Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[N. N.]: Alexander von Humboldts Vorlesungen über phÿsikalische Geographie nebst Prolegomenen über die Stellung der Gestirne. Berlin im Winter von 1827 bis 1828. [Berlin], [1827/28]. [= Nachschrift der ‚Kosmos-Vorträge‛ Alexander von Humboldts in der Berliner Universität, 3.11.1827–26.4.1828.]

Bild:
<< vorherige Seite

der cultivirten Völker zurückzukehren zu dem sogenannten
Unschuldszustande, die wir schon in Tacitus Germania
ausgesprochen sehen, diese Neigung wahrscheinlich hat An-
laß gegeben von einer solchen Unschuldsweisheit der Ur-
völker zu reden. Eine natürliche Astronomie, die wir
bei so vielen alten Völkern finden ist nicht wunderbar,
warum will man denn glauben, daß die Abtheilung der
Jahre etc: von einer Nation zur andern hätte kommen müssen;
es gehört zu ihrer Erlangung nur einige Aufmerksamkeit.
Die Naturweisheit der Urvölker, die durch nichts Geschicht-
liches bewiesen wird, gehört in eine Sphäre des Glau-
bens, die diesen Vorlesungen fremd bleiben muß.
Von Norden her wollen alle Völker ihre Kenntniße erlangt
haben, so z. E. die Indier deren Braminen aus dem Himalaja
sollen gekommen sein, die Chaldäer, die Griechen, die
Mexikaner und Peruaner. Daraus wird folgen, daß
mehr Kenntnisse von den nordischen Völkern nach dem
Süden wanderten als umgekehrt.

Das Resultat aller dieser Betrachtungen ist: daß
wir an rohen Völkern ein Gefühl von der Einheit der Na-
tur finden, aber Kenntniße des Einzelnen vermissen.
(So ist die schönste Blüthe der Poesie, das Epos, die frühste
gewesen.) Wenn es uns als ausgemacht erscheint, daß
es kein Urvolk gebe, so können wir auch nicht mit Ge-
wißheit unterscheiden bei welchem Volke sich die ersten
Spuren der Naturkenntniß vorfinden. Babel, Meroe,
Indien und andere Orte werden als solche Ursitze der

der cultivirten Völker zurückzukehren zu dem sogenannten
Unschuldszustande, die wir schon in Tacitus Germania
ausgesprochen sehen, diese Neigung wahrscheinlich hat An-
laß gegeben von einer solchen Unschuldsweisheit der Ur-
völker zu reden. Eine natürliche Astronomie, die wir
bei so vielen alten Völkern finden ist nicht wunderbar,
warum will man denn glauben, daß die Abtheilung der
Jahre etc: von einer Nation zur andern hätte kom̃en müssen;
es gehört zu ihrer Erlangung nur einige Aufmerksamkeit.
Die Naturweisheit der Urvölker, die durch nichts Geschicht-
liches bewiesen wird, gehört in eine Sphäre des Glau-
bens, die diesen Vorlesungen fremd bleiben muß.
Von Norden her wollen alle Völker ihre Kenntniße erlangt
haben, so z. E. die Indier deren Braminen aus dem Himalaja
sollen gekommen sein, die Chaldäer, die Griechen, die
Mexikaner und Peruaner. Daraus wird folgen, daß
mehr Kenntnisse von den nordischen Völkern nach dem
Süden wanderten als umgekehrt.

Das Resultat aller dieser Betrachtungen ist: daß
wir an rohen Völkern ein Gefühl von der Einheit der Na-
tur finden, aber Kenntniße des Einzelnen vermissen.
(So ist die schönste Blüthe der Poesie, das Epos, die frühste
gewesen.) Wenn es uns als ausgemacht erscheint, daß
es kein Urvolk gebe, so können wir auch nicht mit Ge-
wißheit unterscheiden bei welchem Volke sich die ersten
Spuren der Naturkenntniß vorfinden. Babel, Meroe,
Indien und andere Orte werden als solche Ursitze der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="session" n="5">
        <div n="1">
          <div n="2">
            <p><pb facs="#f0027" n="[21]"/>
der cultivirten Völker zurückzukehren zu dem sogenannten<lb/>
Unschuldszustande, die wir schon in <hi rendition="#aq"><persName ref="http://www.deutschestextarchiv.de/kosmos/person#gnd-118620452 http://d-nb.info/gnd/118620452">Tacitus</persName> Germania</hi><lb/>
ausgesprochen sehen, diese Neigung wahrscheinlich hat An-<lb/>
laß gegeben von einer solchen Unschuldsweisheit der Ur-<lb/>
völker zu reden. Eine natürliche Astronomie, die wir<lb/>
bei so vielen alten Völkern finden ist nicht wunderbar,<lb/>
warum will man denn glauben, daß die Abtheilung der<lb/>
Jahre <hi rendition="#aq">etc</hi>: von einer Nation zur andern hätte kom&#x0303;en müssen;<lb/>
es gehört zu ihrer Erlangung nur einige Aufmerksamkeit.<lb/>
Die Naturweisheit der Urvölker, die durch nichts Geschicht-<lb/>
liches bewiesen wird, gehört in eine Sphäre des Glau-<lb/>
bens, die diesen Vorlesungen fremd bleiben muß.<lb/>
Von Norden her wollen alle Völker ihre Kenntniße erlangt<lb/>
haben, so z. E. die Indier deren Braminen aus dem Himalaja<lb/>
sollen gekommen sein, die Chaldäer, die Griechen, die<lb/>
Mexikaner und Peruaner. Daraus wird folgen, daß<lb/>
mehr Kenntnisse von den nordischen Völkern nach dem<lb/>
Süden wanderten als umgekehrt.</p><lb/>
            <p>Das Resultat aller dieser Betrachtungen ist: daß<lb/>
wir an rohen Völkern ein Gefühl von der Einheit der Na-<lb/>
tur finden, aber Kenntniße des Einzelnen vermissen.<lb/>
(So ist die schönste Blüthe der Poesie, das Epos, die frühste<lb/>
gewesen.) Wenn es uns als ausgemacht erscheint, daß<lb/>
es kein Urvolk gebe, so können wir auch nicht mit Ge-<lb/>
wißheit unterscheiden bei welchem Volke sich die ersten<lb/>
Spuren der Naturkenntniß vorfinden. <hi rendition="#aq">Babel</hi>, <hi rendition="#aq">Meroe</hi><choice><sic/><corr resp="#BF">,</corr></choice><lb/><hi rendition="#aq">Indien</hi> und andere Orte werden als solche Ursitze der<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[21]/0027] der cultivirten Völker zurückzukehren zu dem sogenannten Unschuldszustande, die wir schon in Tacitus Germania ausgesprochen sehen, diese Neigung wahrscheinlich hat An- laß gegeben von einer solchen Unschuldsweisheit der Ur- völker zu reden. Eine natürliche Astronomie, die wir bei so vielen alten Völkern finden ist nicht wunderbar, warum will man denn glauben, daß die Abtheilung der Jahre etc: von einer Nation zur andern hätte kom̃en müssen; es gehört zu ihrer Erlangung nur einige Aufmerksamkeit. Die Naturweisheit der Urvölker, die durch nichts Geschicht- liches bewiesen wird, gehört in eine Sphäre des Glau- bens, die diesen Vorlesungen fremd bleiben muß. Von Norden her wollen alle Völker ihre Kenntniße erlangt haben, so z. E. die Indier deren Braminen aus dem Himalaja sollen gekommen sein, die Chaldäer, die Griechen, die Mexikaner und Peruaner. Daraus wird folgen, daß mehr Kenntnisse von den nordischen Völkern nach dem Süden wanderten als umgekehrt. Das Resultat aller dieser Betrachtungen ist: daß wir an rohen Völkern ein Gefühl von der Einheit der Na- tur finden, aber Kenntniße des Einzelnen vermissen. (So ist die schönste Blüthe der Poesie, das Epos, die frühste gewesen.) Wenn es uns als ausgemacht erscheint, daß es kein Urvolk gebe, so können wir auch nicht mit Ge- wißheit unterscheiden bei welchem Volke sich die ersten Spuren der Naturkenntniß vorfinden. Babel, Meroe, Indien und andere Orte werden als solche Ursitze der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christian Thomas: Herausgeber
Sandra Balck, Benjamin Fiechter, Christian Thomas: Bearbeiter
Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellen der Digitalisierungsvorlage; Bilddigitalisierung

Weitere Informationen:

Dieses Werk wurde auf der Grundlage der Transkription in Anonym (Hg.): Alexander von Humboldts Vorlesungen über physikalische Geographie nebst Prolegomenen über die Stellung der Gestirne. Berlin im Winter von 1827 bis 1828. Berlin, 1934. anhand der Vorlage geprüft und korrigiert, nach XML/TEI P5 konvertiert und gemäß dem DTA-Basisformat kodiert.

Abweichungen von den DTA-Richtlinien:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Kustoden: nicht erfasst.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_msgermqu2345_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_msgermqu2345_1827/27
Zitationshilfe: [N. N.]: Alexander von Humboldts Vorlesungen über phÿsikalische Geographie nebst Prolegomenen über die Stellung der Gestirne. Berlin im Winter von 1827 bis 1828. [Berlin], [1827/28]. [= Nachschrift der ‚Kosmos-Vorträge‛ Alexander von Humboldts in der Berliner Universität, 3.11.1827–26.4.1828.], S. [21]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_msgermqu2345_1827/27>, abgerufen am 18.12.2024.