2018 09 25 Sound Recording

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D: € 6,10
www.sound-and-recording.de

10/18 PRAXIS-MAGAZIN FÜR MUSIKER

STORY

ROOSE
VELT Die Produktion von
Young Romance

46 ROOSEVELT
Marius Lauber im Interview

52 KLANGSUCHER
Dieter Schöpf von DS-audioservice

30 AMERICAN CLASS A
Softube-Channelstrip nach API-Vorbild

ND D E S
20 WARM AUDIO WA73-EQ S OU I
SUPER
GN

Preamp-Clone im Test
-M A R
S O U N D I O-
nac S
hgeba
ut
inkl. V
ideo-T
ut
online orial
editorial
‘ Was ich an meinem Job am meisten
liebe? Die Zusammenarbeit mit den Auto-
ren, den Menschen hier bei uns im Verlag
sowie Hersteller, Künstler, Produzenten
und Engineers zu treffen, die mit purem
Enthusiasmus und großer Begeisterung
ihrer Arbeit nachgehen und die Leiden-
schaft zur Musik mit mir teilen. Oft kommt
es vor, dass ich Artists treffe, deren Musik ich selbst gern höre. Jetzt bin ich
zwar aus dem Groupie-Alter raus, aber trotzdem ist es immer wieder span-
nend, die Menschen hinter dem Cover, hinter dem Song und dem Sound ken-
nenzulernen.
So hatte ich neulich die Gelegenheit, den Elektro-Produzenten und Artist
Marius Lauber aka Roosevelt in seinem Studio in Köln zu treffen. Sein Selftitled-
Album war der Soundtrack meines Sommers 2016, und im Jahrhundertsom-
mer 2018 lief sein aktuelles Album Young Romance im Autoradio heiß. Marius
ist ein bodenständiger Kerl, der trotz Künstlervertrag bei BMG in Joggingbuxe
und gelbem Käppi ganz leger zum Interview erscheint − und das pünktlich,
was bei Musikern ja nicht immer der Fall sein muss. Er meint: »Endlich geht
es im Interview mal um das Wesentliche, die Musik und den Sound!« Ich bin
überrascht, welche Synth-Schätze in der Keyboard-Burg des 28-Jährigen ver-
schanzt sind. Im Interview erzählt er, welchen Vorteil analoge Hardware für
ihn hat, warum er alle Instrumente selbst im Studio aufnimmt und was ihm
im Mixingprozess in Kalifornien am wichtigsten war.
Spannend ist auch wieder die Kolumne von Peter Walsh, in der es um das
Zwischenmenschliche zwischen Künstler und Mixing-Engineer geht, ein Thema,
das mir persönlich viel zu oft zu kurz kommt. Er stellt die Wichtigkeit der ver-
wendeten Technik gleichauf mit der Beziehung, dem Vertrauen und der Kom-
munikation während einer Produktion. Zu Recht?

Viel Spaß beim Lesen dieser SOUND&RECORDING-Ausgabe!

Marc Bohn
Chefredakteur SOUND&RECORDING
PS: Folgt mir auf Instagram und Twitter!

@MarcBohn84 @MarcBohn84

sound & recording 10.2018


ROOSEVELT FOR PRESIDENT
Wir treffen den Künstler und Produzenten Marius Lauber aka Roosevelt in seinem Kölner Studio, kurz vor dem Release seines neuen Albums

46 Young Romance, kurz vor der Tour mit seiner Band in Deutschland, Europa und den USA, und … kurz vor dem großen Durchbruch? Marius
freut sich sichtlich auf das Interview und sagt: »Endlich geht es mal um das Wesentliche, die Musik und den Sound!«

ELYSIA SKULPTER WARM AUDIO WA76-EQ SOFTUBE AMERICAN


26 500 — PREAMP IM 20 Lange war der charakterstarke Sound klassischer 30 CLASS A — SOFTWARE-
500ER-API-FORMAT Neve-Preamps den erlauchten Besitzern der
Originale vorbehalten. Seit einiger Zeit drängen
CHANNELSTRIP
Bekannt geworden ist der deutsche Hersteller Ely- Auf einen neuen Channelstrip mussten Con-
jedoch immer mehr Nachbauten auf den Markt,
sia mit innovativen Dynamik-Tools wie dem alpha sole-1-Anwender lange warten: Seit dem
die ein klassisches Klangbild zum günstigen
compressor, dem nvelope und dem mpressor; Erscheinen der Neve-Emulation »British
Preis versprechen. Eine Firma darf in diesem
daneben umfasst das Portfolio auch EQs und Sätti- Class A« sind fast zwei Jahre vergangen. Nun
Konzert der Neve-Clones natürlich nicht fehlen:
gungstools. Kaum zu glauben, aber mit dem Skulp- legen die Schweden endlich nach: »American
Warm Audio.
ter 500 stellt das 2005 gegründete Unternehmen Class A« ist ein Channelstrip nach API-Vorbild.
erstmals einen Preamp vor. Aber Elysia wäre nicht Gleichzeitig erscheint er auch als normales
Elysia, wenn es einfach »nur« ein Preamp wäre. VST/AU/AAX-Plug-in für Anwender ohne
Console-1-Hardware.

4 MAGAZIN INHALT SOUND & RECORDING 10.2018


Inhalt 10.2018
MAGAZIN
3 Editorial
8 Crosstalk − Kolumne von Hans-Martin Buff
10 Facts & Storys
12 Online Blog
79 Inserenten, Impressum
80 Beziehung und Vertrauen − Kolumne von Peter Walsh
82 Vorschau

SPECIAL
46 Roosevelt for President − Die Produktion von
Young Romance

14 DPA — MIKROFONINNOVATION TESTBERICHTE


AUS DÄNEMARK 20 Warm Audio WA73-EQ − Preamp-Clone
Es gibt viele Mikrofonhersteller, die traditionell ausgesprochen stolz auf den 26 Elysia Skulpter 500 − Preamp im 500er-API-Format
eigenen Klang ihrer Mikrofone sind. Bei einem vergleichsweise jungen und
30 Softube American Class A − Software-Channelstrip
innovativen Unternehmen aus der Nähe von Kopenhagen in Dänemark ist
dies ein wenig anders gelagert — und das ist auch gut so!
34 Steinberg UR-RT4 − USB-Audio-Interface
38 Omnitronic TRM-402 − Rotary-DJ-Mixer

STORY
14 DPA − Mikrofoninnovation aus Dänemark
42 I’m Sound − Vintage-Experte Thomas Weilbier im
Gespräch mit Versicherungsexpertin Janina Klabes
46 Roosevelt for President − Die Produktion von
Young Romance
52 Audiohersteller Dieter Schöpf − DS-audioservice
56 Vinyl-Produktion von Axel Heilhecker
62 Mixpraxis − Emile Haynie über seine Arbeit mit
Florence + The Machine

PRAXIS
70 Sounddesign − Super-Mario-Sounds
72 Studiotipps − Kniffe, die die Welt verbessern!

KULT
MIXPRAXIS — EMILE HAYNIE ÜBER SEINE 76 Love The Machines − Von Standuino zu Bastl:
62 ARBEIT MIT FLORENCE + THE MACHINE Invasion der Nerd-Module
»So sehr ich es auch liebe, mit echten Künstlern und richtigen Orchestern, mit
Bläsersektionen und superguten Session-Musikern zu arbeiten, gibt es für www
mich doch nichts Schöneres, als in einem Raum voller Equipment zu sitzen, an SOUND & RECORDING ONLINE
Beats, neuen Klängen und Akkord-Arrangements zu arbeiten, ein neues Key-
board, eine Drummachine oder neue Plug-ins auszuprobieren. Bedroom-Pro- Videos & Klangbeispiele gibt’s auf unserer Website unter »HEFT«. Dort
duktion war mein Ding, und im Grunde ist es das immer noch.« findest du alle Ausgaben und kommst mit einem Klick auf den Titel sofort
zu der Artikelübersicht. Hier musst du dann nur noch den Artikel wählen, zu
dessen Downloads du möchtest, wie z. B. Love The Machines, und schon
kannst du dir die Downloadpakete herunterladen.

r www.sound-and-recording.de

SOUND & RECORDING 10.2018 INHALT MAGAZIN 5


KOLUMNE | Crosstalk

Kann … muss aber nicht


Autor: Hans-Martin Buff Fotos: Yana Heinstein, Wolfram Buff, Matthias Reinsdorf, Holger Vogt, Mark Craig

‘ Komisch. Mir ist dieser Tage irgendwie nicht nach Gesell- zentriert wild schraubend vor einer Knopf- und Kabelwand,
schaft zumute. Wahrscheinlich sollte ich ein Weilchen irgend- und wenn ich nicht rechtzeitig »Halt! Geiler Sound! Aufneh-
was Neues erdrehen, das mir so richtig gefällt und mich dann men!« schrie, war er gleich wieder und für immer verschwun-
wieder in die Gesellschaft gleichgesinnt Verrückter zieht, denen den, der Sound. Mit einem normalen Keyboard spielen
ich den Kram unbedingt vorspielen möchte. Schließlich wer- konnte man den Kram auch nicht, sondern nur auf einem
den Leute aus zwei Gründen Produzent, entweder weil sie gut der Modularbausteine irgendeine kurz-taktige Sequenz pro-
mit anderen kommunizieren können oder aber weil sie sonst grammieren, und wenn nicht ein weiterer Mensch daneben
mit anderen kommunizieren müssten. Bei mir ist jetzt halt mal stand und dem Sounddreher beim Umschalten der Töne
Letzteres dran; ich mache auf einsamer Schrat in stillem Käm- half, blieb eine Dauerschleife in Gleich-Dur.
merlein und werde in Klausur erkunden, welch cooler Unfug Aber geil klang’s halt schon, und mich erfasste über die
sich mit einem Modularsystem anstellen lässt. Zeit der Wunsch, irgendwelche Sounds, die nichts mit Syn-
Für Nicht-Eingeweihte: Ein Modularsystem ist ein Syn- thesizern zu tun haben, durch ein Modularmonster zu jagen
thesizer-Konstrukt, das bei vollem Einsatz so aussieht wie und unerwarteten, krassen Kram ausgespuckt zu bekommen.
die an das Telefonamt erinnernden Ur-Synthesizer. Die heu- Diese Idee ist nicht die meine, sondern die von Altmeis-
tige Variante heißt deswegen Modularsystem, weil man ter Brian Eno (googeln Sie jetzt!), der nicht nur Gitarren in
nicht vor einem fest gestrickten Klangzeug sitzt, sondern Synthesizern verbrezelte, sondern auch mal meinte, dass in
sich in einer leeren Spezialkiste den eigenen Lieblings- der Popkultur jede unangenehme Nebenwirkung einer
synthie aus Einzelteilen zusammenschrauben kann, welche neuen Idee sofort nach deren Behebung zu Kult wird. Da hat
dann wie bei der Ur-Variante mit Patchkabeln wild verbun- er völlig recht, der Herr Eno. Ist ja auch anderweitig auch zu
den werden. beobachten, etwa die Erinnerung an Uromas Schwitzkur bei
So eine Modularkonstruktion steht jetzt in der Buff- einer fiesen Erkältung – unangenehm heiß und tierisch ge-
Kammer, und ich bin gespannt, ob ich nicht versehentlich langweilt zu ertragen –, die wohligen Wiederholungswert
einmal mehr dem Zeitgeist auf den Leim gegangen bin. Das hat, seitdem man sie nicht mehr durchstehen muss, son-
erste Modularsystem, das mir vorgestellt wurde, hatte mich dern selbst für Kräftigeres zum Arzt rennen kann.
nämlich nicht so wirklich überzeugt: Da stand ein Mensch Vielleicht bin auch ich beim Anblick meiner Modularkis-
auf der Suche nach einem Sound stundenlang höchst kon- te von Sentimentalität nach dem Anti-Heute motiviert, also

8 MAGAZIN CrossTALK sound & reCording 10.2018


nach Pause von der Computerstabiliät von Undo und Dop-
pelklick und dem abenteuerlichen Versprechen einmaliger
(und selbstverständlich inspiriert grandioser) Performance. #TE C H N I SC H
Doch wann, Hand aufs Herz, hat denn der Herr Tonbuff zum
letzten Mal irgendwas Langes von vorne bis hinten durch-
gerödelt, ohne später nachzubessern, sei das nun ein Back-
#P R A K TISC H
ground-Ooh oder eine Mischfahrt am Stimmregler? Da ver-
schwimmen die Zeitlinien der Erinnerung an das Glücks-
gefühl nach durchstandenem Unsäglichem mit der selbst-
#KOSTENLOS
verständlichen Editierbarkeit von heute − wie etwa bei so
mancher Band, die beim Blick auf den schnippelnden Ton-
schnippler verächtlich »Wir spielen live zusammen« tönt
und doch nach drei klappernden Mufftakes schnell wohin
muss und »Du machst das schon« säuselt.
Die Band Black Keys kann zudem berichten, dass, auch
wenn irgendwann mal was echt geil war, dieses heute nicht
mehr so sein muss. Die zogen mit großer Soulfreude ins
berühmte Muscle Shoals Studio in Alabama, aber was war?
Ein ausgeräumtes Gebäude mit Schild und nix drin. Es wur-
de dann trotzdem Mut zur Vergangenheit bewiesen und mit
ganz viel Mono plus Muscle Shoals Raum aufgenommen …
aber halt mit dem nachgeholten eigenen Kram, in Pro Tools
mit Gitarrentretern und allem, was heute so geht.
Egal. Wenn keine Nachstellung einer vergangenen
Schlacht um den wahren Sound der Grund der rückblicken-
den Klangsuche ist, muss Lo-Fi-Sound ja nicht gleich Lo-Fi-
Bedienung sein und hat lange Tradition, selbst in der Zeit,
aus der man heute Lo-Fi-Sounds holt. Man nehme nur die
Rolling Stones, die schon vor einem halben Jahrhundert
Krawallwerke verzerrt auf tragbaren Kassettenrecordern
aufgenommen und dann glücklich auf Schick-Tonband
überspielt und gewienert haben.
Ich nehme mir ein Beispiel, freue mich an jedem Ober-
krachmacher-Plug-in mit eingebautem »Noise-Rausch-Knis-
ter-An/Aus«-Knopf, bestelle zum zügellosen Modular-Oszil-
lator noch ein MIDI-Kästchen dazu, und wenn ihr mich
dann fragt, ob ich meinen Krasssound wirklich so monoton
halten möchte, lächle ich und säusele: »Ich kann. Muss aber
#WOR KS HOPS
nicht.« n [6645]
Audio & Music Business
ÜBER DEN AUTOR
Wer bereits mit musikalischen größen wie Prince, Zucchero, no doubt und Mousse T. deutschlandweit am SAE Institute
gearbeitet hat, darf sich ungestraft »Tonbuff« nennen. Hans-Martin Buff ist ein er-
fahrener recording-engineer und Producer und arbeitete viele Jahre in den Prince’
Paisley Park studios in Minneapolis. oder sollte man ihn Parkwächter nennen? denn
zurück in deutschland arbeitete er in Mousse T.s Peppermint Park studios. sei’s
drum: unzählige berühmte Produktionen erfreuen sich heute unverfälschter Buff-
tonqualität. Als Kolumnist in sound & reCording macht er reinen Tisch mit recor-
ding-Mythen und Audio-Lügen ...

r www.buffwerk.com
Eine Übersicht aller Workshops findest du auf
www.sae.edu/workshops

sound & reCording 10.2018


FACTS & STORYS | MAGAZIN

Neues SAE Institute in Wien


Seit dem 14. September gibt es einen neuen SAE-Campus in der
österreichischen Hauptstadt. Im Beisein von Heinrich Himmer, Bil-
dungsdirektor der Stadt Wien, gaben Chris Müller, General Manager
SAE Institute in der DACH-Region, und Campus-Manager Christian
Ruff den Startschuss in der Hohenstaufengasse 6.
Auf 2.900 Quadratmetern sollen nun bis zu 800 Studierende
Platz finden. Neben den hiesigen bekannten Studiengängen soll es
am Wiener Institute auch neue Studiogänge wie Music Business,
Ausflüge in die Virtual Reality-Welt und interdisziplinäre Kultur-
projekte geben. Dabei liegt der Fokus auf eine intensive Vernetzung
mit der lokalen Musik-, Kultur-, Kunst- und Startup-Szene.
In den neuen Räumlichkeiten befinden sich nun einige Tonstudios mit modernster Ausstat-
tung sowie eine Greenbox, Schnittstudios und ein Mischkino. Die Studios sind dabei immer in
Anlehnung an bedeutende österreichische Künstler designt, wie Mozart, Falco, Kruder & Dorf-
meister, Bilderbuch, Camo & Krooked oder auch Romy Schneider.
r www.sae.edu/aut

Waldemar Vogel bei einem Work-


shop (Rock / POP&Hip Hop) in
St. Petersburg in der New Tone Mixing-Workshop mit Engineer Waldemar Vogel
Academy zum Thema »Mixing« In den Fix-My-Mix-Workshops stellt euch Waldemar sein Mixing-Konzept
vor, das er sich über die letzten 10 Jahre erarbeitet hat. Im Fokus stehen
die Herangehensweise an einen Mix und wie man ihn schnell auf ein
professionelles Niveau bekommt. Dazu zeigt euch Waldemar, wo man
die nötige Lautstärke, die Dichte, den Druck und den Groove herbe-
kommt, wie er mit den Effekten Tiefe und Emotion erzeugt und wie
man Lautstärkeverhältnisse nutzt, um Gefühle zu erzeugen.
Waldemar selbst: »Mir geht es bei den Workshops nicht darum,
dass ich kurz einen Mix mache und fertig. Es geht mir viel mehr darum,
dass die Leute verstehen, wie ein professioneller Mix entsteht. Welche
Fehler kann ich vermeiden, und was für ein Konzept kann ich für mich
übernehmen, um unabhängig vom Song oder Genre einen guten Mix
machen zu können?«

Der Workshop findet in Waldemars eigener Regie in den Maarweg-


studios in Köln statt.

Nächster Workshop:
Credits: u. a. Chilly Wann: 21.10.2018, 11 − 19 Uhr
Gonzales, Rea Garvey,
Max Giesinger, Jupiter
Wo: Maarweg 149 − 161, 50825 Köln
Jones, Roger Cicero, Preis: 159,− Euro
Frida Gold, Stefanie
Heinzmann, Angelika Weiterer Termin:16.12.2018
Niescier, Florian Hier geht’s zur Anmeldung:
Der Workshop ist auf 6 Teilnehmer begrenzt. r www.soundandrecording.de/
Weber, Lee Konitz &
Max Rafferty Also ran an den Speck! workshop

10 MAGAZIN FACTS & STORYS SOUND & RECORDING 10.2018


Alles nur Schall und Raum?
Es steht zufällig ein Studio(um)bau
an? Ob ja oder nein, einige akustische
Grundkenntnisse sind für jeden Home-
recorder und (semi-)professionellen
Engineer essenziell. Oft lässt sich
schon durch eine andere Positionie-
rung des Arbeitsplatzes oder der Moni-
tore viel bewirken. Mehr Informatio-
nen bekommst du bei der Workshop-Tour namens Schall und Raum von und mit PSI Audio, mbakustik, Zaor
Studio Furniture und dem Abbey Road Institute. Hier gibt’s fundierte Kenntnisse zu Studiogestaltung, Raum-
akustik und Lautsprechern.
Im Oktober und November macht die Tour Halt in Berlin, Frankfurt und Ludwigsburg. Roger Roschnik von
PSI Audio stellt die Schweizer Präzisionsmonitore und die aktive Bassfalle AVAA C20 vor. Markus Bertram von
mbakustik führt in die Prinzipien der Tonstudioakustik ein. Klaus Gehlhaar von Zaor erklärt die akustischen
und ergonomischen Aspekte beim Möbeldesign. Ulli Schiller vom Abbey Road Institute gibt einen Einblick in
den Lehrplan der Lehreinrichtung und spricht über den Bau eines modernen Tonstudios.

Die Termine:
5. Oktober: Abbey Road Institute Berlin
12. Oktober: Abbey Road Institute Frankfurt am Main
9. November: Bauer StudiosLudwigsburg

Die Veranstaltung kostet für Teilnehmer 12,90 Euro, der Veranstalter ist Audiowerk.
r www.audiowerk.eu
ONLINE BLOG
Hörbeispiele, Online Blogs und
Downloads findest du unter:
r www.soundandrecording.de/blog

Cubase Tutorial — Cubase Tutorial —


Send-Effekte, Teil 1 Send-Effekte, Teil 2
Das Einfügen von Send-Effekten in eine Session klingt erstmal nach Wenn man immer wieder verschiedene Arten von Send-Effekten zu
einer relativ trivialen Aufgabe. Cubase bietet hierzu aber verschiedene seinen Spuren hinzufügen muss, macht es Sinn, sich über mögliche
Möglichkeiten, die man je nach Situation einsetzen kann. Einige dieser Automatisierungen Gedanken zu machen. Wie man per Tastaturkom-
Möglichkeiten zeigen wir im Video. mando zu Spuren eines bestimmten Typs Send-Effekte hinzufügt und
dieses Prinzip auch für andere Bedingungen adaptieren kann, zeigen
1. Generell benötigen wir für Send-Effekte eine Effektspur. wir im Video.
Diese lässt sich sowohl im Mixer als auch im Projekt-
fenster über das Kontextmenü und den Eintrag »Spur 1. Zunächst öffnen wir im Menü »Bearbeiten« den »Pro-
hinzufügen − Effektkanal« laden. Anschließend erstellen jektbezogenen Logical-Editor« und laden das Init-Preset.
wir auf den gewünschten Spuren Send-Wege zu diesem Dann wählen wir unter »Funktion« »Auswahl« an, denn
neuen Effektkanal. der Editor soll uns bei der Auswahl bestimmter Spuren
2. Ein Tastaturkommando zum Einfügen von neuen Effekt- unterstützen.
kanälen lässt sich in den Tastaturbefehlen unter »Spur 2. Im oberen Kästchen fügen wir mit dem [+]-Button eine
hinzufügen / Effektkanal« anlegen. neue Bedingung hinzu und stellen unter »Ziel der Aktion«
3. Im Mixer lässt sich mit einem Rechtsklick auf eine Spur »Container-Typ ist« sowie unter »Parameter 1« »Spur«
auch direkt für diese Spur ein neuer Effektkanal inklusi- ein. Dann fügen wir eine weitere Bedingung hinzu,
ve Routing anlegen. Der Eintrag im Kontextmenü dazu wobei »Ziel der Aktion« »Datentyp ist« wird und »Para-
lautet »Effektkanal zu … hinzufügen«. Wenn dies für meter 1« »Audio«.
mehrere angewählte Kanäle erfolgen soll, hält man zu- 3. Das Ganze speichern wir nun als aussagekräftiges Preset
sätzlich noch die Tastenkombination SHIFT+ALT ge- ab, wechseln in die Tastaturbefehle und erzeugen dort
drückt. ein neues Macro.
4. Auch für diesen Befehl gibt es ein zuweisbares Tastatur- 4. Als ersten Befehl des Macros fügen wir unser neu erstell-
kommando. Dieses findet sich allerdings an anderer tes Logical-Editor-Preset ein. Der zweite Befehl wird
Stelle und zwar unter »Mixer / Spur zur Auswahl hinzu- »Mixer / Spur zur Auswahl hinzufügen: FX-Kanal«.
fügen: FX-Kanal«. 5. Nun können wir dieses Macro ebenfalls mit einem Tas-
5. Der grundsätzliche Send-Level eines neu angelegten taturkommando belegen, und jedes Mal, wenn wir die-
Send-Weges lässt sich ebenfalls im Voraus konfigurie- ses Macro ausführen, werden sämtliche Audiospuren
ren. Dazu wechselt man in den Programmeinstellungen des Projekts angewählt und mit einem Effektkanal ver-
zur Kategorie »VST« und defi- knüpft. Über verschiedene Logical-Editor-
niert dort den »Standard-Send- Presets lassen sich so beliebige Kombina-
Pegel«. Dieses und weitere »Cubase Pro 9.5«- tionen und Bedingungen erstellen.
Viel Spaß beim Ausprobieren! Video-Tutorials findet ihr unter: Viel Spaß beim Ausprobieren!
r www.soundandrecording.de/cubase

12 MAGAZIN ONLINE BLOG SOUND & RECORDING 10.2018


Die Top-5-Kopfhörer
der Redaktion
Auf dem Markt gibt es eine schier unendliche
Masse an Kopfhörern … mit teils nur diffizilen
Unterschieden. Wir haben fünf Studiokopfhörer
zwischen 120 und 1.500 Euro rausgesucht, die
nie eine schlechte Figur machen und etwas
Orientierung im Kopfhörer-Dschungel bieten …

Die Top-5-Kopfhörer fürs Studio


findest du hier:
r www.soundandrecording.de/blog
STORY | DPA − Mikrofoninnovation aus Dänemark

Es gibt viele Mikrofonhersteller, die traditionell ausgesprochen stolz auf den eigenen Klang ihrer Mikrophone sind. Bei einem ver-
gleichsweise jungen und innovativen Unternehmen aus der Nähe von Kopenhagen in Dänemark ist dies ein wenig anders gelagert
— und das ist auch gut so!

Spirit, dedication & love!


Text & Fotos: Markus Thiel

‘ Gerade erst gewann das neue DPA d:fine 6066 Subminia- charakterliche Matchen von Mikrofonpaaren schließlich
tur-Headset mit einem atemberaubenden Kapselradius von sogar über Modellgrenzen hinweg gänzlich obsolet wird.
lediglich 3 mm den begehrten Best Of Show Award auf der
IBC in Amsterdam. Das dänische Unternehmen, das direkt DIE KUNST, ANDERS ZU SEIN
mit seinem ersten Mikrofon, dem d:dicate 4006, vor über 25 Das dänische Unternehmen setzt aber nicht nur technisch
Jahren bereits einen modernen Klassiker schuf, liebt tech- einen Konterpunkt zum Gewohnten, mit 15 % Wachstum in
nische Superlative und die stetige Herausforderung. Kein den letzten 10 Jahren und mit einer mittlerweile personell
anderer Mikrofonhersteller weltweit schreibt sich zudem auf mehr als verdoppelten R&D-Abteilung ist das erst 1992
die Fahne, unter Einhaltung strengster Qualitätsstandards gegründete DPA Microphones auch wirtschaftlich sowie
in einen Toleranzbereich vorzudringen, in welchem das strategisch gesehen ein echter Trendbrecher. Denn während

14 STORY DPA MICROPHONES SOUND & RECORDING 10.2018


CEO Kalle Hvidt Nielsen (links) und Produktmanager Rene Mørch (rechts)

andere Unternehmen allgemeinen Optimierungstrends fol- zwei der konzeptionellen Stützpfeiler der Unternehmens-
gend die Personaldecke einreißen, wächst das aktuell knapp philosophie.
170-köpfige Team in Allerød und an den weltweiten Stand-
orten stetig und nachhaltig. Getreu dem Motto Get Closer ERBE, IDEAL & ZUKUNFT
etablierte DPA vor Kurzem sogar ein eigenes deutsches Ver- Die Geschichte der zunächst als Danish Pro Audio gegrün-
triebsteam, welches sich bereits merklich erfolgreich um die deten Firma hat ihre Wurzeln mit Brüel and Kjær zum einen
örtlichen Key-Accounts und die Direktkundenbetreuung tief in hochqualitativer Messmikrofontechnologie und dank
kümmert. Diese intensivierte Nähe zur Nutzerbasis durch der Verschmelzung mit dem Hörgerätehersteller Muphone
ein hochmotiviertes Team, kombiniert mit einem ausge- ebenso in der Fertigung miniaturisierter Kapseln. Zu der
wählten Premium-Distributoren- und Händlernetz, sind Leidenschaft und Beharrlichkeit, die nötig sind, das so

SOUND & RECORDING 10.2018 DPA MICROPHONES STORY 15


16 STORY DPA MICROPHONES SOUND & RECORDING 10.2018
Jede einzelne Kapsel durchläuft bei DPA einen strengen Sämtliche Membranen werden inhouse goldbedampft und selektiert.
und eng tolerierten Testzyklus.

erworbene Know-how unterschiedlichster Disziplinen unter der Belegschaft vor allem auf einer feinen Balance zwischen
dem Gesichtspunkt der Bedürfnisse der Pro-Audio-Branche Struktur und Passion sowie einem weitgehend hierarchie-
optimal zu verbinden, gesellte sich außerdem der Wunsch, freien und offenen Umgang.
die eigene Technologie mit einem Gehäusedesign zu kombi-
nieren, welches einem harten Studio- oder Bühnenalltag ENTWICKLUNG − EIN STETIGER PROZESS
mehr als nur gewachsen ist. Dies alles hat natürlich seinen Wir sprachen im DPA-Headquarter mit Benjamin Hald, einem
Preis, welcher sich unter Nachhaltigkeitsaspekten und hin- der leitenden Entwickler der R&D-Abteilung, über die Philo-
sichtlich einer deutlichen Arbeits- und Aufwandsersparnis sophie eines einzigartigen Mikrofonkonzepts.
im Bereich der Postproduktion − egal ob Studio oder Broad- Wie hat es dich in die Mikrofonentwicklung verschlagen?
cast − schnell relativieren kann. Ich glaube das war eher Zufall. Ich habe in meinem
Im Gespräch weist Produktmanager Rene Mørch in die- Leben bereits einiges vom Flugzeugradar bis hin zu Digital-
sem Zusammenhang allerdings auch auf die Tatsache hin, kameras entwickelt. Nun bin ich bereits seit über fünf Jahren
dass besonders in der Filmbranche sowie im Broadcast- bei DPA.
bereich manchmal einiges an Überzeugungsarbeit mittels Hast du so etwas wie eine persönliche Maxime bei der
direkter A/B-Vergleiche vonnöten ist, um alte Gewohnheiten Entwicklung?
aufzubrechen. Dabei gilt es im besonderen Maße zu beden- Mein aktuelles Ziel, welches sich glücklicherweise zu
ken, dass unser Gehirn Gehörtes gerade einmal 2 Sekunden 100 % mit dem von DPA deckt, ist es, Mikrofone zu entwickeln,
lang speichert. Das ist ein ziemlich beschränkter Buffer, der die einen Klang so natürlich und unverfälscht wie möglich
Klangvergleiche aus der Erinnerung quasi unmöglich macht. wiedergeben, also ohne den Sound in irgendeiner Weise zu
Unangenehm für den Kunden in diesem Zusammenhang sei kolorieren.
allerdings, dass, wenn dieser einmal gehört hat, wie linear Das ist eine durchaus anspruchsvolle Aufgabe …
und unverfälscht DPA-Mikrofone den Klang transportieren, Ja, die meiste Zeit schon. Und jedes Mal, wenn wir unse-
er nie wieder mit anderen Fabrikaten arbeiten will. re Ziele einmal wieder nicht erreichen, müssen wir uns beim
nächsten Anlauf halt noch ein bisschen mehr anstrengen.
DAS GEHEIMNIS DES ERFOLGS (lacht)
Ein weiteres Geheimnis der DPA-Erfolgsstory liegt in der Wie viel Aufwand bedeutet es, die richtigen Komponen-
Struktur und dem unverkennbaren Spirit des besonders im ten auszuwählen?
Bereich der Fertigung stark von Frauen dominierten Unter- Das ist bei DPA eigentlich ganz einfach: Wir bekommen
nehmens. Diese Atmosphäre spürt man sofort, wenn man Stahl in Platten, Gold in Barren und Membranfolie in Rollen,
den ersten Mitarbeiter auf dem Gang im Eingangsbereich und am Ende kommt ein fertiges Mikrofon dabei heraus.
trifft. Für CEO Kalle Hvidt Nielsen beruht das gute Klima in Nahezu alles, was Kapsel und Gehäuse unserer Mikrofone

SOUND & RECORDING 10.2018 DPA MICROPHONES STORY 17


betrifft, stellen wir einfach inhouse her. Wenn es allerdings nal zur Größe der Kapsel ändert. Wenn man Mikrofone mit
um Vorverstärker, Kabel und Stecker geht, wählen wir die großen Membranen baut, bekommt man stattdessen unaus-
Parts natürlich aus. Das Interieur eines DPA-Mikrofons weichlich ein Frequenzproblem. Eine weitere Schwierigkeit
stammt hingegen immer aus eigener Fertigung − wir be- besteht darin, die harmonischen Verzerrungen und Inter-
dampfen sogar unsere Membranen selber mit Gold. modulationen einer Mikrofonkapsel in den Griff zu bekom-
Auch wenn die Mikrofontechnik keine wirklich neue Er- men. Hinzu kommt, dass es grundsätzlich kompliziert wird,
findung ist, braucht es doch letztlich einiges an Know-how, wenn man ein Mikrofon mit einem großen Dynamikbereich
um Prozesse und Abläufe optimal umzusetzen. Wir versuchen jenseits der 140 dB entwickeln möchte.
eben nicht weniger, als die besten Mikrofone zu bauen, ge- Das bedeutet, dass den Preamps in den Lavalier-Designs
messen am technisch Möglichen und Machbaren. Dies ist auch einiges abverlangt werden muss.
nicht einfach nur unser Anspruch, sondern in gewisser Das Design der Preamps ist ebenfalls ein enorm wichti-
Weise auch das Erbe des Unternehmens DPA Microphones, ger Baustein. Wir versuchen dabei, das Signal so wenig wie
welches 1992 von ehemaligen Mitarbeitern von Brüel and möglich zu filtern. In erster Linie geht es uns darum, dass
Kjær, einem der damals führenden Hersteller für hochquali- die Vorverstärkereinheit mit der auftreffenden Last klar-
tative Messmikrofone, gegründet wurde. Wenn wir heutzu- kommt und das Rauschverhalten sowie die Verzerrung des
tage Mikrofone für die Abnahme von Musikinstrumenten Mikrofons so gering wie möglich bleiben. Zudem muss man
entwickeln, pflegen wir im Prinzip immer noch den gleichen sich im Klaren darüber sein, dass das Signal, welches wir
Anspruch, denn wir möchten schließlich ein Instrument so vom Elektret-Kondensator erhalten und dann weiter ver-
realistisch wie möglich einfangen. Das ist in der Praxis na- stärken, wirklich äußerst gering ist. So etwas ist prinzipiell
türlich manchmal auch problematisch, denn wer möchte ausgesprochen schwierig. Der Teufel steckt da wie immer im
beispielsweise hören, wie eine Kick-Drum wirklich klingt. Detail. Wenn man dann auch noch eine Nierencharakteris-
(lacht) tik realisieren möchte, hat man es zusätzlich plötzlich auch
Aber für eine große Menge an akustischen Instrumen- noch mit Themen wie Polaritätspattern und dem Nahbe-
ten, wie etwa Geige oder Klavier, ist die von uns gepflegte sprechungseffekt zu tun.
Linearität und der damit gepaarte niedrige Zerrgrad unserer Hier kommt dann das Gehäusedesign ins Spiel …
Mikrofone eine ausgezeichnete Wahl. Wir möchten dem Exakt!
Klang eben erst gar nichts hinzufügen, sondern ihn ganz im Ich war wirklich sehr von der Off-Axis-Performance der
Gegenteil genau so belassen, wie er ist. DPA Stäbchenmikrofonserien beeindruckt.
Etwas überspitzt könnte man beim Endprodukt also von Das ist etwas, dem wir in der Entwicklung sehr viel Auf-
einem Mikrofon ohne Charakter sprechen … merksamkeit schenken. Wenn der Schall nicht frontal, son-
Ich würde es natürlich eher als »nicht färbend« bezeich- dern seitlich oder von hinten auf die Kapsel trifft, soll sich
nen … aber ja, natürlich könnte man es auch so sehen. Es ist nicht der eingefangene Sound, sondern lediglich die Laut-
unsere tiefe Überzeugung, dass ein Mikrofon nicht »klingen« stärke ändern. Viele handelsübliche Shotgun-Mikrofone
sollte. Anstatt einen Sound zu produzieren, sollte es ihn re- klingen Off-Axis komplett anders als On-Axis. Wenn wäh-
produzieren. rend eines Interviews mit einem solchen Mikrofon ein Auto
Letztlich ist es doch auch immer wieder unendlich schwer vorbei fährt, wird das phasenbezogen irgendwie immer
und aufwendig, den hinzugefügten Charakter eines Mikro- falsch klingen. Der Klang des Fahrzeugs wird sich also
fons in der Nachbearbeitung zu »entfernen«, im Falle von zwangsläufig stetig verändern, während es den Aufnahme-
Distortion-Anteilen ist es sogar nahezu unmöglich. Also bereich durchfährt. Es hinzubekommen, dass der Sound
geben wir Toningenieuren ein akkurates Werkzeug an die auch abseits der Achse bis auf die Lautstärke gleich bleibt,
Hand, nach dessen Einsatz die Frage nach dem letztend- klingt im Übrigen deutlich leichter, als es in der Praxis wirk-
lichen Klang in der eigentlichen Produktion immer noch lich ist.
bestimmt werden kann. Ich denke, das erfordert eine Menge Material- und Ober-
Was ist für dich als Ingenieur dabei der herausfordernds- flächenstudien.
te Teil der Arbeit? Ja, ein großer Teil der Mikrofonherstellung und Entwick-
Miniaturmikrofone mit einem extrem niedrigen Eigen- lung entfällt darauf. Wir versuchen einfach, die ehrlichsten
rauschen zu bauen ist eine wirkliche Herausforderung. Was und natürlichsten Mikrofone zu entwickeln, und in dieser
das Rauschverhalten betrifft, gibt es da einfach eine physi- Disziplin stetig besser zu werden. n [6640]
kalische Limitierung, die sich mehr oder weniger proportio- r www.dpamicrophones.de

18 STORY DPA MICROPHONES SOUND & RECORDING 10.2018


WIR BEKOMMEN STAHL IN PLATTEN,
GOLD IN BARREN UND MEMBRANFOLIE IN
ROLLEN, UND AM ENDE KOMMT EIN
FERTIGES MIKROFON DABEI HERAUS.
Entwickler Benjamin Hald
BENJAMIN HALD, R&D BEI DPA

SOUND & RECORDING 10.2018


TEST | Warm Audio WA73-EQ

Lange war der charakterstarke Sound klassischer Neve-Preamps den erlauchten Besitzern der Originale vorbehalten. Seit einiger Zeit
drängen jedoch immer mehr Nachbauten auf den Markt, die ein klassisches Klangbild zum günstigen Preis versprechen. Eine Firma
darf in diesem Konzert der Neve-Clones natürlich nicht fehlen: Warm Audio.

Déjà Vu
Text & Fotos: Dr. Andreas Hau

‘ Der eine oder andere Stammleser mag sich verwundert die noch einmal Tribut zu zollen, mit dem Shelford Channel sei-
Augen reiben: Hatten wir diesen Preamp nicht erst im Juni- ner neuen Firma Rupert Neve Designs (s. S&R 3.2017). Nun
Heft im Test? Nein, das war der HA-73 EQ von Heritage Au- also tritt das »Ratiopharm der Audiobranche« auf den Plan:
dio. Anderer Hersteller, ähnliche Produktbezeichnung, glei- Warm Audio, bekannt für ebenso wohlklingende wie preis-
ches Vorbild: das sagenumwobene Neve-Mischpultmodul günstige Nachbauten klassischer Studiotechnik.
1073, das heute fast unisono als der Heilige Gral der Preamps
gefeiert wird. Angefangen hat die »Clone-erie« mit teuren AUTHENTISCH KONZENTRISCH
Nachbauten von Boutique-Herstellern, aber auch AMS-Neve Bei der ersten Inaugenscheinnahme vermittelt der WA73-EQ
hat den 1073 neu aufgelegt − freilich ohne Mitwirkung des sofort ein Gefühl der Vertrautheit: Die Frontplatte ist im
Altmeisters und Firmengründers. Doch selbst der inzwischen gleichen grau-blauen Farbton lackiert wie die Originale.
92-jährige Rupert Neve kam nicht umhin, seinem Frühwerk »Royal Air Force Blue« ist die offizielle Bezeichnung; angeb-

20 TEST WARM AUDIO WA73-EQ SOUND & RECORDING 10.2018


Format mit einer Höheneinheit. Die Anordnung der Bedien-
elemente wurde dem horizontalen Format angepasst: Die
EQ-Sektion folgt dem heute üblichen Schema: Bass links,
Höhen rechts, dazwischen die Mitten. Auch haben die Potis
ihren Nullpunkt oben. Das wäre kaum der Erwähnung wert,
wenn andere Neve-Clones nicht von diesen Konventionen
abweichen würden. So hat beispielsweise der kürzlich getes-
tete der Heritage Audio HA73-EQ die Anordnung Höhen −
Mitte − Bass, wobei die Nullstellung der Potis in der Mitte
unten ist. So ist es nämlich auch, wenn man ein originales
vertikales Modul in ein horizontales 19-Zoll-Gehäuse ein-
baut. Mir persönlich gefällt Warm Audios modernisierte
Anordnung besser, da intuitiver. Sehr zu loben ist auch die
Qualität der Schalter, die satt einrasten und eine hervor-
ragende haptische Rückmeldung geben. Die Potis laufen
geschmeidig mit angenehmem Drehwiderstand; da wackelt
nichts!
Ein XLR-Mikrofoneingang befindet sich auf der Front-
platte. Neu hinzugekommen ist ein Instrument-Input mit
hoher Eingangsimpedanz − so etwas gab es beim Original
noch nicht. Ebenfalls neu ist ein Ausgangsregler, den sich
viele Anwender heute wünschen, um ggf. den Preamp ge-
zielt übersteuern zu können, ohne den nachfolgenden A/D-
Wandler zu überfahren. Eine LED-Kette mit fünf Segmenten
zeigt den Ausgangspegel an.
Blicken wir auf die Rückseite. Rechts befindet sich ein
lich hat Rupert Neve seinerzeit diese Farbe gewählt, weil zweiter Mikrofoneingang, der mit dem auf der Frontplatte
dieser Lack besonders preisgünstig war − vielleicht ist das parallel verdrahtet ist. Links daneben liegt der Line-Input in
aber auch eine nachträgliche Legendenbildung. Auf jeden Form einer symmetrischen Klinkenbuchse. Zwei weitere Klin-
Fall strahlt dieser Farbton auf wunderbare Art britisches Un- kenbuchsen, allerdings unsymmetrisch, dienen als Insert, um
derstatement aus. Auch die Bedienelemente wirken authen- etwa einen Kompressor zwischen Eingangsstufe und EQ/Aus-
tisch: Chickenhead-Knobs in Rot und Blau für Gain und Low- gangsstufe einzuschleifen. Der Line-Out ist gleich doppelt
Cut, daneben konzentrische Poti-Schalter-Kombinationen ausgeführt, als XLR-Steckverbinder und als symmetrische
mit grauen Potiknöpfen und einem silberfarbenen Außen- Klinkenbuchse. Es handelt sich aber nicht um separate Aus-
ring für den Drehschalter. Auch die weißen Druckschalter gänge; beide Buchsen sind parallel verdrahtet. Ein Ground-
versprühen Neve-Flair. Lift-Schalter hilft, Brummschleifen zu eliminieren.
Ein paar Elemente wurden der heutigen Zeit angepasst
bzw. neu hinzugedichtet: Während der originale 1073 als FEINHEITEN
kompakter, vertikaler Mischpulteinschub konzipiert war, Auch wenn Neve-Clones meist ähnlich aussehen und dem
kommt Warm Audios Nachbau im heute üblichen 19-Zoll- gleichen Vorbild folgen, heißt das nicht, dass sie identisch

Das Anschlussfeld des WA73-EQ: Mikrofon- und Line-Input nutzen denselben Übertrager. Zwischen Eingangsstufe und EQ/Ausgangsstufe gibt
es einen (schaltbaren) Insert. Der Line-Out ist doppelt ausgeführt mit parallel verdrahteten XLR- und Klinkenbuchsen.

SOUND & RECORDING 10.2018 WARM AUDIO WA73-EQ TEST 21


ausgestattet sind. Jeder
Hersteller legt den Fokus
auf jeweils andere Aspekte.
Zudem setzt der Preis ir-
gendwo Beschränkungen
in Sachen Originaltreue.
Gleichzeitig sind gewisse
Modernisierungen und Er-
weiterungen nötig, um die
Technik der frühen 1970er
an die heutige Zeit anzu-
passen.
Ein essenzieller Teil des
Neve-Sounds sind die
Übertrager. Der 1073 hat
deren drei: Mikrofon-, Der Warm Audio WA73-EQ hat ein internes Netzteil. Die Platinen sind mit wei-
testgehend originalgetreuen, bedrahteten Bauteilen bestückt.
Line- und Ausgangsüber-
trager. Der Warm Audio WA73-EQ verzichtet auf einen Warm Audio in der Ausgangsstufe besonderen Wert auf
dedizierten Line-Übertrager, stattdessen läuft der Line-Input einen »korrekten« Ausgangstransistor gelegt. Im Original
über ein Pad auf den Mikrofonübertrager. Das ist nicht ganz kommt ein 2N3055 von Motorola zum Einsatz, ein dicker
originalgetreu, aber ein gangbarer Weg, den auch andere Leistungstransistor mit Metallhaube, der ob der Class-A-
preisgünstige Clones (wie der Heritage Audio HA-73 EQ) Arbeitsweise ordentlich heiß läuft. Nicht wenige Neve-
beschreiten. Die Qualität der verbauten Übertrager ist sehr Spezialisten behaupten, dass nur diese Variante den 100 %
gut: Warm Audio verwendet Übertrager des britischen Her- echten Neve-Ton bringt; dummerweise fertigt Motorola die-
stellers Carnhill (ehemals St. Ives Windings), der auch für sen Typ aber nicht mehr. Warm Audio hat sich nach einge-
einen Großteil der Neve-Originale die Übertrager lieferte. henden Tests für ein Replacement von ON Semiconductors
Daneben verwendete Neve auch Übertrager von Marinair, entschieden, der dem Original nahekommen soll.
und bis heute streitet man sich, welche besser klingen. Aber An solchen Feinheiten sieht man, dass das Herstellen
das sind Feinheiten, die Käufer eines Clones, zumal in die- eines Clones aufwendiger ist, als man vielleicht denken
sem Preisbereich, nicht unbedingt interessieren müssen. könnte, und durchaus eine gewisse Eigenleistung voraus-
Um Originalität bemüht ist Warm Audio auch bei den setzt. Warm Audio hat sich, wie ich finde, mächtig ins Zeug
elektronischen Bauteilen, die die Platinen bevölkern. Warm gelegt, um ein Produkt zu entwickeln, das die Essenz des
Audio verzichtet auf moderne SMD-Technik und setzt statt- Originals trifft, dabei aber bezahlbar bleibt. Bleibt die Frage,
dessen auf konventionelle bedrahtete Bauteile, wie sie in ob’s denn auch so klingt wie erhofft.
den frühen 70ern üblich waren. Als Kondensatoren kommen
ähnliche Typen zum Einsatz wie im Original: stark färbende PRAXIS
Tantal-Elkos für die größeren Werte, Polyesterfilm-Konden- Der Preamp hat definitiv jenen Neve-Charakter, der nur
satoren für mittlere Kapazitäten und Styroflex-Typen für klei- schwer in Worte zu fassen ist. Der Neve-Sound ist nicht
ne Werte, wie sie z. B. im Höhenband des EQ verwendet wer- ultra-transparent, hat aber dennoch etwas Audiophiles. Die
den. Für mich überraschend ist, dass Warm Audio sogar Signale erhalten eine leicht raue Textur. Die Mitten gewin-
weitgehend die gleichen Transistortypen verwendet wie im nen eine besondere Festigkeit, die für Präsenz und Durch-
Original. Überraschend deshalb, weil diese eigentlich kaum setzungsfähigkeit im Mix sorgt. Die Tiefen wirken voll und
noch aufzutreiben sind, jedenfalls in größeren Mengen. lassen sich über den variablen Low-Cut (50, 80, 160, 300 Hz
Nicht ganz so originalgetreu sind die Induktoren (Spu- und off) sehr gut in Form bringen. Dabei beschneidet der
len), die im Hochpass und Mittenband zum Einsatz kommen. Low-Cut nicht einfach nur die Bässe, sondern hat eine Re-
Im Neve 1073 befinden sich derer drei, im WA73-EQ sind es sonanzüberhöhung im Bereich der Cut-Off-Frequenz, die für
nur zwei, vermutlich aber mit Extra-Wicklungen, um den Druck sorgt, obwohl die darunter liegenden Anteile weg-
dritten Induktor einzusparen. In diesem Punkt ist der Heri- gefiltert werden. Beim Warm-Audio-Clone ist dieser Effekt
tage Audio HA-73 EQ etwas originalgetreuer. Dafür hat m. E. noch etwas stärker ausgeprägt als beim Original.

22 TEST WARM AUDIO WA73-EQ SOUND & RECORDING 10.2018


Besonders in der 80-Hz-Stellung hört man deutlich die Reso- Grundsätzlich eignet sich der WA73-EQ für alle Arten
nanz − da ist Warm Audio vielleicht etwas übers Ziel hinaus- von Mikrofonen. Denn wie ein echter Neve kann der Warm-
geschossen. Aber wenn Stimmen etwas mehr Brustton be- Audio-Clone wahlweise linear verstärken (ohne dabei lang-
nötigen, kann das Low-Cut-Filter durchaus helfen (auch weilig zu klingen) oder dem Signal einen kräftigen Stempel
wenn man von einer Bassabsenkung gewöhnlich das Ge- aufdrücken − sei es durch den EQ oder durch geschicktes
genteil erwartet). Gain-Staging. Möchte man saubere Verstärkung, dreht man
Die Höhen des Neve 1073 werden häufig als »seidig« den Ausgangsregler auf Maximum und gibt in der Eingangs-
beschrieben. Ich finde, das ist das falsche Adjektiv. Mit »sei- stufe nur so viel Gain wie nötig. Möchte man einen dichteren
dig« ließen sich die silbrig-weichen Höhen eines Pultec-EQs Sound mit markantem Charakter, gibt man in der Eingangs-
beschreiben; Neve-Höhen unterscheiden sich von diesen stufe mehr Gas − es stehen bis zu 80 dB Gain zur Verfügung
markant. Das Höhenband wirkt bei Neve körniger, musku- − und korrigiert den Ausgangspegel durch Zurückdrehen
löser − eher »in-your-face« als sanft und nobel. Genau die- des Output-Reglers. In letzterer Konfiguration agiert der
ser offensive Charakter hat den 1073 bzw. dessen Clones für WA73-EQ auch ein wenig rauschärmer.
knalligen Pop, Rock und Rap zur Waffe der Wahl gemacht. Verglichen mit einem topmodernen Spitzen-Preamp
Der Warm Audio WA73-EQ hat diesen Klangcharakter, wie produziert der WA73-EQ etwas mehr Rauschen. Aber das
ich finde, sehr gut eingefangen. Man kann aber auch milde- war zu erwarten, da es sich ja um ein Design der frühen
re Klänge erzeugen, sofern man den Mut aufbringt, den 70er handelt. Verglichen mit einem anderen Neve-Clone
Höhenregler mal nach links zu drehen. von Golden Age Project, ebenfalls mit Carnhill-Übertragern,
Überhaupt ist der EQ ein bedeutender Teil des Neve- ist der Warm-Audio-Clone jedoch hörbar rauschärmer.
Sounds. Das beginnt schon beim Einschalten der EQ-Sek- Messwerte gibt der Hersteller nicht an; ich würde das Ein-
tion, denn auch in Nullstellung ist der EQ nicht völlig klang- gangsrauschen (E.I.N) auf etwa −124 dBu beziffern. Das ge-
neutral: Die unteren Mittenfrequenzen verschlanken sich nügt noch für die Arbeit mit dynamischen Mikrofonen. Man
ein wenig. Originalgetreu, trotzdem doof, ist, dass die Potis sollte sich nur halt im Klaren sein, dass es heute ultra-
des EQs keine Mittenrasterung haben. rauscharme Preamps gibt (wie den True Systems PT2 500),
Bass und Höhen arbeiten als Shelving-Filter mit schalt- die knapp 6 dB weniger rauschen. Allerdings nur in Verbin-
baren Einsatzfrequenzen. Beim Höhenband ist das keine dung mit dynamischen Mikros bzw. Bändchen, die sehr viel
Selbstverständlichkeit, denn der Neve 1073 hat hier eine Verstärkung benötigen. Für pegelstarke Kondensatormikro-
feste Einsatzfrequenz bei 12 kHz. Beim Warm-Audio-Clone fone spielt das Eingangsrauschen des Preamps eine unter-
stehen zusätzlich 10 und 16 kHz zur Auswahl. Die Shelving- geordnete Rolle.
Filter sind allerdings sehr breit angelegt, sodass
sich durch die zusätzlichen Einsatzfrequenzen keine
ganz neuen Welten auftun. Trotzdem: nice touch!
Hauptattraktion, zumindest für mich, ist das
Mittenband, das einen sehr buttrigen Charakter
und eine wunderbare Farbe hat. Liegt vermutlich
daran, dass das Mittenband Induktor-basiert arbei-
tet. Ähnlich wie Übertrager können Induktor-Spu-
len bei etwas höheren Pegeln subjektiv wohlklin-
gende Sättigungseffekte hervorrufen. Jedenfalls
habe ich über die Jahre immer wieder festgestellt,
dass Spulenfilter »schöner« klingen als technisch
saubere IC-basierte Filter. Der WA73-EQ bestätigt
diese Beobachtung ein weiteres Mal. Die schaltba-
ren Einsatzfrequenzen entsprechen dem Neve-Ori-
ginal: 300, 700, 1.600, 3.200, 4.800 und 7.200 Hz.
Weitere Zwischenstufen wären unnötig, denn auch
das Mittenband arbeitet sehr breitbandig. Daher
empfiehlt sich der EQ auch eher fürs Sweetening als
Das Gain wird nicht über ein Poti, sondern über einen hochwertigen, 22-stufigen
für Klangkorrekturen. Drehschalter eingestellt.

SOUND & RECORDING 10.2018 WARM AUDIO WA73-EQ TEST 23


+++
klassischer Neve-Klangcharakter

+++
originalgetreue Bauteile, u. a. Carnhill-Übertrager

+++
sehr gutes Preis/Leistungs-Verhältnis

++
authentische Bedienelemente, tolle Haptik

++
gute Verarbeitung, internes Netzteil

WA73-EQ Hersteller/Vertrieb Warm Audio/Mega Audio


UvP/Straßenpreis 899,− Euro / ca. 890,− Euro r www.megaaudio.de

Wie das Original hat der WA73-EQ einen Impedanz- FAZIT


Wahlschalter, der hier jedoch mit »Tone« beschriftet ist. Das Mit dem WA73-EQ ist es Warm Audio wieder einmal gelun-
ist leicht irreführend, denn der Schalter beeinflusst nicht den gen, die Essenz eines Klassikers in einem massentauglichen
Klang des Preamps, sondern des angeschlossenen Mikros. Produkt einzufangen. Das Klangverhalten ist ohne Frage
Im Standard-Modus hat der WA73-EQ eine Eingangsimpe- Neve-typisch, die Verarbeitung ist tadellos, und der Preis
danz von 1.200 Ohm − ein üblicher Wert. Drückt man den stimmt.
Tone-Button, wird die Eingangsimpedanz durch Umschalten Ist Warm Audios WA73-EQ besser als der der HA-73 EQ
des Eingangsübertragers auf 300 Ohm herabgesetzt. Dieser von Heritage Audio? Das ist eine Frage der Prioritäten.
Modus war bei Neve primär für 50-Ohm-Bändchen vorge- Grundsätzlich sind beide auf einem ähnlich hohen Niveau.
sehen, die seinerzeit noch weit verbreitet waren. Heute Der Warm-Audio-Clone punktet mit einer etwas wertigeren
haben Bändchen wie Tauchspulmikros üblicherweise eine Haptik und einem internen Netzteil. Außerdem sind die Pla-
Ausgangsimpedanz von 200 Ohm; an einem 300-Ohm-Ein- tinen mit bedrahteten Bauteilen dermaleinst leichter zu war-
gang kommt es daher zu Bass-, Höhen- und Pegelverlusten. ten als die SMD-Platinen der Heritage Audio Elite Series. An-
Bei einem Kondensatormikro sinkt dagegen der Grenz- dererseits fertigt Heritage Audio in Spanien, während Warm
schalldruckpegel, weil dessen Ausgangsstufe an einem 300- Audio − das ist kein großes Geheimnis − im Wesentlichen in
Ohm-Eingang heftig ins Schwitzen kommt. Den 300-Ohm- Fernost fertigen lässt. In Sachen Öko-Bilanz geht der Punkt
Modus sollte man also nur nutzen, wenn man seine Mikros also an Heritage Audio. Im wichtigsten Punkt, dem Klang,
bewusst quälen möchte. Bessere Klangresultate erzielt man schenken sich beide nichts: Den Heritage-Audio-Clone habe
fast immer im 1.200-Ohm-Modus. ich einen Hauch klarer in Erinnerung, während der Warm
Noch ein Wort zum Line-Eingang: Unity Gain wird nicht Audio WA73-EQ in meinen Ohren eine Spur rauchiger klingt
in der mit Line markierten Stellung erreicht, sondern in Mit- − wobei ich aber keinen Direktvergleich anstellen konnte. Was
telstellung des Gain-Knopfs. Das liegt wohl daran, dass der Rauscharmut, Verarbeitung und Haptik angeht, übertreffen
WA73-EQ, wie angesprochen, keinen dedizierten Line-Über- beide den Golden Age Pre-73 MK III Plus (inkl. EQ-81), den
trager besitzt, sondern den Mikrofonübertrager nutzt, dem ich jeweils als Vergleichsobjekt herangezogen habe.
zum Schutz vor Übersteuerungen ein Pad vorgeschaltet ist. Als ob die Qual der Wahl nicht schon groß genug wäre,
Daher der Pegelverlust, den man am Gain-Knopf ausgleichen bietet Warm Audio (ähnlich wie Heritage Audio) weitere
muss. Klang und Rauschverhalten sind dennoch auch im Produktvarianten an: den zweikanaligen WA273-EQ mit
Line-Modus tadellos. Der DI-Input kann ebenso überzeugen. Equalizer auf zwei Höheneinheiten und den ebenfalls zwei-
Zu dessen Eingangsimpedanz schweigt sich der Hersteller kanaligen WA273 ohne Equalizer auf einer Höheneinheit
aus, aber der Klangeindruck ist gut: nicht ultra-brillant und sowie, als Einstiegsmodell, einen einkanaligen WA73 ohne
super-funky, sondern eher Vintage-orientiert. In Verbindung EQ. Wer sich nun überhaupt nicht mehr entscheiden kann:
mit dem EQ und dem 50-Hz-Low-Cut (der, wie angesprochen, Das beste Preis/Leistungs-Verhältnis hat m. E. das hier ge-
anhebt, bevor er absenkt) lassen sich wunderbar schnurren- testete Modell WA73 EQ. Es würde mich sehr wundern, soll-
de E-Bass-Sounds realisieren. te er sich nicht wie geschnitten Brot verkaufen! n [6646]

24 TEST WARM AUDIO WA73-EQ SOUND & RECORDING 10.2018


TEST | Elysia Skulpter 500

Bekannt geworden ist der deutsche Hersteller Elysia mit innovativen Dynamik-Tools wie dem alpha compressor, dem nvelope und
dem mpressor; daneben umfasst das Portfolio auch EQs und Sättigungstools. Kaum zu glauben, aber mit dem Skulpter 500 stellt das
2005 gegründete Unternehmen erstmals einen Preamp vor. Aber Elysia wäre nicht Elysia, wenn es einfach »nur« ein Preamp wäre.

Waschen, schneiden, legen


Text & Fotos Dr. Andreas Hau

‘ Die meisten seiner Produkte hat Elysia zuerst als 19-Zoll- hilfe weiterer Module angewiesen, um einen vollständigen
Rackgerät auf den Markt gebracht und später ein preisgüns- Channelstrip zu bilden. EQ und Kompression hat er nämlich
tigeres, API-500-kompatibles Modul »nachgeschoben«. An- schon mit an Bord. Aber der Reihe nach …
ders beim Skulpter: Der »Sound Shaping Preamp« kommt
gleich in Modulform auf den Markt. Vielleicht auch ein Beleg KONZEPT
für die ungebrochene Popularität der API-500-Plattform; Der Skultper 500 kommt als kompaktes API-500-Modul mit
der Anwender von heute liebt eben das Mix&Match-Konzept. einer Slotbreite. Wie von Elysia nicht anders gewohnt, ist die
Dabei ist der Skulpter 500 eigentlich gar nicht auf die Mit- Verarbeitung äußerst penibel und sauber. Eine Abdeckung

26 TEST ELYSIA SKULPTER 500 SOUND & RECORDING 10.2018


hat die Platine nicht. Die wäre wohl auch unnötig, denn auf bei Shape 2 werden die Bässe unterhalb 100 Hz sanft zurück-
der weitgehend in SMD-Technik bestückten Platine befinden genommen.
sich keine sonderlich einstreuempfindlichen Bauteile. Der Für gezieltes Entschlacken der tiefen Frequenzen, auch
Skulpter 500 arbeitet eingangs- wie ausgangsseitig übertra- bei ungenutzter Shape-Funktion, gibt es darüber hinaus ein
gerlos. Im Wesentlichen ist die Schaltung diskret aufgebaut, variables Low-Cut-Filter, das von 10 bis 375 Hz durchstimm-
d. h., die aktiven Bauteile sind einzelne Transistoren − und bar ist. Mit 12 dB/Oct liegt die Flankensteilheit im mittleren
zwar eine ganze Menge. Eine Handvoll IC-Opamps einfacher Bereich.
Bauart sind dennoch zu finden, sie dienen aber wohl nur Der letzte Regler »Comp« steuert den integrierten Kom-
niederen Diensten wie der Aussteuerungsanzeige. pressor. Dieser arbeitet mit einer festen Ratio von 3:1 und
Rein mit dem Teil ins API-500-Rack (in meinem Fall ist kommt dank Soft-Knee-Charakteristik mit nur einem Regler
das ein Bento 10 von Fredenstein). Nach dem Anschalten aus. Die Ansprechzeit optimiert eine spezielle Auto-Fast-
leuchtet der Elysia-Schriftzug in einem kleinen, kreisrunden Automatik, die den Attack bei starken Impulsen auf die
Fensterchen auf der tiefblauen Frontplatte. Gemessen am kleinstmögliche Zeit verkürzt. Außerdem betont der Herstel-
Funktionsumfang ist die Anzahl der Bedienelemente erstaun- ler, dass der diskret aufgebaute VCA in der Gegenkopplung
lich gering: vier Regler und vier Taster − Halleluja! Der oberste des nachfolgenden Operationsverstärkers arbeitet und somit
Knopf ist ein Endlos-Drehregler, der das Gain auf digitaler nur dann Teil des Signalwegs sei, wenn er tatsächlich aktiv
Ebene steuert. Die digitale Steuerung über Widerstände, die ist. Was einen Bypass-Schalter erübrigt.
über Relais bzw. elektronische Schalter angesteuert werden, Die vier Taster am unteren Ende der Frontplatte sind der
erlaubt eine präzisere Gain-Kontrolle als ein gewöhnliches bereits angesprochene Umschalter für die Shape-Funktion,
Poti, gleichzeitig erlaubt sie feinere Abstufungen (40 an der ein Ein-/Ausschalter für die Phantomspeisung (mit Mute-
Zahl) als ein analoger Drehschalter (maximal 24). Eine inte- Automatik während des Schaltvorgangs), ein Phasenum-
grierte Druckknopffunktion schaltet die daneben liegende kehrschalter sowie ein Mute-Button.
LED-Anzeige um, die wahlweise die Verstärkung (3 bis 65 dB) Links neben den vier Tastern befindet sich ein DI-Ein-
oder den Ausgangspegel visualisiert. gang zum Direktanschluss von Instrumenten. Der DI-Input
Die folgenden drei Regler sind (analoge) Rasterpotis. Das arbeitet mit einer hohen Eingangsimpedanz von 1 Mega-
erste steuert die Shape-Funktion, die sich über den ersten ohm, damit Instrumente mit Passiv-Tonabnehmern wie
der vier Taster weiter unten zwischen Shape 1 und Shape 2 E-Gitarre, E-Bass und Rhodes-Piano ihre Brillanz behalten.
umschalten lässt. Laut Manual ist Shape 1 primär für Instru- 1 Megaohm entspricht dem üblichen Wert eines Gitarren-
mente gedacht. Je weiter man das Poti aufdreht, desto mehr bzw. Bassverstärkers. Anders als übliche DI-Inputs kann der
werden die zentralen Mittenfrequen-
zen hervorgehoben, während Tief-
bässe und die Höhenfrequezen sanft
zurückgenommen werden. Gleich-
zeitig wird der Sound um harmo-
nische Verzerrungen angereichert,
aber nicht brachial, sondern sanft
wie bei einer Röhrenschaltung, die
abhängig vom Eingangspegel all-
mählich in Sättigung gerät.
Shape 2 reichert den Sound
ebenfalls um harmonische Verzer-
rungen an; die Frequenzbetonung
ist aber ganz anders: Shape 2 ist
primär für Vocals gedacht und be-
tont recht breitbandig die oberen Die Platine ist äußerst sauber ver-
arbeitet. Die Class-A-Schaltung ist
Mitten um 4,5 kHz, wo das mensch- diskret aufgebaut, d. h., statt in-
liche Gehör am empfindlichsten ist. tegrierter Schaltkreise kommt
eine Vielzahl von Einzeltransis-
Das soll der Stimme zu mehr Durch- toren zum Einsatz.
setzungskraft im Mix verhelfen. Auch

SOUND & RECORDING 10.2018 ELYSIA SKULPTER 500 TEST 27


+++
variabler Sound von sauber bis
crunchy

+++
extrem einfache Bedienung

+++
hochwertige Technik

+++
sehr saubere Verarbeitung


leicht erhöhtes Rauschen mit
dynamischen Mikros

Produkt Hersteller/Vertrieb Elysia


UvP/Straßenpreis 689,− Euro r www.elysia.com

des Skulper 500 auch symmetrisch genutzt werden. Das kann Mikrofone wie das Neumann TLM 103, das bei geschmeidi-
helfen, Nebengeräusche zu reduzieren, wenn man z. B. mit gen Stimmen großartig klingt, aber bei etwas kantigen
elektronischen Klangerzeugern arbeitet. Mit anderen Wor- Stimmen wieder gar nicht. Der Skulpter 500 macht solche
ten, der Skulpter 500 versteht sich nicht »nur« als Mikrofon- Mikros deutlich vielseitiger einsetzbar. Mit etwa 40 %
vorverstärker, sondern als Universal-Preamp und Klangfor- Shape 1 klingt das TLM 103 wirklich smooth und elegant;
mer für Signale aller Art. zudem reichern die harmonischen Verzerrungen den sehr
cleanen TLM-Sound auf angenehme Weise an. Das Klang-
PRAXIS bild wird runder, charaktervoller und dichter.
Als Mikrofonvorverstärker überzeugt der Skulpter 500 vor In Verbindung mit dynamischen Mikrofonen hat mich
allem in Verbindung mit Kondensatormikrofonen. In beson- der Skulpter 500 nur bedingt überzeugt. Dabei ist das
derer Weise profitieren dabei tendenziell linear abgestimmte Klangverhalten sehr hochwertig, auch bei höherer Verstär-
Mikrofone wie das Neumann U 87, denn über die Shape-2- kung. Leider tritt aber in Verbindung mit besonders aus-
Funktion lassen sich Höhen und Präsenzen nach Wunsch gangsschwachen dynamischen Mikrofonen ein gewisses
herausarbeiten. Wobei ich den Regler selten mehr als ein Grundrauschen zutage. Denn anders als bei ausgangsstar-
Viertel aufgedreht habe, d. h., es gibt noch große Reserven ken Kondensatormikros spielt bei dynamischen Mikros das
für tendenziell dumpf klingende Mikrofone. Eingangsrauschen des Preamps eine entscheidende Rolle.
Ein häufigeres Problem sind heutzutage Mikrofone, die Hörbar wird das vor allem bei Tauchspulmikros mit beson-
von Haus aus eher scharf bis schrill klingen. Das betrifft ins- ders niedriger Empfindlichkeit wie dem dem Sennheiser
besondere preisgünstige Mikrofone aus Fernost. Hier erweist MD 441 oder dem Shure SM7B sowie den meisten Bänd-
sich der eigentlich für Instrumente gedachte Shape-1-Modus chenmikrofonen (außer natürlich bei sehr lauten Quellen
als nützlich, um die Schärfe in den oberen Frequenzen, ins- wie Bläsern und Gitarrenverstärkern). Ausreichend rausch-
besondere im Bereich der Zischlaute, zu reduzieren. Bei ty- arm arbeitet der Skulpter 500 erst ab einer Mikrofonemp-
pischen China-Mikros kann man gerne bis 70 % aufdrehen. findlichkeit von etwa 2 mV/Pa (z. B. Beyerdynamic M88
Der Shape-1-Modus eignet sich aber auch für hochwertige oder Sennheiser MD 421). Das ist ein bisschen schade, denn

28 TEST ELYSIA SKULPTER 500 SOUND & RECORDING 10.2018


gerade das Shure SM7B (1,12 mV/Pa) klingt ansonsten wirklich fantastisch
am Skulpter 500.
Was außer am sauberen Gain-Staging wohl auch an der besonders
hohen Eingangsimpedanz liegt. Diese entspricht mit 13,6 kOhm dem maxi-
mal möglichen Wert für einen Mikrofoneingang mit zuschaltbarer Phantom-
speisung, denn die beiden 6,8-kOhm-Speisewiderstände liegen in Serie
zwischen den beiden Signaladern (2x 6,8 kOhm = 13,6 kOhm). Von der be-
sonders hohen Eingangsimpedanz des Skulpter 500 profitieren nicht nur
dynamische Mikros in Form höherer Brillanz und Transparenz, sondern
auch Kondensatormikros in Form geringerer Verzerrungen bzw. eines er-
höhten Grenzschalldruckpegels, weil deren Ausgangsstufe entlastet wird.
Ein besonders Lob verdient der variable Low-Cut, der wirklich sehr
transparent arbeitet und das Nutzsignal nicht hörbar beeinträchtigt. Das
ist längst nicht immer der Fall! Auch der integrierte Kompressor ist sehr
gelungen. Obwohl er nur einen Knopf hat, vermisst man nichts: Um das
Eingangssignal zu verdichten, dreht man einfach soweit auf, bis die rote
LED unterhalb des VU-Meters bei Signalspitzen kurz aufleuchtet − fertig!
Low-Cut, Shape und Kompressor erlauben gerade auch in Verbindung Seit gut 20
mit dem DI-Input eine breite Klangpalette. DI-Signale klingen ja bisweilen Jahren ist d
er
etwas steril; dem lässt sich mit der Shape-Funktion sehr gut entgegenwirken. VCO von Ana
logue
Wobei auch der eigentlich für Gesangsaufnahmen vorgesehene Shape-2- Systems der
Platz-
Modus überzeugen kann, um etwa einer Stratocaster zusätzliche, fast akus- hirsch unter
tisch klingende Brillanzen abzugewinnen. Der Kompressor sorgt unauffäl- den bessere
n
lig für die nötige Dichte, ohne die Spieldynamik einzuebnen. Für E-Bass Oszillatoren
,
empfiehlt sich der Shape-1-Modus, um die knurrenden Mittenfrequenzen das Original.
herauszuarbeiten, die für die Hörbarkeit im Mix essenziell sind. Auch
E-Pianos und Synthesizer-Sounds verleiht der Skulpter 500 im Handum-
drehen mehr »Beef«. Gerade bei Letzteren erweist sich zudem der variable Mit neuem
Low-Cut als extrem nützlich, um kaum hörbare, aber störende Subfrequen- Gesicht und
zen herauszufiltern. dual bus pas
st
er in alle Sy
steme
FAZIT mit gängige
r
Der Skulpter 500 macht richtig Spaß! Klar, die meisten seiner Sound-Sha- Einbautiefe.
ping-Funktionen kann man so ähnlich auch mit anderen Hardwarekompo- € 285,-- UVP
nenten bzw. einem Arsenal an Plug-ins nachbauen. Aber der Skulpter 500 12HP, gut.
macht das eben mit gerade mal vier Reglern: nicht lange schrauben, sondern
einstöpseln, 10 Sekunden (echte!) Knöpfe drehen, fertig. Was rauskommt,
klingt so hochwertig und »fertig«, dass man sich fragt, warum man sonst
so lange rumfummelt, bis es passt. Mit anderen Worten, der Skulpter 500
ist ein Preamp für Kreative, die kreativ bleiben möchten. Leichte Abzüge in
der B-Note gibt’s für das nicht ganz optimale Rauschverhalten in Verbin-
dung mit ausgangsschwachen dynamischen Mikros. Für die Arbeit mit
Kondensatormikros spielt das aber keine Rolle (da dominiert das Eigen- ANALOGUES
YSTEMS.DE
rauschen des Mikrofons). Richtig klasse ist der Skulpter 500 nicht zuletzt als
DI mit Klanggestaltungsmöglichkeiten. Wer häufig Gitarre, Bass, E-Pianos
und Synthesizer auf direktem Weg aufnimmt, findet hier auf kleinstem
Raum alles, was er/sie für durchsetzungsfähige, charakterstarke, vor allem
aber nicht langweilige DI-Sounds benötigt. Kurzum: Der Skulpter 500 hält,
was er verspricht! n [6647]

SOUND & RECORDING 10.2018


TEST | Softube American Class A +++
offenes, »amerikanisches«
Klangbild

+++
Console-1-Erweiterung und
Plug-in in derselben Lizenz
enthalten

++
druckvoll klingender
Kompressor

++
gelungene Sättigungsfunktion


Einschränkungen der Original-
Hardware übernommen

Hersteller/Vertrieb
Softube / Audiowerk
UvP 279,− Euro / für
Console-1-Besitzer 199,−
r www.audiowerk.eu

Auf einen neuen Channelstrip mussten Console-1-Anwender lange warten: Seit dem Erscheinen der Neve-Emulation »British Class A«
sind fast zwei Jahre vergangen. Nun legen die Schweden endlich nach: »American Class A« ist ein Channelstrip nach API-Vorbild.
Gleichzeitig erscheint er auch als normales VST/AU/AAX-Plug-in für Anwender ohne Console-1-Hardware.

Make America Class A again!


Text & Fotos: Dr. Andreas Hau

‘ Bislang waren es durchweg Mischpulte englischer Her- kommt nämlich − wie schon »British Class A« − ohne offiziel-
steller, die Softube für Console 1 emulierte. »American le Lizenz des Originalherstellers.
Class A« ist Softubes erste Emulation eines amerikanischen Wie eingangs erwähnt, kommt »American Class A« als
Mischpults, nämlich einer API-Konsole. Okay, so ganz eigenständiges Plug-in und als Erweiterung für Console 1.
stimmt das auch wieder nicht: Die EQ-Sektion von »Ameri- Beide Nutzungsarten sind im Kaufpreis enthalten. Die An-
can Class A« beruht genau genommen nicht auf den API- ordnung der Bedienelemente ist bei beiden Versionen nahe-
Modulen 550a bzw. 550b, sondern auf dem 19-Zoll-Equali- zu identisch. Dennoch gibt es kleinere Unterschiede im
zer 5500. Der Kompressor basiert dagegen nicht auf dem Funktionsumfang und größere in der Optik. Während das
19-Zoll-Bus-Kompressor 2500, sondern auf einem Pult- eigenständige Plug-in mit seinen bunten, weiß umrandeten
Modul, vermutlich dem API 527. Reglern ein gewisses API-Flair versprüht, verzichtet die
Die Gerätenummern nennt Softube im Manual nicht, Console-1-Erweiterung ganz bewusst auf Eye Candy, um
sondern belässt es bei Umschreibungen. »American Class A« möglichst wenig abzulenken; dieConsole-1-Philosophie lau-

30 TEST SOFTUBE AMERICAN CLASS A SOUND & RECORDING 10.2018


tet: »Schrauben nach Gehör.« Ein bisschen mehr visuelle der nur Stufen von 2 bis 3 dB kennt. Beide API-Modelle ar-
Differenzierung hätte ich mir in Console 1 dennoch ge- beiten nach dem Proportional-Q-Konzept, d. h., kleine An-
wünscht, denn abgesehen vom Schriftzug rechts oben in der hebungen bzw. Absenkungen wirken breitbandig, während
Ecke unterscheiden sich die verschiedenen Erweiterungen bei größeren Eingriffen die Filter schmalbandiger agieren.
nur in der Farbe der Kurven und VU-Meter. Die Filtergüte ist bei diesen API-Equalizern nicht separat
Die Systemvoraussetzungen sind für beide Versionen regelbar. Lediglich die Außenbänder lassen sich zwischen
identisch: Windows 7 (mit den letzten Updates) oder höher Cut, Peak und Shelf umschalten.
bzw. macOS ab 10.8. 32-Bit-Betriebssystemversionen wer- Obwohl der Equalizer von »American Class A« auf dem
den nicht unterstützt, wohl aber 32-Bit-Hosts auf 64-Bit- API 5500 basiert, hat Softube der Console-1-Version stan-
Systemen. Softube nutzt iLok als Kopierschutz; ein USB- dardmäßig die Beschränkungen des 550b-Moduls auferlegt:
iLock-Stecker ist für »American Class A« jedoch nicht zwin- Anhebungen und Absenkungen sind nur in Schritten von 2
gend erforderlich, wahlweise kann die Software auch bis 3 dB möglich. Wer das nicht möchte, kann über »Load
rechnergebunden aktiviert werden. EQ« den »American Class A Extended EQ« laden; das erfor-
dert aber einen zusätzlichen Arbeitsschritt. Außerdem gibt
FUNKTIONSUMFANG es − wie beim 5500 − eine höhere Auflösung nur in den un-
Die Eingangssektion umfasst Input-Gain, einen Phasenum- teren Gain-Settings. Der Bereich bis ±3 dB ist in 0,5-dB-
kehrschalter sowie durchstimmbare High- und Low-Cut. Die Schritten aufgelöst, der Bereich bis ±6 dB in 1-dB-Schritten,
Filter können wahlweise statt des Audiosignals auch im und der darüber liegende Bereich bis ±12 dB kennt weiter-
Kompressor-Sidechain arbeiten. High- und Low-Cut arbei- hin nur 3-dB-Schritte. Das lässt sich auch nicht durch Drü-
ten mit einer geringen Flankensteilheit von nur 6 dB/Okt cken der »Fine Adjust«-Taste umgehen. Dafür lässt sich im
(und damit weicher als die anderer Console-1-Channel- Extended EQ − abweichend von der Hardware − die Filter-
strips). Sie sind also eher zur Klangabstimmung geeignet güte der Mittenbänder einstellen.
als zum Herausfiltern von Störgeräuschen bzw. Subfrequen- Das »normale« Plug-in ist immer im 5500-Modus. Aller-
zen. Von welchem API-Modul die Filter abstammen, lässt dings muss man für die höhere Auflösung, wie bei der Origi-
Softube offen. nal-Hardware, die Range-Schalter zu Hilfe nehmen, um den
Die Shape-Sektion ist eine Softube-Eigenkreation, aller- Wertebereich einzuschränken. Praktischer und praxisgerech-
dings basierend auf API-Kompressorschaltungen. Sie um- ter wäre es gewesen, alle möglichen Werte in den Gain-
fasst ein Gate, wahlweise mit hartem oder weichem Knie, Schalter einzuarbeiten. Die API-Hardware behilft sich ja nur
sowie einen Envelope-Shaper mit den Parametern Sustain deshalb mit Range-Schaltern, weil Drehschalter mit mehr
und Punch. Jeder Console-1-Channelstrip bietet diese Funk- als zwölf Stufen extrem teuer sind. Wünschenswert wäre au-
tionen, obwohl kein mir bekanntes Mischpult eine solche ßerdem, dass auch die oberen Bereiche mindestens in 1-dB-
Funktion zur Kanalbearbeitung eingebaut hat. Das Funk- Schritten aufgelöst wären.
tionsprinzip stammt ja auch nicht von einem Pulthersteller, Der Kompressor ist offenbar nach dem Pult-Modul 527
sondern wurde vom deutschen Unternehmen SPL in Form modelliert. Die Parametrisierung ist typisch für ein VCA-
des Transient Designers als 19-Zoll-Hardware auf den Markt Design: Threshold, Ratio, Attack, Release. Hinzugedichtet
gebracht. Inzwischen gehören Envolope Shaper zum Stan- wurde der Mix-Regler für Parallelkompression. Den bietet
dard-Repertoire zur Bearbeitung von Drums und Percus- die Original-Hardware nicht, aber er gehört zum Reglerset
sion, weshalb Softube wohl nicht darauf verzichten wollte. von Console 1, und viele Anwender wünschen sich diese
Die Equalizer-Sektion basiert, wie angesprochen, auf Funktionalität. Im »normalen« Plug-in lässt sich, wie bei
dem 19-Zoll-Gerät 5500. Dabei handelt es sich um eine Art der Original-Hardware, die Kompressor-Kennline von Soft
Edelversion des bekannten API-Moduls 550b. Im Gegensatz Knee auf Hard Knee umschalten, und der »Type«-Schalter
zu diesem ist der 5500 ein Stereogerät und gezielt für die gestattet die Wahl zwischen Feedback(»Old Type«)- und
Bearbeitung von Bussen und der Stereosumme ausgelegt. Feed-Forward(»New Type«)-Arbeitsweise. Letzteres bezieht
Sowohl der 550b als auch der 5500 arbeiten mit Stufen- sich auf den Detektorzweig, der entweder das Eingangssig-
schaltern statt Potenziometern. Während beim bekannten nal analysiert, sodass der Kompressor schnell reagieren
Pult-Modul 550b je Band nur elf Gain-Settings zur Verfügung kann (Feed Forward /New Type), oder, wie bei den meisten
stehen, löst der 5500 diesen Parameter feiner auf: Durch Vintage-Kompressoren, das bereits geregelte Ausgangs-
stufenweise Begrenzung des Gain-Bereichs (±12, ±6 und signal analysiert und entsprechend nachregelt (Feedback/
±3 dB), werden feinere Abstufungen möglich als beim 550b, Old Type).

SOUND & RECORDING 10.2018 SOFTUBE AMERICAN CLASS A TEST 31


Den Abschluss bildet die Ausgangssektion mit der
Drive-Funktion, die das Sättigungsverhalten der API-Hard-
ware nachbildet. Wobei das genau genommen nur gilt, wenn
»Drive Character« auf Rechtsanschlag steht. Da Softube die
Verzerrungen des Originals etwas »fizzy« fanden, lassen sich
die Sättigungsartefakte mehr in die unteren Frequenzen ver-
lagern, indem man »Drive Character« zurückdreht. Auf Links-
anschlag gleicht die Verzerrung laut Manual der eines aus-
gelutschten, unterdimensionierten Übertragers − Übertrager
geraten nämlich zuerst in den tiefen Frequenzen in Sättigung.

Als VST/AU/AAX-Plug-in ist »American Class A« optisch der emulierten API- PRAXIS
Hardware nachempfunden. »American Class A« hat einen eigenen Sound, der sich deut-
lich von dem der übrigen Console-1-Channelstrips abhebt.
Nicht nur vom Namen her ist »American Class A« das ame-
rikanische Gegenstück zu »British Class A«. »American
Class A« hat ebenfalls eine Vintage-Prägung, ohne aber alt-
backen zu wirken. Der Sound ist deutlich offener, luftiger,
eben amerikanischer als der von »British Class A«. Ähnlich-
keiten bestehen im reduzierten Feature-Set: Auch »American
Class A« eignet sich eher zum Abschmecken und Nachwür-
zen als zur nerdigen Bearbeitung auf Detailebene. Insbeson-
dere der EQ arbeitet recht grob. Resonanzen rausziehen oder
Störfrequenzen entfernen ist kaum möglich. Gut beherrscht
In der Console-1-Version bietet »American Class A« ein schlichtes Design, das bewusst er ist das Herausputzen bereits vorhandener Klangschönheit
auf Eye Candy verzichtet — nichts soll vom »Schrauben nach Gehör« ablenken. und das artefaktfreie Nachjustieren der spektralen Balance.
Feinarbeit erlaubt, in gewissem Rahmen, der Extended-Modus
Die Console-1-Version hat diese Umschaltmöglichkeiten in Console 1, der auch schmalbandigere Eingriffe zulässt,
nicht, weil der Hardware-Controller keine entsprechenden weil − abweichend vom API-Vorbild − die Güte der Mittenfil-
Buttons besitzt. Stattdessen gibt es zwei Versionen des ter einstellbar wird. Im normalen Plug-in fehlt diese Mög-
Kompressors: Standardmäßig aktiviert ist in »American lichkeit leider.
Class A« der »Smooth Compressor« mit Soft Knee und New- Der Kompressor arbeitet sehr effektiv; man kommt wirk-
Type-Arbeitsweise (Feed Forward). Alternativ lässt sich per lich sehr schnell zum Ziel. Besonders der Punchy-Modus in
»Load Comp« der »Punchy Compressor« laden, der mit Console 1 bzw. Hard Knee/Old Mode im normalen Plug-in
Hard Knee und Old-Type-Kompression (Feedback-Arbeits- hat mir gefallen, um Drums & Percussion druckvoll Form zu
weise) aufwartet. Somit bietet die Console-1-Ausführung pressen. Es ist nicht ganz der legendäre API 2500, aber es
zwar nicht alle möglichen Settings, aber doch die beiden, geht klar in diese Richtung. Auch der Smooth Compressor
die am meisten Sinn ergeben. Störend ist eher, dass man (bzw. Soft Knee/New Mode im normalen Plug-in) arbeitet
nicht per Knopfdruck wechseln kann, sondern mehrere sehr effektiv und eignet sich bestens, um Spuren auf einen
Handgriffe dafür benötigt. gleichmäßigen Pegel zu bringen. Bei Vocals muss man ein
Den Thrust-Schalter der Original-Hardware hat Softube bisschen mit den Zisch- und Plosivlauten aufpassen, denn
weder im normalen Plug-in noch in der Console-1-Version mit einer minimalen Attack-Zeit von 1 ms gehört der »Ame-
implementiert. Das ist aber nicht weiter schlimm, denn APIs rican Class A«-Kompressor nicht zu den superschnellen Ver-
Thrust-Funktion aktiviert einfach nur ein Hochpassfilter im tretern seiner Zunft. Aber das ist bei der API-Hardware eben
Sidechain, damit der Kompressor weniger stark auf energie- auch so. Interessant ist, dass die Kompressor-Release auch
reiche Bassanteile anspricht. Dies lässt sich genauso bzw. bei längeren Einstellungen recht flott agiert.
noch etwas differenzierter erreichen, indem man das variable Ein echtes Highlight ist die Drive-Sektion, die einen gro-
Low-Cut-Filter der Eingangssektion mittels des »To Comp«- ßen Teil der Klangfärbung von »American Class A« aus-
Schalters auf den Kompressor-Sidechain routet. macht. Ironischerweise hat mir die Sättigung meist besser

32 TEST SOFTUBE AMERICAN CLASS A SOUND & RECORDING 10.2018


gefallen, wenn der Character-Regler sich in der linken Hälfte can Class A« gleichzeitig auch als normales VST/AU/AAX
seines Regelwegs befand − das ist der Teil, den Softube »da- native Plug-in erhältlich ist und ohne Aufpreis in derselben
zuerfunden« hat. Authentisch nachgebildet wird der API- Lizenz enthalten ist. Somit ist der Channelstrip auch für An-
Sound, wenn der Character-Regler am rechten Anschlag ist. wender ohne Console-1-Controller interessant. Aber auch
Das zeigt, dass absolute Originaltreue vielleicht gar nicht als Console-1-Besitzer muss man gelegentlich ohne Control-
das wichtigste Kriterium ist. Letztendlich geht es doch ler auskommen, z. B. unterwegs, und dann hatte man bis-
darum, das richtige Klangbild zu finden, das optimal zum her nur das behelfsmäßige Console-1-Software-Bedienfeld.
Song passt. Insofern hätte ich mir gewünscht, dass in Con- Das GUI des normalen Plug-ins ist weitaus übersichtlicher −
sole 1 per Default der flexiblere Extended EQ aktiviert ist. zumal mit dem neuen Waveform-Display. Insofern profitie-
Auch würde ich mir wünschen, dass man die Beschränkun- ren alle von Softubes Doppellösung.
gen der Originalhardware in Bezug auf die Gain-Einstellun- Diskussionswürdig ist, ob eine − ohnehin nicht sklavisch
gen des EQs auf Wunsch aufheben könnte. Zumal Softube genaue − Emulation die Einschränkungen der Originalhard-
in anderen Punkten ja auch nicht sklavisch originalgetreu ware beibehalten muss. EQ-Regler, die in Schritten von 2
war − zum Glück, denn dann hätte es u. a. keine Shape-Sek- bis 3 Dezibel arbeiten, sind aus heutiger Sicht zu grob. Der
tion geben dürfen, die als API-Hardware ja nicht existiert. Gain-Range-Schalter im Plug-in bzw. der alternativ wählba-
Und das wäre wirklich schade, denn die ist − wie bei den re Extended-EQ in Console 1 lindern das Problem, verkom-
anderen Console-1-Channelstrips − sehr gelungen. plizieren aber die Bedienung unnötig. Ansonsten macht
American Class A viel Spaß: Console-1-Anwender werden
FAZIT sich sofort zurecht finden, und auch das »normale« Plug-in
»American Class A« beschert Console 1 eine weitere Klang- unterstützt eine einheitliche Arbeitsweise, da es alle essen-
farbe. Softubes API-Emulation klingt offen und »amerika- ziellen Tools in einem GUI vereint. Dank ressourcenscho-
nisch«, einerseits audiophil, andererseits doch erkennbar nender Programmierung kann man es in alle DAW-Kanäle
»vintage«. Neu und äußerst willkommen ist, dass »Ameri- laden und erhält so ein luxuriöses API-Mischpult. n [6637]

REFERENCE SILVER
Röhrenmikrofon

FORCE®
ƓŊ-m-Ѵbhuo=omŊ(ouˆ;uv|࢜uh;uՓņՓ 

CORE®
Reference-Channelstrip

NU MU
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ELOP®+
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www.manley.com
TEST | Steinberg UR-RT4

Steinbergs »klassische« UR-Serie erfreut sich bis heute großer Beliebtheit in Projektstudios. Mit dem Zusatz »RT« erfahren das UR44
und UR22 nun eine Überarbeitung … mit etwas Unterstützung aus den USA.

Satt!
Autor Axel Latta Fotos Petia Chtarkova

‘ Genauer spendierte man den Interfaces spezielle Übertra- das Yamaha PA-150 mit einem Ausgangsstrom von 1.500 mA.
ger aus dem Hause Rupert Neve Desings, kurz RND. Da wird Daneben ist eine USB-2.0-Buchse Typ B eingelassen. Schön,
man schnell hellhörig, steht dieser Herstellername doch sonst dass auch ein Power-Schalter installiert wurde, was heute
für absolut hochwertige und nicht gerade preisgünstige Pro- keine Selbstverständlichkeit ist.
dukte. Rechts warten acht symmetrische Klinkenbuchsen auf
Das UR-RT4 ist ein Desktopgerät mit einem extrem ro- ihren Einsatz: Line-Input 5/6, Line-Output 1/2 und 3/4 sowie
busten und massiven Gehäuse. Beim Chassis wurde voll- Main-Output L/R sitzen gut verschraubt in der Aluminium-
ständig auf Kunststoff verzichtet, und somit verwundert platte. Des Weiteren hat Steinberg dem Gerät auch einen
auch das verhältnismäßig hohe Gewicht von knapp 2,4 kg MIDI-I/O spendiert. Eine digitale Schnittstelle, z. B. ADAT,
kaum. Mit Maßen von 267 ¥ 47 ¥ 208 mm (B x H x T) packt zur Erweiterung bzw. Kaskadierung fehlt leider.
man diese schwarze Kiste nicht mal eben in die Laptop- Zu guter Letzt sind noch zwei kleine Schalter vorhanden,
Tasche. Die Deckplatte ist mit vier Lüftungsöffnungen ver- die die Eingänge 1 bis 4 paarweise mit Phantomspeisung
sehen − so kann man einen Blick auf die Übertrager werfen, versorgen können. Diese Eingänge nehmen auf der Front-
die mit ihrem weißen Logo von Rupert Neve Designs hin- platte ihren Platz in Form von Neutrik XLR/Klinken-Buchsen
durchblitzen. Doch mehr dazu später! ein. Die vier Preamps kümmern sich allesamt um die Verstär-
Auf der Rückseite befindet sich links eine Buchse zum kung von Mikrofonsignalen. Während Eingang 1 und 2 optio-
Anschluss des mitgelieferten 12V-Netzteils, in diesem Fall nal auch hochohmige Instrumentensignale, etwa E-Gitarren

34 TEST STEINBERG UR-RT4 SOUND & RECORDING 10.2018


+++ Sobald der »Yamaha Steinberg USB Driver« unter Win-
sehr gute Verarbeitung dows installiert ist, stellt die kleine USB-LED an der Geräte-
front ihr Warnblinken ein und signalisiert mit durchgehen-
+++ dem Leuchten die Betriebsbereitschaft des Gerätes. Am Mac
musikalischer Klangcharakter
der Übertrager
wird das Interface auch ohne zusätzlichen Treiber in das
CoreAudio-System aufgenommen. Astrein!
+++ Steinberg lieferte vor einiger Zeit ein Firmware-Update
exzellente Cubase-Integration für die Interfaces »UR824« und »UR28M« nach, das den Be-
+++ trieb mit iPad (ab Version 2) mithilfe des Camera Connection
iOS-Kompatibilität Kit erlaubt. Das neue UR-RT4 hingegen besitzt diesen Class-
Compliant-Mode von Anfang an. Der Anschluss ans iPad
– klappte einwandfrei über einen Lightning-to-USB-Adapter.
keine Ausgangsabsenkung der
Ist die Cubasis-Demo-Version auf dem Tablet installiert,
Übertrager
wird diese automatisch freigeschaltet, sobald das Interface
UR-RT4 Hersteller Steinberg zum ersten Mal mit dem Sequenzer verbunden ist. Dann
Straßenpreis ca. 650,− Euro handelt es sich zwar immer noch nicht um die Pro-, sondern
um die LE-Version, und man muss mit ein paar wenigen
r www.steinberg.net
Plug-ins klarkommen, aber zum Aufnehmen, Editieren und
Demo-Mixing bietet diese mobile Produktionsumgebung
mehr als genug.
und Bässe, verstärken können, arbeiten die Eingänge 3 und 4
stattdessen mit Line-Signalen. Der Gain wird entsprechend »IN THE BOX«
mit den vier Potis eingestellt, die mit einem silbernen Kopf Die Wandler des UR-RT4 arbeiten mit 24 Bit und allen gän-
stabil auf ihrer Achse sitzen. Darüber kann man mit hinter- gigen Abtastraten zwischen 44,1 und 192 kHz. Im Treiber-
grundbeleuchteten Druckschaltern die Übertrager in den Panel stehen Puffergrößen zwischen 64 und 2.048 Samples
Signalweg einschleifen. zur Auswahl. Der kleinste Puffer zeigt in Cubase eine Aus-
Auf der rechten Seite bietet das UR-RT4 zwei Kopfhörer- gangslatenz von 7,2 ms bei 44,1 kHz an. Das ist keine beson-
anschlüsse, deren Lautstärke sich separat regeln lässt. Den dere Glanzleistung, sollte aber hinsichtlich des guten Direct-
Abschluss macht das Poti zur Regelung der Abhörlautstärke. Monitorings weniger ins Gewicht fallen, wie wir sehen wer-
Eine Aktivitätenanzeige für das MIDI-I/O fehlt leider. den.

EINRICHTUNG IM BETRIEB
Neben einem USB-Kabel und Netzteil legt Steinberg noch eine Beim Einpegeln mit dem Gain-Regler hilft es, eine hochauf-
gedruckte Kurzanleitung, u. a. in deutscher Sprache, bei. Au- gelöste Peak-Anzeige in der DAW zu begutachten, denn die
ßerdem befinden sich diverse Bei-
packzettel mit Download-Informa-
tionen und Aktivierungs-Codes für
Cubase AI, Cubasis LE und Basic FX
Suite im Tütchen. Erstaunlicherwei-
se blitzt hier auch eine CD-ROM (!)
mit der Aufschrift »TOOLS for UR-
RT4« entgegen. Um jedoch sicher Auf der Frontseite kann man die ersten vier Eingänge wahlweise durch die Übertrager schicken.
auf dem neusten Stand zu sein, soll-
te man sich dieses Softwarepaket
besser über die Website des Her-
stellers herunterladen.
Das UR-RT4 unterstützt offiziell
macOS ab Version 10.11 und Win-
dows ab Version 7 (SP1). Die Rückseite bietet neben ein paar Klinkenbuchsen auch ein praktisches MIDI-I/O.

SOUND & RECORDING 10.2018 STEINBERG UR-RT4 TEST 35


Die Messwerte, ermittelt im Loop-Test.
01 02 03

01 Bei 44,1 kHz liegt ein gerader Frequenzgang vor.


04 05
02 Sobald der Übertrager im Signalweg Platz nimmt,
kippt die Kurve etwas und zeigt eine breite Anhebung
von knapp 0,7 dB bei 10 kHz.
03 Der Klirrfaktor beträgt 0,0016 %, das Eigenrauschen
liegt bei −96,6 dBA.
04 Bei einer Abtastrate von 96 kHz überquert der
Graph die Marke von −1,0 dB bei 38 kHz, …
05 … ebenso bei einer Abtastrate von 192 kHz.

Meter-Bridge in der Kontrolloberfläche von dspMixFx ist Kombination aus Equalizer und Kompressor mit sehr simp-
ziemlich klein ausgefallen. Immerhin leuchtet die Peak-LED ler Bedienoberfläche.
an der Hardware zuverlässig auf, sobald das Signal an der Sehr schön ist, dass man die Position des Insert-Effekts
Grenze von −3 dBFs kratzt. Der Verstärkungsbereich von je nach Bedarf umschalten kann − so lässt sich der Effekt ent-
knapp 53 dB wird von den Potis sehr fein abgedeckt, aller- weder nur im Monitor-Weg oder tatsächlich im Aufnahme-
dings gibt es im letzten Fünftel des Regelwegs nochmal signal nutzen.
einen überraschenden Pegelsprung von ca. 6 dB. Über den Aux-Send schickt der virtuelle Mixer das ge-
Bei aktivierter Phantomschaltung warnt je eine rote wünschte Eingangssignal an die interne Hallsektion, welche
LED über den vorderen Eingangspaaren vor der anliegen- drei Prozessoren der Serie Rev-X von Yamaha bereithält. Die
den Spannung. Diese fällt übrigens mit 46,8 Volt etwas Qualität der Effekte ist durchweg überzeugend und belastet
geringer aus, liegt jedoch absolut im gängigen Toleranz- den Computer in keinster Weise, da der Hall, wie auch der
bereich. gesamte Mixer, auf dem SSP2-Chip berechnet wird. Doch es
gibt Grenzen! Maximal schafft der Chip eine Amp-Simulation
MIX MIT DSP und zwei Channelstrips gleichzeitig, bevor eine Warnung
Die kostenlose Software dspMixFx bzw. die gleichnamige über fehlende DSP-Ressourcen erscheint. Ebenso ist die
iOS-App dient zur Konfiguration von zwei verschiedenen Hallsektion nur für einen der beiden Mixes zu haben. Ab
Mixes, je nachdem ob Mix1 oder Mix2 rechts oben in der GUI einer Abtastrate von 176,4 kHz entfallen alle Insert-Effekte,
ausgewählt ist. Alle sechs analogen Eingänge sind hier samt und es bleibt nur noch der Hall übrig.
Fader, Panorama und Aux-Send aufgeführt. Die Eingangs- Da auch ein eigener Fader namens DAW für die Rück-
kanäle verfügen über einen digitalen Hochpassfilter und führung des Playbacks vom Computer an Bord ist, steht
eine Phasenumkehr. Des Weiteren kann man direkt im Ka- einem unkomplizierten Direct-Monitoring nichts im Weg.
nalzug einen Insert-Effekt hinzuschalten. Ist dieser virtuelle Einwandfrei! Nur ein paar kleine Besonderheiten fallen ins
Schalter aktiviert, lässt sich aus einem kleinen Drop-Down- Auge: Während Mix1 wahlweise über beide Kopfhörer aus-
Menü ein Effektprozessor aus der Basic FX Suite auswählen. gegeben werden kann, steht Mix2 nur auf dem zweiten Kopf-
Besonders Gitarristen kommen hier auf ihre Kosten, denn hörerausgang zu Verfügung. Diese Mixes werden im Übrigen
mit den Guitar Amp Classics erklingt eine direkt eingespiel- simultan auf den beiden Ausgangspaaren (Line 1/2 und 3/4)
te Gitarre alles andere als steril. Die Amps kommen in vier auf der Rückseite ausgegeben.
Varianten daher: Clean, Crunch, Lead, Drive. Unter »Settings« lässt sich der Eingangspegel der Line-
Alternativ lässt sich im Insert auch der altbekannte Buchsen 5/6 auf −10 dBV oder +4 dBu festlegen. Die Grenz-
»Sweet Spot Morphing Channel Strip« einschleifen − eine frequenz der Hochpassfilter wird hier ebenso eingestellt,

36 TEST STEINBERG UR-RT4 SOUND & RECORDING 10.2018


wenn auch nur global: 40, 60, 80, 100 oder 120 Hz. Des Weiteren ist in
diesem Menü eine nette Funktion namens Loopback versteckt, die sich
unter Umständen gut für Live-Streams oder Podcasts eignet. Ist hier ein
Häkchen gesetzt, mischt das Interface alle anliegenden Eingangssignale
sowie das DAW-Playback auf zwei Kanäle zusammen und schickt diesen
Mix per USB-Datenstrom zurück an den Rechner.
Besteht keine Verbindung zum Rechner, bleibt der letzte Stand von
dspMixFx inklusive Panorama und Effekt-Einstellung im Gerät gespeichert.
Somit lässt sich das UR-RT4 auch im Standalone-Modus als Preamp und
Mixer einsetzen. Sehr schick!
Für den Betrieb mit einer Drittanbieter-DAW, beispielsweise Ableton
Live, ist das Software-Panel dspMixFx also unerlässlich. In Verbindung
mit Cubase hingegen ist dieses separate Panel überhaupt nicht verfügbar.
Das braucht’s auch nicht, denn dafür erscheint in Steinbergs Software
ein neuer Tab direkt im Mixer: »Hardware«. Alle Eingänge verfügen dann
über die gleichen Funktionen, und über das »Hardware Setup« hat man
Zugriff auf Headphones, Reverb Routing und die zuvor erwähnten Set-
tings. Top!

RT-OPTION
Die Vorverstärker D-Pre aus dem Hause Yamaha kennt man ja bereits aus
diversen Interfaces. Der Sound ist sehr ausgewogen, sauber und rausch-
arm. Alles schön und gut, möchte man allerdings mehr Charakter hinzu-
fügen, warten die Übertrager schon auf ihren Einsatz. Der Sound weiß
sehr gut zu gefallen − spitze Transienten, gerade bei Drums oder gezupf-
ten Akustikgitarren, werden subtil in das Signal einbettet. Das Signal ge-
winnt an Substanz und wirkt brillanter, sehr schön auch für Gesang. Eine
dezente Höhenanhebung macht sich nicht nur in den Messungen bemerk-
bar. Tatsächlich möchte man hier und da gerne noch mehr Obertöne und
Sättigungsartefakte herauskitzeln, sprich die Übertrager noch »heißer«
mit mehr Pegel anfahren. Dies ist allerdings nicht möglich, ohne ins digi-
tale Clipping zu geraten, da keine Absenkung des analogen Signals nach
dem Übertrager und vor dem AD-Wandler möglich ist. Bei vielen externen
PreAmps ist dies häufig durch einen zusätzlichen Trim-Regler gelöst.

FAZIT
Das UR-RT4 ist ein erstaunlich vielseitiges Audio-Interface. Problemlos
arbeitet es sowohl mit den Plattformen Windows, macOS sowie iOS. Einen
Pluspunkt gibt es außerdem für den optionalen Standalone-Betrieb. dspMixFx
agiert dabei als übersichtliche Kontrolloberfläche für latenzfreies Monito-
ring, Erstellen von Sub-Mixes und das Einbinden von DSP-Effekten. Mit
abgespeckten Cubase-Varianten und der Basic FX Suite hat der Hersteller
zudem ein umfangreiches Softwarepaket geschnürt.
Die Zusammenarbeit mit Rupert Neve Designs kann sich sehen lassen.
Mit den zuschaltbaren Übertragern lässt sich dem sonst eher transparen-
ten und ausgeglichenen Klang der Vorverstärker etwas mehr Charakter
und analoge Dichte aufprägen − leider ohne Ausgangsabsenkung.
Wer mit einem kleineren I/O auskommt, sollte sich unbedingt das
UR-RT2 anschauen. n [6658]

SOUND & RECORDING 10.2018


TEST | Omnitronic TRM-402 — Rotary-Mixer

Wirft man einen Blick in die Clubs dieser Welt, steht gefühlt in jeder DJ-Booth ein Pioneer-Mixer der »DJM«-Serie oder vielleicht mal
ein Xone von Allen & Heath. Nichtsdestotrotz tauchen an verschiedensten Ecken auch immer wieder mal Rotary-Mixer auf.

Oldschool!
Autor Axel Latta Fotos Dieter Stork

‘ Das Konzept ist simpel: Statt mit Fadern arbeitet man eben Crossfader? Fehlanzeige, denn das wäre nicht stilecht! Die-
ausschließlich mit Drehknöpfen, sogenannten »Rotaries«. ses »Bedienelement« erfreute sich erst ab den 80ern, dank
Diese Mixing-Oberfläche konnte sich besonders in früheren DJ Kool Herc und Grandmaster Flash, hoher Beliebtheit.
Disco- und House-Clubs etablieren, da per Rotary u. a. noch
sanftere Übergänge möglich sind. Einer der Vorreiter war HARDWARE
Rudy Bozak, der Anfang der 70er-Jahre eigene DJ-Mixer für Das schwarze Gehäuse besteht vollständig aus Aluminium
diverse Discotheken in New York City entwarf. Der Bozak und ist sehr stabil verschraubt. Durch die vier Gummifüße
CMA-10-2DL war der erste kommerziell produzierte Rotary- hat das Chassis einen guten Stand. Bei Maßen von 107 x
Mixer und hat bis heute zahlreiche Nachahmer gefunden. 247 x 330 mm (H x T x B) bringt der TRM-402 ein Gewicht
Dieses altbewährte Konzept hat sich auch Omnitronic von knapp 4 kg auf die Waage.
zunutze gemacht und ein weiteres Exemplar der TRM-Serie Auf der Rückseite ist eine Buchse für die Stromversor-
entwickelt. Heraus kam ein klassischer 4-Kanal-Mixer. gung per Kaltgerätestecker eingelassen. Das integrierte

38 TEST OMNITRONIC TRM-402 SOUND & RECORDING 10.2018


Netzteil passt sich automatisch der entsprechenden Span- Hübsch wären Combobuchsen gewesen, die einen optiona-
nung (100 − 240 Volt) und Netzfrequenz (50/60 Hz) an. Den len Anschluss von Klinkensteckern ermöglichen.
Großteil der Fläche nehmen hier die Eingänge der vier Ka- Die Drehregler für den Master- und Booth-Ausgang sind
näle ein. Jeder Kanal ist mit zwei Cinch-Pärchen ausgestat- im Zentrum des Mixers angebracht. Darunter befinden sich
tet, wovon eines stets Line-Signale entgegennimmt. Das ein Poti für die Lautstärke des Kopfhörers sowie ein Mix-
andere Duo lässt sich zwischen Line- und Phono-Pegel um- Regler, der zwischen dem Cue- und Master-Bus überblenden
schalten. Den Eingangspegel für den Plattenspieler kann kann. Der TRM verfügt zudem über eine zuschaltbare Split-
man mit einem kleinen Poti und einem Schraubenzieher Funktion, welche das Pre-Fader-Signal auf die eine Seite
anpassen. Darüber ist für jeden Kanal eine dedizierte Er- des Kopfhörers und die Mastersumme auf die andere Seite
dungsschraube angebracht. schickt. Ist der Split-Knopf nicht gedrückt, liegt das per Mix-
In der Mitte der Rückseite befindet sich die Ausgangs- Poti eingestellte Mischungsverhältnis auf beiden Seiten des
sektion. Hier liegen Master und Booth nicht nur im Cinch- Kopfhörers an.
Format, sondern ebenso als anständige XLR-Buchsen vor − Kopfhöreranschlüsse gibt es genügend. An der Front-
im Hause Omnitronic sind diese symmetrischen Signalfüh- platte stehen diese in zweifacher Ausführung bereit, als
rungen eher keine Selbstverständlichkeit. Klinkenbuchse mit 3,5 und 6,3 mm. Diese Konfiguration
Auch an einen »Rec Out« (Cinch) hat man gedacht. Die- wird wiederum auf der Bedienoberfläche rechts oben wie-
ser vom Master pegelunabhängige Ausgang dient, wie bei derholt.
anderen Mixern auch, dem Anschluss von Aufnahmegeräten Durch die Doppelbelegung von Mikrofon- und Kopfhörer-
oder einer Weiterleitung an einen Sub-Mixer. Top! Anschluss wäre der TRM-402 also bestens für eine Installa-
Digitale Schnittstellen, wie S/PDIF zum Anschluss von tion im Case oder Rack geeignet − an den beiden Seitenpane-
CDJs beispielsweise, sucht man vergeblich − ganz zu schwei- len sind auch schon je zwei Bohrungen vorbereitet. Interes-
gen von einer USB-Buchse, die einen direkten Verbund mit sant, dass auf der Webseite des Vertriebs Steinigke Show-
einem Traktor- oder Serato-System ermöglichen würde, ver- technik − Omnitronic besitzt selbst keine Internetpräsenz −
gleichbar mit dem MP 2015 von Rane. Der TRM ist also rein zwar passende Ersatzteile wie Kondensatoren, ICs oder Poti-
analog aufgebaut, ganz ohne AD/DA-Wandlung − das sieht knöpfe zu erwerben sind, optionale Rack-Ohren dort aller-
man heute auch nicht mehr allzu oft. dings nicht im Angebot sind.
Die vier Eingangskanäle auf der Bedienoberfläche besit- Die Master-Sektion wird von zwei Lautstärkenanzeigen,
zen allesamt ein Lautstärke-Poti mit einem Durchmesser die sich je aus 12 LEDs zusammensetzen, begleitet. Für Mas-
von knapp 2,2 cm sowie zwei etwas kleinere Potis für die ter- und Booth-Ausgang steht in dieser Region je ein Poti
2-Band-Klangregelung. Letztere verfügen über einen Regel- zur Verfügung. Richtig viel Fläche reservierte man für den
bereich von ±10 dB sowie eine Mittenrasterung. Darüber 3-Band-Equalizer oder – wie Omnitronic die drei großen
sitzt ein Druckschalter, sprich »Input Selector«, der zwischen Rotaries bezeichnet – den »Frequenzisolator«. Die drei Pass-
den beiden Cinch-Eingängen wechselt. Per Cue-Taster kann bandfilter unterteilen das Master-Signal in drei fixe Frequenz-
man den Eingangskanal auf den Kopfhörerausgang schicken. bereiche, also 20 bis 300 Hz, 300 Hz bis 4 kHz und 4 bis
Alles ist hervorragend verarbeitet, und die Drehregler sitzen 20 kHz. Sonst gibt es keine Effekte an Bord. Auch eine Send/
sehr stabil auf ihrer
Achse.
Ein weiterer Ein-
gangskanal wird durch
das Mikrofon repräsen-
tiert − ein Drehregler und
ein On/Off-Schalter redu-
zieren die Funktionalität
allerdings auf das Nötigs-
te. Die Buchse stammt
von Neutrik und ist ein-
mal auf der Deckplatte
und ein weiteres Mal an
Die Rückseite bietet zahlreiche Anschlussmöglichkeiten für diverse Zuspieler. Master- und Booth-
der Front vorhanden. Ausgang sind vorbildlich als XRL-Buchsen konzipiert.

SOUND & RECORDING 10.2018 OMNITRONIC TRM-402 TEST 39


+++
gute Verarbeitung

+++
XLR-Ausgang für Master und Booth

+++
gute Klangqualität

––
kein PFL-Metering der Eingänge


keine Gain-Regler auf der Bedienoberfläche

TRM-402 Hersteller Omnitronic


Straßenpreis ca. 700,− Euro r www.steinigke.de

Return-Sektion, mit der man externe Delay- oder Reverb- Der Master-EQ bzw. Isolator agiert bei Absenkung als
Effekte ansteuern könnte, ist nicht Teil der Spezifikation. Kill-Switch, denn sind alle drei Potis nach links gedreht,
herrscht absolute Stille. Nach rechts hingegen ist eine An-
IM BETRIEB hebung von bis zu 9 dB im jeweiligen Frequenzband mög-
Im Allgemeinen überzeugt der TRM durch eine sehr ange- lich. Die Filter klingen gut und musikalisch, nur leider sind
nehme und wertige Haptik. Bei den Drehpotentiometern des die Rotaries nicht mittengerastert. Insofern wäre zumindest
Herstellers ALPS handelt es sich um das Modell »Blue Velvet eine Bypass-Funktion wünschenswert.
RK27«. Somit ist ein durchgehend gleichmäßiges Drehmo- Sonst ist die Arbeitsweise mit dem Mixer eine sehr in-
ment gegeben, und dank des großen Rotary-Durchmessers tuitive und schöne Angelegenheit. Da fast alle Buttons wie
lassen sich sehr feine Justierungen vornehmen. Der Klang Input Selector, Cue oder Mic On/Off mit LEDs ausgestattet
ist ebenso sehr wohlwollend und druckvoll, was wohl nicht sind, ist eine gute visuelle Kontrollmöglichkeit gegeben.
zuletzt dem Verzicht auf AD/DA-Wandlern geschuldet ist.
Einige DJs werden vielleicht die Gain-Regler auf der FAZIT
Deckplatte vermissen. Pegelunterschiede im Set lassen sich Betrachtet man die Preisstruktur von bisherigen Omnitronic-
somit nur durch die Rotaries ausgleichen, was wiederum Produkten, handelt es sich beim TRM-402 um ein auffällig
bedeutet, dass nicht immer der gesamte Regelweg der Potis teures Gerät. Allerdings stimmen hier die Verarbeitung und
zur Verfügung steht und man zu Beginn etwas Headroom der Sound. Der Mixer macht nicht nur dank seines robusten
einplanen sollte. Die Sensitivity-Regler für die Phono-Ein- Gehäuses einen sehr hochwertigen Eindruck, auch die Rota-
gänge lassen wir hier nicht gelten, denn während eines Sets ries sind top! Je nach Auflege-Stil mag es für den einen oder
wird kaum ein DJ mit einem Schraubenzieher hinter dem anderen DJ störend sein, dass man weder schnellen Zugriff
Mixer herumfummeln. auf das Input-Gain noch eine Ansicht für das PFL-Metering
Außerdem ist zu beachten, dass die Pegelanzeige stets hat.
Post-Master-Level abgreift. Es wäre sehr hilfreich gewesen, Wer eine eierlegende Wollmilchsau inkl. USB-Interface,
könnte man zumindest einen der beiden Bargraphen zum MIDI-Controller und Effektschleuder sucht, ist hier an der
PFL-Metering umschalten, um den nächsten Track schon falschen Adresse. Man kann den TRM-402 also guten Ge-
vor dem Übergang auf das passende Lautstärken-Niveau zu wissens als Mixer der »alten Schule« bezeichnen − was ge-
bringen. schmacklich sicherlich einigen DJs entgegenkommt. n [6659]

40 TEST OMNITRONIC TRM-402 SOUND & RECORDING 10.2018


STORY | Vintage-Talk
Auf dem ereignisreichen Guitar Summit
2018 in Mannheim war Thomas Weilbier,
altgedienter Vintage-Experte aus Hamburg
(No.1), auf der »I’M SOUND«-Stage im
Gespräch mit Versicherungsexpertin Janina
Klabes (Mannheimer Versicherung) zu
erleben. Wir nutzten die Gelegenheit für
einen vertiefenden Dialog zum Thema.

Vintage-
Talk
Autor Franz Holtmann

‘ Janina Klabes: Thomas, du bist lange im Geschäft. Gibt Ihr verkauft also auch nach Frankreich?
es für dich eine definitive zeitliche Grenze für die Katego- Ja, wahnsinnig viel. Das läuft oft übers Internet, die ler-
rie Vintage-Gitarre? nen uns da kennen, kriegen mit, dass wir sowas haben, und
Thomas Weilbier: Vintage hört für mich mit dem Jahr 1969 kommen dann auch mit dem Auto angefahren. Als letztens
auf. Das haben wir immer so gehalten, und dabei bleiben wir Joe Bonamassa da war und wir ein paar Deals mit ihm ge-
auch. Natürlich gibt es auch danach noch gute Exemplare, macht haben, hat er gepostet, dass er sich in Hamburg diese
und die Grenzen sind da fließend, aber im Wesentlichen Gitarre etc. gekauft und uns diesen Amp in Zahlung gegeben
sind das für uns die Gitarren der 50er- und 60er-Jahre. hat. Wir hatten den Amp noch nicht mal gelistet, wussten
England ist ein großer Markt mit viel Vintage-Bestand, aber auch gar nicht, ob der überhaupt funktioniert, da rief schon
auch berüchtigt für fatal gut gemachte Fälschungen. jemand aus Frankreich an und wollte den haben. Also
In Hamburg haben wir viele englische Musiker, die rei- Frankreich ist ganz stark geworden.
sen hin und her und verticken irgendwelche Sachen in der Da braucht ihr selbst wohl gar nicht mehr aktiv werden?
Hamburger Szene. Ich will nicht übertreiben, aber ich sag Manchmal spielen Bands hier vor großem Publikum − ich
mal, so 60 % von den Sachen, die die von drüben anschlep- kenn die oft gar nicht −, aber da kommt dann der Gitarren-
pen … angeblich komplett original, kein Poti ausgelötet Roadie rein und postet, was er bei uns gesehen hat, und wir
und, und, und. Da zeigt sich einfach, dass sie nicht genau kriegen jede Menge Anfragen, und unser Email-Account
hingucken. wird förmlich geflutet. Was ich sagen will: Der Markt hat
Gut gemachte Fakes sind oft auch nur schwer zu enttar- sich komplett geändert.
nen. Die Vernetzung über die sogenannten sozialen Medien
Das ärgert mich, weil wir ja jeden Schiss ganz genau an- macht die Welt kleiner …
gucken und durchmessen etc., und unsere Schlauberger in … und das mit einem enormen Tempo. Ich bin, wie ge-
Hamburg meinen, sie haben den Deal des Jahrhunderts ge- sagt, manchmal noch nicht mal im Bilde, da fragt schon je-
macht. Da fällt schon auf, dass aus England in dieser Hin- mand nach etwas, das gerade erst zum Check in die Werk-
sicht wahnsinnig viel Zeugs mit Fragezeichen kommt. Das statt geht. Die Musiker sind ja auch untereinander vernetzt.
haben wir bei den Holländern oder den Franzosen nicht so. Was hat sich noch geändert?
Der französische Vintage-Markt ist übrigens wahnsinnig Die jungen Leute gucken heute gar nicht mehr so, was
stark geworden. Da passiert irgendwas, ich weiß nicht was, da auf dem Instrument für ein Name drauf steht. Das mer-
aber für uns läuft das gut. ken wir extrem, weil wir ja immer schon zu den traditionellen

42 STORY VINTAGE-TALK SOUND & RECORDING 10.2018


Namen gehalten haben: Fender, Gibson, Gretsch, Martin, der Liga mitspielen, etwas vorzeigen können und sich damit
Epiphone etc. Heute kommen die Leute nicht mehr rein und schmücken. Die siehst du dann plötzlich auf Vintage-Messen
fragen: »Habt ihr eine Les Paul Standard oder Studio?«, in San Rafael oder Dallas. Das sind so Mitspieler geworden,
sondern sagen: »Ich suche eine Les Paul.« Wir können wie es früher die Japaner waren.
denen dann empfehlen, was der verlangten Qualität und Engt das Geschäft sich nicht auch auf wenige Händler ein,
dem Geldbeutel entspricht. Das ist in den letzten fünf Jahren da das Misstrauen gegenüber privat angebotenen Instru-
ganz stark geworden, und wir verkaufen im Moment mehr menten ohne Expertise inzwischen groß ist? Man vertraut
FGN-Gitarren, Les Pauls und 335-Modelle als Gibsons. Die euch, da tragt ihr auch Verantwortung.
sind günstiger und bieten japanische Qulität. Absolut richtig. Das Vertrauensverhältnis ist das A und O.
Unterminiert das nicht den Mythos der originalen Les Wir haben deshalb auch einen externen Gutachter zugezo-
Paul und damit das Vintage-Geschäft? gen, der checkt alles in Ruhe, macht alles soweit fertig und
Der Mythos Les Paul oder Stratocaster bleibt eigentlich ruft mich dann dazu. Der unabhängige Blick ist uns wichtig
unbeschädigt, aber ob da Gibson oder Fender draufsteht, – vier Augen sehen mehr als zwei.
das ist vielen inzwischen egal. Der Vintage-Markt bleibt Ist der Markt nicht dennoch geschrumpft?
davon unberührt, das ist eine andere Ebene und natürlich Das ist schon deutlich weniger geworden. Vor 10 Jahren
auch Preisklasse. Da haben wir eher ein Beschaffungspro- waren wir vielleicht noch 30 Vintage-Händler in Deutsch-
blem. land. Das ist okay für mich, weil auch der Markt kleiner
Du hast also eher Not, entsprechende Ware ranzuschaf- geworden ist. Für uns ist es eigentlich aber immer auf dem
fen? gleichen Level geblieben, weil andere drum herum wegge-
Na sicher. Aus Amerika können wir ja wegen der Pali- blieben sind. Wir haben immer noch einen guten Fundus
sanderproblematik nicht mehr importieren, da bleibt nur von Bands und Sammlungsauflösungen, wo wir immer
das, was schon in Europa ist, und auf Anfrage zu liefern, ist noch an tolle Instrumente herankommen. Die Stadt Ham-
da nur gelegentlich möglich. burg hat da natürlich auch einen Standortvorteil.
Aber jetzt kommen natürlich schon Gitarren von Samm- Gibt es im Moment eine besondere Nachfragetendenz?
lern auf den Markt, die sich altersbedingt davon trennen Zurzeit haben wir einen wahnsinnig starken Markt bei
wollen, oder? Semi-Acoustics und Akustikgitarren. Junge Leute haben
Zum Glück! Ich kenn natürlich auch viele Sammler, aber hier auch entdeckt, dass eine alte Gitarre ihrer Stimme
du kannst da ja nicht anrufen und sagen, verkauf mir mal einen anderen, einen besonderen Akzent geben kann. Gib-
die und die Gitarre, ich hab einen Kunden dafür. Das sind sons aus den 50er- und 60er-Jahren sind nach wie vor be-
eher Zufälle, wenn man das richtige Instrument zur rechten gehrt, die ES-Modelle natürlich. Stark nachgefragt werden
Zeit für einen Kunden findet. gerade besonders die Les Paul Junior und die Les Paul Spe-
Kann das nicht zu Einbußen führen, wenn zunehmend cial. Das kann nächstes Jahr ja schon wieder anders sein.
Sammlungen aufgelöst werden? Hat dieser Akzent auf Gibson vielleicht auch damit zu
Nein, eher nicht. Bringst du mir, sagen wir mal, eine tun, dass Fender-Gitarren leichter zu fälschen sind?
Martin D28 von 1968 rein, dann mach ich ein schönes Foto, Ja, da hast du sicher recht! Die Gibsons sind eben aus
und nachdem wir die Expertise fertig haben, beschreibe die einem Stück gefertigt, die Stratocaster ist bekanntlich aus
Gitarre und bestimme den Preis. Dann guck ich in unsere vielen, leicht austauschbaren Teilen zusammengebaut.
große Kartei und seh da den Interessenten aus Gelsenkir- Gibt es neue Entwicklungen, was CITES [»Convention on
chen und den aus Paris etc. Die schreib ich jetzt mal an: International Trade in Endangered Species of Wild Fauna
»Habt ihr Interesse?« Das ist unsere Vorgehensweise, die and Flora«, zu Deutsch: Übereinkommen über den inter-
melden sich dann. nationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender
Im Moment könnte ich zwei, drei Sammlungen mehr Tiere und Pflanzen; Anm.d.Red.] angeht? Von welchen Er-
verkaufen, als mir angeboten werden. fahrungen erzählen dir Musiker?
Wie ist das mit jungen Kunden, kaufen die auch Vintage? Es ist leichter geworden, weil die Leute das verstanden
Es gibt junge Leute zwischen 20 und 30, die so viel Asche haben, auch warum das so ist. Am Anfang wollten es viele
haben, dass die sich für Preise gar nicht interessieren. Die nicht wahrhaben, wenn ich sagte: »Du musst deine Samm-
reisen durch die Welt und kaufen ein mit Spaß an der Freu- lung zertifizieren lassen, du kannst damit nicht mehr nach
de und an dieser speziellen Atmosphäre. Sie haben auch Amerika reisen.« »Ach was«, hieß es dann, »wir haben die
keine Investmentgedanken. Viele Leute wollen einfach in besten Rechtsanwälte, uns passiert schon nichts.« Nach

SOUND & RECORDING 10.2018 VINTAGE-TALK STORY 43


einem Jahr kamen die dann an: lich nicht mehr wegzudenken,
»Kannst du meine Sachen zertifi- eine Les Paul und eine SG natür-
zieren?« Das Bewusstsein dafür lich auch nicht.
ist jedenfalls viel besser gewor- Ein starkes Interesse geht bei
den. jungen Leuten gerade in Rich-
Wir haben Fehler gemacht, tung P-90-Gitarren, also zu die-
wussten das ja anfangs nicht sem warmen, schmatzigen, glo-
besser, aber die Fehler haben wir ckigen Ton. Ob das nun eine Les
in Hamburg mit der Umweltbe- Paul Junior oder Special, eine
hörde größtenteils begradigen ES-125er oder 330er ist − wir
können, weil die auch erkannt haben mehr Erfolg bei P-90-
hat, dass wir aus Unwissenheit Gitarren als bei allen anderen.
gehandelt haben. Da das aber in Das ist ein Trend, aber vielleicht
den Bundesländern unterschied- zieht auch bald schon wieder der
lich gehandhabt wird und Ausle- Humbucker nach vorn.
gungssache ist, haben einige Du bist guter Hoffnung, dass
Leute auch immer noch Proble- Thomas Weilbier der Markt stabil bleibt?
me mit CITES. Ich bin guter Hoffnung, denn es
Es bleibt ein Ärgernis. gibt eine Sammler-Community,
Bei einem Meeting der Bundesumweltbehörde in Mete- die auch aktiv Musik macht. Die haben jetzt im Ruhestand
len − Dieter Roesberg [Chefredaktuer von unserem Schwes- endlich auch die Zeit, um zu spielen, treffen sich regelmäßig
termagazin GITARRE&BASS; Anm.d.Red.] war auch mit und arbeiten manchmal Themen ab: letztes Jahr Clapton,
dabei − habe ich vor einiger Zeit die Frage gestellt: »Wenn davor ZZ Top, jetzt Hendrix usw. Da passiert schon was.
ich das schon alles nicht verkaufen kann, was passiert denn Aber wie lange hält diese Generation noch durch?
eigentlich, wenn Mark Knopfler zur Tür hereinkommt, der in Die Kinder eifern ja nach, das ist die gute Nachricht. Es
Hamburg spielt, aber der Pickup seiner Stratocaster mit Rio- sind viele talentierte Nachkömmlinge dabei, die können mit
Board ist kaputt − darf ich das reparieren?« Da sagt der Herr einem Kemper und mit Plug-ins umgehen, machen Studio-
Sterz, Referent vom Bundesamt für Naturschutz: »Ja, natür- aufnahmen usw. Wenn nur ein Zehntel von denen begreifen
lich können Sie das reparieren, Sie gehen ja nicht an das würde, was eine alte Gitarre mit deren Persönlichkeit machen
Holz ran.« Da gab es dann doch heftigen Widerspruch im kann. Ich finde, das ist unsere Aufgabe, ihnen das zu ver-
Saal von den Vertretern der verschiedenen Bundesländer. mitteln. Dann hätten wir eigentlich schon gewonnen, um
Ich jedenfalls darf die Gitarre in Hamburg nicht reparieren, das weiterleben zu lassen.
wenn sie nicht zertifiziert ist! Das verstehe, wer will. Du redest von prägenden Sounds, die allein durch Üben
Heute hat man das Zertifikat aber schon im Koffer, oder? und Technik nicht zu erzielen sind?
Also, die meisten haben es, aber es gibt immer noch Warum hat damals Udo Lindenberg Thomas Kretschmer
Leute, die davon noch nicht mal gehört haben. Die kommen [heute Carola; Anm.d.Red.] als Gitarrist geholt? Thomas hat
dann und sagen: »Mensch, ich hab seit zehn Jahren nicht bei uns gearbeitet, und der hat einen Ton gehabt, der war
mehr gespielt«, und legen mir ihre 60er-Jahre Jazzmaster sensationell. Diesen Ton brauchte Udo.
zur Inspektion auf den Tisch. »Ah«, sag ich dann, »wunder- Wiedererkennungswert hatten auch Alex Conti und Rai-
bar, Riopalisander-Griffbrett, wir müssen dir helfen.« ner Baumann − das vermissen wir. Deshalb starten wir nächs-
Was sind zurzeit die Verlierer, was die Gewinner? tes Jahr bei uns mit Peter Weihe − Andreas Kloppmann ist
Wenn wir über alte Gitarren bis Ende der 60er-Jahre auch beteiligt − eine zehnteilige Workshop-Reihe, wo es nur
reden, da gibt es ein paar Verlierer. Gretsch z. B. schwächelt, darum geht: Wie kann ich meine Persönlichkeit auf das In-
da geht fast nur noch, was Verbindung mit George Harrison strument übertragen? Also nicht wie Eddie Van Halen oder
und Brian Setzer hat. Noch weit darunter rangiert Burns, sonstwer spielen, sondern das Instrument soll uns erzählen,
wofür wir früher starke Sammler hatten. Rickenbacker ist dass du das spielst! Ich will dich hören! Da wollen wir mal
auch ganz schwach geworden. angreifen!
Ich glaube aber, dass der Sound der Stratocaster ein Guter Plan! Danke, Thomas, für das informative Ge-
Lebenselexir ist. Eine alte Strat oder eine alte Tele ist eigent- spräch! n [6648]

44 STORY VINTAGE-TALK SOUND & RECORDING 10.2018


STORY | Roosevelt

Ich treffe den Künstler und Produzenten Marius Lauber aka Roosevelt in seinem Kölner Studio kurz vor dem Release seines neuen
Albums Young Romance , kurz vor der Tour mit seiner Band in Deutschland, Europa und den USA und … kurz vor dem großen Durch-
bruch? Marius freut sich sichtlich auf das Interview und sagt: »Endlich geht es mal um das Wesentliche, die Musik und den Sound!«

Roosevelt for President


Text & Fotos Marc Bohn

‘ Es ist das erste eigene Studio von Marius. Früher hatte er wächst und die er sowohl als Regie wie auch als Aufnahme-
sich in Köln Ehrenfeld einen Raum in einem Proberaum- raum nutzt.
komplex mit zwei weiteren Bands geteilt, was zeitlich oft
schwierig war. Den neuen Raum hat er von Götz von Sydow Marius, erzähl mal: Mit welcher Musik bist du aufgewach-
übernommen, der Pur und Luxuslärm produziert. Marius ist sen, welche Musik hat dich inspiriert?
jetzt seit gut einem Jahr in seinen eigenen vier Wänden und Mit 6 Jahren habe ich angefangen, Klavier zu spielen.
hat sich seine neue »Spielwiese« eingerichtet, die stetig Ich habe dann aber erst mit 14 begonnen, mich so richtig

46 STORY ROOSEVELT SOUND & RECORDING 10.2018


für Musik zu interessieren. Damals waren das so Indie- Irgendwann habe ich angefangen, meine eigenen Tracks
Bands wie The Strokes und Arctic Monkeys. Ich habe aber zu produzieren, das war ein Mischmasch aus den ganzen
auch mal einen Monat lang nur Beatles gehört. Mit 15 habe Welten. 2010 habe ich dann die ersten Tracks unter dem
ich dann mit Gitarre angefangen und in vielen verschiede- Namen Roosevelt produziert.
nen Bands gespielt. Dann interessierte ich mich immer Wie gehst du beim Songwriting vor, und wie startest du
mehr für elektronische Musik, und habe auch anfangen, mit den Songs?
Techno und House in Köln aufzulegen. Irgendwann kamen Ich habe eigentlich immer Logic offen und arbeite zu
dann bei mir, als ich Drummer bei Beat!Beat!Beat! war, im Beginn mit einem Piano-Sound an meinem MIDI-Keyboard
Bandgefüge Synthesizer dazu. Sie waren aber immer Teil oder mit einem Bass oder einer Gitarre in der Hand und
des Gitarrenkontexts. suche erst mal nach einer Idee. Bei manchen Tracks sitze ich
Ich habe meine Bands immer selbst produziert, teilweise sogar zuerst am Drumset. Das kommt ganz auf den Song an.
sogar in GarageBand. Fireworks von Beat!Beat!Beat! läuft Neben mir habe ich ein SM57 liegen, über das ich schon
immer noch in der Version, die ich in GarageBand mit einem mal eine Melodie einsinge. Bei mir passiert alles sehr impul-
USB-Mikrofon von t.bone aufgenommen habe, auf 1Live. So siv, und es muss schnell gehen. Als ich in den Red Bull Stu-
hat sich stetig mein Spektrum an Interessen erweitert. dios war, haben die 15 Minuten gebraucht, um zwei Mikros
Dann waren da Projekte wie Justice, die einem Rockkid zu verkabeln, um ein Tambourine aufzunehmen. Ich muss
wie mir gezeigt haben, dass Elektronik gar nicht mal so weit immer alles ready haben: die Synthis gepatcht und auch die
weg ist. Drums aufnahmebereit.
Ich wusste ja auch, wie es sich als Drummer, als Bassist Du hast hier ein mikrofoniertes Drumset, einen VOX AC30,
und als Gitarrist in einer Band anfühlt. Und da ich als Kind verschiedene Gitarren und eine umfangreiche Synth-Wand
Klavier gespielt habe, komme ich auch am Synthi klar und stehen. Hast du alle Instrumente der neuen Roosevelt-
fühle mich vor allem in C-Dur und A-Moll zuhause. (lacht) Platte hier selbst aufgenommen?

Marius achtet beim Synthesizer-


Kauf darauf, dass das Gerät
transponieren kann.

SOUND & RECORDING 10.2018 ROOSEVELT STORY 47


Ja! Am Anfang war meine Musik noch
sehr Sample-lastig. Da hatte ich keine echten
Drums aufgenommen, sondern auf Samples
oder sogar Loops aus irgendwelchen Libraries
zurückgegriffen und mir die zurechtgehackt!
Ich habe auch mal einen Bass und eine Gitar-
re eingespielt, meine Vocals waren damals
auch noch sehr verhallt. Das hatte aber noch
nichts mit einer richtigen Bandproduktion zu
tun, wie es mittlerweile bei mir abläuft.
Mit dem Bass gehe ich direkt in mein
Apollo 8P. Davor schalte ich dann noch ein
virtuelles Pedalboard mit einem Overdrive
und einem Splitter, wo ich dann 80 % Over-
drive und 20 % Dry zusammenmische. Das be-
Den Juno-60 (unten) musste Marius einfach haben!
handle ich fast wie ein Amp-Signal, das man
zum DI-Signal mischt, um etwas mehr Drive
zu bekommen. Obwohl der Bass ja nicht verzerrt klingt, ist Regie und Aufnahmeraum nutze. Man hört schon, dass der
im Mix Verzerrung schon sehr wichtig. Gerade beim Bass Raum aufgeht, wenn das Signal stark komprimiert wird und
klingt das sehr wohlig. ich nicht nah genug am Mikro war. Ich habe hier die großen
Auch mit den Gitarren gehe ich direkt ins Apollo, außer Fenster, zwar mit extra Akustikvorhängen, aber trotzdem ist
bei dem Song Loosing Touch, da habe ich die Gitarren-Feed- er nicht ganz 100 % akustisch optimiert. Das stört mich aber
backs in Berlin in den Red Bull Studios aufgenommen. Da nicht, ich finde den Sound einfach authentisch, weil man
hatte ich drei Gitarren-Amps, zehn verschiedene Raummi- dadurch eine kleine Ambience im Hintergrund hat.
kros und einen riesigen Raumklang. Dort habe ich Material Dein Vocal-Sound erinnert mich ein bisschen an Phil Col-
gesammelt und hier bei mir zusammengemischt. Am Ende lins …
habe ich nur ein Stereopaar der Raummikros benutzt. Das ist wegen des Slap-Echos und dem Plate Reverb.
Bei den Drums haben Kick und Snare immer hier am Set Die setze ich aber in letzter Zeit immer mehr in den Hinter-
ihren Start. Für die Kick nehme ich das Shure SM7 und an grund. Beim ersten Album kamen die noch stärker zum Ein-
der Snare das SM57. Für die Overheads habe ich ein Oktava- satz. Mit einem Microshift von Soundtoys versuche ich, dem
Pärchen, für die Toms die Bändchenmikrofone RM 700 von Mono-Sound etwas mehr Breite zu geben, indem ich das
t.bone. Je nach Song werden die Sounds dann mit anderen Seitensignal etwas detune. Das ist auch so ein bisschen der
Samples gelayert. Bei Loosing Touch ist es fast ausschließlich John-Lennon-Sound, der früher durch das Fake-Double-
das Drum-Tracking geworden, wenig gecuttet und wenig Tracking in den Bandmaschinen hinzugefügt werden konnte.
gelayert. Bei Songs wie Under The Sun, was schon eher eine Das habe ich auch viel bei Synthis eingesetzt. Den Juno-
Dance-Produktion ist, sind Kick und Snare auch hier auf- 60 habe ich nämlich überhaupt nicht stereo, sondern nur
genommen, dann aber gelayert. Dort ist es Absicht, dass mono aufgenommen − ich weiß gar nicht warum, das ent-
wenig Dynamik drin ist, jede Kick und jede Snare sollen steht bei mir aber oft impulsiv.
gleich klingen. Manchmal ist die Aufnahme mit acht Mikro- Wo wir gerade bei Synthesizern sind! Du hast hier viel
fonen noch komplett im Track präsent, manchmal aber Kram stehen. Was hat sich dazu bewegt, Hardware-Syn-
auch komplett raus. thesizer in deinen Produktionen einzusetzen?
Die Vocals nehme ich hier mit einem Shure SM7 auf, Mein erster Synthesizer war der Juno-60. Den hatte ich
das ich dann in der Hand halte, während ich hier auf mei- mir immer von einer anderen Band ausgeliehen, wollte ihn
nem Stuhl sitze. Das brauch ich auch. Aufnahmen in einer aber unbedingt auch bei mir zu Hause im Studio haben. Mit
Vocal-Booth mit noch einem Engineer würden mich in so ihm habe ich viele Bässe gemacht und so typische Juno-
eine Situation bringen, die sich total ungewohnt anfühlt. Chords.
Ich brauche einfach ein Mikrofon in der Hand und fertig. Ich probiere viele Sachen an den Synthis aus, weil es
Der Raum lebt ein bisschen, es ist keine schalltote Kam- dann doch zu schade ist, sie nur als Arbeitsgeräte zu nutzen.
mer. Das ist auch ein guter Kompromiss, weil ich ihn als Während einer Albumproduktion nutze ich einen bestimm-

48 STORY ROOSEVELT SOUND & RECORDING 10.2018


ten Synthesizer nur für einen bestimmten
Sound. Ich nutze beispielsweise den ARP
Axxe nur dann, wenn ich einen bestimm-
ten Bass-Sound haben möchte, wie bei-
spielsweise in Getaway. Das ist ein sehr vol-
ler und fast purer Oszillator-Sound, der
sehr viel Attack hat.
An den Moog Prodigy gehe ich oft für
Slides, die ich einsetze, wenn es in den
Chorus geht. Damit erzeuge ich so einen
monofonen Ton, der das Ganze etwas öff-
net. Da setzt er sich sehr gut durch, weil er
sehr mittig und aggressiv klingt. Er hat ein-
fach eine wahnsinnige Durchsetzungskraft.
Den Crumar DS-2 habe ich ganz klas-
Der ARP Axxe liefert Marius einen vollen und fast puren Oszillator-Sound.
sisch als Minimoog-Ersatz für Soli und
auch für ein paar Bässe genutzt. Das Be-
sondere daran ist, dass in der Poly-Section der Envelope Den Crumar Multiman S nutze ich ausschließlich für
nicht aktiv ist. Das heißt, man hat nur einen perkussiven String-Sounds. Er hat auch eine super Brass-Section, die
Chord-Sound. Funktioniert wie ein Gate: Wenn man die zwar rauscht, was aber einfach zum Sound gehört und kein
Taste drückt, hat man einen Ton, und wenn nicht, dann Defekt ist. Die String-Section klingt aber super sahnig wie
eben nicht – als ob man Attack hochfahren würde und den eine klassische Stringmaschine nach Disco-Strings.
Sustain komplett runter. Durch diese Limitierung spielt man Der Yamaha CS-60 ist leider nur geliehen. Ich nutze ihn
auch anders, und das wirkt sich auch auf den Sound aus. allerdings gar nicht für das, was man erwarten würde, wie
Ich habe ihn beispielsweise bei Shadows als Polysynth ge- Blade-Runner-Sounds von Vangelis, sondern eher für Filter-
nutzt. Sweaps und Slides. Er ist sehr haptisch, deshalb habe ich
Der Prophet-6 von Sequential ist der Modernste hier in hier sehr viel rumprobiert. Es gibt an ihm so viel zum Ver-
der Reihe. Der stand früher auch auf meinem Schreibtisch stellen.
als MIDI-Keyboard bzw. Workstation. Den
nutze ich, wenn ich Chords brauche, die
glasklar sind. Der kann zwar auch aggres-
siv sein, die Lead-Melodie von Under The
Sun entstand zum Beispiel damit. Die Dis-
tortion und die Effekte darin sind total
cool, und der Chorus ist super. Er klingt
einfach sehr modern und sehr breit. Es
gefällt mir, alles direkt an den Potis zu
machen und aufzunehmen, statt es einfach
später zu processen.
Mein einziger digitaler Synthesizer ist
der Korg MS2000, den habe ich live oft ge-
spielt. Die beiden Tasten, die abgebrochen
sind, habe ich Air France zu verdanken, als
wir in Paris gespielt haben. Der kann eine
echte Säge und sehr aggressiv sein, der
grätscht manchmal richtig schön in den
Mix. Ich benutze ihn sehr oft für hohe Ar-
peggios, da setzt er sich wahnsinnig gut
durch. Gitarrentreter

SOUND & RECORDING 10.2018 ROOSEVELT STORY 49


Wie sah es mit Software-Synths aus?
Klar, ich habe auch viel Software-Synthesizer bei der
Produktion eingesetzt, vor allem den Retro Synth aus Logic
selbst. Der klingt einfach super. Man muss allerdings wis-
sen, wann man was benutzt. Wenn ein Synthesizer im Vor-
dergrund steht und das Lead-Instrument ist, würde ich kei-
nen Software-Synthesizer verwenden. Aber bei funktiona-
len Sachen, wie Chords oder Pads, die im Hintergrund sind,
oder auch mal einer Bass-Linie, die nur untenrum stützen
soll, benutze ich total viel Software. Neben dem Retro Synth
nutze ich gerne den TAL U-NO-LX sowie den Minimoog,
den ARP 2600 und den Jupiter-8V von Arturia.
Du hast also deine Songs hier aufgenommen und warst
dann für den Mix in L.A.?
Genau, für den Mix war ich in Kalifornien bei Chris
Coady, der bei den Sunset Sound Recorders in Hollywood
sein eigenes Studio hat. Meine Spuren habe ich alle mit
Effekten und nicht trocken rausgeschickt, sonst könnte ich
auch gar nicht so viel darüber reden. Es ist vielleicht kein
Stem-Mixing, weil Chris schon alle verschiedenen Instru-
mente bekommt. Aber bis auf die Vocals, wo ich zusätzlich
die trockene Spur mitschicke, damit er sie separat kompri-
mieren kann, schicke ich alles mit eingerechneten Effekten
raus. Es kommt aber auch auf den Song an. Bei manchen
Songs habe ich den Kick- und Snare-Sound schon zum fina-
len Sound gelayert.
Bei den Songs, wo es eher ein Multi-Drum-Recording
Das Warm-Audio-Outboard kam hauptsächlich auf den Vocals von einem Remix für
war, habe ich die Spuren dann relativ roh gelassen, weil ich die Band Chvrches und auf dem Bass seines Albums zum Einsatz.
wusste, dass es sowieso nochmal gemischt wird. Das einzi-
ge, was ich noch mitgebe, ist eine überkomprimierte Stereo-
Spur, ähnlich wie bei der Wurst von Moses Schneider. Aber und Druck verliehen. Es musste ja schon tanzbar sein und
Chris kommt auch aus dem Indie-Rock-Umfeld und weiß, Drive haben. Er mischt auch sehr laut, seine Mixe sind sehr
wie man Drums mischt. Das tut meinen Recordings auch hot, sodass im Mastering gar nicht mehr so viel passiert.
auf jeden Fall gut. Weil ich wusste, dass es nochmal gemischt wird, habe
Bei diesem Album war ich dann auch zum ersten Mal ich hier bei mir nie versucht, in den einzelnen Spuren genug
Teil des Mixing-Prozesses und mit dabei. Das hat nochmal Druck reinzubekommen. Die Mixe waren bei mir stilistisch
mehr gebracht, weil wir zwei Songs am Tag gemischt haben aber schon da, wo sie jetzt sind.
anstatt uns wie beim ersten Album 10 bis 12 Versionen der Gemastert wurde das Album dann von Greg Calbi. Ich
Songs hin und her zu schicken. Ich konnte natürlich auch wollte unbedingt mal mit einer solchen Legende zusammen-
direkt Feedback zu Lautstärkeverhältnissen geben. So war arbeiten, ich war vom Mastering der ersten MGMT-Platte
es sehr angenehm, dass wir beide direkt ein Ergebnis hat- einfach so begeistert, die war der Wahnsinn.
ten, mit dem wir happy waren. Dein Sound klingt nach elektronischen Elementen aus
Du gibst die Lautstärkeverhältnisse deiner Effekte und den 80ern, groovigen Gitarren- und Bass-Parts aus den
teilweise auch von den Spuren schon vor. Inwieweit hatte 70ern und trockenen Drums aus den 60ern. Wie schaffst
der Mixing-Prozess in L.A. dann noch Einfluss auf deinen du es, diese Elemente zu einem Gefüge und einem moder-
Sound? nen Sound zu verschmelzen?
Chris hat in den Frequenzen nochmal aufgeräumt, und Das ist genau die Challenge gewesen! 70er-, 80er-, aber
es klingt jetzt handwerklich und technisch viel besser. Out- auch manche 90er-Sounds sind meine Einflüsse. Diese ein-
board-Kompressoren haben dem Ganzen auch mehr Punch zelnen Klangcharakteristiken in der Produktion zu haben,

50 STORY ROOSEVELT SOUND & RECORDING 10.2018


aber trotzdem nach einem Album zu klingen, das 2018
rauskommt, war die große Herausforderung!

DETAILARBEIT
Wir alle sind immer auf der Suche nach den letzten 5 %, die
dem Mix noch fehlen. Und wie wir alle wissen, gibt es nicht
diesen einen Trick, der den Mix perfekt macht, sondern es
sind eben viele kleine Details, die das Endergebnis beein-
flussen.
Marius setzt sich sehr intensiv mit dem Sound der ein-
zelnen Instrumente auseinander. Neben den Synthesizern
kennt er auch die Klangcharakteristiken seiner Gitarren
ganz genau. Wenn er mehr Höhen in den Gitarren braucht,
spielt er einfach mit seiner Ibanez drüber, die die nötige
Brillanz besitzt. Er arbeitet ganz wenig mit EQs und nutzt
stattdessen die Klangeigenschaften seiner Instrumente, um
den finalen Sound zu bekommen. So arbeitet er auch mit
Samples!
Das ist auf jeden Fall sein Trick, der bei ihm funktio-
niert. Probiert es aus, ob es auch bei euch passt! Leider
fehlt in Produktionen oft für das Ausprobieren die Zeit!
Marius hat es mit Young Romance geschafft, eine Platte
hinzulegen, die eine Mischung aus Dance, rockigem Elektro,
groovigen Disco Sounds und vielen akustischen Teilen ist,
und dabei Einflüsse der letzten drei Jahrzehnte zu verschmel-
zen. Gefällt mir! n [6657]
r www.iamroosevelt.com
STORY | Dieter Schöpf − DS-audioservice

Dieter Schöpf stellt mit seiner Firma DS-audioservice Mikrofone, Vorverstärker, Hallplatten, Studio-Monitore und mechanische
»Problemlöser« her. Seit unserem letzten Besuch 2012 (siehe S&R 9.2012) hat sich einiges getan — unter anderem die Entwicklung
dynamischer Mikrofone für den Bühneneinsatz. Zeit für ein Update und die Frage, was guten Klang bei Bühnenmikrofonen aus-
macht. Ein Blick in eine Werkstatt, in der die Sonderanfertigung den Normalfall darstellt.

Klangsucher
Autor Nicolay Ketterer Fotos Nicolay Ketterer, DS-audioservice

‘ Dieter Schöpf bietet mit seiner Anfang der 1990er-Jahre Sammlung mit ungewöhnlichen und teuren Raritäten auf-
gegründeten Firma DS-audioservice individuelle Lösungen gebaut und eine CD-ROM zur Mikrofongeschichte veröffent-
im professionellen Audiobereich. Im schwäbischen Rotten- licht.
burg am Neckar fertigt er Studiomikrofone in Kleinserie von Um die Motivation des Mikrofonbauers nachzuvollzie-
Hand, baut Preamps, Monitore, Stative und Popschutz-Eigen- hen, hilft ein Ereignis, das sich vor ein paar Jahren in der
entwicklungen − zu seinen Kunden zählen etwa Sarah Bright- Küche abgespielt hat: Seine italienische Kaffeemaschine aus
man, Blind Guardian oder Studiogitarrist Peter Weihe. Für Edelstahl hatte den Geist aufgegeben. »So etwas bekommt
das nötige Hintergrundwissen hat er sich lange mit der man fast nicht mehr abseits der großen Maschinen für den
Geschichte von Mikrofonen beschäftigt, eine umfangreiche Gastronomie-Bedarf«, konstatiert Schöpf. Was tun? Ein

52 STORY DIETER SCHÖPF − DS-AUDIOSERVICE SOUND & RECORDING 10.2018


günstiges Tchibo-Modell absolvierte seitdem seinen Dienst. Ich dachte mir nach der Erfahrung mit meinem eigenen
Es sei billig und funktioniere besser als die meisten anderen, Studio-Popschutz, dass sich das doch besser in den Griff
meint Schöpf. Das übliche Problem, die nötigen 15 Bar kriegen lassen müsste.« Ein Bühnenmikrofon live über eine
Druck aufzubauen, wurde anders gelöst: mit einer Zentrifu- laute PA zu verstärken, funktioniere immer irgendwie. Der
ge, die durch die Zentrifugalkraft das Wasser durchdrückt. »nüchterne« Mitschnitt als objektive zweite Beurteilungs-
Das erfreut das Bastler- und Erfinderherz von Schöpf. Wenn basis offenbare allerdings Signalverfälschungen durch die
das gewünschte Ergebnis auf einfache, unkonventionelle verwendeten Mikrofonkörbe, die teilweise dicht und mehr-
Weise erreicht werden kann, beeindruckt ihn das besonders, lagig konstruiert sind, um als integrierter Popschutz Plosiv-
wie er sagt. laute abzufangen. Dabei klängen Konsonanten mitunter
Mit seinem Equipment bedient er eine Nische abseits unangenehm verformt, im Vergleich zu offener konstruier-
von Massenmarkt, maximaler Profitrate und dem reinen ten Studiomikrofonen, so Schöpf.
Diktat von Angebot und Nachfrage. Er entwickelt praktisch Parallel bekam er ein Neumann KMS105 zur Reparatur,
alles, was in seinen Ohren die Möglichkeit eröffnet, die Klang- das ihn im Vergleich zu dynamischen Gesangsmikrofonen
welt zu verbessern. Dabei gilt für ihn: Weniger ist mehr, und enttäuschte. Dazu sein Eindruck als Vergleichsbasis: »Das
je weniger an fragwürdigen Bauteilen dem eigentlichen SM58 ist kein besonders tolles Mikrofon, aber es funktio-
Audiosignal im Wege steht, umso besser. Er erinnert sich an niert − mit jeder Anlage, mit praktisch jeder Stimme. Ein
ein »Klangerlebnis« vor Jahrzehnten: Ein Musiker spielte beyerdynamic M88 klingt viel differenzierter, funktioniert
einen Vox AC30-Verstärker, »englische Einstellung«, also für manche Stimmen gut, geht aber im Mix schneller unter.«
alle Regler auf Anschlag. Das lebendige Obertonverhalten Mit einem ersten Kondensator-Kleinmembran-Aufbau
und der unmittelbare Klangeindruck faszinierten ihn. Schöpf sei er recht nah am Neumann-Mikrofon gewesen, erklärt
selbst kommt musikalisch aus dem Jazz-Bereich, beschäftigt Schöpf, »… mit allen Vor- und Nachteilen. So kam ich auf
sich zudem mit Songwriter-Musik. Er kann sich für Musik die Idee, stattdessen ein dynamisches Mikrofon aufzubauen,
vieler Stilrichtungen begeistern, »… solange sie konsequent und habe rumexperimentiert. Am Ende kam ich zu einem
gemacht ist.« Mikrofon, das sauber abbildet, und wo auch bei Aufnahmen
der Eindruck entsteht, dass es sich um ein Kondensatormi-
BÜHNENMIKROFON ADDY krofon handeln könnte.« Er hat sein Modell ADDY getauft,
Sein neuestes Projekt: »Ich wurde durch Nachfrage von Kun- was für »adjustable dynamic« steht. »Zunächst habe ich die
den sozusagen ›gezwungen‹, ein Mikrofon für die Bühne zu Signale nur aufgenommen, weil ich für Live-Mitschnitte
entwickeln.« Sie wollten eine Variante der Studiomikrofone eine Verbesserung wollte. Am Ende war ich überrascht, wie
für Live-Einsätze. Die Problematik mancher Bühnenmikro- positiv das Ergebnis auch über die Anlage funktioniert hat.«
fone? »Nicht alle funktionieren gleich gut für zwei Aufgaben:
Beschallung und Konzertmitschnitt«, erklärt Schöpf. »Und NAHBESPRECHUNGSEFFEKT
eine Sache, die mich bei Gesangs-Bühnenmikrofonen immer Gerade bei lauten Sängern − etwa im Heavy-Bereich − über-
gestört hat, liegt in den extremen Artefakten begründet, zeuge oft das dynamische SM7 von Shure , erläutert Schöpf.
wenn ein Sänger nahe an der Kapsel dran ist. Dazu werden »Das liegt am festen Abstand zur Kapsel von 5 Zentimetern.
Atem- und Spuckgeräusche unangenehm herausgestellt. Dadurch wird ›Wummern‹ aufgrund eines zu ausgeprägten

Schöpfs ADDY(Adjustable
Dynamic Microphone)-
Bühnenmikrofon in
Silber (links) und in
schwarzer Ausführung
(rechts), hier mit Clip am
Stativ montiert.
Das Modell soll die Pro-
blemstellung eines Büh-
nenmikrofons, neben
überzeugender Live-Ver-
stärkung auch gute Mit-
schnitte zu liefern, opti-
miert bedienen.

SOUND & RECORDING 10.2018 DIETER SCHÖPF − DS-AUDIOSERVICE STORY 53


Convert-»Familie«: Mikrofon-Body und verschiedene Kapseln Links Schöpfs Variante der Sony C800-Kapsel, daneben ein Schöpfs Bändchenmikrofon
U47-Kapseltyp mit eingebautem Preamp;
alternativ bietet er eine Ver-
sion mit »Pre-Preamp« an.

Nahbesprechungseffekts verhindert. Das brachte mich darauf, steller Korby oder Lawson anboten. »Mir wurde klar, dass
eine Einstellbarkeit zu realisieren, bei der jeder festlegen ich das Wechselkapsel-Thema generell aufgreifen sollte. Ne-
kann, wieviel Unterstützung der Sänger durch den Nahbe- ben der Möglichkeit, bei der gleichen Elektronik die Kapseln
sprechungseffekt braucht.« Der Effekt sei erstaunlich, auch wechseln zu können, war für mich auch ausschlaggebend,
bedingt durch die Hypernieren-Charakteristik des Mikro- die Elektronik − den Body − zu wechseln. So sind mit ver-
fons. »Durch den individuellen Mindestabstand kommt der schiedenen Elektroniken unterschiedliche Charakteristiken
Sänger nicht zu nah an die Kapsel, und der FoH-Techniker in Kombination mit einer Kapsel zu realisieren.« Als Bei-
muss nicht nach Frequenzen suchen, um unnötiges ›Ge- spiel erwähnt er seine Röhren- und FET-Schaltungen. »Mit
wummer‹ zu entfernen.« Das Signal klinge bei vielen An- zwei Bodys unterschiedlicher Technologien und drei Köpfen
wendungen bereits fett und »fertig im Mix einsetzbar«, ver- habe ich als Anwender jede Menge klangliche Möglichkeiten.
glichen mit einem Shure SM58 oder SM57, so der Eindruck Er bietet bislang sechs Kapseln − darunter seine Interpreta-
von Schöpf. tionen von U47, Sony C800 und Telefunken ELA-M 251 −
Auch das Gewicht sei ein interessanter Punkt für ange- sowie zwei unterschiedliche FET-Body-Varianten und drei
nehmes Handling, manche Nutzer bevorzugten leichte, ande- Röhren-Bodys an. Dazu können Mikrofone individuell an-
re schwerere Mikrofone: »Zunächst wollte ich Edelstahl ver- gepasst werden. Ein FET-Body kostet 1.190 Euro, die Röh-
wenden, wie bei meinen Großmembran-Mikrofonen. Viele renvarianten je 2.320 Euro. Pro Kapsel fallen jeweils 952
großen Firmen verwenden ein Zinkgussgehäuse, um Masse Euro an.
zu haben − was Handling-Geräusche reduziert. Da hatte ich
bei meinem eher leichten Gehäuse zunächst zu kämpfen«, so BÄNDCHENMIKROFON
Schöpf. Das Mikrofon sei nun »in einem guten Bereich« und Der Mikrofonbauer schätzt generell das Spektrum feindyna-
wiege lediglich 215 Gramm. Pop-Geräusche stellten im Gegen- mischer Details, die seiner Meinung nach bei etablierten
satz zu anderen Mikrofonen kein Problem dar. Mikrofonen oft verschluckt werden. Passend zu diesem
Den Mikrofonkorb selbst hat er − wie bei seinen Groß- Thema hat Schöpf ein eigenes Bändchenmikrofon im Pro-
membranmikrofonen − möglichst durchlässig gestaltet, um gramm, das die Vorteile des Bändchenmikrofons − schnelle
Kammfilter-Effekte zu reduzieren und die Impulswiedergabe Impulswiedergabe aufgrund geringer Masse des Bändchen-
zu erhalten. Das ADDY-Mikrofon ist in mattsilberner Alumi- Elements −, gepaart mit natürlicher Wiedergabe des Ober-
nium-Ausführung und in Schwarz erhältlich, für je 475 Euro. tonspektrums bieten soll. Mehrere Kunden nutzen es bei-
spielsweise für Kontrabass, »… weil es das Signal eins zu
»CONVERT«-WECHSEL-SYSTEM eins gut reproduziert und die Acht-Charakteristik des Bänd-
Beim MC251 Röhren-Großmembran-Mikrofone handelt es chens ideal funktioniert, um in einer Live-Anwendung bei
sich um Schöpfs Variante eines Telefunken ELA-M-251- passender Positionierung umliegende Schallereignisse aus-
Mikrofons, dazu bietet er ein MC800, seine Interpretation zublenden.« Im Bändchenmikrofon hat er einen eigenen
eines Sony C800. Vor einiger Zeit entwarf Schöpf ein Wech- regelbaren Preamp verbaut, mit dem direkt ein Wandler mit
selkapsel-System als Sonderanfertigung für Blind-Guardian- Line-Pegel angesteuert werden kann.
Produzent Charlie Bauerfeind − vom Konzept her ähnlich Alternativ hat er für den Sender RBB (Radio Berlin-
den Wechselkapsel-Systemen, wie sie bislang auch die Her- Brandenburg) eine Variante mit sogenanntem »Pre-Preamp«

54 STORY DIETER SCHÖPF − DS-AUDIOSERVICE SOUND & RECORDING 10.2018


Regelbarer »Pre-Preamp« als externes Modell, Kleines Helferlein: hochohmige An- Drei Hallplatten-Größen wer- »Gesamtprogramm«: Arbeitsplatz »einer bekann-
um etwa Impulsverhalten und Verstärkung von passung etwa für Mikrofone wie das den im Portfolio angeboten: ten Sängerin«, so Dieter Schöpf, ausgestattet mit
dynamischen Mikrofonen zu optimieren: Schöpf AKG D19Hi auf einen herkömmlichen links »The Dome«, daneben Schöpfs Mikrofonstativ, Popschutz, Mikrofon, Pre-
zeigt sich vom Effekt beispielsweise beim Mikrofoneingang die Standard-Größe, rechts amp, Monitor-Controller und Monitoren, noch
Shure SM57 begeistert. die »Plate To Go«. ohne raumakustische Maßnahmen

verbaut, der mit Phantomspeisung betrieben wird. Dieser HALLPLATTE


dient dazu, das Signal zu vorverstärken, um problemlos Vor rund acht Jahren begann er, sich dem Aufbau analoger
jeden normalen Preamp ansteuern zu können − ein bekann- Hallplatten zu widmen (siehe S&R Ausgabe 9.2012). Ver-
tes Problem des eher »pegelarmen« Mikrofontyps, der einen glichen mit dem Vintage-Modell EMT140 wollte er den Ef-
passenden Vorverstärker benötigt. Einen Pre-Preamp bietet fekt kompakter und leichter bauen sowie im klanglichen Er-
er auch als kompaktes separates Modul für andere Bänd- gebnis die Höhenwiedergabe optimieren.
chenmikrofone an. Ein interessanter Nebeneffekt: »Dyna- Die erste Hallplatte ging an einen Musikhörer, der seine
mische Mikrofone wie ein Shure SM57 blühen über diesen Lieblingsmusik beim Hören damit anreichern wollte. »Zum
Pre-Preamp regelrecht auf und klingen deutlich sauberer. Glück gibt’s noch genug verrückte Menschen, wie ich es
Ein weiterer Vorteil: Der Pre-Preamp hat, scharf angefahren, auch bin«, meint Schöpf schmunzelnd. Kurz darauf kauften
intern eine sanft arbeitende Limitierungs-Funktion, was der RBB und auch Daniel Dettwiler vom Schweizer Studio
laut Kundenerfahrung für Bassdrum- und Snare-Signale gut Idee und Klang größere Exemplare. Das sei vom Raumeffekt
funktioniert. Manchmal war die Sättigung ein bisschen kräf- in etwa der Schritt »von der ›Kirche‹ zum ›Dom‹ «, habe ein
tig, deswegen habe ich inzwischen ein schaltbares Pad ein- Kunde die gefühlte Hallraumgröße beschrieben.
gebaut.« Das Bändchenmikrofon kostet gut 1.700 Euro mit Mittlerweile hat er die Dämpfungskonzeption für ein
komplettem Preamp, die Variante mit Pre-Preamp für Phan- natürlicher klingendes Ergebnis überarbeitet. Statt der bis-
tomspeisung 1.500 Euro. Ein separater Pre-Preamp liegt bei herigen Größe (120 x 75 x 15 cm) fällt das »Standard-Modell«
140 Euro. dadurch mittlerweile mit 120 x 80 x 30 cm etwas größer aus
als vorher, das Gewicht liegt bei grob 30 Kilogramm.
IMPEDANZ-MATCHING Neben der großen »Dome«-Variante − rund 140 x 130 x
Schöpf bietet ein kleines Kästchen, den sogenannten Hi-Z, 30 cm − bietet er auch kleinere, sogenannte »Plate To Go«-
mit einer Anpassung, um ein hochohmig ausgeführtes Mi- Modelle für resonanzreichere Hallfahnen abseits natürlicher
krofon wie etwa das dynamische AKG D19Hi-Mikrofon (im Klänge, die sich beispielsweise für Gitarrensignale und
Gegensatz zur »normalen« D19-Version) ohne zusätzlichen Snare gut eignen.
Zwischenübertrager mit einem herkömmlichen niederohmi- Das normale Modell kostet 2.500 Euro, die »Dome«-
gen Preamp nutzen zu können. »Diese hochohmige Mikro- Version 3.332 Euro, die Plate-To-Go ist − je nach Größe − ab
fonvariante hat an alten Tonbandgeräten funktioniert, bei 833 Euro erhältlich.
denen hochohmige Eingänge vorhanden waren. Mit einem Und die Geschichte mit der Kaffemaschine? Mittlerweile
modernen Vorverstärker mit niederohmigem Eingang funk- ist es doch wieder ein italienisches Modell geworden, das im
tionieren diese Mikrofone hingegen nicht. Richtig ange- Ergebnis nahezu ideal funktioniert, wie der Besuch zeigt.
passt, klingt das Mikrofon überraschend gut.« Das HiZ- Das wiederum gibt viel über Dieter Schöpf preis, seinen
Modul agiert bei Bedarf auch im Sinne einer herkömm- suchenden, undogmatischen Optimierungsgeist: Am Ende
lichen DI-Box, um ein hochohmiges Gitarrensignal auf den zählt das Ergebnis, möglichst nahe Richtung Perfektion. n
Mikrofoneingang im Pult zu schicken − eine Konstellation, [6649]

die er selbst auf der Bühne verwendet. Der Preis liegt bei
119 Euro. r www.ds-audioservice.de

SOUND & RECORDING 10.2018 DIETER SCHÖPF − DS-AUDIOSERVICE STORY 55


STORY | Axel Heilhecker

Axel Heilhecker hat sich als »mittelständischer« Live- und Studiomusiker eine Existenz mit eigenem Material aufgebaut, aktuell
vertreibt er sein auf Loops basierendes Ambient-Instrumental-Album Lifeloops ausschließlich auf Vinyl — auf seinem eigenen Label
»Phonokultur«. Er erzählt uns von seiner Präferenz des analogen Mediums, über musikalische Nischen, Alleinstellungsmerkmale
sowie von seinen Karriere- und Musiker-Erfahrungen.

»Würde jemand eine digitale


Version von Wasser bevorzugen?«
Autor Nicolay Ketterer Fotos Nicolay Ketterer, Axel Heilhecker

‘ Über die Jahrzehnte war Axel Heilhecker unter anderem sprochen werden will. Für Heilhecker erscheint die Idee, ein
Gitarrist bei Wolf Maahn, Chris Norman und der Harald- dezidiertes Medium anzubieten, als Gegenentwurf zu musi-
Schmidt-Show − bei eigenen Projekten verlegt er sich auf kalischer Beliebigkeit.
musikalische Nischen. Sein aktuelles Album Lifeloops, das
auf Looping-Technologie zum Aufbau instrumentaler Atmo- EIGENVERTRIEB FÜR KONTROLLE
sphären setzt, ist im Bereich Ambient bis Progressive Rock Der 63-Jährige organisiert als Künstler Konzerte, übernimmt
angesiedelt. Es ist nur auf Vinyl auf seinem eigenen Label den Vertrieb im eigenen Webshop und bei Konzerten, arbei-
erhältlich, zunächst als 500er-Auflage. Das wirkt unge- tet dazu als Autor. Für wen sich der selbstorganisierte Ver-
wöhnlich, gerade in Zeiten, in denen eine zerstreute musi- trieb mit eigenem Label lohnt? »Wenn ein Musiker in die
kalische Öffentlichkeit in möglichst vielen Formaten ange- Öffentlichkeit will, würde ich den Maßstab ansetzen: Wie

56 STORY VINYL-ALBUM − AXEL HEILHECKER SOUND & RECORDING 10.2018


wichtig ist mir selbst die Kontrollfunktion vom Entstehungs- liebe auch Karajans Mastering für Vinyl mit ausgefeilter
prozess bis zum Verkauf? Die Frage wird von der eigenen Schichtung und Balance. Mono finde ich toll, genauso wie
Leidenschaft beantwortet. Das Bedürfnis muss man haben Schlagzeug rechts, Stimme links. Je nachdem, was die At-
− bei mir ist das vorhanden. mosphären, die ich umsetzen will, gerade benötigen.
Ursprünglich war ich nur Gitarrist und habe mit meinem Die CD wurde oft missbraucht für unerträglich gestauch-
2-Spur-Multiplay-Rekorder bei meinen Eltern aufgenom- te, laute Abmischungen und eine ätzende Präsenz bis ins
men. Irgendwann ist ein Studio daraus geworden. Das geht letzte Glied, was ich als unnatürlich empfinde. Der andere
immer weiter: In meinem Fall wirkte die Arbeit auch in an- Punkt ist die Ästhetik des Musikhörens: Ein Vinyl-Album
dere ästhetische Bereiche, visuelle Dinge wie Videos und schafft Konzentration, allein durch die Haptik des Auflegens,
Covergestaltung. Seitendrehens.«
Grundsätzlich denke ich nicht, dass es die Aufgabe eines Sein eigenes Equipment zum Schallplatten-Hören: »Ich
Musikers ist, seine Platten selbst zu veröffentlichen. Es hat verwende einen Pro-Ject-Player mit Ortofon Bronze-System
bei mir wirklich etwas mit dem Interesse daran zu tun und − simpel und gut. Eine Plattenwaschanlage kann ich eben-
dem Bedürfnis, daran zu wachsen, Dinge zu verstehen und falls empfehlen, sonst heißt es wieder: ›Die CD knistert aber
das auch zu erleben! Für mich ist Musik ein starker Erleb- nicht!‹ «
nisfaktor.« Der Anteil der Plattenverkäufe an seinen Einkünften sei
unterschiedlich, je nach musikalischem Thema. »Die Vinyl-
MEDIUM VINYL Veröffentlichung meiner Band Sunya Beat mit Harald Gross-
Vinyl hat er als »sein Medium« vor Jahrzehnten entdeckt: kopf war schnell vergriffen, sie ging vor allem nach Japan.
»Zehn Jahre nach Einführung der CD wurde mir klar, dass Meiner Einschätzung nach steht bei Vinyl ein definierter
Plattensysteme besser klingen: Räumliche Abbildung, Ober- Markt zur Verfügung. Dabei geht es vor allem um audiophi-
tondichte und Dynamik gefielen mir einfach besser. Ich les Hören und Musikkultur. Das Wichtigste beim Musik-
nehme digital auf, mische und mastere allerdings analog. machen ist die gefühlte Musik, beim Musikhören hingegen
Ich habe zum Beispiel als Erstauflagen Hendrix’ Klassiker der fühlbare Klang, die Emotionen. Würde jemand eine digi-
Electric Ladyland, Band Of Gipsys, As Bold As Love, B.B. Kings tale Version von Wasser bevorzugen? Zugegebenermaßen:
Indianola Mississippi Seeds, In London oder Completely Live And Wenn die Musik gut ist, ertrage ich zunächst auch eine digi-
Well, Creams Disraeli Gears oder Miles Davis’ Kind Of Blue tale Version auf einem kleinen Smart-Sound-System. Aber
sowie Dave Brubecks Take Five, die ich gerne mit späteren das Bessere ist ein Feind des Guten!«
Vinylauflagen und deren Masterings vergleiche. Da tun sich Auf dem Album spielt der britische Session-Saxofonist
große Unterschiede auf. Es ist spannend, den ursprünglichen Mel Collins, ein alter Bekannter von Heilhecker, unter ande-
Tugenden eines Albums ›auf die Schliche‹ zu kommen. Ich rem Mitglied bei King Crimson. »Da schließt sich für mich

Aktuelles Ambient-Instrumental-Album Lifeloops , … … als Besonderheit ausschließlich auf Vinyl veröffentlicht — für Heilhecker eine na-
türliche Konsequenz

SOUND & RECORDING 10.2018 VINYL-ALBUM − AXEL HEILHECKER STORY 57


ein Kreis: In meiner Teenager-
Zeit habe ich King Crimson ge-
liebt, der hat auf einem meiner
Lieblings-Alben, Islands, ge-
spielt. Mel steht für die ganzen
musikalisch ›abdriftenden‹
Zwischenbereiche, wie sie auch
John Coltrane anschneidet. Mit
Mel habe ich mich immer gut
verstanden. Wir haben über die
Jahre viele Aufnahmen ge-
macht, der musste unbedingt
beim aktuellen Album dabei
sein.« Collins spielt Flöte und
Saxofon. »Alles First Takes −
meistens bauen wir ein Gerüst Axel Heilhecker: »Ich muss immer wieder den Punkt der Zufriedenheit erleben, dazu gehört für mich, in sich selbst zu
für ein Stück auf.« ruhen, aber auch musikalische ›Ausraster‹ gehören dazu.«

Musikalisch reicht die


Bandbreite von ruhigen, grundtönigen, atmosphärischen eher wie Streicher klingen. Das erste Stück, Greta’s Reise, ba-
Stücken mit einzelner Gitarre bis zu komplexen »Ton-Schnip- siert komplett auf dem Looper. Man würde denken, dass das
seln«. Heilhecker wurde über die Jahre etwa vom Trompeter Hauptelement ein Keyboard ist, aber es sind ursprünglich
Don Cherry geprägt, bei dem er Unterricht hatte, oder auch normale Gitarren-Sounds.
vom Minimal-Komponisten Terry Riley. Wenn ich unterwegs bin, nutze ich auch gerne die Looper-
Funktion in Ableton Live, um mein Setup einfach zu halten.
LOOPS ALS GRUNDGERÜST Der interne Looper produziert sehr musikalische Ergebnisse.«
Heilhecker selbst spielt Gitarre und Keyboards auf Lifeloops. Die Ursprünge seines Loop-Konzepts? »Mitte der
Sein Loop-Ansatz? »Es geht mir bei der Arbeit mit dem Loo- 1990er-Jahre hatte ich mit Phonoroid ein Avantgarde-Folk-
per weniger darum, eine Begleitgitarre bereitzustellen, da- Duo mit Vanessa Vassar, einer amerikanischen Ureinwohne-
mit ich darüber solieren kann. Das Grundgerüst soll ermög- rin. Wir haben in reduzierter Form Tourneen gemacht. Das
lichen, dass es nur eine Gitarre braucht, die ›groß‹ klingt Magazin Spex beschrieb die Musik als ›countryfiziertes Zen-
und in Szene gesetzt werden kann. Dazu soll der Drum- Kloster‹, (lacht) eine Art spacige Country-Grunge-Musik,
Sound auch nicht bombastisch klingen. Meine Definition unter anderem mit Dolly-Parton-Songs. Das war sehr redu-
eines Schlagzeugers ist dann eher die eines Perkussionisten, ziert auf bestimmtes Equipment. Ich habe einen Digitech
ein Trommler wie Brian Blade oder auch Harald Grosskopf, GSP-Controller gespielt. Dabei habe ich die Echoeffekte ex-
die perkussiv spielen, die Musik atmen lassen und einen zessiv benutzt, um streicherähnliche Klänge zu erreichen
Flow einbringen, statt jemanden, der gnadenlos die ›2‹ und und ein paar Loops laufen lassen. Es bedarf einer Hierarchie
›4‹ reinhaut. in den Arrangement-Bestandteilen, die dir einen scheinbar
Einzelne Stücke basieren auf Loops, an denen ich mich minimalistischen Sound erlauben.«
beim Weiterentwickeln orientiere. Bei anderen besteht be-
reits ein rhythmischer Aufbau, Loops werden später einge- VINYL-MIX
fügt. Die Loops quantisiere ich auch nicht unbedingt auf Einige Songs auf Lifeloops hat Heilhecker bereits vor Jahren
einen Takt, sondern steuere sie manuell per Fußschalter. erstellt, für die aktuelle Vinyl-Variante allerdings neu arran-
Das macht es interessant.« Er benutzt hauptsächlich einen giert und erweitert. Seine Vorgehensweise beim Mix für das
alten Gibson/Oberheim Echoplex-Looper, der Mitte der Medium Vinyl? »Wichtig war, dass ich monokompatible Sig-
90er-Jahre auf den Markt kam. »Der erzeugt merkwürdige nale anliefere. Ich brauche keine übermäßig weiten Stereo-
Klangverfälschungen und Oberwellen, Stauchungen, die Effekte, mache lieber klangliche Experimente, bei denen ich
mir gefallen. Das ist überraschend, gibt kleine Kicks, und es allerdings versuche, standardisierte Rock-Sounds zu ver-
macht Spaß, damit zu spielen. Durch Overdubbing entstehen meiden.« Er sei zwar nicht in Philosophien gefangen, schät-
klangliche Verfremdungen, sodass manche Gitarren am Ende ze aber auch die Unmittelbarkeit gelungener Mono-Mixe,

58 STORY VINYL-ALBUM − AXEL HEILHECKER SOUND & RECORDING 10.2018


Tour, da war mir der restliche Bereich weni-
ger wichtig. Die Live-Performance stand im
Vordergrund. Vor ein paar Jahren war ich in
Asien und Russland unterwegs. Mit Harald
Grosskopf reise ich regelmäßig in die USA
für Konzerte, auch verbunden mit visuellen
Darstellungen, neulich zusammen mit Joa-
chim Roedelius [u. a. die Krautrock-Band
Cluster; Anm.d.Aut.].«

TOUREN IM AUSLAND
Wie sich seine Erfahrungen als Musiker im
Ausland unterscheiden? »Dazu braucht man
nur nach England zu fahren: Musik hat dort
ein anderes gesellschaftliches Selbstverständ-
Heilhecker live in New York, 2012 nis: Die Unmittelbarkeit, wie das ›abgefeiert‹
wird, und das intellektuelle Verstehen sind
ausgeprägter und offener. In Deutschland
wie beispielsweise Platten der 1960er-Jahre gemischt waren, findet Live-Musik eher in Modewellen statt, verbunden mit
erzählt er. einem Kultgedanken.« Livemusik werde in England unab-
»Früher habe ich meine NS10 als Abhöre hochkant ne- hängig von Trends wertgeschätzt, »das war in den 1970ern
beneinander gestellt, um sicherzustellen, dass das Ergebnis so und ist heute genauso. Das Land kann natürlich auf eine
auch auf diese Art stringent klingt. Wenn du dich im norma- weitgreifende Tradition bezüglich Popmusik zurückgreifen.«
len Stereo-Dreieck bewegst, ist im Mix viel mehr erlaubt, als In Russland hat er vor allem Stadion-Gigs als Gitarrist
wenn du beide Lautsprecher zusammenstellst«, meint er von Chris Norman erlebt, erzählt Heilhecker. »In Russland
lachend. »Das mache ich heute nicht mehr, weil mein Be- ist der Verhaltenscodex bei großen Veranstaltungen oftmals
wusstsein dafür mittlerweile geschärft ist.« streng. Sind dagegen die Emotionen einmal entfesselt, wird
Aufgenommen hat er das Album in seinem Heimstudio gnadenlos gefeiert. Dort spielen nur wenige professionelle
in Lindlar bei Köln. Er nutzt Lake-People-Wandler, Preamps westliche Bands. Die versauern meist in kleinen Clubs −
von TLA und Universal Audio, die Steinberg-Sequenzer oder gehen in breite Mainstream-Bereiche, was man von
Cubase und Nuendo, Neumann M49- und U89i-Mikrofone, Modern Talking oder den Scorpions kennt. Ansonsten fah-
dazu Electro-Voice RE20 sowie Shure SM57 und SM58. Zur ren Musiker nicht gerne nach Russland, weil die Geschäfts-
analogen Abmischung verwendet er eine Midas- und eine bedingungen komplizierter sind und gleichzeitig auf der
Mackie-Konsole. Zum Monitoring dienen ihm Yamaha NS10, Straße und in den Venues alles hemdsärmeliger gehand-
Genelec 1031A sowie Eigenbau-Mains. habt wird. Da muss man bestehen können.«
Wie unterscheidet sich der Produktionsprozess im Ver- Der Abenteuer-Faktor? »Du spielst über Miet-Equipment,
gleich zur CD, abgesehen von der erwähnten Mono-Kompa- weißt nicht, was du am Abend vorfindest und musst dich
tibilität? »Es geht sehr um den Erhalt von Dynamik, eine durchwursteln − als Gitarrist eine ganz interessante Aufga-
Balance aus Offenheit, Räumlichkeit und Druck. Das Ergeb- be!«, meint er lachend. »Du darfst dort nichts anderes auf-
nis sollte bei lautem und leiserem Abhören funktionieren. rufen als einen Marshall. Der findet sich irgendwo. Aber
Mit den Bässen gehe ich vorsichtig um, damit die Nadel wenn ein Fender verlangt wird, kann das Ergebnis vollkom-
nicht springt. Die Laufzeit der Platte bedingt Lautstärke und men divergieren. In Metropolen ist die Versorgung gut durch
Durchsichtigkeit. Press dir mal eine Platte von einem Stan- Backliner [Verleihfirmen für Instrumente und Zubehör für
dard-Digital-Master mit Loudness Maximizer − gute Reise Konzerte; Anm.d.Red.], in der Provinz sieht es anders aus.
und auf Wiedersehen!« (lacht) Aber das ist lustig, unterhaltsam und durchaus musi-
Vinyl-Veröffentlichung plant er weiterhin, erklärt der kalisch, wenn man sich auf Unwägbarkeiten einlassen muss.«
Musiker. »Das Medium bleibt erhalten, die Musik verändert Die Gegensätze seiner musikalischen Erlebnisse könn-
sich − sollte sie zumindest. Meine Interessen sind sehr un- ten nicht größer sein, betont er, führten jedoch unter Um-
terschiedlich gelagert. In den 1980er-Jahren war ich viel auf ständen zu guten Ergebnissen. »Wenn du mit Musikern

SOUND & RECORDING 10.2018 VINYL-ALBUM − AXEL HEILHECKER STORY 59


den Erfolg, den ich bis-
her auf der Bühne er-
leben durfte. Es gibt ja
noch ganz andere Ebe-
nen. Anders ausge-
drückt: Ich selbst wäre
nicht gerne als schiffs-
reisender Top-40-Musi-
ker unterwegs.«
Axel Heilheckers
Sicht auf Equipment
fällt nach den Jahren
ähnlich »ganzheitlich«
aus: »Aus meiner Sicht
ist eigentlich alles er-
laubt − Hauptsache,
Zwischenmenschliche Reibung als Bestandteil musikalischer Inspiration? »Über persönliche Animositäten sollte man ist in einem Flow
man nicht vergessen, dass man selbst auch Bestandteil davon ist und unter Umständen Reibungen braucht«
und hat Spaß an dem,
was getan wird. Wenn
spielst, wo persönliche Spannungsverhältnisse bestehen, ist jemand wirklich nur gequält auf dem Dachboden sitzt und
das natürlich mühselig. Dadurch können andererseits Dinge darüber grübelt, wie schlecht er ist, führt das nicht zum
in der Musik entstehen, die tragfähig und im Nachhinein musikalischen Flow. Man wird vielleicht technisch immer
äußerst gelungen sind, weil eine Reibung stattfand. Für ›besser‹, nur wozu? Ich muss immer wieder den Punkt der
mich ist wichtig: Über persönliche Animositäten sollte man Zufriedenheit erleben, dazu gehört für mich, in sich selbst
nicht vergessen, dass jeder selbst Bestandteil dieser Rei- zu ruhen, aber auch musikalische ›Ausraster‹ gehören dazu.
bung ist und unter Umständen Reibungen braucht. Das hat Ich kam einmal in einen gemeinsamen Proberaum, da war
immer mit Widerstands-Orientierung zu tun. Auf der ande- ein Gitarrist damit beschäftigt, mit einem Schlagzeuger
ren Seite steht das Wohlfühlprogramm. Mit einer Hippie- John-McLaughlin-artige Tiraden zu spielen. Der Gitarrist
Truppe unterwegs zu sein, kann unheimlich viel Spaß haute seinen Kopf dabei immer gegen die Wand und hob
machen. Es kann auch musikalisch toll sein, wenn eine innerlich komplett ab. Ich glaube, sowas kann unter Um-
gesunde und spielerische Rollenverteilung à la Grateful ständen sogar guttun, wenn es nicht zu exzessiv betrieben
Dead erreicht wird, muss indes nicht automatisch funktio- wird. (lacht)
nieren. Das Chaos lauert überall. (lacht) Was für mich gar Es gilt, in der Musik innerlich Grenzen zu überschreiten.
nicht geht: Profilneurotiker, die keine Rücksicht auf den Mehr Multikulti − weniger ›Money-Kult‹, wenigstens einmal
musikalischen Fluss oder das Publikum nehmen.« im Leben. Nur bei Top 40 oder bei der Kohle hängen zu blei-
Die Aussage vieler Profimusiker, die mittlerweile auf ben, ist nicht sehr amüsant.« Es gehe darum, sich fallen las-
schwierige persönliche Verhältnisse verzichten? »Das würde sen zu können, und auch, eigene Verlustängste abzubauen.
ich für mich unterscheiden: Freundschaft und Selbstver- »Ich musste vor zwei Jahren erfahren, dass sich der kleine
wirklichung stehen für mich in einem natürlichen Span- Finger meiner linken Hand aufgrund einer Verletzung mit
nungsverhältnis. Wenn ich allerdings Musik mache, ver- nachträglicher Transformation um 90 Grad verbogen hat.
öffentliche und das Publikum als wesentlichen Faktor mei- Das habe ich nicht operieren lassen, weil die Gefahr bestand,
ner Existenz betrachte − nicht nur rein finanziell, sondern dass ich den Finger danach gar nicht mehr hätte gebrauchen
als Lebenselixier −, ist das vor dem Hintergrund schwieriger können. In der Winkelform kann ich ihn benutzen und muss-
Beziehungen kompliziert. Über die Jahre kann viel verloren- te nur meine Spieltechnik anpassen, was gut funktionierte.
gehen. Es bedarf eines hohen Maßes an gegenseitigem Res- Wenn der Musiker sich entwickelt, bleibt die Musikalität bei
pekt vor den musikalischen oder integrativen Fähigkeiten ihm − sie geht nicht verloren, wird nur verlagert.« n [6650]
eines Partners, auch Demut und den Mut, ›Goodbye‹ zu
sagen. Ich versuche, die Leute immer wertzuschätzen, auch r www.axelheilhecker.com
wenn sie mich noch so nerven! (lacht) Ich bin dankbar für r www.phonokultur.com

60 STORY VINYL-ALBUM − AXEL HEILHECKER SOUND & RECORDING 10.2018


MIXPRAXIS | Emile Haynie produziert Florence + The Machine

»So sehr ich es auch liebe, mit echten Künstlern und richtigen Orchestern, mit Bläsersektionen und superguten Session-Musikern zu
arbeiten, gibt es für mich doch nichts Schöneres, als in einem Raum voller Equipment zu sitzen, an Beats, neuen Klängen und Akkord-
Arrangements zu arbeiten, ein neues Keyboard, eine Drummachine oder neue Plug-ins auszuprobieren.«

Emile Haynie über seine Arbeit


an High As Hope von
Foto: Adrienne Ho & Jake Davis

Foto: Adrienne Ho & Jake Davis

Florence + The Machine


Text: Paul Tingen, Übersetzung: Konrad Feuerstein

62 STORY MIXPRAXIS SOUND & RECORDING 10.2018


‘ So sagt es via Skype aus New York Emile Haynie, der über Buffalo seinen Weg nach ganz oben geschafft hat. »Ich habe
die letzten zwei Jahrzehnte einen bemerkenswerten Weg Hip-Hop für mich entdeckt, als ich ungefähr 10 Jahre alt
vom Bedroom-Bastler zu einem der gefragtesten Producer war, und mit 12 war ich besessen davon«, erinnert er sich.
der Welt zurückgelegt hat. Als Teenager geriet er häufiger »Ich habe jedes Mixtape abgegriffen, das ich in die Finger
mal mit den Behörden in Konflikt und musste viel Zeit mit bekam, um all die verschiedenen Sounds und Songs zu hor-
Hausarrest in seinem Zimmer verbringen. Wenn es aber ten. Als Nächstes habe ich auf ein Doppel-Tapedeck gespart
stimmt, dass in allem Schlechten auch eine Hoffnung ver- und angefangen, mit der Plattensammlung meines Vaters
borgen ist, lag diese in Haynies Fall darin, nichts zu tun zu eigene Mixtapes zu machen. Darin bin ich immer kreativer
haben, außer in seinem Schlafzimmer Beats zu bauen − mit geworden, und irgendwann habe ich die Mixtapes in der
jedem Equipment, das er irgendwie in die Finger bekommen Schule verkauft. Ungefähr in dieser Zeit, 1992, habe ich den
konnte. Falls die Rede von »Blei zu Gold machen« jemals Film Juice gesehen und darin zum ersten Mal die Kunst des
überhaupt zutraf, dann wohl darauf, wie die Skills, die Hay- DJings so richtig mitbekommen: Scratching und Mixing.
nie sich teils unter Hausarrest angeeignet hat, den Grund- Davon war ich ab diesem Punkt komplett besessen.
stein seiner Karriere legten, die bislang zu zwei Grammy- Als ich dann 14 oder 15 war, wollte ich unbedingt wis-
Awards und fünf Grammy-Nominierungen geführt hat sen, wie Beats eigentlich gemacht werden, hatte aber keine
sowie zu einer Credit-Liste vollgepackt mit großen Namen Ahnung von Produktion, bis ich einen Typen aus der Nach-
wie Eminem, Kid Cudi, Kanye West, Lana Del Rey, Bruno barschaft namens Jeremy Cochise Ball traf, dessen Rap-
Mars, Rolling Stones, Ed Sheeran oder Lady Gaga. Obwohl er Gruppe einen Vertrag mit Payday Records hatte. Er hatte ein
normalerweise hinter den Kulissen arbeitet, ist Haynie im kleines Studio mit einem Alesis ADAT, einem Ensoniq EPS-
vergangenen Sommer in den Medien aufgetaucht − als haupt- Sampler und ein paar Lautsprechern, und als ich ihn bei der
sächlicher Co-Producer des vierten Albums von Florence + Arbeit daran beobachtete, war es um mich geschehen.
The Machine, High As Hope. Ich verbrachte weiterhin viel Zeit im Zimmer mit dem
Equipment, das ich eben hatte, und wurde ziemlich gut im
DER GRUNDSTEIN Scratching und Mixing an den Turntables. Als ich 15 war, lieh
Bevor Haynie von der Produktion von High As Hope be- Jeremy mir seine EPS, eine Art DAW − das war alles, was ich
richtete, erzählte er, wie ein problembelasteter Teenager aus brauchte.

Die Aufnahmen fanden


zu einem guten Teil
auch in den 123 Studios
in London statt − hier
der Live-Room.

SOUND & RECORDING 10.2018 MIXPRAXIS STORY 63


ob ich sofort nach Detroit kommen könnte. Als ich ankam,
brachte er mich mit Obie Trice zusammen, um an dem
Abend an einem Song zu arbeiten, während Eminem ab und
zu reinkam und auch mit uns daran arbeitete. Das alles pas-
sierte innerhalb eines Tages! Ich war ein großer Eminem-
Fan, und er war wohl gerade auf seinem Karrierehoch − für
mich eine komplett surreale Situation. Damit war ich von
0 auf 100 in dieser Welt angekommen.«
Die Connection mit Trice, Eminem und Proof führte
dazu, dass Haynie Autoren- und Producer-Credits zu zwei
Stücken auf Trices 2003er-Album Cheers bekam, wo sein
Name dann mit keinen geringeren Namen als Eminem,
Dr. Dre, Luis Resto, Timbaland und Mike Elizondo in einer
Reihe stand. Haynie setzte die Kooperation fort mit Beiträ-
Einige Klassiker in Haynies Studio in LA: u. a. ein Prophet-5, ein Memorymoog, eine gen zu Proofs Searching for Jerry Garcia (2005) und Eminems
Emu SP-1200 und ein Roland VP-330 Vocoder (Foto: Nina Simone Jordan)
Recovery (2010) sowie seiner Marshall Mathers LP2 (2013).

Ein Jahr später bekam ich eine Art Vierspurgerät; ich RECORDING
weiß nicht mehr, welches es war, und irgendwann endlich »Um mich herum haben die Leute so um 1999 angefangen,
den Ensoniq ASR-10, einen klassischen Hip-Hop-Sampler, Pro Tools zu benutzen, und als später eine günstige Version
den ich heute noch benutze.« für weniger als 1.000 Dollar herauskam, habe ich es mir
auch zugelegt. Das hat alles verändert. Jetzt konnte man die
DETROIT-CONNECTION Musik, die man machte, vor sich sehen, die Struktur eines
EPS und ASR-10 waren zu ihrer Zeit bahnbrechend, auch Tracks analysieren und einteilen, nach Herzenslust cutten
wenn das angesichts ihrer technischen Daten heute nur und pasten und Sachen durch die Gegend schieben. Sofort
noch schwer vorstellbar ist: Die EPS hatte eine Auflösung habe ich Pro Tools mehr als Produktions-Tool als nur als
von 13 Bit und nur 500 kB internen Speicher, während der Aufnahmegerät benutzt. Mehr als jeder Synth oder jedes
ARS-10 16 Bit hatte, mit 2 MB internen Speicher, erweiter- Outboard-Gerät hatte Pro Tools meinen Ansatz, Musik zu
bar auf 16 MB. Beide arbeiteten mit Floppy Disks. Um 1999 machen, verändert.
zog Haynie nach Queens, New York, und baute immer noch Für lange Zeit wollte ich nur Hip-Hop machen, wobei
eifrig Beats mit dem ASR-10-Sampler, außerdem einer Emu ich schon versucht habe, mehr Musikalität einzubauen, und
SP-12-Drummachine und später mit ihrem Nachfolger SP- angefangen hatte, selbst Keyboard usw. zu spielen. Aber ich
1200. Beide Emu-Geräte hatten eine Auflösung von 12 Bit stand immer noch sehr auf Sampling. Aus heiterem Himmel
mit einer Abtastrate von 26 kHz, und Samples konnten in bekam ich einen Anruf aus London von Ian Brown [dem frü-
der SP-1200 bis zu 2,5 Sekunden lang sein. Für mehr Sam- heren Sänger der Brit-Indie-Band Stone Roses]. Ich war so
plelänge haben Beatmacher oft Platten, die auf 33 1/3 rpm auf Hip-Hop fixiert, dass ich kaum etwas über die Stone
gepresst waren, auf 45 rpm abgesampelt und das Sample Roses wusste! Ich habe mich auf den Weg nach London ge-
anschließend wieder verlangsamt abgespielt, wodurch der macht, um bei der Produktion seines Soloalbums zu helfen,
Klang deutlich knarziger wurde. und habe so zum ersten Mal mit jemandem gearbeitet, der
»Manchmal habe ich eine Platte sogar superschnell mit kein MC und stattdessen vorwiegend auf Melodien ausge-
der Hand gedreht, um mehr Samplelänge zu bekommen!«, richtet war.
erinnert sich Haynie. »Ich hatte auch einen CD-Brenner, Als wir im Studio waren, sagte er Dinge wie ›Lass uns
was damals noch eine große Sache war. Ich bin in Platten- im Refrain die Tonart ändern‹, und ich hatte keine Ahnung,
läden, auf Plattenbörsen und zu Underground-Hip-Hop- wie ich das tun sollte, denn bis dahin hatten meine Tracks
Konzerten gegangen und habe bekannten Hip-Hop-Produ- komplett aus Samples bestanden. Ian wollte auch Bridges
zenten CDs mit meinen Beats darauf in die Hand gedrückt. gestalten und brachte Live-Musiker ins Spiel. Wir hatten ein
Ich habe nie eine Rückmeldung bekommen, bis ich eines 24-köpfiges Orchester im Studio, das hat mich umgehauen!
Tages Proof traf und ihm meine CD gab. Proof war in Emi- Es ist ein unvergleichliches Gefühl, in einen Raum zu kom-
nems Band D12. Am nächsten Tag rief er mich an und fragte, men, in dem ein Orchester Melodien und andere Sachen

64 STORY MIXPRAXIS SOUND & RECORDING 10.2018


spielt, die ich entwickelt habe. Das war absolut atemberau-
bend. Ich habe die Sache zu Ende gebracht, aber dabei auch
gemerkt, dass ich mehr über diese Dinge lernen musste.
Es war ein Schlüsselmoment, und mein zentraler Ge-
danke war: ›Das ist jetzt, wie man wirklich Platten macht,
und das will ich weiter machen − sowohl mit Rappern als
auch mit Sängern.‹ Es war außerdem mein erster Besuch in
England, das seitdem meine zweite Heimat geworden ist, da
ich seitdem mit sehr vielen weiteren britischen Künstlern
Kontakt aufgenommen und ein Gefühl für den Sound bri-
tischer Musik bekommen habe.«
Haynie weitet seine ohnehin breitgefächerten musika-
lischen Aktivitäten im Laufe der Zeit noch aus: Die ganze
Auf Haynies Mellotron M400D stehen einige der Effektpedale, mit denen er nahezu
Bandbreite seiner Skills war gefragt bei der Produktion von all seine Keyboard-Sounds tweakt. Darüber eine Sammlung von Roland-Boutique-
Lana Del Reys Debütalbum Born To Die (2010), das eines der Geräten sowie ein Novation Peak (Foto: Nina Simone Jordan)
meistverkauften Alben der Dekade wurde, mit mehr als 10
Millionen verkauften Exemplaren und mehr als 300 Wochen
in den Billboard Top 200. Haynie arbeitete auch mit der Band einem Interview mit Florence Welch deutlich wurde − für sie
Fun und an Bruno Mars’ Unorthodox Jukebox (2012), inklusive selbst einen Kulminationspunkt darstellt von allem, was sie
Megahit Locked Out Of Heaven. Ebenfalls 2012 co-produzierte zuvor jeweils gemacht haben. Haynie zufolge begann ihre
er zwei Rolling-Stones-Stücke, darunter Doom and Gloom, Kollaboration 2013, als Florence + The Machine einen Song
bislang die letzte neue Eigenkomposition, die die Stones für Regisseur Baz Luhrmans Film The Great Gatsby schrieb
veröffentlicht haben. und aufnahm. Haynie: »Baz fragte mich für die Mitarbeit an
2015 veröffentlichte Haynie sein erstes Soloalbum We Fall, dem Film an, und ich half beim Soundtrack und bei der Pro-
mit Gastauftritten von Brian Wilson, Lana Del Rey, Randy duktion einiger Songs. Einer der besten Beiträge zu diesem
Newman und vielen anderen. Auf dem Weg nahm er noch Projekt war ein Song von Florence, nur sie und ein Piano,
eine weitere Grammy-Nominierung mit für Funs fun’s Some und es sollte produziert werden. Da ich sie nicht kannte,
Nights (2012), bevor er sich 2016 für die Arbeit an Adeles 25 musste ich dafür meinem Bauchgefühl folgen.
über seine zwei ersten gewonnenen Grammys freuen konnte. Ich traf Florence ein paar Wochen später, sie gab mir
2017 arbeitete er mit zwei weiteren britischen Top-Artists, eine dicke Umarmung und sagte, wie sehr sie die Produktion
Dua Lipa and Sam Smith. mochte. Seitdem haben wir an der einen oder anderen Sache
zusammengearbeitet − darunter der Song Wish That You Were
FLORENCE Here für einen Tim-Burton-Film und drei Stücke für das japa-
Also weiter im Text mit 2018 und dem Album von Florence nische Videospiel Final Fantasy XV: Too Much Is Never Enough,
+ The Machine, das sowohl für Haynie, als auch − wie in I Will Be und ein Cover von Ben E. Kings Stand By me.«
Florence Welch war so inspiriert von ihrer Zusammen-
arbeit mit Haynie, dass sie ihn auch einlud, als hauptsäch-
licher Co-Producer für den Nachfolger von Florence + The
Machines 2015er-Album How Big, How Blue, How Beautiful zu
fungieren, das größtenteils von Markus Dravs (Arcade Fire,
Coldplay, Brian Eno) produziert wurde. High as Hope ist nen-
nenswert weiterentwickelt im Vergleich zu früheren Alben
von Florence + The Machine, es setzt Welch deutlicher in
die Bühnenmitte als je zuvor − sie singt, spielt Piano, Drums
und Synthesizer. Der vorherrschende Sound von High As
Hope ist der von Welch mit ihrem Piano, wie eine Naturge-
walt klingend, und manchmal komplett unbegleitet, meis-
tens aber verstärkt durch stampfende Drums und tonnen- Über dem Roland Juno-60 steht ein Farfisa Synthorchestra, auf dem ein Roland Bou-
tique-Vocoder neben einem Stryman Big-Sky-Reverb. Auf dem Boden ein »Maestro
weise Streicher und verziert durch Farbtupfer von anderen Rhythm & Sound for Guitar«-Effekt (Foto: Nina Simone Jordan)
Instrumenten.
»Florences Vision war der treibende Motor hinter die-
sem Album«, sagt Haynie. »Meine Aufgabe war nur, diese
einzufangen, sie nicht zu verändern und nicht übertrieben
aufzupolieren. Das war mir wichtiger als irgendwelche Key-
boards oder Drums, die ich dazugeben könnte. Auch wichti-
ger als der Streicherkram, der zwar herrlich fett ist, aber die
eigentliche Magie der Platte liegt in Florence selbst − redu-
ziert auf das, was sie tut: konstant durch die Gegend sprin-
gen und schweben und tanzen und singen und auf Sachen
trommeln. Wir haben unterstützt, was sie tat, aber mir war
wichtig, dass nichts von ihrer Essenz ablenkt. Ich habe Flo-
rence auf der Bühne beobachtet, und sie ist eine so tolle
Performerin und so unerwartet wild und energisch, dass die
Herausforderung für mich als Producer war: ›Wie soll man
das für eine Platte einfangen?‹ «
Die Antwort auf diese Frage war im Wesentlichen, Welch
aufzunehmen, ohne sie in irgendeinem Sinne einzuschrän-
ken, und die Nachbearbeitung dessen, was von ihr kam,
minimal zu halten. Der erste Schritt in der Produktion des
Albums bestand darin, dass Welch sechs Monate lang regel-
mäßig zu den Südlondoner 123 Studios radelte, um mit
dem dortigen Resident-Engineer, -Mixer und -Producer Brett
Hinter DSI Pro2, Ensoniq ASR-10 und Nord Electro 5 steht ein Klavier, das stets ab-
Shaw (Clean Bandit, Lady Gaga, Rufus Wainwright) zu arbei- gemiked ist, damit Haynie bei Bedarf sofort mit dem Recorden loslegen kann. (Foto:
ten. Andernorts, wo Welch und Shaw über die Arbeit in den Nina Simone Jordan)

123 Studios berichten, erwähnt die Sängerin, dass Shaw die


Aufnahmen mit dem »Versuch, einen Blitz in eine Flasche
zu bekommen«, vergleicht. aufgenommen haben, aus superrohen, unpolierten und un-
Haynie beschreibt Welch mit ähnlichen Worten als strukturierten Songs mit Florence an Piano und Drums, aber
einen »wilden Energieball« und ergänzte die Story durch eben mit derselben Energie, die sie auf der Bühne hat. Die
seine Perspektive: »Florence fing an mit Gedichten und Tex- Musik war großartig und wild und unvorhersehbar − und ich
ten und Ideen, sie hat tonnenweise Bücher mit Lyrics. Dann wollte so viel wie möglich vom Spirit dieser Demos erhalten.
ging sie in Bretts [123] Studio, um aufs Piano zu hauen, bis Viele der Drumparts bestanden daraus, dass sie ein
sie hören würde, was sie hören will, und anschließend aufs Floor Tom schlägt oder auf den Boden stampft oder in die
Schlagzeug. Also bestanden die Demos, die Brett und sie Hände klatscht, und wenn wir dort noch schicke Drums ein-

66 STORY MIXPRAXIS SOUND & RECORDING 10.2018


hat sich dadurch der Modus Operandi aber nicht signifikant
geändert:
»Wir haben das ziemlich gut ausbalanciert, dass sie für
zwei oder drei Wochen nach Los Angeles kam, um in mei-
nem Studio zu arbeiten, und ich danach wieder für zwei
oder drei Wochen nach London kam, wo wir in Bretts Studio
arbeiteten. Alle ursprünglichen Aufnahmen haben also an
diesen beiden Orten stattgefunden, und erst für die Arbeit
mit Gitarren und Streichern und Schlagzeugern haben wir
in andere Studios gewechselt, wie Vox und Sunset Sound in
Hollywood oder RAK und Air Lyndhurst in London, wo wir
die Streicher aufgenommen haben − es hat einen wunder-
schönen Raumklang.
Bei den Songs, die durch die Musiker im Raum angesto-
ßen worden sind, lief es so, dass beispielsweise Tobias [Jesso
Jr.] mit ein paar Akkorden am Piano begann und Florence
Lyrics und eine Gesangsmelodie dazu ausprobierte. Aber
alles in allem entstanden die Songs immer noch aus ihren
Ideen und ihrer Energie.«
Florence Welch und Emile Haynie (Foto: Tom Beard)

EQUIPMENT
Während Brett Shaws 123 Studio eher wie eine Studie in
Minimalismus anmutet, sowohl ästhetisch als auch auf das
gebaut haben, gespielt von superguten Profis, sind die vorhandene Equipment bezogen, ist Haynies Studio in Los
immer eher Florences Groove gefolgt, als dass wir Florence Angeles ein funky Ort voller Keyboards und Drumcomputer,
auf ein Raster hätten festlegen wollen. Wir hatten auch mit einer extravagant aussehenden Röhrenkonsole und ein
Streichergruppen und supergute Gitarristen und Bassisten paar Outboard-Racks. Haynie zog vor drei Jahren nach Los
im Studio, und ich habe viele Keyboards gespielt, aber wir Angeles; zu dieser Zeit nahm er sein Soloalbum auf und
haben uns alle an Florences Zwei-Finger-Piano-Demos ori- richtete sein Studio ein, das für ihn seitdem ein wichtiger
entiert. Es gab also ein Nebeneinander dieser einfachen Ort für Songwriting und Produktion geworden ist − auch für
Akkordfolgen und Rhythmen, die Florence vorgegeben High as Hope.
hatte, mit den fantastischen Profimusikern, die gezwungen »Das Mischpult ist ein Tree Audio The Roots 16«, erklärt
waren, innerhalb dieser Einschränkungen zu arbeiten. Haynie. »Es wird von zwei Typen aus L.A. gebaut, die Vintage-
Weite Teile der Demos haben es auf das fertige Album Konsolen am Leben gehalten haben. Irgendwann haben sie
geschafft. Wir haben zwar Dinge weggenommen oder ersetzt, einen Channelstrip kreiert, der ein großer Hit wurde, dann
aber tonnenweise Vocals beibehalten, die sie mit Brett auf- eine achtkanalige Version, und meine Konsole ist eine Spe-
genommen hatte, und ebenfalls tonnenweise Drums und zialanfertigung, designed − auch ästhetisch − von ihnen und
andere Instrumente. Wenn sie aufnimmt, hört man ihre mir zusammen. Sie hat einen wunderschönen warmen Klang
Armreifen und ihren Schmuck und dieses ganze Zeug die und ist essenziell einfach; jeder Kanal hat nur Gain, zwei
ganze Zeit klirren und klappern, und das liebe ich. Diese Shelving-EQs − hoch und tief −, einen Ein-Knopf-Kompressor
seltsamen Klänge durchziehen das ganze Album.« und Panning.
Die Grundlagen von sechs der zehn Stücke auf High On Ich liebe Einfachheit! Ich benutze das Pult nur zum Tra-
Hope sind das, was Florence Welch und Brett Shaw ohne cking, zum Mixen bin ich dann in-the-box. Alle meine Key-
weiteres Personal in den 123 Studios aufgenommen haben boards und Drummaschinen gehen durch die Konsole,
− es handelt sich um die Stücke mit dem zusätzlichen Pro- manchmal durch einen separaten Mixer.
duktions-Credit für Shaw. Der Rest der Stücke begann mit Ich habe mein Studio so eingerichtet, dass alles jeder-
Haynie und anderen Songwritern/Musikern im Raum, wie zeit sofort bereit ist, schon mit vernünftigem Level und ver-
Thomas »Doveman« Bartlett, Andrew Wyatt (Leadsänger nünftigen Einstellungen. Sobald also die Magie passiert,
der Band Miike Snow) und Tobias Jesso Jr. Haynie zufolge kann ich alles im Handumdrehen in Pro Tools aufnehmen.

SOUND & RECORDING 10.2018 MIXPRAXIS STORY 67


Sein »Tree Audio The Roots 16«-Pult, eine Sonderanfertigung, benutzt Haynie nur zum
Aufnehmen. Es ist entsprechend spartanisch ausgestattet: Pro Kanal gibt es nur Gain,
zwei Shelving-EQs, einen einfachen Kompressor und Pan.

Wenn ich in ein anderes Studio gehe, greife ich tenden- tet oder in den Hintergrund gemischt. Ein einzelnes Mikro-
ziell auf einen Engineer zurück, aber in meinem eigenen fon in der Mitte tut es für mich bei den Drums.«
Studio übernehme ich diese Aufgaben gern selbst, sichere Wieder auf Welchs Gesang zurückkommend, erinnert
Ideen schnell im Computer, um sie erst später, nach dem Haynie sich: »Florence ist eine so wundervolle Sängerin,
Tracking, in Pro Tools zu zerschneiden und zu arrangieren und man bekommt nie denselben Take zweimal. Wie er-
und Plug-ins daraufzulegen und mal was zum Tape zu schi- wähnt, haben wir viele der Original-Vocal-Aufnahmen von
cken und Tonnen von Outboard zu benutzen und Sachen zu den Demos benutzt, auch aus den Songwriting-Sessions, bei
re-ampen usw. Bei meinen Abläufen geht es darum, Ideen denen ich dabei war. In den Fällen, wo sie ihre Vocals ersetzt
schnell umzusetzen und festzuhalten, wenn ich im kreativen oder zusätzliche Vocals overdubbed hat, habe ich ihr einfach
Modus bin, denn dann sind sie am stärksten, und man will ein Mikrofon hingestellt, sie ein paarmal das Stück durch-
ja nicht der Kreativität im Weg stehen. singen lassen und tun lassen, wonach auch immer ihr ist.
Das haben wir bei vielen der Stücke so gemacht. Sie hat
VOCALS eine der besten Stimmen, mit denen ich gearbeitet habe,
So habe ich auch mit Florence gearbeitet. Ich habe ein und wenn ich auch ein bisschen komprimiert habe, ich bin
altes Telefunken ELA M 251 [Mikrofon] ausgeliehen, um generell kein Fan von zu viel Kompression, weil man der
ihre Stimme aufzunehmen − das gleiche, mit dem ich sie das Performance damit etwas Gefühl wegnimmt. Ich werde
allererste Mal aufgenommen habe, als sie für mein Album immer Aufnahmeperfektion zugunsten des Gefühls opfern.
Backing-Vocals eingesungen hat, vor Jahren in einem klei- Wir haben sehr bewusst alle Atemgeräusche in Florences
nen Hotelzimmer. Sie kann extrem laut singen, und ich Vocals gelassen, denn das gehört dazu, ihre Bühnen-Perfor-
hatte keine gute Signalkette, daher ist manches etwas ver- mance und ihr Gefühl einzufangen. Wenn man eine Stimme
zerrt angekommen. Das 251 schien das Mikrofon zu sein, zu sehr säubert, entgeht einem manches der Schönheit und
das mit ihrer Lautstärke umgehen kann und sie am lieb- Magie und Nuanciertheit. Jedes Mal, wenn Florence in die
lichsten klingen lässt. In meinem Studio habe ich das 251 Vocal-Kabine ging, tat sie irgendwas komplett Unerwartetes,
direkt in mein Tree Audio Pult und in Pro Tools gestöpselt. zum Beispiel auf irgendwas schlagen oder laut atmen oder
Als wir bei mir Drums aufnahmen, habe ich das Sennheiser irre Rückwärts-Vocals. Sie ist die einzige auf der Welt, die
MD 421 für die Toms benutzt, ein altes AKG D12 für die das so macht, und ich lasse Dinge gern so, wie sie sind. Aus
Kick, ein altes Shure SM57 für die Snare und das AKG C414 dem gleichen Grund haben wir ihre Vocals nicht gestimmt −
in der Mitte über dem Schlagzeug − dessen Signal ich dann das war das Letzte, was ich hätte tun wollen. Ihre Stimme
als hauptsächlichen Drumsound verwendet habe. Die ein- steigt natürlicherweise auf und ab, und das macht ihre
zelnen Drum-Mikrofone habe ich entweder stumm geschal- Schönheit aus.«

68 STORY MIXPRAXIS SOUND & RECORDING 10.2018


Die letzte Hand an Welchs Vocals anzulegen, war offensichtlich Teil von
Haynies Vorgehen, schnell aufzunehmen und dann aber nennenswert Zeit da-
rauf zu verwenden, das aufgenommene Material in Pro Tools zu editieren und
anderweitig zu bearbeiten. Letzteres bedeutet zu einem großen Teil, Rough-
Mixe zu erstellen. »Das tue ich ständig«, gesteht Haynie. »Ich liebe es, zu
mixen, zu equalizen, Level anzupassen, Effekte dazuzugeben usw. Ich verbrin-
ge Stunde um Stunde so, ganz allein, wenn die Session vorbei ist, mit dem
Versuch, die Session so klingen zu lassen, dass ich finde, sie könnte veröffent-
licht werden. Oder zumindest versuche ich, mich zu überzeugen, dass meine
Rough-Mixes toll sind, denn in der Sekunde, in der jemand wie Tom Elmhirst
sie in die Hände bekommt, stelle ich fest: ›Okay, meine waren ganz gut, aber
seine sind supergut!‹
Als Producer gebe ich dem Mixer gern ein klares Ziel mit, damit er es auf
das nächste Level hieven kann. Alle großen Künstler kommen mit einer
Klangvorstellung im Kopf an und versuchen, in ihren Kopf zu gelangen, mit
der Vision eins zu werden und nach außen zu manifestieren, was sie schon
hören. Rough-Mixing ist ein Schritt in diesem Prozess, und ich gebe alles an
Plug-ins und Signalketten und Automation und was auch immer an Irrsinn
ich noch zu vergeben habe. Ich mache das meistens allein, und normalerwei-
se habe ich auch die letzte Hand an einer Session, bevor sie zum Mixer geht.
Ich habe viel automatisierten Hall auf Florence gelegt, mit einem Trick, den
ich liebe: einen SoundToys Decapitator auf einen DVerb legen und den Send
automatisieren.
Das Avid DVerb war immer mein favorisiertes Reverb. Ich liebe auch das
UAD AKG BX20 Reverb, aber das DVerb ist mein Vertrauensgerät für alle Fälle.
Es ist angenehm einfach, und ich weiß, dass viele Mixer es benutzen. Die
SoundToys Plug-ins sind meine anderen Standard-Tools. Ich bin ein großer
Fan des Decapitator, weil er so musikalisch ist, und wenn wir [Songs] schrei-
ben, kann ich es mir schnappen, schnell zwei Knöpfe anfassen, und es wird
super klingen. Es ist eigentlich für harmonische Distortion, aber ich benutze
es oft auch zum EQen. Von SoundToys benutze ich auch oft den Little Alter-
Boy, wenn ich mit dem Pitch experimentiere, und den EchoBoy für Delays.«
Ganz am Ende des Prozesses gingen Haynie und Welch nach New York,
wo der britische Star-Mixer und 15-fache Grammy-Gewinner Tom Elmhirst die
Stücke in seinem Raum in den Electric Ladyland Studios mixte. »Tom ist ein-
fach ein Meister. Seine Spezialität ist es, die Lead-Vocals perfekt klingen zu
lassen. Das ist das Schwierigste bei einem Mix und das, was mich am meisten
um den Schlaf bringt: Ist die Stimme zu laut, nicht laut genug, ist sie so ener- AUSGEZEICHNET.
gisch, wie sie sein muss, ist sie überkomprimiert? Mit Tom hat man eine
Garantie, dass es großartig sein wird und ich nicht wütend auf mich selbst EBNER VERL AG
werde, wenn ich den Song Monate später höre. Da ich jederzeit akustische
Perfektion für eine tolle Performace opfere, habe ich ihm schon ziemlich ver-
zerrten Scheiß gegeben oder Spuren, die mit offenem Fenster aufgenommen mehr erfahren
worden waren, auf denen man Sirenen heulen oder Leute reden hört. Aber er
lässt es immer nach 1 Million Dollar klingen. Also habe ich mir nie Gedanken
darüber gemacht, Florences Vocals makellos zu bekommen. Auf der fertigen
Platte sollte es die gleiche Energie haben, wie wenn man mit ihr im Raum ist,
wo sie es rausschmettert und tanzt wie eine Ballerina. Das werden die Leute
spüren, weil es so menschlich klingt.« n [6634]

SOUND & RECORDING 10.2018


www.ebnerpublishing.com
Praxis | Sounddesign

In ihrer langen Schaffensperiode hat die Firma Nintendo nicht nur zahlreiche Spielekonsolen und Handhelds entwickelt, sie ist vor
allem durch ihre Spiele selbst berühmt geworden. Man denke nur an ikonische Serien wie The Legend Of Zelda, Pokémon, Metroid
und natürlich, allen voran, die Abenteuer des Klempners Mario. Dessen Spiele sind nicht nur Gameplay-technisch ein Hochgenuss,
auch die akustische Untermalung ist stets auf dem Punkt. Einen der berühmtesten Mario-Sounds schauen wir uns in dieser Sound-
design-Ausgabe an.

Springende Klempner
Autor Klaus Baetz

‘ Der kleine Schnauzbartträger begann seine Karriere in gen. Dieser verfügt über zwei Kanäle, die jeweils eine Recht-
der Spielhalle mit dem legendären Automaten »Donkey eckwellenform erzeugen, wobei die Pulsbreite dieser Wellen-
Kong«. Damals noch unter dem Namen Jumpman unter- formen in vier Stufen einstellbar ist. Hinzu kommen noch
wegs, war »Donkey Kong« nicht nur in der Spielhalle ein ein Kanal, der eine Dreieckswellenform erzeugt, ein Noise-
Riesenerfolg − es wurde auch auf zahlreiche Homecomputer generator sowie ein Kanal für extrem niedrig aufgelöste
und Videospielsysteme portiert. Der absolute Durchbruch Samples. Dessen Einsatz war allerdings aufgrund des zu-
erfolgte dann allerdings Mitte der 80er mit »Super Mario sätzlichen Speicherverbrauchs und der Kosten für Modul-
Bros.« auf dem NES (Nintendo Entertainment System). Die- speicher limitiert.
ses Spiel legte den Grundstein für vieles, was sich auch Machen wir uns also an die Analyse. Mein NES ist
heute noch in jedem Mario-Spiel wiederfindet, so zum Bei- glücklicherweise aufgebaut und jederzeit einsatzbereit und
spiel die sich immer wiederholende Geschichte um Oberbö- somit spiele ich kurz eine Runde Super Mario, bis ich Welt
sewicht Bowser, der zum x-ten Mal Prinzessin Peach ent- 1−2 erreiche. Hier hat die Musik nämlich immer längere
führt und Mario somit zu ihrer Rettung eilen muss. Ähn- Pausen, sodass man in einer dieser Pausen wunderbar
liches gilt für das Sounddesign, denn viele der klassischen einen Sprung ausführen und diesen dann aufnehmen kann.
»Super Mario Bros.«-Sounds werden auch heute noch, in oft Das NES hat praktischerweise einen Cinchausgang für die
nur ganz leicht abgewandelter Form, wiederverwendet. Audioausgabe und somit kann ich problemlos meinen
Werfen wir also einen Blick auf den Sound, um den sich Zoom H6 anschließen und den Sprungsound recorden.
alles dreht. Als König des Jump’n’Run-Genres müssen wir Zugegeben: Natürlich gibt es zahllose Möglichkeiten,
uns natürlich mit Marios altbekanntem Hüpf-Sound be- sich diesen Sound aus dem Netz zu laden (wenn diese auch
schäftigen − ein nasal, hohler Ton, welcher zum Ende hin oftmals emuliert sind), aber wenn die Kiste nun mal hier
nach oben gepitcht wird. Der Sound an sich hat von seinem rumsteht, kann man sie schließlich auch nutzen. Dass ich
Charakter her viel mit dem klassischen Boing-Cartoon- danach natürlich noch ein bisschen weitergespielt hab,
Sound gemeinsam, bei dem eine Pauke angeschlagen und muss ja schließlich niemand erfahren.
direkt danach hochgestimmt wird. Wenn man sich die technischen Gegebenheiten des NES
Koji Kondo, Sounddesigner und Komponist für das anschaut und mit dem hohlen Sound vergleicht, können wir
Spiel, hatte allerdings nicht die Möglichkeit, zur Pauke zu daraus recht schnell den Schluss ziehen, dass die Hauptzu-
greifen − er musste sich mit dem Soundchip des NES begnü- tat unseres Sounds eine Pulswelle ist. Weiterhin lässt sich

70 PRAXIS SOUNDDESIGN SOUND & RECORDING 10.2018


Das Nintendo Entertain-
erkennen, dass ein A3, welches im Verlaufe hochgepitcht ment System, in Japan
wird, der Grundton unseres Sounds ist. Zudem springt noch Famicom genannt, verhalf
Nintendo zum Durchbruch
der perkussive Attack des Sounds ins Auge bzw. ins Ohr. im Videospielmarkt.
Ein Blick auf die Wellenform bestätigt das Ganze. Hier
wird aber noch ein weiteres interessantes Detail sichtbar,
welches den perkussiven Beginn maßgeblich beeinflusst
denn nach ca. 57 ms ändert sich die Weite der Pulswelle
von 50/50 auf 25/75. Außerdem kann man auf den Bildern
unten gut erkennen, dass die Pulswelle keineswegs eine
saubere Rechteckform ist, sondern vielmehr einen leichten Man hört, dass der Sound schrittweise in Halbtönen nach
Sägezahneinschlag hat. Daher ist es wichtig, verschiedene oben zu gehen scheint, wobei es mir so vorkam, als ob auch
Synthesizer auszuprobieren und herauszufinden, wessen zwei Ganztonsprünge enthalten waren. Am Ende des Sounds
Pulswelle der des NES nahe kommt. bin ich dann beim A4 angekommen. Passend zur Original-
wellenform habe ich die einzelnen Noten eingezeichnet und
SYNTHWAHL diese anschließend so verlängert, dass sie sich leicht über-
Ich bin hier mit der Pulswelle des Steinberg Retrologue 2 lappen.
bereits sehr zufrieden − um mich noch näher an den Origi- Anschließend habe ich Retrologue auf monofon und
nalsound heran zu bewegen, habe ich zwar noch einen den Trigger-Mode auf »Legato« gestellt, Glide aktiviert und
zweiten Oszillator mit einer Sägezahnwelle hinzugefügt, die- die Glide-Time auf ca. 39 ms justiert. Damit der Sound bei
sen allerdings auch nur mit zu 17 % beigemischt. Wichtig einer Wiederholung nicht vom A4 wieder aufs A3 hinunter-
ist, dass die Oszillatoren nicht frei laufen, sondern immer bendet, habe ich außerdem den Fingered-Modus aktiviert.
wieder in der gleichen Phasenlage starten − wir haben es Alternativ kann man auch den Coarse-Parameter des Syn-
hier schließlich mit einem wiederkehrenden Effektsound zu thesizers automatisieren und damit ebenfalls Notensprünge
tun, und der soll jedes Mal gleich klingen. erreichen.
Der Retrologue 2 stellt mich allerdings vor ein anderes
Problem. Die Breite der Pulswelle lässt sich nicht abrupt än- ABSCHLUSS
dern, wie es eigentlich nötig wäre, vielmehr kommt es hier Damit ist unser Hüpfsound auch fast fertig, zu guter Letzt
zu einem stark hörbaren Smoothing. Daher habe ich als fehlt uns nur noch eine Lautstärkeautomation. Wenn wir
Workaround einfach zwei Retrologue-Instanzen verwendet: hier zum Vergleich nochmal die originale Wellenform be-
Die erste spielt lediglich die ersten 57 ms mit 50 % Pulswei- trachten, sehen wir, dass der Beginn, der sich über die Note
se, die zweite steigt direkt danach ein und beginnt direkt mit A3 erstreckt, deutlich lauter ist als der Rest und es danach
25 % Pulsweite. einen Lautstärkesprung mit anschließendem Fade-Out gibt.
Um mir nun weitere Details des Originals leichter anhö- Dementsprechend gestalten wir unsere Lautstärkekurve,
ren zu können, habe ich die Aufnahme in Groove Agent SE wobei gerade der Fade-Out ein wenig Feintuning benötigt −
geladen − jeder andere Sampler funktioniert natürlich ge- ich habe mich hier für eine logarithmische Kurve entschie-
nauso. So kann man mithilfe der Start- und Endmarker sehr den, die somit erst sehr spät einen deutlichen Lautstärke-
schnell Teile des Sounds auswählen und gezielt anspielen. abfall hat. Viel Spaß beim Experimentieren! n [6651]

Zu Beginn des Sounds ist die Pulswelle noch gleichmäßig. Nach ca. 57 ms verschiebt sich die Pulswellenbreite und beträgt jetzt 25/75 %.

SOUND & RECORDING 10.2018 SOUNDDESIGN PRAXIS 71


STUDIOTIPPS Kniffe, die die Welt verbessern

Eines meiner ersten Experimente mit Musik und Aufnahmetechnik bestand aus zwei Tapedecks und einem E-Piano mit mehreren
eingebauten Sounds. Ich nahm einen Klang auf, spulte das Tape zurück und ließ es laufen, während ich mit dem anderen Tapedeck
das Ergebnis und einen neuen Piano-Sound aufnahm. Das Ganze ging so ein paar Mal hin und her, bis ich am Ende ein Gemisch aus
einer Handvoll Sounds in den Händen hielt.

Equipment verpflichtet, oder?


Autor: Björn Bojahr

‘ Das Ergebnis rauschte und hatte natürlich durch die gan- grenzenlos. Mit diesem Equipment war irgendwie »alles«
zen Überspielungen viel an Klangqualität verloren, trotzdem möglich.
hatte es riesigen Spaß gemacht! Einige Wochen später zeig-
te mir jemand Notator auf dem Atari, und ich war hin und HEUTE GEHT ALLES!
weg. Irgendwann kam dann ein Tascam 4-Spur-Gerät mit Springen wir mal in die Gegenwart! Nur einen Mausklick
Timecode auf Track 4 dazu, und die Welt schien auf einmal entfernt lauern auf meinem Rechner Logic und Reaper auf

72 PRAXIS STUDIOTIPPS SOUND & RECORDING 10.2018


ihren Einsatz. Mein Plug-in-Ordner hat sich in den letzten rauf eine allgemein gültige Antwort geben: Nein. Nein, du
Jahren gut gefüllt, und über ein paar simple Netzwerkkabel kannst damit nicht professionell aufnehmen. Auch wenn du
könnte ich im Bedarfsfall alles an Audiohardware hinzurou- die Einkaufsliste noch änderst oder sogar dein Auto verkaufst
ten, was mein Geldbeutel noch erlauben würde. Es rauscht und die dadurch gewonnene Kohle komplett ins Equipment
nix mehr, und Overdubs sind ohne jegliche Einbußen der steckst: Du kannst mit dem Zeug nicht professionell aufneh-
Klangqualität möglich. Jetzt geht wirklich alles! men.
Und daher sitze ich heute inmitten dieser ganzen moder- Professionell aufnehmen bedeutet in den allermeisten
nen Wunder häufig einem ganz anderen Mythos auf: Das Er- Fällen, dass eine ganze Menge erfahrene Leute an diesem
gebnis müsse nun immer so klingen wie bei XY … Mit diesem Prozess beteiligt sind. Zig Leute geben da ihr Feedback, ent-
ganzen Profi-Equipment muss das doch endlich gut werden! wickeln die Idee weiter, beeinflussen die Komposition, die
Ich nehme mir dann eine beliebige große Produktion als Re- Produktion, die Besetzung, die Aufnahme und alle Stufen
ferenz, bei der alleine die Liste der Mitwirkenden schon län- dazwischen. Ganz am Ende dieses langen Prozesses entsteht
ger ist als mein gesamter Songtext, und hoffe, dass es bei dann erst das Ergebnis, das du mit deinem Equipment-Kauf
mir automatisch auch so klingen müsste. Da wäre ich früher auf Anhieb erreichen möchtest.
nie drauf gekommen, damals stand eher ein »Wie weit kom- Manche Mitwirkenden haben auch gar keine Ahnung von
me ich denn mit meinem ganzen Krempel?« im Vordergrund! Tontechnik, aber ein gutes Empfinden für Songstrukturen
und -aufbau und stellen dadurch bestimmte Mix-Elemente
ICH BRAUCHE MEHR DETAILS! infrage. Das ermöglich ganz andere Ansätze mit einem
Aber in dieser modernen Situation reift auch die Erkenntnis,
dass viele angeblich so wichtige Details, die mir in der Pro-
duktionsphase zum Teil massiv auffallen, unter anderen Ab-
hörbedingungen gar nicht zu hören sind! Manchmal reicht
es sogar, ein paar Stunden später denselben Song unter
gleichen Bedingungen erneut zu öffnen. Wo ich vorher ewig
am Gesang herumgeschraubt hatte, weil da irgendwas in
den Höhen komisch war, bemerke ich auf einmal, dass der
Bass völlig merkwürdig klingt, der Gesang zu leise ist und
ich zu allem Übel auch noch den falschen Take selektiert
habe. Man könnte beinahe glauben, dass kleine grüne Männ-
chen mit jedem Speichern irgendwelche Dinge in meinem
Song bösartig verändern!

FLOAT UND GENAUIGKEIT


iZotope Neutron Elements kann beim Mischen kein ganzes Produzententeam erset-
Wenn man nur lange genug danach sucht, dann findet man zen, aber es produziert mit wenig Aufwand und ein paar Mausklicks eine zweite
auch ganz irre Gründe, warum man seine Audiodateien Meinung zum Mix der Einzelspuren. Und das kann helfen, sofern man nicht alles
ohne nachzudenken der Automatik überlässt!
nicht als 32-Bit-Float bearbeiten und auf SSD-Festplatten
speichern sollte. Kabel klingen ja auch alle komplett unter-
schiedlich, und die Flöhe husten bekanntlich nachts! Was
nützen uns diese ganzen Theorien und das Fachsimpeln,
wenn doch unsere Ohren und unsere Lautsprecher am Ende
nur ein unpräzises Abbild darstellen? Unsere Ohren und
unsere Abhörsituation sind ohne eine Referenz nie so ganz
verlässlich. Und dennoch die einzige Wahrheit!

KANN MAN DAMIT AUFNEHMEN?


Eine häufige Frage in diversen Foren ist ja auch diese: »Ich
iZotope Ozone Elements hat es bei mir jetzt in den Master des Default-Songs ge-
plane, mir dieses oder jenes zu kaufen. Kann ich damit pro- schafft. Es hilft, sich mal schnell ein Bild zu verschaffen, ob man gerade wieder
typische Ermüdungs-Mix-Fehler baut. Hier im Bild mein persönlicher Klassiker: Bass
fessionell aufnehmen?« Völlig egal, um welches Equipment übertrieben und in den Höhen komische Verteilung. Ist meinem Raum geschuldet
und welche Preiskategorie es sich handelt, möchte ich da- und passiert mir beinahe immer …

SOUND & RECORDING 10.2018 STUDIOTIPPS PRAXIS 73


Ein PreAmp gehört an
den Anfang? Die Dreier-
Kette aus PreAmp -›
Filter -› PreAmp macht
richtig Spaß und führt zu
klanglich interessanten
Ergebnissen, die ich im
analogen Studio so nur
mit sehr viel mehr Auf-
wand hinbekommen
hätte. Alleine die Tempo-
synchronisation der Filter
wäre da schon schwierig
gewesen …

Blickwinkel fernab vom Bereich Audiotechnik! So etwas Dabei fällt mir auch auf, dass ich bisweilen vermeintlich
kann man nicht einfach so kaufen, egal, wie teuer die Hard- die Flöhe husten höre, aber dabei gesamte Frequenzbereiche
ware ist! falsch mische. Ein Ozone Elements auf der Summe als Guide
hilft da enorm!
ALSO AUFGEBEN?
Der eine oder andere wird jetzt sagen: »In den Studiotipps EXPERIMENTE
geht es doch aber genau darum, wie wir alle mit einfachen In der Einleitung habe ich ein wenig Nostalgie erzwungen,
Kniffen einen besseren Sound bekommen! Sollen wir jetzt aber die ganzen Klangexperimente kommen heute ja eh
aufgeben?« Natürlich nicht! häufig zu kurz. Wir wollen alles zu perfekt und denken oft
Wir sollten uns aber zumindest davon verabschieden, nur an ein »amtliches« Ergebnis, ohne die kreativen Bruch-
die 100 % ganz einfach auf Anhieb und alleine zu erreichen. stücke auf dem Weg dahin weiterzuverwerten.
Und die 100 % setze ich einfach mal Genre-übergreifend da Aktuell bin ich ein Fan von Arturias Filter- und Preamp-
fest, wo dein persönlicher Referenztrack liegt. Und wir kön- Bundles – mit den Verstärkern irgendein Signal in die Sätti-
nen ja ein bisschen schummeln … gung schieben, dann kreativ filtern und am Ende wieder
einen virtuellen Preamp dahinter. Das Ergebnis klingt tat-
EINE ZWEITE MEINUNG sächlich oft analoger und interessanter, als es je im analo-
Es gibt inzwischen einige Plug-ins, die dir eine zweite Mei- gen Studio geklungen hatte. Effektbusse da durchzujagen
nung liefern können. Beispielsweise hat iZotope mit der und mit weiteren Effekten das Ergebnis anzureichern, hat
Elements-Suite ein einfaches Bundle mit Automatik-Assis- mir schon so manche kreative Bridge geliefert.
tenten zusammengestellt, deren Einzel-Plug-ins vielleicht
nicht immer zu einem perfekten Mix führen, aber definitiv DAS ERGEBNIS
eine sehr hilfreiche Zweitmeinung zu einer Klangeinstellung Wann klingt es denn nun professionell? Vielleicht ist es ja
oder einem kompletten Mix abliefern! am Ende ein Ergebnis aus Klangexperimenten, die alle von
Denn anders als unser Gehör bleibt die Empfehlung der einer Automatik so verbogen wurden, dass daraus die genia-
Plug-ins recht neutral und zeigt keine Ermüdungserschei- le Idee wurde. Die Legende entsteht häufig erst hinterher!
nungen. Wenn Ozone beispielsweise meckert, dass ich den Wichtig ist, dass wir das Spannende »Wie weit komme
Bassbereich gerade wieder übertreibe, dann gibt es zwei ich denn mit meinem ganzen Krempel?« zurückgewinnen.
Möglichkeiten: Entweder ich mache eine Pause und erst in Gutes Equipment ist sicher wichtig, verpflichtet uns aber zu
ein paar Stunden weiter, bis meine Ohren diesen Effekt auch nichts.
tatsächlich hören, oder ich ändere einfach sofort den Mix In diesem Sinne wünsche ich dir viel Spaß beim Schrau-
ein wenig, spare mir die Pause und komme schneller zu ben auch an völlig unprofessionellen und gar nicht zielfüh-
einem Ergebnis. renden Dingen! n [6652]

74 PRAXIS STUDIOTIPPS SOUND & RECORDING 10.2018


LOVE THE MACHINES | Standuino/Bastl Instruments

Ob Frau Angelico oder MicroGranny: Im Pandämonium der Standuino/Bastl-Gründer tummeln sich eine Menge merkwürdige Charak-
tere, die bei Musikern plötzliche Kreativitätsschübe verursachen können. Vieles bei der tschechischen Hardwareschmiede Bastl Instru-
ments ist noch von einem rebellischen Punk-DIY-Geist durchdrungen.

Von Standuino zu Bastl:


Invasion der Nerd-Module
Text Bernhard Lösener Fotos Bernhard Lösener, Dieter Stork

‘ 2011 organisierten die beiden technisch interessierten mens. Standuino-Instrumente wie der kleine Frau-Angelico-
Kunststudenten Václav Peloušek und Ondrej Merta einen Synth wurden schnell Kult. Aus Standuino ging dann das
Synthesizer-Workshop in der tschechischen Stadt Brünn. unkonventionelle Kreativteam Bastl Instruments hervor (im
Der Titel des Workshops war »Standuino«, denn es ging um Tschechischen bedeutet das umgangssprachliche Wort
Geräte, die auf dem Mini-Computer Arduino (s. u.) basier- »Bastl« selber bauen). In der Eurorack-Szene machte Bastl
ten. Einige Zeit später beschlossen die beiden, selber Klang- in den letzten Jahren u. a. durch pfiffige Eurorack-Module
erzeuger zu bauen und gründeten eine Firma gleichen Na- mit kultigen Holzfronten Furore.

76 KULT LOVE THE MACHINES SOUND & RECORDING 10.2018


ARDUINO
Arduino ist eine kostengünstige Open-Source-Mini-Hard-
ware-Plattform, die die Basis für zahllose Nerd-, Kunst- und
Hobby-Projekte (und auch viele Bastl-Geräte) bildet und
sich gerne hacken lässt. Gestartet wurde das Arduino-Pro-
jekt 2005 von zwei Italienern (Massimo Banzi und David
Cuartielles), die sich regelmäßig in der Arduino-Bar in Ivrea
trafen. Sie veröffentlichten die Pläne für ihre erste Arduino-
Serie als Open-Source-Lizenz, und mittlerweile gibt es zahl-
lose Arduino-Varianten.
Der digitale Minisynth Fra Angelico gehört zu den ersten Erfolgs-
Die Arduino-Hardware besteht im Wesentlichen aus projekten von Bastl-Vorgänger Standuino.
einem Micro-Controller und analogen und digitalen Ein-
und Ausgängen; programmiert wird der Micro-Controller
mit einer Programmiersprache, die C bzw. C++ ähnelt, aber
stark vereinfacht wurde; hilfreich sind auch die zahllosen
Bibliotheken, die im Netz verfügbar sind. Mittlerweise kann
man Arduino-Boards sogar direkt aus dem Browser ohne
Entwicklungsumgebung programmieren. Mit einem Arduino
lassen sich vor allem Steuerungsaufgaben (etwa im Modell-
Tea Kick ist ein analo-
bau, bei kinetischen Objekten, Wettermessung oder eben ges Kick-Drum-Modul
das auf einem Twin-
auch Klangerzeugern) übernehmen. Der günstige, aber klangstarke Hardware-Modularzwerg Kastle T-Resonanz-Schalt-
von Bastl Instruments erregte wegen seiner Features und sei- kreis basiert (129
ner Größe viel Aufsehen in der Synth-Gemeinde. Euro).
FRA ANGELICO UND GATTIN
Zu den ersten Standuino-Instrumenten gehört der digitale mehrere Kernparameter verändern (Volume, Sample, Pitch-
Mini-Synthesizer Fra Angelico (11 x 7 x 4 cm). Fra Angelico down, Bitcrusher), was bei laufendem Sequenzer zu wüsten,
war ein Maler der italienischen Frührenaissance; auf der aber groovigen Lärmorgien führen kann. Sechs Patterns las-
Platine und der Rückseite des Arduino-basierten Minisynths sen sich abspeichern, das Tempo kann auch mit einer Tap-
findet man Bilder des genialen Künstlers. Das eigenwillig Funktion eingestellt werden. Im Sequenzer-Mode kann man
designte Gerät ist ein 8-Bit-PWM-Synth, der auch über MIDI auch einen Randomizer zum Erstellen von Zufalls-Patterns
gespielt werden kann. Die Basis der Klangerzeugung bildet aktivieren; außerdem ist es möglich, überraschende Varia-
eine simple Pulsweiten-Modulation; es gibt keinen Digital- tionen zu kreieren, indem man mit der Shift-Funktion an
Analog-Converter, am Ausgang liegt das digitale Signal an. beliebige Zählzeiten innerhalb des Pattern springt. Auch
Fra Angelico generiert böse, digitale Glitch-Sounds, ist aber das Muten einzelner Instrumenten-Spuren ist möglich.
auch in der Lage, druckvolle Bässe zu erzeugen; er war für
ca. 50 Euro als Bausatz verfügbar und wurde auch als Fer-
tiggerät angeboten.
Noch interessanter ist Frau Angelico, ein ziemlich kran-
ker Arduino-Drumcomputer von Standuino; die verballhor-
nende Namensgebung ist bezeichnend. Beide Geräte gibt es
nur noch auf dem Gebrauchtmarkt.

GLITCH-DRUMMER MIT AUA-FAKTOR


Freunde von Chiptune- und Noise-Sounds finden in Frau
Angelico eine gute Partnerin. Das Standuino-Gerät kam 2012
heraus, arbeitet mit einer sechsfach polyfonen, samplebasier-
ten Klangerzeugung (8 Bit), die entweder vom internen Step-
Sequenzer oder per MIDI-getriggert wird. Wie beim Fra An- Thyme ist ein digitaler, von klassischen Bandechos inspirierter Effektprozessor, des-
gelico lassen sich vier Sounds (weitere vier mit dem Shift- sen Parameter (Bandgeschwindigkeit, Delay Grob und Fein, Feedback, Filter, Extra-
Abtast-Kopf Abstand und Pegel, Dry-Wet-Mix und Lautstärke) dynamisch gesteuert
Taster) direkt antriggern. Am Gerät kann man in Realtime werden können (522 Euro).

SOUND & RECORDING 10.2018 LOVE THE MACHINES KULT 77


Frau Angelico von Standuino ist ein ungewöhnlicher, samplebasierter Lo-Fi-Drum-
computer.

Grand Pa ist die Popcorn kann auch in der Holzvariante


Eurorack-Version erworben werden und dient als nicht-
vom MicroGranny- linearer Sequenzer, Quantizer und Ar-
Grain-Sampler peggiator (279 Euro).
MicroGranny gibt es in vielen verschiedenen Designvarianten (bei unserem unser (199 Euro).
Testgerät handelt es sich um das Modell Distant Raver 35 ).
Man muss seine Großmutter nicht verkaufen, um Micro-
Granny-Besitzer zu werden; das Gerät kostet nur 165 Euro.
MICROGRANNY 2
MicroGranny ist ein kompakter Lo-Fi-Granular-Sampler und DIE WOHL KLEINSTE MODULARSYNTH-PRALINE DER WELT:
gehört seit Jahren zu den Highlights des Bastl-Parks. Die KASTLE
erste Version des Gerätes kam anfangs übrigens auch unter Ungewöhnlich (und für experimentell orientierte Musiker
der Standuino-Flagge heraus. MicroGranny spielt monofone empfehlenswert) ist auch der superkompakte, digitale Mini-
Samples (22.050 Hz, 8 oder 16 Bit) von der SD-Karte ab und Modular-Synth von Bastl (7 x 5,7 x 3 cm): Kastle ist ein 80
kann mithilfe des Miniklinken-Eingangs oder des integrier- Euro teures Open-Source-Projekt, das auf zwei Attiny-85-
ten Mikrofons auch selbst samplen. Die Sounds lassen sich Chips basiert, die mit Arduino programmiert werden kön-
granular durch den Wolf drehen, wobei man auf mehrere nen. Eine DIY-Version ist auch verfügbar. Das letzte Version
Realtime-Parameter (Sample-Start, -End, Sample Rate, Bit- (1.5) bietet u. a. folgende Features:
crusher sowie Attack und Release der Lautstärkehüllkurve) drei Synthese-Betriebsarten (Oszillator-Ausgang 1):
zugreifen kann. Über MIDI sind die Parameter auch extern Phase Modulation, Noise-Mode und Track & Hold Mo-
steuerbar, und die Samples lassen sich transponiert spielen. dulation, Noise-Mode,
Das Gerät, das mittlerweile in der Version 2 angeboten drei weitere Synthese-Betriebsarten (Oszillator-Aus-
wird, hat wirklich Charme und ist für Freunde unkonventio- gang 2): Phase Distortion, Formant Synthese und Tonal
neller Sounds ein Ideen-Kraftwerk mit hohem Suchtfaktor. Noise-Mode,
Dass die Sounds nur eine Abtastfrequenz von 22.050 Hz zwei Sound-Engines lassen sich parallel betreiben,
besitzen, erweist sich in der Praxis manchmal als Vorteil, von Rob Hordijk inspirierter Stepped-Pattern-Generator,
wiel sie sich leichter in klangliche Kontexte integrieren las- zusätzlich zum Batteriebetrieb kann das Gerät über USB
sen und weniger spitz klingen. mit Strom versorgt werden. n [6653]

78 KULT LOVE THE MACHINES SOUND & RECORDING 10.2018


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Alex4 Distribution 29 Music Store Köln 3, 6, 7
Drumsite.rocks 3. US Nubert 37
Ebner Verlag 69 Omnitronic/Steinigke 11
ESI Audio/M&T 13 Royer Labs/S.E.A. Vertrieb 65
Focal/Sound Service 2. US SAE Institute 9
Icon/Sound Service 41 SPL 19
JBL/Audio Pro Heilbronn 45 Steinberg 25
Lewitt/M&T 51 Toontrack 61

Manley Labs/S.E.A. Vertrieb 33 Universal Audio 4. US

SOUND & RECORDING 10.2018 LESERSERVICE MAGAZIN 79


PETER WALSH | Mix-Rezepte wiederverwenden

Beziehung und
Vertrauen:
Die Produktions-
formel!

Foto: Nadja Seitz


Text Peter Walsh Übersetzung Marc Bohn

‘ Über Social-Media-Kanäle erhalte ich oft Mails und Nach- neue Generation von Musikliebhabern zu inspirieren. Das ist
richten von Leuten, die gerne technische Infos über die der lebenswichtigste Part jeder Produktion. So wichtig, dass
Alben haben wollen, die ich glücklicherweise aufnehmen viele moderne Produktionsverträge eine Klausel beinhalten,
durfte. Ganz oben auf dieser Liste steht New Gold Dream von die speziell dafür aufgesetzt wurde, um den Engineer in der
Simple Minds, dicht gefolgt von Scott Walkers Alben Tilt, Wiederverwendung derselben oder ähnlichen Anwendung
Drift und Bisch Bosch und natürlich die Live-Alben, die ich und Sound-Setups für Folgeprojekte in einem bestimmten
mit Peter Gabriel gemacht habe. Zeitraum einzuschränken − in der Regel für 6 Monate. Wie
Kürzlich wurde ich nach dem Gitarrensound auf Promise verbindlich ist das?
You A Mircale gefragt. Welche Mikrofone wurden genommen, Die Produktion sollte eine persönliche Erfahrung zwischen
wo waren sie positioniert, und welche Effekte wurden be- Künstler und Produzent sein, die auf dem Aufbau einer Be-
nutzt? Ich bin sehr dankbar und fühle mich geehrt, dass die ziehung und Vertrauen basiert. Es geht um mehr als nur Fre-
vielen Stunden im Studio mit Begeisterung belohnt werden. quenzen und Abtastraten. Es ist wichtig zu wissen, mit wem
Ich muss allerdings auch betonen, dass die Technik, die ich man arbeitet, um zu verstehen, was sie antreibt, was sie an
eingesetzt habe, für den einen bestimmten Song, vielleicht ihrem Sound lieben, was sie für wesentlich halten. Das ist es,
auch noch das eine Album und in dieser Zeit funktionierte. wo die Formel sitzt!
Aber es gibt keine Garantie dafür, dass der gleiche Ansatz in Die zwei Wochen, in denen ich mit Simple Minds auf
einem anderen Kontext funktioniert. Und das führt mich einer Schweinefarm in Fife, Schottland zusammenlebte und
zum Thema dieser Kolumne: Gibt es und gab es eine Formel wir uns kennenlernten, waren genauso wichtig wie die Ver-
für diese Art von Aufnahmen? Kann ein Setup von Aufnahme- stärker und Mikrofone, die wir im Studio genutzt haben. Ich
parametern in einer anderen Situation mit dem gleichen Ef- weiß, das klingt lächerlich, aber die beiden Faktoren sind tat-
fekt verwendet werden? sächlich gleich wichtig!
Natürlich kann die Theorie und die Logik hinter jeder Bei Scott Walker hat uns die Beständigkeit unserer Zu-
Technik verwendet und aufgerufen werden, aber jede Produk- sammenarbeit zu einer fruchtbaren Kooperation geführt.
tion hat ihre eigene Form. Jede Produktion benötigt eine ein- Nicht nur ein Album und »Tschüss!« − wir haben zusammen
zigartige Farbe, kreiert durch eine besondere Herangehens- an mehr als acht Alben und unzähligen Nebenprojekten ge-
weise und Art, wie sie aufgenommen und gemischt wird. Je arbeitet! Über die Jahre hinweg haben wir eine Methode ent-
vielfältiger und origineller dieser Sound ist, desto länger ist wickelt, die bestimmt, wie wir aufnehmen und mischen. Ich
seine Haltbarkeit und letztendlich auch die Karriere des glaube, das ist eine Formel, die speziell bei Scott funktioniert.
Künstlers und des Produzenten. Allerdings kann ich Teile davon für andere Produktionen ver-
Das ist schließlich die Aufgabe eines jeden Produzenten wenden, die zu einer Art »Kreuzbestäubung« zwischen Künst-
oder Engineers. Um die Entwicklung einer musikalischen lern und Projekten führen.
Richtung und des Sounds eines Künstlers zu unterstützen, Heute stehe ich oft vor dem Problem, dass ich den Künst-
geben sie ihm eine Eigenständigkeit, die den aktuellen Trends ler, mit dem ich zusammenarbeite, nicht immer kennenlerne
gerecht wird und gleichzeitig Neuland aufzeigt, um eine oder sogar treffe. Es ist also keine Zeit da, um mit der Band

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»abzuhängen« und zu quatschen. Manchmal funktioniert Rolle ist, zu diktieren, sondern das widerzuspiegeln, wie die
das, manchmal aber auch nicht! Manchmal starte ich mit Band am liebsten wahrgenommen werden möchte.
einem Projekt, und jemand anderes beendet es. Manchmal Ich bin aber davon überzeugt, dass wir viel Zeit und Geld
startet jemand anderes, und ich beende es. Wo ist da die gespart hätten, wenn wir uns im Voraus getroffen und ein,
Formel? Vielleicht gut für ein One-Hit-Wonder, aber nicht der zwei Gläser Guinness getrunken hätten. Zu versuchen, die
beste Weg, um dauerhaft erfolgreich zu sein. kommerziellen Ambitionen der Plattenfirma, des Agenten
Eine positive Anmerkung ist jedoch: Ich merke, dass wir und letztendlich auch der Band umzusetzen, die alle mit dem
anfangen zu verstehen, wie man in einer virtuellen und inter- Song erfolgreich werden wollen, ist ein Drahtseilakt des Pro-
netbasierten Welt zusammenarbeitet. Obwohl es sich manch- duzenten und des Tontechnikers.
mal wie ein Vakuum anfühlt, scheint es, als würde ein Ver- Obwohl ich meine Version des Mixes wirklich mochte,
haltenskodex entstehen. respektiere ich die Einstellung der Künstler, die sich für Lang-
Für ein paar Mixings, die ich kürzlich für die US-Band lebigkeit und Integrität in ihrer Karriere entscheiden und
Vaura gemacht habe, eine Band, die ich nie getroffen hatte, nicht für den schnellen Ausverkauf und einen Sound, von
die aber meine früheren Arbeiten kannte, habe ich ein paar dem sie wissen, dass sie sich nicht damit identifizieren und
künstlerische Anleitungen bekommen. Klingt nett und un- ihn live nicht reproduzieren können. Insofern ist es als Pro-
kompliziert, oder? »Tu einfach das, was du magst, es wird duzent oder Engineer wichtig, nicht aufzugeben und etwas
großartig!«, sagten sie. Ich muss allerdings sagen, dass das anzubieten, mit dem jeder glücklich und zufrieden sein kann.
nicht annähernd so einfach ist wie bei einer klaren und spe- Ende gut, alles gut, und jetzt lieben sie den Mix wirklich.
zifischen Ansage. Aber es hat mir die komplette künstle- Ein glücklicher Kompromiss! (Autsch, ich hasse dieses Wort.)
rische Freiheit gegeben, es dahin zu bringen, wo ich denke, The 4 Of Us sind im September und Oktober auf Deutsch-
dass es hingehen kann. Ich habe ein paar Songs rausge- land-Tour und auch wieder 2019. Großartige Band, großarti-
pickt, ein paar Mixe erstellt, und die erste Reaktion war sehr ge Songs − und großartige Mixe! ;)
positiv. Ich erwarte nur ein paar Verbesserungen, und der Es gibt eine bekannte Kult-Underground-Band, die ich
Job ist getan. Ich halte euch diesbezüglich auf dem Laufen- letzten Monat gemischt habe, wo die Kommunikation sehr
den. minimal war − besser gesagt, hatte ich gar keinen Kontakt zu
Aber bei einem Projekt für die irische Folk-Band The 4 Of ihnen. Ihr Englisch ist nicht existent, und mein Französisch
Us, für die ich bereits erfolgreich zwei Songs gemischt hatte, ist »trés limité«, um es milde auszudrücken. Das als kleiner
habe ich nicht erwartet, dass die Dinge so laufen, wie sie ge- Hinweis für euch, um wen es geht. Mehr dazu im nächsten
laufen sind. Als ich am dritten Song arbeitete, war die einzige Monat. Es ist ein sehr cooles Projekt! n [6654]
Anweisung, die ich bekam, den Song fürs Radio zu mischen
und ihn so klingen zu lassen, dass man automatisch mit-
wippt. Ich entschied mich für Paul-Simon-artige Bläser und
war davon begeistert! Mit ein paar Drums im Stil von Manu
Katche und einem schönen offenen Sound dachte ich, hätte
ich das perfekte Rezept gefunden. »Was bei Paul Simon funk-
tioniert, funktioniert auch bei denen!«, dachte ich zumindest.
Es war für mich ein riesen Schock, dass die Band es über-
haupt nicht so gehört hat wie ich. Sie sagten nur, dass es Vaura
nicht ihr Sound sei. Meine erste Reaktion, die ich nicht aus-
gesprochen hatte, war: »Zum Henker, das ist doch genial!«
Zwei Tage später, nachdem ich darüber nachgedacht
hatte, was sie gesagt haben, entschied ich, ihnen eine neue
Version des Mixes zu schicken, ohne dass sie mich danach
gefragt haben. Ich versuchte zu verstehen, warum sie ihn
nicht mochten. Ich habe den Drum-Beat bearbeitet, die
Brass-Section gelöscht und ein Piano hinzugefügt. Ich habe
ihnen den Mix als entgegenkommende Geste (zusammen
mit der Rechnung) geschickt. Und es wurde auch so ge-
schätzt, wie ich es meinte: ein Signal, dass es nicht meine The 4 Of Us

SOUND & RECORDING 10.2018 PETER WALSH KOLUMNE 81


VORSCHAU 11.2018
JAZZANOVA ÜBER IHR AKTUELLES ALBUM
THE POOL
Studioalben des Berliner Musikerkollektivs Jazzanova sind rare Schät-
ze. Fast zehn Jahre nach dem letzten Longplayer hat sich das Jazza-
nova-Team wieder im Studio eingefunden und legt mit The Pool ihr
bis dato sicher ambitioniertestes und reifstes Werk vor.
Wir sprechen mit den Jazzanova-Masterminds Stefan Leisering und
Axel Reinemer über musikalische Puzzleteile und die Kunst, eben-
solche zu einem stringenten Album zusammenzuführen.

DE/CONSTRUCTED − HITS ZUM NACHBAUEN


JON HOPKINS
In drei Schritten zum Hit! In dieser Workshop-Reihe zeigen wir, wie und mit
welchen Tools sich aktuelle Charthits und klassische Stilrichtungen zu Hause
am eigenen Rechner (nach-)produzieren lassen. In dieser Folge geht es um
Sound und Stil des experimentellen britischen Elektronikmusikers Jon Hopkins,
der in diesem Jahr sein bereits fünftes Soloalbum, Singularity , herausgebracht
hat, der breiten Öffentlichkeit aber wohl am ehesten durch seine Zusammen-
arbeit mit Brian Eno und Coldplay bekannt sein dürfte.

FRANK TURNER UND NILES-CITY-SOUND-PRODUZENT


JOSH BLOCK ÜBER DIE JÜNGSTE STUDIOPRODUKTION
Für sein siebtes Album will Punkrock-Singer/Songwriter Frank Turner vor
allem eins: raus aus der eigenen Komfortzone und etwas wirklich Neues
schaffen. Anstelle von bequemen und routinierten Wiederholungen ist es ihm
wichtig, frische Impulse zuzulassen und andere Produktionswege zu gehen.
In Fort Worth, Texas, entsteht 2017 mit den Produzenten des Niles-City-
Sound-Studios Be More Kind — ein Album, bei dem Turner einerseits an die
Tradition von politischen Songs seiner Frühphase anknüpft und sich gleich-
zeitig erstmals auch elektronischen Elementen widmet.

ADAM AUDIO T5V IN NOVEMBER-AUSGABE VERSCHOBEN


Die T7V hat Autor Anselm Görtz bereits getestet, nun standen die kleinen Geschwister
im Messelabor. Der T5V verfügt über einen 5"-Woofer, der laut Hersteller eine Bass-
Erweiterung bis hinunter zu 45 Hz ermöglicht. Der neue U-ART-Hochtöner soll über
einen unverfälschten und erweiterten Hochtonbereich von bis zu 25 kHz verfügen
und eine bahnbrechende Lösung für hochauflösende Aufnahmen und Mixes mit klei-
nem Budget darstellen. Mal sehen, was in ihnen steckt!

SOUND & RECORDING 11.2018 erscheint am 02.11.2018

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