Rassismuskritischer
Leitfaden
zur Relexion bestehender und Erstellung
neuer didaktischer Lehr- und Lernmaterialien
für die schulische und außerschulische
Bildungsarbeit zu Schwarzsein, Afrika und
afrikanischer Diaspora
Autor*innenKollektiv Rassismuskritischer Leitfaden
Projekt Lern- und Erinnerungsort Afrikanisches Viertel (LEO)
beim Amt für Weiterbildung und Kultur des Bezirksamtes
Mitte von Berlin und Elina Marmer (Hrsg.)
Impressum
Wir nennen uns Autor*innenKollektiv Rassismuskritischer Leitfaden. Dieser Leitfaden ist ein Ergebnis von zwei
mehrtätigen Workshops, 2013 in Hamburg und 2014 in Berlin, durchgeführt im Rahmen von Imafredu Projekt
(Image of Africa in Education), gefördert vom Marie Curie Programm der EU.
Federführend sind:
Einleitung: Modupe Laja, Josephine Apraku, Jule Bönkost und Elina Marmer
Methoden: Maureen Maisha Eggers, Saraya Gomis, Regina Richter, Bertrand Njoume und Annette Kübler
Inhalte: Kristina Konzi, Regina Richter, Josephine Apraku, Daniel Bendix, Yemisi Babatola und Elina Marmer
Sprache, Bilder, Quellen: Modupe Laja, Yemisi Babatola, Kristina Konzi, Regina Richter und Elina Marmer
Zielgruppen: Josephine Apraku, Daniel Bendix, Jule Bönkost und Elina Marmer
Einleitung Materialien und Konzepte: Yemisi Babatola, Kristina Kontzi und Modupe Laja
Mit Unterstützung von: Louis Henri Seukwa, Ursula Neumann, Joshua Kwesi Aikins, Felicitas Macgilchrist,
Tina Bach, Anna van Hoorn, Dalia Marmer, Marie-Teres Aden-Ugbomah, Florence Tsagué, Serge Palasie,
Astrid Lüdemann, Ghanatta Ayaric, Svenja Heinrich
Lektorat: Oranus Mahmoodi
Herausgeber*innen: Projekt Lern- und Erinnerungsort Afrikanisches Viertel (Leo) beim Amt für Weiterbildung
und Kultur des Bezirksamtes Mitte von Berlin und Elina Marmer
Gestaltung, Typografie, Satz: Philipp Wix, imaging-dissent.net, Berlin
Wir danken with Wings and Roots für das hilfreiche Feedback und Yonas Endrias (Leo) für die großartige Unterstützung
Hamburg-Berlin, 2015
Inhalt
05
07
08
09
10
Einleitung
Rassismuskritischer Ansatz
Kritisches Weißsein
Menschenrechtsbezogener Ansatz
Unser Ziel
13
13
13
15
15
1. Grundideen einer herrschaftskritischen Methodik und Didaktik
1.1. Verständnis Herrschaftskritik und Ziele
Lehrende
Lernende
Inhaltliche Ziele und Kriterien
17
17
17
18
18
1.2. Subjektorientiertes (und handlungsorientiertes) Lernen
Subjekte
Lernen als Handeln /Empowerment
Erfahrungen und Lebensinteressen der Lernsubjekte
Partizipatives Lernen und Wissen
19
19
20
1.3. Methodenkritik
Warum & Wozu, Gründe und Ziele
Wie können die genannten Forderungen umgesetzt werden?
25
27
28
30
32
34
36
38
2. Inhalte
Afrika in Geschichte und Gegenwart
Schwarzer Atlantik und europäischer Kolonialismus
Schwarze Perspektiven in ihrer Komplexität
Sprache
»Afrika«-Bilder
Migration
Rassismus und Rassismuskritik
41
3. Umgang mit Bildern, Quellen und Sprache
47
4. Zielgruppen
51
53
59
5. Anhang
5.1 Materialien und Konzepte zur rassismuskritischer Bildung
5.2 Initiativen zur rassismuskritischer Bildung
65
6. Glossar
4
Auftrag der Schule
Rassismuskritischer
Ansatz
Inklusion
Kritisches Weißsein
Menschenrechte
UN-Konventionen
Einleitung
D
er afrikanische Kontinent wird in deutschen Schulen einseitig dargestellt. Aktuelle Studien zeigen, dass auch die Darstellung der afrikanischen Diaspora1 und die Repräsentation von Menschen afrikanischer Herkunft, die bereitgestellt werden, rassistische Implikationen
aufweisen. Betroffen sind Lehr- und Lernmaterialien – sowohl Schulbücher als
auch Handreichungen für Lehrende. In den schulischen Bildungsangeboten spiegeln sich rassistische Vorurteile und Stereotypen wider, die aus gesellschaftlichen
Diskursen über Afrika, afrikanische Diaspora und Menschen afrikanischer Herkunft stammen.
Diese einseitigen und rassistischen Darstellungen wirken gewaltvoll auf Schwarze2 Schüler*innen, die ständige Wiederholung solcher Vorurteile und Stereotype kann zu Traumatisierungen3 führen. Aufgrund der rassistischen Inhalte in
Bildungsmaterialien ist für viele Kinder und Jugendliche in der Schule kein faires Lernklima vorhanden. In jedem Fall missachtet die Darstellung Afrikas und
Schwarzer Menschen das grundlegende Recht auf eine intakte Menschenwürde
und verletzt Menschenrechte (s. auch Grundgesetz, Art. 3). Seitens weißer Schüler*innen und Lehrer*innen bestärkt diese einseitige Darstellung rassistisches
Verhalten im (schulischen) Alltag, was häuig weder beabsichtigt ist noch von ihnen als rassistisch wahrgenommen wird.
Dabei ist der Auftrag der Schule, wie ihn die Ländergesetze festlegen, Persönlichkeiten heranzubilden, die fähig sind, das gesellschaftliche Leben auf der Grundlage der Demokratie, der Menschenwürde und der Anerkennung der Gleichberechtigung aller Menschen zu gestalten. Der schulische Bildungsauftrag stützt
sich auf einen verfassungsrechtlich verankerten Gleichbehandlungs- und Gleichstellungsgrundsatz. Zu den Kernaufgaben schulischer Bildung gehört deshalb,
Schüler*innen zu kritisch-selbstrelektierenden Bürger*innen auszubilden. Um
das zu erreichen, sollte der Schulunterricht Schüler*innen für Diskriminierung in
unterschiedlichen Formen sensibilisieren und über Entstehung und Wirkung von
Diskriminierung aufklären. Zudem sollte ihnen die Schule Wege zur Prävention
von Diskriminierung aufzeigen.
Die Schule hat also die Aufgabe, eine vollständige gesellschaftliche Teilhabe und
selbstbestimmte Lebensgestaltung zu gewährleisten – im Sinne eines erweiterten
1 | Die afrikanische Diaspora
(griechisch »Verstreutheit«) bezeichnet die Gesamtheit der
geographisch vom eigentlichen
Kontinent entfernt lebenden
Menschen afrikanischer Herkunft,
die historisch unter anderem
durch die große Jahrhunderte anhaltende Tragödie von transatlantischem Geschäft mit Menschen,
Verschleppung und Versklavung
(Maafa = afrikanischer Holocaust)
verstreut wurden.
2 | Schwarz (in der Gegenüberstellung zum konstruierten weiß)
bezieht sich hier nicht auf biologistische Merkmale, sondern
auf das Selbstverständnis einer
Personengruppe, die als Reaktion auf die Abwertung ihrer
afrikanischen Herkunft im rassistisch-konstruierten Machtgefüge von weiß/Schwarz ihr Bewusstsein genau daher ableitet,
Schwarz als positiv umdeutet und
dies durch Großschreibung signiikant macht. Dagegen wird weiß
als Adjektiv klein geschrieben.
Die kursive Schreibweise soll auf
den konstruierten Charakter der
Bezeichnung hinweisen (vgl. Eggers Maureen Maisha et al. (Hg.),
2005, Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weiß-Seinsforschung in Deutschland, Münster:
Unrast Verlag). People of Color
(PoC) – nicht zu verwechseln mit
der rassistischen Fremdbezeichnung »colored« (farbig), ist eine
selbstgewählte Bezeichnung einer Gruppe, die rassistische Erfahrungen teilt. Wie Schwarz ist
People of Color ein politischer
5
und widerständiger Begriff (vgl.
Kien Nghi Ha, 2009, ›People of
Color‹ als Diversity-Ansatz in
der antirassistischen Selbstbenennungs- und Identitätspolitik, Dossier. Heinrich-Böll-Stiftung, http://heimatkunde.
boell.de/2009/11/01/people-color-als-diversity-ansatz-der-antirassistischen-selbstbenennungs-und).
6
3 | Velho, Astride, 2011, Un/Tiefen der Macht: Auswirkungen von
Rassismuserfahrungen auf die
Gesundheit, das Beinden und
die Subjektivität. In: Landeshauptstadt München Direktorium, Antidiskriminierungsstelle für Menschen mit Migrationshintergrund,
Amigra München (Hg.): Dokumentation Fachtagung »Alltagsrassismus und rassistische Diskriminierung. Auswirkungen auf die
psychische und körperliche Gesundheit« 12.10.10 München.
4 | Strega, Susan, 2005, The View
from the Poststructural Margins:
Epistemology and Methodology
Reconsidered. In: Brown, Leslie/
Strega, Susan (Eds.), Research As
Resistance: Critical, Indigenous,
and Anti-Oppressive Approaches, Toronto, Ontario: Canadian
Scholars’ Press/Women’s Press.
Inklusionsbegriffs. Der vom Deutschen Institut für Menschenrechte verwendete Begriff der Inklusion bezog sich zunächst auf Menschen mit Behinderungen,
wurde dann aber auf alle gesellschaftlichen Mitglieder in ihrer Unterschiedlichkeit und Diversität erweitert. Auch People of Color und Schwarze Menschen werden behindert. Die Behinderung liegt in den Barrieren, die von gesellschaftlichen
Organisations- und Machtverhältnissen bedingt und in Bildungsinstitutionen geschaffen werden.
»Wer von den gesellschaftlich festgelegten und historisch wandelbaren ›Normen‹ abweicht, wird diskriminiert, ausgegrenzt oder unterdrückt. Das dominante Wissen über die Welt und was als ›normal‹
oder ›fremd‹ und ›ungewöhnlich‹ gilt, ist dabei maßgeblich durch
›Rassen‹, Klassen- und Gender-Konstruktionen geprägt.«
(Strega, 2005, S. 201).4
Inklusion bedeutet in diesem Zusammenhang nicht, die Kinder und Jugendlichen
zu »Normalschüler*innen« zu formen. Kinder und Jugendliche lernen durch gegenseitigen respektvollen Umgang und wenn sie selbst als selbstbestimmte, mündige kritisch denkende Subjekte wahrgenommen werden.
Bei der Umsetzung des Auftrags der Schule kommt schulischen Lehr- und Lernmitteln eine besondere und wichtige Rolle zu:
1
2
3
Ihre Inhalte spiegeln gesellschaftlich dominante Werte, Normen
und Vorstellungen wider.
Sie sind Träger des Wissens, das im Zusammenhang mit dem Bildungsauftrag der Schule als lehr- und lernreich erachtetet wird und
das damit staatlich legitimiert ist.
Gleichzeitig formen Lehr- und Lernmittel Meinungsbilder, indem
sie prägend auf die Lernenden, aber auch auf die Lehrenden wirken. Unterrichtsmaterialien haben Einluss auf das Selbst- und
Weltverstehen.
Aufgrund der festgestellten Diskrepanz zwischen dem Bildungsauftrag der Schule
und den tatsächlichen schulischen Bildungsinhalten, ist es wichtig, neue Lehr- und
Lernmittel zu entwickeln. Bei ihrer Erstellung sollte die Wahl der Themen und
Perspektiven rassistischer Diskriminierung entgegenwirken. Die methodisch-didaktische Herangehensweise und die sprachliche und bildliche Darstellung sollten dem eigentlichen Bildungsauftrag der Schulen gerecht werden. Bestehende
Materialien sollten auf ihre Inhalte hin überprüft werden, um sie gegebenenfalls
zu ersetzen. Durch diese Maßnahmen könnte ein Beitrag zur Sicherstellung der
Chancengleichheit im Schulunterricht geleistet werden. Diesen überfälligen Aufgaben sollten Anbieter*innen schulischer Bildungsinhalte endlich nachkommen.
Rassismuskritischer Ansatz
Dieser Leitfaden basiert auf einem rassismuskritischen Ansatz. Wir verstehen
Rassismus als eine Ideologie von Herrschaft und Dominanz, die dazu dient, die
ungleiche Verteilung von Macht, Privilegien, Ressourcen und Möglichkeiten der
Selbstverwirklichung zu legitimieren und zu stabilisieren. Diese Ideologie wird
u.a. in den medialen Diskursen, in der Wissensproduktion und Bildung fortwährend reproduziert und schafft rassistische Realitäten – diskriminierende Strukturen und Gewalt. So werden individueller und struktureller Rassismus oder andere
Diskriminierungsformen zur »Normalität«, nicht im Sinne von ›natürlich‹, sondern im Sinne von Norm – konstruiert durch Normierungs- und Ordnungsprinzipien von Gesellschaft und Macht, die unsere Gesellschaft strukturiert.
In Deutschland wird Rassismus meistens im Zusammenhang mit der Nazi-Vergangenheit thematisiert, weshalb sich viele hierzulande einer kritischen und
selbstrelektierten Auseinandersetzung mit Rassismus verwehren. Viele Menschen
glauben, dass rassistisches Handeln beabsichtigt oder an den Glauben an eine biologistische Konstruktion von »Rasse« gebunden sein muss. Dabei werden häuig
ersatzweise »Kultur«, »Ethnie« u.ä. problematische weil ausgrenzende, reduzierende und hierarchisierende Konzepte verwendet. In vielen Fällen indet Diskriminierung unbewusst und unbeabsichtigt statt.
In der Schule und im Unterricht werden Wissensproduktion und rassistische Wissenskategorien kaum problematisiert. Unterrichtsmaterialien bleiben meist der
unsichtbaren weißen Norm verhaftet und relektieren kaum historische Bildungsprivilegien und ihre Effekte auf Chancengleichheit. Diskriminierung ist nicht allein in aktiven Handlungen verortet (ich benachteilige / die Institution benachteiligt…). Sie schließt auch den Aspekt des passiven Zugewinns ein (ich proitiere
/ die weiße Gesellschaft proitiert…). Rassistische Diskriminierung bezieht sich
nicht bloß auf einen moralisch verwerlichen Zugewinn. In einer rassistischen Gesellschaft laufen weiße Menschen immer Gefahr, zu diskriminieren – wenn nicht
aktiv und bewusst gegen Diskriminierungen angegangen wird.
Rassismus gegen Schwarze Menschen
Rassismus äußert sich in verschiedenen Formen und wirkt auch in gegenseitiger
Abhängigkeit mit anderen strukturellen Ausgrenzungsformen. Dieser Umstand
ist wichtig zu berücksichtigen, wenn effektiv gegen Rassismus vorgegangen
werden soll. Dieser Leitfaden fokussiert Rassismus gegen Schwarze Menschen
als eine speziische Erscheinungsweise von Rassismus in Deutschland, die in
der Bundesrepublik bisher nur wenig Aufmerksamkeit erhalten hat. Rassismus
gegen Schwarze Menschen hat eine lange Geschichte und ist als Folge der kolonialen Ausbeutung des afrikanischen Kontinents bis heute von großer Wirkmächtigkeit.
Wenn Afrika und die afrikanische Diaspora im Schulunterricht behandelt werden, dann gilt es, rassistischen Vorstellungen kritisch zu begegnen. Denn auch
in Deutschland drückt sich Rassismus gegen Schwarze Menschen in kolonialistischen Vorstellungen zu Afrika aus. Für den Unterricht sollten Inhalte, Bilder,
Quellen, Sprachgebrauch und die didaktisch-methodische Herangehensweisen
7
eine »Gegen«-Perspektive erzeugen. Bildungsmaterialien, die Lehr- und Lernprozesse erleichtern, kommt die Aufgabe zu, diese Prozesse zu unterstützen.
Unterrichtsmaterialien, die einen rassismuskritischen Ansatz verfolgen, beziehen Schwarze Perspektiven und Schwarze Rassismuskritik mit ein. Damit geht es
nicht bloß darum, die Ungleichbehandlung rassistisch diskriminierter Personengruppen zu thematisieren. Vielmehr gilt es, die Lebensrealitäten Schwarzer Menschen in den Fokus zu rücken, um für Schwarze Schüler*innen positive Bezüge
zu schaffen und gleichzeitig weißen Schüler*innen alternative Wissensbestände
zugänglich zu machen.
Kritisches Weißsein
8
Die Positionen weiß-Sein und Schwarz-Sein beziehen sich immer aufeinander. Sie
sind nicht unabhängig voneinander denkbar. Deshalb sollte die gesellschaftliche
Privilegierung von Menschen, die keine Rassismuserfahrungen machen, thematisiert werden. Diese Positionierung weißer Menschen, die als Gegenstück zur
Ausgrenzung rassistisch diskriminierter Menschen besteht, wird von der weißen
Mehrheitsgesellschaft weder thematisiert noch wahrgenommen. Das ist eine Basis
von Rassismus in Deutschland. Deshalb sollten in Unterrichtsmaterialien weißSein und die Bevorzugung weißer Menschen im Kontext von Rassismus behandelt werden.
5 | Richter, Regina, 2012, in Zusammenarbeit mit Preetz, Claude: Kritisches Weißsein in der Bildungsarbeit, http://iae-journal.zhdk.ch/
iles/2012/12/AER6_richter.pdf.
6 | Meza Torres, Andrea und Can,
Halil, 2013, Empowerment und
Powersharing als Rassismuskritik
und Dekolonialitätsstrategie aus
der People of Color-Perspektive.
In: Emowerment Dossier, Heinrich Böll Stiftung, www.migration-boell.de.
Die noch vorrangig weiß gedachte Schule ist ein Konglomerat aus vorrangig weißen Pädagog*innen, ausgestattet mit Macht und einer als normativ erlebten Identität. Dazu kommt in der Regel eine Schüler*innenschaft, die am ›Ideal‹ des weißen, bürgerlichen Kindes und Jugendlichen gemessen wird. Das dazugehörende
Lernmaterial, welches in Bild, Wort und Fragestellung vorrangig nur eben diese
Klientel vor Augen hat, diskriminiert und schreibt Diskriminierungen fest (vgl.
dazu Regina Richter, 20125).
»Geprägt und durchdrungen vom westlich-eurozentristisch-kolonialen Blick wird uns die Menschheitsgeschichte aus der dominanten
Perspektive eines Weiß-christlich-männlich konstruierten Wissensarchivs ›weiß‹ gemacht. Es ist eine machtvolle Narration, die mit
Mitteln der Ausblendung, Fragmentierung, Selektion, Verfälschung,
Auslöschung arbeitend, manipulativ ihre eigene Realität konstruiert
und somit andere existierende Narrationen entmündigt, unterdrückt
und beherrscht. So ist es nicht verwunderlich, dass in der Gedächtnis- und Erinnerungskultur über den westlich-europäischen Rassismus und Kolonialismus sowohl über die Erfahrungen, Geschichten,
Erzählungen und Widerstandskämpfe der Kolonisierten und Rassiizierten mit ihren Kontinuitäten bis in die Gegenwart in den dominanten Narrationen, Diskursen und Wissensarchiven eine Art
Amnesie vorherrscht als auch ein weitgehend selbstkritisches und
selbstrelexives Bewusstsein darüber fehlt.«
(Andrea Meza Torres und Halil Can, 2013).6
Menschenrechtsbezogener Ansatz
Rassistische Botschaften im Kontext Schule beeinlussen die Einstellungen und
schließlich das Handeln ihrer Rezipient*innen. Dies gilt für Schüler*innen genauso wie für Lehrkräfte. So wird Rassismus auf der strukturellen und auf der
interpersonellen Ebene verfestigt. Auf diese Weise werden Repräsentationen
von Ungleichverhältnissen durch kolonial-rassistische Bilder wirkmächtig und
gleichzeitig Teil von erlebtem Alltagsrassismus.
Rassenideologien und Ideen der europäischen »Aufklärung«, die diese untermauerten, schufen mit ihrem einseitigen Menschenrechtsverständnis die Grundlage
für Rassismus. Sie deinieren Menschenbilder aus weißer Perspektive, entlang
rassistischer Kategorien und schließen bestimmte Menschengruppen von grundlegenden Rechten aus. Ein universaler Ansatz bezogen auf die Menschenrechte
impliziert dagegen die Perspektive auf Menschen in gesamthistorisch-kulturellem
Zusammenhang. Afrika und afrikanische Diaspora sind in diesem Sinne unentbehrlicher Teil eines globalen Zusammenhangs. Ein universaler Ansatz beinhaltet auch Perspektiven von Personengruppen, die seit der Entstehung von rassistischen Ideologien klassiiziert und abgewertet worden sind.
Eine rassismuskritische an universalen Menschenrechten orientierte Perspektive
ist notwendig, um ein diversitätsbewußtes Menschenbild zu zeichnen. Der Leitfaden verweist insofern auf die in den UN-Konventionen verankerten Menschenrechtsgrundsätze, die sich ebenso explizit auf Menschen afrikanischer Herkunft
wie auf andere Personengruppen beziehen. Die von dem UN-Anti-Diskriminierungsausschuss (Cerd7) verfasste Empfehlung von 2011 (dem von der UN als
Jahr der Menschen afrikanischer Herkunft proklamierten Jahr) ist eine Vertiefung
des allgemeinen Völkerrechts und bildet einen Teil der abgegebenen Erklärungen
zu den allgemeinen Menschenrechtskonventionen.
Sie gibt auch die Vorgaben für eine rassismuskritische Wissensproduktion und
-vermittlung8:
1
2
3
4
5
6
Review all the language in textbooks which conveys stereotyped
or demeaning images, references, names or opinions concerning
people of African descent and replace it with images, references,
names and opinions which convey the message of the inherent dignity and equality of all human beings.
Ensure that public and private education systems do not discriminate against or exclude children based on race or descent.
Take measures to reduce the school dropout rate for children of
African descent.
Consider adopting special measures aimed at promoting the
education of all students of African descent, guarantee equitable
access to higher education for people of African descent and facilitate professional educational careers.
Act with determination to eliminate any discrimination against
students of African descent.
Include in textbooks, at all appropriate levels, chapters about the
9
7 | Committee on the Elimination
of Racial Discrimination, Cerd.
8 | www2.ohchr.org/english/bodies/cerd/docs/GR34_English.pdf.
history and cultures of peoples of African descent and preserve
this knowledge in museums and other forums for future generations, encourage and support the publication and distribution of
books and other print materials, as well as the broadcasting of television and radio programmes about their history and cultures.
Unser Ziel
Der vorliegende Leitfaden richtet sich an alle Akteur*innen, die in Bildungszusammenhängen tätig sind. Dazu gehören insbesondere:
10
· Pädagog*innen (Lehrer*innen, Ausbilder*innen, Hochschullehrende, Sozialpädagog*innen und Multiplikator*innen)
· Produzent*innen von Bildungsmaterialien (Schulbuchverlage und
andere Hersteller*innen von Bildungsmaterialien, Redakteur*innen,
Autor*innen)
· bildungspolitisch Verantwortliche
Der Leitfaden ist in Zusammenarbeit als Ergebnis zweier mehrtägiger Workshops
entstanden und hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Er ist als Zwischenergebnis zu verstehen, das weiter vervollständigt und überarbeitet werden kann
und soll. Unser Anliegen ist es, unsere Arbeit der Öffentlichkeit zur Verfügung
zu stellen, um
· eine längst überfällige Begutachtung vorhandener Lehr- und Lernmittel nach rassismuskritischen und diversitätsorientierten Kriterien anzuregen
sowie
· Autor*innen und Entwickler*innen von Bildungsmedien bei der
Neuerarbeitung von rassismuskritischen und diversitätsorientierten didaktischem Material zu unterstützen.
Die folgenden Empfehlungen für rassismuskritische Lehr- und Lernmaterialien
leiten wir von Erfahrungen in unterschiedlichen Bereichen ab: pädagogische Forschung und Praxis, wissenschaftliche Lehr- und Lernmittelanalysen, empirische
Studien zu Afrikabildern und Rassismuserfahrungen im schulischen Kontext, Erstellung und Erprobung didaktischer Materialien sowie politische Anti-Rassismus-Arbeit. Die Empfehlungen sind thematisch vier Bereichen zugeordnet:
1
2
3
4
Methodik und Didaktik
Inhalte (behandelte Themen)
Umgang mit Bildern, Quellen und Sprache
Zielgruppen der neu zu erstellenden Materialien.
12
Grundhaltung
Herrschaftskritik
Reflexion
Irritation
Subjekte
Empowerment
Partizipation
1. Grundideen einer
herrschaftskritischen
Methodik und Didaktik
D
ieser Leitfaden versucht Grundsätze des herrschafts- und rassismuskritischen Lernens aufzuzeigen und Anregungen dazu zu geben. Ob
das gelingt, hängt von der Grundhaltung der Lerngestalter*innen ab:
Es reicht nicht ›anti‹ zu sein, etwa gegen Ungleichheit oder Rassismus. Dieser Leitfaden empiehlt einen Lern- und Veränderungsprozess, eine kritische Beschäftigung mit der eigenen Identität und das Hinterfragen der Konstruktion der eigenen Werte und Moralvorstellungen.
Rassismuskritische Grundhaltung erfordert einen kontinuierlichen Lern- und Veränderungsprozess. Der Leitfaden gibt also keine Methodik oder Didaktik vor, gibt
keine »Rezepte« vor, mit denen Lehrer*innen »alles richtig machen« können. Das
»richtige« Verhalten kommt immer auf die konkrete Situation, die konkreten Schüler*innen/Jugendlichen, den konkreten Kontext und vor allem auf die konkreten
Lehrer*innen/Pädagog*innen an. Wie kann grundsätzlich rassismuskritisch gehandelt werden in Bezug auf Didaktik, die Lernenden, die Lehrenden und auf ein Thema? Welche pädagogische Grundhaltungen und Überlegungen sollten rassismusund herrschaftskritischer Unterrichtsplanung und Lernsituation zugrunde liegen?
1.1. Verständnis Herrschaftskritik und Ziele
Lehrende
Inzwischen unterrichten nicht mehr nur weiße Lehrer*innen an deutschen Schulen, sondern auch Lehrer*innen of Color und Schwarze Lehrer*innen. Dieser
Leitfaden spricht allerdings vor allem weiße Lehrer*innen an, denn noch bilden vorwiegend weiße Lehrer*innenzimmer die Realität in Deutschland ab und
Schwarze Lehrer*innen und Lehrer*innen of Color sind wegen der persönlichen
Erfahrungen zwangsläuig rassismuskritisch sensibilisiert und auch gebildet. Andere sind vielleicht so eingebunden in das System, dass unsere Ausführungen auch
für sie einen Erkenntnisgewinn darstellen.
Weiße Lehrer*innen aber wurden i.d.R. von ihren weißen Eltern erzogen, sind
zumeist von weißen Lehrer*innen unterrichtet worden, haben eine europäisch
weiße Schulbildung genossen, haben weiße Vermieter*innen, sitzen im Bürger-
13
9 | Richter, Regina, 2012, in Zusammenarbeit mit Claude Preetz: Kritisches Weißsein in der Bildungsarbeit, http://iae-journal.zhdk.ch/
iles/2012/12/AER6_richter.pdf.
10 | Hall, Stuart, 1994, Rassismus
und kulturelle Identität. Hamburg:
Argument Verlag.
Fanon, Frantz, 1952, Peau noire, masques blancs. Paris: Seuil
(Schwarze Haut, Weiße Masken).
14
Said, Edward, 1978, Orientalism.
New York NY: Pantheon Books
(Orientalismus).
11 | Überschneidung und Wechselwirkung verschiedener Diskriminierungs- und Privilegierungsformen bei einer Person (z.B.
Rassismus, Sexismus, Ableism,
Klassismus etc.)
amt weißen Sachbearbeiter*innen gegenüber – leben in einer mehrheitlich weißen
Gesellschaft. In einer vorrangig weiß gedachten Schule, erleben weiße Lehrende
ihr eigenes Leben oft als neutral, ›normal‹ (im Sinne von normativ) und eventuell ideal9. Dies kann im Unterricht dazu führen, dass sie aus den »Anderen« ein
(neutrales, ›normales‹, ideales) »wir« konstruieren wollen. Als »Andere« werden
häuig Schwarze oder Schüler*innen of Color deiniert.
Dabei werden die von den Lehrer*innen als »Andere« wahrgenommenen Schüler*innen dazu gebracht, sich selbst ebenfalls als »Andere« wahrzunehmen und
zu erfahren (vgl. Stuart Hall, Frantz Fanon, Edward Said10). Bei verinnerlichter
Diskriminierung wird also das Dominanz- und Machtverhältnis für Diskriminierende und Diskriminierte zu einer akzeptierten Norm.
Neben dem Wissen – etwa über Rassismus, (Post-)Kolonialismus, Geschlechternormen, Körper(funktions)normen, Intersektionalität11 – gilt die Relexion als
zentrales Element der pädagogischen Arbeit. Diese Art von Relexion hat auch
die eigene kulturelle Verortung im Blick, die nicht unbedingt national oder regional ist. Das heißt, dass auch Menschen rassistisch diskriminieren können, die sich
in ihrer Identität nicht (vorrangig) auf das Deutschsein berufen, sich eventuell in
einer sogenannten ›multikulturellen‹ Umgebung verorten und/oder sich selbst zu
einer ›Gruppierung‹ zählen, die nicht auf der ›Sonnenseite‹ des Lebens steht.
Lehrer*innen sollten sich bewusst werden, dass Unterdrückungsstrukturen nicht
parallel, sondern auch intersektional verlaufen können, um etwa Mehrfachdiskriminierungen und unterschiedlich gelagerte Privilegien sehen zu können.
Lehrer*innen sollten sich weniger darauf fokussieren, die Anpassungsfähigkeit
von Schüler*innen zu fördern, sondern die kritische Relexionsfähigkeit innerhalb der Institution, der Pädagogik, der Didaktik und sich selbst in der Welt. Es
darf im Unterricht nicht darum gehen, Jugendliche an unrelektierten Normen
der jeweiligen Lehrperson oder der Institution zu messen, um aus Schüler*innen sozusagen ›Idealschüler*innen‹ zu machen. Der Blick ist vielmehr von den
Jugendlichen weg auf sich selbst und auf die Schule zu richten. Zunächst sollten Lehrer*innen sich und die Institution Schule relektieren und analysieren
und zudem sich als ständig Lernende begreifen. Nur mit einer solchen Grundeinstellung können Lehrende überhaupt glaubhaft Herrschaftskritik »vermitteln«. Es ist nicht möglich Herrschaftskritik zu üben, wenn die Lehrenden »von
oben« aus, aus einer machtvolleren Position heraus, agieren und keine Kritik
an ihrer eigenen Machtposition üben oder zulassen. Das gilt bezüglich Rassismuskritik besonders für weiße Lehrer*innen. Es bedarf einer kritischen Relexion der eigenen Eingebundenheit in rassistische Machtverhältnisse. Wenn die
eigene Position nicht bewusst und aktiv relektiert, kritisiert, verändert wird,
besteht trotz guter Absichten immer die Gefahr, selber zu diskriminieren oder
rassistisches Wissen zu (re)produzieren. Lehrende sollten eine Irritation des eigenen, als normativ wahrgenommenen, Blicks auf die Welt erfahren und dies in
den Unterricht tragen.
Irritationen können im Unterricht etwa durch folgende Fragen initiiert werden:
· Wie wird eine Lebensperspektive zur Norm für Humanität und
Fortschritt stilisiert? (Vgl. dazu die europäischen Menschenrechte,
die »Aufklärung«, usw.)
· Wie wird eine Kultur zur Hochkultur stilisiert und unter welchen
Ausschlüssen?
· Auf welche Weise werden rassistische Alltagshierarchien von solchen Wissensangeboten verkannt, die Kulturen ins Zentrum ihrer
Konliktanalyse stellen?
· Auf welche Weise reproduzieren Wissensangebote die dominante
Norm (z.B. die weiße, männliche, heterosexuelle) anstatt heterogene Lebens- und Deutungsperspektiven sichtbar und erlebbar zu
machen?
15
Fragen dieser Art (vgl. hier auch Index zur Inklusion12) helfen Lehrer*innen dabei, den eigenen konstruierten Normen nicht auf den Leim zu gehen. Sie öffnen
den Unterricht als gemeinsamen Lernort für alle am Unterricht beteiligten Menschen.
Lernende
Die Lebensrealität vieler Schüler*innen wird nicht in den Unterrichtsmaterialien
repräsentiert, ihr Handeln wird abhängig von rassistischen Zuschreibungen beurteilt – Schwarze oder Schüler*innen of Color können nicht davon ausgehen,
überall willkommen zu sein. Daher fordert die herrschaftskritische Bildung eine
vollständige Teilhabe und selbstbestimmte Lebensgestaltung im Sinne eines erweiterten Inklusionsbegriffs aller Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen und
die Anerkennung des Rechts auf Bildung (mehr dazu im Abschnitt 1.2).
Inhaltliche Ziele und Kriterien
Ausgangspunkt der herrschaftskritischen Bildung ist die Relexion über das Spannungsfeld der stabilen Ungleichverhältnisse, das Erlernen machtkritischen Wissens (Rassismuskritik, Diskriminierungskritik, Kritik an Geschlechterhierarchien,
Kritik an körperlicher Normierung) und die Betrachtung der eigenen Einbindung
und Einstellungen. Die Ungleichverhältnisse wiegen umso schwerer, je länger ihre
Geschichte ist und wenn daraus Identitätskonstrukte der Mehrheitsgesellschaft
resultieren, die durch Wissenskomplexe (Medien, Unterrichtsmaterialien, wissenschaftliche Texte, usw.) ständig erhalten, verstärkt und zur Norm(alität) gemacht
werden. In diesem Spannungsfeld soll herrschaftskritische Wissensvermittlung intervenieren und eine produktive Irritation hervorrufen. Hierbei ist das Sichtbarmachen von Normen/Normierungen, scheinbaren Selbstverständlichkeiten, Dominanz und Macht entscheidend. Dabei dürfen solche Wissensangebote nicht bei
den »Anderen« halt machen, sondern müssen die Verstrickung in Machtstrukturen der eigenen Person sichtbar machen und die daraus resultierenden Sichtweisen und Perspektiven hinterfragen (siehe »Lehrende«).
Ziel der herrschaftskritischen Bildung ist, die eigene Rolle und Position der Lernenden in der Gesellschaft fassbar und thematisierbar zu machen sowie die Ausei-
12 | GEW (Hg.), 2013, Index für Inklusion. Frankfurt a. M., 7. Aulage,
neue überarbeitete Aulage. Vgl.
auch Booth, Tony und Ainscow,
Mel, 2003, In: Boban, Ines und
Hinz, Andreas (Hg.) Index für Inklusion. Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, www.eenet.
org.uk/resources/docs/Index%20
German.pdf.
nandersetzung mit Schwierigkeiten, Hürden und gesellschaftlichen Phänomenen
(z.B. Machtstrukturen und ihre Handlungszwängen, Handlungsbehinderungen
und Handlungsbarrieren), die eine solche Bildung erschweren.
Grundlagen dafür bilden:
1 Didaktisches Handeln als eine kontinuierliche diskriminierungskritische und diversitätsbewusste Alltagspraxis;
2 Herrschaftskritische und diskriminierungskritische Methoden;
3 Vorurteilsbewusste Didaktik (z.B. Anti-Bias-Arbeit).
Schüler*innen sollten Kompetenzen erwerben können, die es ihnen ermöglichen
gesellschaftliche Beiträge und eine selbstbestimmte Lebensgestaltung zu entwerfen und zu relektieren. Lernen muss in Verbindung mit ihrer Lebenspraxis begriffen werden. Schüler*innen sollten die Möglichkeit haben, sich mit dem Selbst in
gesellschaftlichen Machtverhältnissen forschend, verändernd und empowerned
zu befassen.
16
Unabdingbar für einen solchen Kompetenzerwerb ist die Auseinandersetzung mit
1
2
3
der Prägung aller Menschen innerhalb und durch die rassistische
Gesellschaft (Verhältnisse, Strukturen, Institutionen, Bildungskanon, usw.);
der Aufdeckung von biologistischen Deutungsmustern, Kulturalisierungen und kulturrassistischen Deutungen;
der Wirkung von Geschlechternormen auf alle Lehrenden und
Lernenden und im besonderen Maße Lernenden mit Diskriminierungserfahrungen (Intersektionalität) und ihre Effekte.
Diese Beschäftigung führt über produktive Irritationen zum eigenen Wirken von
Schüler*innen und die Relexion über die Wirkungsziele. Dazu werden konkrete Handlungsstrategien entworfen. Schüler*innen werden dazu befähigt, gesellschaftliche Hierarchien durch ihre Denkarbeit, durch kreative Arbeiten und
durch eigene Interventionen offen zu legen und alternative Wege zu beschreiten,
anstatt Ungleichheits- und Normierungslogiken zu reproduzieren.
Als wesentlich erscheint uns in diesem Zusammenhang Empowerment (von engl.
empowerment = Ermächtigung, Übertragung von Verantwortung) der Schüler*innen. Damit sind
13 | Nassir-Shahnian, Natascha,
2013, Dekolonisierung und Empowerment, http://heimatkunde.
boell.de/2013/05/01/dekolonisierung-und-empowerment.
»Strategien und Maßnahmen gemeint, die den Grad an Autonomie und Selbstbestimmung im Leben von Menschen oder Gemeinschaften erhöhen sollen und es ihnen ermöglichen, ihre Interessen
(wieder) eigenmächtig, selbstverantwortlich und selbstbestimmt zu
vertreten. Empowerment bezeichnet dabei sowohl den Prozess der
Selbstbemächtigung als auch die professionelle Unterstützung der
Menschen, ihr Gefühl der Macht- und Einlusslosigkeit (powerlessness) zu überwinden und ihre Gestaltungsspielräume und Ressourcen wahrzunehmen und zu nutzen.«13
Wichtig ist hierbei, dass die Empowermentarbeit nicht nur die individuelle, sondern auch die gruppenbezogene und strukturelle Ebene betrifft14. Diese verschiedenen Ebenen verstärken sich gegenseitig und werden erst wirksam, wenn sie zusammenspielen.
14 | vgl. Herriger, Norbert, 2006,
Empowerment in der Sozialen Arbeit. Eine Einführung, Stuttgart:
Kohlhammer.
1.2. Subjektorientiertes (und handlungsorientiertes) Lernen
Subjekte
Der Kern einer herrschaftskritischen pädagogischen Grundhaltung ist es, Lernende
als Subjekte wahrzunehmen und ernst zu nehmen. Gerade durch die Kinderrechtskonventionen und die Menschenrechtskonventionen für Menschen mit Behinderung wurde bestärkt, jeden Menschen nicht als ein Objekt zu verstehen, der*die erst
zum Subjekt/Mensch und zur »Mündigkeit« (oder seiner*ihrer Rolle in der Gesellschaft) erzogen werden müsse. Jeder Mensch ist von vornherein als Subjekt anzuerkennen – als Person, die sowohl berechtigt als auch fähig (mündig) ist zur Selbstbestimmung über ihr Leben. Aus herrschaftskritischer Sicht werden Menschen
nicht durch »angeborene« oder gar »selbstverschuldete Unmündigkeit«15 daran
gehindert, sich selbst zu verwirklichen und gleichberechtigt teilzuhaben – sie werden gehindert durch gesellschaftliche Herrschafts- und Ungleichheitsverhältnisse.
Mit einem Grundgedanken der Inklusionsidee ausgedrückt, ließe sich dies wie folgt
ausdrücken: Menschen sind nicht behindert, sondern sie werden behindert von den
normierten/normalisierten Verhältnissen – nicht zuletzt durch Bildungsinstitutionen16. Entsprechend geht es darum, diskriminierte/marginalisierte Menschen als
Lernende in den Fokus zu bekommen und ihre Lerninteressen einzubeziehen.
Schüler*innen erfahren sich dann nicht als Zu-Belehrende, sondern erleben und
nehmen sich als Lernsubjekte wahr. Sie werden als Personen wahrgenommen, die
imstande sind, gesellschaftliche Beiträge zu erbringen, zu entwerfen, zu relektieren, in dem sie ihr Leben gestalten, aktiv sind und darüber nachdenken, wie sie
wirken und wirken wollen.
Lernen als Handeln, Empowerment
Es geht um eine Ermöglichungsdidaktik anstatt einer Vermittlungsdidaktik: Lernen soll Menschen nicht »itter«/anpassungsfähiger für ihre Rolle in der Gesellschaft machen. Lernen sollte dazu beitragen, (Selbst-)Handlungsfähigkeit und
Gestaltungsspielräume zu erweitern. Lernen kann optimal als Ressource genutzt
werden, um Handlungsbarrieren zu überwinden und Einschränkungen begegnen
zu können, die aus Diskriminierungsstrukturen erwachsen.
Dazu muss die Gesellschaftlichkeit der eigenen Selbstverhältnisse für Lernsubjekte fassbar/thematisierbar – und damit bearbeitbar/verhandelbar gemacht werden. Indem Lernende (und Lehrende) die Logiken von rassistischen Verhältnissen
aufdecken, erleben sich die Teilnehmenden als Lernsubjekte, die selbstbestimmter lernen und sich beteiligen können – sie sind dann befähigt, zu relektieren wie
Rassismus ihre Wahrnehmung, ihre Lebensbedingungen und -gestaltung beeinlusst, kritische Fragen können gestellt und offen diskutiert werden: ›Wer spricht?
Wer wird repräsentiert? Wer lernt was von wem?‹ u.ä.m.
17
15 | Letzteres ist ein Zitat von
Kant, Immanuel aus »Was ist Aufklärung?« Berlinische Monatsschrift. Dezember-Heft 1784. S.
481-494.
16 | vgl. Holzkamp, Klaus, 1991,
Lehren als Lernbehinderung? In:
Forum Kritische Psychologie 27,
Hamburg.
Erfahrungen und Lebensinteressen der Lernsubjekte
Herrschaftskritische Didaktik orientiert sich an gesellschaftlich verursachten
Handlungszwängen, -behinderungen und -barrieren der Lernsubjekte. Entsprechend sollten die thematischen Schwerpunkte aus den Lebensrealitäten und Handlungsnotwendigkeiten der Lerngruppe/Lernsubjekte entwickelt werden. Das stellt
sicher, dass die gemeinsam erarbeiteten und formulierten Lerninteressen nah an
den Lebensinteressen der Teilnehmenden sind, an Lebens- und Alltagsthemen, die
jede*r Einzelne braucht, um ihr*sein Leben unter bestimmten (rassistischen, sexistischen etc.) Bedingungen handelnd zu bewältigen und zu gestalten.
18
Wenn diese Interessen einem als Lehrende nicht direkt möglich oder ersichtlich
erscheinen, gibt es die Möglichkeit, sich auf die zu Suche machen und weiterzudenken – zu lernen. Viele Zusammenhänge kennt und erkennt mensch nicht aus
der einzelnen Perspektive – wobei nicht die geläuige Vorstellungen von ›Gegenwartsbezug‹ und ›Schüler*innenorientierung‹ gemeint sind. Denn diese laufen
Gefahr, Lebensbezüge und -perspektiven auf unmittelbar nützliche und letztlich
an gesellschaftlichen und nicht subjektiven Normen orientierte Bedürfnisse und
Interessen zu beschränken.
Besonders bezüglich Diskriminierung sollte das Lernen an konkreten Erfahrungen der Lernsubjekte, an erlebten Handlungsproblemen und Erfahrungen ansetzen. So kann die Handlungsrelevanz des Gelernten gesichert werden und so
werden Erfahrungsaufarbeitungen und -transformationen ermöglicht. Das erworbene Wissen kann direkt in Alltagssituationen umgesetzt und erprobt, modiiziert, relektiert, kommuniziert und gegebenenfalls neu entworfen werden.
Gemeinsame Wege der Überwindung werden gesucht und konkrete Handlungsstrategien entwickelt, vielfältige Handlungsoptionen können diskutiert werden.
Schüler*innen werden Lernen als komplexe soziale Tätigkeit verstehen und Lernhandlungen als Lebensgestaltung begreifen.
Allerdings birgt die Erfahrungsorientierung auch die Gefahr von letztlich diskriminierenden Zuschreibungen: Es ist nicht hilfreich, »einfach« mal darüber zu
reden – zu fragen »erzähl doch mal, wie du diskriminiert wurdest«. Menschen
möchten nicht als »Opfer« deiniert/angesprochen werden. Um Diskriminierungserfahrungen aufarbeiten zu können, müssen erst sichere Rahmenbedingungen geschaffen werden – etwa beim Thema Wohnungsdiskriminierung im Sprachunterricht: ›Wie formuliere ich einen Brief an die Antidiskriminierungsstelle?‹
Auch in einem solchen Fall ist Vorsicht geboten, um bestimmten Teilnehmenden
nicht zuzuschreiben, dass gerade sie davon betroffen seien. Hier ist es besser, von
iktiven Fällen auszugehen. Allerdings stellt sich wiederum die Frage: Können bei
iktiven Fällen die Lerninteressen und Handlungsrelevanz für die Lernenden gesichert werden und wie könnte das ablaufen?
Partizipatives Lernen und Wissen
Die Subjektorientierung wird hier näher erläutert: es meint nicht nur, sich an den
Erfahrungen und Interessen der Lernenden zu orientieren. Lernende müssen als
Subjekte ernst genommen werden. Subjekte, die selbst bestimmen und gleichberechtigt partizipieren können. Sie erhalten die Wahlmöglichkeit, mithilfe welcher
Inhalte und Methoden sie lernen und welche Erfahrungen sie in welcher Lerngruppe teilen wollen. Die Wahlmöglichkeiten können sich sowohl auf konkrete Fragen,
Texte und Methoden als auch auf ein bestimmtes Thema beziehen. Zudem sollten
die Lernenden die Möglichkeit haben, innerhalb einer Methode aussuchen können, mit welcher Perspektive/Position sie sich näher beschäftigen wollen.
Zu Subjektorientierung und Partizipation gehört auch, die vielfältigen Wissensressourcen der Lernenden einzubinden und zu würdigen. Wir meinen nicht, »die
Schüler*innen da abzuholen, wo sie sind«, denn damit wird oft die Vorstellung
verbunden, die Schüler*innen brächten wenig Wissen und Kompetenzen mit –
die Relevanz von Wissen wird hierarchisiert. Vielmehr geht es darum, Wissen und
Interessen der Lernenden wirklich wahr und ernst zu nehmen. (Es auszuhalten,
dass ich als Lehrende etwas nicht verstehe, z.B. bestimmte Zusammenhänge und
Sichtweisen). So wird den Lernenden die Möglichkeit eröffnet, das reichhaltige,
aber oft vernachlässigte Wissen Schwarzer Expert*innen und Forscher*innen of
Color kennenzulernen und ihre Wissenshorizonte zu erweitern.
Doch Vorsicht vor Zuschreibungen! Einer Schwarzen Person darf etwa nicht unterstellt werden oder sie dazu aufgefordert werden, über »afrikanische Geschichte« zu erzählen – so als würde sie sich ja schließlich auskennen. Die Lernsubjekte
sollten für sich selber bestimmen können, wer sie sind, was sie wissen und wie sie
es mitteilen möchten. Die Orientierung an Lernsubjekten meint jedoch nicht, dass
ihnen Wissen vorenthalten wird, welches den Lehrkräften/den Autor*innen nicht
als unmittelbar handlungsrelevant erscheint: Wozu »brauchen« Lernende in der
Bundesrepublik etwa die Geschichte Südafrikas zu kennen? Herrschaftskritisches
Lernen hat das Ziel, die Horizonte des weißen Kanons um neue, alternative Perspektiven zu erweitern.
1.3. Methodenkritik
Warum & Wozu, Gründe und Ziele
Voraussetzung für den Aufbau und die Etablierung einer herrschaftskritischen Didaktik ist es, die Methoden, mit denen Wissen produziert und »vermittelt« wird,
mit denen in der Bildung kommuniziert wird, beständig zu hinterfragen und zu
relektieren. Denn auch die didaktischen Methoden können rassistisches Denken,
Handeln und Hierarchien re-/produzieren und dadurch Schüler*innen diskriminieren und ihr Lernen behindern. Die Methoden, die Welt zu erforschen und zu
beschreiben, sind verwoben in gesellschaftliche Machtordnungen und von diesen
geprägt – hierzulande u.a. dominiert von weißen und eurozentrischen Normen/
Normierungen. Das betrifft auch Fragen, Kategorien und Begriffe, mit denen die
Welt erfasst und mit denen die Ergebnisse systematisiert werden: Wer etwa über
wen forscht und wessen Perspektiven wahrgenommen werden – wie also von
wem Wissen produziert, dargestellt und vermittelt wird. Ein wirkungsmächtiges,
begrifliches Beispiel: Afrikanische Staaten werden aus einer europäischen Perspektive als »Entwicklungsländer« bezeichnet. Sie werden als Länder betrachtet, die sich zu etwas hin entwickeln müssten, wofür Europa das Vorbild und der
Maßstab sein soll. Diese Normen und Welterklärungen werden ständig durch
alltägliche Wissenskomplexe bestätigt – ob in Nachrichtensendungen, Filmen,
Schulbüchern oder Gesetzestexten. Dadurch erscheinen sie als selbstverständlich,
natürlich vorgegeben und unhinterfragbar.
19
Um nicht in die Falle der rassistischen Normalität zu tappen (- zumindest weniger), müssen die Methoden und Begriffe einer beständigen Relexion und Kritik
unterzogen werden. Das ist die Grundlage für die Möglichkeit einer alternativen, diskriminierungskritischen Didaktik und Methodik und damit einer Irritation von Rassismus. Die Eingebundenheit von Wissen(schaft) und Bildung in Ungleichheitsordnungen sollte offengelegt werden. Es ist grundlegend, zu erkennen,
dass es keine Wahrheit und Objektivität gibt, dass Wissenschaft und Bildung keine Wahrheiten entdecken/vermitteln, sondern dass die (bundesdeutsche) Bildung
geprägt und dominiert ist von weißen Wissensproduktionen und -deinitionen.
Diese Erkenntnis kann die herrschaftskritische Lehrfähigkeit von Lehrenden ermöglichen, den Schüler*innen dadurch einen Raum für selbstbestimmtes Lernen
zu geben. Das Machtungleichgewicht zwischen Lehrenden und Lernenden gilt es
dabei zu thematisieren.
Wie können die genannten Forderungen umgesetzt werden?
20
Es gibt nicht die »richtigen, guten« kritischen Methoden. Vielmehr kommt es auf
das Wie jeder Methode an, die konkreten Menschen und die Situation, in der sie
angewendet werden soll. Relexive und dialogische Methoden oder Methodenvielfalt sind sicherlich hilfreich, aber nicht gefeit vor diskriminierenden Auswirkungen.
Zunächst gilt es, sich bewusst zu halten, dass (fast) jede Methode konstruktiv und
diskriminierend sein kann. Kritische Relexion (und Veränderung) ist ein lebenslanger Lernprozess. Es bleibt ein Suchen, das eine gewisse Fehlerfreundlichkeit
voraussetzt, die nicht zum Freibrief für Diskriminierung werden darf. Es ist jedoch möglich, relexive Strukturen aufzubauen und einzuüben.
Die folgenden Fragen können Wissensproduzierende, Lehrende und Lernende unterstützen bei der eigenen Relexion, dem eigenen Lernen und ihrem Umgang mit
anderen Lernenden. Sie legen Normen und Selbstverständlichkeiten der Machtstrukturen offen. Diese Fragen können für jede Methode, jeden Arbeitsschritt und
jedes Gespräch oder Material herangezogen werden:
· Wer macht wem welche bildungsrelevanten Wissensangebote?
· Wer spricht? Wessen Perspektiven werden dargestellt bzw. gehört?
Wessen Perspektiven werden nicht repräsentiert?
· Wer darf entscheiden/mitbestimmen? Auf welchen Ebenen?
· Wie wird über wen geredet?
· Wer wird wie repräsentiert? z.B.: Sind Schwarze Menschen als
Wissensträger*innen sichtbar und ganz selbstverständlich, beiläuig ein Teil des Geschehens bzw. autonome Akteur*innen?
· Wer wird nicht repräsentiert?
· Welche Ziele hat wer für wen?
· Wo bewegt sich wer und mit wem?
· Wie offen darf gesprochen werden? (Wer darf sprechen?)
· Wer hat welchen (selbst gewählten) Raum?
· Welches/wessen Wissen wird als relevant erachtet bzw. wie viel
Raum wird welchem Wissen gegeben? Was fehlt?
· Was (und wer) wird als ›wissenschaftlich‹ und was als allgemeinbildender Wissenskanon angesehen, was (und wer) als unwissenschaftlich oder weniger wichtiges Spezialwissen abgewertet/ausgeschlossen?
· Welche Kategorien/ Begriffe, um die Welt zu erklären/einzuteilen,
werden wie benutzt?
· Welche unhinterfragten Normalitäten weist das angebotene Wissen auf? Was/wer wird als normal angesehen/dargestellt? Was/wer
als abweichend/anders?
Oder auch:
· Ermöglicht die Methode eine kritische Positionierung/einen kritisch-relexiven Blick/ einen Kompetenzerwerb von Lehrenden und
Lernenden?
21
Methodenkritik kann an jedem Gegenstand eingeübt werden – auch in den Naturwissenschaften (In der Biologie, aber z.B. auch in Mathe: Welche Sprache wird
oder wie wird Deutsch im Matheunterricht angewandt? Oder welche Normen
werden in Textaufgaben reproduziert?). Methodenkritik ist kein einmaliges Spezialthema, es ist ein langfristig auf- und einzubauendes, durchgängiges Unterrichtsthema.
Grundlegend für kritische Relexivität ist Transparenz bezüglich dessen, was, warum und wie gelernt werden soll. Mensch kann etwa offen thematisieren, dass
das Curriculum vorgegeben und begrenzt ist. Dass es nicht der Wahrheit letzter Schluss ist, lässt sich daran verdeutlichen, dass die Curricula anderer Länder
(auch schon Bundesländer) andere Schwerpunkte setzen. Mensch kann zumindest
darauf hinweisen, dass bestimmte Themen im Curriculum nicht vorgesehen sind
und dass für sie evtl. leider keine Zeit bleibt. Immer wieder sollten Diskussionsanlässe geschaffen werden. Denn jeder Inhalt, jede Methode oder jedes Material
lässt sich nutzen, um zu fragen und zu diskutieren, warum genau dieses Material etwa gelernt werden soll. Zum Beispiel: Warum benutzen wir die verzerrende
Mercator-Weltkarte und nicht die lächengetreue Peters-Projektion?
Um Transparenz und Kritik üben zu können, sollte Platz für Freiräume geschaffen werden, in denen bspw. ohne Notendruck für Schüler*innen und mit weniger
Autoritätsdruck der Lehrer*innen diskutiert werden kann. In solchen Freiräumen
können Lehrende »wirklich« eine Diskussion mit Lernenden treten und nicht nur
ihre Rezepte abarbeiten; Lehrer*innen können Fragen, die sie sich stellen, offen
mit den Schüler*innen besprechen. In solchen Freiräumen können auch Schüler*innen das Gefühl bekommen, frei reden zu können. Es gibt auch Raum für
problematische oder unangenehme Fragestellugen. Diese Transparenz und dieser Freiraum bringen sicherlich auch Konlikte mit sich, die einberechnet werden
müssen und mit denen umgegangen werden muss, die aber auch fruchtbar sein
und »echte« Lernprozesse anstoßen können. Offene Räume können Lehrer*innen nicht so gut kontrollieren. Eine offene, kritische Relexion könnte Schüler*innen irritieren, weil sie dem sonstigen Schulalltag und ihren Handlungsmöglichkeiten widersprechen. Offenheit bedeutet aber nicht Unstrukturiertheit – ganz im
Gegenteil. Die Gespräche und Auseinandersetzungsprozesse müssen klar strukturiert sein, um Sicherheit und Rückenstärkung zu geben.
Transparenz etwa bezüglich der Grenzen von Curricula ist immer möglich. Tiefergehende Methodenkritik kann dagegen meist nur exemplarisch angeregt und
eingeübt werden. Hierfür bieten sich bestimmte grundlegende Themen wie ›Menschenrechte‹ (und damit Kinderrechte, Rechte rassistisch diskriminierter Menschen, Frauenrechte...) an, an denen dies dann wiederum kontinuierlich immer
wieder zur Sprache gebracht wird. Zum Beispiel (vgl. die obigen Fragen): Wessen
Menschenrechtsgeschichten und -kämpfe werden erzählt und wessen nicht? Welche/ wessen Kämpfe werden als ›Menschenrechtsbewegungen‹ bezeichnet, welche
nicht? Oder wer wird als Widerstands- und Menschenrechtskämpfer*in angesehen, wer als Gewalttäter*in oder gar Terrorist*in? Wer will hier wem und was
über Menschenrechte/Werte beibringen? Wer will wen erziehen?
22
Exemplarisch lassen sich Curricula, die eher Rahmenpläne als detaillierte Lehrpläne sind, auch leichter freier/experimentierfreudiger auslegen. Ihre Themen lassen sich zum Ausgangspunkt nehmen, um sie mit Inhalten und Perspektiven zu
füllen, die nicht thematisiert werden. Zum Beispiel sollte, wer vom europäischen
Kolonialismus spricht, nicht von den vorkolonialen Zeiten und Gesellschaften in
Afrika schweigen; Schwarze Menschen nicht nur als Opfer von Rassismus und
Versklavung darstellen, sondern auch als Akteur*innen, als Gestalter*innen ihrer Gesellschaften, als Widerständige etc. So kann Methodenkritik vorstellbarer
werden, wenn ihr konkretes anderes Wissen, andere Perspektiven und Herangehensweisen gegenübergestellt werden.
24
Geschichte
Schwarzer Atlantik
Widerstand
Migration
Schwarze Perspektiven
»Afrika«-Bilder
Fallstricke
2. Inhalte
W
elche Themen sollten Schwerpunkte einer rassismuskritischen
Bildung zu Schwarzsein, Afrika und afrikanischer Diaspora
sein? Bei dieser Frage geht es nicht nur um Themen/Wissensfelder, sondern darum, mit welchen Inhalten diese vermittelt werden. Lehrende können bspw. ›Kolonialismus‹ thematisieren, aber diesen etwa
als positiv, als bloße territoriale Herrschaft, als vergangene Epoche ohne Auswirkungen auf die Gegenwart, ohne Rassismus darstellen. Antiversklavungsbewegungen werden zwar thematisiert, aber es kommen nur weiße Abolitionist*innen zu Wort und nicht der Widerstand und die Stimmen versklavter
Menschen selber.
Deshalb geht es hier nicht so sehr um das Wie der Darstellung (dazu vgl. 3. Umgang mit Sprache, Bildern und Quellen) sondern um ganz konkretes gegenhegemoniales Wissen: Nur wenn ich Informationen bspw. darüber habe, dass und wie
Schwarze Menschen selbstverständlich Widerstand geleistet haben und leisten,
kann ich die Kritik mit Leben füllen – kann ich alternative Perspektiven (Weltund Menschenbilder) und Denk- und Handlungsweisen möglicher machen – und
empowern.
Unter dem Punkt ›Inhalte‹ geht es also um die Frage: Welches Wissen (und aus
wessen Perspektive), welches theoretische und praktische »Gegen«-Wissen zur
weißen Wissenschaft und Bildung muss thematisiert werden? Welches Wissen
muss Eingang inden in Curricula und Materialien, um rassistischer Diskriminierung entgegenzuwirken?
Da dies hier nur angerissen werden kann, u.a. weil es letztlich bei jedem Einzelthema auf jedes unscheinbare Detail ankommen kann, sollten mittels der ›Ziele und
Gründe‹ und ›Fallstricke und Gefahren‹ zu jedem der Themen die Intentionen bewusst gemacht werden. Es handelt sich also um eine Auswahl als besonders relevant erachteter Themen mit exemplarischen Schneisen, Fragen, Kriterien zur
Vertiefung des Wissens. Unter ›Ziele und Gründe‹ werden hier eine ganze Reihe
von Dingen subsumiert: Sowohl Lern- und Wissensziele für die Lernenden/Rezipient*innen der Materialien, als auch und vor allem Intentionen für die Materialien/Materialmacher*innen selber.
25
Die hier vorgeschlagen sieben Themen sind keineswegs erschöpfend, sie sollten als
Beispiele und Anregungen dienen und können von Lehrenden und Autor*innen,
gern auch von Schüler*innen, erweitert werden (siehe 1.). Da alle Themen letztendlich untereinander verzahnt sind, haben wir mögliche (aber nicht ausschließliche!) Verbindungen unter ihnen aufgezeigt. Zu jedem Thema werden mögliche
Fächer angegeben und Literaturempfehlungen angeboten, die natürlich auch gern
erweitert werden können. Literatur und Materialien, die direkt im Unterricht eingesetzt werden können, sind mit Altersempfehlungen versehen. Literatur ohne Altersempfehlung ist in erster Linie für Lehrende und Autor*innen gedacht.
Es ist nicht möglich, eine Rangliste der Themen aufzustellen, das haben wir durch
die Anordnung im Kreis symbolisch zum Ausdruck gebracht (vgl. Abbildung). Jeder Inhalt ist demnach von gleichgroßer Bedeutung.
26
Afrika
in Geschichte
und Gegenwart
Rassismus und
Rassismuskritik
Schwarzer
Atlantik
und europäischer
Kolonialismus
Schwarze
Perspektiven in
ihrer Komplexität
Migration
»Afrika«-Bilder
Sprache
Inhaltliche Schwerpunkte zu Schwarzsein, Afrika und afrikanischer Diaspora
Themengebiet
Afrika in Geschichte und Gegenwart
Ziele und Gründe
1
2
3
Inhalte, die den afrikanischen Kontinent in globale geschichtliche Zusammenhänge einbinden, von der Antike bis zur Neuzeit;
Inhalte, die Vielfalt, Lokalität und Globalität sowie die Bedeutung der ältesten Zivilisationen der Menschheitsgeschichte thematisieren;
Inhalte, die den europäischen weißen Anspruch auf alleinige und führende
historisch-zivilisatorische Rolle dekonstruieren.
Hier geht es vor allem darum, eurozentristische Narrative zu widerlegen, indem auf die aus
dem westlichen Wissenskanon verbannte (afrozentrische) Wissensbestände zurückgegriffen
wird. Hierzu sollten verstärkt afrikanische und Schwarze Autor*innen und Quellen herangezogen werden. Das können sowohl Fachbücher und literarische Werke, als auch afrikanische und diasporische Medien, Blogs, Lieder usw. sein. Geschichte spielt hier eine zentrale Rolle, dennoch sollten diese Inhalte in allen Fächern kontinuierlich mitgedacht werden.
Quer-Verbindungen: D Schwarze Perspektiven in ihrer Komplexität; D Migration;
D Schwarzer Atlantik und europäischer Kolonialismus; D Sprache
Fallstricke und Gefahren: Da diese Inhalte alles andere als alltäglich sind, besteht die Ge-
fahr einer Exotisierung. Dem kann wenigstens teilweise dadurch entgegengewirkt werden,
dass sie kontinuierlich in allen Themen und Fächern eingebunden werden.
Fächer: Geschichte, Geographie, Englisch, Gesellschafts- und Naturwissenschaften, Deutsch,
Sprachunterricht, Kunst, Musik, Darstellendes Spiel
Literaturempfehlungen
Lost Kingdoms of Africa. Kingdoms of Africa Series
by Dr. Gus Casely-Hayford, 2012, Dokumentarilme,
Sprache Englisch, zu bestellen beim BBC Shop www.
bbcshop.com/documentary-dvds/lost-kingdoms-ofafrica-dvd/invt/av9870?source=112_69, ab Jg. 10.
van Dijk, Lutz, 2005, Die Geschichte Afrikas. Bonn:
Bundeszentrale für politische Bildung, ISBN 973-389331-579-6, ab Sek. I.
Diop, Cheikh Anta, 1974, The African Origin of Civilization, Myth or Reality. Paperback edition, Chicago: Lawrence Hill Books, ISBN 978-1-5565-2072-3, Sek. II.
Ehret, Christopher, 2002, The Civilisations of Africa,
A History to 1800. Charlottesville: University of Virgi-
nia Press, ISBN 978-0-8139-2085-6, Sek. II.
Manden Charta (auch Kurukan Fuga Charta), ausgerufen im frühen 13. Jahrhundert im Soudjata Königreich von Mali, deinierte ein halbes Jahrtausend von
den Franzosen die allgemeinen Menschenrechte:
Unversehrtheit allen menschlichen Lebens, Gleichberechtigung der Geschlechter, Stellenwert der Bildung, Allgemeines Recht auf Nahrung, Abschaffung
der Versklavung, Rede-, Bewegungs- und Handlungsfreiheit. Die Manden-Charter wurde nach oraler
Überlieferung transkribiert und 2009 in die Unesco-Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen, http://www.unesco.org/culture/
ich/RL/00290
27
Themengebiet
Schwarzer Atlantik und europäischer Kolonialismus
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Ziele und Gründe: Mit Schwarzer Atlantik soll das Phänomen gefasst werden, dass durch die
millionenfache Verschleppung und Versklavung von Kindern, Männern und Frauen aus Afrika in die Amerikas und nach Europa seit dem 16. Jahrhundert (Maafa) sowie durch die Kolonisierung Afrikas ein neuer transatlantischer ökonomischer, politischer und kultureller Raum
entstanden ist. Afrikaner*innen wurden systematisch ausgebeutet und haben so Europas Aufstieg erst möglich gemacht; gleichzeitig verbreiteten sich afrikanische Kulturen und Gesellschaftsorganisationen weltweit (Politik, Soziales, Sprache, Musik, Essen etc.). Es entstand ein
bis heute fortbestehendes Netz aus Diaspora-Identitäten und -Wissen (beruhend auf geteilten
Diskriminierungs- und Widerstandserfahrungen).
In diesem Themenschwerpunkt soll sowohl die Geschichte des Schwarzen Atlantiks und
europäischen Kolonialismus behandelt als auch deren Auswirkungen auf gegenwärtige (global-)gesellschaftliche Problemlagen beleuchtet werden. Sowohl das Ausmaß des Terrors, als
auch die Widerstandsgeschichte gegen Versklavung, Ausbeutung und Kolonialismus (siehe
5.1.3), sowie der Alltag jenseits von bzw. im Kontext von Terror sollten hier thematisiert
werden. Es soll erörtert werden, wie die Entwicklungen Europas bzw. der Amerikas in allen
gesellschaftlichen Bereichen mit der Ausbeutung afrikanischer Menschen und ihrer Nachkommen zusammen hängen.
Durch Fokus auf historische Kontinuitäten soll gezeigt werden, dass wir uns in einer
(post)kolonialen Gegenwart beinden und auch heute noch Versklavung und Ausbeutung
fortbestehen, auch heute Widerstand geleistet wird (bspw. Gelüchtetenproteste; Widerstand
gegen Racial Proiling in Deutschland; Reparationsforderungen). Die Weiterentwicklung
Schwarzer / Afrikanisch-Diasporischer / Afrikanischer Wissensproduktion sollte thematisiert werden.
Phänomene wie »Entwicklungszusammenarbeit« sollen vor diesem geschichtlichen Hintergrund kritisch diskutiert werden.
Quer-Verbindungen: D Schwarze Perspektiven in ihrer Komplexität;
D Migration; D Afrika in Geschichte und Gegenwart
Fallstricke und Gefahren: Es besteht die Gefahr, Europa noch einmal zum Zentrum der Welt
zu machen (Eurozentrismus), indem die Weltgeschichte auf europäischen Kolonialismus reduziert wird. Zudem ist darauf zu achten, dass Schwarze Menschen nicht lediglich als Opfer
erscheinen und deren Beitrag zur Weltgeschichte und Moderne nicht vernachlässigt wird.
Fächer: Geschichte, Politik-Gesellschaft-Wirtschaft, Englisch, Musik, Kunst, Darstellen-
des Spiel, Geographie, Deutsch (Schwarze deutsche Literatur), Sprachunterricht, Biologie
(»Entdeckung«, Klassiizierung und Hierarchisierung von Menschen, Tieren und Planzen)
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Literaturempfehlungen
Afrikanische Diaspora, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de/gesellschaft/migration/afrikanische-diaspora/, ab Jg. 9.
Lern- und Erinnerungsort Afrikanisches Viertel –
LEO (Hg.): Digitale Karte mit Texten und Tonaufnahmen zum Afrikanischen Viertel Berlin: www.3plusx.
de/leo-site/, ab Jg. 9.
Aikins, Joshua Kwesi, 2004, Die alltägliche Gegenwart der kolonialen Vergangenheit, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de/gesellschaft/migration/afrikanische-diaspora/59394/
gegenwart-kolonialer-vergangenheit?p=all, ab Jg.
10.
»Auf den Spuren des deutschen Kolonialismus in
Afrika. Koloniale Straßennamen und Denkmäler
in meiner Stadt«, Projekt, Bonn: Bundeszentrale
für Politische Bildung, 2012, In: »Geschichte in der
Migrationsgesellschaft«, S. 292-298, Sek. I+II.
Gilroy, Paul, 1993, The Black Atlantic: Modernity and
Double Consciousness. Cambridge: Harvard University Press.
Haus der Kulturen der Welt, Campt, Tina und Gilroy, Paul (Hg.), 2004, Der Black Atlantic, Berlin.
Linebaugh, Peter und Rediker, Marcus, 2008, Die
vielköpige Hydra: die verborgene Geschichte des
revolutionären Atlantiks. Berlin, Hamburg: Assoziation A.
Rodney, Walter, 1975, Afrika: Die Geschichte einer
Unterentwicklung. Berlin: Klaus Wagenbach.
Werkstatt der Kulturen und Africavenir (Hg.), 2008,
200 Years Later... Commemorating the 200 year anniversary of the Abolition of the Transatlantic Slave
Trade, Berlin.
Themengebiet
Schwarze Perspektiven in ihrer Komplexität
Ziele und Gründe: In diesem Themenschwerpunkt sollen historische und gegenwärtige
30
Schwarze Perspektiven in ihrer Komplexität dargestellt werden, um das einheitliche Afrikabild aufzubrechen. Das Ziel ist, Afrikaner*innen bzw. Schwarze bzw. Menschen afrikanischer Herkunft sowohl als Individuen als auch als Vertreter*innen gesellschaftlicher Bewegungen mit allen ihren Nuancen und Widersprüchen zu erkennen. Das kann umgesetzt
werden, indem auf Einzelbiographien von historischen oder gegenwärtigen Berühmtheiten
(bspw. Königin Nzinga, Zumbi dos Palmares, Anton Wilhelm Amo, Maya Angelou oder
Mumia Abu-Jamal) oder auch »gewöhnlichen« Menschen (bspw. Theodor Wonja Michael1,
Martin Dibobe2, oder Sprachlehrer am Institut für Orientalische Sprachen Nasur il Omeiri3
und Muhammed Husen) zurückgegriffen wird. Eine Umsetzung dieses Moduls kann aber
auch über die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Bewegungen erfolgen (bspw. Maji
Maji Befreiungskrieg, Panafrikanische Kongresse, Anti-Eviction Campaign in Südafrika,
Nollywood, etc.).
1 | Michael, Theodor Wonja, 2013, Deutsch sein und schwarz dazu: Erinnerungen eines Afro-Deutschen.
München: Deutscher Taschenbuch Verlag, ab Jg. 7.
2 | Mehr zu Martin Dibobe bei der Bundeszentrale für Politische Bildung, Afrikanische Diaspora, Zuwanderung 1884-1945, http://www.bpb.de/gesellschaft/migration/afrikanische-diaspora/59383/zuwanderung-1884-1945
3 | Scheich Amur bin Nasur bin Amur Homeiri, 1894, Alles was ich in Berlin gesehen habe, übersetzt aus
dem Suaheli, Berlin.
Quer-Verbindungen: D Afrika-Bilder; D Schwarzer Atlantik;
D Afrika in Geschichte und Gegenwart
Fallstricke und Gefahren: Bei diesem Thema ist es wichtig, eine Art Alltäglichkeit herzu-
stellen, um Schwarze Persönlichkeiten und Bewegungen nicht zu exotisieren und als Ausnahmen zu behandeln. Dabei kann und soll nicht darüber hinweggetäuscht werden, dass
es in der gegenwärtigen weißen Dominanzkultur (noch) keine Alltäglichkeit ist.
Fächer: Deutsch, Geschichte, Politik-Gesellschaft-Wirtschaft, Englisch, Französisch,
Spanisch, Philosophie, Religion/Ethik, Musik, Kunst, Darstellendes Spiel, Geographie,
Sprachunterricht.
Literaturempfehlungen
Chebu, Anna, 2014, Anleitung zum Schwarzsein.
Münster: Unrast Verlag, ab Jg. 8
Massaquoi, Hans Jürgen, 2001, »Neger, Neger,
Schornsteinfeger!« Meine Kindheit in Deutschland,
Knaur Verlag, ab Jg. 8.
Ayim, May, 1997, Grenzenlos und unverschämt, Berlin: Fischer, Orlanda Verlag, ab Jg. 9.
Atta, Sefi, 2012, Yahoo Yahoo, Roman. In: Sei Atta,
Hagel auf Zamfara, Wuppertal: Peter Hammer Verlag, ab Jg. 9.
Homestory Deutschland, www.homestory-deutschland.de/publikationen.html, Sek. I (siehe 5.2.5)
PÄZ (Hg.), 2015, Schwarzes Europa, Legenden die
uns verborgen blieben - Schwarze Jugendliche auf
den Spuren ihrer Geschichte. Ein Jugendbuch, edition assemblage, ab Sek. I.
www.schwarzrotgold.tv, 9 Porträts von erfolgreichen Schwarzen Deutschen, ab Sek. I
Hügel-Marshall, Ika, 2012, Daheim unterwegs. Ein
Deutsches Leben, Berlin: Unrast Verlag, Sek. II.
Edugyan, Esi, 2011, Half-Blood Blues, New York: Picador, Sek. II.
Khabo Köpsell, Philipp, 2010, Die Akte James
Knopf, Afrodeutsche Wort- und Streitkunst, Münster:
Unrast Verlag, Sek. II.
Esuoroso, Asoka und Khabo Köpsell, Philipp, 2014,
Arriving in the future, stories of home and exile. Online: Epubli. Afrodeutsche Poesie auf Englisch, Sek II.
Equiano, Olauda, 1789, The Interesting Narrative of
the Life of Olaudah Equiano, or Gustavus Vassa, the
African. Written by Himself, http://abolition.nypl.org/
content/docs/text/life_of_equiano.pdf oder www.
brycchancarey.com/equiano/.
Eggers, Maureen Maisha, 2006, Dossier Schwarze
Community in Deutschland, Heinrich-Böll-Stifung,
http://heimatkunde.boell.de/dossier-schwarze-community-deutschland
Piesche, Peggy, 2006, Schwarz und deutsch? Eine
ostdeutsche Jugend vor 1989 - Retrospektive auf
ein ›nichtexistentes‹ Thema in der DDR. In: Eggers, Maureen Maisha, Dossier Schwarze Com-
munity in Deutschland, http://heimatkunde.boell.
de/2006/05/01/schwarz-und-deutsch-eine-ostdeutsche-jugend-vor-1989-retrospektive-auf-ein
Hall, Stuart, 1997, Wann war der Postkolonialismus?
Denken an der Grenze. In: Bronfen, E., Marius, B.,
Steffen, T. (Hg.), Hybride Kulturen. Beiträge zur anglo-amerikanischen Multikulutralismusdebatte. Tübingen: Stauffenburg, S. 219-246.
Theater
»Amo. Eine dramatische Spurensuche« nach Fragmenten der Lebensgeschichte des ersten Schwarzen
Hochschulprofessors in Deutschland im 18. Jahrhundert. kitunga.projekte. DVD zu bestellen bei Richard
Nawezi, nawezi(at)kitunga.de, ab Jg. 8.
Hussein, Ebrahim, 1969, Kinjeketile. Nairobi: Oxford
University Press.
Filme
Ouaga Saga, Dani Kouyaté, 2005, Burkina Faso, 86
min. Eine spielerisch erzählte Geschichte aus Ouagadougou, die bei Schulklassen sehr gut ankommt,
Franz./deut. Untertitel, ab 10 Jahre.
TGV, Moussa Toure, 1997, Senegal, 88 min. Einer der
Klassiker des senegalesischen Kinos, Wolof/ deut.
Untertitel, ab 12 Jahre
Moi et mon blanc, Pierre Yaméogo, 2004, Burkina
Faso, 90 min. Ein Burkiner Student in Paris wird, mangels neuem Visum gezwungen, in einer Garage einen Nachtjob anzunehmen, Franz./deut. Untertitel,
ab 12 Jahre.
Lumumba, Raoul Peck, 2000, Haiti/Fr/Belg/De. 112
min. Lebensgeschichte von Patrice Lumumba, der als
erster frei gewählter Regierungschef nach der Unabhängigkeit sein Amt antrat und umgebracht wurde,
Franz./deut. Untertitel, ab 14 Jahre.
Bamako, Abderrahmane Sissako, 2006, Mali/Frankreich/USA, 115 min. Die afrikanische Zivilgesellschaft
macht dem Internationalen Währungsfonds und der
Weltbank den Prozess, Bambara+Franz./ deut. Untertitel, ab 16 Jahre.
Zu Bestellen bei www.trigon-ilm.org/de/schule/Afrika
31
Themengebiet
Sprache
32
Ziele und Gründe: Sprache ist vielfältig. Sie kann sein: Verletzungs- und Machtpotential. Sie
schafft Realitäten, sie schafft Transformation. Sprache ist zentral, weil sie Rassismus herstellen und verfestigen kann. Es kann ein Wissensangebot für rassistisch konnotierte Wörter
und Namen in ihrem historischen Kontext gegeben werden. Es wird Raum eröffnet für Schüler*innen, selbst über Ihre Sprache(n) in der Gegenwart ins Gespräch zu kommen.
Bei diesem Themengebiet werden folgende Ziele verfolgt: Kenntnis darüber schaffen,
dass Sprache Macht ist und Macht schafft. Schüler*innen dafür sensibilisieren, dass Sprache
benennt und entnennt, oft verkennt, verwischt, unkenntlich macht, schmäht… sogar tötet.
Ziel ist es Wege zur transformierenden Kraft von Sprache zu eröffnen, durch die Schüler*innen ermutigt werden, respektvoll miteinander und mit sich selbst im Kontext von Sprache
umzugehen und sich selbst zu positionieren.
In diesem Kontext sollen auch Sprach-Hegemonien der ehemaligen Kolonialsprachen
und Widerstände z.B. in Form von Kreolsprachen, thematisiert werden (siehe 5.1.1).
Quer-Verbindungen: D Afrikabilder; D Rassismus und Rassismuskritik; D Migration;
D Schwarze Perspektiven in ihrer Komplexität; D Schwarzer Atlantik und europäischer
Kolonialismus
Fallstricke und Gefahren: Problematisch in diesem Kontext ist ein dogmatischer Umgang mit
Sprache, verbunden mit der Illusion, durch die Zensur bestimmter Begriffe Rassismus auflösen zu können. Es ist notwendig, zu bedenken, dass Begriffe nicht bloß durch ihren Entstehungskontext aufgeladen sind, sondern auch durch Sprecher*innen aufgeladen werden.
Bestimmte Begriffe sind schmerzhaft und demütigend, weil sie historisch in bestimmten
Kontexten benutzt wurden. Gleichzeitig wurden sie aber auch angeeignet und transformiert.
Sie können also beides sein, demütigend und empowerned, Fremd- oder Selbstbezeichnung.
Dieses Spannungsfeld sollte mitbedacht werden.
33
Fächer: Deutsch, Sprachunterricht, Geschichte, Religion/Ethik, Politik-Gesellschaft-Wirtschaft
Literaturempfehlungen
Hoffnung im Herz, 1997, Dokumentarilm von Maria
Binder über das Leben der Poetin, Aktivistin und Pädagogin May Ayim (1960 - 1996), ab Jg. 9.
Ayim, May, Gedichte, ab Jg. 9.
· 1996, Blues in Schwarz-Weiß, 3. Aulage, Berlin: Orlanda Frauen Verlag.
· 1997, Nachtgesang, Berlin: Orlanda Frauen Verlag.
Afrikanische Diaspora, 2009, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de/gesellschaft/
migration/afrikanische-diaspora/, ab Jg. 9.
Sow, Noah, 2008, Deutschland Schwarz Weiß. Der
Alltägliche Rassismus. München: C. Bertelsmann, ab
Jg. 10.
Khabo Köpsell, Philipp, 2010, Die Akte James
Knopf, Afrodeutsche Wort- und Streitkunst, Münster:
Unrast, Sek. II.
Hip Hop (Niggaz with Attitude)
Nachschlagewerke
Nduka-Agwu, Adibeli und Hornscheidt, Antje Lann
(Hg.), 2010, Rassismus auf gut Deutsch, Ein kritisches
Nachschlagewerk zu rassistischen Sprachhandlungen, Frankfurt/M.: Brandes & Apsel.
Ofuatey-Alazard, Nadja und Arndt, Susan (Hg.),
2011, Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)Erben
des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk, Münster: Unrast.
AntiDiskriminierungsBüro (ADB) Köln/Öffentlichkeit gegen Gewalt e.V. (Hg.), 2013, Leitfaden für einen rassismuskritischen Sprachgebrauch. Handreichung für Journalist*innen, www.oegg.de/index.
php?de_ab-2008
Themengebiet
»Afrika«-Bilder
Ziele und Gründe: Benennung und Dekonstruktion kolonial-rassistischer Afrika-Bilder von
34
Lernenden und Lehrenden. Thematisierung und Kritik von Afrikabildern in Schulbüchern
und Medien, auch Anhand von aktuellen Kontexten: z.B. im Zusammenhang mit Racial Proiling, Flucht- und Migrationsdiskursen, Spenden- oder Produktwerbung.
Afrika-Bilder, die uns durch Medien und Schulbücher vermittelt werden, basieren häuig
auf afro-pessimistischen bzw. afro-romantistischen (exotisierenden) Konstrukten, die von
kolonial-rassistischen Vorstellungen geprägt sind. »Afrika«, als Gegenbild zum weißen Europa konstruiert, beinhaltet stets eine Hierarchisierung, diese Bilder basieren auf kolonialen
Fantasien und haben ihren Ursprung in den Aufzeichnungen europäischer Erobernder. Es
lohnt sich, sich mit diesen Quellen zu beschäftigen, um sich die Absurdität dieser Aufzeichnungen vor Augen zu führen: z.B. berichtete der Londoner Kaufmann John Lok über seine
Reise nach West Afrika 1561, dass er dort koplosen Menschen begegnet sei, die ihre Augen
und Mund in der Brust hätten (zitiert nach Adichie, 2009).
Afrika-Bilder können unter folgenden Gesichtspunkten analysiert werden:
· In welchen (historischen, politischen, wirtschaftlichen) Zusammenhängen
sind diese Vorstellungen entstanden?
· Welche Botschaften werden hier transportiert?
· Welche Mittel werden eingesetzt (Dichotomisierung, Simpliizierung, Reduzierung, Dämonisierung, Exotisierung etc.)
· Welche Europakonstrukte werden als Gegenentwurf durch diese Afrikakonstrukte impliziert?
Es soll relexiv darüber geforscht werden, wie sehr diese Bilder von jedem Einzelnen verinnerlicht wurden und welche Konsequenzen das hat, z.B.:
· für die Kontinuität kolonialer Diskurse in der deutschen Außen- und Entwicklungspolitik;
· für die Sprachkonstrukte, die für Afrika-Bilder verwendet werden;
· für eine deizitäre Darstellung und Wahrnehmung von Migration;
· für die Rechtfertigung globaler Ungleichheiten;
· für die Behandlung von Schwarzen Menschen / Menschen afrikanischer Herkunft in Deutschland und weltweit.
Quer-Verbindungen: D Sprache; D Rassismus und Rassismuskritik; D Migration;
D Schwarzer Atlantik und europäischer Kolonialismus
Fallstricke und Gefahren: Beim Dekonstruieren rassistischer Bilder besteht stets die Ge-
fahr, rassistische Bilder zu reproduzieren: An Stelle der dekonstruierten Afrika-Bilder
werden Alternativen geschaffen, die wiederum Rassismus reproduzieren könnten.
Gefährlich ist auch ein Bestreben, »negative« Bilder gegen »positive« auszutauschen: Dabei wird oft ahistorisch, simpliizierend und wertend vorgegangen. Auch Schwarze Schüler*innen können subtil rassistische Afrika-Bilder verinnerlicht haben.
Fächer: Geschichte, Geographie, Englisch, Sozialwissenschaften, Religion/Ethik, Deutsch,
Sprachunterricht, Kunst, Musik, Naturwissenschaften
Literaturempfehlungen
Adichie, Chimamanda Ngozi, 2009, The danger
of a single story, TED talk, English/deut. Untertitel,
20 min., mit Text: http://radicalprofeminist.blogspot.de/2009/11/danger-of-single-story-chimamanda-ngozi.html/, ab Jg. 9.
glokal e.V., 2013, »Mit kolonialen Grüßen … Berichte und Erzählungen von Auslandsaufenthalten
rassismuskritisch betrachtet«. Rassismuskritische
Broschüre zum Thema Reisen im Nord-Süd-Kontext.
www.glokal.org/publikationen/mit-kolonialen-gruessen (2,50 EUR Schutzgebühr bzw. 5 EUR Spende;
kostenloser Download), ab Jg. 10.
White Charity, Philipp, Carolin und Kiesel, Timo,
2011, Dokumentarilm. Eine Analyse von Spendenplakaten deutscher entwicklungspolitischer Organisationen aus einer rassismuskritischen, postkolonialen Perspektive, www.whitecharity.de, https://www.
youtube.com/watch?v=X6zEfudKS1A, Sek. II.
lichkeit. Wie ein Kontinent genormt, verformt und
verdunkelt wird. In: analyse & kritik – Zeitschrift für
linke Debatte und Praxis, 37/520, S. 9
Aßner, Manuel; Breidbach, Jessica; Mohammed,
Abdel Amine; Schommer, David und Voss, Katja
(Hg.), 2012, Afrikabilder im Wandel? Quellen, Kontinuitäten, Wirkungen und Brüche, Peter Lang.
Poenicke, Anke und Konrad-Adenauer-Stiftung
(Hg.), 2003, Afrika realistisch darstellen. Diskussionen und Alternativen zur gängigen Praxis – Schwerpunkt Schulbücher, Zukunftsforum Politik, Nr. 55,
Sankt Augustin, www.kas.de/wf/de/33.2019
Marmer, Elina, 2013, Rassismus in deutschen Schulbüchern am Beispiel von Afrikabilden. Zeitschrift für
internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik, S. 25-31, www.waxmann.com/index.php?id=zeitschriftendetails&no_cache=1&eID=down-
hooks, bell, 1994, Black Looks, Popkultur – Medien –
Rassismus, Berlin: Orlanda Frauenverlag.
load&id_artikel=ART101308&uid=frei
Arndt, Susan (Hg.), 2006, AfrikaBilder. Studien zu
Rassismus in Deutschland. Münster: Unrast.
Teaching in contemporary German Textbooks: From
Nduka-Agwu, Adibeli und Bendix, Daniel, 2007, Die
weiße Darstellung ›Afrikas‹ in der deutschen Öffent-
day & Today, 10, www.scielo.org.za/pdf/yt/n10/04.
Marmer, Elina und Sow, Papa, 2013, African History
biased knowledge to duty of remembrance, Yesterpdf
35
Themengebiet
Migration
Ziele und Gründe: Migration sollte als ein vielseitiges und vielschichtiges Phänomen verstan-
36
den werden, dabei sollten Migrant*innen als selbstbestimmende Akteure betrachtet werden.
Deizitäre und problematisierende Betrachtung von Migration sollte dadurch dekonstruiert werden, dass Migration als ein fundamentaler Bestandteil der Menschheitsgeschichte
begriffen wird. Das Thema Wanderung/Migration sollte von daher in alle historische Kontexte miteingebunden werden, angefangen mit Afrika als Ursprung der Menschheit.
In afrikanischen Zusammenhängen sollten Migrationsbewegungen und das Selbstverständnis einer uneingeschränkten Bewegungsfreiheit ein empowerndes Migrationsverständnis aufzeigen. Anhand von persönlichen Migrationsgeschichte(n) kann die Vielfalt der Motive besonders gut aufgezeigt werden, um »Not« als einziges legitimes Migrationsmotiv zu
dekonstruieren.
Heimkehrbewegungen nach Afrika sollten anhand von persönlichen Biographien aber
auch als Bewegung thematisiert werden. Dabei soll erkannt werden, dass Migration nicht
zwingend notwenig nur in eine Richtung verläuft.
Die Vorstellung von starren Grenzen und Nationalstaaten kann Anhand von Biographien transnationaler Schwarzer Familien aufgebrochen werden, als Beispiele für Hybridität
und grenzenübergreifende Lebensformen.
Im Zusammenhang mit den aktuellen Migrationsdiskursen sollten politisch besetzte Begriflichkeiten, die gewaltvolle Verhältnisse schaffen, analysiert und dekonstruiert werden.
Für welche Gruppen werden Begriffe wie Migrant*in, Ausländer*in, Flüchtling, Reisende*r,
Expatriate, Auslandsaufenthalt oder Auswandernde verwendet und was implizieren diese
Begriffe über die Herkunft, Motive, Status und wirtschaftlichen »Nutzbarkeit« der so Bezeichneten?
Konzepte von Nationen, Grenzen und Grenzüberschreitungen sollen im Zusammenhang
mit der gegenwärtigen EU-Migrationspolitik auf rassistische Inhalte analysiert werden.
Migration als Auswirkung von Kolonialismus und Rassismus:
Bei aller Normalität darf nicht vergessen werden, dass heutige Süd-Nord-Migrationsbewegungen unmittelbar mit Kolonialismus und Rassismus zusammenhängen. In diesem
Kontext sollten Refugee Widerstandsbewegungen und ihre Forderungen thematisiert werden (»We are here because you destroyed our countries«).
So werden Auswirkungen von Kolonialismus und globaler Ungleichheit auf Migrationsbewegungen und einzelne Migrationsschicksale sichtbar gemacht.
Quer-Verbindungen: D Sprache; D Rassismuskritik; D Afrikabilder;
D Schwarzer Atlantik; D Afrika in Geschichte und Gegenwart
Fallstricke und Gefahren: Während es einerseits darum geht, Migration als eine histori-
sche Normalität darzustellen, müssen andererseits rassistische Verhältnisse, die Migration verursachen, und rassistische Umstände, die das Leben von Migrant*innen oft bestimmen, thematisiert werden. Dabei läuft man stets Gefahr, Migrant*innen als Opfer
zu inszenieren.
Fächer: Geschichte, Geographie, Englisch, Sozialwissenschaften, Deutsch (z.B. Exillitera-
tur), Sprachunterricht, Kunst, Musik, Religion/Ethik, Deutsch, Sprachunterricht, Kunst,
Musik, Naturwissenschaften
Literaturempfehlungen
Anne Frank Zentrum (Hg.), 2007, Mehrheit, Macht,
Geschichte. 7 Biograien zwischen Verfolgung, Diskriminierung und Selbstbehauptung. Interkulturelles
Geschichtslernen: Interviews, Übungen, Projektideen; Mühlheim an der Ruhr (Materialien u.a. zu Rudolf
Duala Manga Bell, Kwassi Bruce, deutschem Kolonialismus, Kamerun/Duala und Schwarzen Deutschen),
ab Jg. 9.
www.withwingsandroots.com, ab Jg. 9.
with WINGS and ROOTS
Dokumentarilm-, Internet- und Bildungsinitiative zu
Migration, Zugehörigkeit und Rassismus in Deutschland (Berlin) und U.S.A (New York). Eine interaktive
Seite zum Thema Migration wird im Frühjahr 2015 gelaunched. Der Fokus wird vor allem auf den Einbezug
von Ereignissen und Geschichten gelegt, die in der
deutschen Geschichtsschreibung oft unterrepräsentiert sind. Dazu gehört der deutsche Kolonialismus, die
Geschichte Schwarzer Deutscher, die Geschichte von
Sinti und Roma, die Erfahrungen von Migrant*innen in
der DDR und Formen des Aktivismus und Widerstandpraktiken. info@withwingsandroots.com,
Afrikanische Zuwanderung nach Deutschland zwischen 1884 und 1945. Bundeszentrale für politische
Bildung. www.bpb.de/themen/YD336B,0,0,Afrikanische_Zuwanderung_nach_Deutschland_zwischen_1884_und_1945.html.
Adichie, Chimamanda Ngozi, 2014, Americanah,
Roman, Fischer-Verlag, Sek. II.
Oury Jalloh, Kurzilm. Simon Paetau, Martin Backhaus
(Movimiento Cinemachete), Ludwigsburg, 2009. 30
min. http://simonpaetau.blogspot.de/p/oury-jalloh.
html, Sek. II.
Oguntoye, Katharina, Eine afro-detusche Geschichte: Zur Lebessituation von Afrikanern und Afro-Deutschen in Deutschland von 1884 bis 1950.
Bechhaus-Gerst, Marianne und Klein-Arendt, Reinhard (Hg.), 2003, Die (koloniale) Begegnung. AfrikanerInnen in Deutschland 1880-1945, Deutsche in Afrika 1880-1918, Frankfurt/M.: Lang.
37
Themengebiet
Rassismus und Rassismuskritik
Ziele und Gründe: Bei diesem Themengebiet soll ein Verständnis für Rassismus als komple-
38
xes, historisch gewachsenes, global und gesamtgesellschaftlich wirksames Herrschaftssystem vermittelt werden.
Rassismus soll als Denkweise und Praxis verständlich werden, durch welche Menschen
auf der Basis von physischen und kulturellen Merkmalen bzw. ihrer Herkunft/Nationalität in
Gruppen eingeteilt werden, wobei diese Gruppen als intellektuell, moralisch und sozial verschieden konstruiert und hierarchisiert werden. Rassismus ist ein Machtverhältnis, das Weißsein und Westlichsein bevorteilt und Schwarzsein/»Nicht-Weißsein« und »Nicht-Westlichsein« benachteiligt. Wichtig ist, vermeintlich objektiv wahrnehmbare Unterschiede (bspw.
Hautfarbe oder kulturelle Zugehörigkeit) als erlerntes rassistisches Wissen zu erkennen.
Geschichtlich ist Rassismus eng mit europäischen Kolonialismus und ›Aufklärung‹ verwoben. In diesem Zusammenhang kann beispielsweise thematisiert werden, wie im 18.-19.
Jahrhundert – u.a. von Kant, Hegel und Gobineau – Theorien entwickelt wurden, welche die
Menschheit in unterschiedliche, vermeintlich biologische »Rassen« einteilten. Weiße setzten
sich dabei an die Spitze der menschlichen ›Entwicklung‹ und rechtfertigten so Ausbeutung,
Unterdrückung und Versklavung von Nicht-Europäer*innen. Hier ist wichtig herauszustellen, dass vermeintlich objektive Wissenschaft nicht interessenlos ist, sondern mit Machtverhältnissen zu tun hat (Frage: Wer schafft welches Wissen über wen und zu welchem Zweck?).
Gegenwärtige Kontinuitäten können bspw. thematisiert werden, indem der Zusammenhang von rassistischer Einteilung von Menschen und deutscher (bspw. in Bezug auf Bereiche
wie Landwirtschaft, Bauwesen, Plege- und Hausarbeit) wie internationaler (Textilarbeiter*innen, Minenarbeiter*innen etc.) Arbeitsteilung herausgearbeitet wird.
Es sollte auf die Tendenz eingegangen werden, dass auch heute noch Weiße bzw. Westler*innen aus ihrer vermeintlichen Höherwertigkeit das Recht und die Plicht ableiten, Menschen of Color und Gesellschaften des Globalen Südens mit Gewalt zu ›zivilisieren‹, auf den
vermeintlich rechten Weg zu führen und zu ›entwickeln‹.
Lehrende und Lernende sollten ermutigt werden, sich bewusst zu machen, wie ihre alltäglichen und als normal empfundenen Denkstrukturen von Rassismus geprägt sind, um sie
dadurch aufzubrechen.
In der Beschäftigung mit der Geschichte und Gegenwart von Rassismus sollte immer
auch der Fokus auf Widerstand gegen rassistische Diskriminierung und Ausbeutung weltweit und in Deutschland gelegt werden, beispielsweise indem auf antikoloniale Widerstandsbewegungen oder die Geschichte der afrodeutschen Bewegung - von Anton Wilhelm Amo bis
zur Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) - eingegangen wird.
Quer-Verbindungen: D Alle Themengebiete
Fächer: Alle Fächer, Projekttage, Klassenstunden
Fallstricke und Gefahren
1
2
3
Über »Rasse« als Konstrukt sprechen, um Rassismus zu dekonstruieren und dabei
Gefahr laufen, durch das Sprechen über Rassismus diesen zu manifestieren;
Schwarze Lernende und Lehrende bzw. Lernende und Lehrende of Color durch das
Aufwerfen des Themas zu Lernobjekten von Weißen werden zu lassen;
Rassismus als reine Denkweise thematisieren und bspw. »nur« auf Bilder im
Kopf fokussieren und dabei aus dem Blick verlieren, wie sich Rassismus in
ökonomischer und kultureller Ausbeutung ausdrückt.
Literaturempfehlungen
Oguntoye, Katharina; Ayim, May und Schultz, Dagmar
(Hg.), 2007, Farbe Bekennen: Afro-Deutsche Frauen Auf
Den Spuren Ihrer Geschichte, Berlin: Orlanda Frauenverlag, ab Jg. 9.
Eggers, Maureen Maisha; Kilomba, Grada; Piesche, Peggy
und Arndt, Susan (Hg.), 2005, Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland. Münster:
Unrast.
Shit white Germans say to Black Germans, Satirischer Kurzilm, www.youtube.com/watch?v=vmPAWkz83qY, ab Jg. 9.
Kilomba, Grada, 2004, ›Wo kommst du her?‹ Das Spektakel
des Schwarzen Körpers. In: Golly, Nadine; Cohrs, Stephan
(Hg.): De/Platziert. Interventionen postkolonialer Kritik. Berlin: wissenschaftlicher Verlag, S. 148-152.
Sow, Noah, 2008, Deutschland Schwarz Weiß. Der Alltägliche Rassismus. München: C. Bertelsmann, ab Jg. 10.
Adichie, Chimamanda Ngozi, 2009, The danger of a single story, TED talk, English/deut. Untertitel, 20 min., mit
Text: http://radicalprofeminist.blogspot.de/2009/11/danger-of-single-story-chimamanda-ngozi.html, ab Jg. 10.
Della, Nancy, 2014, Das Wort, das Bauchschmerzen macht,
edition assemblage, Grundschule.
Hoffmann, Mary, 1999, Erstaunliche Grace, Alibaba,
Grundschule.
White Charity, Film, 48 min, Sprache Deutsch,
Rassismuskritische Betrachtung von Spendeplakaten, www.whitecharity.de, Sek. II.
Von Trommlern und Helfern, Beiträge zu einer nicht-rassistischen entwicklungspolitischen Bildungs- und Projektarbeit, zu Bestellen http://ber-ev.de/unterseiten/trommler-und-helfer-1/trommler-und-helfer, Sek. II.
Develop-Mental Turn. Neue Beiträge zu einer rassismuskritischen entwicklungspolitischen Bildungs- und Projektarbeit, Broschüre herausgegeben vom Berliner Entwicklungspolitischer Ratschlag, Sek. II.
Wer andern eine Brunnen gräbt... Rassismuskritik//Empowerment//Globaler Kontext, Broschüre von jungen Menschen
für junge Menschen, herausgegeben vom Berliner Entwicklungspolitischer Ratschlag, http://ber-ev.de/bestellungen/
broschuere-wer-andern-eine-brunnen-graebt, Sek. II.
Kilomba, Grada, 2008, Plantation Memories. Episodes of
Everyday Racism. Münster: Unrast.
Ofuatey-Alazard, Nadja und Arndt, Susan (Hg.), 2011, Wie
Rassismus Aus Wörtern Spricht: (K)Erben Des Kolonialismus Im Wissensarchiv Deutsche Sprache – Ein Kritisches
Nachschlagewerk. Münster: Unrast.
Wilson, Kalpana, 2012, Race, Racism and Development.
London: Zed Books.
Ritz, ManuEla, 2009, Die Farbe meiner Haut, München: Herder.
Essed, Philomena, 1990, Everyday Racism, Newbury Park/
London/ New Delhi: Sage publication.
El-Tayeb, Fatima, 2011, European Others. Queering Ethnicity in Postnational Europe. University of Minnesota Press.
Hall, Stuart, 1994, Der Westen und der Rest: Diskurs und
Macht; in: ders.: Ausgewählte Schriften 2: Rassismus und
kulturelle Identität, Hamburg.
Wollrad, Eske, 2005, Weißsein Im Widerspruch. Feministische Perspektiven Auf Rassismus, Kultur Und Religion. Königstein/Taunus: Ulrike Helmer.
Gutiérrez Rodríguez, Encarnación und Steyerl, Hito (Hg.),
2003, Spricht Die Subalterne Deutsch? Migration Und Postkoloniale Kritik. Münster: Unrast.
Melber, Henning, 2001, Der Weißheit Letzter Schluß. Rassismus Und Kolonialer Blick. Frankfurt/Main: Brandes & Apsel.
Pokos, Hugues Blaise Feret Muanza, 2011, Schwarzsein
im ›Deutschsein‹? Zu Vorstellungen vom Monovolk in der
Schule und deren Auswirkungen auf die Schul- und Lebenserfahrungen von deutschen Jugendlichen mit schwarzer Hautfarbe. Handlungsorientierte Relexionen zur interkulturellen Öffnung von Schule und zu rassismuskritischer
Schulentwicklung; Lit Berlin
Marmer, Elina und Sow, Papa (Hg.), 2015, Wie Rassismus
aus Schulbüchern spricht. Kritische Auseinandersetzung
mit »Afrika«-Bildern und Schwarz-Weiß-Konstruktionen in
der Schule - Ursachen, Auswirkungen und Handlungsansätze für die pädagogische Praxis. Beltz-Juventa.
39
40
Denkkonstrukte
Rollenvorbilder
Oralität
Kulturalisierung
Sichtbarmachung
Dekonstruktion
3. Umgang mit Bildern,
Quellen und Sprache
»Oppressive language does more than represent violence; it is violence;
does more than represent the limits of knowledge; it limits knowledge.«
(Toni Morrison, Nobelvorlesung, 1993)17
W
issen ist ein Grundpfeiler für die Aufrechterhaltung hierarchischer Systeme. Macht, also wechselseitige Einlussnahme, ist in
einem rassistischen System asymmetrisch verteilt und stellt Normalität her, die Rassismus immer wieder reproduziert und legitimiert. Diese Normalitäten werden im Rahmen dieses Leitfadens kritisch betrachtet. Auch Sprache kann als Teil dieses Wissenskomplexes nicht als neutral
oder objektiv betrachtet werden, sondern bringt Bedeutungsangebote und –ketten hervor und hat immer einen symbolischen und einen politischen Charakter.
Die politische Agenda der Sprache zeigt sich, wenn sie einzelne Wertvorstellungen oder Ideologien in unterschwelliger und manipulierender Weise nahelegt oder
diese durchsetzen soll, z. B. in der Werbung, in Kinderbüchern, Schulbüchern und
anderen Medien. Im Sinne einer inklusiven und diskriminierungsfreien Bildung
müssen diese Mechanismen im Umgang mit Bildern, Quellen und Sprache mitgedacht werden.
Im Laufe dieses Leitfadens ist von weißem Wissen die Rede. Dieses bestimmte Set
an Informationen ist eine Legitimationsgrundlage, die dem Zwecke dient Rassismus aufrecht zu erhalten. Es reproduziert Rassismus tagtäglich, auch heute,
über kollektivsymbolische Sprache, Bilder und die Auswahl von Quellen. Dies
geschieht, indem Vergleiche und Verbindungen zu bereits Bekanntem hergestellt
werden. Durch diese Intertextualität entstehen auf rassistischen Ideologien basierte Wissensvorräte, die mit kleinsten Hinweisen abgerufen werden können. Solange diese rassistischen Implikationen nicht sichtbar gemacht werden, werden
Bedeutungsinhalte und Denkkonstrukte (oftmals unterschwellig) transportiert,
die u. a. Kolonialität (wieder)herstellen.
Nicht nur das Bezeichnen und Benennen von Dingen, sondern auch das Auslassen und Nichtbenennen sind aktive Prozesse, die dem Machterhalt dienen. Dieser
Leitfaden ist ein Beitrag zu einem kritischen Ansatz, um institutionell legitimierte
Quellen, Bilder und Texte überprüfen zu können und eben auch die Leerstellen,
die sich hier verbergen, zu hinterfragen. Es bedarf der kritischen Relexion von
41
17 | Toni Morrison, 1994, Lecture
and Speech of Acceptance, Upon
the Award of the Nobel Prise for
Literature. New York: Knopf.
Fragen, wie: Wer spricht? Zu welchem Zweck? Aus welcher Position? Auf wessen
Kosten? Mit welchen Privilegien? Es reicht also nicht, Begriffe, Bilder und Quellen einfach nur zu ersetzen und damit gewaltvolle koloniale Geschichte zu entnennen und zu entinnern.
Die Arbeit mit Text- oder Bildmaterial ist mit vielen Fallstricken verbunden, die
sich in einem andauernden Aushandlungsprozess bewegen und mal mehr, mal
weniger klar zu beschreiben sind. Auch dieser Leitfaden bewegt sich im Rahmen
dieser Fallstricke, deshalb sind die folgenden Fragen als Anregungen zu verstehen
und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern möchten zu einer kritischen Relexion von Sprache, Bildern und Quellen einladen, das bereits vorhandene Wissen mit Mut zu verlernen. Ausführlichere Hilfestellungen zum Thema
sind in den unten stehenden Quellen zu inden.
42
Grundsätzliches
Die bisherigen Darstellung von Schwarzen Menschen in vielen didaktischen (außer)schulischen Materialien ist einseitig, mit negativen Assoziationen verbunden
und deizitorientiert. Dieser Darstellung widerspricht einer inklusiven Pädagogik.
Eine jede Darstellung sollte nach folgenden Kriterien überprüft werden:
· Existiert eine Darstellung von Schwarzen Menschen in Afrika und
der Diaspora als Rollenvorbilder (im Sinne eines Empowermentansatzes)?
· Werden Menschen afrikanischer Herkunft als handelnde Subjekte
dargestellt: Vermeidung von Objektiizierungen Schwarzer Menschen aus weißer ethnozentrischer Perspektive durch Kulturalisierungen, Ethniizierungen, Exotisierungen und Sexualisierungen;
· Wird eine Fremdmarkierung in Form von Exotisierungen des afrikanischen Kontinents vermieden?
· Wird auf Quellen von Schwarzen Autor*innen Bezug genommen,
um die Selbst-Repräsentation sicherzustellen?
Bilder
Schutz der
Persönlichkeitsrechte
Wird die Menschenwürde durch das Recht am eigenen Bild geachtet?
Wahrung des Rechts auf das eigene Bild gerade in Bezug auf die häuig
kolonialrassistischen Darstellungen von Schwarzen Menschen aus weißer
Perspektive.
Multi-Perspektivität
bzw. Pluralität bei
der Abbildung
Sichtbarmachung einer gesellschaftlichen Realität, in der Schwarze Menschen in allen Rollen vertreten sind, z.B.: in allen Berufen, in Sprecher*innenrollen, als kognitiv Handelnde etc.
Thematisierung
von Machtverhältnissen
Thematisierung von Machtpositionen anhand der Art und Weise, wie Bilder
eingesetzt werden: Werden abwertende und hierarchisierende Botschaften
in Bezug auf Bilder mit und von Schwarzen Menschen vermieden?
Kontextualisierung
von rassistischen
Bildern in vorhandenen Lehrmaterialien
Kommentierungen von problematischen (rassistisch konnotierten) Bildern aus Medien und Lehrfächern: Bei der Auswahl der Bilder spielt neben der Absicht des*der Autors*in das Vorwissen der Betrachter*innen
und der rassistisch-historische Kontext eine Rolle; Wer spricht? Werden
Stereotype bedient?
Sprache
Dekonstruktion von kolonialen Sprachkonstrukten und Symbolen, Thematisierung von Sprache als Trägerin von (rassiizierten) Konzepten:
Auseinandersetzung mit kolonialen
Konstrukten
· Sprache auf Rassismus überprüft?
· Verwendung von Selbstbezeichnungen;
· die rassistische Bedeutung und ihre kolonialhistorische Relevanz
von Begriffen, Fremdbezeichnungen bzw. -konstruktionen erkennen.
Oralität aufwerten
Oralität als Wissensträgerin thematisieren, Einsatz von Familiengeschichte und -genealogien im Geschichtsunterricht (biographisches Lernen, siehe 5.2.5), geschriebene und orale Quellen als gleichwertig darstellen und
einsetzen.
Sprachhegemonien
aufbrechen
Überwindung sprachlicher Hegemonie, d.h. die Gleichrangigkeit afrikanisch autochthoner sowie im Kontext der Kolonialisierung neu entstandener Sprachen aus dem afrikanischen und afro-diasporischen Sprachraum
gegenüber europäischen Sprachen. Dazu gehört auch die gleichwertige Behandlung von Dialekten und Kreolsprachen (z.B. Patwa, Pidgin, Papiamento, siehe 5.1.1) im Fremdsprachenunterricht; die Sprachvielfalt und Mehrsprachigkeit in Bildungskontexten wertschätzen.
43
Sprache
Schwarze
Repräsentation
Werden afrikanische bzw. diasporische Schwarze Sichtweisen, Stimmen
und Quellen verwendet oder präsentiert: Beiträge und bildliche Repräsentanz Schwarzer Protagonist*innen beispielsweise als Autor*innen, Filmemacher*innen, Historiker*innen, Politiker*innen, Wissenschaftler*innen,
Schauspieler*nnen und weitere Persönlichkeiten.
Herkunft der Bilder
hinterfragen
Verwendung von stereotypenfreien Bildern und Quellen aus Afrika und
der Diaspora in allgemeinen Themenkomplexen: z.B. Skyscraper aus Johannesburg oder Lagos zum Thema Urbanität, Verbot von Plastiktüten in
Ruanda zum Thema Umweltschutz etc.
Schwarze
Wissensarchive
Werden ausschließlich weiße Quellen als »Allgemeinwissen« im Schulunterricht verhandelt? Gibt es Schwarze Autor*innen, deren Gedichte,
Theorien und Texte ebenfalls oder ersetzend fachübergreifend eingebracht
werden können?
44
Didaktische Beispiele
Perspektivenwechsel durch den Einsatz von ausgewählten Medien
Perspektivenwechsel durch eine bewusste Verwendung der Sprache
Filme, Publikationen und Online-Plattformen, die eine »andere« bzw. erweiterte Sichtweise ermöglichen. Beispiele sind das Medienportal »der
braune mob e.V.«, die Cartoonserie »The Boondocks« etc. oder Satire
als Stilmittel mithilfe von Stand Up Comedy (z. B. Edutainment Attacke,
Die Akte James Knopf, Noah Sow) , rassismuskritische Karikaturen von
Schwarzen Karikaturist*innen wie dem Tansanier David Kyungu etc.
D Sklaverei <> Versklavung
D transatlantischer Sklavenhandel <> transatlantisches Geschäft mit Menschen
In dem wir z.B. von Versklavung anstatt von Sklaverei sprechen, wird deutlich, dass Menschen andere versklavt haben und ihre gewaltvolle Handlung wird somit stärker in den Fokus gerückt.
D kriegerischer Aufstand <> anti-kolonialer Widerstand
Es geht bei Begriffen oft auch um die Anerkennung derer, die weniger
Macht hatten. Wird in Geschichtsbüchern von einem kriegerischen Aufstand berichtet, wird nicht besonders deutlich wogegen er sich richtete.
Sprechen wir stattdessen von anti-kolonialem Widerstand, wird das sehr
wohl deutlich, und die Menschen, die sich mit ihrem Leben für ihre Freiheit
einsetzen, erhalten so mehr Anerkennung für ihre Taten.
Weiterführende Literatur
Ofuatey-Alazard, Nadja und Arndt, Susan (Hg.), 2011, Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk,
Münster: Unrast.
AntiDiskriminierungsBüro (ADB) Köln/Öffentlichkeit gegenGewalt e.V. (Hg.), 2013, Leitfaden für einen rassismuskritischen
Sprachgebrauch. Handreichung für Journalist*innen, www.
oegg.de/index.php?de_ab-2008.
Nduka-Agwu, Adibeli und Hornscheidt, Antje, 2010, Rassismus
auf gut Deutsch. Ein kritisches Nachschlagewerk zu rassistischen Sprachhandlungen, Frankfurt/M.: Brandes & Apsel.
Della, Nancy J., 2014, Das Wort das Bauchschmerzen macht,
Edition Assemblage: Münster, (Kinderbuch über rassistische
Sprache, Vor- und Selbstlesebuch ab 6 Jahren).
Arndt, Susan und Hornscheidt, Antje (Hg.), 2004/2009, Afrika
und die deutsche Sprache: ein kritisches Nachschlagewerk,
Münster: Unrast.
Hobuß, Steffi, 2008, Weiße Bilder in der Werbung. Zur Stabilisierung und Destabilisierung von Whiteness als unsichtbare Norm. In: Wischermann et al. (Hg.), 2008, Medien, Diversität, Ungleichheit. Zur medialen Konstruktion sozialer Differenz,
Wiesbaden: VS.
BER (Hg.), 2013, Develop-mental Turn. Neue Beiträge zu einer
rassismuskritischen entwicklungspolitischen Bildungs- und Projektarbeit.
Onlinequelle: Der Braune Mob.eV. Medienwatchblog und Anregung für alternativen Sprach/-Bildgebrauch
www.derbraunemob.info.
45
46
Lehrende
Lernende
Rassismuserfahrungen
Positionierung
Zugänglichkeit
Weiterbildung
4. Zielgruppen
D
idaktisches Material hat mehrere Zielgruppen. Es richtet sich an Pädagog*innen und Rezipient*innen von Bildungsarbeit sowie an Bezugspersonen der Lernenden, wie z.B. Eltern. Primär soll didaktisches Material Lehrende bei ihrer Bildungsarbeit und Lernende beim
Lernen unterstützen. Rassismuskritischem Unterrichtsmaterial kommt im Besonderen die Aufgabe zu, Pädagog*innen zu helfen, die eigene Arbeit rassismuskritisch auszurichten. Lernende soll es zu rassismuskritischen Lernprozessen anregen. Aus dem Bildungsauftrag der Schule ergibt sich die Notwendigkeit, jedes
schulische Bildungsmaterial rassismuskritisch auszurichten, um Rassismus nicht
zu reproduzieren. Deshalb sollte rassismuskritisches Material nicht neben anderem bestehen - Rassismuskritik sollte der Erstellung aller Materialien zugrunde
liegen.
Bei der Erstellung rassismuskritischer Lehr- und Lernmaterialien sind die speziischen Bedürfnisse der Zielgruppen Lehrende und Lernende zu berücksichtigen.
Dies schließt insbesondere Bedürfnisse ein, die sich von den sozialen Positionierungen der Personen ableiten: als durch Rassismus ausgegrenzt oder durch Rassismus privilegiert. In diesem Abschnitt wird deshalb sowohl zwischen den verschiedenen schulischen Akteur*innen – Lehrende und Lernende – unterschieden
als auch zwischen den sozialen Positionen Schwarz und weiß.
In der rassismuskritischen Bildungsarbeit sind die Rollen Lehrende und Lernende
allerdings nicht fest vergeben. Lehrende bleiben immer auch Lernende und Schüler*innen wirken lehrend, indem sie im Unterricht Wissensbestände mitverhandeln. Seitens der Pädagog*innen setzt eine rassismuskritische Bildungsarbeit die
Bereitschaft voraus, das Wissen der Schüler*innen mit Rassismuserfahrung anzuerkennen und in Lernsituationen einzubeziehen. Darüber hinaus verlangt rassismuskritische Bildungsarbeit von Pädagog*innen die Bereitschaft, sich in einen
ständigen Lern- und Relexionsprozess zu begeben (siehe Abschnitt 1).
Daraus ergeben sich folgende Hinweise zur Berücksichtigung der Zielgruppen bei
der Erstellung rassismuskritischer Materialien.
47
4.1. Pädagog*innen
Informationen zum Thema Rassismus
»Gute Absichten« reichen nicht aus, um eine rassismuskritische Bildungsarbeit
im eigenen Unterricht sicherzustellen. Um dieser Verantwortung gerecht zu werden, braucht es seitens der Pädagog*innen ein Wissen um bestehende rassistische
Strukturen und um die Wirkweise dieser Strukturen. Insbesondere Mehrheitsangehörige ohne Rassismuserfahrungen verfügen in der Regel nicht über ein solches
Wissen. Sie sehen sich nicht gezwungen, sich mit Rassismus bewusst auseinanderzusetzen zu müssen. Rassismuskritische didaktische Materialien berücksichtigen diese Wissenslücken und stellen Lehrenden Hintergrundwissen zum Thema
Rassismus bereit. So können sie z.B. theoretische Inputs enthalten oder Hinweise
auf andere Materialien, etwa in Form von Literaturlisten. Diese Informationen
ermöglichen Lehrkräften, ein Theorieverständnis zum Thema Rassismus zu entwickeln, auf dem die eigene Bildungsarbeit aufbauen kann.
48
Empowerment für Lehrkräfte
Rassistische Diskriminierung hört nicht vor Lehrer*innenzimmern auf. Lehrkräfte mit Rassismuserfahrung sind auch in der Schule auf vielen Ebenen von rassistischer Ausgrenzung betroffen. Rassismuskritische Materialien nehmen diese Diskriminierung in den Blick, indem sie Informationen zu Fortbildungen und
Empowerment-Workshops bereitstellen, die sich gegen diese Ausgrenzung wenden und für Lehrende mit Rassismuserfahrung konzipiert sind. Im Sinne von Empowerment bestärken sie Schwarze Lehrpersonen darin, das ihnen zur Verfügung
stehende Wissen zum Thema Rassismus in die eigene Bildungsarbeit einzubringen. Die Materialien berücksichtigen dabei, dass sich dieses Wissen auf alle Thematiken der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit beziehen lässt.
Critical Whiteness
In der rassismuskritischen Bildungsarbeit gilt es für Pädagog*innen, im Unterrichtsgeschehen stets die persönliche Eingebundenheit in rassistische Strukturen
mitzudenken. Ihre Positionierung beeinlusst das Unterrichtsgeschehen wesentlich. Sie wirkt sich – ob gewollt oder nicht – auf die Interaktion mit den Lernenden aus sowie auf die eigene Rezeption von Bildungsmaterialien und den Umgang
mit diesen. Dieses Mitdenken der eigenen Positionierung und des Einlusses, den
Rassismus auf die eigene Wahrnehmung, das Denken und Handeln hat, ist vor
allem für weiße Lehrkräfte eine Herausforderung. Denn weiße Menschen sind in
der Regel nicht gezwungen, sich mit ihrer weißen Positionierung und der Art und
Weise, wie Rassismus sie betrifft, auseinandersetzen. Für rassismuskritische Bildungsarbeit ist diese Relexion jedoch die notwendige Voraussetzung.
Didaktisches Material kann gezielt Hilfestellung bieten: Rassismuskritische Materialien berücksichtigen die unterschiedlichen Positionierungen der Lehrenden.
Sie thematisieren diese explizit in Lehrer*innenhandreichungen, wenn sie z.B.
weiße Lehrpersonen zur Relexion des eigenen weiß-Seins und der damit verbundenen Privilegien anregen. Sie fordern weiße Lehrende auf, die eigene Praxis auf
diese Privilegien hin zu hinterfragen. Die Relexion des eigenen weiß-Seins und
der daran geknüpften Privilegien setzt seitens weißer Lehrpersonen die Bereitschaft voraus, sich produktiv verunsichern zu lassen. Rassismuskritisches didaktisches Material kann weiße Lehrende beim Lernprozess unterstützen, Unsicherheit
auszuhalten, ohne sich als handlungsunfähig zu begreifen. Es zeigt Handlungsmöglichkeiten auf und thematisiert offen Schwierigkeiten, Grenzen und (unbeabsichtigte) Fallstricke der weißen rassismuskritischen Bildungsarbeit.
Hinweise zu Fort- und Weiterbildung
Die Materialien sollten Lehrkräfte darin unterstützen, sich weitere Kenntnisse
zum Thema rassismuskritische Bildungsarbeit anzueignen. Sie sollten Hinweise
dazu enthalten, wo und wie diese sich zum Thema rassismuskritische Bildungsarbeit weiterbilden können (Literatur und andere Medien, links zu Fortbildungen,
Organisationen etc.).
4.2 Lernende
49
Zugänglichkeit
Die Materialien sollten so aufbereitet sein, dass sie Schüler*innen leicht zugänglich sind – sowohl inhaltlich als auch physisch. Wegen des gegenwärtigen Mangels an differenzierten rassismuskritischen Materialien kann es sinnvoll sein, diese Materialien für einen möglichst großen Personenkreis (in Bezug auf Alter,
Bildungsstand etc.) zu erstellen. Hierfür bieten sich mehrere Varianten, Bausteine
sowie andere Methoden an. Nach Möglichkeit sollten die Materialien im Internet
als Open Access veröffentlicht werden und hier wiederum einfach aufindbar sein.
Empowerment
Rassismuskritische Materialien sollen Schwarze Lernende empowern und weiterführende Informationen zu Empowermentangeboten enthalten. Empowerment innerhalb schulischer und außerschulischer rassismuskritischer Materialien
macht den Einbezug Schwarzer Perspektivien und Lebensrealitäten und Schwarze
Rassismuskritik notwendig. Auf diese Weise können positive Bezüge zu den Lebensrealitäten Schwarzer Lernender geschaffen und Ungleichbehandlungen aus
der Perspektive rassistisch diskriminierter Personen thematisiert werden.
Critical Whiteness
Rassismuskritische Materialien sollten weißen Lernenden Räume zur Relexion
des eigenen weiß-Sein und den damit verbundenen Privilegien bieten. Die Alltäglichkeit rassistischer Diskriminierungen aus Perspektive rassistisch diskriminierter Personen sollte thematisiert werden, um Raum für Relexion des eigenen alltäglichen Denkens und Handelns zu schaffen. Zudem kann rassismuskritisches
Material etwa durch den strukturellen Einbezug Schwarzer Perspektiven und
Schwarzer Rassismuskritik alternative Wissensbestände zugänglich machen und
damit weiße Lernende in ihren Lern- und Relexionsprozessen unterstützen.
50
Praxis
Anregungen
Ideen
Perspektiven
Projekte
Initiativen
5. Anhang: Sammlung
von empfohlenen Lehrund Lernkonzepten und
Initiativen zur rassismuskritischer Bildung
A
ls praktische Anleitung stellt der folgende Anhang eine Sammlung von
Konzepten vor, die einen Beitrag zu rassismuskritischer Bildung und zu
gegenhegemonialen Afrikabildern leisten. Die Beiträge kommen aus den
Reihen der Personen und Institutionen, die an dem vorliegenden Leitfaden mitgearbeitet haben. Die Autor*innen sind Schwarz und weißpositionierte Pädagogen*innen, politisch Aktive, Historiker*innen, Berater*innen, Lehrende und Forschende, die sich aus ihrer fachlichen und persönlichen Perspektive eingangs genannter
Themen angenommen und diese für den schulischen Kontext fruchtbar gemacht haben. Die Konzepte reichen von bereits schulisch erprobten und vollständigen Unterrichtseinheiten (inkl. Material und Methodenkoffer) bis zur Darstellung von außerschulischen Projekten, die als Anregung für Schulprojektwochen etc. dienen können.
51
Einige Konzepte tragen zu einem diversitätsbewussten und gegenhegemonialen Afrikabild bei. Diese Konzepte sind teilweise von Schwarzen Autor*innen
erdacht worden oder heben Schwarze Persönlichkeiten im Kontext von (europäischer) Geschichtsschreibung explizit hervor. Die Heterogenität Schwarzer
Positionierungen, Empowerment und die Sichtbarmachung marginalisierter Sprecher*innenpositionen innerhalb dieser Konzepte sind ein Gegenbeitrag zu einem
weißen mehrheitsgesellschaftlich geführten Antirassismusdiskurs im Schulkontext. Andere Konzepte wiederum bewegen sich entlang rassismuskritischer Positionierungen, die rassistische Ideologien in ihrer Entstehung und Fortführung im
Bildungskontext thematisieren, Relexionsräume für die Kritik an weißen Wissensbeständen anregen und bisher ent-nanntes Wissen in den Fokus rücken.
Für jedes Konzept gilt es, die Fallstricke stets mitzudenken, in denen sich Beiträge
für eine rassismuskritische Haltung im Kontext von Bildung zum Thema Afrikadarstellung stets bewegen. Denn
»[...] auch im Kontext von rassismuskritischer Bildung bzw. Antidiskriminierungsarbeit, im Spannungsfeld zwischen Anerkennung
von Differenz und Aufhebung von Ungleichbehandlung, ist die Hervorhebung und somit Festschreibung von Differenz ein Dilemma:
Um die ausgrenzenden Folgen von Gesetzen und Praxen sichtbar zu
machen und die daraus zu ziehenden Konsequenzen zu begründen,
muss ich benennen und sichtbar machen, um wen es geht.«18
18 | Kalpaka, Anita, 2009, Institutionelle Diskriminierung im Blick.
Von der Notwendigkeit Ausblendungen und Verstrickungen in
rassismuskritischer Bildungsarbeit
zu thematisieren. In: Scharathow,
Wiebke und Leiprecht, Rudolf
(Hg.) Rassismuskritik, Band 2: Rassismuskritische Bildungsarbeit.
Schwalbach: Wochenschau, S. 29.
Es bleibt eine andauernde Herausforderung in diesem Rahmen Differenzmarkierungen, VerAnderungen, Kulturalisierung und Ethnisierung nicht zu reproduzieren,
19 | ebd., S. 28.
»[d]enn die Trennung in innen und außen, in ›wir‹ und ›sie‹, ist institutionalisiert in Gesetzen, in der Organisation der Gesellschaft und
in ihren Einrichtungen und zieht sich wie ein roter Faden durch alle
Ebenen unseres Handelns und Bewusstseins. Sie indet ihren Niederschlag auch in der Zuordnung von Menschen zu Zielgruppen und
Maßnahmen und ist in politischen Debatten ständig präsent. Kein
Wunder also, dass jede und jeder von uns sich immer wieder bei dieser Art dichotomischen Denkens ertappt – es ist eben »normal«19
Eine kritische Position bedeutet auch eine ständige Selbstkritik und –relexion.
In diesem Sinne möchten wir dazu einladen, die Konzepte als Anregungen und
Ideensammlung zu verstehen, die weiterentwickelt, kritisiert und probiert werden
können und sicherlich keinen Zehn-Punkte-Plan für einen Schulunterricht ohne
Rassismus darstellen. Vielmehr sind sie Anleitungen, um die »Normalitäten« weißer Wissensbestände zu prüfen, ihre Strukturen verstehen zu lernen und kritische
Gegenentwürfe (weiter)zu entwickeln.
5.1. Materialien und Konzepte zur rassismuskritischer Bildung
1. Die Bedeutung von kreolischen Sprachen
Unterrichtsmaterialien von Anna van Hoorn
»N
o woman no cry« - wer kennt diesen Song
von Bob Marley nicht? »Das ist ein falsches Englisch und nicht logisch«, lautete
der Kommentar meiner Lehrer*innen auf einem bilingualen Gymnasium zu diesem Refrain. Von diesen Erfahrungen ausgehend, möchte ich Lehrende und Lerndende für die Vielfalt der Sprachen sensibilisieren. Der
Schwerpunkt liegt auf den beiden Sprachen, mit denen
die Schüler*innen als erstes in Kontakt treten: Englisch
und Französisch. Deshalb schlage ich vor das Thema
Sprachvielfalt ab der 7. Klasse zu behandeln. Meine Beobachtungen in Frankreich dienen als eine weitere Motivation: Ausschlaggebend war die Bemerkung junger
Franzosen, die erstaunt fragten, woher ich komme – ich
würde ja gar nicht wie ein »blédard«1 sprechen. Blédard
ist eine Bezeichnung für Menschen in Frankreich mit
Herkunftsland in Afrika, insbesondere in Maghreb2.
Diese Menschen zeigen hinsichtlich der Sprachlautebene ein anderes Sprechverhalten als in Frankreich geborene Personen, die sog. Standardfranzösisch sprechen.
Das Gleiche gilt für das Englische, welches synonym zu
blédard als broken english bezeichnet wurde und heute noch gebraucht wird. Im Klassenzimmer sprachen
die Englischlehrer*innen, von einem »guten« Englisch
– aus England und Amerika, und einem »schlechten«
Englisch – aus Afrika und der Karibik. Es ist erschreckend, dass die rassistische Ideologie aus dem 20. Jahrhundert, in der das Französisch der Afrikaner*innen als
»petit nègre«3 oder Pidgin Französisch bezeichnet wurde, heute noch Bestand hat, und nun durch einen neuen
Begriff wie »blédard« ersetzt wurde. Damit wird suggeriert, dass die Afrikaner*innen auf der sprachlichen
Ebene »unterentwickelt« sind. Doch jedes Mal wenn
einer meiner Lehrer*innen von »schlechtem« Englisch
1 | Blédard, arde: Soldat français qui servait dans le bled, en
Afrique du Nord (le PETIT ROBERT, 2010, S. 264). ›ein französischer Soldat, der in Bled, Nordafrika gedient hat‹. Heutzutage
wird das in der Umgangssprache oft als pejorativer Terminus
für Immigrant*innen benutzt.
sprach, irrte er*sie sich, denn das broken english war
meist eine Kreolsprache.
Wie unschwer zu erkennen ist, verbirgt sich das Wort
»Sprache« in Kreolsprache, was bedeutet, dass sie eigenständig und eine Wertung unmöglich ist. Es ist den
meisten Lehrenden nicht bekannt, dass diese Sprachen überhaupt existieren. Diese jungen Sprachen
bestehen ca. seit dem 17 Jh. als Folgen des Kolonialverbrechens, sie beinhalten einige englische od. französische Elemente. Das bedeutet aber nicht, dass die
Kreolsprachen »schlecht« oder »gut« sein können.
Das Kreolische ist eine unabhängige Ausdrucksform
und heute Muttersprache von Menschen in Afrika und
der afrikanischen Diaspora. Sie spiegeln ein wesentliches Identitätsmerkmal wieder: die Befreiung von
Unterdrückung, Kontrolle und struktureller Gewalt.
Eine Methode den Schüler*innen diese Kreolsprachen
näher zu bringen, wäre durch die Musik bekannter
Künstler*innen. Ein Musikstück in einer Kreolsprache könnte von den Schüler*innen analysiert werden, indem etwa die Unterschiede zur dominierenden Sprache herausarbeitet werden. Danach sollte es
einen Input darüber geben, wie diese Sprachen entstanden sind. Ziel ist es, den Schüler*innen deutlich
zu machen, dass Kreolisch ein Ausdruck kultureller
Identität ist und folglich eine außerordentliche Rolle
spielt. Das Kreolisch ist für viele Musiker*innen, die
es nutzen, die einzig legitime Sprache. Sie ist ein Symbol des Kampfes gegen die Assimilation an den jeweiligen europäischen Ländern. Die Texte handeln oft von
der Repräsentation und Verteidigung der kreolischen
Sprachen und darum, dass die Kolonialsprachen stets
als eine aufgezwungene Sprache empfunden werden.
3 | »petit nègre« In der Literatur französischer Kolonialautor*innen wird den Schwarzen und den anderen als ´Beweis´ für ihre
intellektuelle Minderwertigkeit ein verballhorntes und rudimentäres Französisch – ein petit nègre- in den Mund gelegt. Es gibt
den Weißen Anlass, sich über dieses `Kauderwelsch´ lustig zu
machen (Erfurt 2005, S. 102).
2 | Eine Region in Nordafrika, welches die Länder Mauretanien,
Algerien, Tunesien, Marokko und Libyen beinhaltet
Quellenverzeichnis
Erfurt, Jürgen, 2005, Frankophonie: Sprache-Diskurs-Politik, Tübingen: a. Franke UTB.
Le nouveau PETIT ROBERT, 2010, Dictionnaire alphabétique
analogique de la langue française, Le Rrobert.
Anna van Hoorn, annavanhoorn@gmx.de, ist Masterstudentin
der Romanischen Linguistik an der Universität Hamburg, Produktionsassistentin bei Africa Fashion Day Berlin (ein Netzwerk
für Designer mit afrikanischer Herkunft). Seit 2011 wirkt sie als
Betreuerin bei der Koordinierungsstelle gegen Frauenhandel.
53
2. Verbindungen zwischen Kindern –
aus der Sicht von zwei Kindern in Kamerun und Senegal
Unterrichtsmaterialien von Florence Tsagué
54
W
ir leben in einem Zeitalter der Vernetzung, in einer »Facebook-Generation«
von Jugendlichen, die über gesellschaftliche und ökonomische Barrieren hinaus Kontakte mit
Gleichaltrigen in der ganzen Welt plegen. Wie gut
sind deutsche Kinder über das Leben von Kindern
aus Ländern des afrikanischen Kontinents informiert? Wenn man die Schüler*nnen in Deutschland
über das Leben von Gleichaltrigen in afrikanischen
Ländern befragt, fällt ihnen entweder nichts ein oder
sie können sich nur stereotypisierte, gewaltvolle Bilder von Kindern vorstellen, die nicht auf ihrer Augenhöhe stehen.
Diese stereotypen Bilder sind mit der alltäglichen medialen Reproduktion von Afrika verbunden: Afrika
wird als ein Ort vermittelt, wo Gewalt Normalität
sei. Geschichten von Kindern mit all den alltäglichen
menschlichen Problemen und Träumen – die Kinder
überall in der Welt haben – werden nicht erzählt und
wenn überhaupt, dann stark exotisiert.
Ich gehe davon aus, dass Kinder in der Lage sind, die
Welt zum großen Teil vorurteilfrei wahrzunehmen.
Das ist eine Basis, die leider im Laufe der Jahre durch
herrschende Stereotype, Deutungsmuster der Familie, der Gesellschaft, der Politik und der Medien beeinträchtigt wird. Hier hat die Schule als ein wichtiger Ort der Sozialisation eine bedeutende Rolle: Das
Afrikabild drückt sich in Form von stereotypen Bildern und Rassismen über Schüler*innen afrikanischer Herkunft im »eigenen« Umfeld bzw. Klassenzimmer aus.
Wie betrachten deutsche Schüler*innen ihre Mitschüler*innen afrikanischer Herkunft? Durch die
Brille der Stereotype und negativen Bilder über Afrika? Eine noch unzureichend beachtete Folge ist, dass
die verzerrte Afrikadarstellung durch die Medien,
Kultur und Schulbücher in Deutschland dazu führt,
dass Schüler*innen afrikanischer Herkunft häuig
nur mit einem Bild von Armut und Unfähigkeit assoziiert und deswegen diskriminiert werden, so dass sie
ihre schulischen Potenziale nicht ausschöpfen können und ihre Leistungen deshalb auch nicht entsprechend bewertet werden – zu diesem Ergebnis ist das
Imafredu1 -Projekt gekommen. Bei der Zielsetzung
des Projektes erweist sich auf der praktischen Ebene
die Empfehlung als nachhaltig, neues kritisches und
ausgewogenes Schulmaterial zu entwickeln.
Ziel ist es, dass Schüler*innen über diese Alltagsbeispiele einen anderen Blickwinkel einnehmen, um
eurozentrische Einstellungen über das Leben in »Afrika« hinterfragen bzw. kritisch betrachten zu können.
Durch diesen Beitrag werden sie mit dem Alltag, den
menschlichen Beziehungen, den Träumen und Ängsten
von zwei Gleichaltrigen aus anderen sozio-kulturellen
Kontexten vertraut gemacht und lernen Verbindungen
zu ziehen und Gemeinsamkeiten zu identiizieren, die
universell existieren – trotz unterschiedlicher Privilegierungen, kultureller und historischer Gegebenheiten. Darüber hinaus lernen sie, dass »Anderssein« ein
Bild im eigenen Kopf ist und keine tatsächliche oder
gar anormale Wahrheit. Sie lernen neue Denk-, Spiel-,
und Lebensweisen kennen. So verstehen Kinder, dass
sie jenseits stereotyper Bilder eigene Erfahrungen machen und Meinungen haben können.
1 | Image of Africa in Education, http://elina-marmer.com
Florence Tsagué, lo.tsague@yahoo.fr, Siegen, ist Expertin für
Entwicklungspolitik, Gender und Migration Studies. Sie ist Mitglied von African Development Initiative, aktiv in der Bildungs-
arbeit und veranstaltet Lesungen zu afrikanischen Themen an
Schulen. Sie schreibt Kurzgeschichten, Gedichte und hat bereits einen Roman veröffentlicht.
3. »Freiheit, Gleichheit und« ...Versklavung?
Haitianische Revolution und Schwarze Selbstbefreiung
Unterrichtsmaterialien von Regina Richter
I
n Haiti, damals französische Kolonie, brach
1789/91 eine Revolution aus, in der sich versklavte und (zum Teil freie) Schwarze Menschen
selbst von Versklavung und Rassismus befreiten. Sie
zwangen damit Frankreich, zwischenzeitlich (17941802) die Versklavung in Teilen des französischen
Reichs abzuschaffen und die Menschenrechte für
alle Menschen/Männer anzuerkennen. Als Napoleon
Versklavung und Diskriminierung wieder einführen
wollte, machten sich die Haitianer*innen von Frankreich unabhängig und gründeten 1804 den zweiten
unabhängigen Staat Amerikas. Haiti war das erste
Land – zumindest im atlantischen Raum, in dem die
Rechtsform »Sklaverei« und rassistische Diskriminierung für immer verboten wurden. Die Haitianische Revolution ist deshalb eine der umwälzendsten
Revolutionen der (transatlantischen) Geschichte.
Obwohl die Haitianische Revolution geradezu ein Paradebeispiel rassismuskritischer Geschichte ist, an der
sich vieles verdeutlichen lässt, gibt es dazu im deutschsprachigen Raum bisher so gut wie kein aktuelles geschichtswissenschaftliches oder didaktisches Material.
Der Beitrag versucht rassismuskritische und dekoloniale Perspektiven in mehrfacher Hinsicht zu berücksichtigen: Indem Rassismus, Kolonialismus und
Versklavung in einem Zusammenhang thematisiert
werden, bei dem sie bisher oft ausgeblendet wurden, nämlich bezüglich der Französischen Revolution, der Menschenrechtserklärung und der europäischen Aufklärung. Darüber hinaus wird Geschichte
sowohl herrschaftskritisch betrachtet – unterdrückte
Menschen treten also als Akteur*innen und Subjekte
Regina Richter, regina.richter@gmx.de, Berlin, ist Lehrerin für
Geschichte und Politik (Sek. I+II) und Social-Justice-Trainerin.
Gerade promoviert sie in der Geschichtsdidaktik zu rassismusund eurozentrismuskritischer Menschenrechtsgeschichte und
historischer Menschenrechtsbildung. Sie ist aktiv in der politischen Bildung und in politischen Gruppen u.a. zu Diskrimi-
in Erscheinung – als auch transkulturell. Konkretes
(Gegen-)Wissen über Einlüsse und Entanglement afro-amerikanischer Menschen wird didaktisch aufbereitet zur Verfügung gestellt. Rassismuskritische Bildung wird also nicht nur als Kritik/Dekonstruktion
verstanden, sondern auch als konkrete Antidiskriminierung/Empowerment für die mit den Materialien
Arbeitenden und Lernenden.
Die Materialien wurden vor allem für den Geschichtsunterricht konzipiert, sind aber auch für Sozialkunde/Politik oder Französisch geeignet. Sie sind
als Unterrichtseinheit oder in Form eines Projekts
(also auch außerschulisch) nutzbar und beinhalten
vielfältige Vorschläge – ein Informations-, Methoden- und Quellen-Set, aus dem verschiedene Einheiten zusammengestellt werden können. U.a. ist hier
ein Planspiel zu erwähnen, bei dem anhand einer Debatte im französischen Nationalkonvent über die
Abschaffung der Versklavung gerade afro-amerikanische Menschen zu Wort kommen. Der Beitrag wurde bereits mit Schüler*innen einer 8. Klasse an einer Berlin-Neuköllner Gesamtschule erprobt, ist aber
auch mit älteren Schüler*innen einsetzbar. Bisher ist
das Material relativ eng an die Behandlung der Französischen Revolution gekoppelt, um Lehrenden den
Zugang und die Einpassung an den Lehrplan zu erleichtern; aber auch um zu verdeutlichen, dass die
Französische Revolution gar nicht ohne die Haitianer*innen afrikanischer Herkunft und den Black Atlantic zu verstehen ist.
Der Beitrag steht voraussichtlich ab April 2015 (online und evtl. papiern) zur Verfügung.
nierung in der Schule (»Kritische Lehrer*innen«), Rassismus/
Weißsein und dekolonialer Geschichte. Zu Verständnissen der
Autorin vgl. den Artikel: Regina Richter »Kritisches Weißsein in
der Bildungsarbeit – wie rassismuskritisch umgehen mit der eigenen Rolle als weiße Lehrperson?« (2012): http://iae-journal.
zhdk.ch/iles/2012/12/AER6_richter.pdf
55
4. Dominante Weltbilder in Frage stellen
Unterrichtsmaterialien von Annette Kübler
Theoretische Überlegungen
D
56
ominante Darstellungen der Realität nehmen für sich in Anspruch, die Wahrheit oder
das »Normale« darzustellen. Das Benennen
von »Normalem« als dominant und als Ideologie
stößt auf Widerstand. In dieser Übung kann so ein
Erkenntnisprozess an einem »harmlosen« Beispiel
geschehen. Bei weißen Privilegien gilt es, zu erkennen,
dass das, was jemand bisher für normal hielt, bloß
Privilegien sind. Das Erkennen vollzieht sich häuig
durch Brüche, Irritationen und Konlikte. In der vorliegenden Übung wird dies exemplarisch und spielerisch am Beispiel ›Weltkarten‹ gezeigt.
Die Übung ist Teil eines Prozesses. Mit ihr können
Gelegenheiten geschaffen werden, sich exemplarisch
über eigene Prägungen bewusst zu werden. Im besten Fall verunsichert diese Übung, weil unhinterfragte
Selbstverständlichkeiten ins Wanken kommen können.
Die Übung kann also einen Prozess anstoßen, in dem
weiße Dominanz und daraus resultierende verinnerlichte Dominanz und Unterdrückung erkannt werden.
Form
Die Übung ist in Form eines Quiz aufgebaut. (Der
Quiz ist hier abzurufen: http://annette-kuebler.imnetz-praesent.de/eine-welt-im-kiez/bilder-der-welt).
Jede Person erhält ein Blatt, auf dem sie allein oder
zu zweit Größenverhältnisse von Kontinenten bzw.
Ländern schätzen soll. Der Quiz beruht auf den Infos der Peters-Projektions-Karte. Entscheidend ist dabei der innere Prozess der Menschen beim Bearbeiten des Quizes. Wenn Fragen kommen wie »stimmt
diese Weltkarte überhaupt?«, werden diese zunächst
in der Schwebe gehalten. Im zweiten Schritt werden
die Ergebnisse auf Zuruf gesammelt und die Zahlen
unkommentiert ans FlipChart geschrieben, um die
Bandbreite an Einschätzungen im Raum präsent zu
haben. Zur Aulösung wird eine Vielzahl von Karten
im Raum ausgelegt (gesüdete, Karten mit Asien in
der Mitte, Mercator-, Wagner- und PetersenprojektiAnnette Kübler, annette_kuebler@yahoo.de, Berlin, ist Dipl.
Pädagogin, Anti-Bias Trainerin http://annette-kuebler.de, www.
anti-bias-netz.org. Diskriminierungskritische Angebote zum
Globalen Lernen an Schulen und außerschulisch; Multiplikator*innenseminare zum Anti-Bias- Ansatz und rassismuskritische
on etc). Die Teilnehmenden vergleichen die Projektionen/Darstellungen der Welt und korrigieren gegebenenfalls ihre Einschätzungen. Auch die lächentreue
Petersprojektion wird vorgestellt.
Auswertung
Über den eigenen Lernprozess: Wann habe ich die vorgegebene Merkator-Projektion infrage gestellt? Wodurch wurde ich irritiert und wie ging ich damit um?
Über die Funktion der Karten in unserer Gesellschaft: Warum wird diese Karte so oft verwendet?
Warum ist der Norden oben?
Transfer: Was braucht es um Dinge zu hinterfragen, mit denen ich aufgewachsen bin und die mir als
normal vermittelt wurden?
Die Übung eignet sich als Einstieg in »unrelektierte Dominanz«, weil sichtbar wird, dass viele Menschen keinen Anlass haben, über Weltkarten nachzudenken. Sie empinden die geläuige Weltkarte als
normal und haben falsche Verhältnisse verinnerlicht.
Doch nur wenn ich weiß, dass und welchen Verzerrungen mein Weltbild unterliegt, kann ich andere
Perspektiven suchen und inden.
Ergänzendes Material
Unter den Stichworten »true size of Africa« oder
»how big is Africa« oder »Africa in perspective« indet man eine Vielzahl von Größenvergleichen von Afrika mit anderen Kontinenten und/oder Ländern, z.B.
www.marilink.net/wp-content/uploads/2010/10/
true-size-africa.jpg
Fach/Altersstufe/Schulform
Ab der 5. Klasse bis zur Erwachsenenbildung, nicht
nur im Fach Erdkunde, sondern im übertragenen
Verständnis alle Sozialwissenschaften, auch Geometrie mit eigenem Berechnen von Größenverhältnissen, oder Geschichte als Geschichte von Welt-Darstellungen.
Forbildungen; Schulbegleitung zur Weiterentwicklung zur inklusiven Schule.
Anti-Bias-Netz (Hrsg.), 2015, Vorurteilsbewusste Veränderungen mit dem Anti-Bias-Ansatz
5. »Entwicklung« – Rassismus – Widerstand?:
Koloniale (Dis)Kontinuitäten sichtbar machen
Unterrichtsmaterialien von glokal e.V.
A
uf einer interaktiven Webseite gibt es die
Möglichkeit, verschiedene Aussagen in einen
Zeitstrahl einzuordnen, um anschließend die
Einordnung zu überprüfen und sich ggf. überraschen
zu lassen. In den dort gesammelten Aussagen werden koloniale Kontinuitäten und Brüche in Bezug auf
»Entwicklung« und Rassismus deutlich. Es handelt
sich um Aussagen, die vorherrschende Sprechweisen über »die Anderen« und »das Eigene« repräsentieren, um rassismuskritische Zitate und solche aus
dem antikolonialen Widerstand. Die Auswahl der
Zitate stellt den Versuch dar, Stimmen nebeneinander zu stellen, die sonst nicht miteinander in Verbin-
dung gebracht werden. So soll deutlich werden, dass
der heutige Blick auf den globalen Süden, auf Fragen von »Entwicklung« und auf Schwarze Menschen
und PoC durch eine koloniale Vergangenheit geprägt
ist. Gleichzeitig weisen die widerständigen Stimmen
auf Wege hin, Geschichte und Gegenwart anders zu
denken. Denn in den meisten Medien und Schulbüchern werden offen rassistische Positionen von den
für die Allgemeinbildung relevant gehaltenen Personen ausgesprochen – wie die des »Aufklärers« Immanuel Kant oder der Kinderbuchautor*innen Rudyard
Kipling oder Astrid Lindgren, während antikoloniale, rassismuskritische Positionen kaum Raum inden.
glokal e.V., info@glokal.org, Berlin, ist Trainer*innen- und Wissenschaftler*innenkollektiv, tätig im Bereich Entwicklungszusammenarbeit und koloniale Kontinuitäten/Rassismus. Hauptberulich freie Trainer*innen, sind die Mitglieder von glokal auch
im Rahmen von Forschungsprojekten mit Universitäten in der
BRD, in Griechenland und Großbritannien vernetzt. Im Team
sind die akademischen Disziplinen Politik- und Sozialwissenschaften, Umwelt- und Erziehungswissenschaften, Postcolonial
Studies, Development Studies, Europa-Studien und Intercultural
Education vertreten.
57
6. Der strukturelle Rassismus
Unterrichtsmaterialien von Elina Marmer und Astrid Lüdemann
58
R
assismus wird im Unterricht, wenn überhaupt, als eine rechtsextremistische Randerscheinung behandelt. Dabei ist Rassismus
ein Bestandteil der Moderne und prägt unser Weltbild. Durch die Nicht-Benennung und Nicht-Behandlung des strukturellen Rassismus in der Schule wird
dieser fortwährend reproduziert. In dieser Unterrichtseinheit sollen die Schüler*innen die Bedeutung
von strukturellem Rassismus im historisch-gesellschaftlichen Kontext erarbeiten. Entstehung kolonialer Denkmuster und ihr Fortwirken bis in die Gegenwart werden sichtbar gemacht, dabei wird auf bereits
bestehendem Wissen und den Erfahrungen der Schüler*innen aufgebaut. Die Aufnahme theoretischen
Inputs wird durch Einbindung eigener Erfahrungen unterstützt. Ein analytisches Ideenmodell wird
von Schüler*innen als Werkzeug eingesetzt, um den
strukturellen Rassismus in der heutigen Gesellschaft
zu analysieren. Das geschieht anhand von Schüler*innenbeiträgen zu Rassismus in den Medien, der
Analyse einer Schulbuchpassage zum Thema »Entwicklung«1 und Gedichtinterpretationen von May
Ayim2 und Victoria D. Robinson3, die Alltagsrassis-
mus thematisieren. Die Gedichtinterpretationen sollen gleichzeitig die Präsenz von Schwarzen deutschen
Stimmen in der deutschen Literatur sichtbar machen.
Anhand von Kurzbiographie der Dichterin und Wissenschaftlerin May Ayim wird der Schwarze deutsche
Widerstand thematisiert und eine wissenschaftliche
Widerlegung rassistischer Argumentationen aufgezeigt.
1 | Schultze, Blank, Blünstorf et al., 1983, Terra Geographie 7/8,
Klett, länderübergreifende Ausgabe f. alle Schulformen, S. 244.
unverschämt, Frankfurt/M.: Fischer Taschenbuch, S. 180f.
3 | Robinson, Victoria, B., 2008, Innocent Racism, In: Sow, Noah,
Deutschland Schwarz Weiß. Der alltägliche Rassismus, München: C. Bertelsmann, S. 103ff
2 | Ayim, May, 1985/2002, afro-deutsch I, In: Grenzenlos und
Astrid Lüdemann, astrid_luedemann@web.de, Hamburg ist
Lehrerin für Deutsch und Englisch an der Oberstufe der Stadtteilschulen Fritz Schumacher und Am Heidberg. Im Rahmen der
Lektüre »Der Vorleser« von B. Schlick wurde sie von ihren Schüler*innen der 11. Klasse darauf angesprochen, das Thema Rassismus im Unterricht zu behandelt. Dadurch entstand die Idee,
diese Unterrichtseinheit gemeinsam zu entwickeln.
Die Schüler*innen sollen folgende Kompetenzen erwerben: Relexion des vorherrschenden Weltbilds
und der dazugehörenden Bilder, Sprachweisen und
Einstellungen; kritische Betrachtung des kollektiven
Bewusstseins und des konventionellen Wissens (und
der Wissensproduktion); Sensibilisierung für strukturellen und individuellen Rassismus.
Zielgruppe: ab Klasse 10, Fach Deutsch, eingebettet
in eine Lektüre die Themen wie Rassismus, Antisemitismus, Nationalsozialismus, Kolonialismus, Migration u.ä. behandeln. Gerne auch in Politik, Ethik,
Sozialkunde, Gemeinschaftskunde, Geschichte, Philosophie etc.
Elina Marmer, elinamar@gmx.net, leitete 2012-2013 an der Universität Hamburg das IMAFREDU Projekt (www.elina-marmer.
com) zur Afrikadarstellung in Schulbüchern und ihrer Auswirkung auf Rassismus im Klassenzimmer. Sie gibt Seminare zur
Rassismuskritischen Bildung an Lehramtstudent*innen und Lehrer*innenfortbildungen.
5.2. INITIATIVEN zur rassismuskritischen Bildung
Mitglieder folgender Initiativen und Organisationen waren
an der Erstellung des vorliegenden Leitfadens beteiligt.
1. Projekt Lern- und Erinnerungsort Afrikanisches Viertel (LEO)
beim Amt für Weiterbildung und Kultur des Bezirksamts
Mitte von Berlin
Der Ortsteil Berlin-Wedding hat ein Afrikanisches
Viertel, das größte seiner Art in Deutschland. Zwischen 1899 und 1958 wurden die Straßennamen
in diesem Quartier im Geiste kolonialer Bestrebungen und Träume nach Orten und Ländern in
Afrika benannt. Überdies tragen einige Straßen
die Namen von Vertretern des deutschen Kolonialismus, was in den letzten Jahren eine kontroverse
Debatte über das Für und Wider von Straßenumbenennungen ausgelöst hatte.
Die Bezirksverordnetenversammlung im Bezirk
Mitte hatte daher 2011 einstimmig beschlossen,
aus dem Afrikanischen Viertel einen Lern- und Erinnerungsort über die Geschichte des deutschen
Kolonialismus, seiner Rezeptionsgeschichte sowie über den Unabhängigkeitskampf der afrikanischen Staaten werden zu lassen.
Mit Mitteln aus dem Förderprogramm Aktionsraum Plus wird in den Jahren 2013-2015 dieses
Projekt unter Einbeziehung von Anwohner*innen,
Schüler*innen, Jugendlichen und verschiedenen
Akteur*innen der Zivilgesellschaft gestaltet. Ein
heute noch wirksamer, alltäglicher Rassismus gegen Menschen afrikanischer Herkunft hat seine
Wurzeln im transatlantischen
Sklavenhandel und im Kolonialismus, an dem
eben auch das Deutsche Kaiserreich beteiligt war.
Bei diesem Projekt soll es daher nicht nur um einen Erinnerungsort an deutsche Kolonialpolitik
vergangener Zeiten gehen, sondern auch darum,
das verborgene Fortleben kolonialer und rassistischer Denkmuster zu entschlüsseln und aufzuarbeiten. Gerade im Wedding hat der Anteil der
Afrikanischen Bevölkerung stärker als in anderen
Bezirken zugenommen. Dem werden wir Rechnung tragen und in den Aktivitäten vor Ort die Begegnungen unterstützen und fördern.
Aktuelle Informationen und Hinweise zu weiteren
Veranstaltungen inden Sie auf der Homepage unter www.leo-afrikanisches-viertel.de
Eine mobile Website zum Afrikanischen Viertel,
die im Rahmen dieses Projekts entstand, gibt Antworten auf die Frage, was sich hinter den Straßennamen des Afrikanischen Viertel verbirgt : zum
Nachlesen, aber auch mit vielen interessanten Audiodaten und Bildern:
www.leo-av.de
LEOs Leitlinien sind Empowerment auf Augenhöhe, Einbeziehung der Kiez und Menschen aller Altersgruppen. Alle Inhalte werden aus Schwarzer
Perspektive wiedergegeben.
Kontakt
Yonas Endrias, Koordinator
VHS Berlin-Mitte
Antonstr. 37, 13347 Berlin, Raum 104
Termine nach Vereinbarung
Tel: 030- 9018 47455
yonas.endrias@ba-mitte.berlin.de
59
2. Each One Teach One (EOTO) e. V. –
Erfahrung und Wissen weitergeben
Die Bibliothek für Schwarze Literatur und Medien
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Each One Teach One (EOTO) e.V. ist ein Community-basiertes Bildungs- und Empowerment-Projekt in Berlin. Im März 2014 eröffnete der Verein
als Kiez-Bücherei seine Türen und ist seither ein
Ort des Lernens und der Begegnung. EOTO stellt
Literatur von Menschen afrikanischer Herkunft vor
und vermittelt Wissen im intergenerationalen Dialog. Die Präsenzbücherei umfasst Werke von Autor*innen des afrikanischen Kontinents und der Diaspora und dokumentiert anhand 2500 vor allem
deutschsprachiger Bücher Schwarze Geschichte
und Gegenwart in und außerhalb Deutschlands.
Aktivitäten und Angebote
· Öffnung (16h/Woche) und konzeptionelle Weiterentwicklung einer Kiez-Bücherei mit vielfältigen Werken afrikanischer und afro-diasporischer Autor*innen (Romane, Kinderbücher,
Sachbücher, Zeitschriften)
· Jugendarbeit mit Schwarzen Jugendlichen
(Black Diaspora School, Menschenrechtsprojekte, Filmprojekt, Nachhilfe, Empowerment, Austausch mit Vorbildern, offene Freizeitangebote)
· Kulturelle Veranstaltungen (Lesungen für den
Kiez, Sisters’ Poetry, Büchertische, Lesekreis)
· Rassismuskritische Stadtführung zur Geschichte und Gegenwart des »afrikanischen Viertels«
mit anschließender Einführung in die Arbeit von
Each One Teach One (EOTO) e.V. und in Schwarze Literatur in Deutschland
· Akademischer Austausch (Besuche und Diskus-
sion von Studierenden)
· Netzwerk Inclusion Leaders (Leadership Training
für Nachwuchstalente, die sich für eine inklusive
Gesellschaft einsetzten)
· Netzwerkarbeit für eine rassismuskritische, inklusive Gesellschaft.
Zielgruppe
Als Kiez-Bücherei steht EOTO allen Menschen offen, die sich für die Literatur und vielfältige Perspektiven afrikanischer und afro-diasporischer Autor*innen interessieren. Sie wird von Großmüttern
genutzt, die ihren Enkeln aus Kinderbüchern vorlesen, von Studierenden, deren Forschungsinteresse
ein solches Archiv umfasst, als auch von Jugendlichen, die sich treffen wollen und einen Ort suchen
an dem sie ihre Hausaufgaben machen können.
Darüber hinaus gibt es Veranstaltungen, die sich
explizit an Mitglieder der Schwarzen Community
richten und dadurch immer wieder einen Schutzraum der gegenseitigen Stärkung bieten.
Öffnungszeiten
Mittwoch - Freitag: 14-18 Uhr, Dienstag 15-19 Uhr
und zu speziischen Veranstaltungen
Kontakt
Stadtteilzentrum Paul Gerhardt Stift
Müllerstraße 56-58 | 13349 Berlin
info@eoto-archiv.de
fb.com/EOTO.eV
3. Auf Spurensuche Martin Luther Kings 2013-2014
und der King-Code
»King-Code. Martin Luther King: Auf Spurensuche
2013-2014« ist ein schulübergreifendes Bildungsprojekt der Ernst-Reuter-Oberschule (Berlin-Wedding) und des Rosa-Luxemburg-Gymnasiums (Berlin-Pankow) mit ihren Lehrer*innen Saraya Gomis
und Daniel Schmöcker. Das Projekt soll am Ende
in eine langfristig angelegte Schülerirma münden.
Es ist im Vorfeld des 50. Jubiläums der I have a dream-Rede aus der Idee von Saraya Gomis und Daniel Schmöcker entstanden, mit Schüler*innen ihrer jeweiligen Schulen Martin Luther Kings jr. Geschichte
zu entdecken. Martin L. King jr. und das Civil Rights
Movement führen trotz ihrer weltgeschichtlichen Bedeutung im deutschen Lehrplan immer noch ein
Schattendasein. Die Schnittpunkte mit der deutschen
Geschichte bleiben fast gänzlich unbeachtet (Besuch
Kings in Berlin Ost und West 1964, Deutsche Teilung,
Faschismus/Rassismus, Deutsche Kolonialverbrechen
und –genozide … bis zur N-Wort-Debatte). Hier hat
sich die Möglichkeit geboten, Inhalte in den Bildungsplan aufzunehmen, deren Bedeutung, Qualiikation
als »bedeutsames Wissen« und gemeinsamer Lerngewinn (inkl. Lehrende) sowie Entwicklung eigener
Handlungsoptionen im »Kanon« missachtet werden.
In einem 4-tägigen Projekt haben die Schüler*innen eine Martin Luther King-Multimediashow entwickelt und aufgeführt und sich so die Geschichte
Kings und seiner Mitstreiter*innen erarbeitet. Die
Inhalte mit denen wir uns gemeinsam beschäftigt
haben, ermöglichten darüber hinaus die erste Relexion eigener Positionen.
Nach diesem Projekt im Juni 2013 haben sich
die Schüler*innen gewünscht weiter an diesen Themen zu arbeiten. Aus diesem Wunsch hat sich unsere weitere Bildungsarbeit ergeben:
Anlässlich zweier Jubiläen um Dr. Kings Leben
und Wirken (50 Jahre ‚I have a dream’-Rede und
sein Besuch von Berlin Ost und West) arbeiteten die
Schüler*innen in auf einander aufbauenden Projekten etwa an einem virtuellen Stadtrundgang zum
Berlinbesuch Kings. Wir relektierten dabei über
die Möglichkeiten der politischen Partizipation, die
Voraussetzungen für eine rassismuskritische, diskri-
minierungsfreie, inklusive Gesellschaft und die eigene Verortung in Berlin, in Deutschland, der Welt.
Wir arbeiteten in Bibliotheken und wurden von einem Filmteam begleitet. Wir nahmen an einem rassismuskritischen Workshop teil, spielten Theater,
besuchten Podiumsdiskussionen und ein internationales Literaturfestival, sahen Theaterstücke, nahmen
an Konferenzen zu Martin Luther King und Rassismus
im Schulsystem teil. Wir gingen mit kritischem Blick
ins Kino (z.B. The Butler, 2013, und 12 Years a Slave,
2013), besuchten Organisationen, die sich der rassismuskritischen Arbeit verschrieben haben, besuchten Ausstellungen und führten Diskussionsrunden.
Wir lernten Politiker*innen, Aktivist*innen, Journalist*innen und Künstler*innen kennen. Wir begaben
uns auf die Spurensuche Dr. Kings, interviewten Zeitzeugen, beschäftigen uns mit dem Zusammenhang
zwischen Musik und Politik im Spiegel der Bürgerrechtsbewegung im Rahmen des Workshops ‚Black
Music’. Wir stellten Fragen an uns selbst, an unser
Gegenüber und an die Gesellschaft, in der wir leben.
Ab Januar 2014 besucht unsere Wanderausstellung Berliner und Brandenburger Schulen, die ihr einen eigenen Stempel durch ihr Zutun schenken. Im
September 2014 wurde die Wanderausstellung im
Rahmen eines Martin-Luther-King-Festivals eröffnet.
Wir suchen weitere Formen der Auseinandersetzung mit unserem Thema und seinem Gegenwartsbezug in einem Kunst-Performance-Projekt, einem
Martin-Luther-King-Lauf, einem Tanzprojekt und einer Schülerirma im Bereich Touristik.
Wir sind zu finden über facebook
Martin Luther King. Auf Spurensuche Dr. Kings
2013-2014
https://www.facebook.com/pages/MartinLuther-King-Auf-Spurensuche-Dr-Kings-20132014/491740770913044?fref=ts
King-Code
https://www.facebook.com/pages/KingCode/222446234575101?fref=ts
Homepage King-Code
http://www.king-code.de/index.htm
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4. Homestory Deutschland –
Schwarze Biographien in Geschichte und Gegenwart
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Die ISD (Initiative Schwarzer Menschen in
Deutschland), die sich seit mehr als zwanzig Jahren der Selbstorganisation Schwarzer Menschen
verplichtet fühlt, konnte Homestory Deutschland
mit der Unterstützung der Bundeszentrale für Politische Bildung verwirklichen.
Anhand von 26 visuell aufbereiteten Biographien wird Schwarze Geschichte in Deutschland abgebildet und aus der Schwarzen Perspektive erzählt.
Ein Merkmal dieser Ausstellung ist es, dass sie
nicht - wie viel zu oft geschehen - auf die klischeehaften Darstellungen Schwarzer Menschen zurückgreift, in denen über sie als die »Anderen«,
die »Fremden« geredet wird. Sie richtet ihr Augenmerk ausschließlich auf Schwarze Perspektiven und Relexionen.
In dieser Ausstellung sprechen Schwarze Menschen über sich selbst, über ihr Leben – teilweise
ihr ÜBERleben – und darüber, wie sie deutsche Realitäten wahrnehmen.
Mit Homestory Deutschland entstand ein kollektives Selbstporträt und eine Ausstellung, die sich
zum Ziel setzt, eine bewusste, respektvolle Kommunikation zwischen Menschen, die in diesem
Land leben, zu erreichen.
»Geschichte in Bewegung« ist in der Ausstellung
und im Katalog umgesetzt worden, welche historischen Fakten in einer Schwarzen deutschen Geschichtsschreibung dafür von Relevanz sind und in
welcher Weise diese mit den Lebensgeschichten
der porträtierten Personen kommunizieren.
Ergänzend zu dem Katalog der Ausstellung wurde
mit Unterstützung der Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft« – EVZ – ein Jugendreader entwickelt, der Lehrer*innen und Schüler*innen gleichermaßen ein Handlungsmittel an die
Hand gibt, Schwarze Geschichte in Deutschland
im Unterricht zu verhandeln bzw. im Lehrplan einzusetzen.
Die Ausstellung gibt es in deutscher Sprache in
Originalversion und in einer englischen und einer
französischen »mobilen« Version. Sie kann sowohl
in Deutschland/Europa als auch im außereuropäischen Ausland ausgeliehen werden.
Kontakt
tahirdella@isdonline.de
Webseite: www.homestory-deutschland.de
Twitter: @HomestoryDeutsc
Facebook: www.facebook.com/pages/Homestory-Deutschland-Schwarze-Biograien-in-Geschichte-und-Gegenwart/100107086811758?fref=ts
ISD-Bund e.V.
Oranienstrasse 183/B
10999 Berlin
Telefon: +49 (0) 30 700 858 89
ofice@isdonline.de
www.isdonline.de
5. glokal e.V.
glokal ist ein Berliner Verein für machtkritische,
postkoloniale Bildungsarbeit, der seit 2006 in der
politischen Jugend- und Erwachsenenbildung
und Beratung tätig ist. glokal bietet Workshops,
Multiplikator*innen-Ausbildungen,
(Organisations-)Beratung, Materialerstellung und Publikationen zu folgenden Themen an:
· Rassismuskritische Betrachtung von Bild- und
Textmaterial
· Postkoloniale Perspektiven auf »Entwicklung«,
»Entwicklungspolitik/-zusammenarbeit«
· Kritische Auseinandersetzung mit Nord-Süd
und Süd-Nord Freiwilligendiensten (z. B. »weltwärts«)
· Machtkritische Analyse von Bildungsmethoden
( z. B. Methoden des Globalen und des Interkulturellen Lernens)
· Rassismuskritik und Antirassismus
· Anti-Bias/Anti-Diskriminierung
glokal verfolgt in seiner Bildungsarbeit einen
machkritischen Bildungsansatz, der für das Wirken
von globalen und gesellschaftlichen Herrschaftsund Machtverhältnissen (z.B. Sexismus, Rassismus,
Klassismus, Heteronormativität, Diskriminierung
aufgrund von Alter, aufgrund von körperlicher Be-
einträchtigung oder aufgrund von Bildungsabschlüssen etc.) sensibilisieren will. Die eigene Verstricktheit darin wird verdeutlicht und Menschen
werden dazu befähigt, zu deren Abbau beizutragen. Machtkritische Bildungsarbeit ist wertegeleitet und verfolgt die Vision einer machtsensiblen
und diskriminierungsfreien Gesellschaft.
Einem machtkritisch-systemischen Beratungsansatz folgend bietet glokal Organisationsentwicklung, Prozessbegleitung sowie Konzepterstellung
und Evaluation an. Der machtkritisch-systemische Beratungsansatz stellt die Verbindung zweier Denksysteme, Haltungen und Arbeitsweisen
dar. Während systemische Beratung keinen dezidierten Blick für gesellschaftliche Machtverhältnisse hat und dadurch häuig zentrale Ursachen und
Wirkungen von Problemen außer Acht lässt oder
sogar leugnet, ist der machtkritische Ansatz in der
Praxis in der Praxis sehr stark auf Bildungsarbeit
beschränkt.
Alle Angebote sind grundsätzlich auf die jeweilige
Zielgruppe zugeschnitten.
Kontakt
www.glokal.org
info@glokal.org
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6. Anti Bias Netz
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Wir sind ein Zusammenschluss freiberulicher
Fortbildner*innen und Berater*innen in der diversitätsbewussten, politischen Bildungsarbeit. Wir
zeichnen uns als Team dadurch aus, dass wir ganz
unterschiedliche biographische, soziale und ökonomische Hintergründe und eine Vielfalt an beruflichen Erfahrungen mitbringen, mit denen wir in
unserer Praxis einen bewussten und relektierten
Umgang suchen.
Wir verstehen uns selber als Lernende und sind
stets bemüht, unsere eigenen Haltungen und
Praktiken kritisch zu hinterfragen. Irritationen
und Ambivalenzen sehen wir als willkommene
Anstöße, um uns und unsere Arbeit weiterzuentwickeln.
Unsere Arbeit ist von dieser Haltung sowie der
Auseinandersetzung mit und deutlichen Positionierung zu grundsätzlichen Fragen gesellschaftlicher Schielagen und Ungerechtigkeiten
geleitet. Dabei ist uns wichtig, alle Ebenen von
Diskriminierung (zwischenmenschlich, institutionell und gesellschaftlich) einzubeziehen und
zu bearbeiten.
Uns verbinden jahrelange Erfahrungen in verschiedenen geteilten Arbeits- und Lebenskontexten;
Themen wie Gerechtigkeit, Globales Lernen, Menschen- und Kinderrechte, Inklusive Bildung und
die Veränderung von Schule bzw. Bildungssystem
liegen uns allen am Herzen.
Arbeitsfelder
Anti Bias und Inklusion, Anti Bias und Schule, Anti
Bias und Globales Lernen
Angebote
Beratung, Fortbildungen und Trainings, Seminar
und Workshops, Projekttage und Projektwochen
Projektgalerie
einige der Projekte, in denen wir aktiv waren, sind:
ISEG - Inklusive Schulentwicklung in der Grundschule bei Kinderwelten, Starke Kinder machen Schule,
Netzwerkstelle Miteinander, EineWeltim FEZ, Bridge Anti-Bias Trainings, Projektwochen mit Schulen
Kontakt
www.anti-bias-netz.org
info@anti-bias-netz.org
6. GLOSSAR
Rassismus | ist eine Ideologie von Herrschaft und Dominanz, die dazu dient,
die ungleiche Verteilung von Macht, Privilegien, Ressourcen und Möglichkeiten der Selbstverwirklichung zu legitimieren und zu stabilisieren. Diese
Ideologie wird u.a. in den medialen Diskursen, in der Wissensproduktion
und Bildung fortwährend reproduziert und schafft rassistische Realitäten –
diskriminierende Strukturen und Gewalt. In Deutschland wird Rassismus
meistens im Zusammenhang mit der Nazi-Vergangenheit thematisiert, weshalb sich viele hierzulande einer kritischen und selbstrelektierten Auseinandersetzung mit Rassismus verwehren. Rassismus gegen Schwarze Menschen
hat eine lange Geschichte auch in Deutschland und ist als Folge der kolonialen Ausbeutung des afrikanischen Kontinents bis heute von großer Wirkmächtigkeit. Rassismus kann in vielen Formen in Erscheinung treten: z.B.
als institutionelle Diskriminierung durch Behörden, im Bildungssystem und
auf dem Arbeitsmarkt, als mediale Repräsentationen und Zuschreibungen
sowie alltägliche Entwürdigungen und Verletzungen. Auch eine Handlung,
die unbewusst und unintendiert rassistische Auswirkungen hat, ist eine rassistische Handlung.
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Kolonialität | Moderne gesellschaftliche Strukturen von Machtausübung und
Wissensproduktion sind kolonial-rassistisch geprägt. Diese Kontinuität der
bestimmenden Verknüpfung zwischen Kapitalismus, Rassismus und »Moderne« in post-kolonialen Gesellschaften bezeichnete der peruanische Sozialwissenschaftler Aníbal Quijano als Kolonialität. Die Kolonialität von
Macht und Wissen strukturiert demnach moderne Herrschaftsformen und
bestimmt die Wissensproduktion. Die rassistische Ideologie oder die »Idee
der Rasse« wurden seit der Shoah ofiziell verurteilt, das westliche Weltverständnis basiert jedoch auf kolonialen Konstruktionen. Diese werden in den
dominanten Afrika-Diskursen fortwährend reproduziert – in den Nachrichten und in der Literatur, von Hilfsorganisationen und in der Politik, in der
Werbung, im Alltagsgespräch und in der Bildung. Dieses Fortleben kolonialer Verhältnisse bestimmt auch unser Denken und Handeln.
Schwarz | (in der Gegenüberstellung zum konstruierten weiß) bezieht sich hier
nicht auf biologistische Merkmale, sondern auf das Selbstverständnis einer
Personengruppe, die als Reaktion auf die Abwertung ihrer afrikanischen
Herkunft im rassistisch-konstruierten Machtgefüge von weiß/Schwarz, ihr
Bewusstsein genau daraus ableitet, Schwarz als positiv umdeutet und dies
durch Großschreibung signiikant macht.
weiß | wird dagegen als Adjektiv klein geschrieben, die kursive Schreibweise soll
auf den konstruierten Charakter der Bezeichnung hinweisen1 (siehe Kritisches Weißsein).
1 | vgl. Eggers Maureen Maisha
Grada Kilomba, Peggy Piesche, and
Susan Arndt (Hg.), 2005, Mythen,
Masken und Subjekte. Kritische
Weiß-Seinsforschung in Deutschland, Münster: Unrast Verlag.
2 | vgl. Kien Nghi Ha, 2009, ›People of Color‹ als Diversity-Ansatz
in der antirassistischen Selbstbenennungs- und Identitätspolitik, Dossier. Heinrich-Böll-Stiftung, http://heimatkunde.
boell.de/2009/11/01/people-color-als-diversity-ansatz-der-antirassistischen-selbstbenennungs-und.
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3 | Digoh, Laura und Golly, Nadine. Kritisches Weißsein als relexive und analytische Praxis zur
Professionalisierung im Bildungsbereich, In: Marmer, Elina und
Sow, Papa (Hg.) Wie Rassismus
aus Schulbüchern spricht. Erscheint 2015 bei Beltz Juventa.
People of Color (PoC) | nicht zu verwechseln mit der rassistischen Fremdbezeichnung »colored« (farbig), ist eine selbstgewählte Bezeichnung einer Gruppe,
die rassistische Erfahrungen teilt. Wie Schwarz ist People of Color ein politischer und widerständiger Begriff 2.
Kritisches Weißsein | analysiert die sozial konstruierte Kategorie weiß. Die Positionen weiß-Sein und Schwarz-Sein beziehen sich immer aufeinander. Sie sind
nicht unabhängig voneinander denkbar. Diese gesellschaftliche Positionierung
weißer Menschen, die als Gegenstück zur Ausgrenzung rassistisch diskriminierter Menschen besteht, wird von der weißen Mehrheitsgesellschaft weder
thematisiert noch wahrgenommen. »Weißsein erfährt gleichermaßen Bestätigung dadurch, wenn es nicht hinterfragt und aufgrund seiner behaupteten
Neutralität nicht benannt wird – weder als Position, noch als Bündel von Privilegien, als Perspektive oder Identität.«3 Da Weißsein als gesellschaftliche
Norm konstruiert ist, sind Privilegien, die weiße Menschen genießen, ihnen
häuig nicht bewusst, z.B. das Privileg, sich keine Gedanken über Rassismus
machen zu müssen. Kritisches Weißsein fördert eine Relektion der weißen
gesellschaftlichen Positionierung und Selbstrelexion der Verstrickung in rassistische Strukturen.
Diaspora | Die afrikanische Diaspora (= griechisch »Verstreutheit«) bezeichnet
die Gesamtheit der geographisch vom eigentlichen Kontinent entfernt lebenden Menschen afrikanischer Herkunft, die historisch unter anderem
durch die große Jahrhunderte anhaltende Tragödie von transatlantischem
Geschäft mit Menschen, Verschleppung und Versklavung (Maafa = afrikanischer Holocaust) verstreut wurden.
4 | Nassir-Shahnian, Natascha,
2013, Dekolonisierung und Empowerment, http://heimatkunde.
boell.de/2013/05/01/dekolonisierung-und-empowerment
Empowerment | (von engl. empowerment = Ermächtigung, Übertragung von
Verantwortung). Damit sind »Strategien und Maßnahmen gemeint, die den
Grad an Autonomie und Selbstbestimmung im Leben von Menschen oder
Gemeinschaften erhöhen sollen und es ihnen ermöglichen, ihre Interessen
(wieder) eigenmächtig, selbstverantwortlich und selbstbestimmt zu vertreten. Empowerment bezeichnet dabei sowohl den Prozess der Selbstbemächtigung als auch die professionelle Unterstützung der Menschen, ihr Gefühl
der Macht- und Einlusslosigkeit (powerlessness) zu überwinden und ihre
Gestaltungsspielräume und Ressourcen wahrzunehmen und zu nutzen.4«
Inklusion | bezog sich zunächst nur auf Menschen mit Behinderung. Der erweiterte Inklusionsbegriff (48. Weltbildungsministerkonferenz der Unesco, 2008) bezieht sich auf alle gesellschaftlichen Mitglieder in ihrer Unterschiedlichkeit und Diversität, unabhängig von Herkunft, sexueller Identität,
Geschlecht usw. Die Behinderung liegt eher in den Barrieren, die durch gesellschaftliche Organisations- und Machtverhältnisse wie in Bildungsinstitutionen usw. noch nicht ausgeräumt wurden bzw. geschaffen werden. Inklusion ist ein Menschenrecht, in unserem Kontext das Recht aller Kinder
auf Bildung.
»Inklusive Bildung bedeutet, dass allen Menschen – unabhängig von Geschlecht, Religion, ethnischer Zugehörigkeit, besonderen Lernbedürfnissen,
sozialen oder ökonomischen Voraussetzungen – die gleichen Möglichkei-
ten offen stehen, an qualitativ hochwertiger Bildung teilzuhaben und ihre
Potenziale zu entwickeln. Nicht der Lernende muss sich in ein bestehendes
System integrieren, sondern das Bildungssystem muss die Bedürfnisse aller
Lernenden berücksichtigen und sich an sie anpassen«5.
Intersektionalität | Überschneidung verschiedener Diskriminierungsformen bei
einer Person/ Betonung und Sichtbarmachung verschiedener Identitäten in
einer Person. Basierend auf Audre Lordes Ansatz »There is no hierarchy of
opression«6, sprich, Unterdrückungsformen und -ebenen nicht gegeneinander aufzuwiegen, sondern miteinander in Relation zu setzen, entwickelte
sich aus der Schwarzen Feministischen Bewegung um Kimberlé Crenshaw
und das Combahee River Collective der Ansatz Intersektionalität, um zunächst die Unterdrückung Schwarzer Frauen von weißen Feministinnen im
Kampf gegen das Patriarchat sichtbar zu machen. Rassismus gegen Schwarze Menschen und PoC wirkt sich, je nach individueller Verortung, in einer
Matrix existierender Dominanzverhältnisse unterschiedlich. Aus einer intersektionalen Perspektive wird von Rassismen gesprochen, weil z.B. ein
Schwarzes Mädchen (Kind) mit Behinderung aus der Oberschicht anders
rassistisch diskriminiert wird, als ein 85-jähriger homosexueller Mann of
Color, der von staatlicher Unterstützung lebt. Das eigentliche Diskriminierungsspektrum wird erst erkennbar, beschreibbar und anfechtbar, wenn alle
Kategorien in Betracht gezogen werden. Diskriminierung intersektional zu
denken wird einer Lebensrealität gerecht, in der jede*r immer mehrfache
Zugehörigkeiten empindet oder von der Gesellschaft in verschiedenen sozialen Positionen verortet wird (nach Alter, Geschlecht, sexueller Orientierung, ›Behinderung‹, Herkunft, Religion, legalem und sozialem Status, Bildungsabschluss u.v.m.) und damit auch auf mehrfacher Ebene unterdrückt
werden kann.
5 | Deutsche Unesco-Kommission, www.unesco.de/inklusive_bildung_inhalte.html
6 | Lorde, Audre, 1999, There is
no hierarchy of opression, In:
Brandt, Eric (Hg.), Dangerous Liaisons: Blacks, Gays and the struggle for equality, New York: New
Press, S. 306.
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