Academia.eduAcademia.edu

FINT-Münze des Monats (FINT Coin of the Month) April 2019

Münze des Monats der Forschungsstelle für islamische Numismatik Tübingen (FINT)

Sebastian Hanstein (Universität Tübingen): Münze des Monats April 2019 der Forschungsstelle für Islamische Numismatik Tübingen (FINT) FINT DE4 C3 Diesen Monat steht in Japan ein bemerkenswerter politischer Vorgang an, wie es ihn seit über 200 Jahren nicht mehr gab. Nachdem im Januar 2019 bereits Sultan Muḥammad V. von Kelantan als erster der bis dahin 15 Yang di-Pertuan Agong („der, der zum Herrscher gemacht wurde“) auf die (ihm 2016 zugekommene) malaysische Königswürde verzichtet hatte (Gerüchten zufolge spielte seine Heirat mit einer ehemaligen „Miss Moskau“ eine Rolle) und erst im März recht überraschend der kasachische Präsident Nursultan Nasarbajew (welcher eine Amtszeitbegrenzung für sich persönlich per Verfassungsänderung 2007 hatte aufheben lassen) als Staatsoberhaupt zurückgetreten war, wird nun der 125. Tenno Akihito aus Alters- und gesundheitlichen Gründen den Chrysanthemen-Thron freiwillig für seinen ältesten Sohn Naruhito frei machen. Dieser Schritt musste dem Kaiser (dessen politische Funktion ja rein symbolischer Natur ist) allerdings erst von der japanischen Regierung erlaubt werden. Hierzu wurde im Parlament ein entsprechendes Gesetz verabschiedet, bei dem es sich aber auch nur um eine Einzelfallregelung speziell für Akihito handelt. Für künftige Kaiser gilt vorerst weiterhin, dass im unverändert bestehenden „Gesetz über den kaiserlichen Haushalt“ von 1947 keine Abdankung eines Tennos vorgesehen ist. 1 Auch in der islamischen Geschichte sind freiwillige Abdankungen sehr selten; ein Kalif oder Sultan hielt seinen Thron im Normalfall auf Lebenszeit besetzt. Die Entwicklungen, an welche die bislang kleinste FINT-Münze des Monats (⌀ 1 cm) erinnert, sind daher ziemlich ungewöhnlich, ja teils rätselhaft, und nahmen ihren Anfang, während sich der 1421 an die Macht gelangte Osmanen-Herrscher Murād II. über lange Jahre hin wechselhafte Kämpfe mit einer Reihe anderer, christlicher Mächte Südosteuropas lieferte. Vom Papst zu einem BalkanKreuzzug aufgerufen, überquerten dabei 1443 der Jagiełłonen-König Władysław (Ladislaus) III. und sein transsilvanischer Woiwode Johann Hunyadi mit einem polnisch-ungarischen Heer die Donau, entrissen Sultan Murād Serbien und stießen bis ins osmanische Bulgarien vor (Eroberung Sofias). Parallel erhob sich der albanische Fürst Georg Kastriota „Skanderbeg“ und auch die (muslimischen) Qaramaniden in Zentralanatolien starteten einen Angriff auf osmanisches Territorium. Derart in der Defensive blieb Murād letztlich nichts Anderes übrig, als den Christen 1444 im Frieden von Szeged(in) einen zehnjährigen Waffenstillstand zuzusichern, dessen Einhaltung er mit Eidschwüren bekräftigte. Dasselbe soll daraufhin auch Władysław getan haben. Der Sultan musste den von ihm zuvor vertriebenen Đurađ (Georg) Branković als Despoten von Serbien anerkennen und seine Ansprüche auf dieses Gebiet fallen lassen. Älteren Chroniken zufolge hatte Murād nun bereits an diesem Punkt das Bedürfnis, sich von der Herrschaft zurückzuziehen, und kündigte überraschend an, zugunsten seines zwölfjährigen Sohnes Muḥammad (Mehmed) abzudanken. Nach dem Tod eines älteren Bruders war dieser erst im Jahr davor zum Kronprinzen aufgestiegen und aus der Provinz an den Hof seines Vaters geholt worden. Wahrscheinlich ist, dass Sultan Murād ihn dort im Sommer 1444 allerdings doch erst einmal „nur“ zum Mitregenten und Reichsstatthalter in Rumelien erhob, ehe er selbst nach Osten aufbrach, um (vielleicht schon zur Vorbereitung einer weitergehenden Machtübergabe?) auch noch in Anatolien für Ordnung zu sorgen (s. zu alledem etwa Franz Babinger, „Von Amurath zu Amurath“ in: Oriens, Bd. III, Nr. 2, S. 229–265). Sein Vorgehen gegen die Qaramaniden hatte recht schnell Erfolg, da erreichte ihn – nur kurze Zeit nach dem Friedensschluss von Szeged – die Nachricht, dass König Władysław und Verbündete abermals in Bulgarien eingefallen waren! Hinter diesem eklatanten Vertragsbruch steckte Kardinal Giuliano Cesarini (der Ältere), welcher den jungen Jagiełłonen als päpstlicher Legat anscheinend davon überzeugt hatte, dass der Eid gegenüber einem Ungläubigen ja gar keine Gültigkeit besitze. Angesichts dieser neuerlichen, akuten Bedrohung konnte Murād nun natürlich schlecht auf einem Rückzug von der Staatsführung beharren und selbige einem Kind 2 überlassen. Er eilte von Kleinasien zurück auf den Balkan, wo er sich mit den Kreuzzüglern nahe Warna eine denkwürdige Schlacht lieferte, in der sowohl der König von Polen und Ungarn als auch der Kardinal sein Leben verlor. Für die Osmanen endete sie mit einem großen, für die weitere Expansion in Europa entscheidenden Triumph. Im Anschluss an diesen Sieg dankte Murād II. dann (im Alter von 39 Jahren) tatsächlich in aller Form freiwillig ab – warum, wird sich wohl nie ganz klären lassen. Muḥammad, welcher als äußerst zielstrebig und ambitioniert beschrieben wird, wurde offenbar noch Ende 1444 offiziell als neuer Sultan inthronisiert, was anderen Herrscher der islamischen Welt sogleich in feierlichen Sendschreiben verkündet wurde, und natürlich beanspruchte der neue Monarch auch das Recht, seinen Namen in die sikka zu setzen. So steht auf unserer Münze des Monats – bei der es sich um eine solche erste Prägung des Teenager-Sultans handelt – im kreisförmigen Av.Feld (untere Zeile:) Muḥammad b. / (obere Zeile:) Murād und innerhalb des liegenden Halbmondes (!) unmittelbar darunter: ḫān ʿazza naṣruhū – „der Ḫān Muḥammad, Sohn des Murād, möge sein Sieg glorreich sein!“. Das im April 1444 beginnende Prägejahr 848 H. findet sich auf der anderen Seite der Münze in Ziffern, verteilt über die beiden Zwischenräume, welche durch die Einfügung zweier augenförmiger Inschriftenfelder in einen Kreis entstanden: ٨۴/ ٨. Im oberen Feld ist eine weitere arabische Wunschformel zu lesen, ḫalada mulkuhū – „Möge seine Herrschaft andauern!“, im unteren die Münzstättenangabe: żarb-i Adirna. Der Prägeort ist hier also die damalige osmanische Hauptstadt, das alte Adrianopel und heutige Edirne, womit auch diese islamische Münze des Monats wieder aus Europa stammt. Besonders interessant ist das Gewicht des kleinen Silberstücks. Nachdem so eine als aqče bekannte Münze über lange Zeit stets ca. 1,18 g gewogen hatte, ließ Sultan Muḥammad das Gewicht der „Silberlinge“ (wörtlich eigentlich: „Weißlinge“) 1444 erstmals reduzieren, sodass unser Exemplar nur noch 1,04 g auf die Waage bringt. Wohl auch deshalb kam es in Edirne zur ersten Janitscharen-Revolte, bei der große Teile der osmanischen Hauptstadt niederbrannten. Die aufständischen Truppen forderten vom jungen Herrscher eine Solderhöhung von 3 auf 3½ aqče pro Tag, die ihnen letztlich auch gewährt wurde. Aufgewiegelt hatte die Janitscharen vermutlich der alte Großwesir Ḫalīl Paša, welcher weder ein gutes Verhältnis zu Muḥammad noch Vertrauen in dessen Herrscherqualitäten hatte und daher schließlich aus Besorgnis Boten ins kleinasiatische Maġnisa (Manisa) entsandte. In diesem Provinzstädtchen hatte sich nämlich Murād nach seinem Thronverzicht zur Ruhe gesetzt. Als er nun aber durch besagte Boten dringendst zurück nach Rumelien gerufen wurde, machte er sich im Mai 1446 auf den Weg, um – Edirne erst im August erreichend – noch einmal als Sultan die Macht zu übernehmen! 3 Muḥammad musste folglich weichen und ging nun seinerseits, abgesetzt und dementsprechend grollend, als Statthalter nach Maġnisa. Auch Murāds Rücktritt vom Rücktritt ist numismatisch belegt, doch erfolgte interessanterweise nur eine minimale Anpassung der aqče-Inschriften: Indem man das Wörtchen für „Sohn des …“ so verschob, dass es nicht mehr rechts neben Muḥammad stand, sondern links davon, ergibt sich die veränderte Lesung Muḥammad b. / Murād („Murād, Sohn des Muḥammad“), wobei anders als zuvor mit der oberen statt mit der unteren Zeile zu beginnen ist. Erst als Murād II. 1451 nach weiteren 4½ Jahren auf dem Thron verstarb, konnte Muḥammad II. abermals und dieses Mal endgültig als Sultan nachfolgen – und ein Projekt in Angriff nehmen, das er sich schon während seiner ersten Regierungszeit in den Kopf gesetzt hatte: die Eroberung Konstantinopels… 4