Jean Tinguely

Schweizer Maler, Bildhauer und Experimental-Künstler (1925–1991)

Jean Tinguely (auch: Jeannot; * 22. Mai 1925 in Freiburg im Üechtland; † 30. August 1991 in Bern; heimatberechtigt in La Roche, Pont-la-Ville und Basel, ab 1985 Ehrenbürger von Freiburg im Üechtland) war ein Schweizer Maler und Bildhauer des Nouveau Réalisme. Er gilt als einer der Hauptvertreter der kinetischen Kunst. Tinguely wurde vor allem durch seine beweglichen, maschinenähnlichen Skulpturen bekannt.

Jean Tinguely, 1963
Foto: Erling Mandelmann
Jean Tinguely (1925–1991) besuchte am Thiersteiner-Schulhaus von 1932 bis 1936 die Primarschule und von 1936 bis 1941 die Realschule.
Informationstafel am Thiersteiner-Schulhaus

Als einziges Kind von Charles Célestin Tinguely und Jeanne Louise Tinguely-Ruffieux wurde er am 22. Mai 1925 in Freiburg im Üechtland geboren. Die Mutter zog mit ihrem Kind im Juli 1925 von Bulle nach Basel.[1] Tinguely wuchs im Gundeldinger-Quartier auf und besuchte im Thiersteiner-Schulhaus von 1932 bis 1936 die Primarschule und von 1936 bis 1941 die Realschule.

Von 1941 bis 1944 absolvierte er eine Ausbildung zum Dekorateur und belegte Kurse an der Allgemeinen Gewerbeschule Basel. In dieser Zeit lernte er Daniel Spoerri kennen, mit dem er an einem Theaterprojekt arbeitete.

1951 heiratete Tinguely Eva Aeppli (1925–2015) nach der Geburt der gemeinsamen Tochter Miriam-Eva (* 1950) und die Familie zog im darauffolgenden Jahr nach Paris.[2] Kurz nachdem Tinguely 1955 in die Impasse Ronsin, nahe Constantin Brâncușis Atelier, gezogen war, lernte er Yves Klein und Niki de Saint Phalle kennen, die er 1971 in zweiter Ehe heiratete, obwohl er bereits seit 1968 eine Beziehung zur Fotografin Micheline Gygax (1944–1991) hatte, die anschliessend seine neue Partnerin wurde[3][4] und mit der ein 1973 geborenes Kind hatte.[2]

Mit dem Eisenplastiker Bernhard Luginbühl verband ihn eine langjährige Freundschaft. Mit ihm und weiteren Künstlern sowie mit seiner Frau Niki de Saint Phalle realisierte er diverse gemeinsame Projekte. Zur Verbreitung des Werks von Tinguely trugen wesentlich die Galeristen Iris Clert in Paris und Alexander Iolas in New York bei.

Tinguely starb 1991 im Alter von 66 Jahren im Inselspital in Bern an einer Herzkrankheit. Er ist mit seiner dritten Frau Micheline Gygax, die ebenfalls 1991 verstarb, auf dem Friedhof von Neyruz, Kanton Freiburg, in der Schweiz begraben, wo er sich bereits 1968 niedergelassen hatte. Auf dem Grab ist eine seiner beweglichen Installationen platziert.

 
Eos xk III, 1965, beim Israel Museum, Jerusalem

Die meisten von Tinguelys Skulpturen enthalten einen Elektromotor, damit sie sich bewegen und – als ein wesentliches Element seiner Kunst – auch Geräusche oder Klänge hervorbringen. Ungefähr im Jahr 1938 baute der Junge an einem Bach eine Konstruktion mit einem Dutzend unterschiedlich großer Wasserräder, die auf Blechdosen schlagende Hämmerchen in Bewegung setzten.[5] In seinem ersten Beruf setzte Tinguely Drahtfiguren als Schaufenster-Dekoration ein. Seine ersten freien Kunstwerke griffen dieses Mittel wieder auf. Erstmals 1954 setzte er diese Figuren in Bewegung. Er begann sein umfangreiches Werk mit zerbrechlichen und zittrigen Draht-Blech-Kompositionen. Die Blechteile besitzen meist eine bunte Bemalung. In seinen Maschinenplastiken griff er abstrakte Elemente von Kasimir Malewitsch, Wassily Kandinsky und Auguste Herbin auf und ging über sie hinaus, indem er „die definitive Farb-Form-Konstellation, bisher eine Selbstverständlichkeit, infrage [stellte]“.[6] 1955 erfand und baute Tinguely Zeichenautomaten, die auf Papierformaten und -bahnen maschinelle Zeichnungen anfertigen konnten. Wenn diese den Stil von Jackson Pollock oder Georges Mathieu nachahmten, „ironisiert [Tinguely] den Werkprozess und das Künstlergenie“.[6] Tinguelys bewegliche Plastiken werden vom Betrachter als höchst aktiv, anrührend, heiter und verspielt, oft als witzig und manchmal auch als melancholisch erlebt. 1960 wurde er Mitglied der Künstlervereinigung der Nouveaux Réalistes, die sich in diesem Jahr unter der Leitung von Pierre Restany gründete. Im selben Jahr begann er «Fundgegenstände» in seinen Werken zu verarbeiten.

Aufsehen erregte ebenfalls 1960 eine gigantische Maschine im Garten des Museum of Modern Art, New York, die aus Schrott zusammengesetzt in der Lage war, sich selbst zu zerstören. Diese autodestruktive Kunst stand im Kontext von Gustav Metzgers „Manifest der autodestruktiven Kunst“.

In den folgenden Jahren entwickelte er – häufig in Kollaboration mit Künstlerkollegen – große, bewegliche Maschinen. Sie werden „als kreativer Umgang mit dem Industriematerial und als zeitgemäßer künstlerischer Ausdruck des Maschinenzeitalters“ verstanden, sollen aber nach der Aussage des Künstlers auch „Kritik an der Gleichförmigkeit industrieller Vorgänge und der Produktion von unnützen Dingen“ darstellen.[6] 1969 bewarb sich Tinguely auf die Nachfolge von Harald Szeemann als Leiter der Kunsthalle Bern. Aufgrund der mehrheitlich administrativen Aufgaben der Stellung entschied sich der Vorstand jedoch, diese nicht mit einem bildenden Künstler zu besetzen.[7] 1977 begann Tinguely mit dem Entwurf von Brunnen. Er konzentrierte sich auf die Arbeit mit fließendem, spritzendem und im Winter gefrierendem Wasser. 1979 begannen Niki de Saint Phalle und Tinguely mit den Arbeiten am Tarotgarten in Garavicchio (Toskana). Ab 1981 nahm Tinguely auch tierische Materialien in seine Installationen auf. Knochen, Schädel und Hörner werden auf Motorradschrott montiert, mit dem ein Fahrer bei einem Unfall ums Leben gekommen war. So verweist Tinguely auf Vergänglichkeit und Tod. Nach der Identifizierung der Leiche Josef Mengeles 1986 entsteht das „Mengele-Totentheater“, eine mehrteilige Installation aus dem Schutt eines abgebrannten Bauernhauses. Eine für die Frankfurter Zeil vorgesehene Brunnengestaltung mit einer skelettierten Rinderherde aus Stahl in einem Wasserbassin (Totentanz) wurde wegen einer Erkrankung Tinguelys nicht mehr realisiert.[8]

In seinem Spätwerk erweiterte Tinguely seine künstlerischen Ausdrucksformen um den Faktor Licht. 1991 entstand der Luminator, eine Lichtskulptur für den Bahnhof Basel SBB, die – nach einem Umbau – im Flughafen Basel-Mülhausen (Schweizer Seite im Obergeschoss) gegenwärtig aufgestellt ist.

 
Grab von Jean Tinguely und Micheline Gygax

Er nahm mit Niki de Saint Phalle 1962 an der Ausstellung Dylaby in Amsterdam teil und war auf der documenta III in Kassel im Jahr 1964, auf der 4. documenta im Jahr 1968 sowie auf der documenta 6 (1977) als Künstler vertreten. Er genoss internationalen Ruf. 1976 erhielt er den Wilhelm-Lehmbruck-Preis der Stadt Duisburg und 1980 den Kunstpreis der Stadt Basel. 1990 fand in Moskau eine Tinguely-Ausstellung in der Tretjakow-Galerie statt.

In seinem letzten Lebensjahr schuf Tinguely die Gross-Hängeskulptur La Cascade in Charlotte (North Carolina) in den USA.

In Tinguelys Heimatstadt Basel ist seit 1996 ein Grossteil seiner Werke im nach ihm benannten Museum Tinguely ausgestellt.

Werkauswahl

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Fotogalerie Heureka am Zürichhorn

Fotogalerie Carnaval – Fasnachts-Brunnen am Theaterplatz Basel

Dokumentarfilme

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Ausstellungen

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Siehe auch

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Literatur

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Commons: Jean Tinguely – Sammlung von Bildern und Videos

Einzelnachweise

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  1. Biografie Jean Tinguely | Museum Tinguely Basel. Abgerufen am 2. Oktober 2022.
  2. a b Jean Tiguely, kurzer Lebenslauf. In: ausgefuchst.ch. 20. Januar 2019, abgerufen am 7. März 2024.
  3. Biografie. In: Museum Tinguely, abgerufen am 9. Juni 2024.
  4. Manfred Ludes schreibt zur Architektur der Kirche: Altar und Ambo sind Mittelpunkte des Kirchenraums. In: stvitus-olfen.de. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 8. Oktober 2016; abgerufen am 2. Oktober 2022.
  5. Hugh Davies: Tinguely, Jean. In: Laurence Libin (Hrsg.): The Grove Dictionary of Musical Instruments. Band 5, Oxford University Press, Oxford/New York 2014, S. 21
  6. a b c Rudolf Suter: Stillstand gibt es nicht. In: Neue Zürcher Zeitung. 16. Februar 2013.
  7. Archiv Kunsthalle Bern. Personalakte Harald Szeemann
  8. Karin: INTERVIEW: Haverkampf über die Zeil. In: moderneREGIONAL. 19. Juli 1998, abgerufen am 2. Oktober 2022 (deutsch).
  9. Charles Wilp: Düsseldorf ‚Vorort der Welt‘. Dazzledorf. Verlag Melzer, Dreieich 1977.