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Aktuelle Herausforderungen der
Elektromobilität
Heiner Hans Heimes, Achim Kampker, Benjamin Dorn,
Christian Offermanns und Florian Brans
Anders als bei der generellen Skepsis, ob Elektromobilität jemals eine Rolle im (inter-)nationalen Automarkt spielen wird, sind aktuelle Herausforderungen für die E-Mobilität immer
konkreter Natur. Die wichtigen Treiber – Kosten, technologische Hürden sowie produktionstechnische Fragestellungen – werden folglich nicht mehr als potenzielle Ausschlusskriterien
betrachtet, sondern als Stellhebel für eine Verbesserung der Marktpenetration im klassischen
Zielkorridor „Qualität, Zeit und Kosten“. Technologische Hindernisse und unsichere Technologieentwicklungen spiegeln nach wie vor die Komplexität der Elektromobilität wider
und sind sowohl auf Komponenten- als auch auf Gesamtfahrzeugebene äußerst vielschichtig. Vor allem im produktionstechnischen Kontext trägt dies potenziell zu einem Wandel der
OEM- und Zuliefererindustrie bei – beziehungsweise zu einer Veränderung der Wertschöpfungsstruktur, die sich im Markt der Verbrennungsmotor-Fahrzeuge etabliert hat. Auf der
H. H. Heimes
Mitglied der Institutsleitung, Production Engineering of E-Mobility Components (PEM),
RWTH Aachen, Aachen, Deutschland
E-Mail: H.Heimes@pem.rwth-aachen.de
A. Kampker
Universitätsprofessor, Production Engineering of E-Mobility Components (PEM),
RWTH Aachen, Aachen, Deutschland
E-Mail: A.Kampker@pem.rwth-aachen.de
B. Dorn · C. Offermanns
Oberingenieur, Production Engineering of E-Mobility Components (PEM), RWTH Aachen,
Aachen, Deutschland
E-Mail: b.dorn@pem.rwth-aachen.de; c.offermanns@pem.rwth-aachen.de
F. Brans (*)
Gruppenleiter, Production Engineering of E-Mobility Components (PEM), RWTH Aachen,
Aachen, Deutschland
E-Mail: f.brans@pem.rwth-aachen.de
© Der/die Autor(en) 2024
A. Kampker, H. H. Heimes (Hrsg.), Elektromobilität,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-65812-3_2
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H. H. Heimes et al.
Kostenseite wird eine Pareto-Situation zwischen den konventionellen und den elektrifizierten Antriebstopologien angestrebt – und teilweise schon erreicht. Auf der Reduktion der
Kosten – insbesondere im Bereich des Hochvoltspeichers – liegt immer noch das Hauptaugenmerk der branchenübergreifenden Bemühungen zur nachhaltigen Festigung der Elektromobilität auf dem Weltmarkt.
2.1
Kostendruck
Als eine Ursache der zu Beginn zögerlichen Marktdurchdringung elektrifizierter Fahrzeuge und der teilweisen Verfehlung verkehrs- und umweltpolitischer Ziele wurden – und
werden teils heute noch – die vergleichsweise hohen Anschaffungskosten für Elektrofahrzeuge genannt. Die Batterie bei batterieelektrischen Fahrzeugen sowie die Brennstoffzelle
bei Brennstoffzellen-Fahrzeugen stellen auch heute noch den Großteil der Produktionskosten dar und sind somit die Hauptkostentreiber, welche die Höhe der Anschaffungskosten maßgeblich beeinflussen.
Neben der Verwendung teurer Rohstoffe kommt bei der Produktion für die automobile
Anwendung geeigneter PEM-Brennstoffzellen die Tatsache unzureichender Skaleneffekte
hinzu. Auch großserientaugliche Produktionsverfahren müssen für die kostengünstige
Herstellung von Brennstoffzellen neu und weiterentwickelt werden. Welche Auswirkung
die Kostenentwicklung wesentlicher Kernkomponenten auf die Marktdurchdringung von
Elektrofahrzeugen hat, zeigt das Beispiel der Batterie: Lag der durchschnittliche Preis für
Lithium-Ionen-Akkus im Jahr 2010 bei rund 600 €/kWh, so lag er im Jahr 2021 bei
ca. 97 €/kWh. In Fachkreisen wird davon ausgegangen, dass die Kosten bis zum Jahr 2025
auf bis zu 83 €/kWh weiter sinken.1
Der zumeist höhere Anschaffungspreis von Elektrofahrzeugen ist nach wie vor einer
der meistgenannten Gründe, weshalb Käuferinnen und Käufer an Fahrzeugen mit konventionellen Antrieben festhalten und sich gegen neue Antriebsformen entscheiden. Zu beobachten ist jedoch, dass Fahrzeuge mit elektrischem Antrieb kostengünstiger werden. Höhere Stückzahlen und daraus resultierende Skaleneffekte in der Entwicklung und
Produktion sowie langfristig angelegte Förderprogramme sorgen dafür, dass Fahrzeuge
mit alternativen Antrieben gegenüber konventionellen Verbrennern nicht mehr unbedingt
im Hintertreffen sind. Dennoch wird auch deutlich, dass die wirtschaftliche Nutzung von
Elektrofahrzeugen stark vom individuellen Nutzerverhalten und Anwendungsfall abhängig ist.
Zu diesem Schluss kommt auch ein Kostenvergleich des ADAC aus dem Jahr 2021, in
dem insgesamt 555 Fahrzeuge unterschiedlicher Segmente untersucht wurden. Kern der
Gegenüberstellung war die Kostenaufschlüsselung der einzelnen Fahrzeuge in Abhängigkeit der Kilometerleistung pro Jahr.2 Diese Studie dient auch als Berechnungs1
2
Vgl. Horváth & Partner GmbH 2020.
Vgl. ADAC 2021.
2 Aktuelle Herausforderungen der Elektromobilität
31
grundlage für die folgende Untersuchung. Herangezogen wurden zwei Fahrzeuge eines
Herstellers aus der gleichen Fahrzeugkategorie – ein Fahrzeug mit Verbrennungsmotor
sowie ein reines Elektrofahrzeug:
Der Grundpreis des Fahrzeugs mit Verbrennungsmotor liegt im Mittel bei 36.995 € und
damit nur knapp unter dem durchschnittlichen Grundanschaffungspreis des vollelektrischen Pendants (39.100 €). Bei einer Betrachtung der laufenden Kosten wird jedoch deutlich, dass die des elektrischen Fahrzeugs ungefähr 20 % geringer ausfallen als die des
Fahrzeugs mit Verbrennungsmotor. Während die durchschnittlichen Kosten pro Kilometer
bei einer Laufleistung von 10.000 km/Jahr des Verbrenners rund 0,75 € betragen, so liegen
die des Elektrofahrzeugs bei etwa 0,60 €. Bei einer Laufleistung von 30.000 km/Jahr verhalten sich die Kosten ähnlich (0,37 € zu 0,30 €). Abb. 2.1 zeigt vergleichend die Kosten
des Fahrzeugs mit Verbrennungsmotor und des Elektrofahrzeugs in Cent pro Kilometer
und in Abhängigkeit von der jährlichen Laufleistung.
Um eine ganzheitliche Aussage über die Kostenstruktur von Fahrzeugen mit elektrischem und konventionellem Antrieb treffen zu können, muss die „Total Cost of Ownership“ (TCO) betrachtet werden. Auch hierzu werden exemplarisch die beiden Modelle der
vorigen Betrachtung herangezogen. Tab. 2.1 stellt die zugrunde gelegten Annahmen analog zur eingangs beschriebenen Kostenanalyse des ADAC dar:
Abb. 2.2 zeigt die Gesamtbetreiberkosten für die jeweiligen Fahrzeugmodelle über
die Jahre hinweg bei einer jährlichen Laufleistung von 20.000 km. In diesem Fallbeispiel übersteigen die Gesamtbetreiberkosten des konventionellen Fahrzeugs die des
Verbrenner
Cent/km
E-Fahrzeug
10.000
15.000
20.000
30.000
Laufleistung in km
Abb. 2.1 Laufende Kosten (Cent/km) in Abhängigkeit von der Jahreslaufleistung am Beispiel eines
Fahrzeugs mit Verbrennungsmotor und eines mit batterieelektrischem Antrieb. (Vgl. ADAC 2021)
32
H. H. Heimes et al.
Tab. 2.1 Zugrunde gelegte Annahmen zur TCO-Berechnung
Anschaffungspreis*
Kaufprämie**
Energiekosten**
Haftpflicht- & Vollkaskoversicherung**
Fahrzeug mit
Verbrennungsmotor
36.995 €
–
1,48 €/l Super
1,30 €/l Diesel
Mit 50 %
Fahrzeug mit
betterieelektrischem Antrieb
39.100 €
9000 €
0,36 €/kWh
Mit 50 %
*Errechnet wurde jeweils das Mittel aus acht (Fahrzeug mit Verbrennungsmotor) bzw. vier (Fahrzeug mit batterieelektrischem Antrieb) Modellvarianten
**gem. Kostenvergleich des ADAC (2021)
70.000
65.000
TCO in €
60.000
55.000
50.000
45.000
E-Fahrzeug
40.000
Verbrenner
35.000
30.000
Jahr 0
Jahr 1
Jahr 2
Jahr 3
Nutzungszeitraum bei einer Laufleistung von 20.000 km/Jahr
Abb. 2.2 TCO-Vergleich eines Verbrennungsmotor-Fahrzeugs mit einem Batterie-Elektrofahrzeug
batterieelektrischen bereits nach etwas mehr als 14 Monaten. Vor diesem Hintergrund
lässt sich eindeutig sagen, dass Elektrofahrzeuge schon heute nicht nur eine umweltfreundliche, sondern auch eine wirtschaftlich attraktive Alternative zu Fahrzeugen mit
Verbrennungsmotoren darstellen können.
Es ist allerdings zu erwähnen, dass die dargestellte Kalkulation lediglich als Indikation
für die kostenseitige Entwicklung am Markt zu betrachten ist. So profitieren Fahrzeuge
mit alternativen Antrieben aktuell – und aller Voraussicht nach auch in mittelfristiger Zukunft – stark von Subventionen. Die deutsche Bundesregierung fördert den Kauf von
Elektrofahrzeugen beispielsweise mit bis zu 9000 € (Stand: August 2021). Darüber hinaus
sind Halter von Elektrofahrzeugen für zehn Jahre von der Kraftfahrzeugsteuer befreit und
können steuerliche Vergünstigungen etwa beim Aufladen geltend machen. Welche Aus-
2 Aktuelle Herausforderungen der Elektromobilität
33
wirkungen politische Förderprogramme für die Etablierung alternativer Antriebe haben
können, zeigt indes das Beispiel Norwegen: Im Jahr 2020 wurden dort erstmals mehr
Elektrofahrzeuge als konventionelle Verbrenner verkauft. Norwegen ist weltweit das erste
Land mit einer Elektrofahrzeug-Quote von mehr als 50 %.3 Ein wesentlicher Grund dafür
liegt auch hier in der staatlichen Politik: Bereits im Jahr 2016 kündigte die norwegische
Regierung an, dass ab 2025 keine konventionell angetriebenen Fahrzeige mehr verkauft
werden sollen. Steuerliche Anreize und eine flächendeckende Ladeinfrastruktur haben
dieses Vorhaben früh untermauert.
Es bleibt also festzuhalten, dass Fahrzeuge mit alternativen Antrieben schon heute eine
nicht nur umweltfreundliche, sondern auch wirtschaftlich attraktive Alternative zu Verbrennern sein können. Nichtsdestotrotz stellen insbesondere die Kernkomponenten „Batterie“ und „Brennstoffzelle“ nach wie vor wesentliche Kostentreiber dar, obgleich vor
allem bei der Batterie in jüngster Vergangenheit bereits eine wesentliche Kostendegression
zu beobachten war. Um Elektromobilität flächendeckend auszubauen, bleibt es eine der
wesentlichen Herausforderungen, Fahrzeuge mit alternativen Antrieben – mittelfristig
auch ohne staatliche Subventionen – wirtschaftlich attraktiver zu machen.
2.2
Technische Hürden und unsichere Technologieentwicklung
Eine zentrale Herausforderung der Elektromobilität besteht in der immer noch andauernden Frage danach, welche Technologie sich flächendeckend durchsetzen wird. Sowohl auf
der Ebene des Gesamtfahrzeugs als auch auf derjenigen einzelner Komponenten ist diese
Frage nicht hinlänglich beantwortet.
Auf Fahrzeugebene versucht der Hybridantrieb, die Effizienz und den Fahrkomfort des
elektrischen Antriebs mit der Reichweite eines Fahrzeuges mit konventioneller Antriebseinheit zu vereinen. Damit einhergehende Kosteneinsparungen bei der Anschaffung – insbesondere durch den Einsatz kleinerer Batterien – und eine vorhandene TankstellenInfrastruktur sind für viele Verbraucherinnen und Verbraucher ausschlaggebende
Argumente für hybrides Fahren. Der Mild-Hybrid als 48-Volt-Startergenerator galt lange
als „Einstieg“ in die Elektrifizierung. Mittlerweile hat dieses Konzept vor allem im
Premium-Segment Fahrzeuge mit konventionellem Antrieb nahezu abgelöst. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt der Voll-Hybrid (HEV), der jedoch im Vergleich zum Mild-Hybrid
durch einen integrierten, leistungsstärkeren Elektromotor rein-elektrisches Fahren
ermöglicht. Plug-in-Hybride sowie Konzepte mit „Range Extendern“ gewährleisten rein
elektrische Fahrten über lange Strecken. Auch hier wird der elektrische Antrieb um einen
Verbrennungsmotor ergänzt. Hinzu kommen rein elektrische Fahrzeuge – batterieelektrische Fahrzeuge (BEV) wie auch wasserstoffbetriebene Brennstoffzellenfahrzeuge
(FCEV). Politische Förderprogramme ebenso wie der flächendeckende Ausbau der Infrastruktur sind nach wie vor notwendig, um den Wandel zur nachhaltigen Mobilität weiter
3
Vgl. tagesschau 2021.
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H. H. Heimes et al.
zu gestalten. Die Antwort auf die Frage nach dem in Zukunft dominierenden Fahrzeugkonzept ist vielschichtig – ein Mobilitätsmix aus unterschiedlichen Antriebskonzepten in
Abhängigkeit von der jeweiligen Anwendung und dem Nutzungsverhalten ist das, womit
Branchenfachleute derzeit rechnen. Deutlich wird an dieser Stelle die aktuell bereits bestehende Technologievielfalt. Diese bietet einerseits einen breiten Raum für weitere Innovationen, erschwert jedoch gleichzeitig die strategische Ausrichtung einzelner Unternehmen
vor dem Hintergrund des Marktdurchdringungspotenzials für die eigenen Technologien.
Die Technologie-Diversität erstreckt sich bis auf die Ebene der Einzelkomponenten.
Bei Elektromotoren sind im Traktionsbereich aktuell drei wesentliche Motor-Topologien
zu erkennen: permanenterregte (PSM) und fremderregte Synchronmotoren (FSM) sowie
Asynchronmotoren (ASM). Ein weiterer Variantentreiber liegt zudem im Wicklungskonzept. Ein branchenweiter Trend in Bezug auf eine bestimmte Motortopologie ist derzeit
nicht zu beobachten – vielmehr wird die Unsicherheit der Technologieentwicklung
und -auswahl anhand einer retrospektiven Betrachtung der vergangenen Jahre deutlich:
Verfügt der „BMW i3“ über einen permanenterregten Synchronmotor, so basiert das aktuelle Motorenkonzept des Unternehmens auf einer fremderregten Synchronmaschine. Tesla
wiederum erweitert sein Antriebsportfolio um permanenterregte Synchronmaschinen –
kamen zuvor ausschließlich Asynchronmotoren zum Einsatz. Außerdem existieren weitere Topologien wie Axialflussmotoren sowie Reluktanz- und Transversalflussmaschinen,
die entweder Nischenanwendungen adressieren oder sich im Konzeptstadium befinden.
Die Beispiele für unsichere Technologieentwicklungen lassen sich anhand der Batterie
und der Brennstoffzelle weiterführen: Derzeit kommen Pouch-Zellen, Rundzellen und
prismatische Zellen in Antriebssystemen zur Anwendung. Unterschiedliche Zelltopologien und ein Trend zu großformatigen Zellen sind ebenso Bestandteil des technologischen
Fortschritts wie die Entwicklung und Industrialisierung von Feststoffbatterien. Im Bereich
der Brennstoffzelltechnologie besteht Diversität hinsichtlich unterschiedlicher Zelltypen,
wobei PEM-Brennstoffzellen nach heutigem Stand die zur automobilen Anwendung geeignetste Zelltopologie ist. Unterschiedliche Technologieansätze sind im Bereich der
Brennstoffzellsysteme vor allem in der Wasserstoffspeicherung zu beobachten.
Die gesamte Branche ist mehr als je zuvor durch eine enorme Technologievielfalt geprägt. Unterschiedliche Antriebsstrangkonzepte auf Fahrzeugebene eröffnen bereits heute
anwendungsspezifische Lösungen und tragen somit Schritt für Schritt zur flächendeckenden
Elektrifizierung bei. Ein „Mobilitätsmix“, der den individuellen Anforderungen der Nutzenden gerecht wird, trägt wesentlich zur Verkehrswende bei. Allerdings geht die Nutzung einzelner Technologien oftmals mit der Erfüllung gewisser Rahmenbedingungen einher – vor
allem in Bezug auf die erforderliche Infrastruktur. Die technologische Diversität lässt sich
bis auf die Betrachtungsebene einzelner Komponenten und Subkomponenten übertragen.
Individualisierte und exklusive Lösungen tragen der bestehenden Branchendynamik Rechnung und führen in kurzzyklischen Abständen zu inkrementellen Innovationen in nahezu
allen Bereichen. Dies hemmt jedoch unter Umständen die flächendeckende Standardisierung, was wiederum Einfluss auf die Skalierbarkeit innerhalb der Produktion haben kann.
2 Aktuelle Herausforderungen der Elektromobilität
2.3
35
Herausforderungen aus produktionstechnologischer Sicht
Der Wandel zur Elektromobilität ist für OEM sowie für Zulieferer auch aus Produktionsperspektive ein Thema mit wesentlicher Tragweite. Der Bedarf an deutlich weniger Fahrzeugkomponenten trägt dazu bei, dass vorhandene Fertigungskapazitäten umgestaltet
werden müssen – sowohl mit Blick auf personelle Kapazitäten als auch auf fertigungstechnologische Ressourcen.
Bei der Produktion der meisten elektrischen Fahrzeuge der ersten Stunde wurde die
Strategie des „Conversion Design“ verfolgt. Unter diesem Begriff versteht man den Ansatz, bestehende Fahrzeugkonzepte teilweise dahingehend umzugestalten, den Verbrennungsmotor sowie weitere Antriebskomponenten wie das Schaltgetriebe durch einen elektrischen Antrieb zu ersetzen. Die grundsätzliche Fahrzeuggestalt bleibt dabei jedoch
weitestgehend unverändert. Ein bekanntes Beispiel für ein Fahrzeug dieser Art stellte beispielsweise der „e-Golf“ von Volkswagen dar. Insbesondere vor dem damaligen Hintergrund einer ungewissen Nachfrageentwicklung in Kombination mit der Möglichkeit der
Nutzung bereichsübergreifender Synergien innerhalb der Konzerne war das „Conversion
Design“ ein strategisch sinnvoller Ansatz, das Themenfeld der Elektromobilproduktion zu
erschließen. Auch heute wird stellenweise noch die „Conversion-Design“-Strategie verfolgt. Ein bekanntes Beispiel dafür bildet das Modell iX3 von BMW.
Gemäß der steigenden Nachfrage und der strategischen Neuausrichtung vieler OEM, in
Zukunft keine – oder deutlich weniger – Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren zu produzieren, ist aktuell jedoch eindeutig zu beobachten, wie Fahrzeughersteller immer mehr
dem Konzept des „Purpose Design“ folgen. Die Produktion und die Entwicklung der wesentlichen Kernkomponenten stehen dabei zwar auch im Mittelpunkt, doch das Zielsystem
liegt in einem vollends abgestimmten elektrischen Gesamtfahrzeug.
Die produktionstechnologischen Herausforderungen, denen sich die Industrie aktuell
stellt und in Zukunft weiter stellen muss, sind vielschichtig. Zu ihnen zählen neue Prozesse und Materialien, ungelöste Problemstellungen, deren Behebung signifikante Kostenund Effizienzvorteile bringen würden, sowie – zumindest im direkten Vergleich mit der
Produktion von Verbrennungsmotor-Fahrzeugen – eher geringes Erfahrungswissen, auf
das zurückgegriffen werden kann.
Die Vielschichtigkeit der Prozesse und Wirkzusammenhänge in der Produktion sowie
die geringe Erfahrung auf der Seite der Hersteller führen dazu, dass der Aufbau neuer
Produktionskapazitäten – insbesondere bei der Fertigung der Komponenten des E-Motors,
der Brennstoffzelle und der Batterie – durch multilaterale Projektkonstitutionen geprägt
ist. Im Bereich der Material- und Anlagenhersteller wurde und wird spezifisches Produktund Prozesswissen aufgebaut, von dem die Automobilindustrie vor allem im Zeitraum von
der Vorentwicklung bis zur Industrialisierung profitiert. Um den Herausforderungen in der
Industrialisierung gerecht zu werden und aus Gründen der Schnittstellenreduktion sowie
Risikominimierung, ist häufig zu beobachten, dass gesamte Produktionssysteme oder
Subsysteme geschlossen an einzelne Generalunternehmen vergeben werden. Geschlossene Vergaben sind insbesondere in neuen Technologiefeldern ein adäquater Weg, Produk-
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H. H. Heimes et al.
tionssysteme aufzubauen: Mit der Übernahme der Prozessverantwortung in frühen Phasen
durch den Generalunternehmer wird dem technischen Risiko des Anlaufs in gewisser
Weise Rechnung getragen, und Produzenten sind in der Lage, kontinuierlich eigenes Prozesswissen aufzubauen. Andererseits kann dies dazu führen, dass eine gewisse Abhängigkeit zwischen Produzenten und Anlagenherstellern entsteht. Dies insbesondere vor dem
Hintergrund der Tatsache, dass in der vergleichsweise jungen Vergangenheit der Elektromobilproduktion eine gewisse Dynamik durch schnelle Technologiewechsel zu beobachten ist, was ein Blick auf die Kernkomponenten „Elektromotor“, „Batterie“ und „Brennstoffzelle“ verdeutlicht.
Galt der E-Motor vor wenigen Jahren noch als die nahezu einzige Kernkomponente in
der Elektromobilität, bei der man auf gewisse Erfahrungswerte durch andere Industriezweige blicken konnte, hat sich das in der jüngeren Vergangenheit als nur bedingt zutreffend herausgestellt. Hochintegrierte Antriebseinheiten, komplexes Thermomanagement
sowie das anhaltende Streben nach mehr Performance und höherer Effizienz sind die Themen der Stunde. Auch aus produktionstechnologischer Sicht begab man sich gewissermaßen auf ungewohntes Terrain: War die Herstellung konventioneller Antriebe vor allem
durch spanende Fertigungsverfahren geprägt, geht die Produktion elektrischer Antriebe
mit der Entwicklung und dem Aufbau hochkomplexer Montage-Anlagen einher. Neue
Materialien wie Kupferdraht, Blechpakete, Isolationspapier, Magnete und Epoxidharze
sowie deren Verarbeitung stellen insbesondere Produzenten vor neue Herausforderungen.
Prozessübergreifende Wirkzusammenhänge wie auch produkt-prozessbedingte Wechselwirkungen sind Themen, die Produzenten derzeit umtreiben.
Die Batterie als eine wesentliche Kernkomponente wurde bereits früh als bedeutsames
und vielleicht gar bedeutsamstes Gestaltungselement im Kontext der elektromobilen
Wertschöpfung identifiziert. Die anhaltend hohe Entwicklungsgeschwindigkeit im Bereich der Batterieproduktion sorgt für stetig neue und sich ändernde Rahmenbedingungen,
die direkten Einfluss auf die entsprechenden Produktionssysteme haben. Insbesondere aus
Gründen der Komplexitätsreduktion wurden zu Beginn der flächendeckenden Fertigung
von Traktionsbatterien vergleichsweise kleine Zellen produziert. Heute stellen Zellen mit
Abmaßen von einem halben Meter und mehr keine Seltenheit dar, was zwangsläufig mit
einem stellenweise neuen oder angepassten Prozessdesign einhergeht. Auch Optimierungsbestrebungen, den Anteil von Inaktiv-Material oder den Verschalt- und Peripherieaufwand zu reduzieren, führen zu neuen Batteriesystemkonzepten. „Cell-to-Pack“ oder
„Cell-to-Chassis“ sind Konzepte, die aus produktionstechnischer Sicht teilweise zu grundlegend neuen Herausforderungen führen.
Eine der Hauptherausforderungen bei der Brennstoffzellenproduktion besteht in der für
den automobilen Massenmarkt zwingend notwendigen Skalierbarkeit. Diese ist teilweise – aber nicht ausschließlich – in der Wechselwirkung von Angebots- und Nachfragesituation begründet. Produktionstechnische beziehungsweise prozessuale Herausforderungen liegen etwa im Handling von Bipolarplatten, werden teils aber auch durch lange
Prozesszeiten hervorgerufen. Ein Beispiel dafür bildet der Einfahrprozess, der – je nach
Design und Größe des Systems – bis zu sieben Stunden dauern kann. Derzeitige Bestre-
2 Aktuelle Herausforderungen der Elektromobilität
37
bungen, dem entgegenzuwirken, liegen etwa in der systematischen Auswertung vorgelagerter Prozessdaten, die frühzeitig Aufschluss über die Qualität und Funktionalität des
Systems geben soll.
Literatur
Teil I: Einführung in die Elektromobilität
ADAC Kostenvergleich e-Fahrzeuge + Plug-In Hybride gegen Beziner und Diesel, 04/2021
Horváth & Partner GmbH: Status quo der E-Mobilität in Deutschland. Faktencheck E-Mobilität
Update 2020, 2020
tagesschau: Norweger kaufen mehr E-Autos als Verbrenner. Staatliche Förderung wirkt. https://
www.tagesschau.de/wirtschaft/norwegen-e-autos-101.html. Abruf 13.08.2021
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