Essay zum Thema:
Die Außenpolitk Venezuelas (23.1.2012)
Lateinamerika-Institut, Freie Universität Berlin
Seminar: Lateinamerika im Internationalen System
Dozent: Dr. Peter Birle
Autor: Adam Traczyk
Bis 1999 galt Venezuela als ein verlässlicher und enger Partner der Vereinigten Staaten. Der
allgemeine Konsensus, der die venezolanische Außenpolitik gegenüber den Vereinigten
Staaten seit der Wiedereinführung der Demokratie 1958 entscheidend geprägt hatte, basierte
auf dem Prinzip einer ausgewogenen Partnerschaft mit der nordamerikanischen Supermacht.
Nach Rómulo Betancourt, dem ersten demokratisch gewählten Präsidenten seit Rómulo
Gallegos, sollten die Beziehungen zu den USA freundlich gestaltet und weder auf kolonialer
Unterwerfung noch auf provokanter Unhöflichkeit aufgebaut werden. Die Wahl von Hugo
Chávez Frías zum Staatschef stellte diese Haltung in Frage. Mit seiner antiimperialistischer
und antikapitalistischer Rhetorik befindet sich Chávez eindeutig auf Kollisionskurs mit den
Vereinigten Staaten. Es bleibt aber die Frage offen, ob seine Attacken nur eine verbale
Provokation darstellen oder sich tatsächlich in den Beziehungen zu den USA wiederspiegeln
und somit zu einem realen Bruch und einer Neuorientierung der venezolanischen
Außenpolitik gegenüber den Vereinigten Staaten führen.
Bis zur Chávez’ Wahl zum Präsidenten im Jahre 1999 verfolgte Venezuela „eine Politik des
Ausgleichs zwischen seinen Interessen an der Nutzung des strategischen Rohstoffs einerseits
und der geopolitischen Bindung an die USA anderseits“ (Maihold 2008). Es ist also
offensichtlich, dass Venezuela auch den südlichsten Teil des Karibikraums als USamerikanische Einflusssphäre verstanden hat. Diese Überzeugung teilt Hugo Chávez nicht.
Seine Politik basiert
nämlich auf den Ideen der Emanzipation Lateinamerikas,
Antiimperialismus und Antikapitalismus. Damit positioniert sich Chávez als Gegenspieler zu
den USA und möchte die Rolle eines Fürsprechers der Dritten Welt bzw. des globalen Südens
spielen.
Hugo Chávez orientiert sich also nicht mehr an die USA, sondern wendet sich an Staaten, die
sich ebenso gegen die nordamerikanische Dominanz aussprechen. Sein engster Partner in
Lateinamerika ist deswegen Kuba. Die fast brüderliche Beziehung zu Fidel Castro und der
Wunsch Chávez’ die symbolische Führung der antiamerikanischen Bewegung zu übernehmen
sind der USA ein Dorn im Auge. Zu anderen Verbündeten Chávez‘ gehören auch Staaten
Ecuador, Bolivien oder Nicaragua, in denen auch antikapitalistische und antiimperialistische
Regierungen, die mit Chávez‘ Idee des Sozialismus des 21. Jahrhundert sympathisieren, an
der Macht sind.
In diesem Sinne hat sich Venezuela gegen das von den Vereinigten Staaten forcierte
Freihandelsabkommen FTAA (Free Trade Area of the Americas) ausgesprochen und mit
ALBA (Alianza Bolivariana para los Pueblos de Nuestra América) eine Art Gegeninitiative
ins Leben gerufen. Dabei wird hier der ideologische Konflikt zwischen Venezuela und den
USA sehr deutlich. Während sich Washington für eine wirtschaftliche Integration nach
neoliberalen marktwirtschaftlichen Prinzipien wünscht, stellt Caracas ein Projekt, das auf
Solidarität, Kooperation und Komplementarität beruhen soll, vor. Chávez spricht sich ebenso
auf für die Emanzipation von internationalen Finanzorganisationen, die von den USA
dominiert sind, aus. Er möchte diese durch regionale Initiativen ersetzen. Nach Chávez’
Wunsch sollte die Banco del Sur den Internationalen Währungsfonds ersetzen.
Chávez spricht sich auch gegen die militärische Präsenz der USA in Lateinamerika. Nach der
Ankündigung aus dem Jahr 2009 in Kolumbien fünf US-amerikanische Militärbasen
aufzubauen, erklärte Chávez, dass Kolumbien ein US-Bundesstaat sei. Die Präsenz der
nordamerikanischen Streitkräfte im Nachbarland Venezuelas stellt für Chávez nicht nur eine
potentielle Bedrohung, sondern auch eine Möglichkeit seine verbale Kampagne gegen die
USA zu fortzuführen. So sagte Chávez an Barack Obama gerichtet, „er sollte ja keine
Aggression von Kolumbien aus befehlen“, denn „ein US-Angriff hätte einen hundertjährigen
Krieg zur Folge, der sich von Mexiko bis Argentinien ausweiten würde“ (Werz 2011). Des
Weiteren
schlägt
Chávez
den
Aufbau
eine
neuen
militärischen
Allianz
der
lateinamerikanischen Staaten unter Ausschluss der Vereinigten Staaten vor, die nicht nur den
Rio-Pakt ersetzen, aber auch zu einer Integration der lateinamerikanischen Streitkräfte führen
soll. Seine Ablehnung US-amerikanischer Militärpräsenz und die Einmischung in
lateinamerikanische Angelegenheiten spiegelt sich auch in der Weigerung US-Flugzeuge zur
Drogenbekämpfung venezolanisches Territorium überfliegen zu lassen wieder.
Die Abgrenzung von den USA betont auch den Wunsch Venezuelas den Aufbau einer
multipolaren Weltordnung zu fördern. Auch überregional sucht Chávez Partner, die seine
antiamerikanischen Ansichten teilen oder sich eine multipolare Machtverteilung wünschen.
Venezuela versucht somit die Beziehungen mit Staaten wie China, Russland und Iran oder
früher mit Libyen Gaddafis und dem Irak Husseins auszubauen. In vielen dieser Fälle stellt
die Politik Chávez’ eine Provokation gegenüber der nordamerikanischen Supermacht dar. Die
prägnantesten Beispiele dafür dürften der Besuch Chávez’ im Irak im Jahre 2000 und der
mehrtägige Staatsbesuch des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad in Venezuela im Januar
2011, also während der extremem Zuspitzung der Beziehungen zwischen den USA und dem
Iran. Aus US-amerikanischer Sicht stellt vor allem die venezolanische Unterstützung des
iranischen Atomprograms, aber auch eine enge Zusammenarbeit im Bereich konventioneller
Waffen eine Bedrohung für die USA dar.
Ein weiterer Konfliktpunkt in den Beziehungen Venezuelas zu den Vereinigten Staaten ist die
Nutzung der venezolanischen Ölquellen. Durch die Übernahme der Kontrolle über den
Staatsölkonzern PdVSA (Petróleos de Venezuela) und die Verstaatlichung der Quellen im
Orinocodelta, bei der auch US-Konzerne Conoco Phillips und Exxon Mobile betroffen
wurden, gewann Chávez ein Instrument zur Finanzierung seiner außenpolitischer Vorhaben.
Nun versucht er durch sein stärkeres Engagement in der OPEC die Erdölpreise in die Höhe zu
treiben und sie gleichzeitig für seine antiimperialistischen Ziele zu politisieren. Gegen die
traditionelle Bindung an die USA drohte Chávez auch mehrmals die Edröllieferungen in die
USA zu stoppen und neue Empfänger, vor allem China und Indien, mit der Ressource zu
versorgen.
Eine besondere Politik, die als eine große Herausforderung für die Vereinigten Staaten
darstellen kann, sind die sogenannten „social investments“ (Corrales 2008). Venezuela
investiert im Vergleich zu anderen Petrostaaten - in Relation zu der jeweiligen nationalen
Wirtschaft - ca. vier Mal so viel im Ausland. Gleichzeitig sind ca. 40% dieser Ausgaben als
soziale Investitionen zu bezeichnen. Dazu zählen nicht nur vergünstigte Öllieferungen an
Kuba und die Mitglieder des Petrocaribe oder der Aufkauf argentinischer Schuldentitel, aber
auch Lieferungen von günstigen Heizöl an bedürftige US-Bürger. Diese Strategie erlaubt es
Chávez nicht nur neue Staaten als Verbündete zu gewinnen, aber auch durch diese public
diplomacy sein Image als Störenfried unter der Bevölkerung der USA zu verbessern.
Doch wie erfolgreich sind Chávez‘ Bemühungen sich von den USA abzugrenzen? Gibt es
reale Erfolge seiner Politik oder bleibt alles auf der Ebene verbaler Provokationen und
antiamerikanischer Rhetorik?
Chávez’ Versuche Erdöl als eine politische Waffen gegen die USA zu instrumentalisieren
scheinen nur wenig Kapital zu schlagen. Der Wunsch OPEC in eine antiimperialistische
Allianz zu reformieren, stößt auf harte Gegenwehr der meisten Mitglieder, die vor allem an
ökonomischen Aspekten der Zusammenarbeit interessiert sind und eine Politisierung der
Organisation ablehnen. Die Vereinigten Staaten bleiben auch nach wie vor der mit Abstand
größte Abnehmer venezolanischen Öls. Die Drohungen Chávez’ die Öllieferungen an die
USA zu stoppen bleiben bis dato auch nur Rhetorik, da die anderen potentiellen Abnehmer
keine technischen Möglichkeiten haben das schwere Erdöl aus Venezuela zu verarbeiten.
Ökonomisch bleibt Venezuela also weiterhin im großen Maße von den USA abhängig, da ca.
50% des venezolanischen Exports werden in die USA verkauft.
Mit seiner provokanten Art kann aber Chávez auch punkten. Er hat einen enormen Einfluss
auf die öffentliche Debatte und kann diese in gewissen Maße in die von ihm gewünschte
Richtung lenken. Durch seine – teilweiße auch persönliche - Provokationen1 kann er auch die
Außenpolitik personalisieren und zu einer Konfrontation von zwei Rivalen umdeuten, die eine
viel größere Wirkung auf die öffentliche Wahrnehmung als eine Konfrontation von zwei
Staaten hat. So kann Chávez mit seiner enormer Präsenz auf der internationalen Bühne oft als
der wichtigste Gegner der USA fungieren und eine Anhängerschaft von Staaten, die sich von
den USA benachteiligt fühlen, aber oft auf Grund ihre geringen Kapazitäten eine direkte
Konfrontation mit der Supermacht meiden wollen, formen. Mit seiner Rhetorik also „kann
Präsident Chávez, ohne Gegenleistungen zu erbringen, eine transnationale und sogar
transkontinentale Anhängerschaft formen, die seiner Interessenpolitik in zahlreichen
politischen Räumen Unterstützung verschafft“ (Maihold 2008).
Diese aggressive Politik Venezuelas stößt in den Vereinigten Staaten auf verschiedene
Reaktionen. Einerseits gibt es Vertreter der sogenannten „Maisto-Doktrin“ (nach einem
früheren US-amerikanischen Botschafter in Caracas), die die Politik Hugo Chávez nach der
Maxime „deeds, not words“ bewerten möchten und eine moderate Politik ihm gegenüber
vorschlagen und andererseits sehen manche Beobachter in Chávez’ Venezuela eine
Bedrohung, die nicht nur für Unruhe in Lateinamerika sorgt, aber sogar auf einer Stufe mit Al
Qaida und den Schurkenstaaten Iran oder Nordkorea zu sehen ist und verlangen eine harte
Reaktion
auf
seine
Provokationen.
Dabei
scheint
die
letztere
Ausfassung
durchsetzungskräftiger zu sein: 2002 sollten die USA in einem Staatsstreich gegen Chávez
involviert sein. 2006 warf die Regierung von George W. Bush Venezuela vor das Kontinent
zu destabilisieren und auch des Verhalten Venezuelas bezüglich der Terrorismusbekämpfung
So bezeichnete Chávez zum Beispiel während einer Rede vor der UN-Generalversammlung Geotge W. Bush
als den „Teufel“.
1
wurde negativ bewertet 2. 2008 wurde Venezuela im Zusammenhang mit der ihrer Haltung zu
den FARC-Rebellen in Kolumbien auf die Liste der Staaten, die den Terrorismus
unterstützen, gesetzt.
Sicherlich nahm die venezolanische Politik seit dem Amtseintritts Hugo Chávez eine starke
Wendung. Auch wenn die Kluft zwischen aggressiver Rhetorik und politischer Realität bei
Chávez in vielen Fällen groß ausfällt, wurde die traditionelle politische Bindung zu den USA
gebrochen. Für Hugo Chávez sind die Vereinigten Staaten das Paradesymbol für den
Imperialismus und Kapitalismus, die es zu bekämpfen gilt. Aus nordamerikanischer Sicht ist
Venezuela auch ein Faktor, der für die Destabilisierung der Region sorgt, weil es alternative
und teilweise sehr radikale anti-US-amerikanische Vorschläge für die Weiterentwicklung des
Kontinents vorstellt, die durchaus eine positive Resonanz hervorrufen. Die politische
Abgrenzung von den USA und die unklare Rolle Venezuelas in dem Konflikt zwischen
Kolumbien und FARC und die damit verbundene Frage der Drogenhandelbekämpfung sind
auch eine Herausforderung für die US-amerikanische Sicherheitspolitik. Des Weiteren sind
Venezuelas Versuche eine überregionale Anti-USA-Allianz zu bilden eine weitere Bedrohung
für die USA. Vor allem dürfen die engen Beziehungen Venezuelas mit dem Iran, mit dem
Chávez eine „Achse der Einheit“ gegen die Vereinigten Staaten aufbauen möchte, ein
Besorgnis für das Weiße Haus darstellen3. Auch der Versuch langfristig neue Absatzmärkte
für venezolanisches Öl zu gewinnen, kann nicht im Sinne der USA sein. Auf die
venezolanische Public Diplomacy und den Ausbau sozialer Projekte haben die USA bis jetzt
auch keine Antwort gefunden. Auf der anderen Seite Venezuela im großen Maße von den
Petrodollars aus den USA abhängig, die erst den mittelgroßen Staat eine so großzügig
angelegte Außenpolitik ermöglichen. Venezuela bleibt deswegen immer noch ein
verlässlicher Öllieferant für die USA. Die Beziehung Venezuelas zu den USA bleibt also
zweideutig. Ein wichtiger Test für die bilateralen Beziehungen zwischen Venezuela und den
Vereinigten Staaten dürfte in näher Zukunft eine mögliche militärische Konfrontation der
USA mit dem Iran sein.
2
Die Regierung Bush’ hat sich deswegen entschieden Waffenlieferungen an Venezuela zu verbieten und
versuchte auch andere Staaten (in manchen Fällen erfolgreich) von ihren geplanten Lieferungen abzubringen.
3
Es kamen sogar Gerüchte auf über eine mögliche Instillation von iranischen Mittelstreckenraketen in
Venezuela, die jedoch schnell sowohl von Venezuela, wie auch von den USA dementier wurden.
Literatur:
Cardozo da Silva, Elsa/Hillman, Richard S.: Venezuela: Petroleum, Democratization, and
International Affairs, in: Mora, Frank o./Hey, Jeanne (Hrsg.): Latin American and Caribbean
Foreign Policy, Oxford 2003, S. 145-164.
Clem, Ralph S./ Maingot, Anthony P.: Venezuela's Petro-Diplomacy: Hugo Chavez's
Foreign Policy, Geinesville 2011.
CNN World: U.S. knocks down report of Iran, Venezuela missile base, 21.05.2011, abrufbar
unter: http://articles.cnn.com/2011-05-21/world/venezuela.iran.missiles_1_missile-basereport-bolivarian-revolution?_s=PM:WORLD.
Corrales, Javier: Venezuela’s Domestic Politics and Foreign Policy: Current Trends, 2008,
abrufbar unter: http://foreignaffairs.house.gov/110/cor071708.pdf.
Maihold. Günter: Außenpolitik als Provokation. Rhetorik und Realität in der Außenpolitik
Venezuelas unter Präsident Hugo Chávez, Berlin 2008.
Reuters: Iran, Venezuela in "axis of unity" against U.S, 2.07.2007, abrufbar unter:
http://www.reuters.com/article/2007/07/02/us-iran-venezuela-idUSDAH23660020070702.
Sullivan Mark P.: Venezuela: Political Conditions and U.S. Policy, Congressional Research
Service 2009, abrufbar unter: http://www.fas.org/sgp/crs/row/RL32488.pdf.
The Guardian, Venezuela coup linked to Bush team, 21.04.2002, abrufbar unter:
http://www.guardian.co.uk/world/2002/apr/21/usa.venezuela.
Welt Online: Iranische Raketenbasis in Venezuela in Planungsphase, 13.05.2011, abrufbar
unter: http://www.welt.de/politik/ausland/article13366204/Iranische-Raketenbasis-inVenezuela-in-Planungsphase.html.
Werz, Nikolaus: Die Außenpolitik. Vom Demokratieexport zur “Diplomatie der Völker”, in:
Boeckh, Andreas/Welch, Friedrich/Werz, Nikolaus (Hrsg.): Venezuela heute. Frankfurt am
Main: Vervuert 2011, S. 367-393.