Exposé zum Dissertationsvorhaben
Kinder- und Jugendhilfe im
Wandel
Ursachen und Hintergründe zu
Veränderungsprozessen der öffentlichen
Erziehung am Beispiel der Kinder- und
Jugendhilfe Oberösterreich
Mag. Wolfgang Paulowitsch-Laskowski
Linz, August 2021
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Inhalt
Einleitung ................................................................................................................................................. 1
Zielsetzung der Arbeit ............................................................................................................................. 2
Theoretische Grundlage und Arbeitshypothesen ................................................................................... 2
Empirisches Vorgehen ............................................................................................................................. 3
Zeitplan .................................................................................................................................................... 3
Literatur: .................................................................................................................................................. 3
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Einleitung
Die Ursprünge der modernen Kinder- und Jugendhilfe gehen auf die Reformen Kaiser Joseph II (1784).
Sie stellten die Grundlagen für eine Armenfürsorge und ein sukzessives Herauslösen der Kinder- und
Jugendhilfe (genannt „Fürsorgeerziehung“) aus dem Maßnahmenvollzug für Erwachsene (v.a. Bettelund Landstreicherverordnungen) dar. Ziel war es vorrangig, die Säuglingssterblichkeit einzudämmen
und Waisen- und Schutzkinder zu „sittlichen und religiösen“ Mitgliedern der Gesellschaft
heranzubilden (Land OÖ, 2019: S. 8). Trotz zahlreicher Reformbestrebungen (z.B. der Einschränkung
der Kinderarbeit, Durchsetzung der Schulpflicht, Unterhaltspflicht der Eltern) wurde in Österreich erst
mit dem Jahr 1954 ein eigenes Jugendwohlfahrtsgesetz (auf der Basis des deutschen
Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes 1922) in Kraft.
Bis es zur Ausbildung dieses Leistungs- bzw. Aufgabenspektrums kommt, wie wir es heute kennen,
machte die Kinder- und Jugendhilfe eine lange und vor allem bewegte Entwicklungsgeschichte durch.
Die Entwicklung der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe geschah dabei immer im Einklang mit bzw.
als Folge von gesellschaftlichen und (sozial-)politischen Entwicklungen und wurde von diesen
maßgeblich beeinflusst (Land OÖ, 2019). Gleichzeitig gab es aber immer auch wachsame
Vertreterinnen und Vertreter der Profession, die sich für grundlegende Reformen aussprachen und
diese auch durchzusetzen vermochten. Darüber hinaus wird von manchen Beobachterinnen und
Beobachtern aber auch Praktikerinnen und Praktikern die Ansicht vertreten, dass sich die Bedürfnisse
der zu betreuenden Kinder und Jugendlichen selbst maßgeblich verändert hätten und somit die
Veränderungen evozierten. Die Kinder- und Jugendhilfe in jener ausgeprägten Form wie wir sie heute
kennen, lässt sich erstmals in den 1990er Jahren finden (als Auswirkungen des
Jugendwohlfahrtsgesetzes aus dem Jahr 1989). Davor wurden die Funktionen der Existenzsicherung,
der Kontrolle und Sicherstellung der Entwicklung der Kinder und Jugendlichen, der Unterstützung und
Befähigung der Eltern zur Pflege und Erziehung sowie der Kinderschutz in unterschiedlich ausgeprägter
Form wahrgenommen und erfüllt. Das JWG 1989 stellt auch jenen Markierungspunkt dar, der den
freien Trägern im Feld der Kinder- und Jugendhilfe eine prominentere Position zuwies (Scheipl, 1993).
Eine unzureichende gesetzliche Grundlage, Personalmangel bzw. unzureichende Ausbildung aber auch
der Umstand, dass viele Erziehungsheime gut abgeschottet ihre Erziehungspraktiken vor der
Öffentlichkeit zu verbergen wussten führten dazu, dass viele Heime „totalen Institutionen“ glichen und
ihre Betreuungsziele mit entsprechend brachialen Methoden umsetzten. Erst Ende der 1960er Jahre
und Anfang der 1970er Jahre sollte die Kritik an den Erziehungsheimen unterschiedlicher Provenienz
immer lauter werden und umfassende Veränderungen in Gang setzen. Dennoch wurden in
Oberösterreich erst in den 1980er Jahre umfassende Reformen umgesetzt. Dass sich diese Missstände
nicht nur auf Oberösterreich beschränkten, zeigt die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle auch in
anderen Bundesländern, welche Mitte der 2000er Jahre stattfand.
Der Fokus der vorliegenden Arbeit liegt auf dem Bereich der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe und
hier den in diesem Bereich tätigen Akteuren. Besonderes Augenmerk wird auf das Verhältnis des
öffentlichen Trägers (Amt der OÖ Landesregierung) zu den freien, sozialpädagogischen Einrichtungen
im Bereich der „Hilfen zur Erziehung“ (§43 Abs. 1 oö KJHG 2014) gelegt. Darüber hinaus soll aber auch
die Entwicklung der Pflegeverhältnisse (§26 oö KJHG 2014) als Teil der Kinder- und Jugendhilfe
betrachtet werden.
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Zielsetzung der Arbeit
Die vorliegende Arbeit zeichnet zunächst die Entwicklung der Kinder- und Jugendhilfe in
Oberösterreich seit Einführung des Jugendwohlfahrtsgesetztes 1989 (JWG 1989) nach, um danach die
Frage aufzugreifen, welche Auslöser und Hintergründe hinter beobachtbaren Veränderungen stehen.
Es interessieren in dieser Arbeit die Zusammenhänge zwischen rechtlichen, fachlich-professionellen
und kulturell-kognitiven Strukturen im Feld und deren Veränderungen seit der Einführung des JWG im
Jahr 1989. Die Einführung des JWG 1989 wird deshalb als eine wesentliche Veränderung in der Kinderund Jugendhilfe angesehen, weil auf Basis dieser Rechtsgrundlage erstmals den freien Trägern eine
besondere Bedeutung zugebilligt wird (vgl. Scheipl 1993).
Für Österreich findet man dahingehend keine einschlägigen Studien, die einer solchen Fragestellung
nachgehen. Hansbauer (1999) zeichnet für die Bundesrepublik Deutschland den „Traditionsbruch“ in
der Heimerziehung nach und greift eine ähnliche Fragestellung auf. Das Hauptaugenmerk der
vorliegenden österreichischen Studien und Publikationen liegt entweder auf der Nachzeichnung der
geschichtlichen und gesellschaftlichen Entwicklung und deren Auswirkungen auf die Kinder- und
Jugendhilfe im Allgemeinen oder mit der Rekonstruktion gesellschaftlicher Normen (v.a. Familie,
Kindheit), die als Leitmotive und Orientierungspunkte der Ausgestaltung der Kinder- und Jugendhilfe
dienten bzw. dienen (vgl. beispielhaft Land OÖ 2019, Wolfgruber 2013; Knapp/Salzmann 2008; Knapp
2004; Knapp/Scheipl 2001). Andere Studien wiederum beschäftigen sich mit der Aufarbeitung der
Geschichte der Heimerziehung und des Pflegekindwesens anhand einer systematischen Aufarbeitung
archivarischen Datenmaterials (v.a. Fallakten) (vgl. beispielhaft Binder/John 2019, Keupp et al. 2017,
Ralser et al 2017, Schreiber 2015, Bauer et al 2013, Sieder/Simioski 2012). Fallweise haben auch
Betroffene selbst ihre Eindrücke und Erfahrungen zu Papier gebracht (vgl. beispielhaft Oberhauser
2011, Reisinger 2011, Stangl, 2010, Brantner 2008, Molnár 2008, Stangl 2008).
Die vorliegende Arbeit betrachtet die Kinder- und Jugendhilfe als organisationales Feld und zeichnet
dessen Entwicklung anhand unterschiedlicher Datenquellen im Längsschnitt nach.
Theoretische Grundlage
Als Basis dieser Arbeit dient der Neo-Institutionalismus (NI) (vgl. Scott 2008, DiMaggio/Powell 1983,
Meyer/Rowan 1977). Dieser betont den Einfluss von Institutionen auf die Handlungen einzelner
Akteure, Strategien von Organisationen und die Ausgestaltung organisationaler Felder.
DiMaggio/Powell (1983) erweiterten den Ansatz um den Begriff des organisationalen Feldes, um die
Umwelt- und Kontextbedingungen von Organisationen näher zu beleuchten. Seit dem Erscheinen der
Arbeiten zu den theoretischen Grundlagen wurden diese Konzepte weiter verfeinert und überarbeitet
(für einen Überblick vgl. Hinings et al 2017, Wooten/Hoffman 2016, Zietsma et al 2014). Sowohl die
Perspektive des NI als auch theoretischen Konzepte, die dieser Ansatz zur Verfügung stellt, lassen ihn
für eine Analyse der Kinder- und Jugendhilfe als prädestiniert erscheinen. Vor diesem theoretischen
Hintergrund soll nun die Frage geklärt werden:
Wie hat sich das Feld der Kinder- und Jugendhilfe seit Einführung des
Jugendwohlfahrtsgesetzes 1989 verändert und was sind die maßgeblichen Ursachen und
Hintergründe dafür?
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Empirisches Vorgehen
Für die Beantwortung dieser Frage wird auf unterschiedliche Datenquellen zurückgegriffen:
Zur Nachzeichnung der Entwicklungen innerhalb der Kinder- und Jugendhilfe ab 1989 wird auf
statistische Aufzeichnungen der Statistik Austria, des Bundeskanzleramtes sowie der Fachabteilung für
Kinder- und Jugendhilfe des Landes Oberösterreich zurückgegriffen.
Um die Gründe und Motive für Veränderungsprozesse bei unterschiedlichen Akteuren der Kinder- und
Jugendhilfe nachzuzeichnen, soll auf bestehende Interviewtranskripte sowie neues Interviewmaterial
mit den jeweiligen Entscheidungsträgerinnen und -trägern zurückgegriffen werden. Darüber hinaus
vervollständigen Interviews mit den zuständigen Beamtinnen und Beamten aus der Fachabteilung des
Landes OÖ, aus Bezirksverwaltungsbehörden und aus den freien Trägerorganisationen den Blick auf
die Hintergründe der Veränderungsprozesse.
Die vorliegende Arbeit wendet dabei die Perspektive des organisationalen Feldes an (vgl.
Wooten/Hoffman 2016, DiMaggio/Powell 1983), um zu untersuchen, wie sich gesellschaftliche,
politische und administrative Veränderungen auf die Außen- und Innenbeziehungen öffentlicher und
freier Träger der Kinder- und Jugendhilfe sowie auf die Einbeziehung der Klientel (Kinder, Jugendlichen,
Eltern bzw. Obsorgeberechtigte) auswirken. Auf Basis der Analyse der Veränderungen der zur
Verfügung stehenden Betreuungsplätzen für Kinder und Jugendliche (Kinder- und Jugendhilfestatistik)
sollen die Hintergründe diese Veränderungen durch Interviews mit zentralen Akteuren aus dem Feld
ausgeleuchtet werden.
Zeitplan
Zeitraum
01/2023 – 12/2023
Tätigkeit
Auswerten der Sekundärdaten
Interviews führen
Auswerten der Interviews, Fallstudien
Verschriftlichen und Diskussion der Ergebnisse
SS 2024
Abschluss
08/2021 – 12/2022
Literatur:
Bauer, Ingrid; Hoffmann, Robert; Kubek, Christina (2013): Abgestempelt und ausgeliefert. Fürsorgeerziehung
und Fremdunterbringung in Salzburg nach 1945. Mit einem Ausblick auf die Wende hin zur Sozialen Kinderund Jugendarbeit von heute. Innsbruck/Wien/Bozen.
Binder, Dieter A. & John, Michael (2019): Heimerziehung in Oberösterreich. Landesarchiv Oberösterreich, Linz.
Brantner, Ludwig (2008): Einmal talwärts und zurück. Ein Lebensbericht. Skarabaeus, Innsbruck.
DiMaggio, Paul J., Walter W. Powell (1983): The Iron Cage Revisited: Isomorphism and Collective Rationality in
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Keupp, Heiner; Straus, Florian; Mosser, Peter; Gmür, Wolfgang; Hackenschmied, Gerhard (2017): Schweigen –
Aufdeckung – Aufarbeitung. Sexualisierte, psychische und physische Gewalt im Benediktinerstift
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soziale Ungleichheit von Kindern in Österreich. Hermagoras Verlag, Klagenfurt.
Knapp, Gerald (Hrsg.) (2004): Soziale Arbeit und Gesellschaft. Entwicklungen und Perspektiven. Hermagoas
Verlag, Klagenfurt.
Landesgesetz über die Hilfen für Familien und Erziehungshilfen für Kinder und Jugendliche (Oö. Kinder- und
Jugendhilfegesetz 2014 - Oö. KJHG 2014).
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https://www.kinder-jugendhilfe-ooe.at/Mediendateien/dl_100jahrekjhooe_buch.pdf [27.05.2021].
Hansbauer, Peter (1999): Traditionsbrüche in der Heimerziehung. Forschung & Praxis in der Sozialen Arbeit.
Band 1. Votum Verlag, Münster.
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Oberhauser, Helmut (2011) : Die blaue Decke: Hinrichtung einer Kinderseele. novum pro, Neckenmarkt.
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Geschichte der Jugendfürsorge und Heimerziehung in Tirol und Vorarlberg Innsbruck, Wien Bozen: Studien
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Reisinger, Hermine (2011): Tote Kinderseele. Mein Weg zurück ins Leben. Wieser Verlag, Stuttgart.
Scheipl, Josef (1993): Die gehobene Bedeutung der freien Träger im Jugendwohlfahrtsgesetz von 1989 und in
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Schreiber, Horst (2010): Im Namen der Ordnung. Heimerziehung in Tirol. Innsbruck/Wien/Bozen.
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Sieder, Reinhard & Smioski, Andrea (2012): Der Kindheit beraubt. Gewalt in den Erziehungsheimen der Stadt
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Stangl, Franz Josef (2010): Der Klosterzögling. Die Jugend des Bastards. Verlag Bibliothek der Provinz, Weitra.
Wooten, Melissa & Hoffman, Andrew John (2016): Organizational Fields Past, Present and Future. In:
Greenwood, Royston; Oliver, Christine, Sahlin, Kerstin & Suddaby, Roy (Hrsg.): The SAGE Handbook of
Organizational Institutionalism (London: Sage Publications): 130-148.
Zietsma, Charlene; Groenewegen, Peter; Logue, Danielle M. & Hinings, C. R. (Bob) (2017): Field or Fields?
Building the Scaffolding for Cumulation of Research on Institutional Fields. ANNALS, 11, 391–450.
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