Andreas Hensen
„Auf der Strafte ins Jenseits".
Eine Heidelberger Ausstellung als Beitrag
zum Romerjahr
Begeistert wurde die Idee eines ,Annus Romanorum auch in Heidelberg aufge-
griffen. Museum und Stadtverwaltung, das Archaologische Institut der Universi-
tat sowie Vereine, Firmen und Privatpersonen wirkten an einem vielseitigen Programm mit. Ausstellungen, Fiihrungen, Vortrage und Wanderungen waren der
rdmischen Epoche gewidmet und befassten sich nicht zuletzt mit deren Spuren
,vor der Hausturek
Der wichtigste Beitrag zum Heidelberger Romerjahr war eine Sonderausstellung
des Kurpfalzischen Museums unter dem Titel ,Stral?e ins Jenseits. Die Schau prasentierte wahrend der Sommermonate eine gezielte Auswahl von Funden aus den
kaiserzeitlichen Bestattungsplatzen des Stadtgebietes. Der Schwerpunkt lag dabei
auf den Grabbeigaben der grofien Nekropole von Neuenheim, welche derzeit im
Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geforderten Piojektes
wissenschaftlich bearbeitet wird (s. Arch. Nachr. 66, 2002, 3-13). So wurde die
Initiative des Landes zum Anlass genommen, in einer Ausstellung einen Zwi-
schenstand der Forschungen zu prasentieren und eine Auswahl besonderer Stiicke
zu zeigen, die z.T. erst kurz zuvor die Restauratorenwerkstatt verlassen batten.
Erster Raum
Die Sonderausstellung erstreckte sich auf zwei unterschiedlich gestaltete Sale. In
einem ersten, hell illuminierten Bereich fiihrten farbig illustrierte Informationstafeln den Besucher an das Ausstellungsthema heran. Die Entwicklung des Kastellortes Heidelberg-Neuenheim wurde dabei ebenso dargestellt wie die Geschichte
der Ausgrabungen im ,Neuenheimer Feld’ sowie erste Ergebnisse der Fundauswertung.
Da die interdisziplinare Forschung ein besonderes Merkmal dieses Projektes ist,
kamen auch Ergebnisse der anthropologischen und der zoologischen Auswertung
dutch Naturwissenschaftler des Landesamtes fur Denkmalpflege zur Sprache. Sie
zeigen die Moglichkeiten auf, Aussagen liber Alter, Geschlecht und Krankheiten
der Bestatteten zu gewinnen. Die Knochenreste der Fleischbeigaben geben Aus-
kunft uber die beim Totenmahl bevorzugten Speisen
GefaEe und Lampen aus Keramik sind Gegenstand von Tonanalysen, die von der
Arbeitsgruppe Archaometrie an der Freien Universitat Berlin durchgefiihrt werden.
Die Resultate geben Auskunft uber die Herkunft dieser Topferwaren.
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Zweiter Raum
Auf diese Weise vorbereitet gelangte der Besucher in den zweiten, in ein abendliches Licht getauchten Raum und betrat ein simuliertes Steinpflaster. Am Ende des
Raumes fand die StraEe ihre virtuelle Fortsetzung in einem Computerbild, das von
einem Beamer auf eine 20 qm groEe Wandflache projiziert wurde (Abb. 1). Beide
Elemente der Visualisierung — StraEenpflaster und Wandbild sowie auch die grofiformatigen Erlauterungstafeln — waren von dem Freiburger Archaologen Dietrich
Rothacher und seinen Mitarbeitern (Digitale Archaologie) ausgefiihrt worden.
Als Grundlage der Darstellung diente der Plan des Graberfeldes, der alle ergrabe-
nen Strukturen prazise dokumentiert. Samtliche auf dem ,Lebensbild‘ sichtbaren
oberirdischen Grabmarkierungen, d. h. all das, was der Ausstellungsbesucher in der
Rolle des zeitgendssischen Friedhofsbesuchers sieht, ist mehr oder minder frei
rekonstruiert. Beim Erstellen des Entwurfes waren wir mit der Frage konfrontiert,
wie viele der etwa 1400 Bestattungen aus dem gesamten Belegungszeitraum damals tiberhaupt noch sichtbar waren. Nun galten zwar die Graber nach romischem
Recht als die ftir alle Zeiten unantastbare Wohnung der Totengeister. Der archaologische Befund zeigt jedoch, dass manche Bestattung der Vergessenheit anheim
fiel und dutch die Anlage spaterer Graber gestort wurde. AuEerdem konnten in
den Fundamenten verschiedener Grabbauten sogen. Spolien nachgewiesen werden: Es handelt sich dabei um Grabsteine, die noch wahrend der Belegungszeit
des Friedhofes entfernt und fur BaumaEnahmen wiederverwendet wurden. Diese
verschiedenen Indizien fiihren zu der Vermutung, dass zu dem Zeitpunkt, der
dutch das Bild festgehalten werden soil, hochstens 70% der Graber in ihrer Lage
noch bekannt und sichtbar gekennzeichnet waren.
Anhaltspunkte ftir die Rekonstruktion bieten neben den Resten zertriimmerter
Grabsteine die Vergleichsbeispiele gut erhaltener Grabmonumente aus anderen
Nekropolen. So entstand eine hypothetische Ansicht des Graberfeldes aus der Per-
spektive eines Reisenden, der aus der Richtung des Civitas-Hauptortes Lopodu-
num (Ladenburg) kam. Der Betrachter befindet sich in der Mitte des Graberfel
des. Sein Blick folgt der Strasse nach Siidosten und erfasst den Rand des
Heidelberger Nordvicus. Der aus Topferofen aufsteigende Rauch markiert den
Standort des Handwerkerquartiers, der heute vom Hauptsitz der Firma Heidel
berger Cement eingenommen wird. Im Hintergrund sind auf der gegeniiberliegenden Neckarseite die Auslaufer des Kleinen Odenwaldes zu sehen.
Beiderseits der StraEe liegen unterschiedlich gestaltete Graber. Links erkennt man
eine Mauer, die den Bestattungsplatz einer Familie oder eines Vereins, wie etwa
einer Berufsgenossenschaft oder einer Kultgemeinschaft einfriedet. Ein Areal auf
der gegeniiberliegenden StraEenseite wird durch eine Hecke abgegrenzt. Nicht alle,
jedoch die meisten Graber sind oberflachlich markiert. Die Kennzeichnung diirfte
oft lediglich aus einem Holzstock oder Brett bestanden haben. Wohlhabendere
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Familien leisteten sich steinerne Stelen mit Inschrift und Bildnis oder gar monu
mentale Bauten. Das grofite Beispiel eines architektonisch gestalteten Grabes ist
rechts im Hintergrund auszumachen. An dieser Stelle wurde nahe dem Siedlungsrand ein etwa quadratischer Fundamentgrundriss mit Seitenlangen zwischen
5,5 und 6 m freigelegt; in der Umgebung entdeckte man Triimmer von Architekturteilen. Die Rekonstruktion eines turmartigen Bauwerks mit farbiger Bemalung erfolgte in Anlehnung an gut erhaltene Beispiele, wie sie vor allem aus dem
Rheinland, dem Moselgebiet und aus Oberitalien bekannt sind.
Nach Betrachten des Bildes wandte sich der Ausstellungsbesucher meist den Exponaten zu, die entlang der rechten Seite der ,Stral?e’ aufgestellt waren. Hier wurde
eine Auswahl ganz unterschiedlich ausgestatteter Brandgraber prasentiert. Die Re-
stauratoren batten holzerne, mit Glasplatten abgedeckte Kasten geschaffen, in
denen kunstvoll gestaltete Grabgruben zu erkennen waren. Sie enthielten die Bei-
Abb. 1 Das Neuenheimer Graberfeld gegen Ende der Belegungszeit (um 190 n. Chr).
fusion aus der Perspektive eines von Ladenburg nach Heidelberg Reisenden.
gaben in originaler Fundlage. Ein aus frisch geschlagenem Buchenholz aufge-
schichteter Scheiterhaufen, auf dem ein hblzernes Totenbett sowie Repliken tbnerner und glaserner Gefafie als Beigaben platziert worden waren, gab einen Eindruck
vom materiellen Aufwand, der mit der Durchfiihrung einer Einascherung verbunden war.
Endang der linken Seite der ,Strafie‘ passierte der Ausstellungsbesucher Vitrinen,
die eine Auswahl aussagefahiger Beigabenensembles vorstellten. Diese gaben,
unterstiitzt durch Informationstafeln, jeweils Auskunft zu bestimmten Themen
der Graberfeldforschung. Dabei ging es etwa um die Frage, welche Merkmale der
Grabausstattung auf eine forrgeschrittene Romanisierung schliefien lassen und
welche Elemente im Gegenzug auf einheimische Traditionen verweisen. Welche
Beigaben sind fiir Frauen, Manner und Kinder typisch? Weshalb kommen in manchen Grabern Miinzen vor? Auch die Grabinventare einer j ungen Arztin sowie
einer wohlhabenden Dame wurden erstmals vollstandig prasentiert.
Abb. 2 Das Kbpfchen der verbrannten Tonpuppe aus einem
Kindergrab zeigt die typischen
Merkmale des Liebesgottes
Amor.
Das Spielzeug eines Kindes
Aus der Vielzahl der Exponate soil nur ein Fundstiick herausgegriffen und naher
betrachtet werden. Bei der Untersuchung eines Brandgrabes im Neuenheimer Gra-
berfeld war der Archaologe Berndmark Heukemes im Jahre 1965 auf ein Konglomerat von Erde und diinnen Blechfragmenten gestofien, aus dem ein tonernes
Objekt hervorragte.
Knapp vierzig Jahre sparer losten die Restauratoren des Museums aus dem faust-
grofien Erdklumpen Fragmente einer vollplastischen Figur heraus. Es handelt sich
dabei um ein vollstandig erhaltenes Kbpfchen und mehrere anpassende Fragmente
der beiden Arme aus feinem, weilJem Ton mit grauen Brandflecken. Alle Details
sind sorgfaltig herausgearbeitet, die geglatteten Oberflachen erinnern an Elfen-
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bein. Das 4,2 cm hohe Kopfchen ist am Halsansatz abgebrochen. Es ist innen hohl
und aus einer zweiteiligen Form erstellt, deren Nahtstelle deutlich sichtbar ist. Die
Pausbacken und das voile Kinn verleihen dem Gesicht kindliche Ziige. Auf der
Stirn ist das Haar gescheitelt, und dariiber sitzt ein Schopf, um den ein Band oder
ein Zopf geschlungen ist. Seitlich rahmen dicke Locken das Antlitz; auf dem Hin-
terkopf fallt das Haar in ungeordneten Strahnen herab. Beide Arme sind ange-
winkelt und weisen nach vorne, die Hande fehlen. Die Gestaltung legt nahe, dass
es sich um Teile einer Puppe handelt, deren urspriingliche Hohe etwa 18 cm be
trug. Die Art, in der die Gliedmafien am Rumpf befestigt waren, ist aufgrund des
Fehlens der Schulterpartien nicht sicher zu bestimmen. Oft waren die Oberarme
durchlocht und mit Faden oder Metallstiften beweglich an den Schulteransatzen
des Rumpfes befestigt.
Physiognomic und Haartracht des Kopfchens zeigen die Merkmale des knabenhaften Liebesgottes Amor, der oft als Begleiter seiner Mutter Venus gezeigt wird.
Die anthropologische Analyse der Knochenreste aus dem Heidelberger Grab kam
zu dem Ergebnis, dass es sich bei der bestatteten Person um ein vier- bis sechsjahriges Kind handelt. Die Eltern hatten auf dem Scheiterhaufen nicht nur das
Lieblingsspielzeug platziert, sondern auch eine grobe Anzahl iiblicher Beigaben,
darunter Ollampen, Weihrauchkelche, Glasflaschchen, ein beinernes Doschen, ein
bronzegefafi sowie eine Holzschatulle mit Bronzebeschlagen und einem Griff in
Vogelgestalt. Die Beigaben datieren in die erste Halfte des 2. Jahrhunderts und
geben somit einen Anhaltspunkt fur den Zeitpunkt der Bestattung.
Es ist ein Gliicksfall, dass das Feuer die Figur nicht vollig zerstorte, denn von romi
schen Gliederpuppen sind nur wenige Exemplare erhalten. Schon im 6. Jh. v. Chr.
spielten im Mittelmeerraum Kinder mit Gliederpuppen. Diese wurden vom PupPenbildner ‘koroplastes’ (griech. kore: Madchen oder Puppe; plasso: ich forme) anfangs aus Ton geformt, bald schnitzte man sie auch aus Holz, Knochen und Elfenbein oder fertigte sie aus Wachs und Edelmetall. Die Romer nannten die
Puppenmacher ‘figuli’. Diese machten ihr groEtes Geschaft beim Fest der Sigilla-
ria am 20. und 21. Dezember, das sich an die ‘Saturnalia’, den romischen Karneval,
anschloss (Macrobius: Saturnalia 1, 11,1). In dieser Zeit war es Brauch, dass Eltern
den Kindern, aber auch Erwachsene untereinander tonerne Puppen (sigilla) zum
Geschenk machten. Puppen in Gottergestalt erfiillten nebenbei einen erzieheri-
schen Zweck, indem sie das Kind spielerisch mit religidsen Themen vertraut machten. Gleichzeitig hatte die Gotterfigur die Wirkung eines schiitzenden Amuletts.
Die romischen Bestattungsriten waren mit der Beigabe personlicher Gegenstande
aufierst zuriickhaltend. Aus dem Gebiet des Imperium Romanum war der Brauch
der Puppenbeigabe bislang nur dutch sieben Beispiele belegt: Sie stammen aus Itaben sowie den gallischen und spanischen Provinzen und datieren in einen Zeit-
taum von Mitte des 2. bis Anfang des 5- Jahrhunderts. Diese Puppen sind aus
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Elfenbein gefertigt und bilden erwachsene Frauen ab. Ausstattung und Lage dieser
Graber lassen jeweils auf einen gehobenen sozialen Status der Familien schliefien.
Welche Bedeutung hat das Vorkommen einer Puppe im Grab eines Kindes? Wie
so viele Dinge hatten die Romer auch diesen Branch von den Griechen iibernommen. In griechischen Kindergrabern und Tempeln sind Puppen haufiger vertreten, und Grabrehefs bilden gelegentlich Madchen mit ihrer Puppe ab. In beiden Kulturen opferte eine Braut ihr Lieblingsspielzeug als Symbol der Kindheit im
Tempel der Venus/ Aphrodite oder Diana/Artemis. Da romische Madchen bereits
im Alter von zwblf Jahren als heiratsfahig galten, konnte es vorkommen, dass die
Braut noch kurz vor der Hochzeit mit ihrer Puppe spielte. Als Grabbeigabe ist die
Puppe demnach Symbol der Kindlichkeit, Keuschheit und Ehelosigkeit eines
Menschen, der zu frith („ante suum diem“) aus dem Leben scheiden musste. Der
tbnerne Amor aus dem Heidelberger Kindergrab spiegelt demnach die Ubernahme
romisch-italischer Jenseitsvorstellungen dutch die Provinzbevolkerung wider.
Allen, die keine Gelegenheit hatten, die Heidelberger Schau zu besuchen, ist der
reich illustrierte Begleitband zu empfehlen. Im iibrigen wurde eine stattliche Anzahl von Heidelberger Funden in der Landesausstellung ,Imperium Romanuni in
Stuttgart gezeigt, nicht wenige davon aus der Nekropole von Neuenheim.
Literatur
M. Andres, Die Antikensammlung. Griechische, Romische, Altorientalische Puppen und Verwandtes. Katalog des Hessischen Puppenmuseums Hanau-Wilhelmsbad (Hanau 2000). - M. Fitta,
Spiele und Spielzeug in der Antike (Stuttgart 1998). - A. Hensen/R. Ludwig, Strafie ins Jenseits. Die romischen Graberfelder von Heidelberg. Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung im Kurpfalzischen Museum Heidelberg (Remshalden 2005). - A. Hensen/J. Wahl/E. Stephan/C.
Berszin, Eine romische Arztin aus Heidelberg. In memoriam Jochen G. Garbsch. Archaologisch.es
Korrespondenzblatt 1/2004, 81-100 - A. Hensen, Die Medica von Heidelberg. Abenteuer Archaologie 4/2004, 76-79. - B. Heukemes, Heidelberg. In: Ph. Filtzinger, D. Planck, B. Cammerer
(Hrsg.), Die Romer in Baden-Wiirttemberg (Stuttgart 3. Aufl. 1986) S. 310-319
Hinweis der Redaktion
Ein gutes Vergleichsstiick zum Neuenheimer Amor (wenn auch viel kleiner und aus Bronze gegossen)
wurde 1996 in Heitersheim siidlich von Freiburg gefunden und von H. Hiller in den Archaologischen Nachrichten aus Baden 57, 1997, 17-20 veroffentlicht.
Bildnachweis
1 Kurpfalzisches Museum Heidelberg. D. Rothacher (Digitale Archaologie Freiburg) p 2 Kurpfalzisches Museum Heidelberg (E. Kemmet).
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