Lemuren

Teilordnung der Ordnung Primaten (Primates)

Lemuren (Lemuriformes, von lateinisch Lemures „Schattengeister der Verstorbenen“ und forma „Gestalt“) sind eine Teilordnung der Primaten. Sie gehören zur Gruppe der Feuchtnasenprimaten, früher den Halbaffen zugeordnet. Das Taxon umfasst nach heutiger Sichtweise etwa 100 Arten.

Lemuren

Schwarzweißer Vari (Varecia variegata)

Systematik
Unterklasse: Höhere Säugetiere (Eutheria)
Überordnung: Euarchontoglires
ohne Rang: Euarchonta
Ordnung: Primaten (Primates)
Unterordnung: Feuchtnasenprimaten (Strepsirrhini)
Teilordnung: Lemuren
Wissenschaftlicher Name
Lemuriformes
Gray, 1821

Lemuren kommen ausschließlich auf Madagaskar und kleineren Inseln in der Nähe vor. Hinsichtlich Körperform und Lebensweise sind sie eine sehr vielfältige Gruppe. Die meisten Arten leben auf Bäumen und sind Pflanzen- oder Allesfresser.

Viele Vertreter sind durch die Zerstörung ihres Lebensraums in ihrem Bestand bedroht. Einige Gattungen, etwa die Riesenlemuren, sind in den letzten zwei Jahrtausenden ausgestorben.

Der Name ist wegen ihrer oft nächtlichen Lebensweise, ihrer großen Augen und damit markanten Gesichter von den römischen Totengeistern Lemures inspiriert.

Merkmale

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Mausmakis sind die kleinsten Lemuren

Die Lemuren sind eine vielgestaltige Gruppe. Das Gewicht variiert von 30 Gramm bei den Mausmakis – der Berthe-Mausmaki ist der kleinste Primat überhaupt – bis zum Indri, der 10 Kilogramm erreichen kann. Ausgestorbene Formen wie Archaeoindris waren deutlich größer und wogen bis zu geschätzten 200 Kilogramm. Ein Geschlechtsdimorphismus hinsichtlich des Gewichts ist nur schwach ausgeprägt, die Männchen und Weibchen sind ungefähr gleich groß. Auch die bei zahlreichen anderen Primaten vorkommenden Unterschiede in der Größe der Eckzähne finden sich bei Lemuren nicht. Allerdings unterscheiden sich bei einigen Arten der Großen Makis (Eulemur) die Geschlechter beträchtlich hinsichtlich der Fellfärbung. Bei den meisten Arten ist der Schwanz so lang wie der Rumpf oder länger, nur der Indri ist annähernd schwanzlos. Bei den rezenten Arten sind die Beine stets länger als die Arme, nur bei den ausgestorbenen Palaeopropithecidae und Megaladapidae war es umgekehrt. Bei denjenigen Lemuren, die sich vorwiegend vierbeinig durch das Geäst bewegen, ist der Unterschied nur schwach ausgeprägt. Bei den Vertretern, die sich senkrecht kletternd und springend fortbewegen, sind die Beine deutlich länger als die Arme, etwa bei den Wieselmakis und vielen Indriartigen. Alle Finger und Zehen tragen Nägel mit Ausnahme der bei allen Feuchtnasenaffen vorhandenen Putzkralle an der zweiten Zehe.

 
Sifakas, hier der Diademsifaka, zählen zu den farbenprächtigsten Lemuren

Die Länge des Fells ist variabel, auch seine Färbung variiert und kann von weiß über verschiedene Grau- und Brauntöne bis zu Schwarz reichen. Die tagaktiveren Lemuren wie manche Sifakas oder Gewöhnlichen Makis können auch farbenprächtig sein. Das Gesicht ist häufig unbehaart, manchmal sind auch Ohrbüschel oder bartähnliche Haare an den Wangen oder am Kinn vorhanden.

Die Kopfform ist variabel; neben Lemuren mit rundlichem Kopf gibt es auch Arten mit langgestreckter, hundeartiger Schnauze, etwa die Varis. Die Augen sind relativ groß, insbesondere bei den nachtaktiven Arten, und mit einem Tapetum lucidum (einer lichtreflektierenden Schicht hinter der Netzhaut) versehen. Die Nase ist, wie bei allen Feuchtnasenaffen, mit einem Nasenspiegel ausgestattet, was für einen gut entwickelten Geruchssinn sorgt. Die Oberlippe ist durch eine Spalte, das Philtrum, geteilt. Die Form und Anzahl der Zähne ist je nach Ernährung variabel, die Zahnformel lautet I0-2/1-2 C0-1/0-1 P 1-3/0-3 M3/3. Modifikationen im Gebiss der Lemuren sind die fehlenden Schneidezähne des Oberkiefers bei Wieselmakis und den ausgestorbenen Megaladapidae sowie der Verlust eines Schneidezahns pro Kieferhälfte im Unterkiefer der Indriartigen.

Verbreitung und Lebensraum

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Lemuren kommen natürlicherweise nur auf der Insel Madagaskar vor der Ostküste Afrikas vor.

Das natürliche Verbreitungsgebiet der Lemuren ist die Insel Madagaskar vor der Ostküste Afrikas. Zwei Arten, der Mongozmaki und der Braune Maki, wurden darüber hinaus auf den Komoren angesiedelt.

Früher waren die Tiere auf der gesamten Insel verbreitet, heute sind sie auf die Wälder in den Küstenregionen beschränkt und fehlen in den unbewaldeten Gebieten wie dem zentralen Hochland. Weniger als 10 % der Fläche der Insel verbleiben so weit unberührt, dass sie als Lebensraum dieser Tiere dienen können, sodass die Lemuren heute insgesamt nur auf einer Fläche von 50.000 bis 60.000 km² leben.[1]

Der Lebensraum der meisten Lemuren sind Wälder, wobei sie in verschiedenen Waldtypen leben. So kommen sie sowohl in den trockenen Laubwäldern der Westküste und den Dornwäldern des Südwestens als auch in den Regenwäldern der Ostküste vor. Einzig der Katta kann sich im größeren Ausmaß auch in unbewaldeten Savannen- und Gebirgsregionen behaupten. Die ausgestorbenen Lemurenarten nutzten vermutlich eine größere Vielfalt von Lebensräumen; so könnte Hadropithecus vorwiegend in Grasländern gelebt haben.

Lebensweise

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Fortbewegung und Aktivitätszeiten

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Fettschwanzmakis sind wie die Mehrzahl der Lemuren nachtaktiv.

Die heute lebenden Arten sind mit Ausnahme des semiterrestrischen (teilweise am Boden lebenden) Katta Baumbewohner, die höchstens gelegentlich auf den Boden kommen. Sie haben mehrere Fortbewegungsmuster entwickelt, vorwiegend das senkrechte Klettern und Springen und das vierbeinige Gehen (arboreale Quadrupedie). Bei den ausgestorbenen Lemuren fand sich eine größere Vielfalt: So gab es die vermutlich faultierähnlich an den Ästen hängenden Palaeopropithecinae, die koalaähnlich langsam kletternden oder hopsenden Megaladapidae oder den riesenfaultierähnlichen Archaeoindris, für die es allesamt unter den übrigen Primaten keine Analogien gibt.

Die Lemuren haben sich vermutlich aus nachtaktiven Vorfahren entwickelt und bis heute hat die Mehrzahl der Lemurenarten dieses Aktivitätsmuster beibehalten. Die meisten nachtaktiven Arten errichten zum Schlafen Blätternester oder ziehen sich in Baumhöhlen, Pflanzendickichte oder andere Verstecke zurück. Einige Arten haben sich jedoch an eine tagaktive Lebensweise angepasst, hierzu zählen etwa der Indri, die Sifakas oder die Varis. Daneben gibt es auch Arten mit kathemeraler Lebensweise, das heißt ohne festen Tag-Nacht-Rhythmus, die über den ganzen 24-Stunden-Zyklus aktiv sein können. Das kann beispielsweise von der Jahreszeit und dem damit verbundenen Nahrungsangebot und von der Witterung abhängen. Diese flexible Kathemeralität, die sich bei mehreren Arten der Gewöhnlichen Makis findet, ist ansonsten bei Primaten unbekannt.[2]

Wie bei anderen Säugetieren auch korreliert bei den Lemuren die Aktivitätszeit grob mit der Körpergröße: So sind die kleineren Arten ausschließlich nachtaktiv und wiegen meist weniger als 1 Kilogramm. Im Gegensatz dazu sind die größeren Arten meist tagaktiv oder kathemeral.[3] Die oben erwähnten tagaktiven drei Gattungen sind gleichzeitig die größten lebenden Lemuren.

Um mit dem jahreszeitlich schwankenden Nahrungsangebot insbesondere im Westen Madagaskars umzugehen, haben die Lemuren einige für Primaten einzigartige Strategien entwickelt. Der Schwanz der Fettschwanzmakis und in schwächerem Ausmaß der Mausmakis fungiert als Fettspeicher. In der Regenzeit nehmen sie verstärkt Nahrung zu sich, wodurch sie deutlich an Gewicht zulegen können, und lagern Fett in ihrem Schwanz ein, in der nahrungsärmeren Trockenzeit zehren sie dann von diesen Reserven. Zu dieser Zeit fallen sie häufig in einen kurzzeitigen Torpor (Starrezustand), um Energie einzusparen. Die Fettschwanzmakis sind die einzigen Primaten, die eine längere Hibernation, einen winterschlafähnlichen Zustand während der Trockenzeit, halten. Die Körpertemperatur wird nicht auf einem stabilen Niveau gehalten, sondern fluktuiert mit den Außentemperaturen, die Stoffwechselrate geht deutlich zurück und die Tiere können in dieser Zeit die Hälfte ihres Gewichtes verlieren.

Sozialverhalten und Kommunikation

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Weibchendominierte Gruppen sind bei etlichen Lemuren, wie beim Katta, üblich.

Die Sozialstrukturen der Lemuren sind variabel, bei vielen Arten allerdings noch kaum bekannt. Generell lässt sich allerdings, wie bei Primaten allgemein, ein hoher Grad an Sozialverhalten beobachten, strikte Einzelgänger gibt es nicht. Bei den nachtaktiven Arten ist es häufig, dass sich das Streifgebiet eines Männchens mit dem mehrerer Weibchen überlappt. Manchmal schlafen sogar mehrere Tiere tagsüber gemeinsam in einem Unterschlupf, gehen aber getrennt auf Nahrungssuche. Daneben gibt es auch monogame Arten, bei denen ein Männchen und ein Weibchen in Familiengruppen leben und oft jahrelang zusammenbleiben. Von zumindest einer Art, dem Westlichen Fettschwanzmaki ist bekannt, dass er zwar in monogamen Gruppen lebt, die Weibchen aber häufig fremdgehen und die Nachkommen nicht nur von dem Männchen gezeugt werden, mit dem sie zusammenleben.[4]

Wieder andere Arten leben in größeren Gruppen mit mehreren ausgewachsenen Männchen und Weibchen sowie den Jungtieren. Diese Gruppen werden oft von Weibchen dominiert, was unter anderem daran sichtbar wird, dass die Weibchen die Routen der Tagesstreifzüge bestimmen und an Nahrungsquellen bevorzugten Zugang haben. In diesen gemischten Gruppen ist die Konkurrenz zwischen den Männchen außerhalb der Paarungszeit häufig nur schwach ausgeprägt. Andere Sozialstrukturen, die von anderen Primaten bekannt sind, wie etwa männchendominierte gemischte Gruppen oder gar Haremsgruppen, bei denen ein Männchen mehrere Weibchen um sich schart, sind bei den Lemuren nicht bekannt.

Duettgesang der Indris zur Markierung des Reviers

Lemuren bewohnen häufig feste Reviere, die sich zumindest an den Rändern mit denen anderer Gruppen überlappen können, die Kerngebiete werden oft von einer Gruppe exklusiv bewohnt. Der Geruchssinn dieser Tiere ist verglichen mit dem der Trockennasenaffen sehr gut entwickelt, dementsprechend wichtig ist auch die Kommunikation mit Duftstoffen. Die werden vorwiegend zum Markieren der Streifgebiete eingesetzt. So sind bei verschiedenen Lemurenarten unter anderem Analdrüsen, Drüsen an der Brust, in der Armbeuge und am Handgelenk vorhanden. Bei den Männchen mancher Arten sind die Handgelenksdrüsen mit Stacheln versehen, mit denen sie Äste oder Bäumchen anritzen und dabei gleichzeitig mit Duftstoffen versehen können. Auch die lautliche Kommunikation spielt eine wichtige Rolle: Laute werden unter anderem dazu eingesetzt, das Revier zu kennzeichnen, den Kontakt zu Gruppenmitgliedern zu halten oder herzustellen oder um vor Fressfeinden zu warnen – manche Lemurenarten haben sogar unterschiedliche Laute, um vor Greifvögeln oder räuberischen Säugetieren zu warnen, etwa der Katta.[5] Die Kommunikation mit Körperhaltungen und Gesichtsausdrücken spielt bei den nachtaktiven Arten kaum eine Rolle, bei tagaktiven oder kathemeralen Arten wie dem Katta wurden mehrere Formen der Mitteilungen durch Gesten und Grimassen beobachtet. Bei der sozialen Interaktion vieler Lemuren spielt auch die gegenseitige Fellpflege eine wichtige Rolle.

Ernährung

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Der Rotstirnmaki zählt zu den Lemuren, die sich vorwiegend von Früchten ernähren

Die Ernährung der Lemuren ist variabel, entweder sind sie Alles- oder reine Pflanzenfresser. So gibt es Lemuren, die vorwiegend Früchte fressen – etwa zahlreiche Gewöhnliche Makis, Blätterfresser wie etwa Wieselmakis und viele Indriartige sowie die an den Verzehr von Baumsäften angepassten Gabelstreifenmakis. Nektar stellt für einige Arten eine wichtige Ergänzung des Speiseplans dar, daneben werden häufig auch Knospen, Blätter und andere Pflanzenteile gefressen. In unterschiedlichem Ausmaß nehmen sie auch fleischliche Nahrung zu sich, vorwiegend Insekten, Spinnen, Tausendfüßer und andere wirbellose Tiere, manchmal auch kleine Wirbeltiere und Vogeleier. Selbst innerhalb einer Art kann die Zusammensetzung je nach Lebensraum erheblich variieren, auch finden sich oft deutliche jahreszeitlich bedingte Unterschiede.

Im Bau der Zähne spiegeln sich die verschiedenen Spezialisierungen wider, auch finden sich andere morphologische Anpassungen, beispielsweise der vergrößerte Blinddarm der blätterfressenden Wiesel- und Bambusmakis oder die verlängerte Zunge der nektarfressenden Varis.

Fortpflanzung

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Die Fortpflanzung der meisten Lemurenarten ist stark saisonal bestimmt und an die klimatischen Verhältnisse Madagaskars gekoppelt. Die meisten Geburten fallen in das Ende der Trockenzeit, in den Zeitraum September bis Dezember, sodass die Jungtiere ihre kritischen ersten Lebensmonate in der Zeit des größten Nahrungsangebotes verbringen können. Je nach Länge der Regenzeit kann es bei manchen Arten etwa im Februar zu einem zweiten Geburtenhöhepunkt kommen. Die Saisonalität der Fortpflanzung ist so stark, dass bei manchen Arten, etwa einigen Mausmakis, die Weibchen nur für wenige Stunden innerhalb eines Jahres empfängnisbereit sind.

Trächtige Lemurenweibchen konnten auf Madagaskar dabei beobachtet werden, wie sie die Rinde und Blättern von Feigen- oder Tamarindenbäumen zerkauten, die normalerweise nicht zu ihrem Nahrungsspektrum zählen. Die darin enthaltenen Inhaltsstoffe begünstigen die Milchproduktion und tragen zur Abtötung von Parasiten bei.[6]

Die Länge der Tragzeit variiert zwischen 90 und 170 Tagen, die Wurfgröße zwischen eins und drei. Im Gegensatz zu vielen Trockennasenaffen gibt es zahlreiche Arten, bei denen Zwillingsgeburten überwiegen. Bei vielen nachtaktiven Lemuren verbringen die Neugeborenen ihre ersten Lebenswochen in einem Blätternest und werden später von der Mutter während ihrer Nahrungssuche an einer geschützten Stelle abgelegt und später wieder abgeholt. Bei anderen Arten tragen die Mütter ihren Nachwuchs mit sich herum, zunächst am Bauch, und lassen ihn später auf ihrem Rücken reiten. Nach einigen Monaten werden die Jungtiere entwöhnt.

Parasiten

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Bei Lemuren treten Tierläuse der Gattungen Lemurpediculus und Phthirpediculus vor, die eine relativ hohe Wirtsspezifität haben.[7]

Lemuren und Menschen

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Der Indri galt früher als heiliges Tier, heute zählt er – auch aufgrund der Bejagung – zu den bedrohten Arten

In der Kultur

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Einige Lemurenarten haben ihren Niederschlag in madagassischen Kulturen gefunden. Indris galten als heilige Tiere, die die Sonne verehren – sie sind häufig beim Sonnenbaden zu beobachten. Diese Sichtweise schützte sie bis vor kurzem vollständig von der Bejagung,[8] ähnlich auch bei den Sifakas. Im westlichen Kulturbereich ist der Katta die bekannteste Lemurenart und ein Symbol seiner Heimatinsel.[9]

Bedrohung

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Auch heute werden Lemuren noch von Buschwildjägern gejagt

Die meisten Lemurenarten sind in ihrem Bestand bedroht. Die Gründe dafür liegen zum einen in der Zerstörung ihres Lebensraums durch Brandrodung, Entwaldung, Holzkohleerzeugung und Bergbau. Hinzu kommt insbesondere bei den größeren Arten die Bejagung – die Taburegelungen, die einige Arten schützten, sind durch die Aufweichung der Traditionen und Umsiedlungen häufig weggefallen. 2020 listete die IUCN 33 Arten und damit rund ein Drittel aller Lemurenarten als vom Aussterben bedroht (critically endangered); insgesamt gelten 103 Arten als stark gefährdet oder gefährdet.[10] Es gibt bereits viele Projekte, um die Abholzung des Regenwalds zu stoppen. Doch die weit verbreitete Armut und ein instabiles politisches System führen dazu, dass der Wald weiterhin illegal gerodet wird. Im Tierreich droht den Lemuren vor allem durch die Fossa, Madagaskars größtem Raubtier, Greifvögeln und verwilderten Haushunden Gefahr.

Aussterben der Riesenlemuren

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Abguss des Schädels von Megaladapis

Seitdem die Menschen vor rund 1500 Jahren nach Madagaskar gekommen sind, sind dort mindestens acht Gattungen und mindestens 16 Arten von Lemuren ausgestorben. Dazu zählen die Palaeopropithecidae, die Archaeolemuridae sowie die Gattungen Megaladapis und Pachylemur. Alle ausgestorbenen Arten waren vermutlich tagaktiv und größer als die heute lebenden Arten. Die meisten subfossilen Überreste dieser Tiere haben ein Alter von 2500 bis 1000 Jahren; es gibt noch einen Bericht aus dem 17. Jahrhundert, der allerdings auf jede größere Lemurenart zutreffen könnte.[11] Die Funde stammen nicht nur aus den Küstengebieten, sondern auch aus dem heute unbewaldeten zentralen Hochland. Unklar ist, in welchem Ausmaß die menschliche Siedlungstätigkeit für das Verschwinden der Wälder verantwortlich ist. Die Waldbestände Madagaskars haben in den letzten Jahrtausenden stark fluktuiert; die Ausdehnung der Grasgebiete in Zentralmadagaskar ist nicht ausschließlich auf den Menschen zurückzuführen.[12]

Als wahrscheinlichster Grund für das Aussterben der größeren Lemurenarten gilt die Bejagung durch den Menschen.[13] Die ausgerotteten Arten waren wohl aufgrund ihrer Langsamkeit und Größe leichte Jagdziele und aufgrund ihrer Fleischmenge lohnende Beute. Hinzu dürften, wie bei vielen anderen großen Säugetieren, eine langsame Fortpflanzungsrate und eine niedrige Populationsdichte gekommen sein. Generell sind große, auf Inseln lebende Tiere gegenüber plötzlich einsetzender menschlicher Bejagung besonders gefährdet, wie Beispiele auch von anderen Inseln, etwa Neuseeland, zeigen. Neben den Riesenlemuren sind etwa zur gleichen Zeit auch noch andere madagassische Tiere ausgestorben, etwa Elefantenvögel und die madagassischen Flusspferde.

Systematik

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Äußere Systematik

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Das Fingertier weicht gestaltlich am stärksten von den anderen Lemuren ab. Es wird einer eigenen Teilordnung zugeordnet.

Die Lemuren bilden zusammen mit den Loris (Lorisidae) und Galagos (Galagonidae), die als Loriartige (Lorisiformes) zusammengefasst werden, sowie dem Fingertier die Gruppe der Feuchtnasenprimaten (Strepsirrhini). Die Bezeichnung Halbaffen wird heute nicht mehr verwendet, da die früher ebenfalls eingerechneten Koboldmakis näher mit den (Eigentlichen) Affen verwandt sind.

Ob die Lemuren eine monophyletische Gruppe sind, das heißt von einem gemeinsamen Vorfahren abstammen, oder ob es mehrere Besiedlungen Madagaskars durch Primaten gab und somit die Lemuren keine natürliche Verwandtschaftsgruppe bilden, war lange Zeit umstritten. Die zwei problematischsten Taxa in diesem Zusammenhang waren zum einen die Fingertiere, die gestaltlich stark von den übrigen Vertretern abweichen und einige konvergente Entwicklungen zu den Nagetieren aufweisen, und zum anderen die Katzenmakis, deren Körperbau dem der Loriartigen ähnelt und die mit dieser Gruppe auch die Rückbildung der Arteria carotis interna, der inneren Halsschlagader, gemeinsam haben. Es gab Spekulationen, wonach die Fingertiere die Schwestergruppe aller übrigen Feuchtnasenaffen sein könnten, und sie wurden in einer eigenen Teilordnung, Chiromyiformes, geführt.[14]

Der molekulargenetische Befund spricht jedoch eindeutig dafür, dass die Lemuren – und auch die Loriartigen – monophyletisch sind,[15] was durch nachfolgende Untersuchungen bestätigt wurde.[16] Morphologische Merkmale für diese Monophylie gibt es jedoch kaum. Das auffälligste Merkmal liegt im Bau der Ohrregion: Bei den Lemuren ist das Ectotympanicum (der ringförmige Knochen, auf dem das Trommelfell aufgespannt ist) von der Bulla tympanica umwachsen und von außen nicht sichtbar, bei den Loriartigen ist es mit der seitlichen Wand der Bulla verwachsen und von außen sichtbar.[17]

Die Stellung der Lemuren im Stammbaum der Primaten kommt in folgendem Kladogramm zum Ausdruck:[18]

 Primaten (Primates) 
 Feuchtnasenaffen (Strepsirrhini) 

Loriartige (Lorisiformes)


   

Lemuren (Lemuriformes)



   

Trockennasenaffen (Haplorhini)



Innere Systematik

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Der Mohrenmaki, ein Vertreter der Gewöhnlichen Makis (Lemuridae)
 
Der Coquerel-Sifaka, ein Vertreter der Indriartigen (Indriidae)
 
Roter Vari in der Gattung Varis

Die Anzahl der bekannten Arten hat sich in den letzten Jahren deutlich erhöht. 1999 wurden 31 lebende Arten unterschieden,[19] aufgrund mehrerer Neubeschreibungen und der Erhöhung von bislang als Unterarten geführten Populationen zu eigenständigen Arten wurden 2008 bereits 97 lebende Arten unterschieden.[20]

Die nachfolgende Liste gibt die Systematik bis zur Gattungsebene wieder:[21][22]

Die Aufteilung der lebenden Vertreter in fünf Familien ist morphologisch und genetisch gut abgesichert, die Abstammungsverhältnisse sind jedoch nicht restlos geklärt. Die Fingertiere (Daubentoniidae) sind zweifelsohne die Schwestergruppe aller übrigen Lemuren.

Ein mögliches Kladogramm der Lemuren sieht folgendermaßen aus:[22]


 Daubentoniidae  

Fingertier (Daubentonia)


 Lemuren 
 Megaladapidae  

Megaladapis


   

 Lepilemuridae  

Wieselmakis (Lepilemur)


 Katzenmakis 

Gabelstreifenmakis (Phaner)


   

Fettschwanzmakis (Cheirogaleus)


   

Büschelohrmaki (Allocebus trichotis)


   

Riesenmausmakis (Mirza)


   

Mausmakis (Microcebus)







   
 Gewöhnliche Makis 


Pachylemur


   

Varis (Varecia)



   

 Große Makis (Eulemur)


   

Katta (Lemur catta)


   

Bambuslemuren (Hapalemur)





   
 Archaeolemuridae 

Archaeolemur


   

Hadropithecus



   
 Indriartige 

Sifakas (Propithecus)


   

Indri (Indri)


   

Wollmakis (Avahi)




 Palaeopropithecidae 


Archaeoindris


   

Babakotia



   

Mesopropithecus


   

Palaeopropithecus










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Evolution

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Artbildung

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In Madagaskar lassen sich sieben ökologische Zonen unterscheiden, die hinsichtlich des Klimas und der Vegetation erheblich voneinander abweichen, die jeweils von entsprechend angepassten Lemurenarten besiedelt sind. Hier hat eine allopatrische Artbildung stattgefunden. In manchen Gebieten leben aber bis zu zehn Lemurenarten gleichzeitig, die dabei unterschiedliche ökologische Nischen bilden. Die große Artenzahl ist also auf eine zusätzliche sympatrische Artbildung zurückzuführen. Unabhängig von der Frage nach dem Ursprungsgebiet ihrer gemeinsamen Vorfahren gelten die heutigen Lemuren als monophyletisches Taxon als Beispiele für eine adaptive Radiation.[23]

Ursprung der Lemuren

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Ähnlich wie die Fettschwanzmakis, die in einer Baumhöhle zusammengekuschelt ihren Winterschlaf verbringen, könnten die Vorfahren der Lemuren auf im Meer treibenden Pflanzenteilen nach Madagaskar gekommen sein.

Die Frage, wie die Lemuren nach Madagaskar gekommen sind, ist noch nicht restlos geklärt. Da sie eine monophyletische Gruppe sind, ist nur von einem einzigen Besiedlungsvorgang auszugehen. Es wurden mehrere Hypothesen vorgeschlagen, wie die Tiere die heute 400 Kilometer vor der afrikanischen Küste liegende Insel erreicht haben könnten: zum einen über eine Landbrücke (Landbrücken-Hypothese), die während einer Absenkung des Meeresspiegels existiert haben könnte, zum zweiten über kleine Inseln („island hopping“) und zum dritten auf treibender Vegetation.[24] Berechnungen mit Hilfe der molekularen Uhr zufolge kann die Entwicklung der Lemuren auf Madagaskar vor 47 bis 54 Millionen Jahren,[15] also ab dem Eozän nachgewiesen werden.

Im 19. Jahrhundert wurde die Idee einer Landbrücke zwischen Indien und Madagaskar aufgebracht, um die Existenz von Feuchtnasenaffen in den beiden Ländern zu erklären, Philip Sclater nannte den hypothetischen Kontinent Lemuria. Es gibt keine Hinweise auf eine frühere Existenz von Landbrücken oder Inselketten zwischen Madagaskar und dem indischen Subkontinent. Vielmehr waren die Landmassen Afrikas, Madagaskars und des Indischen Subkontinents einst in einem Südkontinent Gondwana miteinander verbunden[25] (siehe auch Plattentektonik).

Als plausibelste Hypothese für eine Einwanderung nach dem Auseinanderdriften der Teile der Gondwana[26] gilt der Seeweg auf treibender Vegetation. Ein derartiger Transport hätte allerdings für die Tiere eine große Herausforderung dargestellt. Sie hätten längere Zeit ohne Nahrung und trinkbares Wasser überleben und in einer Gruppe ankommen müssen, in der auch Fortpflanzungspartner vorhanden waren. Für Tiere im Torpor oder Winterschlaf wäre so eine Reise noch am ehesten zu überleben gewesen. Bei den Katzenmakis finden sich einige Vertreter, die während eines Winterschlafs ihre Stoffwechselrate deutlich reduzieren und ihre Inaktivitätsphase in einer Baumhöhle zusammengekuschelt verbringen. Es wäre denkbar, dass auch die Vorfahren der Lemuren zum Zeitpunkt eines Transportes eine ähnliche Lebensweise hatten. Auch andere madagassische Säugetiere haben niedrige Stoffwechselraten oder halten Winterschlaf, zum Beispiel die Madagassischen Raubtiere oder die Tenreks, was für eine ähnliche Besiedlungsgeschichte sprechen würde.

Die Vorfahren der Lemuren können aber auch in Madagaskar beheimatet gewesen sein, denn in Indien, das während der Zeit des Südkontinents Gondwana mit Australien, Madagaskar und Afrika verbunden war, wurden fossil nachgewiesene Lemuren von anderen Säugetieren verdrängt, während auf Madagaskar keine konkurrierenden Säugetierarten lebten und die Lemuren deshalb sehr viele ökologische Nischen bildeten vergleichbar mit der adaptiven Radiation der Beuteltiere in Australien.[27]

Literatur

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Commons: Lemuren – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Mittermeier et al.: Lemur Diversity in Madagascar. 2008
  2. Geissmann: Vergleichende Primatologie. 2002, S. 75
  3. Geissmann: Vergleichende Primatologie. 2002, S. 38–39
  4. N. Schwensow, J. Fietz, K. H. Dausmann und S. Sommer: MHC-associated mating strategies and the importance of overall genetic diversity in an obligate pair-living primate. In: Evol Ecol, 2007, doi:10.1007/s10682-007-9186-4.
  5. Joseph M. Macedonia: The vocal repertoire of the ringtailed lemur (Lemur catta). In: Folia Primatol 61(4), 1993, S. 186–217.
  6. Heilende Gräser und Kugelfischgift: So behandeln Tiere sich selbst. Pränatale Gesundheit durch Baumrinde Deutsche Welle, aufgerufen am 12. Februar 2022
  7. Andrea Springer et al.: Molecular phylogenetics of the sucking louse genus Lemurpediculus (Insecta: Phthiraptera), ectoparasites of lemurs, with descriptions of three new species. In: International Journal for Parasitology Parasites and Wildlife. 2023, Band 20, S. 138–152 doi:10.1016/j.ijppaw.2023.02.002.
  8. edgeofexistence.org: Indri (Indri indri)
  9. Garbutt: Mammals of Madagascar. 2007, S. 146
  10. Almost a third of lemurs and North Atlantic Right Whale now Critically Endangered - IUCN Red List, Pressemitteilung der IUCN vom 9. Juli 2020, abgerufen am 11. Juli 2020.
  11. Nowak: Walker’s Mammals of the World. 1999, S. 524.
  12. Geissmann (2003), S. 71.
  13. Geissmann: Vergleichende Primatologie. 2002, S. 71; Garbutt: Mammals of Madagascar. 2008, S. 85.
  14. Don E. Wilson, DeeAnn M. Reeder (Hrsg.): Mammal Species of the World. A Taxonomic and Geographic Reference. 3. Auflage. Johns Hopkins University Press, Baltimore 2005, ISBN 0-8018-8221-4.
  15. a b A. D. Yoder: Phylogeny of the lemurs. In: The Natural History of Madagascar (hrsg. von S. M. Goodman und J. Benstead), University of Chicago Press, 2003, S. 1242–1247.
  16. C. Roos, J. Schmitz, H. Zischler: Primate jumping genes elucidate strepsirrhine phylogeny. In: Proceedings of the National Academy of Sciences. 101, 2004, S. 10650, doi:10.1073/pnas.0403852101.
  17. Geissmann: Vergleichende Primatologie. 2002, 42–43.
  18. Geissmann: Vergleichende Primatologie. 2002, S. 19
  19. Nowak: Walker’s Mammals of the World.
  20. Mittermeier et al.: Lemur Diversity in Madagascar.
  21. Russell A. Mittermeier, Anthony B. Rylands & Don E. Wilson: Handbook of the Mammals of the World: Primates: 3. ISBN 978-8496553897. S. 50–175.
  22. a b James P. Herrera and Liliana M. Dávalos. 2016. Phylogeny and Divergence Times of Lemurs inferred with Recent and Ancient Fossils in the Tree. Systematic Biology (2016). doi:10.1093/sysbio/syw035
  23. Handreichungen für den Unterricht Biologie Oberstufe Gesamtband. Cornelsen Verlag 2009. ISBN 978-3-464-17184-4. Seite 292–293
  24. Geissmann: Vergleichende Primatologie. 2002, S. 47.
  25. Archivierte Kopie (Memento des Originals vom 30. Mai 2013 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www2.nau.edu Frühe Jurazeit, Ron Blakey
  26. Archivierte Kopie (Memento des Originals vom 22. Januar 2016 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www2.nau.edu Frühe Kreidezeit, Ron Blakey
  27. Handreichungen für den Unterricht Biologie Oberstufe Gesamtband. Cornelsen Verlag 2009. ISBN 978-3-464-17184-4. Seite 292–293