philologische Erklärungen (Annahme einer Metathese -rip φ rpi und sehr fraglicher -n-Fügung im Inlaut), und sollte daher einstweilen dahingestellt bleiben. 10. Das Wort apaddan hat keine Postposition šer, wonach man hierfür die Wiedergabe “damit; derart?” bevorzugen möchte, und nicht “deshalb, deswegen”. 68 Oğuz Soysal 18’ na-aš-ta É-ir-za pa-ra-a pe-eš-ši-Υa-an-du na-aš-kạ́n šar-ra-na-za-pát ša-me-en-du “[A]ls aber [spä]ter die Fressgier? (im Text: Plural) der Sterblichen […? (Akk.)] im [Hau]s? zu zerte[i]len begann, waren sie (bezüglich?) Sünden und Freveln? nicht v[orsichtig] und wurden derart? verewigt (= verstorben). Aber jetzt, [von] nun an […?], wenn er, (während) seine Vorfahren noch am Leben (sind), wegen (seines) Anteils Anspruch erhebt, was auch immer er mündlich zum Teilen anspricht (= behauptet), soll man (ihn) aus dem Haus weisen, so dass er auch (seinen) Anteil verlieren muss”. 4) Bo 6263 Es handelt sich bei diesem doppelseitigen Fragment Bo 6263 um ein akkadisches physiognomisches Omen (CTH 543.I.1). Die Rückseite, soweit erhalten, ist unbeschriftet. Eine nach einem Tafelfoto angefertigte Keilschriftkopie dieses Fragments liegt seit langem in Kraus 1939, Tafel 65 (= TBP 65) vor. Eine ähnliche Komposition mit Protasis BE ZA “wenn ein Mensch”, jedoch ohne nachfolgendes MIN “Ditto”, das sich auf ein zuvor beschriebenes Merkmal bezieht, findet sich in KUB 37.210 Vs. 1 ff. Beide Bruchstücke gehören indes nicht zur gleichen Tafel, wie eine Kollation beider Fragmente von M. Çifçi im Ankara Museum gezeigt hat. Bo 6263 Vorderseite (Rückseite unbeschrieben) Vorderseite § 1’ 1’ {BE ZA} 1) [ ————————— § 3’ 2’ BE ZA MIN {x x x x x x} [ ————————————————— § 4’ 3’ BE ZA MIN ina KIR14 ZAG-šú [ 4’ BE ZA MIN ina KIR14! 2) GÙB-š[ú 5’ BE ZA MIN ina IGI ZAG-{šú} [ ———————————————————— § 5’ 6’ BE ZA MIN ina IGI {GÙ}[B-šú(?) —————————————————————— Kleine Beiträge zu den unpublizierten Bo-Texten (III) 69 § 6’ 7’ [BE] {ZA MIN}[ (abgebrochen) Rückseite (keine Schrift erhalten, bzw. unbeschrieben). Kommentare: Vs. 1’ ff.: Die Zeichen “be” und “za” lauten BE ZA (= šumma amīlu “wenn ein Mensch”). Eine ältere Interpretation BE-za (= Heth. takku⸗za; H.G. Güterbock apud Kraus 1939, 14) ist nicht mehr haltbar. Deswegen darf die Sprache in diesem Text nicht als hethitisch bestimmt werden, wie von Kraus angenommen wurde; vgl. noch weitere unzutreffende Bezeichnung von TBP 65 als “eine hethitische Tafel” von Böck 2000, 9. Vs. 3’: Das Zeichen ist nicht KAU “Mund” (Kraus 1939, 14) sondern KIR14 “Nase” (s. Foto unten). Vs. 4’: Das problematische Zeichen “ KIR14!” sieht hier zunächst wie ein etwas verformtes “EME” “Zunge” aus (vgl. Kraus 1939, 14), der Schreiber sollte aber damit ein KIR14 “Nase” wie in der vorangehenden Zeile beabsichtigt haben (vermutet bereits von Kraus 1939, 14). Erwartungsgemäß würde die Nase in diesem Paragraphen zuerst in Verbindung mit “rechts” und dann “links” erwähnt: “Wenn ein Mensch auf seiner rechten / linken Seite der Nase […]” (Vs. 3’-4’). Dasselbe ist der Fall bei IGI “Auge” in den folgenden zwei Zeilen: “Wenn ein Mensch auf seiner rechten / linken Seite des Auges […]” (Vs. 5’-6’; angeblich mit falscher Paragraphenverteilung). Zeichen in Vs. 3’ Zeichen in Vs. 4’ BIBLIOGRAPHIE Beckman G. 1986, “Review of I. Hoffmann, Der Erlaß Telipinus (Texte der Hethiter 11)”, Journal of the American Oriental Society 106, 570-572. ––––– 2007, “A Hittite Ritual for Depression (CTH 432)”, in D. Groddek – M. Zorman (Hgg.), Tabularia Hethaeorum. Hethitologische Beiträge Silvin Košak zum 65. Geburtstag (Dresdner Beiträge zur Hethitologie 25), Dresden, 69-81. ––––– 2014, The babilili-Ritual from Hattusa (CTH 718) (Mesopotamian Civilizations 19), Winona Lake. Böck B. 2000, Die babylonisch-assyrische-Morphoskopie (Archiv für Orientforschung Beiheft 27), Wien. Hoffmann I. 1984, Der Erlaß Telipinus (Texte der Hethiter 11), Heidelberg. Hoffner H.A. Jr. 1997, The Laws of the Hittites: A Critical Edition (Documenta et monumenta Orientis Antiqui 23), Leiden - New York - Köln. Kraus F.R. 1939, Texte zur babylonischen Physiognomatik (Archiv für Orientforschung Beiheft 3), Berlin. Litke R.L. 1998, A Reconstruction of the Assyro-Babylonian God-Lists, AN: dA-NU-UM and AN: ANU ŠÁ AMĒLI (Texts from the Babylonian Collection 3), New Haven. Riemschneider K.K. 2004, Die akkadischen und hethitischen Omentexte aus Boğazköy (Dresdner Beiträge zur Hethitologie 12), Dresden. 70 Oğuz Soysal Roth M.T. 1995, Law Collections from Mesopotamia and Asia Minor (Writings from the Ancient World Society of Biblical Literature 6), Atlanta. Salonen A. 1973, Vögel und Vogelfang im Alten Mesopotamien (Annales Academiae Scientiarum Fennicae 180), Helsinki. Scheucher T.S. 2012, The Transmissional and Functional Context of the Lexical Lists from @attuša and from the Contemporaneous Traditions in Late-Bronze-Age Syria, Leiden. Schwemer D. 2020, “Weltbild und Gottesvorstellungen”, in B. Janowski – D. Schwemer (Hgg.), Texte zur Wissenskultur (Texte aus der Umwelt des Alten Testaments, Neue Folge 9), Gütersloh, 4-18. Soysal O. 2006, “Review of Y. Cohen, Taboos and Prohibitions in Hittite Society: A Study of the Hittite Expression natta āra (‘not permitted’) (Texte der Hethiter 24)”, Journal of Near Eastern Studies 65, 129135. ––––– 2007, “KBo 49.167: Ein weiteres Fragment aus dem Textensemble CTH 728 als Duplikat zu KUB 28.1 III 5’-21’ ”, NABU 2007/1. Starke F. 1985, “Der Erlaß Telipinus. Zur Beurteilung der Sprache des Textes anläßlich eines kürzlich erschienenen Buches”, Die Welt des Orients 16, 100-113. Stol M. 1993, Epilepsy in Babylonia (Cuneiform Monographs 2), Groningen. van den Hout Th. 2003, “The Proclamation of Telipinu”, in W.W. Hallo (ed.), The Context of Scripture Vol. I. Canonical Compositions from the Biblical World, Leiden - Boston, 194-198.