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Die Tanzmeisterin
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eBook474 Seiten5 Stunden

Die Tanzmeisterin

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Über dieses E-Book

Victoria von Sommerauer wächst in der zweiten Hälfte
des 18. Jahrhunderts bei Reichenhall auf und ist eine Freundin der Mozarts. Tanzen ist ihre absolute Leidenschaft und sie hat einen großen Traum: Sie möchte Tanzmeisterin werden.
Eine Ehe ermöglicht Victoria den gesellschaftlichen Aufstieg. Sie reist nach München, Bayreuth, Paris und Wien. Überall hört sie von Frauen, die ihre Berufung leben und von der Gesellschaft hoch geschätzt werden. Einige lernt sie persönlich kennen. Sie bestärken Victoria darin, ihren eigenen Weg zu gehen.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum2. Dez. 2024
ISBN9783769391077
Die Tanzmeisterin
Autor

Daniela Brotsack

Daniela Brotsack was born and raised in Neustadt an der Donau in Bavaria. She loves the German language and likes to play with words. The master typesetter and media marketing specialist works partly freelance as a proofreader/editor for German-language texts, helps other authors to get their books published with selfpublishing and writes stories and novels herself in her rare spare time. Daniela Brotsack is member of a historical dancing group in Salzburg. She is a person who has both feet firmly on the ground. She sees the world with critical eyes, but still has faith in the good and her dreams. One of her guiding principles is: "Life is too precious to waste it on trivialities!"

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    Buchvorschau

    Die Tanzmeisterin - Daniela Brotsack

    Vorwort

    Mit diesem Buch halten Sie einen besonderen Roman in Ihren Händen. Daniela Brotsack lässt uns mit ihrer Geschichte in die Zeit des 18. Jahrhunderts eintauchen, in der auch Wolfgang Mozart in Salzburg lebte. Dieser Roman macht Lust auf Kultur! Und nebenbei erfährt der Leser viel Interessantes aus der Geschichte dieser Zeit.

    Die Autorin Daniela Brotsack ist seit vielen Jahren Teilnehmerin meiner Tanzgruppe in Salzburg, in der wir Kontratänze der Zeit Mozarts und englische Country Dances tanzen. Inspiriert durch unsere Erlebnisse und Erfahrungen mit dem Tanz reifte bei Daniela die Idee zu diesem Roman und so habe ich als heutige Tanzmeisterin die Ehre, das Vorwort zu schreiben.

    Gemeinsam haben wir viele Feste mit Tanz und Musik erlebt und Daniela beschreibt in ihrem Roman authentisch, wie das gemeinsame Tanzen uns Menschen verbindet, glücklich macht und stärkend wirkt. Genauso erleben wir es immer wieder.

    Auch wenn das Buch „Die Tanzmeisterin" heißt, ist Tanz nicht der Hauptinhalt. Wie ich im ersten Satz schon schrieb: Sie halten ein besonderes Buch in den Händen.

    Warum? Weil dieser Roman etwas ganz Besonderes bewirken kann: Er hat das Potential, durch das Lesen eine wohltuende Atmosphäre zu verbreiten.

    Es wirkt heilsam für die Seele, in diesem Roman zu erleben, wie sich im Kreis um die Hauptperson und Erzählerin die Menschen wertschätzend, mit gegenseitiger Achtung und Würde begegnen. Wie in jedem Menschen, unabhängig von sozialem Stand, vor allem das Sein, der gute Wille und die Ehrlichkeit zählen. Für diese Werte setzt sich die Protagonistin mit eigenem Vorbild und genialen Ideen, die sie in die Tat umsetzt, ein und nimmt den Leser mit in ihre Welt.

    Natürlich gibt es dort nicht nur Sonnenschein und Heiteres. Die Welt, in die uns die Autorin führt, spielt alle Stücke des Lebens – von Unglück, Leid und Trauer bis Freude, Erfolg und Glücklich-Sein.

    Der Umgang mit Schicksalsschlägen und Ereignissen wird durch die Erzählerin Victoria und ihre Familie geprägt. Die Menschen helfen einander, sie hören einander zu, sind füreinander da und kommen, auf diese Weise gestärkt, gemeinsam durch Krisen. Dabei helfen auch die Kultur – im Roman besonders hervorgehoben – die Musik und der Tanz. Daniela Brotsack lässt ihre Erzählerin besondere Perlen der Musik hören oder selber musizieren und beschreibt sie in einer Weise, dass man sich am liebsten sofort jedes Stück anhören möchte.

    Und – wie könnte es anders sein – alle diese menschlichen Werte, die das Leben so lebens- und liebenswert machen und die durch diesen Roman lebendig werden, erlebe ich bei der Autorin selbst. Wo immer möglich, bereichert Daniela ihre Umwelt durch Ideen und Initiativen, um gemeinsam Schönes und damit Stärkendes zu erleben.

    Auch ihre beiden früheren Romane sind erfüllt von diesen Werten. Der erste Roman „Mit dem Mut einer Löwin spielt im Mittelalter, der zweite „Des Falken Treue, wie eine Fortsetzung des ersten, erzählt eine Geschichte unserer heutigen Zeit.

    Ich wünsche viel Freude beim Lesen des Romans „Die Tanzmeisterin".

    Salzburg, im März 2021

    Verena Brunner,

    Tanzmeisterin von heute

    Kurz erklärt

    Liebe Leserin,

    Lieber Leser,

    irgendwann um das Jahr 2007 entdeckte ich meine Begeisterung für mittelalterliche Tänze. Kurz vor dem 1. Paris Lodron Ball der Universität Salzburg in den Räumen der fürsterzbischöflichen Residenz 2012 habe ich dann auch die Tänze aus der Mozartzeit kennen und lieben gelernt und bin seitdem in der Salzburger Tanzgruppe von Verena Brunner mit Mitgliedern aus sieben Jahrzehnten, die mit viel Spaß und Freude historische Tänze probt.

    In früheren Jahrhunderten tanzten alle bis zum höchsten Fürsten. Heutzutage wird Tanz oft als unmännlich angesehen. Dabei gilt ein guter Tänzer bei vielen Frauen immer noch als besonders attraktiv. Um der verbreiteten Tanzfaulheit etwas entgegenzusetzen, wollte ich über diese herrliche Art der Bewegung schreiben, um andere zu begeistern.

    Nach den ersten etwa vierzig Seiten meines Manuskripts stockte mein Schreibfluss. Als ich wieder weiterarbeitete, entwickelten einige meiner Protagonisten ein Eigenleben. Sie wollten so gar nicht das Leben akzeptieren, das ich ihnen zugedacht hatte und ließen mich nicht in Ruhe, bis ich alles umgeschrieben hatte. Was allerdings auch hieß, dass der zeitliche Rahmen meiner Erzählung sich ändern musste.

    Da eine Frau im 18. Jh. so eine Profession wie Tanzmeister nur schwerlich auf sich allein gestellt ausfüllen konnte, sah ich mich gezwungen, meiner Protagonistin einen Bruder an die Seite zu stellen, der die Begeisterung für den Tanz mit ihr teilt.

    Obwohl ich auf keinen Fall einen Liebesroman schreiben wollte (zum wiederholten Mal), sah ich das Problem, dass eine ledige Frau zu der Zeit in den Augen der Gesellschaft nichts galt, weshalb meine Tanzmeisterin nicht unverheiratet bleiben durfte – und dadurch auch die Liebe mit dabei ist.

    Ich hoffe, ich habe den Spagat zwischen historischen Fakten und einer gut lesbaren Geschichte mit sympathischen Menschen soweit geschafft, um meine Leserinnen und Leser auch für jene Frauen zu faszinieren, die gegen alle Widerstände in früherer Zeit ihren Weg gingen und durchaus erfolgreich waren.

    Trotz der zahlreichen historisch belegten Personen und Fakten weise ich darauf hin, dass meine Geschichte ein Roman ist, in dem es auch viele fiktive Dialoge und Szenen gibt. Ich hatte nicht den Anspruch, jedes Detail historisch korrekt wiederzugeben und habe mir die Freiheit genommen, meine Protagonisten auch gegen manche damals herrschenden Konventionen agieren zu lassen. Denn: wer weiß schon, ob es nicht auch zu der beschriebenen Zeit Menschen und Ideen gab, die den von mir erdachten ähnelten?

    Noch ein Wort zum Cover: Zu der beschriebenen Zeit waren Fächer ein sehr verbreitetes Accessoire. Dadurch, dass die Damen Korsetts und oft unzählige Lagen von Stoff trugen, war ein Fächer wenigstens eine kleine Hilfe, um in stickiger Luft einer Ohnmacht vorzubeugen. Ich dachte mir, der ganz persönliche Fächer einer Tanzmeisterin könnte die Insignien ihrer Kunst zusammen mit einigen Zeichnungen von Tanzfiguren zeigen. Manche Tanzmeister propagierten als Voraussetzung für ihre Profession die Beherrschung folgender Fähigkeiten: Tanzen, reiten, fechten und Pochette (Taschengeige) spielen.

    Den Freunden meiner Protagonistin Victoria habe ich Namen von zu der Zeit längst ausgestorbenen Adelsgeschlechtern aus Bayern gegeben.

    Ich wünsche viel Vergnügen mit der Tanzmeisterin und ihren Abenteuern!

    Deine

    Daniela Brotsack

    „Ein jeder will gern ein verständiges Weib haben,

    aber die Mittel des Verstandes will man ihnen

    nicht zulassen."

    Dorothea Christiane Erxleben,

    Ärztin und Pionierin des Frauenstudiums

    (1715–1762)

    Januar 1774

    Es war kalt und wir hatten eine respektable Menge Schnee. Von Erzbischof Colloredo kam eine Einladung zu einer Schlittade vom Domplatz hinaus zum Schloss Hellbrunn mit anschließendem Maskenball in der Residenz ins Haus geflattert. Das dafür festgesetzte Datum war der nächste Vollmond am 27. des Monats, einem Freitag. Mamma sollte im Schloss Hellbrunn die Gäste des Fürsten bei einem kleinen Empfang mit ihrer Musik unterhalten. Aus diesem Grund bekam unsere Familie das besondere Privileg, auch zur Schlittade selbst eingeladen zu werden und niemand, der sich auf den Beinen halten konnte, würde so eine Einladung ausschlagen.

    Pappa sprach das Thema am Abend an: „Wir haben zwei Schlitten und auch die dafür trainierten Pferde, die tauglich für so eine Ausfahrt sind. Das heißt, es ist Platz für jeden von uns. Den Schlitten mit eurer Mamma werde selbstverständlich ich selbst lenken. Den zweiten mit Victoria wirst du lenken, Christoph."

    Nun übernahm Mamma das Wort. „Gleichzeitig mit der Einladung des Fürsten kam übrigens eine weitere Einladung von eurem Onkel Josef und Tante Maria, in der sie uns anbieten, die Tage um die Schlittade bei ihnen in Salzburg zu nächtigen. Durch den Sekretär des Fürsten wissen sie natürlich, dass wir dabei sein werden. Ist das nicht wunderbar?"

    Pappa nickte zustimmend. „Dein Bruder Josef und seine Frau Maria sind liebe Menschen, die ich gerne wieder sehen möchte.

    Ich freue mich schon sehr auf diesen Abend. Bitte versprecht mir, euch so vorzubereiten, dass mir keiner müde und unaufmerksam wird. Das könnte mit den Schlitten besonders in der Dunkelheit gefährlich werden. Ach ja, und damit meine Kinder beide ihren Spaß haben, werden wir auf dem Weg in die Stadt die Paare mischen. Christoph, du begleitest deine Mamma und ich werde mich in die fähigen Hände meiner Tochter begeben und ihr die Zügel überlassen."

    Ich umarmte meinen klugen Pappa mit dem weichen Herzen. Er würde seine Entscheidung nicht bereuen.

    Christoph und ich kümmerten uns um die Vorbereitungen in Stall und Remise. Zuerst inspizierten wir nochmals die Schlitten. Einer sah aus wie ein Wolf und der andere wie ein angriffslustiger Adler. Beide waren in gutem Zustand und mussten nur etwas gesäubert werden. Hier und dort erneuerten wir noch die Farbe.

    Es waren zwei wirklich komfortable Schlitten, die von Pappas Eltern stammten. Beide hatten unter dem Sitz einen Raum, in dem man einen heißen Ziegelstein verstauen konnte, damit es die sitzende Person schön warm am Allerwertesten hatte. Und beide hatten an den Kufen, wo der Kutscher stand, ein aufgeschraubtes Gestell, das etwa kniehoch war und unten nach hinten gebogen war. Darauf stand der Pferdelenker und es schützte ihn und seine Beine vor Schnee und Nässe von vorne, was eine große Erleichterung bedeutete und kein Standard war. Zudem hatten beide Gefährte jeweils eine Laterne vorne mittig, die den Weg direkt vor dem Pferd bescheinen sollte, sowie Halterungen für Fackeln.

    Für die Sitze waren aus Bärenfellen genähte Sitzsäcke vorhanden. Pelz innen und Leder außen. Damit waren Beine und Unterleib des Sitzenden geschützt vor Wind und Wetter.

    Mamma und ich hatten unglaublich Spaß an den weiteren Vorbereitungen. Wir freuten uns wie die Kinder auf diese Ausfahrt und packten für zwei Tage und Nächte Kleidung ein, dachten aber auch an genügend Fackeln für die Schlitten.

    Wenige Tage später machten wir uns am Vortag des Spektakels bei leicht bedecktem Himmel mit beiden Schlitten in Richtung Salzburg auf.

    Ich hatte eine Winterhose und dicke Stiefel an und darüber einen einfachen Rock, den ich links und rechts nach oben knöpfen konnte. Als oberste Schicht einen langen Mantel. Wenn ich hinter dem Schlitten stand, konnte man nichts sehen, was Anstoß erregen könnte.

    Auf einer langen Geraden ließen wir den Pferden freien Lauf und sie jagten dahin, dass es eine Freude war. Die Schellen an den Schlitten und den Geschirren der Pferde begleiteten jede Bewegung und alle vor uns hörten uns kommen und machten uns mit Hallo Platz.

    Als sich Pappa zwischendurch zu mir umdrehte, sah er sehr glücklich aus. So fröhlich hatte ich ihn schon länger nicht mehr erlebt. Ich hatte in der letzten Zeit immer das Gefühl, etwas würde ihn bedrücken. Aber er sprach nicht darüber.

    Zwischendurch hörte ich hin und wieder ein „Juhu" Mammas oder das laute Schnalzen der Peitsche meines Bruders, was sein Pferd noch mehr anspornte. Es bedurfte der Aufforderung allerdings nicht sonderlich, denn unsere Tiere preschten aus reiner Lebensfreude vorwärts und keines schenkte dem anderen etwas.

    Als wir bei Onkel Josef und Tante Maria mitten in der Stadt direkt am Ufer der Salzach ankamen, zwischen der Wohnung der Mozarts und der Residenz, waren die Pferde wieder einigermaßen trocken und wir freuten uns auf einen warmen Raum. Der Bursche meines Onkels würde sich mit einem weiteren Bediensteten um unsere Pferde und die Schlitten kümmern. Ein Mietstall, der auch Boxen vermietete, war gleich um die Ecke und da die Schlitten nicht groß waren, würde sich bei unseren Verwandten dafür ein geeigneter Unterstellplatz finden.

    „Willkommen, ihr Lieben!" Maria umarmte jeden von uns mit einer Herzlichkeit, die fast nicht zu überbieten war. Onkel Josef stand etwas linkisch daneben und bot jedem mit einem breiten Grinsen die Hand. Sein Händedruck war legendär und ich entwand ihm möglichst schnell meine Rechte, um keinen Schaden zu nehmen. Ich freute mich, beide so wohlauf zu sehen.

    „Mensch Dionys, wie freue ich mich, dich mit so fröhlichem Glanz in deinen Augen und der gesunden Gesichtsfarbe zu sehen!" Josef klopfte seinem Schwager wohlmeinend auf die Schulter.

    „Die Fahrt hierher konnte ich in vollen Zügen genießen. Ich hatte es recht gemütlich, weil mich meine Tochter bis zur Stadtgrenze kutschierte. Danke für die Einladung." Pappa war bester Laune.

    „Nun kommt endlich herein, legt ab und rasch mit euch in den warmen Salon. Wir haben heute eine kleine Abendgesellschaft mit einem leichten Abendessen unter guten Freunden. Ach ja, die Mozarts kommen auch. Also schlage ich vor, ihr ruht euch nach einer schönen heißen Tasse Mokka erst einmal aus."

    Meine Tante wechselte das Thema zum letzten Klatsch, wer sich verlobt hätte und welche Tanzveranstaltungen sie schon besucht hatten oder noch besuchen würden in dieser Faschingssaison. Auch Onkel Josef wusste über viele Neuigkeiten und Gerüchte bestens Bescheid.

    Es gab natürlich nicht nur Mokka, sondern auch exzellentes Gebäck. Unter anderem hatte die Köchin eine Linzer Torte gemacht, die mein Bruder besonders gerne aß. Ich schätze, die Köchin wollte sich mal wieder einschmeicheln, weil Christoph so schöne Komplimente zu machen weiß.

    Obwohl ich keine Müdigkeit verspürte, ging ich dennoch in das mir zur Verfügung gestellte Zimmer und legte mich hin. Nachdem ich zwei Seiten meiner Lektüre aus der Bibliothek meiner Verwandten gelesen hatte, fielen mir doch die Augen zu. Die Zofe meiner Tante weckte mich zur rechten Zeit und neckte mich dabei gleich, dass ich etwas verschlafen aussähe. Das freche junge Ding bringt mich immer zum Lachen.

    Die Abendveranstaltung sollte ganz zwanglos sein. Das heißt, ich zog selbstverständlich eine Abendrobe an, aber nicht mein bestes Ballkleid. Ich hatte als Tischherren den Wolferl Mozart. „Seid gegrüßt, edle Gräfin von Falkenstein. Du siehst wieder allerliebst aus. Bevor mir noch jemand zuvor kommt, bitte ich um den ersten Tanz."

    „Danke für das Kompliment, Amadé von und zu Mozart. Selbstverständlich tanze ich den ersten Tanz mit dir. Es ist mir eine Freude. Durch deine Reisen nach Italien und Wien und meine Reise im letzten Jahr haben wir uns ja schon so lange nicht mehr gesehen, dass ich dich fast nicht wiedererkannt hätte."

    Natürlich war dies eine Übertreibung. Meinen alten Freund hätte ich immer und überall erkannt. Aber da er mit der Wahrheit auch sehr nach seinem Gutdünken verfährt, war das schon in Ordnung. Wolferl wusste viel zu erzählen von seinen Reisen und er machte wie immer Scherze, über die ich herzlich lachen konnte.

    „Sag jetzt ja nicht, dass ich noch gewachsen bin." Er setzte sich sehr gerade hin und drückte seine Brust nach vorne, bis ich lachte.

    „Jetzt, wo du es sagst: Groß bist geworden!" Ich duckte mich von ihm weg und er knuffte mich in den Arm und lachte lauthals.

    Zwischen den Gängen wurde geschwatzt und es kamen unterschiedlichste Themen auf. Eine ältere Dame, deren Namen ich mir einfach nicht merken kann, fragte in die Runde: „Wer von den Damen hat denn eigentlich schon die Geschichte des Fräuleins von Sternheim von dieser Schriftstellerin in Koblenz, Sophie von La Roche, gelesen? Überall wird daraus zitiert."

    Ganz eifrig ergriff meine Tante das Wort. „Selbstverständlich musste ich das lesen. Wisst ihr, dass die La Roche ursprünglich aus Kaufbeuren stammt? Sie ist eine geborene Gutermann zu Gutershofen", also weitschichtig mit mir verwandt.

    „Oh, das ist ja äußerst interessant. Dann haben Sie ja auch irgendwie Familienbande mit Christoph Wieland, dem Dichter. Wie aufregend!, kam es sofort von der Dame zurück. „Der ist meines Wissens ein Cousin von der La Roche.

    Frau Mozart warf auch ihr Wissen in die Runde. „Sie sind jedenfalls beide sehr talentiert. Ich habe La Roches Sternheim und auch von Wieland ein paar Sachen gelesen. Vor allem seine Lady Johanna Gray ging mir sehr zu Herzen, obwohl ich doch durch und durch katholisch bin." Bühnenreif legte sie dabei ihre Hände über den Busen und sah nach oben. Wolfgang begann zu kichern und ich konnte mich auch nicht mehr zurückhalten. Vor allem, als sie es merkte und uns verschwörerisch zuzwinkerte, während sie die Geste noch weiter übertrieb.

    Wie schon angekündigt, wurde nach dem Essen im Tanzmeistersaal, der zur Wohnung gehörte und zusätzlich einen separaten Eingang hatte, getanzt. Es waren genügend Musiker im Raum, die es in den Fingern juckte. Darunter auch Mamma und Vater Mozart, die sich ein Duett mit unbestimmtem Ausgang mit ihren Violinen lieferten. Es war herrlich, sie beide in ihrem Element zu sehen. Leopold Mozart ist sonst ein sehr rationaler und eher ernster Mensch. Doch die Musik lässt auch ihn strahlen.

    „So, jetzt kommt eine Anglaise¹!" Meine Freundin Nannerl Mozart setzte sich ans Pianoforte und klopfte die Tasten wie ein Derwisch. Wir anderen tanzten zu den fröhlichen und manchmal fast zu schnellen Melodien mit viel Freude. Völlig erhitzt öffnete ich in einer Tanzpause kurz ein Fenster. Sofort kamen Rufe von allen Seiten, ich solle das Loch sofort wieder schließen, bevor es Tote gäbe. Warum sind nur alle immer so empfindlich? Ich muss fast vergehen vor Hitze, weil die anderen beim ersten Luftzug schon zu bibbern beginnen. So passierte mir das immer wieder.

    In den frühen Morgenstunden fiel ich hundemüde, aber glücklich ins Bett. Es war ein Abend gewesen, an dem ich mich vollkommen wohl gefühlt hatte. Allerdings war es mir viel zu heiß gewesen und ich hatte Kopfschmerzen.

    Erst am späten Vormittag stand ich leidlich ausgeschlafen wieder auf und kleidete mich an. Das Frühstück ließ ich ausfallen, da es mittags einen Imbiss geben würde. Mein erster Weg führte mich zu meinem Bruder, um gemeinsam mit ihm nach unseren Pferden zu sehen. Die beiden mussten schließlich heute besonders glänzen und auch fit für die Ausfahrt sein. Gegen ein kleines Geldgeschenk überschlugen sich die Stallburschen des Mietstalles mit Freundlichkeit und wollten sich alle besonders gut um unsere Pferde kümmern und sie herausputzen.

    Schon kurz nach Mittag wurden also die Pferde angespannt und unsere kleine Gruppe machte sich auf den Weg zum nahen Domplatz. Dort tummelten sich schon viele unterschiedliche Gefährte mit Kufen.

    „Sieh mal, Vic, dort drüben ist ein Bär."

    „Ja, und hier drüben gibt es sogar einen Drachen. Sein Grün gefällt mir. Es sieht so giftig aus."

    „Und dort noch ein düsterer Lindwurm. Welch Unterschied zum strahlend-goldschimmernden Drachen!"

    Mamma rief herüber und lenkte unsere Aufmerksamkeit auf einen Schlitten mit einem schön geschnitzten Wolf.

    Wir bestaunten die unterschiedlichsten Schlitten, die teilweise richtige Schnitzkunstwerke waren. Andere Verzierungen schienen mir eher kunstvoll aus Pappmaché gefertigt. Zusammen mit den jeweils herrlich glänzenden Pferden und den elegant in Pelze gekleideten Menschen war es eine wahre Augenweide. Unzählige Schellen ließen ihren feinen Klang erklingen, man hörte scherzende Rufe, Pferdegewieher und Hundegebell. Eine freudig aufgeregte Stimmung herrschte auf dem Platz. Von allen Ecken und Straßen kamen Menschen herbei, die sehen wollten, was hier alles vor sich ging.

    Und dann kam der Schlitten mit dem Erzbischof aus dem Hof der Residenz neben dem Dom.

    Ihn zierte ein weißer Hirsch mit einem Kreuz zwischen dem Geweih². Also das Tier aus der Legende des Hl. Hubertus.

    Sein Kutscher, ein hoch gewachsener Mann, fuhr an die Spitze des Zuges und los ging es erst einmal im Trab zur Stadt hinaus. Draußen, auf dem freien Feld, wurde das Tempo dann kurzzeitig ein wenig erhöht und ich fühlte mich wundervoll, weil ich ein Teil dieses Spektakels sein durfte.

    Der bunte Zug bewegte sich, anfangs noch von vielen Schaulustigen begleitet, in einer größeren Schleife über die verschneiten Felder gen Hellbrunn. Offensichtlich war der Weg schon vorgespurt worden. Vermutlich, um die Sicherheit zu gewährleisten, da man bei dem Schnee Löcher und kleine Gräben nicht sieht. Ich erspähte außerdem eine Menge Tierspuren.

    Durch den Schnee war die Natur zwar auch in der Stadt vordergründig still geworden, aber dort gab es trotzdem immerwährend Geräusche durch Handwerker, Rufe, Pferdekutschen und vieles mehr.

    Hier hörte ich nur das feine Klingeln der Glöckchen, das Schnauben der Pferde und das fröhliche Lachen der Menschen. Mein Herz ging auf und ich fühlte mich richtig glücklich.

    Als wir am Schloss ankamen, war es noch hell und es sah alles aus wie aus einem Märchen. Es waren eigens viele Diener abgestellt worden, welche die Pferde zu versorgen hatten. Die Gäste der Schlittade waren eingeladen, im Carabinierisaal des Schlosses einen kleinen Empfang zu besuchen. Es wurden Champagner und Kleinigkeiten gereicht. Dann spielte Mamma gemeinsam mit ein paar exzellenten Musikern ein Kammerkonzert von etwa einer Dreiviertelstunde. Es war traumhaft.

    Ich hatte während der Darbietung einen Platz neben einem Fenster. Alles um das Schloss herum sah spektakulär aus, als die Sonne langsam hinter den Bergen verschwand. Und kurz darauf schien der Himmel zu glühen. Es war ein herrliches Abendrot, das ich beobachten durfte und welches besonders mit der schönen Musik unglaublich wirkungsvoll war.

    Wieder draußen, wurden die mitgebrachten Fackeln angezündet. Natürlich gab es wieder Gäste, die keine Vorkehrungen in dieser Richtung getroffen hatten und die auf die Bereitstellung von Fackeln für ihr Gefährt durch die Dienerschaft des Erzbischofs angewiesen waren. Na, vielleicht hatten sie auch damit gerechnet und sparten sich dadurch etwas. Doch wir hatten für alles vorgesorgt und so war der Pferdebursche auch nicht gezwungen, uns weitere Dienste zu leisten.

    Ich wollte mich schon in den Ledersack auf dem Adlerschlitten kuscheln, als Pappa meinen Arm hielt. „Victoria, ich weiß, dass du nachts die besseren Augen hast und dass du außerdem die bessere Schlittenlenkerin von uns beiden bist. Ich würde mich also gerne bis zur Stadtgrenze in deine geübte Hand begeben und mich als Passagier begnügen."

    Ich war überrascht und erfreut zugleich. So half ich meinem Vater, eine bequeme Sitzposition zu finden, raffte meine Röcke, unter denen ich bei der Kälte sowieso Hosen trug, und bereitete mich auf die Abfahrt vor. Der Diener, der unser Gespann hielt, blickte erstaunt und indigniert, als er den Wechsel bemerkte. Er war sicher der Meinung, was noch nie war, dürfe auch nicht sein. Ich schenkte ihm mein freundlichstes Lächeln und wurde belohnt damit, dass er gleich nicht mehr so grantig dreinblickte.

    Dann nahm ich ihm die Decke ab, mit der das schwitzende Pferd bedeckt gewesen war und verstaute sie am Schlitten. Daraufhin begab ich mich an meinen Platz auf den Kufen und sah herausfordernd zu meinem Bruder hinüber.

    Dieser lachte fröhlich und Mamma sah mir mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck entgegen. Nur wenige Minuten später startete die Schlittade des Erzbischofs wieder zurück zur Stadt. Der volle Mond beschien die Landschaft und hüllte alles in einen silbernen Glanz.

    „Ihr werdet sehen, dass nicht alle heil in der Stadt ankommen werden. Einige der Herren haben hier sehr tief ins Champagnerglas geblickt. Wartet ab, wir können einen Zwischenfall vorhersehen." Christoph spielte wieder mal Kassandra. Er wurde nicht enttäuscht.

    Nicht lange nach dem Aufbruch gab es auch schon den ersten Unfall. Einer der Gäste hatte sein Pferd nicht im Griff. Es brach aus und rannte genau auf einen Graben zu. Es sprang darüber und kam auch glücklich drüben an. Doch der Schlitten landete mitsamt Dame und dem machtlosen Kutscher im Graben. Dieser führte zum Glück kein Wasser, aber er war morastig und der Schlitten hatte offensichtlich Schaden genommen. Da in kürzester Zeit genug helfende Hände am Werk waren, fuhren wir weiter und genossen unser Abenteuer.

    „Seht nur, wie wunderschön die Landschaft ist!" Mamma rief uns zu und deutete begeistert auf die Silhouette der Stadt.

    Von weitem sah es aus, als glitten wir auf eine Stadt zu, die nicht von dieser Welt war. Auf der Festung, die sonst dunkel aufragt, sah man Feuer lodern und auf dem Gaisberg wurde ein Feuerwerk gezündet. Es war wie in einem angenehmen Traum!

    „Wie glücklich sind wir, ein solches Leben leben zu dürfen. Das ist nicht vielen vergönnt. Möge es immer so bleiben, dass wir uns keine großen Sorgen machen müssen!" Pappa sah auffordernd zu mir hoch und ich erhöhte das Tempo. Es war, als ob Christophs und mein Schlitten über den Schnee flögen. Ich konnte förmlich die Freude der Pferde an diesem Ausflug spüren und in dem Moment liebte ich unsere kleine Gemeinschaft noch mehr.

    Die Rückfahrt dauerte nicht so lange, da nur ein großes „S" gefahren wurde. Als wir die ersten Häuser genauer im Blick hatten, sahen wir schon die vielen Menschen. Pappa hieß Christoph und mich halten und wir wechselten nochmals die Positionen. Unkonventionell zu handeln ist eines, aber es der Öffentlichkeit zu präsentieren, ist eine andere Geschichte.

    In der Stadt war mehr Licht und Pappa fühlte sich als Kutscher wieder sicher. Außerdem hatte ich meinen Spaß gehabt und wusste, dass ich nicht weiter auf meiner Rolle bestehen durfte, um einen angenehmen weiteren Verlauf des Abends zu gewährleisten. An der Residenz kamen wir also wieder so an, wie wir nachmittags gestartet waren und niemand würde etwas zu bemäkeln haben.

    „Dionysius, lass uns schnell zu Maria und Josef fahren. Deren Burschen können sich um die Pferde kümmern und wir haben noch die Zeit, uns in Ruhe umzuziehen." Mamma hatte natürlich Recht. Von unseren Verwandten konnten wir uns auch mit einem der Sänftendienste zur Residenz bringen lassen und der Maskenball erforderte auf jeden Fall einen Kleiderwechsel.

    Für meinen Geschmack dauerte es viel zu lang, bis wir alle wieder fertig zum Aufbruch waren. Natürlich waren wir noch gut in der Zeit, aber ich werde immer zappelig, wenn so viel Zeit für unnütze Tätigkeiten vertan wird. Also saß ich schon längstens in der Bibliothek und las, als endlich das Zeichen zum Aufbruch kam.

    Wie viele andere Frauen hatte ich die 1763 publizierten Briefe der Lady Mary Wortley Montagu gelesen, die als Frau eines Botschafters in Konstantinopel war. Davon hatte ich Christoph so vorgeschwärmt, dass wir beide uns über Pappa original türkische Kleidung hatten besorgen lassen. Natürlich würden wir weder die ersten noch die originellsten Masken im türkischen Stil sein, aber vermutlich mit die stilvollsten, weil original.

    So trug Christoph ein Unterkleid mit reichem floralen Muster, eine dazu passende, typische Şalvar, also eine sogenannte Haremshose. Darüber einen prunkvollen Gürtel mit Halbedelsteinen. Das wichtigste war ein reich bestickter Kaftan aus Seide und ein dazu passender weißer Turban, wie ihn die Türken selbst tragen.

    Ich hatte auch ein Unterkleid und eine Şalvar an, die im unteren Drittel reich bestickt war. Dann eine goldbestickte, türkische Bluse und darüber wiederum einen prächtigen Entari mit Schleppe, wie das Übergewand heißt, welches in meinem Fall ab der Taille offen getragen wurde. So, wurde mir gesagt, wäre die Kleidung der Palastdamen in der Türkei.

    Beide trugen wir spitze Schuhe aus weichem Leder, die speziell zum Tanzen gemacht waren.

    Meine Haare hatte ich schon zu Beginn des Tages zu ganz dünnen Zöpfen flechten lassen, was man unter meiner Mütze nicht gesehen hatte. Dazu trug ich einen mit Federn und Edelsteinen sowie einem filigranen Schleier verzierten Hut.

    Ich hatte nicht gewusst, dass Pappa auch für sich und Mamma türkische Kleidung besorgt hatte und war überrascht, dass auch sie wie ein Sultan und seine Herzensdame aussahen.

    Kurze Zeit später betraten wir die Residenz, die mit Hilfe von vermutlich tausenden Kerzen zum Strahlen gebracht wurde. Die hohen Wände mit Stuck – ein glänzender Ort, an dem für mich zahlreiche Erinnerungen hängen.

    Es waren schon viele Gäste versammelt mit teilweise ausgefallenen Masken, die von viel Fantasie zeugen. Andere wiederum hatten sich mit ihrer Verkleidung keine große Mühe gemacht. Sie trugen nur eine Halbmaske oder ein Hütchen mit Schleier zu einer normalen Abendrobe.

    Das Orchester war schon versammelt und Mamma flüsterte Pappa gerade zu, welche der Musiker sie kannte, als sie stutzte und sich uns zuwandte. „Oje, ich habe meinen Fächer bei Maria auf der Kommode liegen lassen. Ohne den werde ich den Abend nicht überstehen!" Christoph machte eine kleine Verbeugung, wedelte ein wenig mit den Armen – und hatte plötzlich Mammas Fächer in der Hand.

    „Ich war schon neugierig, wie lange es dauern würde, bis sein Verlust bemerkt würde. Er lag bei unserem Aufbruch so alleine auf dem Möbelstück und rief mir zu ,nimm mich mit!’, dass ich gar nicht widerstehen konnte."

    „Habe ich dir schon einmal gesagt, dass ich mir keinen besseren Sohn wünschen könnte? Du bist ein wunderbar aufmerksamer Mensch. Herzlichen Dank, somit ist mein Abend gerettet." Damit schenkte sie ihm eine Kusshand und nahm ihren Fächer an sich.

    Noch hatte es angenehme Temperaturen im Raum, doch mit mehr Menschen und durch die vielen Kerzenflammen würde es in ein paar Stunden brütend heiß werden.

    Das Erklingen von Fanfaren ließ alle Ballbesucher aufmerksam werden. Natürlich wurde hier und dort noch getuschelt. Manche können halt ihren Mund einfach nicht halten. Aber es wurde merklich leiser und alle Aufmerksamkeit wendete sich dem Eingang des Saals zu. Dort erschien der Gastgeber in einer prunkvollen Robe mit einer venezianischen Maske, während das Orchester den Einzug der Königin von Saba aus dem Oratorium Salomon von Georg Friedrich Händel spielte. Was für ein Auftritt!

    Fürsterzbischof Colloredo hieß seine Gäste willkommen und bat zum Tanz.

    Gleich darauf begann das Orchester, den ersten Tanz zu spielen, den ich schon meinem Bruder versprochen hatte. Es war ein Menuett³.

    Danach tanzte ich mit meinem Onkel Josef, der es verstand, mich durch witzige Bemerkungen oder kurze Grimassen und Gesten zum Lachen zu bringen.

    Es war eine Anglaise in der langen Gasse. Wir standen im ersten Drittel und tanzten nach unten. Nach gut zwanzig Minuten waren wir am unteren Ende angekommen und tanzen wieder nach oben.

    Der Tanz hatte etwa eine Stunde gedauert und wir hatten eine Menge alter Bekannter getroffen. Mit jedem Paar, das

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