Wolfgang Huber

deutscher evangelischer Theologe und Altbischof

Wolfgang Huber (* 12. August 1942 in Straßburg) ist ein deutscher evangelischer Theologe, Publizist und Hochschullehrer.[1] Er bekleidete von 1994 bis 2009 das Amt des Bischofs der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg und seit der Fusion am 1. Januar 2004 das der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und war von 2003 bis 2009 als Nachfolger von Manfred Kock Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland.[2]

Wolfgang Huber (2020)

Hubers Vater war der in NS-Deutschland führende Staatsrechtslehrer Ernst Rudolf Huber, der nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789 in acht Bänden veröffentlichte[3] und mit dem er bei der Quellensammlung zum Verhältnis von Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert zusammenarbeitete. Wie sein Bruder wohnte er in der Studentenzeit in Göttingen auch wohngemeinschaftlich in Zweitwohnung zusammen mit seinem Vater.[4] Seine Mutter Tula Huber-Simons war Rechtsanwältin in Freiburg/Breisgau; in der Weimarer Zeit Assistentin des Staatsrechtlers Carl Schmitt. Huber ist mütterlicherseits Enkel des Reichsgerichtspräsidenten Walter Simons, der in dieser Funktion nach dem Tod Friedrich Eberts zwei Monate lang als Stellvertreter die Aufgaben des Reichspräsidenten der Weimarer Republik wahrnahm. Huber wuchs als jüngster von fünf Brüdern in Straßburg, Falkau im Schwarzwald bei der Familie von Elisabeth und Hermann Heimpel (1945-1949) mit ebenfalls fünf Kindern, sowie in Freiburg im Breisgau auf. Er ist seit 1966 mit der Grundschullehrerin und Buchautorin Kara Huber verheiratet.[5] Beide haben drei erwachsene Kinder und sechs Enkelkinder.[4]

Nach dem Schulbesuch 1948 bis 1960 studierte Huber 1960 bis 1966 Evangelische Theologie in Heidelberg, Göttingen und Tübingen, wo er 1966 mit einer von Walther Eltester angeregten Forschungsarbeit zum frühchristlichen Verständnis von Ostern promoviert wurde, die er 1969 mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft publizierte. Zu dieser Zeit erlebte er eine persönliche Glaubenskrise, die sich an der Frage festmachte, wie zentral der Glaube an die Auferstehung Jesu Christi für das Christentum sei.[6] 1972 habilitierte er sich in Heidelberg für Systematische Theologie. Nach Vikariat und Pfarrtätigkeit 1966 bis 1968 in Württemberg war er von 1968 bis 1980 Mitarbeiter und stellvertretender Leiter der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST) in Heidelberg. Hubers Frau Kara äußerte sich öffentlich über Diskussionen in ihrer Ehe, die während Hubers Anfangsjahren bei der FEST über die damalige Politisierung der Evangelischen Kirche sowie die radikal andere Sexualmoral geführt wurden.[7]

Von 1973 bis 1994 war Huber Mitglied der Kammer für öffentliche Verantwortung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), von 1975 bis 1980 Mitglied des Theologischen Ausschusses der Evangelischen Kirche der Union (EKU) und von 1980 bis 1994 Mitglied des Präsidiums des Deutschen Evangelischen Kirchentags. Von 1980 bis 1984 hatte er eine Professur für Sozialethik an der Universität Marburg inne; 1984 bis 1994 war er Professor für Systematische Theologie mit Schwerpunkt Ethik in Heidelberg. Zu seinen Schülern gehören unter anderem Heinrich Bedford-Strohm, Peter Bubmann, Hans-Ulrich Dallmann, Helga Kuhlmann, Torsten Meireis und Joachim von Soosten.

1983 bis 1985 war Huber Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentages, 1989 Lilly Visiting Professor an der Emory University in Atlanta/USA. 1993 wurde er zum Bischof der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg und 1997 zum Mitglied des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland gewählt, dessen Vorsitzender er von 2003 bis 2009 war. Von 1998 bis 2001 war Huber Mitglied des Zentralausschusses und des Exekutivausschusses des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK).

2001 berief ihn das Bundeskabinett zum Mitglied des Nationalen Ethikrates, jedoch schied er aus diesem Gremium aus, als er Ratsvorsitzender der EKD wurde; sein Nachfolger wurde Hermann Barth. Im Juni 2010 wurde Wolfgang Huber als Hermann Barths Nachfolger in den Deutschen Ethikrat berufen.[8] Daneben führt und führte er im Ruhestand seine kirchlichen Ehrenämter, darunter als Kuratoriumsvorsitzender der Stiftung Garnisonkirche Potsdam und als Dechant des Domstifts Brandenburg, fort und engagiert sich in Fragen gesellschaftlicher Verantwortung. Im Rahmen seiner wissenschaftlichen Arbeit an Grundfragen der Ethik widmet er sich verstärkt der Wertevermittlung in Wirtschaft und Gesellschaft.

Huber hatte sich 1993 gegen ein Bundestagsmandat für die SPD entschieden und folgte stattdessen der Berufung zum Bischof der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg. Huber ist seither parteilos und wurde nach dem Rücktritt Horst Köhlers im Mai 2010 als überparteilicher Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten gehandelt.[9][10] Huber hat den Vorsitz der Jury des Richard-von-Weizsäcker-Journalistenpreises und war im Kuratorium der Evangelisationsbewegung ProChrist.[11]

Im November 2009 trat Wolfgang Huber in den Ruhestand. Sein Bischofsamt übernahm der bisherige Koblenzer Superintendent Markus Dröge. Am 28. Oktober 2009 wurde Margot Käßmann als nachfolgende EKD-Ratsvorsitzende von der EKD-Synode und der Kirchenkonferenz gewählt.

 
Wolfgang Huber (2010)

Seit 2009 unternahm Wolfgang Huber mehrere Studien- und Vortragsreisen nach Südafrika. Seit 2010 ist er Fellow des Stellenbosch Institute for Advanced Study (STIAS)[12] in Südafrika.[13] Im Jahr 2013 ernannte ihn die Universität Stellenbosch zum Honorarprofessor für Systematische Theologie.[14]

Innerhalb der Zeit Akademie referierte Huber 2012 als DVD-Seminar Ethik mit 16 Vorlesungen über Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod. 2012 war er Inhaber der Mercator-Professur an der Universität Duisburg Essen.[15]

Einer der vier älteren Brüder von Wolfgang Huber ist der Bonner Wirtschaftsrechtler Ulrich Huber. Sein Neffe ist Berthold Huber, Vorstandsmitglied der Deutschen Bahn AG[16].

Huber hat über eine große Zahl theologischer und ethischer Themen gearbeitet. Wichtige Anregungen verdankt er der Theologie Dietrich Bonhoeffers; die Neuausgabe von Bonhoeffers Werken hat er federführend verantwortet.[17] Mit seinem Vater gab er eine fünfbändige Sammlung von Dokumenten zum deutschen Staatskirchenrecht heraus.[18] Seine weiteren Veröffentlichungen umfassen unter anderem Kirche und Öffentlichkeit (1973), Menschenrechte. Perspektiven einer menschlichen Welt (1977, zusammen mit Heinz Eduard Tödt), Kirche (1979), Folgen christlicher Freiheit. Ethik und Theorie der Kirche im Horizont der Barmer Theologischen Erklärung (1983), Konflikt und Konsens. Studien zur Ethik der Verantwortung (1990), Friedensethik (1990, zusammen mit Hans-Richard Reuter), Die tägliche Gewalt. Gegen den Ausverkauf der Menschenwürde (1993), Gerechtigkeit und Recht. Grundlinien christlicher Rechtsethik (1996), Kirche in der Zeitenwende. Gesellschaftlicher Wandel und Erneuerung der Kirche (1998), Vertrauen erneuern. Eine Reform um der Menschen willen (2005), Im Geist der Freiheit. Für eine Ökumene der Profile (2007), Der christliche Glaube. Eine evangelische Orientierung (2008), Ethik. Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod (2013), Glaubensfragen. Eine evangelische Orientierung (2017) und Dietrich Bonhoeffer. Auf dem Weg zur Freiheit. Ein Porträt (2019). Mit Torsten Meireis und Hans-Richard Reuter hat er das Handbuch der Evangelischen Ethik (2015) herausgegeben.

Im Rahmen seiner Aufgaben als Bischof, Hochschullehrer und öffentlicher Intellektueller hat er durch eine große Zahl von Vorträgen und Predigten, Diskussionsbeiträgen und öffentlichen Wortmeldungen die Diskussion über viele Themen angeregt oder angestoßen.[19]

Eine wissenschaftliche Untersuchung seiner Arbeiten hebt die zentrale Stellung des Begriffs der „kommunikativen Freiheit“ hervor.[20] Seine Theologie und sein öffentliches Engagement sind in der Überzeugung begründet, dass das Christentum die Religion einer lebensdienlichen Freiheit ist. Die Neuentdeckung dieser Freiheitsbotschaft in der Reformation Martin Luthers bildet den Ausgangspunkt für Hubers Freiheitsverständnis, das er in jüngerer Zeit verstärkt auf den Begriff der „verantworteten Freiheit“ bringt. Dieses Freiheitsverständnis verbindet Individualität und Sozialität miteinander; es führt über eine verengte Vorstellung von Freiheit als Selbstverwirklichung im Dienst des bloßen Eigennutzes hinaus. Im Anschluss an den Soziologen Max Weber, den Theologen Dietrich Bonhoeffer und den Philosophen Hans Jonas entwickelt Huber eine Verantwortungsethik für das Leben unter den Bedingungen der Moderne. Dieser Ansatzpunkt bestimmt seine Beiträge zu den großen ethischen Fragen der Gegenwart. Immer wieder äußert er sich in diesem Sinn zu Fragen der Wirtschaftsethik,[21] der politischen Ethik[22] und der Bioethik.[23]

Huber engagierte sich nachdrücklich in der Friedensbewegung der frühen 1980er Jahre. Ziviler Ungehorsam schien ihm in bestimmten Situationen als angemessen, in denen im demokratisch-parlamentarischen Verfahren lebenswichtige Fragen nicht genügend berücksichtigt würden.[24][25]

Huber sprach sich gegen die Herstellung menschlicher Embryonen zu Forschungszwecken aus; er befürwortete die deutsche Stichtagsregelung, mit deren Hilfe grundlegende Forschungen mit embryonalen Stammzellen möglich wurden.

Reformen

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Als Bischof und Ratsvorsitzender der EKD ist Huber vor allem als Reformer hervorgetreten. Angesichts einer weitgehenden Entkirchlichung im Osten Deutschlands hat er die missionarische Neuorientierung der Kirche hervorgehoben und in diesem Zusammenhang auch die Bedeutung pietistischer Traditionen in der evangelischen Kirche neu gewürdigt. Die Konzentration auf den Kern des kirchlichen Auftrags und die Öffnung nach außen, hin zu Menschen, die den Kontakt mit dem christlichen Glauben verloren haben, verbinden sich in seiner Vorstellung von Kirchenreform. Klarheit im Blick auf die Aufgabe der Kirche verpflichtet nach seiner Auffassung geradezu zur Beweglichkeit in den Formen. Diese Grundhaltung prägt das unter seiner Leitung ausgearbeitete Perspektivprogramm „Kirche der Freiheit“, das 2006 ausgearbeitet wurde und ein lebhaftes Echo auslöste.[26] Die vielfältige Resonanz auf dieses Programm wurde 2009 in der Zukunftswerkstatt der EKD in Kassel gebündelt. Seitdem vermittelt eine Reihe von Kompetenzzentren die Reformimpulse in die 21 Landeskirchen, die zur EKD gehören.

Auch in seiner eigenen Landeskirche, der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, wurde unter Hubers Leitung ein Perspektivprogramm entwickelt, das den Titel „Salz der Erde“ trägt und 2007 veröffentlicht wurde.[27] In seiner Amtszeit als EKD-Ratsvorsitzender wurden die konfessionellen Zusammenschlüsse Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands und Union Evangelischer Kirchen organisatorisch mit der EKD verbunden; die Zahl der evangelischen Landeskirchen wurde in dieser Zeit von 23 auf 21 vermindert. Weitere strukturelle Reformen wurden in Gang gebracht.

Nachdrücklich setzte Huber sich für den Bildungsauftrag der Kirche ein, insbesondere durch die Förderung von Schulen in kirchlicher Trägerschaft und durch sein Eintreten für den Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen. In der Auseinandersetzung um die Einführung des Faches Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde (LER) im Land Brandenburg vertrat er den kirchlichen Standpunkt vor dem Bundesverfassungsgericht, die Auseinandersetzung endete 2002 mit einer vom Gericht vorgeschlagenen Kompromissregelung, in der die Möglichkeit vorgesehen wurde, sich vom staatlichen Pflichtfach LER zu Gunsten des Religionsunterrichts abzumelden. In Berlin dagegen verweigerte die Mehrheit des Abgeordnetenhauses jegliche Wahlmöglichkeit zwischen Religionsunterricht und Ethikunterricht; der daraufhin von einer Bürgerinitiative angestrengte und von den Kirchen unterstützte Volksentscheid verfehlte jedoch im April 2009 die notwendige Mehrheit. Eine vergleichbare Auseinandersetzung schloss sich an die Entscheidung des Berliner Abgeordnetenhauses an, zehn Sonntage pro Jahr, darunter alle Adventssonntage, für die Ladenöffnung freizugeben. Erneut vertrat Huber den kirchlichen Standpunkt vor dem Bundesverfassungsgericht, das im Dezember 2009 das Berliner Ladenöffnungsgesetz in dieser Hinsicht als verfassungswidrig aufhob.

Huber befürwortet für Berlin wie sein verstorbener katholischer Amtskollege Kardinal Georg Sterzinsky einen Wahlpflichtfachbereich „Ethik/Religion“. Im Gegensatz zur bisherigen Regelung, wonach in Berlin allein der Besuch des gemeinsamen Fachs Ethik verpflichtend, der konfessionell getrennte Religionsunterricht (bzw. Humanistische Lebenskunde) aber ein freiwilliges Zusatzfach ist, wären beide Fächer dann als wählbare Alternativen gleichrangig und gleichzeitig im Stundenplan verankert.[28] Huber und Sterzinsky argumentierten, ohne diese Gleichrangigkeit dränge das Fach Ethik den konfessionellen Religionsunterricht erst an den Rand und mittelfristig ganz aus der Stundentafel. (Siehe dazu Weiteres unter Religionsunterricht in Berlin.)

Der Bischof sieht in der Neuevangelisierung Deutschlands eine der dringendsten Aufgaben der evangelischen Kirche in Deutschland. Von der evangelischen Nachrichtenagentur idea wurden die Äußerungen Hubers in der Vergangenheit oft negativ beurteilt, 2006 hat ihn die Wochenzeitschrift ideaSpektrum jedoch zum Bischof des Jahres erklärt, unter anderem wegen seines Einsatzes für Mission durch die Landeskirche.[29] Am 29. April 2008 besuchte er in Bremen den Jugendkongress Christival.[30] Dort äußerte er u. a., es sei falsch, theologisch konservative, evangelikale Christen mit Fundamentalisten gleichzusetzen.[31]

Ökumene und Dialog der Religionen

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In der weltweiten Ökumene ist Huber ebenso engagiert wie im evangelisch-katholischen Dialog.[32] Er war auf evangelischer Seite der einladende Bischof für den 1. Ökumenischen Kirchentag in Berlin 2003. Bei der ökumenischen Begegnung mit dem neu gewählten Papst Benedikt XVI. in Köln am 19. August 2005 sprach er die Diagnose aus, dass die ökumenische Entwicklung in die Phase einer „Ökumene der Profile“ eingetreten sei. Angesichts der im Jahr 2007 erneuerten vatikanischen Erklärung, dass die evangelischen Kirchen nicht als „Kirche im eigentlichen Sinn“ anzusehen seien, plädierte er bei verschiedenen ökumenischen Anlässen für eine „Ökumene des wechselseitigen Respekts“, die sich dann mit einer Ökumene der gemeinsamen Spiritualität und der gemeinsamen Weltverantwortung verbinden könne. Ökumenische Fortschritte, so argumentierte er, hätten den Respekt für das Kirchesein des ökumenischen Partners zur Voraussetzung. Auf Einladung des Erzbischofs von Canterbury, Rowan Williams, sprach er sich in dessen Amtssitz, Lambeth Palace in London, am 10. September 2009 dafür aus, eine Ökumene des Indikativs, der zugesagten Einheit in Christus, im Glauben und in der Taufe, zur Basis aller ökumenischen Bemühungen zu machen.

Wolfgang Huber sieht in der religiösen Pluralität ein prägendes Kennzeichen der gegenwärtigen Gesellschaft. Diese Pluralität schließt die „säkulare Option“ als eine Antwort auf die Gottesfrage ein. Bestimmt ist diese Pluralität ferner durch die wachsende Bedeutung muslimischer Bevölkerungsgruppen in westlichen Gesellschaften. Er setzte sich in seiner Amtszeit als Ratsvorsitzender der EKD für einen offenen Dialog mit den muslimischen Verbänden ein und bemühte sich um einen regelmäßigen Gesprächskontakt mit ihnen. Als „Klarheit und gute Nachbarschaft“ bezeichnete er im Anschluss an eine diesem Thema gewidmete Handreichung der EKD die Gesprächsatmosphäre, die für einen produktiven Austausch notwendig sei. Diese Haltung löste Irritationen auf der Seite der muslimischen Verbände sowie kontroverse Debatten innerhalb der evangelischen Kirche aus. Die Warnung vor „interreligiöser Schummelei“, die er bereits 2001 ausgesprochen hatte, rief Widerspruch hervor.[33] Gegen die Handreichung des Rates der EKD vom November 2006 erhob der Koordinierungsrat der muslimischen Verbände im Mai 2007 den Vorwurf, „bestehenden Vorurteilen gegenüber dem Islam eine kirchlich-offizielle Bestätigung zu geben und sogar Klischees, die in evangelikalen Kreisen über den Islam verbreitet werden, einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.“[34] Huber hielt dem entgegen, dass ein aufrichtiger Dialog auch kontroverse Themen ansprechen müsse; so gehöre in diesen Dialog auch das Thema der Religionsfreiheit in islamischen Ländern einschließlich des Religionswechsels. Trotz bleibender Meinungsverschiedenheiten bekräftigten beide Seiten die Notwendigkeit des Dialogs. Den Maßstab der Religionsfreiheit macht Huber auch im Blick auf die Türkei geltend und äußert sich immer wieder besorgt im Blick auf die Lage der christlichen Minderheiten in diesem Land.

Bereits vor seiner Wahl zum Ratsvorsitzenden der EKD hatte Huber zum christlich-islamischen Dialog kritisch Stellung genommen. Der Spiegel griff im Dezember 2001 seine viel zitierte Rede von der „multireligiösen Schummelei“ (in späteren Texten: „interreligiöse Schummelei“) eines seiner Meinung nach allzu konsensorientierten christlichen Dialogs mit Muslimen auf.[35] Diesen Vorwurf, der sich unter anderem gegen die jahrzehntelange Dialogpraxis der eigenen Kirche richtet, wiederholte er mehrfach: „Es wird geschummelt – in dem Sinn nämlich, dass zentralen Fragen ausgewichen wird. Das nenne ich die ‚interreligiöse Schummelei‘“.[36] Anlässlich einer Journalistenfrage nach der Hasspredigt eines Imams wiederholte er den Vorwurf der „interreligiösen Schummelei“ und zeigte sich beunruhigt darüber, dass es weiterhin Menschen gebe, die einer „idealisierenden Multi-Kulti-Stimmung nach[hingen]“,[37] sprach sich allerdings auch gegen eine Dämonisierung des Islam und für Differenzierung aus.

Den Aufruf von Muslimen für eine Demonstration gegen Gewalt und für ein friedliches Zusammenleben 2004 in Köln begrüßte er als einen „Schritt in die richtige Richtung“.[37] In einer Festrede auf Einladung der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit München am 5. März 2006 schlug er – anders als bislang im unmittelbaren Dialog mit Muslimen – noch versöhnlichere Töne an: Es gebe in Deutschland „eine Koalition der Mäßigung quer durch die Religionen“.[38]

Für seinen Paradigmenwechsel zum „kritischen Dialog“ und die Polemik gegen den bisherigen christlich-islamischen Dialog wurde er aus den eigenen Reihen kritisiert. Heinrich G. Rothe, evangelischer Pfarrer und von 1992 bis 1998 Leiter der „Beratungsstelle für Islamfragen der Evangelischen Kirche im Rheinland und der Evangelischen Kirche von Westfalen“, bezeichnet Hubers Vorwürfe als haltlos: „Der Ratsvorsitzende der EKD formuliert eine prinzipielle Kritik am bisherigen christlich-islamischen Dialog. Unterschiede – so der Vorwurf – wurden nicht thematisiert, ‚nicht in das Gespräch einbezogen‘. Ein Neuanfang sei notwendig. (…) War der bisherige Dialog – wie von Bischof Huber wenige Wochen zuvor formuliert – nur ein Kuscheldialog? (…) Wer mit dabei war, weiß, dass das Gegenteil richtig ist.“[39]

In einem Interview in der Berliner Zeitschrift Cicero wünschte sich Huber keine „Islamisierung Europas“ und kritisierte die häufig wiederholten „Christen-Club“-Äußerungen des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan in Bezug auf die EU.[40]

Auszeichnungen und Ehrenmitgliedschaften

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Dissertation

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Neuere Veröffentlichungen (Auswahl)

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  • 2022: Menschen, Götter und Maschinen. Eine Ethik der Digitalisierung. C.H.Beck, München, ISBN 978-3-406-79020-1.
  • 2019: Dietrich Bonhoeffer. Auf dem Weg zur Freiheit. Ein Porträt. C.H.Beck, München, ISBN 978-3-406-73137-2.
  • 2017: Glaubensfragen. Eine evangelische Orientierung. C.H.Beck, München, ISBN 978-3-406-70076-7.
  • 2015: (Hrsg., mit Torsten Meireis und Hans-Richard Reuter) Handbuch der Evangelischen Ethik. C.H.Beck, München
  • 2013: Ethik. Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod. C.H.Beck, München, ISBN 978-3-406-65560-9.
  • 2012: Von der Freiheit. Perspektiven für eine solidarische Welt. Hrsg. von Helga Kuhlmann und Tobias Reitmeier, München, ISBN 978-3-406-63723-0.
  • 2011: Darauf vertraue ich. Grundworte des christlichen Glaubens. Freiburg.
  • 2010: Wenn ihr umkehrt, wird euch geholfen. Oder: Anmerkungen zur globalen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise. Frankfurt am Main.
  • 2010: Das Netz ist zerrissen und wir sind frei. Reden, Frankfurt am Main.
  • 2010: Gottes Wort halten, Liebe üben und demütig sein. Predigten, Frankfurt am Main.
  • 2009: Die Liebe in der Wahrheit. Die Sozialenzyklika „Caritas in veritate“ Papst Benedikts XVI. Ökumenisch kommentiert von Wolfgang Huber und anderen, Freiburg/Breisgau.
  • 2009: Der christliche Glaube. Eine evangelische Orientierung. 5. Aufl. Gütersloh.
  • 2009: Von den Grenzen der Erkenntnis und der Unbegrenztheit des Glaubens. Ein Streitgespräch zwischen Wolfgang Huber und Wolf Singer. Berlin.
  • 2009: (Hrsg.) Die Mauer ist weg. Ein Lesebuch. Frankfurt am Main.
  • 2009: Religion, Politik und Gewalt in der heutigen Welt. In: Karl Kardinal Lehmann (Hrsg.): Weltreligionen – Verstehen, Verständigung. Verantwortung, Frankfurt am Main.
  • 2008: Die Verantwortung eines Unternehmers. In: P. May u. a. (Hrsg.): Familienunternehmen heute. Jahrbuch, Bonn.
  • 2008: Habermas in protestantischer Tradition. In: Michael Funken (Hrsg.): Über Habermas. Darmstadt.
  • 2008: Die Verfassungsordnung für Religion und Kirche in Anfechtung und Bewährung. Zusammen mit Christian Waldhoff und Udo di Fabio, Münster.
  • 2007: Im Geist der Freiheit. Für eine Ökumene der Profile, Freiburg.
  • 2007: Position beziehen. Das Ende der Beliebigkeit, Lahr.
  • 2007: „Der Mensch ist zur Arbeit geboren wie der Vogel zum Fliegen…“. Hat das protestantische Arbeitsethos noch eine Zukunft? In: Die neue Frage nach der Arbeit, Wittenberg.
  • 2006: Familie haben alle. Für eine Zukunft mit Kindern, Berlin.
  • 2006: Gerechtigkeit und Recht. Grundlinien christlicher Rechtsethik, 3. Aufl. Gütersloh.
  • 2006: (Hrsg. mit Christian Gremmels) Dietrich Bonhoeffer Auswahl, 6 Bände, Gütersloh.
  • 2006: Wissenschaft verantworten. Überlegungen zur Ethik der Forschung, Göttingen.
  • 2006: Vertrauensberufe im Rechtsstaat. In: Anwaltsblatt, 8+9.
  • 2005: Der Staat und die Religionen, Bonn und Erfurt.
  • 2005: Vertrauen erneuern. Eine Reform um der Menschen willen, Freiburg/Breisgau.
  • 2005: Woran dein Herz hängt. Bischofsworte in bewegter Zeit, Gütersloh.
  • 2005: Die jüdisch-christliche Tradition. In: Hans Joas / Klaus Wiegandt (Hrsg.): Die kulturellen Werte Europas, 2. Aufl. Frankfurt am Main.
  • 2004: Vor Gott und den Menschen. Wolfgang Huber im Gespräch mit Stefan Berg, Berlin: Wichern.
  • 2004: Verfassung ohne Gottesbezug? Zu einer aktuellen europäischen Kontroverse. Gemeinsam mit Helmut Goerlich und Karl Kardinal Lehmann, Leipzig.
  • 2002: Der gemachte Mensch. Christlicher Glaube und Biotechnik, Berlin.
  • 1999: Kirche in der Zeitenwende. Gesellschaftlicher Wandel und Erneuerung der Kirche, 3. Aufl. Gütersloh.

Biografie

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Andere Literatur

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Commons: Wolfgang Huber – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

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  1. Homepage von Wolfgang Huber.
  2. EKD: Rat Wahlergebnisse.
  3. Siehe Der Mahner des Herrn. In: Tagesspiegel vom 12. August 2007.
  4. a b Fernsehkanal Phoenix: Alfred Schier mit Prof. Wolfgang Huber im Dialog (Memento vom 17. Juni 2012 im Internet Archive), Reihe Im Dialog.
  5. Homepage von Kara Huber, abgerufen am 6. April 2015.
  6. Philipp Gessler: Wolfgang Huber. Ein Leben für Protestantismus und Politik. Kreuz Verlag, Freiburg im Breisgau 2012, S. 53.
  7. Petra Schulze (Hrsg.): Menschen von nebenan – Wie sie leben, was sie glauben. (Memento vom 11. Oktober 2008 im Internet Archive), ISBN 978-3-374-02501-5.
  8. Bischof Huber kehrt in den Ethikrat zurück. In: Morgenpost.de vom 12. April 2010 (nur im Abo verfügbar).
  9. Marcus Heithecker und Daniel F. Sturm: Die Favoriten. In: Die Welt vom 2. Juni 2010.
  10. Wolfgang Huber war bis 1994 Mitglied der SPD; er trat aus der SPD aus, als er das Amt des Bischofs übernahm. Zunächst wollte er die Mitgliedschaft ruhen lassen, was aber nach der Satzung der SPD nicht möglich war, siehe Wolfgang Huber „Auf Gott vertrauen, den Nächsten lieben und auch mit sich selbst sorgfältig umgehen“ – Interview im Deutschlandfunk, März 2014.
  11. Mariam Lau: Evangelikale als eine Macht in der deutschen Politik. Welt Online, 11. August 2009, abgerufen am 20. Januar 2016.
  12. Homepage des STIAS.
  13. Homepage von Wolfgang Huber.
  14. Meldung auf Evangelisch.de.
  15. Homepage Universität Duisburg Essen, abgerufen am 4. Januar 2013.
  16. Claudia Keller und Ursula Ott: Einer klüger als der andere. Anstrengend! In: Chrismon. Nr. 7, 2020, S. 30 (evangelisch.de).
  17. Dietrich Bonhoeffer Werke, 16 Bände, 1986 ff.; vgl. auch Dietrich Bonhoeffer Auswahl, 6 Bände, 2006.
  18. Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert, 1973–1995.
  19. Wolfgang Huber: Dietrich Bonhoeffer – ein evangelischer Heiliger? (Vortrag im Ateneo Sant’Anselmo, Rom) 3. Mai 2007.
  20. Willem Fourie: Communicative freedom? Wolfgang Huber's critical engagement of modernity. Doctoral dissertation: University of Stellenbosch (South Africa) 2009.
  21. Huber: Wenn ihr umkehrt, wird euch geholfen. Oder: Anmerkungen zur globalen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise, Frankfurt am Main 2010.
  22. Verfassung ohne Gottesbezug? Zu einer aktuellen europäischen Kontroverse. Gemeinsam mit Helmut Goerlich und Karl Kardinal Lehmann, Leipzig 2004.
  23. Der gemachte Mensch. Christlicher Glaube und Biotechnik, Berlin 2002.
  24. Werner A. Perger: Nicht mehr Narr der Mächtigen. In: Die Zeit, 48/1993. 26. November 1993, abgerufen am 7. August 2018.
  25. Hans Michael Heinig: Der Protestantismus in der deutschen Demokratie. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 31. August 2015, abgerufen am 7. August 2018.
  26. Kirche der Freiheit (Ein Impulspapier des Rates der EKD; PDF-Datei; 470 kB) vom 1. Juli 2006.
  27. DAS PERSPEKTIVPROGRAMM DER EKBO (Memento vom 16. Februar 2010 im Internet Archive).
  28. Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz: Bischof Huber: Schüler müssen zwischen Ethik und Religion frei wählen können. Appell anlässlich der Beratung des Schulgesetzes am 23. März im Abgeordnetenhaus (Memento vom 16. Februar 2007 im Internet Archive)
  29. ideaSpektrum 51/52/2006.
  30. Benno Schirrmeister: Das totale Superglaubensfest. In: taz vom 1. Mai 2008.
  31. Aussage zu Hubers Nichtgleichsetzung theologisch konservativ evangelikaler Christen mit Fundamentalisten in Martin Urban: Die Bibel – Eine Biographie. ISBN 978-3-86971-006-8, der das wiederum mit einer epd-Meldung vom 2. Mai 2008 belegt.
  32. Klarheit und gute Nachbarschaft. Christen und Muslime in Deutschland. Eine Handreichung des Rates der EKD (= EKD-Texte, 86), Hannover 2006.
  33. Der Spiegel, 17. Dezember 2001, S. 44–56.
  34. Evangelischer Pressedienst, 24. Mai 2007.
  35. „Selbst oft nachgiebig bis zur ‚multireligiösen Schummelei‘ (so der Berliner Bischof Huber), zeigen sich die christlichen Dialogisten immer wieder verblüfft über den Absolutheitsanspruch ihrer Gegenüber“, Jochen Bölsche: Der verlogene Dialog. In: Der Spiegel vom 17. Dezember 2001, S. 44–56.
  36. Interview im Deutschlandradio: „(Frage:) Sie haben gelegentlich mal das Wort von der ‚Schummel-Ökumene‘ angewandt, den man sozusagen auch für das Interreligiöse verwenden könnte. Wird da immer noch geschummelt, wenn es um das Gespräch zwischen Christen und Muslimen geht? – (Antwort Huber:) Es wird geschummelt – in dem Sinn nämlich, dass zentralen Fragen ausgewichen wird. Das nenne ich die ‚interreligiöse Schummelei‘, von der ich glaube, dass sie nach dem 11. September nicht mehr möglich ist.“ Deutschlandradio: Tacheles – Das Streitgespräch: Wolfgang Huber, Bischof der evangelischen Kirche von Berlin-Brandenburg (Memento vom 22. Oktober 2007 im Internet Archive); 23. Mai 2003.
  37. a b FOCUS-Interview über die Grenzen des Dialogs zwischen Christen und Muslimen „Nicht der gleiche Gott“ (Memento vom 17. März 2008 im Internet Archive), 22. November 2004.
  38. „Gesicht zeigen“ – Festrede anlässlich der Eröffnung der Woche der Brüderlichkeit im Münchener Rathaus. Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, 5. März 2006.
  39. Heinrich G. Rothe: Kuscheldialog oder Streitkompetenz? In: Bernd Neuser (Hrsg.): Dialog im Wandel. Der christlich-islamische Dialog: Anfänge – Krisen – neue Wege, Neukirchen-Vluyn 2005, S. 70–79.
  40. Christiane Goetz-Weimer und Alexander Görlach: Sind Sie konservativ geworden? (Memento vom 31. Mai 2008 im Internet Archive) (Interview mit Wolfgang Huber). In: Cicero vom 16. Mai 2008.
  41. Der Deutsche Kinderpreis. (PDF) World Vision Deutschland, 2007, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 14. Juli 2014; abgerufen am 12. Juli 2010.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.worldvision.de
  42. stiftungbrandenburgertor.de: Kulturgroschen.
  43. Pressemitteilung der EKD (Memento vom 27. Januar 2013 im Internet Archive).
  44. Meldung auf Welt Online.
  45. Homepage der Universität Duisburg-Essen. Universität Duisburg-Essen, abgerufen am 25. Oktober 2012.
  46. Pressemitteilung der Stadt Pforzheim (Memento vom 17. Mai 2014 im Internet Archive).
  47. Meldung auf Evangelisch.de.
  48. Brandenburg ehrt Äbtissin und Altbischof mit Verdienstorden (Memento vom 14. Juni 2015 im Internet Archive), abgerufen am 21. Juni 2015.
  49. Newsletter der EKD.
  50. Altbischof Wolfgang Huber mit LutherRose 2021 ausgezeichnet, ekd.de, Meldung vom 2. Mai 2022.
VorgängerAmtNachfolger
Martin KruseBischof der Ev. Kirche in Berlin-Brandenburg
1994–2003
er selbst
(für die fusionierte Landeskirche)
(1) er selbst (in Berlin-Brandenburg) und
(2) Klaus Wollenweber (in der schlesischen Oberlausitz)
Bischof der Ev. Kirche
Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz

2004–2009
Markus Dröge