DSH Beispiel Lesetext
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Lesetext
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DSH SoSe 2008 (01.04.2008) Leseverstehen und wissenschaftssprachliche Strukturen Mobiltelefonschriftsteller hervorgebracht. Den Anfang machte vor sechs Jahre der Schriftsteller Yoshi, der einen Roman als Blog verffentlichte. Seither sind viele Laien ohne jede Erfahrung seinem Beispiel gefolgt. Krzlich hat die magische Bcherei untersttzt von Telecom-Gigant NTT DoCoMo den weltweit ersten Preis fr den besten Mobiltelefonroman verliehen, bei rund 2400 Einsendungen keine leichte Aufgabe. Schreiben in der Mittagspause Die Amateurschriftsteller schreiben ihre biographischen Geschichten auf dem Mobiltelefon, dem Medium entsprechend, kompakt und hastig. In den Pausen whrend seiner Arbeit als Gebrauchtwagenverkufer tippte Sinka, der vorher freiwillig nie mehr als zwei Zeilen geschrieben hatte, auf seinem Mobiltelefon den Roman "Ich will dich wiedersehen" und erreichte 100.000 Leser. Verglichen mit Mika ist das bescheiden. Ihr Liebeshimmel hat ber 1,2 Millionen Kufer gefunden, ber 17 Millionen Besucher zhlt ihre Webseite. Professionelle Schriftsteller rmpfen ber diese Art Literatur die Nase. Aber wir lernen von ihr auch das Frchten. Sie hat etwas Unmittelbares, Naives, Kunstloses, was aber offensichtlich fesselt und zum Lesen reizt, behaupten sie. Warum aber ist dieser Boom gerade in Japan so ausgeprgt? Mehrere Faktoren kommen zusammen. In Japan wird viel gelesen. Ein Buch, eine Zeitung bei sich zu haben, ist normal. Das Mobiltelefon ist da tatschlich nur eine neue Verpackung. Sich seiner so vorbehaltlos zu bedienen, hat aber mit einer anderen japanischen Eigenheit zu tun: der enthusiastischen Technikfreundlichkeit. Die Sorge zum Sklaven der Maschine zu werden, plagt die Japaner nicht. Jedes neue Spielzeug muss ausprobiert werden, wenn es nichts taugt, wandert es in den Mll. Ein Telefon zum Lesen und Schreiben, warum nicht! Welche neuen Mglichkeiten sich damit erffnen, erfhrt man nur, wenn man es selber ausprobiert. Dazu braucht man natrlich auch Zeit, wovon die Japaner, die fleiig arbeiten, gewiss nicht mehr haben als andere. Aber ihre Zeiteinteilung ist anders. Wenn man mit dem Auto fhrt, kann man keinen Roman lesen, geschweige denn schreiben. Wenn man im Zug sitzt oder steht, schon. Und das tun die meisten Japaner ausgiebig. Das Mobiltelefon ist das fr den japanischen Lebensstil ideale Instrument, um in Kontakt zu bleiben und seine Zeit sinnvoll zu verbringen. Das Lesen auf dem kleinen Display muss doch fr Lesebegeisterte eine Zumutung sein. Mag sein, aber die Technik spielt auch eine Rolle, die Hardware und 2
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DSH SoSe 2008 (01.04.2008) Leseverstehen und wissenschaftssprachliche Strukturen die Software. Die Displays der heutigen japanischen Mobiltelefongeneration sind grer, schrfer und lichtstrker als bisher. Auf eine Displayseite passen ungefhr 100 Zeichen, was je nach Textsorte einem Drittel oder halb so vielen Wrtern entspricht. Die Informationsdichte ist erheblich grer als die alphabetisch geschriebener Texte. Man braucht nicht nach jedem Satz umzublttern und liest berdies schneller. Die Zeit, die Technik und die japanische Schrift wirken zusammen und sind der E-Lektre frderlich. Unterdessen nimmt die Medienrevolution weiter ihren Lauf, der nach wie vor kulturell geprgt ist.
Nach: Florian Coulmus, Sddeutsche Zeitung vom 17.04.2007
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