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Gräfin Dönhoff und das Management
Brink, Alexander
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Zeitschriftenartikel / journal article
Zur Verfügung gestellt in Kooperation mit / provided in cooperation with:
Rainer Hampp Verlag
Empfohlene Zitierung / Suggested Citation:
Brink, A. (2002). Gräfin Dönhoff und das Management. Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik, 3(2),
247-256. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-356492
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Gräfin Dönhoff und das Management*
ALEXANDER BRINK
Countess Dönhoff and the Management
In recent years there has been an increase in institutional ethics which is mainly based on
the homo economicus idea. Without individual ethics, however, the effect of business ethics
is inferior. Countess Marion Dönhoff, the aristocratic, which passed away lately and
which stems from one of the oldest genders of East Prussia (Ostpreußen), merged charismatic leadership and ethics closely with each other. The article is a thought experiment
based on bio- and bibliographical documents. Managers find out something about corporate citizenship and moral leadership.
key words: Business Ethics, Management, Stakeholder, Corporate Citizenship, Moral Leadership
1. Einleitung
Die Diskussion um Verhältnis, Wirkung und Sinnhaftigkeit von Ethik in
Bezug auf Personen oder Institutionen hat in der unternehmensethischen
Rezeption eine lange Tradition. Aus diesem Grunde haben die Herausgeber
der zfwu diesem Thema ihre Erstausgabe aus dem Jahre 2000 gewidmet.
Dort heißt es im Vorwort: „Dieser Aspekt ist von zentraler Bedeutung, weil
er den „Ort“ einer theoretischen wie praktischen Wirtschafts- und Unternehmensethik bestimmt“ (Beschorner et al. 2000: 5). Insgesamt kann festgestellt werden, dass sich in den letzten 20 Jahren eine Verlagerung weg
von der individualethischen Dominanz und hin zu einer stärker institutionalethischen Orientierung vollzogen hat. Diese Entwicklung scheint augenblicklich jedoch erneut vor einem Wendepunkt zu stehen, da die Erfahrung
gezeigt hat, dass sich der „moralische Zustand“ der Wirtschaft und Gesellschaft weiterhin als defizitär darstellt.
In diesem Beitrag wird Individualethik als hinreichende, Institutionalethik
als notwendige Bedingung einer wirksamen Unternehmensethik unter den
Bedingungen der Globalisierung aufgefasst (Kapitel 2). Wenn dies so ist,
zeigt insbesondere die kontinentaleuropäische Unternehmenslandschaft
erhebliche ethische Defizite in Bezug auf ihre hinreichende Bedingung,
Beitrag eingereicht am 15.04.02; nach doppelt verdecktem Gutachterverfahren
überarbeitete Fassung angenommen am 25.07.02.
*
zfwu, 3/2 (2002), 247-256
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nicht weil sie keinen Willen oder keine Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme hat, sondern weil ihnen verantwortungsvolle und charismatische „Vorbilder“ an der Unternehmensspitze zu fehlen scheinen (Kapitel
3). Eine herausragende Figur des letzten Jahrhunderts war Gräfin Marion
Dönhoff. Sie hat seit 1946, nach ihrer Flucht aus dem Osten, bei der ZEIT
zunächst als Redakteurin und Chefredakteurin, später als Herausgeberin
gesellschaftliche Diskurse angeregt und schließlich eine Kapitalismuskritik
formuliert (Kapitel 4). Was aber wäre gewesen, wenn Gräfin Dönhoff ihre
Fähigkeiten nicht als Herausgeberin der Hamburger Wochenzeitung, sondern als Vorstand eines international tätigen Konzerns eingesetzt und damit
eine andere gesellschaftspolitische Funktion übernommen hätte? Wäre sie
eine derjenigen charismatischen Topführungskräfte der Wirtschaft gewesen,
die man heute größtenteils vermisst? (Kapitel 5).
2. Verhältnisbestimmung von Individual- und Institutionalethik
Generell versteht man unter einem individualethischen Ansatz eine Form des
ethisch oder besser gesagt moralisch orientierten menschlichen Verhaltens
bzw. Handelns, das im Menschen selbst motivational und interessenbezogen begründet wird. Dies kann bedeuten, dass das Individuum entweder in
Anlehnung an eine eigene, eher unreflektierte „moralische Tradition“, also
eine Form der Wertinternalisierung, oder aber in Anlehnung an eher reflektierte und damit freiwillig gewählte Normen und Werte moralisch handelt.
Der institutionalethische Ansatz hingegen erklärt die moralische Handlung des
Einzelnen aufgrund von institutionalen Rahmenbedingungen. Hier setzt die
Rahmenordnung Anreize (Spielregeln) für die individuelle Handlung (Spielzüge). Nach Homann ist die Rahmenordnung daher der „systematische –
aber nicht der einzige – Ort der Moral“ (Homann/ Blome-Drees 1992: 35).
Das Verhältnis zwischen beiden Formen in der unternehmensethischen
Diskussion ist noch nicht geklärt. Es bestehen Beziehungen zwischen Individual- und Institutionalethik, die „substitutiver und (...) komplementärer
Natur“ (Weise 2000: 26) sein können. In der Auseinandersetzung zwischen
Homann und Ulrich wurden verschiedene „Kompromisse“ gegenübergestellt:1 So basiert die Zweistufigkeit der Diskursethik auf einem formalen
Minimalkonsens, aufgrund dessen Menschen dann individualethisch und
vor allem rational agieren können. Institutionalethik darf nur formalethisch
ausgeprägt sein, um die „Gefahr der Utopiekonzeption bzw. der diktatorischen Vorgabe“ (Brink 2000: 233) sowie die „Gefahr der Aushöhlung von
Moral durch Garantie von Werten per Rahmenordnung“ (ebd.: 234) zu
verhindern. Damit löst sie sich von der situationsspezifischen Bindung und
betont allgemein anerkannte Prinzipien wie Gerechtigkeit, Verantwortung
oder gegenseitige Anerkennung. Homann spricht von einem „Konversi248
onsparadigma im Inversionsparadigma“ (Homann 1997: 148). Und Röpke
schreibt dazu in Jenseits von Angebot und Nachfrage:
„Selbstdisziplin, Gerechtigkeitssinn, Ehrlichkeit, Fairneß (...) – das alles sind
Dinge, die die Menschen bereits mitbringen müssen, wenn sie auf den Markt gehen und sich im Wettbewerb miteinander messen“ (Röpke 1961: 185) .
Ohne ein gewisses Maß an Verantwortungsbewusstsein bleibt Unternehmensethik aus dieser Sicht also „suboptimal“. Die Globalisierung führt zu
einer Aufspaltung in ein notwendiges und in ein hinreichendes Kriterium.
In der abendländischen Kleingruppengesellschaft – und das gilt heute noch
für Familien – sind notwendige und hinreichende Bedingung noch fast
vollständig durch die Individualethik abgedeckt. Institutionalethische Elemente sind nur als Koordinationsmechanismus zwischen den Gruppen als
Minimalkonsens nötig: Sie stellen die allgemeinsten Regeln des Zusammenlebens auf. In der anonymen Großgruppengesellschaft hingegen bildet die
Institutionalethik das notwendige, die Individualethik das hinreichende
Kriterium.2 Der Zusammenhang wird in der folgenden Abbildung dargestellt:
Abbildung 1: Individual- und Institutionalethik:
Notwendige und hinreichende Bedingung (vgl. Brink 2002: 157)
Individualethik
Institutionalethik
Abendländische
Kleingruppengesellschaft
notwendiges
und hinreichendes
Kriterium
Minimalkonsens
Anonyme
Großgruppengesellschaft
hinreichendes
Kriterium
notwendiges
Kriterium
Im Weiteren wird daher der These gefolgt, dass die Individualethik eine hinreichende Bedingung, die Institutionalethik eine notwendige Bedingung einer wirksamen
Unternehmensethik darstellt: „Das hinreichende Kriterium einer funktionsfähigen Rahmenbedingung ist das Vorhandensein ethisch orientierter Individuen bzw. moralfähiger und moralbereiter Einzelakteure, die auch über
einen prinzipiellen Willen zur Verantwortung verfügen“ (Brink 2002: 155).
3. Defizite im Management: das Auseinanderfallen von notwendigem und hinreichendem Unternehmensethikkriterium
Im Laufe der letzten Jahrzehnte haben sich im Zuge der Globalisierung
und der damit verbundenen Zunahme an Unternehmensfusionen und Unzfwu, 3/2 (2002), 247-256
249
ternehmensakquisitionen (Mergers and Acquisitions) immer mehr global
agierende Megakorporationen herausgebildet. Unternehmen öffnen sich
zunehmend dem Unternehmensumfeld und versuchen, dem „gesellschaftlichen Unbehagen“ hinsichtlich mangelnder moralischer Werte wie Vertrauen und Loyalität entgegenzuwirken. Dabei sind die strategischen Handlungsoptionen vielfältig: Das Feld reicht von einem erweiterten Stakeholderverhältnis im Rahmen einer Stakeholder-Agency-Theorie (vgl. Hill/
Jones 1992), über die deutsche und europäische Diskussion um neue Corporate Governancestandards (vgl. Bernhardt/ von Werder 2000) bis hin zu
kommunitarischen Konzeptionen wie die Corporate Citizenship (vgl. Ulrich 2000). Dabei wird die moralische Dimension zunehmend und „systematisch“ in die Rahmenordnung eingebaut.3 In einer Welt von „Ethikverweigerern“ wird Ethik – so die These - im globalen Kontext unter das ökonomisch-rationale Menschenbild homo oeconomicus restringiert. Gefordert wird also – und das gilt insbesondere für die Unternehmensspitze –,
ein „Comeback der (individualethischen) Werte“.4 Hätte die kürzlich verstorbene Gräfin Dönhoff an der Spitze eines deutschen Global Players ein
solches Defizit gelöst?
4. Gräfin Dönhoff: Leben und Lebenswerk
Gräfin Dönhoff wurde am 2. Dezember 1909 auf Schloss Friedrichstein bei
Königsberg in Ostpreußen, dem einstigen Anwesen der Grafen Dönhoff,
als fünftes Kind geboren.5 Sie verbrachte eine eher unbeschwerte Jugendzeit, war sehr naturverbunden und lernte früh, soziale Verantwortung in
einer privilegierten Gesellschaft zu übernehmen. Aber „woher der Mut zum
Widerstand kommt und die Kraft zur Verantwortung“ (Schwarzer 2000:
16) ist nur aus dem historischen Kontext heraus zu verstehen. Ihre Jugendzeit verbrachte sie „mit Anstand und Tapferkeit (...) in der Bruchzone des
schrecklichen 20. Jahrhunderts“ (Sommer 2002: 59) mit zwei Weltkriegen,
dem Holocaust, Hitler und Stalin. Gräfin Dönhoff wurde früh mit dem
„Herrschaftswesen“ der damaligen Zeit konfrontiert und war von einer
Reihe herausragender und mächtiger Persönlichkeiten umgeben.
Es war die Zeit der ausgehenden Monarchie, gegen die sie sich wehrte, und
zugleich die Zeit der aufkommenden Demokratie. Als Kind lernte sie,
Normen ihrer Zeit in Frage zu stellen. So waren ihr zu viel Etikette und
Schein zuwider. Da ihr Vater frühzeitig verstarb, widmete sie ihrer Mutter
besondere Aufmerksamkeit. Nach dem Abitur in Potsdam ging Gräfin
Dönhoff auf längere Reisen durch Europa, Nordamerika und Afrika. Im
Westen (Frankfurt, Basel) studierte sie Volkswirtschaft und machte 1935
ihren Dr. rer. pol. mit summa cum laude. Im Jahre 1936 trat sie in die Verwaltung der Familiengüter ein und übernahm drei Jahre später dort die
250
Leitung. Gräfin Dönhoff machte sich im Januar 1945 auf dem legendären
Fuchshengst Alarich auf in den Westen nach Vinsebeck (Westfalen), wo sie
im Frühjahr ankam. Mit der Flucht aus dem Osten endete das „erste Leben“ der Gräfin mit 35 Jahren.
Seit 1946 bis zu ihrem Tode war Gräfin Dönhoff in der Redaktion der
Hamburger Wochenzeitung DIE ZEIT und hat sie tief geprägt. Am 21.
März 1946 erschienen ihre ersten beiden Beiträge Totengedenken und Ritt gen
Westen. 1950 übernahm sie die Leitung des politischen Ressorts, 1968 wurde
sie Chefredakteurin und seit 1973 auch Herausgeberin. Gräfin Dönhoff
hatte ihr zweites Leben als Chance gesehen, an einem „besseren“ Deutschland mitzuarbeiten.
Gräfin Dönhoff hat zahlreiche Bücher geschrieben: den meisten in der
Erinnerung geblieben ist sicherlich der legendäre Fluchtbericht Namen die
keiner mehr nennt (1962). Es folgten Werke wie Die Bundesrepublik in der Ära
Adenauer (1963), Deutsche Außenpolitik von Adenauer bis Brandt (1970), Amerikanische Wechselbäder (1983) sowie Weit ist der Weg nach Osten (1985). Während
ihrer Schaffenszeit erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen wie z. B. den
Theodor-Heuss-Preis (1966) und den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels (1971). Sie verstarb am 11. März diesen Jahres auf Schloss Crottorf
im Kreis ihrer Familie. Helmut Schmidt umschrieb sie bei der Trauerfeier
in der Hamburger Michaeliskirche mit den Worten: „Sie hat (...) politische
und moralische Führung gegeben, ohne dafür einen eigenen Anspruch zu
erheben“ (Reimers 2002: 14).
Die letzten Jahre ihres Lebens waren geprägt von einer starken Sorge um
die Gesellschaft und einer wachsenden kritischen Einstellung. Im Folgenden sollen einige wesentliche Aspekte zusammengetragen werden, die Aufschluss über mögliche Einstellungen zur (Mitarbeiter-)Führung und Anregungen für das Management geben können.
5. Wie hätte die Gräfin das globale Management „zivilisiert“?
Wäre Gräfin Dönhoff im Vorstand eines großen Unternehmens gewesen,
so hätten ihre Lebenserfahrung, ihre Einstellung und ihr charismatischer
Führungsstil sicherlich maßgeblich Einfluss auf ihre Führungskonzeption
gehabt. Hans-Jochen Vogel schreibt dazu in der ZEIT:
„Und mit dem Charisma und dem Charme, die ungeachtet oder gerade auch wegen ihrer Nüchternheit und ihrer Selbstbeherrschung von ihr ausgingen, schlug sie
die meisten, die ihr begegneten, in ihren Bann“ (Vogel 2002).
Ihre Erfahrungen aus Ostpreußen sowie als Herausgeberin der ZEIT hätten ihren Niederschlag ebenso gefunden wie ihre schriftlich niedergelegten
Gedanken z. B. in der Kapitalismuskritik (vgl. Dönhoff 1997a, 2000), bei
zfwu, 3/2 (2002), 247-256
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der es nicht um eine Kritik am Marktmechanismus als solchem ging, sondern um den mit ihm verbundenen Verlust der Werte. Am Ende ihrer Kapitalismuskritik zählt sie Zwölf Regeln gegen die Maßlosigkeit auf, mit Hilfe deren Interpretation sich Überlegungen für die Führungsphilosophie bzw.
eine Unternehmensethik übertragen lassen, u. a. die folgenden drei (Dönhoff 1997a: 219ff.):
(1) „Die Überbetonung von Leistung, Geldverdienen und Karriere – die das
Wirtschaftliche in den Mittelpunkt des Lebens stellt – führt dazu, daß alles
Geistige, Humane, Künstlerische an den Rand gedrängt wird.“
(2) „Gerade in der heutigen Welt mit ihren vielfältigen Versuchungen und Reizangeboten wächst das Verlangen nach moralischer Grundorientierung und einem
verbindlichen Wertesystem.“
(3) „Niemand hat heute eine Vision.“
Der Kern der Führungsphilosophie liegt in dem Buch Zivilisiert den Kapitalismus, in dem ZEIT-Artikel Die Niederlage des Marxismus bedeutet nicht den
Triumph des Kapitalismus aus dem Jahre 1989 sowie in der Veröffentlichung
Macht und Moral vor zwei Jahren. Darin warnt sie ausdrücklich, dass die
marktwirtschaftliche Denklogik (Eigennutz, Selbstverwirklichung und hedonistischer Materialismus) nicht sämtliche Lebensbereiche bestimmen
darf. Sie fordert eine „grundsätzliche Korrektur“, die Korruption vermeidet
sowie Eigennutz und Konsumwahnsinn einschränkt. Ferner warnt sie vor
einer „gefährliche(n) Kombination von Säkularisierung und Kapitalismus“
(Dönhoff 2000: Vorwort). Wenn keine moralischen Grenzen gegen die
unbegrenzte Freiheit gesetzt werden, gehen Freiheitsideale verloren (Dönhoff 1997a: 28).
Sie kritisiert auch das zugrundeliegende Menschenbild des homo oeconomicus als rein individualistisch. Die Individuen setzen sich nicht mehr für
den Staat und die Gesellschaft ein, sondern kümmern sich um die Maximierung ihrer Eigeninteressen. „Ein Gefühl für gesellschaftliche Verantwortung wird immer seltener“ (ebd.: 20). Gegenüber Geld hatte sie eine gewisse Gleichgültigkeit dahingehend, „daß es sich nicht lohnt, nach diesem
vergänglichen Gut zu streben“ (Dönhoff 1988: 145). Zu Reichtum und
materiellem Wohlstand äußert sie sich:
„Wohlstand – materielle Güter allein – reicht offenbar nicht aus, um dem Menschen Befriedigung zu verschaffen. Er braucht auch etwas für Seele und Gemüt.
Die Physis bedarf der Metaphysik als Entsprechung“ (Dönhoff 1997a: 7).
Diesseitigkeit, Abkehr von den metaphysischen Grundlagen, totaler Positivismus und fehlende Tiefendimension werden von der Autorin diagnostiziert. Der Markt darf nicht „kritiklos idealisieren“, er braucht moralische
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Einschränkungen. Daher hätte sie wohl ein Unternehmenskonzept entwickelt, „in dem der Begriff Verzicht die Hauptrolle spielen muß“ (ebd.: 24).
Bürger müssen sich – so die kommunitarische Orientierung weiter - politisch engagieren, sonst werden jegliche Formen der Tugend zu Untugenden. „Wir brauchen heute weit zwingender als in früheren Zeiten eine verbindliche Ethik“ (ebd.: 111). Die Marktwirtschaft ist als sinnvollstes Wirtschaftssystem zwar legitimiert, muss aber „zivilisiert“ (ebd.: 35) werden.
Daher hätte sich Gräfin Dönhoff wohl gegen eine verkürzt verstandene
Shareholder-Value-Orientierung ausgesprochen, bei der andere Stakeholder
unberücksichtigt bleiben. „Wir müssen es schaffen, die Gesellschaft wieder
zu humanisieren und die Gier der Bürger zu zähmen“ (ebd.: 53). Dazu
bedarf es Vorbilder, die selten geworden sind, aber durchaus existierten,
wie sie in ihrem Kapitel Es gab Vorbilder anhand von Persönlichkeiten wie
den Alten Fritz oder Graf Yorck zeigt (ebd.: 175ff.), aber auch schon zuvor
durch anerkennende Worte über Richard von Weizsäcker und Helmut
Schmidt deutlich gemacht hat.
Die aufgeführten Parallelen zeigen, wie wichtig es der Gräfin Dönhoff zu
sein scheint, Zivilcourage, aktives Bürgerengagement und kritische Reflexion als Ideale einer aufgeklärten Bürgergemeinschaft zu verstehen. „Das
Prinzip der sozialen Marktwirtschaft ist als Wirtschaftsprinzip unentbehrlich, aber es darf nicht als Entschuldigung fürs Nicht-Handeln mißbraucht
werden“ (ebd.: 31).
Die Bedeutung eines institutionalen Rahmens im Sinne einer Institutionalethik (hier: soziale Marktwirtschaft) im vorliegenden Verständnis muss über
individualethisches Engagement jedes Einzelnen, aber des Topmanagers im
Besonderen begleitet werden. Die Rolle von Vorbildern und transformationaler sowie charismatischer Führung scheint nahe zu liegen. Insofern ist zu
vermuten, dass die Gräfin zwar institutionalethische Rahmenbedingungen
implementiert, aber zugleich und mit Nachdruck durch vorbildliches Handeln alte Tugenden wiederbelebt hätte, ohne jedoch einem idealistischen
Vorbild zu verfallen. Sie schreibt in Anlehnung an den Historiker Thomas
Nipperdey:
„Denn, so fährt er fort, es gibt in der Geschichte das Element der Kontingenz,
das heißt des Nicht-Notwendigen, also des Zufälligen; und exzeptionelle Persönlichkeiten, so meint er, seien herausragende Fälle solcher Kontingenzen. Wenn
das so ist, dann ist die Verantwortung der Handelnden noch viel größer, als gemeinhin angenommen wird. Dann ist es das Versäumnis derjenigen, die eine Gelegenheit nicht beim Schopf ergreifen (...)“ (Dönhoff 1997a: 41).
Das Verhältnis von Individual- und Institutionalethik scheint also dem hier
vorgeschlagenen Beziehungsgeflecht zu entsprechen: Die Individualethik ist
hinreichende, die Institutionalethik notwendige Bedingung einer wirksamen Unternehzfwu, 3/2 (2002), 247-256
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mensethik unter den Bedingungen der Globalisierung. Gräfin Dönhoff fordert eine
Zivilgesellschaft und greift damit die Argumente der Kommunitaristen auf.
„Die Eigenschaften Liberalismus und Toleranz wie auch die Bürgergesellschaft sind ein Ergebnis der Zivilisation“ (ebd.: 32).
6. Ausblick
Der Artikel hat anhand bio- und bibliographischer Quellen untersucht, was
das Management von Gräfin Dönhoff im Vorstand eines globalen Konzerns hätte lernen können. Die Grenzen einer zu stark charismatischen
oder auch transformationalen Führung liegen mit der allgemeinen Kritik an
der Individualethik auf der Hand. Als Lösungsvorschlag wurde eine eigene
Verhältnisbestimmung gewählt, die Institutionalethik als notwendige und
Individualethik als hinreichende Bedingung einfordert. Hier bilden die
Vorbildfunktionen, übernommen von herausragenden und moralisch kompetenten Persönlichkeiten einen wichtigen Baustein, der in der aktuellen
Diskussion oftmals vernachlässigt wird.
Das Gedankenexperiment bleibt Spekulation, aber es scheint dennoch legitim, sich eine Welt vorzustellen, in der die gesellschaftlichen Funktionsträger für sie eher untypische Rollen übernehmen. Mit Gräfin Dönhoff, die
zeitlebens politisch gewirkt hat, ohne ein entsprechendes Amt anzustreben,
als Vorstand eines global agierenden Konzerns sollte dieser Idee gefolgt
werden. Ihre eher gesellschaftsbezogene Kapitalismuskritik aus der Perspektive der
Herausgeberin der ZEIT wurde in eine eher unternehmensbezogene Managementkritik aus der Perspektive des Topmanagers gewandelt. Hier hätte sie sicherlich neue
Maßstäbe gesetzt. Gräfin Dönhoff hat den Menschen nie aus dem Auge
verloren.
1
2
3
4
Vgl. zu den Grundlagen bei Homann/ Blome-Drees 1992 sowie Ulrich 1993; 1997.
Zwischen beiden Extremformen finden sich in der sozialen Wirklichkeit verschiedene
Abstufungsgrade.
Während die Stakeholder-Agency-Theory in Anlehnung an kontraktualistische Ansätze
von einem wechselseitigen Vertragsverhältnis des Unternehmens als einem und den übrigen Stakeholdern als jeweils anderen Vertragspartner ausgeht, basiert die Corporate Governancediskussion eher auf einem fairen und ausbalancierten System von Checks and Balances zwischen Unternehmen und Stakeholdern. Kommunitarisch geprägte Formen der
Corporate Citizenship begreifen das Unternehmen als „Bürger“ einer Gesellschaft.
In der Führungstheorie wird vor diesem Hintergrund zwischen transformationalen und
transaktionalen Führungsstilen unterschieden. Beim transformationalen Führungsstil werden
Mitarbeiterinteressen und –einstellungen durch Vorleben der Führungsperson über Motivation, Begeisterung und Empowerment direkt verändert; die transaktionale Führung
steuert über Anreize. Vgl. zu den transaktionalen und transformationalen Führungsstilen insbesondere Burns{ XE "Burns" } 1978 und Bass{ XE "Bass" } 1985, 1990). Die USA wird
254
5
geprägt von solch charismatischen Vorbildern wie Lee Iacocca oder Jack Welch. In
Deutschland kommen solche Persönlichkeiten – wie etwa Reinhold Würth oder Max
Grundig – zwar aus global aktiven, aber mittelständisch geprägten (Familien)Unternehmen, während starke US-Vorbilder mit ihren Unternehmen auch im DowJones bzw. an der NASDAQ notiert sind.
Die bekanntesten Biographien über das Leben Gräfin Dönhoff stammen von Alice
Schwarzer 1996 und Haug von Kuenheim 1999.
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Alexander Brink, Dr. rer. pol. Dr. phil., geb.
1970 in Düsseldorf,
Dr. Dr. Alexander Brink
ab Oktober 2002 Juniorprofessor für angewandte Ethik im Studiengang Philosophy &
Private Universität Witten/Herdecke, Zustiftungs- Economics an der Universität Bayreuth
lehrstuhl für Philosophie
Dozent am Lehrstuhl für Volkswirtschaft
und Volkswirtschaftslehre
und Philosophie der Privaten Universität
Witten/ Herdecke,
Alfred-Herrhausen-Str. 50
Wissenschaftlicher Berater des GraduierD-58448 Witten
tenkolleges „Kriterien der Gerechtigkeit“
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