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Kuppeln und Türme

2009, Historische Gesellschaft Luzern. Jahrbuch

Kuppeln und Türme Der Suva-Neubau und das Hochhaus Schönbühl: zwei Beispiele für die Kontroversen um die Luzerner Stadtsilhouette 1 Martino Stierli Inhalt Monumentalbauten im Luzerner Stadtbild Erste Regungen eines Denkmalbewusstseins Der Suva-Neubau 1912 –1915 Der Wettbewerb um den Neubau Frühe Kritik Streitpunkt Kuppel Das Hochhaus Schönbühl 1956 –1968 Städtebau am Stadtrand Auftritt Alvar Aaltos Die Rolle des Innerschweizer Heimatschutzes Landschaftsschützerische Aspekte Ausblick Abb. 1 Älteste Abbildung von Luzern. Spiegelung der seitenverkehrten Ansicht aus der «Kronica von der loblichen Eydtgnoschaft … » von Petermann Etterlin, um 1507. Während Jahrhunderten präsentierte sich das Bild der europäischen Stadt als eine geschlossene Einheit: Eingefasst von einer Befestigungsmauer wurde die kompakte städtische Bebauung nur von wenigen, auf Fernwirkung ausgerichteten Sakralbauten überragt. So ergibt sich auch in den Stadtdarstellungen von den frühen Grafiken des 15. Jahrhunderts bis zu den Ansichten und Veduten des 18. Jahrhunderts ein immer 33 34 36 37 39 41 43 43 44 45 46 47 wiederkehrendes Muster, auch wenn diese Darstellungen oftmals ebenso sehr auf mentalen und imaginierten Bildern beruhten wie auf tatsächlich gebauten Orten (Abb. 1).2 Dies wandelte sich erst im Zeichen der Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die veränderten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse forderten eine ganze Reihe neuer profaner Bautypen, die fortan die Silhouetten der Städte massgeblich mitbestimmten, darunter etwa Regierungs- und Postgebäude, aber auch Infrastrukturbauten wie Bahnhöfe und Bauten für den Tourismus. Monumentalbauten im Luzerner Stadtbild In Luzern verhielt sich dies nicht anders. Für die Fernwirkung waren hier besonders die an nördlicher Hanglage situierten Museggtürme der Stadtmauer sowie die Doppeltürme der ausserhalb des eigentlichen Befestigungsrings gelegenen Hofkirche lange Zeit bestimmend (Abb. 2 ). Wie andernorts wurde auch hier der Stadtumbau im Zeichen der neuen 1 Für die Unterstützung der Recherche zum Suva-Neubau bin ich Markus Trüeb, Luzern, zu grossem Dank verpflichtet. Karin Gimmi, Zürich, hat mir auf grosszügige Weise Einblick in ihre Archivrecherchen zu Alvar Aalto und den Luzerner Hochhaus-Diskussionen gegeben. Auch ihr gebührt mein herzlicher Dank. – Eine abweichende Fassung dieses Beitrags ist erschienen unter: Stierli Martino, «Heimatschutz und Hochhäuser: kein Widerspruch», in: Heimatschutz/Sauvegarde 103 ( 2008 ), Nr. 2, S. 6 –10. 2 Siehe u. a. Behringer Wolfgang/Roeck Bernd (Hg.), Das Bild der Stadt in der Neuzeit 1400 –1800, München 1999. 1 33 2 Zeit und der Anforderungen des Fremdenverkehrs schnell betrieben.3 Seit Mitte des 19 . Jahrhunderts etwa wurde der Abbruch der Stadtmauer systematisch vorangetrieben, bevor der Stadtrat 1864 beschloss, dem Raubbau an historischer Bausubstanz Einhalt zu gebieten und die Museggmauer «als Zierde der Stadt fort[zu]erhalten».4 Argumentiert wurde dabei allerdings nicht mit denkmalpflegerischen Gesichtspunkten, sondern vielmehr mit handfesten wirtschaftlichen Interessen. Allmählich setzte sich das Bewusstsein durch, dass ein intaktes Stadtbild dem Fremdenverkehr in der Stadt förderlich sein würde. Dieser Logik gehorchte nicht nur die Verschonung der krönenden Stadtmauer, sondern in den folgenden Jahrzehnten auch etwa der Bau einer eigentlichen städtischen Schaufassade zum See hin, die auf den Blick der zahlenden Besucher ausgerichtet wurde.5 Zu den bestehenden historischen Baudenkmälern trat nun aber in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine ganze Reihe profaner Monumentalbauten hinzu, die das Weichbild der Stadt fortan massgeblich mitbestimmten. Für die Tourismusstadt Luzern charakteristisch war dabei die Vorreiterrolle des Hotelbaus.6 Einen Anfang hatte bereits 1845 der «Schweizerhof» gemacht, bevor es nach dem Bebauungsplan von 1865 zu einem eigentlichen Hotelbauboom am neu angelegten Schweizerhofquai sowie im Bahnhofgebiet kam. Für das Stadtbild beziehungsweise die Fernwirkung von besonderer Bedeutung war in diesem Zusammenhang, dass im letzten Viertel des Jahrhunderts mit der Dachkuppel ein höhenwirksames Bauglied zum prägenden Bauelement arrivierte, das bis anhin dem Sakral- und – man denke an das Berner Bundeshaus ( 1894 –1902 ) – dem politischen Repräsentationsbau vorbehalten gewesen war. Für den Hotelbau fand sich dafür im 1875 am Brienzersee eröffneten «Grand Hotel Giessbach» ein erstes Vorbild. In Luzern machte 1882 die Klosterkuppel von Léon Higonnets Casino und Kursaal den 34 Auftakt. Mit gehöriger Verzögerung antwortete Arnold Cattani 1897 beim Erweiterungsbau des Hotels Du Lac am Reussufer mit der zweiten grossen Hotelkuppel Luzerns, die das Stadtbild bis zum Abbruch des Hotels 1948 entscheidend prägte. Einen näher liegenden Bezugspunkt bildete für Cattani freilich die mächtige Kuppel des neuen Bahnhofsgebäudes, das 1896 in unmittelbarer Nachbarschaft fertig gestellt worden war (Abb. 3 ). Eine weitere, auf Fernwirkung angelegte Dachkuppel folgte 1906 mit dem Hotel Palace (Abb. 4 ). Obschon all diese Bauten teils massiv in das bestehende Stadtbild eingriffen, blieben öffentliche Kontroversen dazu weitgehend aus. Beim Bahnhofneubau hatte sich zwar erstmals Widerstand geregt, als die neu sich formierenden «Heimatschutz»Kreise den Grossbau als «Emporkömmling ohne Rasse»7 anprangerten. Man störte sich jedoch weniger an der Höhenentwicklung der Kuppel und ihrer Auswirkung auf die Stadtsilhouette als vielmehr am «internationalen Stil» dieser Architektur, der sie etwa mit dem Portalgebäude der Pariser Weltausstellung von 1878 verband (Abb. 5 ). Erste Regungen eines Denkmalbewusstseins Vor dem Hintergrund der tiefgreifenden Folgen dieser neuen Monumentalbauten für das Luzerner Stadtbild mag es erstaunen, dass ästhetischer Nutzen und Siehe insbesondere: Wyss Beat, Luzern, in: INSA . Inventar der neueren Schweizer Architektur, Bd. 6, hg. von der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte, Bern 1991, S. 378 – 426 ; von Moos Stanislaus, «Nicht Disneyland». Luzern zwischen Vandalismus, Wiedergutmachung und Special Effects, in: ders., Nicht Disneyland. Und andere Aufsätze über Modernität und Nostalgie, Zürich 2004, S. 55 – 75. 4 Stadtratsprotokoll, 20. Oktober 1864, fol. 325 (zitiert nach: Wyss 1991, S. 384 ). 5 Vgl. Wyss 1991, S. 379. 6 Siehe Flückiger-Seiler Roland, Hotelträume zwischen Gletschern und Palmen. Schweizer Tourismus und Hotelbau 1830 –1920, Baden 2001, S. 76 f., 135 –137, 145 –147 und passim. 7 Zitiert nach: Wyss 1991, S. 388. 3 Abb. 2 Panorama Luzerns von der Fluhmatt auf Hofquartier, Museggmauer und Fröschenburg. Tapetenmalerei von David Alois Schmid aus Schwyz, zwischen 1854 und 1858 (Historisches Museum Luzern, HMLU 9312 ). Abb. 3 Luzern, linkes Seeufer mit den Dachkuppeln des Bahnhofs von 1896 und des Hotels du Lac von 1897. Aufnahme um 1897 von Photoglob (Kant. Denkmalpflege, Luzern). Abb. 4 Luzern, Grand Hotel Palace. Erbaut von Heinrich Meili-Wapf, 1904 – 06. Abb. 5 Paris, Portalgebäude der Weltausstellung, 1878. 3 Schaden dieser Bauten kaum Gegenstand öffentlicher Debatten gewesen zu sein scheinen. Ohnehin war der Denkmalschutzgedanke – und damit auch die Frage des Erhalts des historisch ererbten städtischen Weichbilds – bis zum Ende des 19 . Jahrhunderts hier wie anderswo kaum entwickelt. Bekanntlich war noch 1825 das spätgotische Hertensteinhaus mit seinen Fresken von Hans Holbein d.Ä. und d.J. abgebrochen worden. Zwar verpuffte der sich regende 4 Widerstand ungehört; immerhin aber entwickelten sich in der Folge im Umfeld der Kunstgesellschaft erste Ansätze eines Denkmalschutzgedankens.8 In diesem Zusammenhang ist auch die Entscheidung ein paar Jahrzehnte später zu sehen, die Museggtürme zu erhalten, obschon hier wohl handfeste ökonomische Aspekte im Zeichen des Fremdenverkehrs letztlich den Ausschlag gaben. Erst um die Jahrhundertwende begann sich mit der Formierung der HeimatschutzBewegung der Denkmalschutzgedanke in der öffentlichen Wahrnehmung und Diskussion fest zu etablieren; ein Bemühen, das 1913 mit einem Heimatschutzartikel im städtischen Baugesetz eine offizielle Würdigung erfuhr. Darin wurde die Exekutive ausdrücklich verpflichtet, «die Ausführung von Bauten, die dem Orts-, Strassen- oder Landschaftsbild, dem Flussoder Seeufer zur offenbaren Unzierde gereichen würden, zu untersagen.»9 Damit wurden nicht nur historische Einzelbauten, sondern ausdrücklich auch der Schutz des ererbten Stadtbildes als Ganzes angesprochen und zum Gegenstand öffentlichen Interesses erklärt. Kurz zuvor, ab 1912, hatte sich die Debatte um diese Frage an einem weiteren monumentalen Neubau entzündet, der das Luzerner Stadtbild fortan massgeblich prägen sollte: der Hauptsitz der Schweizerischen Unfall-Versicherungsanstalt (Suva). Die Auseinandersetzung um eine intakte Stadtsilhouette lässt sich bis heute verfolgen, was weiter unten am Beispiel eines prominenten Hochhausprojekts aus den 1960er-Jahren exemplarisch gezeigt wird. Vgl. Wyss 1991, S. 386. Baugesetz für die Stadt Luzern, Art. 6 (Gesetze, Dekrete und Verordnungen für den Kanton Luzern, Bd. 9, S. 489 ; zitiert nach: Wyss 1991, S. 503 ). 8 9 5 35 Der Suva-Neubau 1912 – 1915 Für die Frage des Stadtbildschutzes zu Beginn des 20. Jahrhunderts war der geplante Neubau des Hauptsitzes der Suva in Luzern (Abb. 2 und 7 ) ein eigentlicher Kristallisationspunkt, kam er doch einem massiven Eingriff in die bestehende Stadtsilhouette gleich. Nachdem auf Betreiben des Bundesrats bereits 1890 eine Kranken- und Unfallversicherung in der Verfassung verankert worden war, nahm das Stimmvolk 1912 im zweiten Anlauf ein entsprechendes Bundesgesetz an, das zur Gründung der Suva führte.10 Provisorisch nahm die Anstalt ihren Betrieb zunächst von Zürich aus auf, bevor man im Oktober 1912 – im Sinne einer vorübergehenden Lösung – in das Luzerner Zunfthaus zu Schneidern übersiedelte. Luzern hatte nur unter grösstem Einsatz seine Interessen auf nationaler Ebene behaupten können, nachdem der Sitz des Schweizerischen Landesmuseums an Zürich gegangen war. Der Hauptsitz der Suva stellte somit eine Art Entschädigung dar. Hatte sich Luzern gegen konkurrierende Städte einmal durchgesetzt, entbrannte an der Reuss zwischen den einzelnen Quartiervereinen bald ein Wettstreit um den künftigen Standort des neu zu errichtenden Grossbaus. Innert kurzer Zeit trafen bei der Suva nicht weniger als 17 Offerten für mögliche Grundstücke und Liegenschaften ein.11 Offenbar erhoffte man sich von der neuen Bundesanstalt allenthalben nicht nur einen Prestigegewinn, sondern auch handfeste ökonomische Vorteile für das eigene Quartier. Nach eingehender Prüfung der eingereichten Vorschläge verblieben zwei Bauplätze in der engeren Auswahl: das Gelände des barocken Landsitzes Fluh- 7 36 6 matt sowie das Areal des ehemaligen Gaswerkes am Standort der heutigen Zentral- und Hochschulbibliothek. Die Suva gab daraufhin ein Gutachten in Auftrag, in dem sich der Verfasser, der Zürcher Architekt Robert Weideli, für die Fluhmatt aussprach, da diese mit ihrem «dominierenden Plateau […] für den Neubau eines öffentlichen Gebäudes als ideal bezeichnet werden [dürfe]». Unter Verweis auf seine Heimatstadt fügte er dem hinzu: «Ein Monumentalgebäude auf der Fluhmatt errichtet, kann für Luzern im Stadtbilde eine ähnliche Rolle spielen wie das Polytechnikum in Zürich.»12 (Abb. 6 ) Es ist bezeichVgl. dazu und im Folgenden: Rüesch Edgar, Das Ringen um den Standort der SUVA , in: Hochwacht und Hof. 100 Jahre Quartierverein Hochwacht Luzern. Beiträge zur Geschichte eines stadtluzernischen Quartiers, Luzern 1975, S. 159 –166 ; Brunner Thomas, Schweizerische Unfallversicherungsanstalt SUVA . Die Baugeschichte des Hauptsitzes auf der Fluhmatt Luzern, erstellt im Auftrag der Bauabteilung der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt, Luzern o. J. (Typoskript Suva-Archiv Luzern). 11 Eine Liste sämtlicher an die Suva gerichteter Angebote findet sich bei Brunner [o. J.], S. 7. 12 Zitiert nach: Brunner [o. J.], S. 9 f. 10 Abb. 6 Zürich, Hauptbahnhof mit Gottfried Sempers Polytechnikum im Hintergrund. Aufnahme 1882 (Baugeschichtliches Archiv Zürich). Abb. 7 Luzern, Hauptsitz der Suva vor Alpenpanorama. Offizielle Festpostkarte zum XIII . Schweiz. Arbeiter-Sängerfest in Luzern, 1925, vom Emil-Goetz-Kunstverlag ( SALU , F2 a/Fluhmattstrasse 1). Abb. 8 Zürich, Kollegiengebäude (Hauptgebäude) der Universität. Erbaut von Karl Moser, 1911–14 (Archiv gta, ETH Zürich). Abb. 9 Luzern, Wettbewerbsprojekt für den Suva-Neubau, von Otto und Werner Pfister (Schweizerische Bauzeitung, 3. Januar 1914 ). 8 nend, dass der Gutachter hier also mit dem Stadtprospekt und damit mit einem ästhetischen Gesichtspunkt argumentierte. Mit Sempers Polytechnikum und mehr noch mit der soeben fertig gestellten Universität hatte Zürich jüngst eine über der Altstadt thronende Stadtkrone erhalten (Abb. 8 ), und Luzern sollte mit dem Suva-Neubau die Gelegenheit erhalten, es der Limmatstadt im Wettstreit der Vororte der alten Eidgenossenschaft gleich zu tun. Am 1. Oktober 1913 erwarb die Suva das Fluhmatt-Areal mit knapp 15’000 Quadratmetern Land, zwei Wohn- und einem Nebengebäude sowie einer Scheune für Fr. 425’000.–. Der Wettbewerb um den Neubau Der nächste Schritt bestand darin, für den geplanten Neubau, der 5000 Quadratmeter Bruttofläche und Platz für 145 Beamte bieten sollte, einen geeigneten Architekten zu finden. Aus dem von der Bauherrschaft 1913 veranstalteten Wettbewerb resultierten dreissig Projekte, aus denen die Jury das Projekt «Wahrzeichen» der Gebrüder Otto und Werner Pfister aus Zürich zum Sieger kürte und es zur Ausführung empfahl (Abb. 9 ). Nachdem am 30. April 1914 die Baubewilligung erteilt worden war, wurde der Bau mit einigen Modifikationen gegenüber der ursprünglichen Eingabe in Angriff genommen und nach weniger als zwei Jahren Bauzeit im Dezember 1915 bezogen. Das Wettbewerbsprogramm und die in der «Schweizerischen Bauzeitung» publizierten Überlegungen des Preisgerichts erlauben es, Rückschlüsse auf den damaligen Stand der Architekturdiskussion zu ziehen. Die im Vorfeld geäusserten Erwartungen an den Neubau als Sitz einer Bundesanstalt liessen die Forderung nach einer monumentalen und repräsentativen Anlage erwarten. Im Protokoll der Sitzung des Verwaltungsrats der Suva vom 28./ 29. Mai 1914 ist zu dieser Frage indes zu lesen: «Die Instanzen sind der Meinung, dass ein der Aufgabe & Zweckbestimmung entsprechendes, aber nicht luxuriöses oder palastähnliches Gebäude erstellt werden sollte […]. Für die Disposition des Baues wird im Wesentlichen nur die zweckmässige, Sonne, Licht und Luft zugängliche Gruppierung der Nutzräume und ihre gute Verbindung unter sich massgebend sein; auch der Ratssaal wird nicht zwingend einen entscheidenden Einfluss auf die Gestaltung des Hauses beanspruchen.»13 Licht, Luft und Sonne und ein Bekenntnis zur Funktionalität der räumlichen Anordnung – beinahe fühlt man sich hier an die Grundsätze des Neuen Bauens erinnert. Aus heutiger Sicht mag daher erstaunen, dass ein so offenkundig auf Fernwirkung programmierter Entwurf wie derjenige der Gebrüder Pfister das Rennen machte. Die Jury jedoch erkannte darin keinen Widerspruch – ganz im Gegenteil. In ihrem Bericht begründete sie ihre Wahl unter anderem mit folgenden Worten: «Ferner wird grosses Gewicht auf die Bestimmung des Programms gelegt, dass möglichst wenig Räume der Sonne entbehren. Auch wird kurzen Verbindungen der Räume unter sich und der Möglichkeit der Abtauschung derselben grosse Wichtigkeit beigemessen. Erwünscht wäre eine weitgehende Auflösung der Fensterwand mittelst schmaler Pfeiler, um möglichste Freiheit in der Disponierung und Möblierung der Räume zu sichern.»14 Immerhin 13 14 Zitiert nach: Brunner [o. J.], S. 11. Schweizerische Bauzeitung 63 ( 3.1.1914 ), S. 7. 9 37 Abb. 10 Luzern, Grundriss des Wettbewerbsprojekts für den Suva-Neubau, von Otto und Werner Pfister, 1913 ( SALU , B3.31/ A1.51/1914 ). Abb. 11 Luzern, modifiziertes Wettbewerbsprojekt für den Suva-Neubau, von Otto und Werner Pfister. Projektmontage von Arnold Bringolf, April 1914 ( SALU , F2a/Fluhmattstrasse 1). Abb. 12 Luzern, Wettbewerbsprojekt für den SuvaNeubau. Ansicht der Stirnseite mit Lift vom Niveau der Zürichstrasse, von Otto und Werner Pfister (Schweizerische Bauzeitung, 3. Januar 1914 ). Abb. 13 Hammetschwandlift am Bürgenstock. Ansichtskarte, von Emil Goetz, Luzern, ca. 1905 (Verkehrshaus der Schweiz, Luzern, VA - 47413 ). 10 11 nennt der Jurybericht dann doch noch die «für das Stadtbild wertvolle Lage und Gestaltung» des Projekts als weiteres für die Wahl ausschlaggebendes Kriterium.15 Der Entwurf der Gebrüder Pfister, den die Jury mit diesen Worten kommentierte, sah eine Vierflügelanlage vor, die sich um einen zentralen Innenhof gruppierte (Abb. 10 ). Mit dieser Disposition lehnten 38 sich die Architekten typologisch an den Klosterbau mit Kreuzgang oder an barocke Spitalbauten an, bei denen sich häufig Kuppeln finden.16 Die Büroräume sind allesamt einbündig angeordnet und weisen, dem Gebot nach grösstmöglicher Besonnung gehorchend, zu den Aussenseiten des Gebäudes hin. Bestimmendes Element des Entwurfs ist zweifellos der mächtige turmartige Abschluss des Gebäudes, der 12 von einer nicht minder imposanten Kuppel bekrönt wird (Abb. 11). Die Wirkung dieses dominanten Elements im Stadtbild unterstrichen die Architekten in ihrem Entwurf, indem sie den Baukörper ganz an den östlichen Rand der Liegenschaft rückten (Abb. 12 ). Der Turm erhebt sich im Projekt direkt an der Felswand zum Löwenplatz und erreicht dadurch eine ins Dramatische gesteigerte Betonung der Vertikalen. Die Erschliessung vom Strassenniveau sollte durch einen Liftschacht erfolgen, der der Felswand vorgelagert war und dem Benutzer somit einen spektakulären Blick auf die zu Füssen liegende Stadt gewährt hätte. Vergleichbar kühne Lösungen hatte es im näheren Umfeld bekanntlich schon früher gegeben; die Standseilbahn zum Château Gütsch (1884 ) gehört ebenso dazu wie der Hammetschwandlift am Bürgenstock ( 1905 ; Abb. 13 ). Die Architekten rechneten ganz bewusst mit der visuellen Verführungskraft ihres Projekts und kommentierten dazu in der Beschreibung ihres Wettbewerbsbeitrags: «Um die ganze Gebäudeanlage wirksam & markant zu gestalten, ist der turmartige Gebäudekörper über die Strasse gestellt.»17 Abgesehen von der spektakulären Inszenierung des Stadtbildes von oben besass die von den Architekten vorgeschlagene Disposition weitere Vorzüge. Durch die Situierung des Neubaus an der Felskante konnte der Abbruch der bestehenden Barockbauten auf der Fluhmatt umgangen und die lineare Erweiterung der Anlage zum rückwärtigen Bereich des Geländes in späteren Bauetappen offen gehalten werden. Frühe Kritik Es waren nicht primär funktionale oder stilistische Gesichtspunkte, die die weitere Diskussion um das Projekt prägten, sondern der geplante Turm mitsamt seiner mächtigen Kuppel und deren Auswirkungen auf das Stadtbild. Bereits bei der Veröffentlichung der Wettbewerbsergebnisse am 3. Januar 1914 waren in der «Schweizerischen Bauzeitung» diesbezüglich kritische Stimmen zu vernehmen: «Ganz unbeteiligte Architekten von anerkannter Urteilsfähigkeit sind der Ansicht, das schöne Stadtbild von Luzern mit seinen altehrwürdigen Wahrzeichen der Museggtürme und der Hofkirche bedürfe gar keiner neuen Dominante, es sei im Gegenteil ein Gebot des Taktes, sich dem Bestehenden in Bescheidenheit und Mässigung unterzuordnen durch möglichst unauffällige Anordnung der Baumassen am westlichen Teil des für offene Bauweise bestimmten grünen Hügels der Fluhmatt».18 Das am selben Ort abgedruckte Urteil des Preisgerichts hob demgegenüber, wie erwähnt, die gute Situierung und Gestaltung des Baus hervor und relativierte einzig in Bezug auf die Kuppel, dass deren Ausgestaltung «noch des weitern Studiums» bedürfe.19 Die in der Fachpresse angeführte Kritik am Pfister-Projekt brachte lediglich auf den Punkt, was vorab durch den lokalen Blätterwald gerauscht war. Insbesondere in der bürgerlichen Presse hatten sich Stimmen zu Wort gemeldet, die dem zweitplatzierten Projekt der Berner Architekten Joss & Klauser den Vorzug gaben (Abb. 14 ), und zwar unter ausdrücklichem Verweis auf das (angeblich) bedrohte Stadtbild. So war im «Vaterland» vom 2. Dezember 1913 zur Wettbewerbseingabe der Gebrüder Pfister zu lesen: «Das beigegebene Übersichtssbild vom See aus macht in der Tat Eindruck. Doch erscheint der massige Turm allzu protzig. Von der Zürichstraße aus aber muß er geradezu erdrückend wirken.» Und in Bezug auf die Situierung des Baus ganz im Osten des zur Verfügung stehenden Geländes spricht die gleiche Quelle von einem «Mangel an Rücksichtnahme auf die nähere Umgebung […]. Man vergleiche z.B. Vgl. dazu auch das Urteil Dominique von Burgs in ihrer Dissertation zu den Gebrüdern Pfister: «Mit Ausnahme des Suva-Baus in Luzern ( 1914 /15 ) standen die verwaltungstechnischen und administrativen Arbeitsabläufe stets im Zentrum der Planungen» (von Burg Dominique, Gebrüder Pfister. Architektur für Zürich 1907– 1950, Sulgen/Zürich 2000, S. 206 ). 16 Für den Hinweis auf die barocke Spitalarchitektur danke ich Frau Dr. Claudia Hermann herzlich. 17 Zitiert nach: Brunner [o. J.], S. 14 f. 18 Schweizerische Bauzeitung 63 ( 3. 1.1914 ), S. 5. – Es ist interessant, dass die «Schweizerische Bauzeitung» die Ergebnisse des Wettbewerbs direkt neben einem Beitrag Karl Ernst Osthausens zur «Entwicklung des künstlerischen Sehens im Städtebau» veröffentlichte, fast so, als sollten die abgedruckten Abbildungen zu den Wettbewerbsprojekten den theoretischen Text Osthausens illustrieren (siehe Schweizerische Bauzeitung 63 [ 17.1.1914 ], S. 32 ). 19 Schweizerische Bauzeitung 63 ( 3.1.1914 ), S. 7. 15 13 39 das zweitprämiierte Projekt, wie sich das gewiß auch monumentale Gebäude an das Gelände anschmiegt, wie es die Umgebung und besonders das künftige hübscheste Villenquartier Luzern neben sich auch noch zur Geltung kommen lässt, während das hohe Gebäude des erstpämiierten Projekts den landschaftlichen Reiz des so malerisch hinter der Musegg ansteigenden Allenwindenhügels wie mit einem Schlag vernichtet.»20 (Abb. 15 ). 15 Während im Vorfeld des Wettbewerbs die verschiedenen Quartiere noch eifrig um den künftigen Suva-Hauptsitz gebuhlt hatten, stiess das Siegerprojekt nun bei den direkt Betroffenen, denen der geplante Turm die Aussicht auf Stadt und Landschaft 16 40 14 faktisch versperrte, auf deutlich weniger Gegenliebe. Der Protest kam anlässlich einer Versammlung des Quartiervereins Hochwacht am 13. Dezember 1914 zum Ausdruck.21 Diese Entwicklung kommentierte die sozialdemokratische Tageszeitung «Der Demokrat» nicht ohne Häme. Ohne eindeutig für das Pfister-Projekt Stellung zu beziehen, warf der Artikel den «bedrohten Villenbesitzern» eine widersprüchliche Haltung und überdies einen fehlenden Sinn für die übergeordneten Interessen der gesamten Stadt vor.22 Allen Versuchen der Gegner zum Trotz, die Bauherrschaft zu beeinflussen, entschied sich der Verwaltungsrat der Suva in seiner Sitzung vom 21./ 22. Januar 1914 für die Ausführung des erstprämierten Projekts der Gebrüder Pfister. Allerdings erzwang der geologisch instabile Untergrund an der Felskante die Verschiebung des gesamten Bauprojekts um zwölf Meter nach Westen. Der Turm sollte nun nicht mehr direkt über, sondern neben der Fluhmattstrasse zu liegen kommen. (Abb. 16 ). Diese Verschiebung Richtung Westen bedingte allerdings den Abbruch des barocken Landsitzes Fluhmatt. Das «Luzerner Tagblatt» bemerkte dazu, diese Änderung werde «von den Be20 21 22 Vaterland, 2.12.1913. Der Demokrat, 14. Dezember 1913. Der Demokrat, 15. Dezember 1913. Abb. 14 Luzern, Wettbewerbsprojekt für den SuvaNeubau, von Joss & Klausner Architekten (Schweizerische Bauzeitung, 3. Januar 1914 ). Abb. 15 Luzern, Wettbewerbsprojekt für den SuvaNeubau, von Otto und Werner Pfister. Projektmontage von Arnold Bringolf, 22. April 1914 ( SALU , F2a/Fluhmattstrasse 1). Abb. 16 Luzern, überarbeitetes Wettbewerbsprojekt für den Suva-Neubau mit gegenüber der Fluhmattstrasse zurückversetztem Baukörper, von Otto und Werner Pfister, 1914 ( SALU , F2a/Fluhmattstrasse 1). Abb. 17 Luzern, Suva-Hauptsitz. Erbaut 1914 /15 von Otto und Werner Pfister. Aufnahme von Altstadt aus, von Josef Brun, Luzern, 1990 ( SALU , F2a/ Fluhmattstrasse 1 ). 17 wohnern der Fluhmattstraße und des Fluhmattquartiers […] begrüßt werden, da ihnen dadurch wenigstens nicht alle Aussicht verbaut wird.»23 Denkmalpflegerische Bedenken waren offenbar keine zu gewärtigen. Trotz dieses erzwungenen Eingeständnisses in Bezug auf die Situierung des Turmbaus ging die Kampagne einzelner Quartierbewohner gegen das Pfister-Projekt vorerst weiter; sie hofften darauf, die Baubewilligung durch den Stadtrat noch verhindern zu können. Im «Luzerner Tages-Anzeiger» vom 24. April 1914 wurde ein Schreiben abgedruckt, in dem der Verfasser argumentierte, der turmartige Baukörper mit einer Höhe von 26.5 Metern verstosse in mehrfacher Hinsicht gegen das Baugesetz. Argumentiert wurde neuerlich mit dem Stadtbild: «Man zeichne […] das projektierte Gebäude mit richtigen Verhältnissen in ein Stadtbild ein! Sofort wird klar, daß der projektierte Bau eine entschiedene Störung des frontalen Stadtbildes darstellt. Musegg und Hof werden im Bilde zurückgedrängt, das Quartier Fluhmatt-Zürichstraße wird vorgeschoben, und zwar in einer durchaus unharmonischen, unausgeglichenen Weise. Man betrachte sodann das Projekt vom Löwenplatz aus! Welch’ Ungetüm türmt sich da über der Zürichstraße auf, wie übermächtig lastet der sog. Turm auf den Häusern des am Fuße des Felsens liegenden Stadtteils!» Abschliessend appellierte der Autor des Briefs an den Heimatschutz: «Uns scheint, es sei Aufgabe der Heimatschutzvereinigung und des Verschönerungsvereins, das Projekt einer nähern Prü- fung zu unterziehen und mit Energie für die Wahrung des Stadt-, Landschafts- und Straßenbildes einzutreten.»24 Die gleiche Zeigung zitierte darauf am folgenden Tag aus einem Vortrag des Präsidenten des Quartiervereins Hochwacht: «Auch vom Standpunkte des Heimatschutzes aus muß dieser massige Kuppelbau verworfen werden, da nach Ansicht kompetenter Fachmänner durch diesen das Landschaftsbild verhunzt werde.»25 Streitpunkt Kuppel Aus diesem Grund sah sich der Stadtrat genötigt, in Zusammenhang mit der Baubewilligung auf die Diskussion um Kuppel und Turm einzutreten (Abb. 17 ). In der offiziellen Stellungnahme wurde nun aber die neue Dominante im Stadtbild ausdrücklich begrüsst: «In der Eingabe des Quartiervereins Hochwacht wird […] bemerkt, die Kuppel sei nicht ‹notwendig›. Es liegt auf der Hand, daß diese Auffassung nur in sehr relativem Sinne Recht behalten kann. Schließlich kann aus Utilitätsgründen fast jedes Bauwerk der architektonischen Ausschmückung und reichen Ausgestaltung entbehren, wie gerade bei den […] Hotelbauten die Kuppeln nicht absolut ‹notwendig› gewesen wären, auch nicht beim Bahnhof. Und doch dienten gerade diese Kuppeln einem bestimmten Zwecke: sie mußten den Bauten den Charakter des 23 24 25 Luzerner Tagblatt, 2. Januar 1914. Luzerner Tages-Anzeiger, 24. April 1914. Luzerner Tages-Anzeiger, 25. April 1914. 41 19 18 Monumentalen verleihen [ … ]. Luzern wird es zu schätzen wissen, wenn für die Anstalt ein Gebäude geschaffen wird, das auch in seiner Erscheinung ein würdiges Denkmal eidgenössischen Brudersinns darstellt und nebenbei zur Zierde der Stadt gereicht.»26 Tatsächlich hatten in Luzern, wie die angeführten Beispiele gezeigt haben, bereits verschiedene Architekten die Kuppel zur monumentalen Überhöhung öffentlicher bzw. öffentlich zugänglicher Bauten eingesetzt. Mit ihrer Höhe, insbesondere aber mit ihrem massigen Turm-Unterbau indes übertraf die PfisterKuppel alles bisher in Luzern Dagewesene (Abb. 18 ). Dennoch erschien dem Stadtrat die Pfister’sche Lösung als durchaus angemessen, und zwar spezifisch als symbolischer Ausdruck «eidgenössischen Brudersinns». Spätestens mit dem Bau des Mittelteils des Bundeshauses zwischen 1894 und 1902 war die Kuppel zu einem architektonischen Nationalsymbol der Schweiz geworden, und als solches fand sie bekanntlich noch 1991 in Mario Bottas Festzelt zur 700-JahrFeier der Eidgenossenschaft einen späten, nur mehr zeichenhaft-ephemeren Nachhall (Abb. 19 ).27 Der Bezug zur schweizerischen Nationalikonografie muss allerdings insofern relativiert werden, als für den Suva-Bau mit seiner charakteristischen Verbindung von Turmform und Kuppel das wenig zuvor fertig gestellte Kollegiengebäude (Hauptgebäude; Abb. 8 ) der Universität Zürich von Karl Moser als direktes Vorbild gedient haben dürfte, zumal Otto Pfister von 1904 bis 1906 in Mosers Karlsruher Archi42 tekturbüro gearbeitet hatte. Zweifellos strebten die Gebrüder Pfister mit ihrem Luzerner Projekt eine vergleichbare Wirkung an.28 Trotz ihres Bezugs zur nationalen Architektursymbolik blieb die Kuppel umstritten. Der Forderung des Wettbewerbs-Preisgerichts entsprechend, wurde sie während der Bauphase abgeändert, dabei aber sogar noch leicht erhöht. Überdies war ihr im ursprünglichen Projekt eine Kuppelfigur aufgesetzt. In der endgültigen Ausführung umfasst der entstandene Kuppelraum ein ungewöhnlich grosses Volumen, beeindruckt aber auch durch die aufwändige Holzkonstruktion mit gebogenen Bindern (Abb. 20 ). In der Nachkriegszeit schien die Kuppel endgültig der Ungnade anheim zu fallen. Nach der Fertigstellung des Erweiterungsbaus von August Boyer ( 1953 – 55 ) beantragte ein Verwaltungsratsmitglied 1955 , die Entfernung der Kuppel zu prüfen, da diese das Landschaftsbild verunstalte. In Zusammenhang mit dem Neubau Max Zieglers ( 1963 – 68 ) avancierte der profilierte Kunsthistoriker und Preisrichter Linus Birchler zum ausgesprochenen Gegner der Kuppel. Die Anlehnung an die Universität Zürich erschien ihm aus aktueller Sicht als Fehlgriff, da der Turm die Stadtsilhouette in ungebührlicher Weise beherrsche, weswegen er alternativ den Bau einer Aussichtsterrasse vorschlug. In Anspielung an die nationale Symbolik prägte Birchler auch die wenig schmeichelhafte Formel von Luzerns «missratenem Kapitol». Gegenposition bezog Hanspeter Rebsamen 1965 in einem Artikel in der «Schweizerischen Bauzeitung», in dem Zitiert nach: Rüesch 1975, S. 166 ; Brunner [o. J.], S. 29 f. Vgl. von Moos 2004, S. 125 –127, 134. 28 Diese Auffassung wird von Dominique von Burg geteilt: «Die für das Frühwerk von Curjel & Moser besondere Variierung des Jugendstils in Form von schweren, abgewalmten Dächern, grob bearbeiteten Hausteinen und etwas aufgedunsen wirkenden Formen, wie sie am Universitätsgebäude ( 1911 –1914 ) von Karl Moser in Erscheinung tritt, findet im Frühwerk der Gebrüder Pfister einen Widerhall […] am Suva-Gebäude» (von Burg 2000, S. 71). 26 27 Abb. 18 Vergleichende Kuppelstudien zum SuvaNeubau in Luzern, von Otto und Werner Pfister, 1914 ( SALU , B3.31/ A83 ). Abb. 19 Bellinzona, Festzelt von Mario Botta. Aufnahme 1991 anlässlich der 700-JahrFeier der Schweizerischen Eidgenossenschaft im äusseren Hof des Castelgrande. mit längsrechteckigem Grundriss – projektierte. Aufgrund seiner Lage ging es dabei nicht so sehr um die Frage der Einpassung in das historische Stadtbild und die bestehende Silhouette, als vielmehr um landschaftsschützerische Aspekte. Dies umso mehr, als das Wohnhochhaus auf einem Grundstück in unmittelbarer Nähe zum Ufer des touristisch wertvollen Vierwaldstättersees gebaut werden sollte.29 Abb. 20 Luzern, Kuppelkonstruktion des Suva-Hauptsitzes. 1914 /15 von Otto und Werner Pfister. Aufnahme Niklaus Hinder, Luzern, 1915 ( SALU , F2a/Fluhmattstrasse 1). Abb. 21 Übersichtsplan der Gemeinde Luzern, 1933 ( SALU , E2b/ 007 ). Städtebau am Stadtrand 20 er den Suva-Hauptsitz mitsamt Kuppel als ein Stück städtebaulicher und architektonischer Tradition Luzerns wertete. Heute kann das Gebäude als Repräsentant des «nationalen Bauens» um 1910 gelten. Das Hochhaus Schönbühl 1956 –1968 Die Diskussionen um den Suva-Neubau wiederholten sich einige Jahrzehnte später unter veränderten Vorzeichen, als der weltbekannte finnische Architekt Alvar Aalto in den frühen 1960er-Jahren für das peripher gelegene Schönbühl-Quartier ein Scheibenhochhaus – im Unterschied zu einem Turmhochhaus Die Liegenschaft Schönbühl, südlich des Tribschenhorns noch auf Stadtluzerner Gebiet gelegen, befand sich seit Ende des 17. Jahrhunderts mit einem Unterbruch von rund neunzig Jahren ständig im Besitz der Familie von Schumacher, der das Anwesen als Sommerlandsitz diente. Zum Gegenstand städtebaulicher Planung wurde das Areal erstmals 1933 im so genannten «Übersichtsplan der Gemeinde Luzern» (Abb. 21). Darin wurden das Schönbühl und die angrenzenden Gebiete als Reservezone im Sinne eines Grüngürtels ausgewiesen, die frühestens ab 1970 zur Überbauung freigegeben werden sollten. Schon bald aber wurde die weitsichtige Planung von der rasanten Entwicklung überholt: Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte auch südlich des Tribschenhorns eine rege Bautätigkeit ein, und das vormals ländliche Gebiet machte mehr und mehr einer städtischen Besiedlung Platz. Nachdem bereits 1946 ein erster Bebauungsplan das Grundstück miteinbezogen hatte, legte die Besitzerfamilie 1954 einen eigenen Vorschlag vor. Die Familie von Schumacher verfolgte dabei das Ziel, das Schönbühl nicht der spekulativen Bebauung zu opfern, sondern eine einheitliche und qualitativ hochwertige Gesamtüberbauung zu realisieren. Wenig später präsentierten die Architekten Otto und Rudolf Schärli einen Entwurf für das benachbarte Matthof-Grundstück nach dem Muster der «differenzierten Bebauung», die in Architektenkreisen in diesen Jahren propagiert wurde. Dementsprechend sah ihr Bebauungsprojekt eine Reihe unterschiedlicher Haustypen vor und brachte erstmals die Idee eines zwölfgeschossigen Hochhauses ins Spiel. Für das Schönbühl präsentierten die Architekten einen vergleichbaren Entwurf, der jedoch nicht weiter verfolgt wurde (Abb. 22 ). Von nun an aber stand an dieser Stelle der Bau eines (Scheiben-)Hochhauses zur Diskussion. Dazu entspann sich am 17. Dezember 1956 im städtischen Parlament eine hitzige Debatte, in der landschaftsschützerische Aspekte im Vordergrund standen. Während kritische Stimmen Die Baugeschichte des Aalto-Hochhauses sowie die Luzerner Hochhaus-Diskussionen rund um das Schönbühl sind exemplarisch aufgearbeitet in: Gimmi Karin, Schönbühl, Aalto und Luzern, in: Jokinen Teppo/Maurer Bruno (Hg.), Alvar Aalto und die Schweiz, Zürich 1998, S. 135 –155. – Zum Matthofgebiet vgl. Mugglin Beat, Die Bodenpolitik der Stadt Luzern (Beiträge zur Luzerner Stadtgeschichte, Bd. 9 ), Luzern 1993, S. 259 – 267. 29 21 43 22 von einem «Bauklotz» sprachen, der das Panorama beeinträchtigen würde, argumentierten die Befürworter mit den Interessen des für Luzern vitalen Fremdenverkehrs und wiesen darauf hin, dass Feriengäste durchaus auch an moderner Architektur Gefallen fänden.30 Den kritischen Stimmen zum Trotz stellte sich der Quartierverein Unterlachen-Tribschen im Januar 1957 mehrheitlich hinter den Bebauungsplan. Im selben Jahr versuchte die Luzerner Sektion des Schweizerischen Werkbunds unter der Führung des Kunsthistorikers Xaver von Moos mehrmals vergeblich, den Architekten Werner M. Moser für ein Referat zum Thema Hochhaus und Städtebau nach Luzern zu holen. Moser gehörte zu den wichtigsten Verfechtern der so genannt «differenzierten Bebauung» in der Schweiz und hatte mit einem 1949 publizierten Artikel die Diskussion um das Hochhaus im städtischen Wohnquartier landesweit aufs Tapet gebracht.31 Darin stellte er mit seinem Konzept der Mischsiedlung im städtischen Randgebiet eine Alternative sowohl zur grassierenden «Verhüselung» als auch zur als monoton empfundenen Zeilenbauweise zur Diskussion. Sein Konzept der Misch- 23 44 siedlung sah das Nebeneinander einer ganzen Reihe verschiedener Haustypen vom Reihenhaus bis zum Turmhochhaus vor, wie es etwa in einem Projekt von Haefeli, Moser, Steiger für eine Siedlung in Prilly bei Lausanne zur Anwendung kam (Abb. 23 ). Der Schärli-Plan und die weiteren Planungen für das Schönbühl waren zweifelsohne an diesem Konzept orientiert. In eine nächste Phase trat die Diskussion, als die Familie von Schumacher in Absprache mit den Behörden 1961 einen privaten Wettbewerb unter fünf Architekturbüros veranstaltete. Die Urheber der beiden bestplatzierten Projekte, Max Wandeler und Eduard Renggli, wurden in der Folge mit der gemeinsamen Weiterentwicklung ihrer Ideen beauftragt. Der daraus resultierende Bebauungsplan wurde 1963 genehmigt. Die Presse war voll des Lobs. Das «Luzerner Tagblatt» etwa titelte am 3. Mai 1963 : «Die Parksiedlung Schönbühl ist gut geplant» und hob insbesondere die «städtebauliche Gesamtkonzeption» der Anlage hervor (Abb. 24 ). Neben einer Anzahl gestaffelter Zeilenbauten sah das Projekt zwei Hochhäuser vor. Mit dem Plan Wandeler/Renggli sollte das Schönbühl-Quartier überdies ein eigenes Einkaufszentrum erhalten, womit erstmals von der Idee einer reinen Wohnsiedlung abgerückt wurde. Auftritt Alvar Aaltos Für die konkrete Gestaltung des Wahrzeichens der geplanten Überbauung beabsichtigte die Bauherrschaft, einen renommierten Architekten beizuziehen. Dieser wurde ihr durch den bekannten Schweizer Architekten Alfred Roth in der Person Alvar Aaltos vermittelt. Der Finne legte im Frühling 1965 sein Projekt vor, das dem schliesslich ausgeführten Bau weitgehend entspricht (Abb. 25 – 26 ). Hatte der Plan von Wandeler und Renggli noch zwei Punkthochhäuser vorgesehen, so projektierte Aalto ein einziges Hochhaus, das mit seinem charakteristischen, auf Belichtung und Alpenpanorama abgestimmten Fächergrundriss nicht nur deutlich breiter war als die Vgl. Gimmi 1998, S. 141. Moser Werner M., Das vielgeschossige Mietshaus im neuen städtischen Wohnquartier, in: Werk 36 ( 1949 ), Nr. 1, S. 3 – 22. 30 31 Abb. 22 Luzern, Modell der Schönbühl-Siedlung von Otto und Rudolf Schärli, 1956 (Luzerner Neueste Nachrichten, 18. Jan. 1957 ). Abb. 23 Prilly bei Lausanne, Projekt für eine Siedlung von Haefeli, Moser, Steiger, 1945. Modellansicht von Westen (Archiv gta, ETH Zürich). 24 Abb. 24 Luzern, Projekt für die Siedlung Schönbühl von Max Wandeler und Eduard Renggli, 1963 (Vaterland, 3. Mai 1963 ). Abb. 25 Luzern, Zentrum und Hochhaus Schönbühl. Erbaut von Alvar Aalto mit Alfred Roth, 1965 – 68. Abb. 26 Luzern, Grundriss des Normalgeschosses im Hochhaus Schönbühl, von Alvar Aalto, 1966 – 68. vorgesehenen einzelnen Türme, sondern auch um einige Stockwerke höher. Mit der eigenwilligen Grundrissdisposition lehnte sich Aalto an seinen eigenen Entwurf für das Wohnhochhaus «Neue Vahr» ( 1959 – 62 ) in Bremen an. Nachdem das Baugesuch im September 1965 ausgesteckt worden war, entbrannte deswegen wiederum eine heftige Diskussion. Aufgrund der Verletzung der genehmigten Parameter war im Grossen Stadtrat in Bezug auf Aaltos Entwurf von einer «die Sicht verdeckende[n] Wand» die Rede, die sich zusammen mit dem bereits bestehenden Hochhaus auf der benachbarten Liegenschaft Matthof zu einer Mauer addiere.32 Wie beim SuvaHauptsitz wurde im Quartier vorab die Frage kontrovers diskutiert, ob und wem das vorgesehene Hochhaus die Sicht auf die Landschaft verstelle. Einen weiteren Diskussionspunkt bildete die Frage, wie sich das um einige Stockwerke erhöhte Projekt zur Horizontlinie verhielt und inwiefern das Landschaftsbild von ausgesuchten Blickpunkten durch das Projekt beeinträchtigt würde. Rolle zu, zumal die angesprochenen Streitpunkte die zentralen Interessen der Vereinigung betrafen. Im Falle des Suva-Baus auf der Fluhmatt waren die Exponenten des Heimatschutzes von den Gegnern des Bauprojekts verschiedentlich zu einer kritischen Stellungnahme aufgefordert worden. Während man den Bahnhofsneubau von 1896 noch scharf angegriffen hatte, hielt man sich in diesem Fall mit einem negativen Urteil zurück, obschon doch das Pfisterprojekt einen ähnlich massiven Eingriff in das Stadtbild bedeutete wie der neue Bahnhof. Im Protokoll der Jahresversammlung des Innerschweizer Heimatschutzes, des so genannten «Bots», von 1913 ist von der Sache überhaupt nur am Rande die Rede: «Zum Schlusse stimmte die Versammlung gerne dem Wunsche zu, es möchte das Verwaltungsgebäude der schweiz. Unfallversich. Anstalt auf die weitausschauende Fluhmatt über der Musegg zu stehen kommen. Lieber ein charakteristischer Monumentalbau mit hübschen Vorgärten als ein Gemisch von Bauten in 32 Stadtarchiv Luzern, Akten der Baudirektion, Protokoll des Grossen Stadtrates von Luzern, 18.10.1965. 33 Staatsarchiv Luzern, PA 472 /1, Archiv des Innerschweizer Heimatschutzes, Protokollband: Vorstandssitzungen und Jahresbot 1907 –1938, S. 107. Die Rolle des Innerschweizer Heimatschutzes Sowohl bei den Diskussionen um den Suva-Hauptsitz als auch bei jenen zum Hochhaus Schönbühl fiel dem Innerschweizer Heimatschutz eine prominente Abb. 26 25 45 allen möglichen und unmöglichen Stilarten.»33 Die Angelegenheit wurde im folgenden Jahr nochmals angesprochen: «Der Obmann hat sich bemüht, dass das Gebäude auf dem Fluhmattareal erstellt werde, damit dieser schöne Punkt nicht der Privatspekulation anheim falle und durch event. unschöne Bauten das Stadtbild von Luzern ungünstig beeinflusst werde. Die Fluhmatt wurde als Bauplatz gewählt und in der nachfolgenden Konkurrenzausschreibung der Heimatschutzstandpunkt im Programm festgelegt. Gegen das 1. prämierte Projekt wurde von Privaten und einem Quartierverein Sturm gelaufen und unsere Vereinigung um Unterstützung angegangen. Der Vorstand lehnte diese Zumutung mit der Begründung ab, dass wir die Vertretung von Privatinteressen ablehnen.»34 Während man sich im Falle des Bahnhofsneubaus am «internationalen Stil» seiner Architektur gestört hatte – in der Tat stand dafür ja unter anderem das Portalgebäude der Pariser Weltausstellung von 1878 Pate – konnte sich der Heimatschutz mit dem baukünstlerischen Programm des Suva-Hauptsitzes offenbar problemlos identifizieren. Obschon der Heimatschutz sich erst um die Jahrhundertwende formierte, wurzelte seine Ideologie doch ganz im 19. Jahrhundert und war dadurch ein Kind des national gesinnten Zeitgeists. Der Suva-Bau eignete sich mit seiner Kuppel als Referenz an die Ikonografie nationaler Repräsentation somit in hervorragender Weise zur Indienstnahme durch die Verfechter eines bundesstaatlichen Baustils, die sich in der Heimatschutzbewegung versammelt hatten. Das Bauwerk war ihnen daher trotz des eklatanten Massstabsprungs Ausdruck eines erneuerten, national gesinnten Architekturverständnisses. Damit rückte die Problematik des Eingriffs in die Stadtsilhouette ebenso in den Hintergrund wie der Abbruch eines bedeutenden Zeugen barocker Architektur. Die programmatische Bedeutung, die der Heimatschutz dem Gebäude als Beitrag zur nationalen Erneuerung der Baukunst beimass, wurde offensichtlich höher gewichtet als die Frage der Verträglichkeit mit dem Bestand. Landschaftsschützerische Aspekte Auch beim Schönbühl-Hochhaus sah sich der Heimatschutz angesichts der exemplarischen Bedeutung des Projekts für die weitere Stadtentwicklung und der kontroversen Debatten, die darüber geführt wurden, zu einer Stellungnahme veranlasst. Zwar hatten sich die ideologischen Positionen seit der Gründerzeit inzwischen deutlich verschoben; gleichwohl gelangte die Vereinigung auch in diesem Falle letztlich zu einer positiven Beurteilung, in der nun andere Argumente den Ausschlag gaben. Im März 1966 gab der damalige Obmann der Innerschweizer Sektion, Jürg Scherrer, beim national bekannten Architekten Jakob 46 Zweifel ein Gutachten in Auftrag, welches das Hochhaus-Projekt Aaltos aus Sicht des Heimatschutzes einer kritischen Prüfung unterziehen sollte. Zweifel bot sich als Experte in dieser Frage in zweifacher Hinsicht an: Zum einen durfte man von ihm in seiner Funktion als Obmann der Glarner Sektion erwarten, die Anliegen des Heimatschutzes angemessen zu vertreten; zum anderen hatte er sich in der Schweizer Architekturszene bereits als Urheber von HochhausBauten einen Namen gemacht, darunter etwa dem Schwesternhaus des Zürcher Kantonsspitals. Zweifel hatte das zur Diskussion stehende Areal aufgrund früherer Besuche in Luzern als offene Wiesenfläche in Erinnerung, die den Blick auf den See und das Alpenpanorama freigab. Nun aber stellte er fest, «daß die große, arenaförmige Landschaft südlich des Wagner Museums inzwischen stark überbaut war».35 Dabei fand Zweifel «Hochbauten verschiedenster Art» vor, weshalb ein optischer Gesamteindruck ohnehin nicht mehr zu erzielen sei.36 Weil Zweifel in der Fernsicht keine erhebliche Beeinträchtigung des Stadt- und Landschaftsbildes feststellte, ging es für ihn nicht mehr um die Frage des Hochhauses an und für sich, sondern nur noch um eine Beurteilung der architektonischen Qualität des Aalto-Projekts (Abb. 27 ). Hier überwogen aus seiner Sicht Aspekte der guten Proportionierung, der Fassadengestaltung und der Grundrissdisposition gegenüber den Bedenken in Bezug auf die Grösse und Höhe des Projekts, so dass er zu einer positiven Beurteilung des Bauvorhabens gelangte und dieses dem Innerschweizer Heimatschutz zur Zustimmung empfahl. Ohne dass der Innerschweizer Heimatschutz vorab kontaktiert worden war, legte die Eidgenössische Natur- und Heimatschutz-Kommission Anfang September 1966 eine Art Gegengutachten vor, das Walter Henne, der Obmann des Schaffhauser Heimatschutzes, verfasst hatte. Zwar teilte Henne Zweifels Einschätzung bezüglich der fehlenden Einheitlichkeit des bereits bestehenden baulichen Umfelds weitgehend und sprach polemisch vom «Eindruck einer Musterkollektion verschiedenster Haustypen». In Bezug auf Aaltos Projekt kam er aber zu einer gegenteiligen, ablehnenden Beurteilung. Insbesondere kritisierte Henne die «unstatthafte Amplifikation des Bauvolumens gegenüber dem genehmigten Bebau34 Staatsarchiv Luzern, PA 472 /1, Archiv des Innerschweizer Heimatschutzes, Protokollband: Vorstandssitzungen und Jahresbot 1907 –1938, S. 111, Trakt. 8. 35 Zitiert nach: Zweifel Jakob, Zum Alvar Aalto Hochhaus im Schönbühl, Luzern, in: URL : http://www.alvar-aalto.de/bulletin/ bulletin93.htm ( 10. Mai 2007 ). 36 Archiv gta, ETH Zürich, Nachlass Werner M. Moser, Zweifel Jakob, Beurteilung der Projekteingabe für ein Hochhaus in Tribschen/Schönbühl Luzern. Planeingabe von Prof. Alvar Aalto, verfasst im Auftrag des Innerschweizer Natur- und Heimatschutzes, 28. März 1966. kommission vom 30. September 1966, dass man das Gutachten nicht mehr habe berücksichtigen können, da man die Baubewilligung bereits Anfang Juni erteilt habe. Zugleich äusserte der Baudirektor Kritik am uneinheitlichen Auftreten des Heimatschutzes, das nicht nur in den politischen Gremien, sondern auch in der Öffentlichkeit für Verwirrung und Unmut gesorgt habe. So zitierte Ronca aus den «Luzerner Neuesten Nachrichten» vom 24. September 1966 : «Abschliessend bliebe noch festzuhalten, dass sich insgesamt vier verschiedene Heimatschutzorganisationen um das Hochhaus-Projekt bemühen. Die eidgenössische Natur- und Heimatschutzkommission, der Innerschweizer Heimatschutz, der Luzerner Naturschutzbund und die Naturschutzkommission der Naturforschenden Gesellschaft Luzern. Etwas mehr Koordination in dieser Hinsicht wäre sehr wünschenswert. Man denke sich nur in die Lage der städtischen und kantonalen Behörden hinein, für die ein allseits befriedigender Entscheid bald einmal unmöglich wird.»38 Die nicht vorgängig abgesprochene Intervention der Eidgenössischen Kommission stiess nicht nur den Behörden sauer auf, auch der Innerschweizer Heimatschutz fühlte sich durch dieses Vorgehen desavouiert. In einem Brief an den Präsidenten der Eidgenössischen Kommission vom 11. Januar 1967 machte der Obmann seinem Ärger Luft. Nicht nur habe man das «Gegengutachten» «mit Befremden registriert»; auch habe man dieses als «Rückenschuss» für die Sektion empfunden, zumal die unterschiedlichen Stellungnahmen der verschiedenen Instanzen in der Öffentlichkeit gegeneinander ausgespielt worden seien. «Dass solche Vorkommnisse dem Gedanken des Natur- und Heimatschutzes in unserer Region nicht förderlich sind, dürfte klar sein.»39 27 Abb. 27 Luzern, Hochhaus Schönbühl, Ansicht der Hauptfassade. Erbaut von Alvar Aalto, 1966 – 68. ungsplan» und argumentierte, dass das Gebäude zusammen mit dem bereits bestehenden Hochhaus Matthof in einer eigentlichen «Sperrgeste» resultieren würde, «so dass ein grosser Teil des dahinter liegenden Quartiers statt der See- und Bergperspektive enorme Hauswände vor sich hat»; das Quartier werde durch den Bau «architektonisch tyrannisiert». Insgesamt befürchtete Henne einen «massiven Eingriff in die landschaftlichen Gegebenheiten» und die Schaffung eines Präjudizes, das nicht nur regional, sondern gar auf nationaler Ebene unerwünschte Folgen zeitigen könne. Vom Luzerner Regierungsrat forderte Henne daher «die längst fällige Verordnung zum Schutze des Vierwaldstättersees», die fortan eine «derart rücksichtslose Art hypertrophischer Bauprojektierung» verhindern sollte.37 Hennes Urteil hatte auf den weiteren Verlauf der Projektierung keinen Einfluss mehr. Der städtische Baudirektor Hans Ronca bedauerte in seiner Replik an die Eidgenössische Natur- und Heimatschutz- Ausblick Nachdem Hochhaus-Neubauten in der Schweiz seit Mitte der 1970er-Jahre weitgehend selten geworden waren, hat der Bautypus in den letzten Jahren eine eigentliche Renaissance erfahren. Ob sie die bestehenden Stadtbilder nachhaltig verändern werden, bleibt zurzeit ebenso offen wie die Frage, was für Konsequenzen die aktuelle Weltwirtschaftskrise für die zahlreichen ehrgeizigen Bauprojekte in den Schwei- 37 Archiv gta, ETH Zürich, Nachlass Werner M. Moser, Henne Walter, Bericht über das Hochhausprojekt Schönbühl in Luzern, eingereicht im Namen der Eidgenössischen Natur- und Heimatschutzkommission, 5. September 1966. 38 Stadtarchiv Luzern, B 3.29 /A 301.1, Bebauungspläne + Schönbühl 1943 – 78, Brief von Dr. Hans Ronca, Direktor der Baudirektion der Stadt Luzern, an die Eidgenössische Natur- und Heimatschutzkommission, 30. September 1966. 39 Archiv gta, ETH Zürich, Nachlass Werner M. Moser, Brief des Obmanns der Sektion Innerschweiz des Heimatschutzes an Dr. U. Dietschi, Präsident der Eidgenössischen Natur- und Heimatschutzkommission, 11. Januar 1967. 47 zer Städten zeitigen werden. Mit dem am 30. November 2008 von den Stimmberechtigten genehmigten Projekt für eine neue Sportarena auf der Allmend, das neben dem Stadion zwei Wohntürme vorsieht, scheinen die Zeichen für hohe Häuser zumindest in Luzern weiterhin günstig. Dass solche Bauten im Bereich der Altstadt erbaut werden könnten, ist weithin undenkbar und kaum erwünscht. Dagegen setzt sich mehr und mehr auch in Kreisen des Denkmal- und Heimatschutzes die Erkenntnis durch, dass Hochbauten von architektonisch überdurchschnittlicher Qualität in den grossmassstäblich konzipierten Neubau- und Verdichtungsquartieren durchaus willkommene Wahrzeichen mit Fernwirkung und urbaner Ausstrahlung darstellen können. Abkürzung SALU Stadtarchiv Luzern Abbildungsnachweis Archiv gta, ETH Zürich, Nachlass Werner M. Moser (KM 33 –1908 –1-F.AUG-2 bzw. gta 100 –0197 ) 8, 23 Aus: Gimmi Karin, Schönbühl, Aalto und Luzern, in: Jokinen Teppo/Maurer Bruno (Hg.), ‹Der Magus des Nordens›. Alvar Aalto und die Schweiz, Zürich 1998, S. 135 –155 22, 25, 26, 27 Baugeschichtliches Archiv Zürich 6 Historisches Museum Luzern 2 Kant. Denkmalpflege Luzern 3, 4 Aus: Reinle Adolf, Die Kunstdenkmäler des Kantons Luzern. Bd. II, Basel 1953, Abb. 4 1 Aus: Schweizerische Bauzeitung, 3. Jan. 1914, S. 6 f., 11 (Verkehrshaus der Schweiz Luzern) 9, 12, 14 Stadtarchiv Luzern 7, 10, 11, 15, 16, 17, 18, 20, 21 Aus: Vaterland, 3. Mai 1963 (Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern) 24 Verkehrshaus der Schweiz Luzern 13 Aus: von Moos Stanislaus, Nicht Disneyland, Zürich 2004, S. 127 19 Adresse des Autors Dr. Martino Stierli Universität Basel eikones – NFS Bildkritik Rheinsprung 11 4051 Basel 48