Werkstattkino

Kino in München, Bayern, Deutschland

Das Werkstattkino ist ein Kino im Münchener Gärtnerplatzviertel. Es befindet sich in einem zur Gaststätte Fraunhofer gehörenden Hinterhofkeller in der Fraunhoferstraße 9 und hat 46 Plätze. Seit 1974 werden in dem von einem Mitarbeiterkollektiv betriebenen Programmkino Filme abseits des Mainstreams gezeigt.

Eingangsbereich

Geschichte

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Kinosaal
 
Ein Projektor im Vorführraum

Im Jahr 1974 begannen elf Freunde, die nur selten genutzte Kegelbahn der Gaststätte Fraunhofer zu einer „Kino-Werkstatt“ umzufunktionieren. Als Vorführraum diente ein Kellerraum, in dem Ideengeber und Mitgründer Rainer „Thilo“ Pongratz auch wohnte. Es wurden zwei Ernemann VII B-Projektoren aufgestellt und Handzettel als Programmwerbung gedruckt.[1] Nach chaotischer zweijähriger Experimentier- und Umbauphase[2] blieben nur noch zwei der Gründungsmitglieder übrig, einer davon war Erich „Waco“ Wagner.[3] In dieser Besetzung nahm das Werkstattkino am 3. April 1976 seinen regulären, täglichen Spielbetrieb auf. Zur Feier des Tages zeigte Wagner den Zeichentrickfilm Der wildeste Westen[4] von Bruno Bazzetto.[5]

Das Kino wird seit 1975 als Verein betrieben, die Mitglieder wechselten über die Jahrzehnte. Eine Auswahl: Gisela Eberspächer half „Waco“ Wagner ab 1977 den Spielbetrieb aufrechtzuerhalten. Wolfgang Bihlmeir stieg 1979 ein und ist bis heute dabei, ebenso wie Doris „Dolly“ Kuhn, die in den 1980er-Jahren dazustieß. In dieser Zeit war auch Anatol Nitschke Teil des Kollektivs; Kuhn und Nitschke drehten mit Freunden wie Florian Süßmayr, Andrea Hagen, Wolfgang Flatz und Hans Schifferle Kurzfilme auf Super 8 und planten eine Zeitschrift namens „X-Film“. Seit Mitte der 1990er-Jahre ist der Underdox-Mitgründer und -Kurator Bernd Brehmer[6] Teil des Kino-Kernteams.[5] In den 2020er Jahren besteht das Werkstattkino-Kernteam bisher aus Bihlmeir, Brehmer, Kuhn und Wagner.[7]

Bihlmeir, der wie Kuhn und Nitschke mit der Münchner Punkbewegung Freizeit 81 verbunden war, brachte Filme wie Züri brennt und britische Punkrockstreifen ins Programm ein. Seine Kollegen nahmen all das ins Programm, was im Münchner Filmmuseum nicht auf dem Spielplan stand: Genre-Kino, Western, Science-Fiction, Pornografie, B-Pictures oder Horror.[8] Das Werkstattkino sollte – O-Ton Doris Kuhn – „eine Art ‚Filmmuseum für Dreck‘“ sein.[1]

In den 1980er Jahren fanden im Werkstattkino manchmal Agitprop- und Anti-Atomkraft-Veranstaltungen statt.[5] 1982 war das Kino in Gefahr, als Wolfgang Nöth, damals Geschäftsführer der Fraunhofer-Wirtschaft, die Kellerräume lukrativer nutzen wollte. Proteste im Viertel, Presseberichte und das Bemühen des Kulturreferats verhinderten Nöths Pläne.[8]

Ab Ende der 1970er-Jahre geriet das Kino immer wieder in Konflikt mit dem Sittendezernat und der Staatsanwaltschaft.[5] Laut Doris Kuhn hingen die daraus resultierenden Aufführungsverbote oft mit „Sex und Gewalt“ im Programm zusammen, hatten aber manchmal auch „politische Gründe“, z. B. wenn auf einem Programmzettel eine Fotomontage einer Maschinenpistole mit dem damaligen bayerischen Innenminister Friedrich Zimmermann zu sehen war.[8] 1991 wurde der Buttgereit-Film Nekromantik 2 von Beamten aus dem laufenden Projektor gerissen, Vorführerin Kuhn musste wegen der exzessiven Gewaltdarstellung in dem Film 900 DM Strafe zahlen. Auch die Vorführung von Filmen wie Maniac oder Texas Chainsaw Massacre 2 wurde verboten.[2] Als das Kino in der staatlich geförderten Reihe Todesfilme Werke wie Night of the Living Dead und The Act of Seeing with One's Own Eyes von Stan Brakhage zusammen mit Dokus über Konzentrationslager zeigte, reagierten Teile der Presse empört.[9] Seitdem in den 1990er-Jahren eine Verschärfung des § 131 StGB zurückgenommen wurde und mittlerweile fast alle einschlägigen Filme im Internet erhältlich sind, ist es in dieser Hinsicht ruhiger um das Werkstattkino geworden.[10][11]

Programm

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Kennzeichnend für das Programm des Kinos ist die „prin­zi­pi­elle Kompro­miss­lo­sig­keit und die Weigerung, sich festlegen zu wollen“ von Seiten des Betreiberkollektivs.[12] Vorbilder des Werkstattkinos waren u. a. die Underground-Kinos Undependent Filmcenter (1968–1975) und Gruppe IFF – Internationales Forum der Filmavantgarde (1973–1974), die in wechselnden Münchner Programmkinos gastierten.[11] Im Repertoire sind neben Genre-Kino und experimentellen Filmen immer wieder auch Blockbuster. Außerdem werden Filme gezeigt, die in keinem anderen Kino und auch anderweitig nicht zu sehen sind. Seit den späten 1980er Jahren ist das Kino eine feste Größe in der Welt der Filmliebhaber.[12]

Ähnlich wie das Filmmuseum München und das Arsenal in Berlin hat das Werkstattkino eine eigene Sammlung an Filmen. Das Archiv umfasst über 500 16- und bis zu 1700 35-mm-Filme, die hauptsächlich von internationalen Filmfestivals oder von Kinematheken wie der Pariser Ciné­ma­thèque und dem Öster­rei­chi­schen Film­mu­seum ausgeliehen werden.[12][7] Auch im Kino selbst kommen Filme aus der eigenen Sammlung zum Einsatz, meist in der Spät­vor­stel­lung.[13] Zu den abspielbaren Formaten gehören auch VHS, DVD und Blu-Ray, dazu Streams und MP4.[7]

Im Werkstattkino finden unter anderem iranische, japanische und georgische Themenwochen statt. Im Lauf der Jahre wurden Künstler wie der Regisseur Roger Corman, der Schweizer Autorenfilmer Clemens Klopfenstein, die Münchner Filmemacherin Sandra Prechtel,[14] der Regisseur Philipp Hartmann oder der Filmkomponist Peter Thomas mit eigenen Filmreihen geehrt.[15]

2003 war das Werkstattkino Gast auf der Viennale. Sein Programm wurde durch zwölf typische, von „Waco“ Wagner kuratierte Filme präsentiert: Der schweigende Stern (1960) von Kurt Maetzig, Poor White Trash (1961) von Harold Daniels, Ein dreckiger Haufen (1967) von André De Toth, Die Teuflischen von Mykonos (1975) von Nico Mastorakis, By a Man's Face Shall You Know Him (1966) von Tai Katô, Die Erde ist ein sündhaftes Lied (1974) von Rauni Mollberg, Let Me Die A Woman von Doris Wishman,[5] King Kong – Frankensteins Sohn (1967) von Honda Inoshiro, The Infra Man (1975) von Hua Shan, Die Rache der Wikinger (1961) von Mario Bava, Fuego (1969) von Armando Bó, Der flüsternde Tod (1975) von Jürgen Goslar.[16]

Von Anfang an wurde im Werkstattkino keine Werbung gezeigt. Alle Vereinsmitglieder gestalten ihre Reihen nach dem Carte-Blanche-Prinzip, d. h. jeder Film darf ohne Einspruch der anderen gezeigt werden, solange er finanzierbar ist. Wer eine Filmreihe kuratiert, gestaltet den schwarz-weißen kopierten Programmzettel selbst, sitzt an der Kinokasse und verkauft dort Bier und Limo bzw. kassiert den Eintritt – Eintrittskarten gibt es nicht.[11][13]

Ort für Filmreihen und -festivals

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Im Werkstattkino finden laufend fremdkuratierte Filmreihen und -festivals statt. Hier eine Auswahl:

Filmschaffende im Werkstattkino (Auswahl)

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Finanzierung und Archiv

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Das Werkstattkino finanziert sich nicht nur über den Eintritt. Es wird vom Bund, vom Land Bayern und projektbezogen von der Stadt München gefördert und erhält regelmäßig Programmpreise.[13] Außerdem werden Filme aus dem eigenen Archiv an Filmmuseen, kleine Kinos und Privatleute verliehen. Mitbetreiber Bihlmeir schätzte das Volumen des Archivs 2024 auf ca. 1700 35-mm-Filmrollen und 500 16-mm-Filmrollen. Es handelt sich hauptsächlich um Sex-, Horror- und Genrefilme aus den 1960er und 1970er Jahren.[7] Das Werkstattkino hält außerdem z. B. die Verleihrechte für alle Filme von Jörg Buttgereit.[10]

Literatur

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Preise und Auszeichnungen

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Commons: Werkstattkino – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. a b Doris Kuhn: Ein Jahrzehnt ohne Skrupel. Geschäft und Experiment: Münchner Kinos in den Siebzigern. In: Monika Lerch-Stumpf (Hrsg.): Neue Paradiese für Kinosüchtige. Münchner Kinogeschichte 1945 bis 2007. Dölling und Galitz Verlag, München, Hamburg 2008, ISBN 978-3-937904-75-7, S. 179.
  2. a b Geschichte. In: Werkstattkino. Abgerufen am 13. März 2024 (deutsch).
  3. Erich „Waco“ Wagner: Lobbyarbeit für ein missachtetes Kino. In: Viennale Vienna International Film Festival (Hrsg.): Katalog der Viennale 03. Wien 2003, ISBN 3-901770-13-5, S. 174 ff.
  4. Oliver Armknecht: Der wildeste Westen. In: Film-Rezensionen.de. 3. Juli 2016, abgerufen am 20. März 2024 (deutsch).
  5. a b c d e Klaus Sigl: Lexikon der Münchner Kinos/Werkstattkino. In: Monika Lerch-Stumpf (Hrsg.): Neue Paradiese für Kinosüchtige. Dölling und Galitz Verlag, München, Hamburg 2008, ISBN 978-3-937904-75-7, S. 352.
  6. Underdox. In: Filmstadt München. Abgerufen am 21. April 2024.
  7. a b c d Bernhard Blöchl: Münchens alternatives Filmmuseum: Hinter den Kulissen des Werkstattkinos. 16. August 2024, abgerufen am 17. August 2024.
  8. a b c Dunja Bialas: „Film­mu­seum für Dreck“. In: Artechock. Artechock e.V., 7. April 2016, abgerufen am 14. Dezember 2023.
  9. Mariam Niroumand: Nekromantik II. In: Die Tageszeitung: taz. 23. September 1993, ISSN 0931-9085, S. 12 (taz.de).
  10. a b Bernhard Blöchl: Kino-Jubiläum: Münchens Ort für abseitige Filme. In: Süddeutsche Zeitung. 4. April 2016, abgerufen am 14. Februar 2024.
  11. a b c Gabriele Jofer: Von Gabriel bis Monopol/ In der Unterwelt der subversiven Träume. Kinohöhle für Abenteurer: Werkstattkino. In: Monika Lerch-Stumpf (Hrsg.): Neue Paradiese für Kinosüchtige. Dölling und Galitz Verlag, München, Hamburg 2008, ISBN 978-3-937904-75-7, S. 302 f.
  12. a b c Dunja Bialas: Das Münchner Werkstattkino feiert sein 40-jähriges Bestehen. Gentrifizierung, Digitalisierung und Kommerzialisierung hat es erfolgreich Widerstand geleistet. In: artechock. 7. April 2016, abgerufen am 20. März 2024.
  13. a b c Dunja Bialas: Schämt Euch! In: artechock. Artechock e.V., 24. August 2023, abgerufen am 10. Januar 2024.
  14. Josef Grübl: München: Das Werkstattkino widmet der Filmemacherin Sandra Prechtel eine Werkschau. In: Süddeutsche Zeitung. 22. November 2023, abgerufen am 10. April 2024.
  15. Johanna Schmeller: Das Werkstattkino ist krisenfest: Die Freiheit Münchner Mitternächte. In: taz. 19. September 2023, abgerufen am 9. Mai 2024.
  16. Sex, Gewalt und gute Laune. Eine Filme des Werkstattkinos München, kuratiert von Erich „Waco Wagner“. In: Viennale Vienna International Film Festival (Hrsg.): Katalog der Viennale 03. Wien 2003, ISBN 3-901770-13-5, S. 174 ff.
  17. LAFITA - Lateinamerikanische Filmtage. In: Filmstadt München. Abgerufen am 20. März 2024.
  18. Josef Grübl: Der Spielfilm „Loto“ eröffnet die Georgischen Filmtage in München. In: Süddeutsche Zeitung. 21. Juni 2023, abgerufen am 20. März 2024.
  19. Dirk Wagner: Horror! In: Süddeutsche Zeitung. 4. November 2016, abgerufen am 10. April 2024.
  20. Kino - Bunter Hund. Abgerufen am 14. Februar 2024.
  21. Shorts Attack! – Kurze greifen an. Abgerufen am 9. Mai 2024 (Orte).
  22. Armin Steigenberger: Impressionen zum 2. Schamrock-Festival. In: Signaturen. Forum für autonome Poesie. 2014. Abgerufen am 10. Januar 2024.
  23. Josef Grübl: Kino: Land der Dichterinnen und Denkerinnen. Das Schamrock-Filmfestival „Female Presence“ im Werkstattkino stellt Künstlerinnen in den Mittelpunkt. In: Süddeutsche Zeitung. 9. November 2023, abgerufen am 9. Mai 2024.
  24. Animation Festival Munich. In: Comic Festival München. Abgerufen am 9. Mai 2024.
  25. We Won't Shut Up! Abgerufen am 13. März 2024 (englisch).
  26. Landeshauptstadt München Stadtverwaltung: Preise für Programmkinos. Abgerufen am 14. Februar 2024.