ACT Part1 EU de
ACT Part1 EU de
ACT Part1 EU de
KOMMISSION
vom 28.9.2017
DE DE
INHALT
Abkürzungen .............................................................................................................................. 6
EINLEITUNG .......................................................................................................................... 11
1. Überblick über den Europäischen Haftbefehl (EuHB) .............................................. 11
1.1. Hintergrund des EuHB ............................................................................................... 11
1.2. Definition und wesentliche Merkmale des EuHB ...................................................... 11
1.3. Das EuHB-Formblatt.................................................................................................. 14
TEIL I: AUSSTELLUNG EINES EuHB ................................................................................ 15
2. Anforderungen an die Ausstellung eines EuHB ........................................................ 15
2.1. Anwendungsbereich des EuHB .................................................................................. 15
2.1.1. Strafverfolgung........................................................................................................... 15
2.1.2. Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel
der Sicherung.............................................................................................................. 16
2.1.3. Das Erfordernis einer vollstreckbaren justiziellen Entscheidung .............................. 17
2.2. Liste der 32 Straftaten, bei denen eine Übergabe ohne Überprüfung des
Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit erfolgt ..................................................... 18
2.3. Akzessorische Straftaten ............................................................................................ 18
2.4. Verhältnismäßigkeit ................................................................................................... 19
2.5. Sonstige von Unionsrechtsakten vorgesehene Maßnahmen im Bereich der
justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen ............................................................... 20
2.5.1. Europäische Ermittlungsanordnung (EEA) ................................................................ 21
2.5.2. Überstellung von Strafgefangenen ............................................................................. 22
2.5.3. Europäische Überwachungsanordnung ...................................................................... 23
2.5.4. Übertragung von Bewährungsentscheidungen und alternativen Sanktionen ............. 24
2.5.5. Geldstrafen und Geldbußen ........................................................................................ 25
2.5.6. Übertragung der Strafverfolgung ............................................................................... 25
2.6. Grundsatz der Spezialität – etwaige Strafverfolgung wegen anderer Straftaten ........ 25
3. Verfahren für den Erlass eines EuHB ........................................................................ 27
3.1. Andere anhängige Strafverfahren und EuHBe gegen dieselbe Person ...................... 27
3.1.1. Im Ausstellungsmitgliedstaat ..................................................................................... 27
3.1.2. In einem anderen Mitgliedstaat .................................................................................. 28
3.2. Ausfüllen des EuHB-Formblatts ................................................................................ 29
2
3.2.1. In allen Fällen notwendige Angaben .......................................................................... 29
3.2.2. Nützliche Zusatzinformationen der ausstellenden Justizbehörde .............................. 29
3.3. Übermittlung des EuHB ............................................................................................. 30
3.3.1. Wenn der Aufenthaltsort der gesuchten Person nicht bekannt ist .............................. 30
3.3.2. Wenn der Aufenthaltsort der gesuchten Person bekannt ist ....................................... 31
3.3.3. Übermittlung des EuHB an Mitgliedstaaten, die das SIS nicht nutzen ...................... 32
3.4. Übersetzung des EuHB .............................................................................................. 32
3.5. Nach Festnahme der gesuchten Person: Zusammenarbeit und Kommunikation
mit den zuständigen Behörden des Vollstreckungsmitgliedstaats ............................. 33
TEIL II: VOLLSTRECKUNG EINES EuHB ...................................................................... 34
4. Verfahren für die Vollstreckung eines EuHB ............................................................ 34
4.1. Fristen für die Entscheidung über die Vollstreckung des EuHB ............................... 34
4.2. Fristen für die Übergabe der gesuchten Person (nach der Entscheidung über die
Vollstreckung des EuHB)........................................................................................... 35
4.3. Übersetzung des EuHB .............................................................................................. 36
4.4. Kommunikation zwischen den zuständigen Justizbehörden der Mitgliedstaaten
vor der Entscheidung über die Übergabe ................................................................... 36
4.4.1. Wann sollte Kontakt aufgenommen werden? ............................................................ 36
4.4.2. Wie sollte Kontakt aufgenommen werden? ............................................................... 37
4.5. Pflicht der vollstreckenden Justizbehörde, nach der Entscheidung über die
Übergabe die ausstellende Justizbehörde zu unterrichten .......................................... 39
4.5.1. Unterrichtung über die Übergabeentscheidung .......................................................... 39
4.5.2. Unterrichtung über die Dauer der Haft ...................................................................... 40
4.6. Inhafthaltung der mit EuHB gesuchten Person im Vollstreckungsmitgliedstaat ....... 41
5. Entscheidung über die Übergabe................................................................................ 42
5.1. Allgemeine Pflicht zur Vollstreckung der EuHBe ..................................................... 42
5.2. Liste der 32 Straftaten, die eine Übergabe ohne Überprüfung des Vorliegens der
beiderseitigen Strafbarkeit zur Folge haben ............................................................... 42
5.3. Akzessorische Straftaten ............................................................................................ 43
5.4. Gründe für die Ablehnung der Vollstreckung ............................................................ 43
5.4.1. Zwingende Ablehnungsgründe .................................................................................. 44
5.4.2. Fakultative Ablehnungsgründe .................................................................................. 45
5.5. Abwesenheitsurteile ................................................................................................... 48
3
5.6. Grundrechtserwägungen der vollstreckenden Justizbehörde ..................................... 50
5.7. Verhältnismäßigkeit – Rolle des Vollstreckungsmitgliedstaats ................................. 52
5.8. Garantien, die der Ausstellungsmitgliedstaat zu gewähren hat.................................. 52
5.8.1. Überprüfung des lebenslangen Freiheitsentzugs ........................................................ 53
5.8.2. Rücküberstellung von Staatsangehörigen und Gebietsansässigen ............................. 53
5.9. Aufschub und vorübergehende Übergabe .................................................................. 54
5.9.1. Schwerwiegende humanitäre Gründe......................................................................... 54
5.9.2. Laufendes Strafverfahren oder Vollstreckung einer Freiheitsstrafe .......................... 55
5.9.3. Vorübergehende Übergabe statt Aufschub ................................................................ 55
5.9.4. Aufschub der Vollstreckung des EuHB wegen einer echten Gefahr
unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung der gesuchten Person ................... 56
5.10. Mehrere EuHBe gegen dieselbe Person ..................................................................... 56
5.10.1. Entscheidung, welcher EuHB vollstreckt wird .......................................................... 56
5.10.2. „Parallelverfahren“ ..................................................................................................... 57
6. Anrechnung der im Vollstreckungsmitgliedstaat verbüssten Haft ............................. 58
7. Weitere Übergabe ....................................................................................................... 58
7.1. An einen anderen Mitgliedstaat.................................................................................. 58
7.2. An einen Drittstaat ..................................................................................................... 59
8. Verpflichtungen im Verhältnis zu Drittstaaten .......................................................... 60
8.1. Gleichzeitiger Eingang von EuHBen und Auslieferungsersuchen für dieselbe
Person ......................................................................................................................... 60
8.1.1. Ersuchen von Drittstaaten .......................................................................................... 60
8.1.2. Ersuchen des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) ........................................... 61
8.2. Vorherige Auslieferung aus einem Drittstaat und Grundsatz der Spezialität ............ 61
9. Durchlieferung ........................................................................................................... 62
9.1. Durchlieferung durch einen anderen Mitgliedstaat .................................................... 62
9.2. Staatsangehörige und Gebietsansässige des Durchlieferungsmitgliedstaats .............. 63
9.3. Auslieferung aus einem Drittstaat an einen Mitgliedstaat ......................................... 63
10. Nicht vollstreckte EuHBe........................................................................................... 63
10.1. Verhinderung der erneuten Festnahme der Person im selben Mitgliedstaat .............. 63
10.2. Mitteilung an den Ausstellungsmitgliedstaat ............................................................. 63
4
10.3. Prüfung der Aufrechterhaltung oder Aufhebung des EuHB durch die
ausstellende Justizbehörde ......................................................................................... 64
10.4. Überprüfung von seit Langem bestehenden EuHBen im SIS .................................... 64
11. Verfahrensrechte der gesuchten Person ..................................................................... 65
11.1. Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzung ..................................................... 65
11.2. Recht auf Belehrung und Unterrichtung .................................................................... 66
11.3. Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand .............................................................. 66
11.4. Recht auf Benachrichtigung eines Dritten von dem Freiheitsentzug ......................... 67
11.5. Recht auf Kommunikation mit Dritten....................................................................... 67
11.6. Recht auf Kommunikation mit Konsularbehörden .................................................... 67
11.7. Besondere Rechte von Kindern .................................................................................. 68
11.8. Recht auf Prozesskostenhilfe ..................................................................................... 68
ANHANG I – Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, inoffizielle
konsolidierte Fassung ................................................................................................. 70
ANHANG II — EuHB-FORMBLATT, enthalten im Anhang des EuHB-
Rahmenbeschlusses .................................................................................................... 96
ANHANG III — LEITLINIEN FÜR DAS AUSFÜLLEN EINES EuHB-FORMBLATTS. 104
ANHANG IV — SPRACHEN, IN DENEN EIN EUHB VON DEN
MITGLIEDSTAATEN AKZEPTIERT WIRD ....................................................... 123
ANHANG V — LISTE VON URTEILEN DES GERICHTSHOFS ZUM EUHB-
RAHMENBESCHLUSS .......................................................................................... 125
ANHANG VI — URTEILE DES GERICHTSHOFS ZUM GRUNDSATZ NE BIS IN
IDEM ........................................................................................................................ 127
ANHANG VII – STANDARDFORMULAR ZU EINER EuHB-ENTSCHEIDUNG .......... 132
ANHANG VIII — LISTE DER MITGLIEDSTAATEN, DEREN RECHTSORDNUNG
DIE ÜBERGABE WEGEN STRAFTATEN ERLAUBT, DIE MIT EINEM
NIEDRIGEREN STRAFMASS BEDROHT SIND ALS IN ARTIKEL 2
ABSATZ 1 DES RAHMENBESCHLUSSES ÜBER DEN EUROPÄISCHEN
HAFTBEFEHL ANGEGEBEN, WENN DIESE TATEN DAS MERKMAL
DER AKZESSORIETÄT ZU DER (DEN) HAUPTTAT(EN) ERFÜLLEN .......... 134
ANHANG IX — MUSTERBEISPIEL EINER RECHTSBELEHRUNG FÜR
PERSONEN, DIE AUF DER GRUNDLAGE EINES EUROPÄISCHEN
HAFTSBEFEHLS FESTGENOMMENEN WERDEN........................................... 135
5
Abkürzungen
SIS Schengen-Informationssystem
6
Haftungsausschluss:
Dieses Handbuch ist weder rechtsverbindlich noch erschöpfend. Es berührt weder das
bestehende Unionsrecht noch seine künftige Entwicklung noch die verbindliche
Auslegung des Unionsrechts durch den Gerichtshof der Europäischen Union.
7
ERLASS EINES EUROPÄISCHEN HAFTBEFEHLS
Ablauf
(JB = Justizbehörde)
STRAFVERFAHREN IM AUSSTELLUNGSMITGLIEDSTAAT
8
VOLLSTRECKUNG EINES EUROPÄISCHEN HAFTBEFEHLS
Ablauf
(JB = Justizbehörde)
JA NEIN
9
VORWORT
Dieses Handbuch ist eine revidierte Fassung des vom Rat 20081 herausgegebenen und
20102 überarbeiteten Handbuchs mit Hinweisen zum Ausstellen eines Europäischen
Haftbefehls. Nach Ablauf der im Vertrag von Lissabon vorgesehenen fünfjährigen
Übergangsfrist für Rechtsakte, die im Rahmen der ehemaligen „dritten Säule“ des
Vertrags erlassen worden sind3, wozu auch der Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates
vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren
zwischen den Mitgliedstaaten4 („EuHB-Rahmenbeschluss“) gehört, hat die Kommission
die Aktualisierung und Überarbeitung des Handbuchs übernommen.
In dieses Handbuch sind die Erfahrungen eingeflossen, die in den letzten 13 Jahren in der
Union mit der Anwendung des Europäischen Haftbefehls gemacht wurden. Das
Handbuch wurde aktualisiert, ergänzt und benutzerfreundlicher gestaltet. Zur
Vorbereitung der neuen Fassung hat die Kommission verschiedene Akteure und
Fachkreise, darunter Eurojust, das Sekretariat des Europäischen Justiziellen Netzes und
Regierungssachverständige der Mitgliedstaaten, sowie die Justizbehörden konsultiert.
Das Handbuch ist im Internet in allen Amtssprachen der Europäischen Union abrufbar
unter: https://e-justice.europa.eu.
1
8216/2/08 REV 2 COPEN 70 EJN 26 EUROJUST 31.
2
17195/1/10 REV 1 COPEN 275 EJN 72 EUROJUST 139.
3
Protokoll (Nr. 36) über die Übergangsbestimmungen.
4
ABl. L 190 vom 18.7.2002, S. 1.
10
EINLEITUNG
Der Rahmenbeschluss über den EuHB wurde vom Rat am 13. Juni 2002 erlassen und die
Mitgliedstaaten mussten ihn bis zum 31. Dezember 2003 in innerstaatliches Recht
umsetzen. Seit dem 1. Januar 2004 hat die neue Übergaberegelung somit – mit einigen
wenigen Ausnahmen – die Auslieferungsregelungen ersetzt. Was die Übergabeverfahren
im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander betrifft, hat der Rahmenbeschluss die
diesbezüglichen Bestimmungen der folgenden Übereinkünfte ersetzt:
d) des Übereinkommens vom 27. September 1996 über die Auslieferung zwischen
den Mitgliedstaaten der Europäischen Union6;
e) den Titel III Kapitel 4 des Übereinkommens vom 19. Juni 1990 zur
Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985
betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen
Grenzen7.
Der EuHB ist eine in der Union vollstreckbare justizielle Entscheidung, die von einem
Mitgliedstaat erlassen und in einem anderen Mitgliedstaat auf der Grundlage des
Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung vollstreckt wird.
Der Gerichtshof hat in seinen Urteilen in der Rechtssache C-452/16 PPU, Poltorak8, und
der Rechtssache C-477/16 PPU, Kovalkovas9, darauf hingewiesen, dass der EuHB nach
Artikel 1 Absatz 1 des EuHB-Rahmenbeschlusses eine „justizielle Entscheidung“
5
ABl. C 78 vom 30.3.1995, S. 2.
6
ABl. C 313 vom 23.10.1996, S. 12.
7
ABl. L 239 vom 22.9.2000, S. 19.
8
Urteil des Gerichtshofs vom 10. November 2016, Poltorak, C-452/16 PPU, ECLI:EU:C:2016:858.
9
Urteil des Gerichtshofs vom 10. November 2016, Kovalkovas, C-477/16 PPU,
ECLI:EU:C:2016:861.
11
darstellt, die von einer „Justizbehörde“ im Sinne des Artikels 6 Absatz 1 dieses
Rahmenbeschlusses zu treffen ist. Der in Artikel 6 Absatz 1 des
EuHB-Rahmenbeschlusses verwendete Begriff „Justizbehörde“, so der Gerichtshof,
beschränke sich nicht allein auf die Richter oder Gerichte eines Mitgliedstaats, sondern
erfasse darüber hinaus die Behörden, die in der betreffenden Rechtsordnung zur
Mitwirkung bei der Rechtspflege berufen sind. Gleichwohl könne der Begriff
„Justizbehörde“ in der genannten Vorschrift nicht dahin ausgelegt werden, dass es
möglich wäre, ihn auch auf die Polizeibehörden oder auf ein Exekutivorgan eines
Mitgliedstaats wie ein Ministerium zu erstrecken; Entscheidungen solcher Stellen
könnten nicht als „justizielle Entscheidungen“ angesehen werden.
Der EuHB hat das herkömmliche Auslieferungssystem durch einfachere und schnellere
Verfahren für die Übergabe gesuchter Personen zu Zwecken der Strafverfolgung oder der
Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der
Sicherung ersetzt. Ein Haftbefehl kann ausgestellt werden für die Zwecke:
12
und die Nutzung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation (SIS II)10
(„SIS-II-Beschluss“) und Abschnitt 3 des SIRENE-Handbuchs11 festgelegt.
Die Übergabe eigener Staatsangehöriger gilt als Grundsatz und allgemeine Regel, wobei
einige wenige Ausnahmen bestehen. Diese Ausnahmen betreffen die Vollstreckung von
Freiheitsstrafen und gelten in gleicher Weise auch für Gebietsangehörige. Die Praxis hat
gezeigt, dass etwa ein Fünftel aller Übergaben in der Union eigene Staatsangehörige
betreffen.
Die Gründe für die Ablehnung der Vollstreckung sind begrenzt und erschöpfend in den
Artikeln 3, 4 und 4a des EuHB-Rahmenbeschlusses aufgeführt. Die Prüfung der
beiderseitigen Strafbarkeit als Grund für die Ablehnung der Vollstreckung oder der
Übergabe entfällt bei 32 in Artikel 2 Absatz 2 des EuHB-Rahmenbeschlusses
aufgeführten Straftaten, wenn diese Straftaten im Ausstellungsmitgliedstaat nach der
Ausgestaltung in dessen Recht mit einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden
Maßregel der Sicherung im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht sind.
Eine Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit ist allerdings nach wie vor möglich, wenn
die in Rede stehenden Straftaten nach Ansicht der zuständigen Behörde des
Ausstellungsmitgliedstaats nicht von Artikel 2 Absatz 2 des EuHB-Rahmenbeschlusses
erfasst sind. Wie der Gerichtshof in seinem Urteil in der Rechtssache C-289/15,
Grundza12, festgestellt hat, obliegt es der zuständigen Behörde des
Vollstreckungsmitgliedstaats, im Zuge der Beurteilung der beiderseitigen Strafbarkeit zu
überprüfen, ob die der Straftat zugrunde liegenden Sachverhaltselemente als solche auch
im Vollstreckungsmitgliedstaat, wenn sie sich in dessen Hoheitsgebiet ereignet hätten,
einer strafrechtlichen Sanktion unterliegen würden (siehe Abschnitt 5.2).
10
ABl. L 205 vom 7.8.2007, S. 63.
11
Durchführungsbeschluss (EU) 2016/1209 der Kommission vom 12. Juli 2016 zur Ersetzung des
Anhangs zum Durchführungsbeschluss 2013/115/EU über das SIRENE-Handbuch und andere
Durchführungsbestimmungen für das Schengener Informationssystem der zweiten Generation
(SIS II) (ABl. L 203 vom 28.7.2016, S. 35).
12
Urteil des Gerichtshofs vom 11. Januar 2017, Grundza, C-289/15, ECLI:EU:C:2017:4, Rn. 38.
13
Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 zur Änderung der
Rahmenbeschlüsse 2002/584/JI, 2005/214/JI, 2006/783/JI, 2008/909/JI und 2008/947/JI, zur
Stärkung der Verfahrensrechte von Personen und zur Förderung der Anwendung des Grundsatzes
der gegenseitigen Anerkennung auf Entscheidungen, die im Anschluss an eine Verhandlung
ergangen sind, zu der die betroffene Person nicht erschienen ist (ABl. L 81 vom 27.3.2009, S. 24).
13
1.3. Das EuHB-Formblatt
Der EuHB ist eine justizielle Entscheidung, die in der im Anhang des
EuHB-Rahmenbeschlusses vorgegebenen Form ausgestellt wird. Das Formblatt liegt in
allen Amtssprachen der Union vor. Nur dieses Formblatt darf verwendet werden. Es
darf nicht verändert werden. Der Rat wollte den Justizbehörden mit dem leicht
auszufüllenden und leicht anzuerkennenden Formblatt eine Arbeitshilfe zur Verfügung
stellen.
Das Formblatt kann entweder direkt online mithilfe des Kompendium-Assistenten auf
der Website des Europäischen Justiziellen Netzes (EJN) ausgefüllt oder als Word-Datei
aus der Justiz-Bibliothek der EJN-Website heruntergeladen werden (https://www.ejn-
crimjust.europa.eu).
Mit dem Online-Tool ist das Ausfüllen genauso einfach wie in einer Word-Datei, aber es
bietet darüber hinaus eine Reihe moderner, nützlicher und benutzerfreundlicher
Funktionen wie:
14
TEIL I: AUSSTELLUNG EINES EuHB
a) Strafverfolgung; oder
2.1.1. Strafverfolgung
Ein EuHB kann zur strafrechtlichen Verfolgung von Handlungen erlassen werden, die
nach innerstaatlichem Recht mit einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden
Maßregel der Sicherung im Höchstmaß von mindestens zwölf Monaten bedroht sind
(Artikel 2 Absatz 1).
15
Beschluss des Gerichtshofs in der Rechtssache C-463/15 PPU, Openbaar
Ministerie gegen A.14:
„Die Art. 2 Abs. 4 und 4 Nr. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates ...
sind dahin auszulegen, dass sie es nicht gestatten, die Übergabe aufgrund eines
Europäischen Haftbefehls im Vollstreckungsmitgliedstaat nicht nur davon
abhängig zu machen, dass die Handlung, derentwegen dieser Haftbefehl
ausgestellt wurde, eine Straftat nach dem Recht dieses Mitgliedstaats darstellt,
sondern auch davon, dass sie nach dem Recht dieses Staates mit einer
Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens zwölf Monaten bedroht ist.“
Die „Strafverfolgung“ umfasst zwar auch die vorgerichtliche Phase des Strafverfahrens,
doch dient der EuHB nicht der Überstellung von Personen allein zum Zwecke ihrer
Vernehmung als Beschuldigte. Hierfür kommen andere Instrumente wie die Europäische
Ermittlungsanordnung (EEA) in Betracht. In Abschnitt 2.5 wird kurz auf andere
Maßnahmen der justiziellen Zusammenarbeit eingegangen.
Ein EuHB kann zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden
Maßregel der Sicherung von mindestens vier Monaten erlassen werden (Artikel 2
Absatz 1 des EuHB-Rahmenbeschlusses). Ist jedoch nur noch eine kurze Reststrafzeit zu
verbüßen, sollten die zuständigen Justizbehörden prüfen, ob der Erlass eines EuHB
verhältnismäßig ist (siehe die Abschnitte 2.4 und 2.5).
Es besteht kein Zusammenhang zwischen der tatsächlichen und der möglichen Haftdauer.
Ist eine Person beispielsweise wegen mehrerer Straftaten zu einer Gesamtstrafe von
mindestens vier Monaten verurteilt worden, kann der EuHB ungeachtet der für jede
einzelne Straftat geltenden möglichen Höchststrafe erlassen werden.
Ist bekannt, dass die Person in einem anderen Mitgliedstaat wohnt, sollten die
zuständigen Behörden des Ausstellungsmitgliedstaats die Möglichkeit prüfen, die
vollstreckbare Strafe auf den Wohnsitzmitgliedstaat zu übertragen, statt einen EuHB zu
erlassen. Bei dieser Prüfung sollten die sozialen Bindungen der Person und ihre Chancen
auf eine bessere Rehabilitation sowie andere Anforderungen nach Maßgabe des
Rahmenbeschlusses 2008/909/JI des Rates vom 27. November 2008 über die
Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen,
durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke
ihrer Vollstreckung in der Europäischen Union15 berücksichtigt werden (siehe
Abschnitt 2.5.2).
14
Beschluss des Gerichtshofs vom 25. September 2015, A., C-463/15 PPU, ECLI:EU:C:2015:634.
15
ABl. L 327 vom 5.12.2008, S. 27.
16
2.1.3. Das Erfordernis einer vollstreckbaren justiziellen Entscheidung
Vor Erlass des EuHB müssen sich die ausstellenden Justizbehörden stets vergewissern,
dass eine vollstreckbare justizielle Entscheidung vorliegt. Wie diese Entscheidung im
Einzelnen beschaffen sein muss, hängt vom Zweck des EuHB ab. Wird der EuHB zum
Zwecke der Strafverfolgung erlassen, muss von den zuständigen Justizbehörden des
Ausstellungsmitgliedstaats vorher ein nationaler Haftbefehl oder eine andere
vollstreckbare justizielle Entscheidung mit gleicher Rechtswirkung erlassen worden sein
(Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe c des EuHB-Rahmenbeschlusses). Der nationale
Haftbefehl oder die vollstreckbare justizielle Entscheidung ist, wie der Gerichtshof in
seinem Urteil in der Rechtssache C-241/15, Bob-Dogi16, bestätigt hat, nicht mit dem
EuHB identisch. Wird der EuHB zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer
freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung erlassen, muss zuvor ein vollstreckbares
innerstaatliches Urteil ergangen sein.
Der Gerichtshof befand in diesem Fall, dass das System des EuHB einen zweistufigen
Schutz der Verfahrens- und Grundrechte enthält, der der gesuchten Person
zugutekommen muss – der gerichtliche Schutz auf der ersten Stufe beim Erlass einer
nationalen justiziellen Entscheidung (wie z. B. eines nationalen Haftbefehls) und der
Schutz, der auf der zweiten Stufe bei der Ausstellung des EuHB zu gewährleisten ist. An
diesem zweistufigen gerichtlichen Schutz fehlt es prinzipiell, wenn vor der Ausstellung
eines EuHB keine durch eine nationale Justizbehörde getroffene innerstaatliche
Entscheidung, auf die sich der EuHB stützt, ergangen ist.
Der Begriff der (nicht mit dem EuHB identischen) „justiziellen Entscheidung“ ist vom
Gerichtshof in seinem Urteil in der Rechtssache C-453/16 PPU, Özçelik17, weiter dahin
präzisiert worden, dass die Bestätigung eines nationalen Haftbefehls durch die
Staatsanwaltschaft, der zuvor von einer Polizeibehörde erlassen und Grundlage des
EuHB darstellt, eine „justizielle Entscheidung“ darstellt.
„Art. 8 Abs. 1 Buchst. c des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates ... ist
dahin auszulegen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Bestätigung
16
Urteil des Gerichtshofs vom 1. Juni 2016, Bob-Dogi, C-241/15, ECLI:EU:C:2016:385.
17
Urteil des Gerichtshofs vom 10. November 2016, Özçelik, C-453/16 PPU, ECLI:EU:C:2016:860.
17
eines zuvor von einer Polizeibehörde zur Strafverfolgung erlassenen nationalen
Haftbefehls durch die Staatsanwaltschaft eine ‚justizielle Entscheidung‘ im
Sinne dieser Vorschrift darstellt.“
2.2. Liste der 32 Straftaten, bei denen eine Übergabe ohne Überprüfung des
Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit erfolgt
Vor Erlass des EuHB sollte die zuständige Justizbehörde prüfen, ob die Straftat(en) einer
der 32 Straftaten zuzuordnen ist (sind), bei denen das Vorliegen der beiderseitigen
Strafbarkeit nicht zu überprüfen ist. Die Liste der Straftaten findet sich in Artikel 2
Absatz 2 des EuHB-Rahmenbeschlusses sowie im EuHB-Formblatt, in dem die infrage
kommenden Straftaten „anzukreuzen“ sind.
Maßgebend ist das Recht des Ausstellungsmitgliedstaats. Dieser Grundsatz wurde vom
Gerichtshof in seinem Urteil in der Rechtssache C-303/05, Advocaten voor de Wereld18,
bestätigt. Danach verstößt Artikel 2 Absatz 2 des EuHB-Rahmenbeschlusses weder
gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen
noch gegen den Grundsatz der Gleichheit und Nichtdiskriminierung.
Die vollstreckende Justizbehörde darf nur bei Straftaten, die nicht in der Liste aufgeführt
sind, das Vorliegen der beiderseitigen Strafbarkeit prüfen (siehe Abschnitt 5.2).
(1) Ausgeliefert wird wegen Handlungen, die sowohl nach dem Recht des
ersuchenden als auch nach dem des ersuchten Staates mit einer
Freiheitsstrafe oder die Freiheit beschränkenden Maßregel der Sicherung
und Besserung im Höchstmaß von mindestens einem Jahr oder mit einer
schwereren Strafe bedroht sind. Ist im Hoheitsgebiet des ersuchenden
Staates eine Verurteilung zu einer Strafe erfolgt oder eine Maßregel der
Sicherung und Besserung angeordnet worden, so muss deren Maß
mindestens vier Monate betragen.
18
Urteil des Gerichtshofs vom 3. Mai 2007, Advocaten voor de Wereld, C-303/05,
ECLI:EU:C:2007:261, Rn. 48 bis 61.
18
ersuchte Staat berechtigt, die Auslieferung auch wegen dieser Handlungen
zu bewilligen.“
In Anhang VIII sind die Mitgliedstaaten aufgeführt, deren Rechtsordnung die Übergabe
wegen einer akzessorischen Straftat vorsieht.
2.4. Verhältnismäßigkeit
Ein EuHB muss stets in einem angemessenen Verhältnis zu seinem Zweck stehen. Auch
wenn der Fall so gelagert ist, dass er von Artikel 2 Absatz 1 des
EuHB-Rahmenbeschlusses erfasst wird, sollten die ausstellenden Justizbehörden prüfen,
ob der Erlass eines EuHB in dem betreffenden Fall gerechtfertigt ist.
Angesichts der schwerwiegenden Folgen, die sich aus der Vollstreckung eines EuHB
hinsichtlich der persönlichen Freiheit der gesuchten Person ergeben, sowie der
Beschränkungen der Freizügigkeit, sollten die ausstellenden Justizbehörden vor der
Ausstellung eines EuHB anhand einer Reihe von Kriterien prüfen, ob es gerechtfertigt
ist, einen EuHB auszustellen.
b) die zu erwartende Strafe, falls die Person der ihr zur Last gelegten Tat für
schuldig befunden wird (beispielsweise ob eine Freiheitsstrafe zu erwarten ist);
Des Weiteren sollten die ausstellenden Justizbehörden prüfen, ob anstelle des EuHB
nicht andere Maßnahmen der justiziellen Zusammenarbeit genutzt werden könnten.
19
Andere Unionsrechtsinstrumente im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in
Strafsachen sehen eine Reihe anderer Maßnahmen vor, die in vielen Fällen effektiv, aber
weniger einschneidend sind (siehe Abschnitt 2.5).
Ganz allgemein ist die Durchführung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass eines
EuHB dazu angetan, das Vertrauen der mitgliedstaatlichen Behörden untereinander zu
stärken. Eine solche Prüfung trägt daher wesentlich zur effektiven Verwendung des
EuHB in der Union bei.
Vor Erlass eines EuHB sollten die ausstellenden Justizbehörden andere Möglichkeiten
sorgfältig prüfen.
Der Anwendungsbereich dieser Maßnahmen wird kurz in den Abschnitten 2.5.1 bis 2.5.5
erläutert. Die zuständigen Behörden können darüber hinaus die Möglichkeiten nutzen,
die andere internationale Instrumente wie das Übereinkommen des Europarats über die
Übertragung der Strafverfolgung vom 15. Mai 1972 (SEV Nr. 073) bieten (Näheres dazu
in Abschnitt 2.5.6).
20
In der vorgerichtlichen Phase des Strafverfahrens kommen unter anderem folgende
Maßnahmen in Betracht:
Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014
über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen19
Die EEA kann zur Erlangung von Beweisen aus einem anderen Mitgliedstaat verwendet
werden. Sie erfasst Ermittlungsmaßnahmen jedweder Art mit Ausnahme der Einsetzung
gemeinsamer Ermittlungsgruppen. Damit soll es einem Mitgliedstaat ermöglicht werden,
19
ABl. L 130 vom 1.5.2014, S. 1.
21
einen anderen Mitgliedstaat auf der Basis des Grundsatzes der gegenseitigen
Anerkennung um die Vornahme von Ermittlungshandlungen zu ersuchen. Europäischen
Ermittlungsanordnungen, die Maßnahmen zum Gegenstand haben, die es im
Vollstreckungsmitgliedstaat nicht gibt oder die dort nicht genutzt werden können, kann
dessen ungeachtet durch Rückgriff auf alternative Ermittlungsmaßnahmen Folge geleistet
werden.
Die EEA ist an die Stelle des Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen
zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union20 getreten und hat die bisher
lückenhafte Regelung in diesem Bereich abgelöst. Mit der Zusammenführung der
bestehenden Maßnahmen in einem einzigen neuen Rechtsinstrument soll die justizielle
Zusammenarbeit bei strafrechtlichen Ermittlungen schneller und effizienter
vonstattengehen. Eine EEA kann in Strafverfahren, aber – nach Validierung durch eine
Justizbehörde – auch in Verfahren eingesetzt werden, die von einer Verwaltungsbehörde
eingeleitet wurden, wenn diese Verfahren eine strafrechtliche Komponente aufweisen.
Die Mitgliedstaaten müssen innerhalb von 30 Tagen über die Anerkennung oder
Vollstreckung einer EEA entscheiden und die betreffende Ermittlungsmaßnahme
innerhalb von 90 Tagen nach Erlass dieser Entscheidung durchführen.
In bestimmten Fällen kann eine EEA auch zur Vernehmung einer beschuldigten Person
per Videoverbindung erlassen werden, um auf diese Weise festzustellen, ob gegen die
Person ein EuHB zu Strafverfolgungszwecken erlassen werden muss oder nicht.
Beispiel 2: Eine andere Möglichkeit im Fall des Beispiels 1 bestünde darin, dass
die Justizbehörde von A eine EEA erlässt, mit der die zuständigen Behörden von
B um die Vernehmung von Pierre und die Vorlage eines schriftlichen
Vernehmungsprotokolls ersucht werden.
Rahmenbeschluss 2008/909/JI des Rates vom 27. November 2008 über die Anwendung
des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die
eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer
Vollstreckung in der Europäischen Union
20
Übereinkommen gemäß Artikel 34 des Vertrags über die Europäische Union – vom Rat erstellt –
über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union
(ABl. C 197 vom 12.7.2000, S. 3).
22
Durch diesen Rahmenbeschluss wurde das Übereinkommen des Europarats
vom 21. März 1983 über die Überstellung verurteilter Personen (SEV Nr. 112) und
dessen Zusatzprotokoll vom 18. Dezember 1997 (SEV Nr. 167) im Verhältnis der
Mitgliedstaaten untereinander ersetzt.
In manchen Fällen könnte statt eines EuHB, der auf die Übergabe der Person zwecks
Verbüßung ihrer Strafe in dem Mitgliedstaat, in dem sie verurteilt wurde, gerichtet ist,
Rahmenbeschluss 2008/909/JI herangezogen werden, um die Strafe dort zu vollstrecken,
wo die verurteilte Person wohnt und unter Umständen eine bessere
Wiedereingliederungsprognose hat.
Artikel 25 des Rahmenbeschlusses 2008/909/JI enthält eine besondere Regelung für die
Vollstreckung von Freiheitsstrafen im Vollstreckungsmitgliedstaat in Fällen nach
Artikel 4 Nummer 6 und Artikel 5 Nummer 3 des EuHB-Rahmenbeschlusses (siehe die
Abschnitte 5.4.2 und 5.8.2 dieses Handbuchs). In Fällen, in denen Artikel 4 Nummer 6
oder Artikel 5 Nummer 3 des EuHB-Rahmenbeschlusses Anwendung findet, muss auch
der Rahmenbeschluss 2008/909/JI zur Übertragung der Strafe auf den Mitgliedstaat, in
dem sie vollstreckt werden soll, angewendet werden.
Beispiel 1:
Die Behörden von A können die Strafe ohne Jerzys Zustimmung auf B zur
Vollstreckung übertragen, wenn sich dadurch seine Chance auf
Wiedereingliederung verbessert und andere Voraussetzungen des
Rahmenbeschlusses 2008/909/JI erfüllt sind.
Beispiel 2:
Gustav ist Staatsangehöriger des Mitgliedstaats B, lebt aber mit seiner Familie
in Mitgliedstaat A, wo er einer unbefristeten Erwerbstätigkeit nachgeht. In
Mitgliedstaat В wird er wegen einer Steuerstraftat zu einer Freiheitsstrafe
verurteilt. Statt einen EuHB zwecks Strafvollstreckung zu erlassen, können die
Behörden von B die Freiheitsstrafe auf A übertragen, so dass Gustav die Strafe
in A verbüßen kann.
Rahmenbeschluss 2009/829/JI des Rates vom 23. Oktober 2009 über die Anwendung —
zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union — des Grundsatzes der
gegenseitigen Anerkennung auf Entscheidungen über Überwachungsmaßnahmen als
Alternative zur Untersuchungshaft21
21
ABl. L 294 vom 11.11.2009, S. 20.
23
Gerichtsverhandlung im anderen Mitgliedstaat in ihrer gewöhnlichen Umgebung einer
Überwachungsmaßnahme unterstellt werden. Die Europäische Überwachungsanordnung
kann für alle vorgerichtlichen Überwachungsmaßnahmen ohne Freiheitsentzug wie
z. B. Reisebeschränkungen oder Meldeauflagen verwendet werden.
Beispiel: Sonia lebt und arbeitet in Mitgliedstaat B. Sie hält sich vorübergehend
in Mitgliedstaat A auf, wo gegen sie wegen Betrugs ermittelt wird. Die
Justizbehörde von A weiß, wo Sonia in B wohnt, und hält die Fluchtgefahr für
gering. Statt sie in A in Untersuchungshaft zu nehmen, kann die Justizbehörde
von A ihr zur Auflage machen, sich regelmäßig bei der Polizei in B zu melden.
Damit Sonia nach B zurückkehren und dort bis zur Gerichtsverhandlung, die in
A stattfindet, bleiben kann, kann die zuständige Behörde von A mit Sonias
Zustimmung eine Europäische Überwachungsanordnung erlassen, um die
Meldepflicht in B anerkennen und vollstrecken zu lassen.
Rahmenbeschluss 2008/947/JI des Rates vom 27. November 2008 über die Anwendung
des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile und
Bewährungsentscheidungen im Hinblick auf die Überwachung von
Bewährungsmaßnahmen und alternativen Sanktionen22
Dem Rahmenbeschluss zufolge kann ein anderer Mitgliedstaat als der, in dem die Person
verurteilt wurde, Bewährungsentscheidungen oder andere alternative Sanktionen
vollstrecken, sofern die Person dem zugestimmt hat.
22
ABl. L 337 vom 16.12.2008, S. 102.
24
2.5.5. Geldstrafen und Geldbußen
Rahmenbeschluss 2005/214/JI des Rates vom 24. Februar 2005 über die Anwendung des
Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen23
In manchen Mitgliedstaaten kann eine nicht beglichene Geldstrafe oder Geldbuße in eine
Haftstrafe umgewandelt werden. In diesen Fällen kann zur Vollstreckung der Haftstrafe
ein EuHB ausgestellt werden. Bevor eine Geldstrafe in eine Haftstrafe umgewandelt
wird, sollte wenn möglich Rahmenbeschluss 2005/214/JI zur Durchsetzung finanzieller
Sanktionen herangezogen werden, um nicht auf den EuHB zurückgreifen zu müssen.
In bestimmten Fällen sollte die Übertragung der Strafverfolgung auf den Mitgliedstaat, in
dem die beschuldigte Person wohnhaft ist, in Betracht gezogen werden. Rechtsgrundlage
ist das Übereinkommen des Europarats aus dem Jahr 1972 über die Übertragung der
Strafverfolgung. Bei den Mitgliedstaaten, die dieses Übereinkommen nicht ratifiziert
haben, kann die Übertragung der Strafverfolgung auf die allgemeine Zuständigkeit im
ersuchten Mitgliedstaat für die Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen gestützt werden.
Im letzteren Fall wird das Ersuchen in der Regel auf Artikel 21 des Europäischen
Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 (SEV Nr. 030)
gestützt.
23
ABl. L 76 vom 22.3.2005, S. 16.
24
Urteil des Gerichtshofs vom 14. November 2013, Baláž, C-60/12, ECLI:EU:C:2013:733.
25
Maßnahme unterworfen werden. So lautet der in Artikel 27 des
EuHB-Rahmenbeschlusses verankerte Grundsatz der Spezialität.
Von diesem Grundsatz gibt es jedoch eine Reihe von Ausnahmen. Der
EuHB-Rahmenbeschluss gibt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit mitzuteilen, dass sie
in ihren Beziehungen zu anderen Mitgliedstaaten, die die gleiche Mitteilung gemacht
haben, auf die Anwendung des Grundsatzes der Spezialität verzichten, sofern die
vollstreckende Justizbehörde im Einzelfall in ihrer Übergabeentscheidung keine anders
lautende Erklärung abgibt (siehe Artikel 27 Absatz 1 des EuHB-Rahmenbeschlusses).
Den der Kommission vorliegenden Informationen zufolge haben nur Estland, Österreich
und Rumänien von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.
„a) wenn die Person das Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates, dem sie übergeben
worden ist, innerhalb von 45 Tagen nach ihrer endgültigen Freilassung nicht
verlassen hat, obwohl sie dazu die Möglichkeit hatte, oder wenn sie nach
Verlassen dieses Gebiets dorthin zurückgekehrt ist;
c) wenn die Strafverfolgung nicht zur Anwendung einer die persönliche Freiheit
beschränkenden Maßnahme führt;
d) wenn die Person der Vollstreckung einer Strafe oder Maßregel der Sicherung
ohne Freiheitsentzug, insbesondere einer Geldstrafe bzw. einer
vermögensrechtlichen Maßnahme oder der an deren Stelle tretenden Maßnahme
unterzogen wird, selbst wenn diese Strafe oder Maßnahme die persönliche
Freiheit einschränken kann;
e) wenn die Person ihre Zustimmung zur Übergabe und gegebenenfalls den
Verzicht auf die Anwendung des Grundsatzes der Spezialität gemäß Artikel 13
erklärt hat;
f) wenn die Person nach ihrer Übergabe ausdrücklich auf die Anwendung des
Grundsatzes der Spezialität in Bezug auf bestimmte vor der Übergabe
begangene Handlungen verzichtet hat. Die Verzichterklärung wird vor den
zuständigen Justizbehörden des Ausstellungsmitgliedstaats abgegeben und nach
dessen innerstaatlichem Recht zu Protokoll genommen. Die Verzichterklärung
ist so abzufassen, dass aus ihr hervorgeht, dass die betreffende Person sie
freiwillig und in voller Kenntnis der sich daraus ergebenden Folgen abgegeben
hat. Zu diesem Zweck hat die Person das Recht, einen Rechtsbeistand
hinzuzuziehen“.
26
Die vollstreckende Justizbehörde kann ihre Zustimmung gegebenenfalls an eine der in
Artikel 5 des EuHB-Rahmenbeschlusses niedergelegten Bedingungen knüpfen, die
lebenslange Freiheitsstrafen und die Rücküberstellung eigener Staatsangehöriger oder
Gebietsansässiger betreffen (siehe Abschnitt 5.8 dieses Handbuchs). In solchen Fällen
muss der Ausstellungsmitgliedstaat geeignete Garantien bieten (Artikel 27 Absatz 4 des
EuHB-Rahmenbeschlusses).
Verfahren für den Verzicht auf die Anwendung des Grundsatzes der Spezialität –
Zustimmung der vollstreckenden Justizbehörde
Das Ersuchen um Zustimmung folgt demselben Verfahren wie ein regulärer EuHB und
muss dieselben Angaben enthalten. Die zuständige Justizbehörde übermittelt demnach
das Ersuchen um Zustimmung direkt der vollstreckenden Justizbehörde, die die Person
übergeben hat. Für die Übersetzung der Informationen, die nach Artikel 8 Absatz 1 in
dem Ersuchen anzugeben sind, gelten dieselben Regeln wie für den Europäischen
Haftbefehl. Die vollstreckende Justizbehörde muss ihre Entscheidung spätestens 30 Tage
nach Eingang des Ersuchens treffen (Artikel 27 Absatz 4).
In seinem Urteil in der Rechtssache C-388/08 PPU, Leymann und Pustovarov25, ging der
Gerichtshof der Frage nach, wie festgestellt werden kann, ob die in Rede stehende
Handlung im Sinne des Artikels 27 Absatz 2 des EuHB-Rahmenbeschlusses eine „andere
Handlung“ ist als diejenige, die der Übergabe zugrunde liegt, und die Durchführung des
in Artikel 27 Absatz 3 Buchstabe g und Artikel 27 Absatz 4 des Rahmenbeschlusses
vorgesehenen Zustimmungsverfahrens erforderlich macht. Der Gerichtshof entschied wie
folgt:
3.1.1. Im Ausstellungsmitgliedstaat
25
Urteil des Gerichtshofs vom 1. Dezember 2008, Leymann und Pustovarov, C-388/08 PPU,
ECLI:EU:C:2008:669.
27
Sind im Ausstellungsmitgliedstaat andere Strafverfahren gegen die gesuchte Person
anhängig oder liegen vollstreckbare Freiheitsstrafen vor, sollte sich die zuständige
Justizbehörde mit anderen nationalen Behörden ins Benehmen setzen, bevor ein EuHB
ausgestellt wird. Es muss sichergestellt sein, dass der EuHB alle Straftaten einschließt,
aufgrund deren die gesuchte Person verfolgt werden soll oder im
Ausstellungsmitgliedstaat verurteilt worden ist. Dies ist vor allem wegen des
Grundsatzes der Spezialität ratsam, der einer Strafverfolgung oder Strafvollstreckung
wegen anderer Straftaten als derjenigen, die der Übergabe der betreffenden Person durch
den Vollstreckungsmitgliedstaat zugrunde lagen, entgegenstehen kann (siehe
Abschnitt 2.6). Zwar ist es möglich, die Zustimmung der mit EuHB gesuchten Person
oder des Vollstreckungsmitgliedstaats zur Strafverfolgung oder Strafvollstreckung nach
der Übergabe einzuholen (siehe Artikel 27 Absatz 3 Buchstaben f und g des
EuHB-Rahmenbeschlusses), doch hat sich in der Praxis gezeigt, dass dies aufwendig
oder langwierig sein kann.
Sofern möglich, sollten alle Straftaten in den EuHB aufgenommen werden, da das
Verfahren im Vollstreckungsmitgliedstaat auf diese Weise schneller und effizienter
vonstattengeht. Liegt gegen dieselbe Person bereits ein EuHB vor, sollte dieser nach
Möglichkeit durch einen neuen EuHB ersetzt werden, in den die Straftaten aus dem alten
EuHB und die neuen Straftaten aufgenommen werden. Ist die Person bereits zur
Festnahme ausgeschrieben, sollte die Ausschreibung aktualisiert und der neue EuHB
angegeben werden. Es ist möglich, mehr als einen EuHB pro Ausschreibung zur
Festnahme einzugeben (siehe Abschnitt 3.1 des SIRENE-Handbuchs).
Die zuständigen Behörden sollten im SIS überprüfen, ob die gesuchte Person nicht
bereits von einem anderen Mitgliedstaat zur Festnahme ausgeschrieben worden ist. Ein
und dieselbe Person kann von mehreren Mitgliedstaaten zur Festnahme ausgeschrieben
werden. Im Falle einer Festnahme wird jeder betroffene Mitgliedstaat zeitgleich vom
SIRENE-Büro des Vollstreckungsmitgliedstaats informiert (siehe Abschnitt 3.2 des
SIRENE-Handbuchs).
26
Eine allgemeine Einführung in die Aufgaben von Eurojust und EJN bietet das Dokument
„Internationale Zusammenarbeit in Strafsachen – Hilfestellung für die Praxis — Europäisches
Justizielles Netz und Eurojust — Können wir Ihnen helfen?“, das sowohl auf der Website des EJN
(https://www.ejn-crimjust.europa.eu) als auch auf der Website von Eurojust
(http://www.eurojust.europa.eu) abgerufen werden kann.
28
Es sei darauf hingewiesen, dass der Vollstreckungsmitgliedstaat, wenn er mehrere
EuHBe für die gesuchte Person erhalten hat, stets entscheiden muss, welchem
Mitgliedstaat die Person zu übergeben ist (siehe Abschnitt 5.10). Es könnte sich daher als
effizienter erweisen, wenn die ausstellenden Justizbehörden sich vor dem Erlass mehrerer
EuHBe darüber verständigen würden, welchem Mitgliedstaat die Person zuerst
übergeben werden soll. Die vollstreckende Justizbehörde ist zwar nicht an die
Vereinbarungen gebunden, die die ausstellenden Justizbehörden bei konkurrierenden
EuHBen untereinander getroffen haben, doch sollte die vollstreckende Justizbehörde
diese Vereinbarungen berücksichtigen.
Detaillierte Leitlinien für das Ausfüllen des EuHB-Formblatts sind in Anhang III
enthalten.
Welche Informationen im Einzelnen mitzuteilen sind, hängt von den Umständen des
betreffenden Falls ab. Es sollte jedoch bedacht werden, dass die Behörde, die den EuHB
entgegennimmt, möglicherweise wenig oder gar nichts über den dem Haftbefehl
zugrunde liegenden Fall oder die Rechtsordnung des Ausstellungsmitgliedstaats weiß.
Die ausstellenden Justizbehörden müssen daher unbedingt dafür sorgen, dass die
Angaben im EuHB klar, korrekt und vollständig sind. Wenn das Formblatt
ordnungsgemäß ausgefüllt worden ist, sind keine weiteren Unterlagen erforderlich.
Lichtbilder und Fingerabdrücke der gesuchten Person müssen, sofern vorhanden, in die
SIS-Ausschreibung aufgenommen werden. Darüber hinaus sind immer die Kontaktdaten
und die Mobiltelefonnummer der zuständigen Stelle und der verantwortlichen Person
anzugeben, sodass diese sofort benachrichtigt werden können, egal zu welcher Zeit die
gesuchte Person aufgefunden wird.
29
Ist zu erwarten, dass der Vollstreckungsmitgliedstaat vom Ausstellungsmitgliedstaat
Garantien nach Artikel 5 des EuHB-Rahmenbeschlusses verlangen wird, empfiehlt es
sich, die entsprechenden Angaben im Formblatt zu vermerken. Beispielsweise könnte die
ausstellende Justizbehörde bereits unter bestimmten Bedingungen ihre Zustimmung zur
Rücküberstellung der gesuchten Person an den Vollstreckungsmitgliedstaat signalisieren
(siehe Abschnitt 5.8).
Wie der EuHB übermittelt wird, hängt davon ab, ob der ausstellenden Justizbehörde der
Aufenthalt der gesuchten Person bekannt ist (Artikel 9 des EuHB-Rahmenbeschlusses).
In den meisten Fällen ist der Aufenthaltsort der gesuchten Person unbekannt oder
ungewiss, sodass der EuHB allen Mitgliedstaaten über das SIS übermittelt werden sollte.
Aber auch wenn der Aufenthaltsort der gesuchten Person bekannt ist, kann sich die
ausstellende Justizbehörde für eine Ausschreibung im SIS entscheiden (Artikel 9
Absatz 2 des EuHB-Rahmenbeschlusses).
3.3.1. Wenn der Aufenthaltsort der gesuchten Person nicht bekannt ist
Ist der Aufenthaltsort der gesuchten Person nicht bekannt, sollte der EuHB allen
Mitgliedstaaten übermittelt werden. Hierzu sollte die Person gemäß Artikel 26 des
SIS-II-Beschlusses im SIS zur Festnahme oder Übergabe ausgeschrieben werden. Dabei
ist darauf zu achten, dass die ausstellende Justizbehörde zuerst den EuHB ausstellt. Erst
danach kann sie eine Ausschreibung im SIS veranlassen.
Nach Eingang des Formulars A prüfen alle anderen SIRENE-Büros, ob die darin
enthaltenen Informationen und die Angaben im EuHB vollständig sind. Die
SIRENE-Büros können zudem nach Artikel 25 des SIS-II-Beschlusses unter richterlicher
Aufsicht prüfen, ob offensichtlich ist, dass die Vollstreckung des EuHB abzulehnen sein
wird, und in diesem Fall eine die Festnahme verhindernde Kennzeichnung hinzufügen.
Während dieser Überprüfung sollten die Nutzer weiterhin Zugang zu der Ausschreibung
haben. Die Ausschreibung bleibt für Nutzer sichtbar, wenn ein Mitgliedstaat den EuHB
nicht vollstreckt und deshalb beschließt, die Ausschreibung zu kennzeichnen. Die
gesuchte Person wird nicht festgenommen, sondern lediglich ausfindig gemacht
(Abschnitt 3.6 des SIRENE-Handbuchs).
30
ihnen bekannt oder sogar wegen einer anderen Straftat bereits in Haft ist. Wird die
Person auf der Grundlage dieser Überprüfung ausfindig gemacht, leitet das
SIRENE-Büro die im Formular A enthaltenen Informationen an die zuständige Behörde
weiter, die den EuHB vollstrecken wird.
Die Ausschreibung zur Festnahme ist für die zuständigen Behörden aller Mitgliedstaaten
(in der Regel Strafverfolgungs- und Justizbehörden) sichtbar. Wird die Person auf der
Grundlage der Ausschreibung im SIS in einem anderen Mitgliedstaat ausfindig gemacht
und festgenommen, teilt das nationale SIRENE-Büro dies der ausstellenden
Justizbehörde mit.
Eine Ausschreibung zur Festnahme im SIS, der eine Kopie des Original-EuHB
beigefügt ist, gilt als EuHB und hat die gleiche Wirkung (Artikel 31 Absatz 1
des SIS-II-Beschlusses). Seit Inbetriebnahme des SIS der zweiten Generation ist
die Übermittlung einer Kopie des Original-EuHB auf Papier nicht mehr
erforderlich, da diese Kopie der Ausschreibung direkt beigefügt wird. Die
ausstellende Justizbehörde muss allerdings nach Festnahme der gesuchten
Person dem Vollstreckungsmitgliedstaat unter Umständen nach wie vor eine
Übersetzung des EuHB übermitteln, da der Original-EuHB in der Sprache des
Ausstellungsstaats, das Formular A aber in englischer Sprache ausgefertigt ist.
Der Ausschreibung kann auch sofort eine Kopie der Übersetzung des EuHB in
eine oder mehrere Amtssprachen der Union beigefügt werden.
Auf der EJN-Website (http://www.ejn-crimjust.europa.eu) findet sich eine Liste der von
den Mitgliedstaaten zugelassenen Sprachen (siehe Abschnitt 3.4).
Die ausstellende Justizbehörde sollte dafür sorgen, dass die Ausschreibung im SIS nicht
länger als für den verfolgten Zweck erforderlich gespeichert wird (Artikel 44 Absatz 1
des SIS-II-Beschlusses). Das heißt, dass die Ausschreibung gelöscht werden muss, wenn
der EuHB aufgehoben (siehe Abschnitt 10.4 dieses Handbuchs) oder die Person
übergeben wurde (Abschnitt 3.11 des SIRENE-Handbuchs).
Wenn der Aufenthaltsort der gesuchten Person bekannt ist, kann die ausstellende
Justizbehörde den EuHB direkt der zuständigen Behörde des
Vollstreckungsmitgliedstaats zur Vollstreckung übermitteln (Artikel 9 Absatz 1 des
EuHB-Rahmenbeschlusses).
Um die Fluchtgefahr zu verringern, kann die ausstellende Justizbehörde den EuHB auch
ihrem nationalen SIRENE-Büro übermitteln, das ihn über das SIS an die anderen
Mitgliedstaaten weiterleitet (siehe Abschnitt 3.3.1). Über die Ausschreibung im SIS
erfahren die Polizeistellen der Mitgliedstaaten, dass die Person zur Festnahme
ausgeschrieben ist. Es sollte jedoch allen SIRENE-Büros unmissverständlich angezeigt
31
werden, dass der Aufenthaltsort der Person bekannt ist, um unnötige Nachforschungen zu
vermeiden.
3.3.3. Übermittlung des EuHB an Mitgliedstaaten, die das SIS nicht nutzen
Das SIS wird derzeit von Irland und Zypern nicht genutzt. Muss ein EuHB diesen
Mitgliedstaaten übermittelt werden, kann der Haftbefehl entweder über das betreffende
Nationale Zentralbüro von Interpol oder direkt übermittelt werden. Die Übermittlung
über Interpol ist in Artikel 10 Absatz 3 des EuHB-Rahmenbeschlusses vorgesehen.
Das EuHB-Formblatt muss in der Amtssprache oder in einer der Amtssprachen des
Vollstreckungsmitgliedstaats ausgefüllt oder in diese Sprache übersetzt werden. Wenn
der Vollstreckungsmitgliedstaat jedoch in einer Erklärung angegeben hat, dass er eine
Übersetzung in eine Amtssprache der Organe der Union akzeptiert, kann der EuHB
alternativ auch in eine oder mehrere dieser Sprachen übersetzt werden (Artikel 8
Absatz 2 des EuHB-Rahmenbeschlusses).
Wird der EuHB über das SIS übermittelt, kann der Ausstellungsmitgliedstaat der
Ausschreibung nach Artikel 27 Absatz 2 des SIS-II-Beschlusses eine Übersetzung des
Haftbefehls in eine oder mehrere andere Amtssprachen der Organe der Union beifügen.
Diese Übersetzungen sowie die Formulare A dürften als Grundlage für die in
Abschnitt 3.3.1 dieses Handbuchs genannten Überprüfungen ausreichen. Die Pflicht zur
Übersetzung des EuHB in eine vom Vollstreckungsmitgliedstaat zugelassene Sprache
bleibt allerdings bestehen.
Ist der Ort der Festnahme der gesuchten Person absehbar, empfiehlt es sich, den EuHB
gleich in die Sprache dieses Mitgliedstaats zu übersetzen. Auf diese Weise können die
kurzen Fristen für die Vollstreckung eines EuHB leichter eingehalten werden.
Wird ein EuHB direkt der vollstreckenden Justizbehörde übermittelt, muss eine
Übersetzung beigefügt werden. Da EuHBe als Eilsache erledigt und vollstreckt werden
(Artikel 17 Absatz 1 des EuHB-Rahmenbeschlusses), sollte der
Ausstellungsmitgliedstaat die Übersetzung so schnell wie möglich, in jedem Fall aber
innerhalb der Frist, den der Mitgliedstaat für die Entgegennahme eines übersetzten EuHB
gesetzt hat (siehe Abschnitt 4.3 dieses Handbuchs), übermitteln.
Dabei sollte darauf geachtet werden, dass das Standard-EuHB-Formblatt, das in allen
24 Amtssprachen der Union vorliegt, verwendet wird. Auf der EJN-Website sind alle
Sprachfassungen sowohl in PDF als auch in Word verfügbar (Justiz-Bibliothek und
Kompendium-Assistent).
32
3.5. Nach Festnahme der gesuchten Person: Zusammenarbeit und
Kommunikation mit den zuständigen Behörden des
Vollstreckungsmitgliedstaats
Nach Festnahme der gesuchten Person in einem anderen Mitgliedstaat sollten die
zuständigen Behörden des Ausstellungsmitgliedstaats rasch auf Informationsanfragen
oder andere Ersuchen der Behörden des Vollstreckungsmitgliedstaats reagieren. Die
zuständigen Behörden des Ausstellungsmitgliedstaats werden auf TEIL II dieses
Handbuchs verwiesen, der Leitlinien für eine gute Zusammenarbeit und Kommunikation
mit den zuständigen Behörden des Vollstreckungsmitgliedstaats enthält. EJN oder
Eurojust können behilflich sein, wenn es bei der Kommunikation Probleme gibt. Auch
die SIRENE-Büros helfen regelmäßig bei der Kommunikation, wenn die Person nach
einer Ausschreibung zur Festnahme im SIS festgenommen worden ist.
Falls die ausstellende Justizbehörde beschließt, den EuHB zurückzuziehen, sollte sie dies
der vollstreckenden Justizbehörde unverzüglich mitteilen, vor allem dann, wenn der
gesuchten Person die Freiheit entzogen wurde. Sie muss auch sicherstellen, dass die
Ausschreibung im SIS gelöscht wird.
33
TEIL II: VOLLSTRECKUNG EINES EuHB
4.1. Fristen für die Entscheidung über die Vollstreckung des EuHB
Für die Vollstreckung eines EuHB gelten strenge Fristen. Die Fristen richten sich danach,
ob die mit EuHB gesuchte Person ihrer Übergabe zustimmt. Es wird mit Nachdruck
darauf hingewiesen, dass alle EuHBe trotz der Fristen als Eilsache erledigt und
vollstreckt werden müssen (Artikel 17 Absatz 1 des EuHB-Rahmenbeschlusses).
Wenn die gesuchte Person ihrer Übergabe zustimmt, sollte die endgültige Entscheidung
über die Vollstreckung des EuHB innerhalb von zehn Tagen nach Erteilung der
Zustimmung erfolgen (Artikel 17 Absatz 2 des EuHB-Rahmenbeschlusses).
Wenn die Person ihrer Übergabe nicht zustimmt, sollte die endgültige Entscheidung über
die Vollstreckung des EuHB innerhalb von 60 Tagen nach der Festnahme der
gesuchten Person erfolgen (Artikel 17 Absatz 3 des EuHB-Rahmenbeschlusses).
Wenn in einem Sonderfall der EuHB nicht innerhalb der oben genannten geltenden
Fristen vollstreckt werden kann, können die Fristen ausnahmsweise um weitere 30 Tage
verlängert werden. In einem solchen Fall muss die vollstreckende Justizbehörde die
ausstellende Justizbehörde von diesem Umstand und von den jeweiligen Gründen
unverzüglich in Kenntnis zu setzen (Artikel 17 Absatz 4 des EuHB-Rahmenbeschlusses).
Wie der Gerichtshof in seinem Urteil in der Rechtssache C-168/13 PPU, Jeremy F.27,
entschieden hat, muss ein in einer nationalen Regelung gegen die Übergabeentscheidung
etwaig vorgesehener Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung in jedem Fall unter
Einhaltung der Fristen ausgeübt werden, die im EuHB-Rahmenbeschluss für den Erlass
einer endgültigen Entscheidung vorgesehen sind.
In seinem Urteil in der Rechtssache C-237/15 PPU, Lanigan28, hat der Gerichtshof
festgestellt, dass der Ablauf der Fristen für eine Entscheidung über die Vollstreckung
eines EuHB das zuständige Gericht nicht seiner Verpflichtung zum Erlass einer
diesbezüglichen Entscheidung enthebt und einer Inhafthaltung der gesuchten Person an
sich nicht entgegensteht. Jedoch muss die Freilassung der Person angeordnet und mit den
27
Urteil des Gerichtshofs vom 30. Mai 2013, Jeremy F., C-168/13 PPU, ECLI:EU:C:2013:358.
28
Urteil des Gerichtshofs vom 16. Juli 2015, Lanigan, C-237/15 PPU, ECLI:EU:C:2015:474.
34
erforderlichen Maßnahmen zur Verhinderung ihrer Flucht verbunden werden, wenn die
Haftdauer übermäßig lang ist.
Wenn ein Mitgliedstaat die Fristen nicht einhalten kann, müssen die zuständigen
Behörden Eurojust von diesem Umstand und von den Gründen der Verzögerung in
Kenntnis setzen (Artikel 17 Absatz 7 des EuHB-Rahmenbeschlusses). Angesichts der
zentralen Bedeutung, die der Einhaltung der Fristen für die Funktionsweise des EuHB
zukommt, überwacht Eurojust die ihr zur Kenntnis gebrachten Fälle, in denen die Fristen
nicht eingehalten werden konnten. Auf diese Weise kann Eurojust zur Feststellung der
Probleme beitragen, die zu Verzögerungen führen. In vielen Fällen kann Eurojust den
zuständigen Behörden helfen, die Fristen einzuhalten, indem sie beispielsweise den
Informationsaustausch zwischen den zuständigen Behörden erleichtert.
4.2. Fristen für die Übergabe der gesuchten Person (nach der Entscheidung
über die Vollstreckung des EuHB)
Die Frist für die Übergabe der gesuchten Person beginnt unmittelbar nach Erlass der
endgültigen Entscheidung über die Vollstreckung des EuHB zu laufen. Die zuständigen
Behörden sollten die Übergabe der Person so bald wie möglich regeln und vereinbaren
(Artikel 23 Absatz 1 des EuHB-Rahmenbeschlusses). In jedem Fall muss die Übergabe
spätestens zehn Tage nach der endgültigen Entscheidung über die Vollstreckung des
EuHB erfolgen (Artikel 23 Absatz 2 des EuHB-Rahmenbeschlusses). Aus diesem Grund
ist es erforderlich, dass die praktischen Modalitäten der Übergabe unverzüglich
vereinbart werden.
Wenn die Übergabe der betreffenden Person innerhalb der Frist von zehn Tagen
aufgrund von Umständen, die sich dem Einfluss der Mitgliedstaaten entziehen,
unmöglich ist, müssen sich die vollstreckende und die ausstellende Justizbehörde
unverzüglich miteinander in Verbindung setzen und einen neuen Übergabetermin
vereinbaren. In diesem Fall muss die Übergabe innerhalb von zehn Tagen nach dem
vereinbarten neuen Termin erfolgen (Artikel 23 Absatz 3 des
EuHB-Rahmenbeschlusses).
In seinem Urteil in der Rechtssache C-640/15, Vilkas29, gelangte der Gerichtshof zu dem
Ergebnis, dass die vollstreckende Justizbehörde mit der ausstellenden Justizbehörde
einen neuen Übergabetermin vereinbaren kann, auch wenn bereits zwei
Übergabeversuche am Widerstand der Person gescheitert sind, sofern dieser Widerstand
für die Behörden nicht vorhersehbar war und die Folgen des Widerstands für die
Übergabe trotz Anwendung der gebotenen Sorgfalt durch die Behörden nicht vermieden
werden konnten, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist. Die Behörden
bleiben auch nach Ablauf der in Artikel 23 des EuHB-Rahmenbeschlusses festgelegten
Fristen verpflichtet, einen neuen Übergabetermin zu vereinbaren.
Zur Aussetzung der Übergabe aus schwerwiegenden humanitären Gründen, zum Beispiel
wegen einer schweren Erkrankung der gesuchten Person, siehe Abschnitt 5.9.1.
29
Urteil des Grichtshofs vom 25. Januar 2017, Vilkas, C-640/15, ECLI:EU:C:2017:39.
35
4.3. Übersetzung des EuHB
Die vollstreckende Justizbehörde kann eine Frist für den Eingang einer Übersetzung des
EuHB in eine der Amtssprachen des Vollstreckungsmitgliedstaats oder eine andere
Sprache, die dieser Mitgliedstaat zu akzeptieren angegeben hat, bestimmen. Den
vollstreckenden Justizbehörden wird dringend empfohlen, eine Frist zwischen sechs und
zehn Kalendertagen zu setzen.
Die Erfahrung hat gezeigt, dass eine Frist von weniger als sechs Tagen für eine
Übersetzung in angemessener Qualität häufig zu kurz ist. Eine Frist von mehr als zehn
Tagen hingegen könnte als übermäßige Verlängerung des Verfahrens angesehen werden,
vor allem, wenn sich die betreffende Person in Haft befindet.
Zusätzliche Angaben, die für eine Entscheidung über die Übergabe erforderlich sind
Im Einklang mit dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung darf die vollstreckende
Justizbehörde die Begründetheit der Entscheidungen der Justizbehörden des
Ausstellungsmitgliedstaats nicht infrage stellen.
Die Kommunikation sollte stets so rasch wie möglich, in jedem Fall aber innerhalb der in
Artikel 17 des EuHB-Rahmenbeschlusses festgelegten Fristen für den EuHB erfolgen.
36
Ein typischer Fall, in dem ein Ersuchen um zusätzliche Angaben erforderlich sein kann,
liegt vor, wenn
d) unsicher ist, ob aufgrund des EuHB die richtige Person festgenommen wurde.
In vielen Fällen könnte sich die vollstreckende Justizbehörde mit der ausstellenden
Justizbehörde in Verbindung setzen, bevor sie über die Geltendmachung eines Grundes
für die Ablehnung der Vollstreckung entscheidet. Dies kann zum Beispiel nützlich sein,
um zu ermitteln, ob andere Maßnahmen der justiziellen Zusammenarbeit angewandt
werden könnten, falls der EuHB nicht vollstreckt werden kann.
b) wenn gegen eine Person mehrere EuHBe vorliegen (siehe Abschnitt 5.10).
Der EuHB basiert auf dem Grundsatz des direkten Kontakts zwischen den zuständigen
Behörden. Die direkte Kommunikation zwischen der ausstellenden und der
vollstreckenden Justizbehörde hat den Vorteil, schnell und zuverlässig zu sein.
Die Kommunikation muss jedoch über die zentralen Behörden erfolgen, wenn der
Mitgliedstaat gemäß Artikel 7 des EuHB-Rahmenbeschlusses eine zentrale Behörde für
den amtlichen Schriftverkehr benannt hat. Informationen zu den Mitgliedstaaten, die von
dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, finden sich auf der EJN-Website
(https://www.ejn-crimjust.europa.eu).
Gerichtsatlas (Kontaktdaten)
Die Kontaktdaten der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten finden sich im Atlas auf
der EJN-Website (https://www.ejn-crimjust.europa.eu). Der Atlas soll dazu dienen, die
für die Entgegennahme der zu vollstreckenden Entscheidung örtlich zuständige Behörde
zu ermitteln und sich mit der zuständigen Person in Verbindung zu setzen, um praktische
Fragen in Bezug auf den EuHB und andere Instrumente zu erörtern, die der gegenseitigen
Anerkennung unterliegen.
37
Kommunikationsmittel
Der EuHB-Rahmenbeschluss enthält keine besonderen Vorschriften über die Form oder
das Verfahren der Kommunikation nach Eingang des EuHB. In Betracht kommen alle
verfügbaren hinreichend sicheren Mittel (z. B. Telefon oder E-Mail). Am effizientesten
ist es, direkt und möglichst formlos zu kommunizieren und nach Möglichkeit die
Verwendung einer gemeinsamen Sprache zu vereinbaren.
Es ist ratsam, die Sprache in der schriftlichen Kommunikation so einfach wie möglich zu
halten. Ausdrücke und Begriffe, die in verschiedenen Rechtsordnungen unterschiedliche
Konnotationen haben könnten, sollten vermieden oder aber erläutert werden. Dies trägt
dazu bei, Missverständnisse und Probleme mit Übersetzungen zu vermeiden.
Dringlichkeit
Die zuständigen Behörden sollten auch den Verzögerungen Rechnung tragen, die durch
Ersuchen um zusätzliche Angaben verursacht werden können, und versuchen, solche
Verzögerungen möglichst gering zu halten.
Die Kontaktstellen des EJN oder die nationalen Mitglieder von Eurojust können die
Kommunikation mit Behörden der anderen Mitgliedstaaten erleichtern. Sowohl das EJN
als auch Eurojust kann eine rasche, formlose Kontaktaufnahme zwischen Vertretern der
Rechtsordnungen aller Mitgliedstaaten vermitteln.
Das EJN oder Eurojust unter Berücksichtigung ihrer besonderen Aufgaben in Anspruch
zu nehmen, ist insbesondere in dringenden Fällen sowie dann ratsam, wenn es schwierig
ist, die richtige Behörde zu erreichen.
38
oder andere für den Fall zuständige Personen an der Ausarbeitung des EuHB beteiligt
waren30.
4.5. Pflicht der vollstreckenden Justizbehörde, nach der Entscheidung über die
Übergabe die ausstellende Justizbehörde zu unterrichten
Nachdem die vollstreckende Justizbehörde entschieden hat, ob die mit EuHB gesuchte
Person übergeben wird oder nicht, ist sie verpflichtet, den Ausstellungsmitgliedstaat über
ihre Entscheidung und über die Dauer der Haft zu unterrichten.
Es ist ratsam, für diesen Zweck das Standardformular in Anhang VII dieses Handbuchs
zu verwenden. Ferner wird der vollstreckenden Justizbehörde empfohlen, der
ausstellenden Justizbehörde die Entscheidung direkt zu übermitteln, da dies eine
schnelle, klare Kommunikation erleichtert (siehe Abschnitt 4.4.2).
Eine Ablehnung der Vollstreckung eines EuHB ist zu begründen (Artikel 17 Absatz 6 des
EuHB-Rahmenbeschlusses).
Wenn der EuHB in das SIS eingegeben wurde, sollte die vollstreckende Justizbehörde
ihre Entscheidung dem SIRENE-Büro ihres Mitgliedstaats mitteilen.
30
Eine allgemeine Einführung in die Aufgaben von Eurojust und EJN bietet das Dokument
„Internationale Zusammenarbeit in Strafsachen – Hilfestellung für die Praxis — Europäisches
Justizielles Netz und Eurojust — Können wir Ihnen helfen?“, das sowohl auf der Website des EJN
(https://www.ejn-crimjust.europa.eu) als auch auf der Website von Eurojust
(http://www.eurojust.europa.eu) abgerufen werden kann.
39
4.5.2. Unterrichtung über die Dauer der Haft
Der ausstellenden Justizbehörde sind alle Angaben zur Dauer der Haft, welche die
gesuchte Person aufgrund des EuHB verbüßt hat, zu übermitteln. Der
EuHB-Rahmenbeschluss schreibt vor, dass diese Angaben zum Zeitpunkt der
Übergabe übermittelt werden (Artikel 26 Absatz 2 des EuHB-Rahmenbeschlusses). Die
Angaben können von der vollstreckenden Justizbehörde oder der benannten
Zentralbehörde übermittelt werden.
Es ist wichtig, dass die Behörden des Ausstellungsmitgliedstaats die genaue Haftdauer
kennen. Denn dieser Zeitraum muss auf die rechtskräftig verhängte Freiheitsstrafe oder
freiheitsentziehende Maßregel der Sicherung angerechnet werden (Artikel 26 Absatz 1
des EuHB-Rahmenbeschlusses).
Im Standardformular in Anhang VII ist ein Feld für die Angabe der Dauer der Haft
vorgesehen.
In seinem Urteil in der Rechtssache C-294/16 PPU, JZ31, hat der Gerichtshof Folgendes
entschieden:
„47 … ist der Begriff ‚Haft‘ im Sinne von Art. 26 Abs. 1 des
Rahmenbeschlusses 2002/584 dahin auszulegen, dass er neben der
Inhaftierung jede dem Betroffenen auferlegte Maßnahme oder
Gesamtheit von Maßnahmen umfasst, durch die ihm aufgrund ihrer Art,
ihrer Dauer, ihrer Wirkungen und ihrer Durchführungsmodalitäten die
Freiheit in einer der Inhaftierung vergleichbaren Weise entzogen wird.
31
Urteil des Gerichtshofs vom 28. Juli 2016, JZ, C-294/16 PPU, ECLI:EU:C:2016:610.
40
in dem die Person im Vollstreckungsmitgliedstaat keinen
freiheitsentziehenden, sondern freiheitsbeschränkenden Maßnahmen
unterworfen war, ganz oder teilweise auf die Gesamtdauer des von ihr
im Ausstellungsmitgliedstaat zu verbüßenden Freiheitsentzugs
anzurechnen.
Nach der Festnahme der mit EuHB gesuchten Person aufgrund des EuHB muss die
vollstreckende Justizbehörde entscheiden, ob die Person bis zur Entscheidung über die
Vollstreckung des EuHB in Haft zu halten oder freizulassen ist. Haft ist daher nicht
unbedingt erforderlich, und eine vorläufige Haftentlassung nach Maßgabe der
innerstaatlichen Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaats ist jederzeit
möglich (Artikel 12 des EuHB-Rahmenbeschlusses).
Wenn die Person nicht in Haft gehalten wird, ist die zuständige Behörde des
Vollstreckungsmitgliedstaats verpflichtet, alle Maßnahmen zu treffen, die sie zur
Verhinderung einer Flucht der Person für erforderlich erachtet(Artikel 12 des
EuHB-Rahmenbeschlusses). Zu diesen Maßnahmen könnten zum Beispiel Reiseverbote
oder eine Meldeauflage und eine elektronische Überwachung gehören.
Die Haftentscheidung ist nach nationalem Recht und im Einklang mit Artikel 6 der
Charta der Grundrechte der Europäischen Union, nach dem jeder Mensch das Recht auf
Freiheit und Sicherheit hat, zu treffen.
In seinem Urteil in der Rechtssache C-237/15 PPU, Lanigan, hat der Gerichtshof
festgestellt:
41
Erachtens zur Verhinderung einer Flucht erforderlichen Maßnahmen verbinden
und sicherstellen, dass die materiellen Voraussetzungen für eine tatsächliche
Übergabe der Person weiterhin gegeben sind, solange noch keine endgültige
Entscheidung über die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls ergangen
ist.“
Die vollstreckende Justizbehörde hat grundsätzlich die Pflicht, jeden EuHB nach dem
Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung und gemäß den Bestimmungen des
EuHB-Rahmenbeschlusses (Artikel 1) zu vollstrecken. Auf diese Bestimmungen wird in
den Abschnitten 5 bis 8 dieses Handbuchs eingegangen. Der Entscheidung über die
Übergabe muss innerhalb der in Abschnitt 4 dieses Handbuchs genannten Fristen
nachgekommen werden.
5.2. Liste der 32 Straftaten, die eine Übergabe ohne Überprüfung des
Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit zur Folge haben
Es ist mit Nachdruck darauf hinzuweisen, dass für die Definition der Straftat und das
Höchstmaß der Strafe allein das Recht des Ausstellungsmitgliedstaats maßgebend ist.
Die vollstreckende Justizbehörde muss anerkennen, was die ausstellende Justizbehörde
im EuHB angegeben hat.
Inseinem Urteil in der Rechtssache C-289/15, Grundza, hat der Gerichtshof Artikel 7
Absatz 3 und Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe d des Rahmenbeschlusses 2008/909/JI
ausgelegt (und zwar wie geprüft werden muss, ob die Voraussetzung der beiderseitigen
Strafbarkeit erfüllt ist). Der Gerichtshof hat wie folgt entschieden:
42
vom Ausstellungsstaat geschützte Interesse verletzt wurde, sondern ob
dann, wenn die betreffende Straftat im Hoheitsgebiet des
Mitgliedstaats, dem diese Behörde zuzurechnen ist, begangen worden
wäre, ein ähnliches, vom nationalen Recht dieses Staates geschütztes
Interesse als verletzt gegolten hätte.“
Falls die vollstreckende Justizbehörde der Auffassung ist, dass in dieser Hinsicht ein
offensichtlicher Fehler vorliegt, sollte sie sich mit der ausstellenden Justizbehörde in
Verbindung setzen und eine Klärung herbeiführen (siehe Abschnitt 4.4 zur
Kommunikation zwischen den Justizbehörden).
Von „akzessorischen Straftaten“ spricht man im Zusammenhang mit einer oder mehrerer
Straftaten, die mit einem niedrigeren als dem in Artikel 2 Absatz 1 des
EuHB-Rahmenbeschlusses angegebenen Strafmaß bedroht sind. Solche Straftaten
können als akzessorische Straftaten in den EuHB aufgenommen werden. Die ausstellende
Justizbehörde kann solche Straftaten im EuHB-Formblatt angeben, auch wenn sie nicht
in den Anwendungsbereich des EuHB fallen (siehe Abschnitt 2.3).
Der EuHB muss jedoch für mindestens eine Straftat erlassen werden, die dem Strafmaß
in Artikel 2 Absatz 1 des EuHB-Rahmenbeschlusses entspricht.
Falls der EuHB akzessorische Straftaten umfasst, sollte die vollstreckende Justizbehörde
in der Übergabeentscheidung klar angeben, ob die Übergabe auch die akzessorischen
Straftaten betrifft. Mit der Übergabe wegen der akzessorischen Straftaten erhält der
Ausstellungsmitgliedstaat die Zuständigkeit für die Verfolgung dieser Straftaten oder die
Vollstreckung einer entsprechenden Freiheitsstrafe.
43
Wolzenburg, Rn. 57, und in den verbundenen Rechtssachen C-404/15 und
C-659/15 PPU, Aranyosi und Căldăraru, Rn. 8032).
Wenn entschieden wurde, die Übergabe abzulehnen, kann die gesuchte Person nicht
länger aufgrund des EuHB in Haft gehalten werden.
Die Straftat, aufgrund deren der EuHB ergangen ist, fällt im Vollstreckungsmitgliedstaat
unter eine Amnestie. Ferner muss der Vollstreckungsmitgliedstaat nach seinem eigenen
Strafrecht für die Verfolgung der Straftat zuständig gewesen sein.
Aus den der vollstreckenden Justizbehörde vorliegenden Informationen ergibt sich, dass
die gesuchte Person wegen derselben Handlung von einem Mitgliedstaat bereits
rechtskräftig verurteilt worden ist. Darüber hinaus wird verlangt, dass im Fall einer
Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder
nach dem Recht des Urteilsmitgliedstaats nicht mehr vollstreckt werden kann.
Der Gerichtshof hat sich in mehreren Rechtssachen zur Auslegung des Grundsatzes
„ne bis in idem“ im Zusammenhang mit Artikel 54 des Übereinkommens zur
Durchführung des Übereinkommens von Schengen (SDÜ) geäußert. Diese
Rechtsprechung ist nach dem Urteil in der Rechtssache C-261/09, Mantello33, auf den
EuHB-Rahmenbeschluss anwendbar und klärt Begriffe wie „rechtskräftige
Verurteilung“, „dieselbe Handlung“ und „Vollstreckung der Sanktion“. In seinem Urteil
in der Rechtssache C-129/14 PPU, Spasic34, hat der Gerichtshof entscheiden, dass
Artikel 54 SDÜ als solcher mit Artikel 50 der Charta der Grundrechte der Europäischen
Union vereinbar ist, in dem dieser Grundsatz verankert ist.
32
Urteil des Gerichtshofs vom 6. Oktober 2009, Wolzenburg, C-123/08, ECLI:EU:C:2009:616;
Urteil des Gerichtshofs vom 5. April 2016, Aranyosi und Căldăraru, C-404/15 und C-659/15 PPU,
ECLI:EU:C:2016:198.
33
Urteil des Gerichtshofs vom 16. November 2010, Mantello, C-261/09, ECLI:EU:C:2010:683.
34
Urteil des Gerichtshofs vom 27. Mai 2014, Spasic, C-129/14 PPU, ECLI:EU:C:2014:586.
44
Anhang VI enthält Zusammenfassungen von Urteilen des Gerichtshofs zum Grundsatz
„ne bis in idem“.
Artikel 54 SDÜ
„Wer durch eine Vertragspartei rechtskräftig abgeurteilt worden ist, darf durch
eine andere Vertragspartei wegen derselben Tat nicht verfolgt werden,
vorausgesetzt, dass im Fall einer Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt
worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht
mehr vollstreckt werden kann.“
Niemand darf wegen einer Straftat, derentwegen er bereits in der Union nach
dem Gesetz rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem
Strafverfahren erneut verfolgt oder bestraft werden.“
Die gesuchte Person kann nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats aufgrund
ihres Alters für die Handlung, die dem Haftbefehl zugrunde liegt, nicht strafrechtlich zur
Verantwortung gezogen werden.
Das Alter der Strafmündigkeit ist in den Mitgliedstaaten unterschiedlich geregelt. Auch
der Zeitpunkt, zu dem dieses Alter im konkreten Fall erreicht sein muss, ist verschieden.
Dies kann beispielsweise der Zeitpunkt sein, zu dem die mutmaßliche Straftat begangen
wurde, oder der Zeitpunkt, zu dem die Person angeklagt wird.
Ein Ablehnungsgrund liegt vor, wenn gegen die gesuchte Person wegen ihres Alters im
Vollstreckungsmitgliedstaat nur ein Zivil- oder Verwaltungs-, aber kein Strafverfahren
eingeleitet werden könnte.
Die Handlung, aufgrund deren der EuHB ergangen ist, stellt nach dem Recht des
Vollstreckungsmitgliedstaats keine Straftat dar.
Dies gilt nur für Straftaten, die nicht in der Liste des Artikels 2 Absatz 2 des
EuHB-Rahmenbeschlusses unter den Straftaten aufgeführt sind, bei denen die
Überprüfung des Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit entfällt. Dieser fakultative
Ablehnungsgrund kann jedoch auch vorliegen, wenn die Handlung zwar einer der in
Artikel 2 Absatz 2 des EuHB-Rahmenbeschlusses aufgelisteten Straftaten entspricht,
45
diese aber nach dem Recht des Ausstellungsmitgliedstaats mit einer Freiheitsstrafe oder
einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung im Höchstmaß von weniger als drei
Jahren bedroht ist, und wenn diese Handlung nach dem Recht des
Vollstreckungsmitgliedstaats keine Straftat darstellt. In seinem Urteil in der Rechtssache
C-289/15, Grundza, hat der Gerichtshof präzisiert, wie geprüft werden muss, ob die
Voraussetzung der beiderseitigen Strafbarkeit erfüllt ist (siehe Abschnitt 5.2).
In Steuer-, Zoll- und Währungsangelegenheiten kann die Vollstreckung des EuHB nicht
aus dem Grund abgelehnt werden, dass das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats keine
gleichartigen Steuern vorschreibt oder keine gleichartigen Steuer-, Zoll- und
Währungsbestimmungen enthält wie das Recht des Ausstellungsmitgliedstaats.
Die Person, gegen die der EuHB ergangen ist, wird im Vollstreckungsmitgliedstaat
wegen derselben Handlung, aufgrund deren der EuHB ausgestellt worden ist,
strafrechtlich verfolgt.
Die Strafverfolgung oder die Strafvollstreckung ist nach den Rechtsvorschriften des
Vollstreckungsmitgliedstaats verjährt, und die Handlungen fielen nach seinem eigenen
Strafrecht in seine Zuständigkeit.
Aus den der vollstreckenden Justizbehörde vorliegenden Informationen ergibt sich, dass
die gesuchte Person wegen derselben Handlung von einem Drittstaat rechtskräftig
verurteilt worden ist, vorausgesetzt, dass im Fall einer Verurteilung die Sanktion bereits
vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaats
nicht mehr vollstreckt werden kann.
Wenn der EuHB zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden
Maßregel der Sicherung ausgestellt worden ist und sich die gesuchte Person im
Vollstreckungsmitgliedstaat aufhält, dessen Staatsangehöriger ist oder dort ihren
Wohnsitz hat, kann die vollstreckende Justizbehörde prüfen, ob die Sanktion in ihrem
46
Mitgliedstaat vollstreckt werden könnte, anstatt die Person dem
Ausstellungsmitgliedstaat zu übergeben.
Nach dem Rahmenbeschluss 2008/909/JI ist die Zustimmung der verurteilten Person zu
ihrer Überstellung nicht mehr in jedem Fall erforderlich.
In seinem Urteil in der Rechtssache C-42/11, Lopes da Silva Jorge36, hat der Gerichtshof
festgestellt, dass Artikel 4 Nummer 6 des EuHB-Rahmenbeschlusses und Artikel 18
AEUV dahingehend auszulegen sind, dass ein Mitgliedstaat im Rahmen der Umsetzung
des Artikels 4 Nummer 6 des EuHB-Rahmenbeschlusses zwar die Fälle, in denen sich
die nationale vollstreckende Justizbehörde weigern kann, eine in den
Anwendungsbereich dieser Bestimmung fallende Person zu übergeben, begrenzen kann,
jedoch Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten, die sich in seinem Hoheitsgebiet
aufhalten oder dort ihren Wohnsitz haben, nicht ungeachtet ihrer Bindungen zu diesem
35
Urteil des Gerichtshofs vom 17. Juli 2008, Kozłowski, C-66/08, ECLI:EU:C:2008:437.
36
Urteil des Gerichtshofs vom 5. September 2012, Lopes da Silva Jorge, C-42/11,
ECLI:EU:C:2012:517.
47
Mitgliedstaat von diesem Anwendungsbereich automatisch völlig ausschließen darf. Die
nationalen Gerichte müssen das Recht anhand des Wortlauts und des Zwecks des
EuHB-Rahmenbeschlusses auslegen, um dessen volle Wirksamkeit zu gewährleisten.
5.5. Abwesenheitsurteile
Von dieser Vorschrift gibt es jedoch eine Reihe von Ausnahmen. Eine vollstreckende
Justizbehörde kann die Vollstreckung eines auf ein Abwesenheitsurteil gestützten EuHB
nicht ablehnen, wenn aus dem EuHB hervorgeht, dass die Person im Einklang mit den
weiteren verfahrensrechtlichen Vorschriften des nationalen Rechts des
Ausstellungsmitgliedstaats
a) rechtzeitig
ii) davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass eine Entscheidung auch dann
ergehen kann, wenn sie zu der Verhandlung nicht erscheint; oder
48
hat, sie bei der Verhandlung zu verteidigen, und bei der Verhandlung von
diesem Rechtsbeistand tatsächlich verteidigt worden ist; oder
c) nachdem ihr die Entscheidung zugestellt und sie ausdrücklich von ihrem Recht
auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder auf ein Berufungsverfahren in
Kenntnis gesetzt worden ist, an dem die Person teilnehmen kann und bei dem
der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft werden und
die ursprünglich ergangene Entscheidung aufgehoben werden kann:
i) ausdrücklich erklärt hat, dass sie die Entscheidung nicht anficht, oder
ii) von der Frist in Kenntnis gesetzt werden wird, über die sie gemäß dem
einschlägigen EuHB verfügt, um eine Wiederaufnahme des Verfahrens
bzw. ein Berufungsverfahren zu beantragen.
In seinem Urteil in der Rechtssache C-108/16 PPU, Dworzecki38, hat der Gerichtshof
festgestellt:
37
Urteil des Gerichtshofs vom 26. Februar 2013, Melloni, C-399/11, ECLI:EU:C:2013:107.
38
Urteil des Gerichtshofs vom 24. Mai 2016, Dworzecki, C-108/16 PPU, ECLI:EU:C:2016:346.
49
Anschrift einem dort wohnenden Erwachsenen übergeben wurde, der sich
verpflichtete, sie dem Betroffenen auszuhändigen, ohne dass sich dem
Europäischen Haftbefehl entnehmen lässt, ob und gegebenenfalls wann er sie
dem Betroffenen tatsächlich ausgehändigt hat, die in der genannten Bestimmung
aufgestellten Voraussetzungen für sich genommen nicht erfüllt.“
Die Ablehnung der Vollstreckung wegen einer Verletzung der Grundrechte der
gesuchten Person im Ausstellungsmitgliedstaat ist im EuHB-Rahmenbeschluss nicht
geregelt.
50
Vorgehen der nationalen vollstreckenden Justizbehörden, wenn sie über Anhaltspunkte
dafür verfügen, dass eine echte Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung
von Häftlingen im Ausstellungsmitgliedstaat besteht
51
vorliegt (im Einklang mit dem Urteil in der Rechtssache C-237/15 PPU,
Lanigan, Rn. 58, 59 und 60), wobei der durch Artikel 48 der Charta
gewährleisteten Unschuldsvermutung gebührend Rechnung zu tragen und
nach Artikel 52 Absatz 1 der Charta der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu
beachten ist;
4. Endgültige Entscheidung:
– Wenn die vollstreckende Justizbehörde auf der Grundlage der von der
ausstellenden Justizbehörde erhaltenen Informationen die Gefahr
unmenschlicher und erniedrigender Behandlung der gesuchten Person
ausschließen kann, muss sie über die Vollstreckung des EuHB
entscheiden.
In einem solchen Fall können die Justizbehörden auch Eurojust oder die
EJN-Kontaktstellen konsultieren. Diese Einrichtungen können die Kommunikation
erleichtern und bei der Suche nach Lösungen behilflich sein.
Nach Artikel 5 des EuHB-Rahmenbeschlusses kann die Vollstreckung des EuHB durch
die vollstreckende Justizbehörde nach dem für sie geltenden nationalen Recht an
bestimmte Bedingungen geknüpft werden. Diese Bedingungen können sich auf die
Überprüfung des lebenslangen Freiheitsentzugs und die Rücküberstellung von
Staatsangehörigen des Vollstreckungsmitgliedstaats zur Verbüßung der Freiheitsstrafe in
diesen Mitgliedstaat beziehen.
52
des Ausstellungs- und des Vollstreckungsmitgliedstaats gewährt werden. Sie dürfen
jedoch nur den in Artikel 5 des EuHB-Rahmenbeschlusses festgelegten Inhalt haben, wie
der Gerichtshof (insbesondere in seinen Urteilen in den verbundenen Rechtssachen
C-404/15 und C-659/15 PPU, Aranyosi und Căldăraru, Rn. 80, und in der Rechtssache
C-237/15 PPU, Lanigan, Rn. 36) bestätigt hat.
Hinweis: Artikel 5 Nummer 1, der eine Garantie in Bezug auf die Wiederaufnahme des
Verfahrens im Falle von Abwesenheitsurteilen vorsah, ist mit dem
Rahmenbeschluss 2009/299/JI gestrichen und durch den neuen Artikel 4a ersetzt worden,
der umfassendere Bestimmungen zu Abwesenheitsurteilen enthält (siehe Abschnitt 5.5
dieses Handbuchs).
In seinem Urteil in der Rechtssache C-306/09, I. B.39, ist der Gerichtshof zu folgendem
Ergebnis gelangt:
„Die Art. 4 Nr. 6 und 5 Nr. 3 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates …
sind dahin auszulegen, dass, wenn der betreffende Vollstreckungsmitgliedstaat
Art. 5 Nrn. 1 und 3 dieses Rahmenbeschlusses in sein nationales Recht
umgesetzt hat, die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls, der zur
Vollstreckung einer Strafe ausgestellt wurde, die im Sinne dieses Art. 5 Nr. 1 in
Abwesenheit verhängt worden ist, an die Bedingung geknüpft werden kann,
dass die betroffene Person, die Staatsangehöriger des
Vollstreckungsmitgliedstaats oder dort wohnhaft ist, in diesen Staat
rücküberstellt wird, um gegebenenfalls dort die Strafe zu verbüßen, die im
Anschluss an ein wieder aufgenommenes und in ihrer Anwesenheit
durchgeführtes Verfahren im Ausstellungsmitgliedstaat gegen sie verhängt
wird.“
Wenn dem EuHB eine Straftat zugrunde liegt, die mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder
einer lebenslangen freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung bedroht ist, kann der
Vollstreckungsmitgliedstaat vom Ausstellungsmitgliedstaat eine Überprüfungsgarantie
verlangen (Artikel 5 Nummer 2 des EuHB-Rahmenbeschlusses).
Der EuHB-Rahmenbeschluss sieht die Möglichkeit vor, dass die gesuchte Person
rücküberstellt wird, damit sie die Freiheitsstrafe in ihrem Heimatland verbüßt. Wenn die
39
Urteil des Gerichtshofs vom 21. Oktober 2010, I. B., C-306/09, ECLI:EU:C:2010:626.
53
Person, gegen die ein EuHB zum Zwecke der Strafverfolgung ergangen ist,
Staatsangehöriger des Vollstreckungsmitgliedstaats oder dort wohnhaft ist, kann der
Vollstreckungsmitgliedstaat nach Artikel 5 Nummer 3 des EuHB-Rahmenbeschlusses
zur Bedingung machen, dass der Ausstellungsmitgliedstaat die betreffende Person zur
Verbüßung der Freiheitsstrafe oder der freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung,
die im Ausstellungsmitgliedstaat gegen sie verhängt wird, in sein Hoheitsgebiet
rücküberstellt.
Wenn schon vor der Ausstellung des EuHB bekannt ist, dass die gesuchte Person
Staatsangehöriger des Vollstreckungsmitgliedstaats oder dort wohnhaft ist, sollte die
ausstellende Justizbehörde ihre Zustimmung zu einer möglichen
Rücküberstellungsbedingung bereits auf dem EuHB-Formblatt erteilen.
Der Ausstellungsmitgliedstaat hat dafür zu sorgen, dass diese Bedingung erfüllt wird.
Wenn das Urteil, mit dem die Freiheitsstrafe oder die freiheitsentziehende Maßregel der
Sicherung gegen die übergebene Person verhängt wurde, rechtskräftig wird, muss der
Ausstellungsmitgliedstaat sich mit dem Vollstreckungsstaat in Verbindung setzen, um
die Rücküberstellung zu regeln. Der Ausstellungsmitgliedstaat sollte sicherstellen, dass
das Urteil in die Sprache des Vollstreckungsmitgliedstaats übersetzt wird.
Die Vollstreckung des EuHB muss dann erfolgen, sobald diese Gründe nicht mehr
gegeben sind. Die vollstreckende Justizbehörde muss die ausstellende Justizbehörde
unverzüglich davon in Kenntnis setzen und einen neuen Übergabetermin vereinbaren. In
diesem Fall hat die Übergabe innerhalb von zehn Tagen nach dem vereinbarten neuen
Termin zu erfolgen. Nach Ablauf dieser Frist darf die Person vom
Vollstreckungsmitgliedstaat nicht länger in Haft gehalten werden und muss freigelassen
werden (Artikel 23 Absatz 5 des EuHB-Rahmenbeschlusses).
54
Wenn solche humanitären Gründe auf unbestimmte Zeit oder dauerhaft vorliegen,
könnten die ausstellende und die vollstreckende Justizbehörde einander konsultieren und
Alternativen zum EuHB erörtern. So könnte etwa die Möglichkeit geprüft werden, das
Verfahren oder die Freiheitsstrafe auf den Vollstreckungsmitgliedstaat zu übertragen
oder den EuHB aufzuheben (z. B. im Falle einer schweren dauerhaften Erkrankung).
Die vollstreckende Justizbehörde kann nach der Entscheidung zur Vollstreckung des
EuHB die Übergabe aufschieben, damit die betreffende Person im
Vollstreckungsmitgliedstaat wegen einer anderen Straftat gerichtlich verfolgt werden
kann (Artikel 24 Absatz 1 des EuHB-Rahmenbeschlusses).
In einem solchen Fall sollte die Übergabe unmittelbar nach Durchführung der
Strafverfolgung zu einem von der ausstellenden und der vollstreckenden Justizbehörde
vereinbarten Termin erfolgen.
Wenn die Person bereits wegen einer anderen Straftat verurteilt worden ist, kann die
Übergabe aufgeschoben werden, damit die Person die wegen dieser Straftat verhängte
Strafe im Vollstreckungsmitgliedstaat verbüßen kann (Artikel 24 Absatz 1 des
EuHB-Rahmenbeschlusses).
In diesem Fall sollte die Übergabe zu einem von der ausstellenden und der
vollstreckenden Justizbehörde vereinbarten Termin erfolgen, nachdem die Person die
Strafe verbüßt hat.
In den in Abschnitt 5.9.2 beschriebenen Fällen kann die vollstreckende Justizbehörde die
gesuchte Person dem Ausstellungsmitgliedstaat vorübergehend übergeben, statt die
Übergabe aufzuschieben, damit die Person strafrechtlich verfolgt oder ein bereits
ergangenes Urteil vollstreckt werden kann (Artikel 24 Absatz 2 des
EuHB-Rahmenbeschlusses).
Die ausstellende und die vollstreckende Justizbehörde müssen die Bedingungen dieser
vorübergehenden Übergabe schriftlich und eindeutig vereinbaren. Die Vereinbarung ist
für alle Behörden im Ausstellungsmitgliedstaat verbindlich (Artikel 24 Absatz 2 des
EuHB-Rahmenbeschlusses).
Mit einer vorübergehenden Übergabe kann verhindert werden, dass sich das Verfahren
im Ausstellungsmitgliedstaat erheblich verzögert, weil die Person im
Vollstreckungsmitgliedstaat strafrechtlich verfolgt wird oder bereits verurteilt wurde.
55
5.9.4. Aufschub der Vollstreckung des EuHB wegen einer echten Gefahr
unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung der gesuchten Person
Im Einklang mit dem Urteil des Gerichtshofs in den verbundenen Rechtssachen C-404/15
und C-659/15 PPU, Aranyosi und Căldăraru, ist die Vollstreckung des EuHB
aufzuschieben, aber nicht aufzugeben, wenn anhand der von der ausstellenden
Justizbehörde erhaltenen Informationen und sonstiger Informationen, über die die
vollstreckende Justizbehörde verfügt, (und in Erwartung der endgültigen Entscheidung
über den Europäischen Haftbefehl) eine echte Gefahr unmenschlicher und erniedrigender
Behandlung für die gesuchte Person festgestellt worden ist. Wenn die vollstreckende
Justizbehörde über einen solchen Aufschub entscheidet, hat der
Vollstreckungsmitgliedstaat nach Artikel 17 Absatz 7 des EuHB-Rahmenbeschlusses
Eurojust von diesem Umstand und von den Gründen der Verzögerung in Kenntnis zu
setzen (siehe die Abschnitte 5.6 und 4.1 dieses Handbuchs).
Gegen dieselbe Person können wegen derselben Handlung oder wegen verschiedener
Handlungen mehrere EuHBe vorliegen, die von den Behörden eines oder mehrerer
Mitgliedstaaten ausgestellt wurden. Die folgenden Leitlinien gelten unabhängig davon,
ob die Europäischen Haftbefehle wegen derselben Handlung oder wegen verschiedener
Handlungen ausgestellt wurden.
Wenn mehrere EuHBe gegen dieselbe Person vorliegen, entscheidet die vollstreckende
Justizbehörde unter gebührender Berücksichtigung aller Umstände (Artikel 16 des
EuHB-Rahmenbeschlusses).
Unabhängig davon, ob die ausstellenden Justizbehörden eine Einigung erzielen, sollte die
vollstreckende Justizbehörde bei der Prüfung, welcher von mehreren EuHBen vollstreckt
wird, insbesondere folgende Faktoren berücksichtigen (Artikel 16 Absatz 1 des
EuHB-Rahmenbeschlusses):
56
d) die Tatsache, dass der Haftbefehl zur Strafverfolgung oder zur Vollstreckung
einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung
ausgestellt wurde.
Diese Aufzählung ist nicht abschließend. Welcher dieser Faktoren Vorrang hat, ist nicht
streng geregelt, sondern muss im Einzelfall geprüft werden. Auf jeden Fall hat die
vollstreckende Justizbehörde nach Artikel 16 des EuHB-Rahmenbeschlusses alle
Umstände gebührend zu berücksichtigen. Eine simple Entscheidung nach dem Prinzip
„Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ sollte vermieden werden.
Bei der Entscheidung über die Übergabe ist wichtig, dass die vollstreckende
Justizbehörde genau angibt, welcher EuHB der Übergabe zugrunde liegt. Ferner muss
das SIRENE-Büro des Vollstreckungsmitgliedstaats jedem betroffenen Mitgliedstaat ein
Formular G übersenden (Abschnitt 3.2 des SIRENE-Handbuchs).
Die Prüfung, welcher EuHB vollstreckt wird, sollte sich nur auf die EuHBe beziehen, die
vollstreckbar sind. Die vollstreckende Justizbehörde könnte daher zunächst jeden EuHB
daraufhin prüfen, ob er für sich genommen vollstreckbar wäre. Falls auf einen der
EuHBe ein Ablehnungsgrund zutrifft, könnte sie aus Gründen der Klarheit die getrennte
Entscheidung erlassen, diesen EuHB nicht zu vollstrecken.
5.10.2. „Parallelverfahren“
Wenn zwei oder mehr Mitgliedstaaten EuHBe wegen Straftaten ausgestellt haben, die
denselben Sachverhalt und dieselbe Person betreffen, sind die zuständigen Behörden
verpflichtet, sich miteinander in Verbindung zu setzen und zusammenzuarbeiten. Diese
Pflicht ergibt sich aus dem Rahmenbeschluss 2009/948/JI vom 30. November 2009 zur
Vermeidung und Beilegung von Kompetenzkonflikten in Strafverfahren40. In diesen
Fällen sollten sich die zuständigen Behörden nach den für sie geltenden nationalen
Rechtsvorschriften zur Umsetzung dieses Rahmenbeschlusses richten.
Wenn keine Einigung erzielt werden kann, müssen die beteiligten zuständigen Behörden
die Sache Eurojust vorlegen, sofern der Fall in die Zuständigkeit von Eurojust fällt41.
Eurojust kann auch in anderen Fällen konsultiert werden.
40
ABl. L 328 vom 15.12.2009, S. 42.
41
Siehe den Beschluss 2002/187/JI des Rates vom 28. Februar 2002 über die Errichtung von
Eurojust zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminalität (ABl. L 63 vom 6.3.2002,
S. 1).
57
6. ANRECHNUNG DER IM VOLLSTRECKUNGSMITGLIEDSTAAT VERBÜSSTEN HAFT
Nachdem die gesuchte Person übergeben worden ist, muss der Ausstellungsmitgliedstaat
der aufgrund des EuHB verbüßten Haft Rechnung tragen. Die Dauer dieser Haft ist auf
die Gesamtdauer der im Ausstellungsmitgliedstaat zu verbüßenden Freiheitsstrafe oder
freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung anzurechnen (Artikel 26 des
EuHB-Rahmenbeschlusses). Falls die Person freigesprochen wird, finden
möglicherweise Schadensersatzvorschriften des Ausstellungsmitgliedstaats Anwendung.
Deshalb muss die vollstreckende Justizbehörde oder die zentrale Behörde des
Ausstellungsmitgliedstaats, wie in Abschnitt 4.5.2 beschrieben, alle Angaben zur Dauer
der aufgrund des EuHB verbüßten Haft bereitstellen. Diese Angaben sind zum Zeitpunkt
der Übergabe bereitzustellen (siehe auch das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache
C-294/16 PPU, JZ).
7. WEITERE ÜBERGABE
a) wenn die gesuchte Person das Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, dem sie
übergeben worden ist, innerhalb von 45 Tagen nach ihrer endgültigen
Freilassung nicht verlassen hat, obwohl sie dazu die Möglichkeit hatte, oder
wenn sie nach Verlassen dieses Gebiets dorthin zurückgekehrt ist;
b) wenn die gesuchte Person ihrer Übergabe an einen anderen Mitgliedstaat als den
Vollstreckungsmitgliedstaat aufgrund eines EuHB zustimmt.
Die Zustimmung der gesuchten Person wird vor den zuständigen Justizbehörden
des Ausstellungsmitgliedstaats erteilt. Sie muss nach dessen innerstaatlichem
Recht zu Protokoll genommen werden. Die Zustimmungserklärung ist so
abzufassen, dass aus ihr hervorgeht, dass die betreffende Person sie freiwillig
und in voller Kenntnis der sich daraus ergebenden Folgen gegeben hat;
c) wenn der Grundsatz der Spezialität auf die gesuchte Person nicht anzuwenden
ist. Wenn der Grundsatz der Spezialität zur Anwendung kommt, verhindert er,
dass der gesuchten Person wegen anderer Straftaten als denjenigen, die ihrer
Übergabe zugrunde lagen, die Freiheit entzogen wird, und verhindert damit auch
eine weitere Übergabe (siehe Abschnitt 2.6).
58
In anderen Fällen ist die Zustimmung des ursprünglichen Vollstreckungsmitgliedstaats
zu einer weiteren Übergabe einzuholen42. Die Zustimmung muss erteilt werden, wenn die
Straftat, derentwegen um Zustimmung ersucht wird, nach dem EuHB-Rahmenbeschluss
der Verpflichtung zur Übergabe unterliegt, es sei denn, es liegt ein zwingender oder
fakultativer Ablehnungsgrund vor.
Die weitere Übergabe einer aufgrund mehrerer aufeinanderfolgender EuHBe mehr als
einmal zwischen den Mitgliedstaaten übergebenen Person an einen anderen als den
Mitgliedstaat, der sie zuletzt übergeben hat, hängt nur von der Zustimmung des
Mitgliedstaats ab, der diese letzte Übergabe vorgenommen hat (siehe Urteil des
Gerichtshofs in der Rechtssache C-192/12 PPU, West43).
Verfahren
Das Ersuchen um Zustimmung folgt demselben Verfahren wie ein regulärer EuHB und
muss dieselben Angaben enthalten. Die zuständige Justizbehörde übermittelt das
Ersuchen um Zustimmung direkt der vollstreckenden Justizbehörde, die die Person
übergeben hat. Für die Übersetzung der Informationen, die nach Artikel 8 Absatz 1 des
EuHB-Rahmenbeschlusses in dem Ersuchen anzugeben sind, gelten dieselben
Vorschriften wie für den EuHB. Die vollstreckende Justizbehörde muss ihre
Entscheidung spätestens 30 Tage nach Eingang des Ersuchens treffen (Artikel 28
Absatz 3 des EuHB-Rahmenbeschlusses).
Eine Person, die aufgrund eines EuHB übergeben wurde, darf nicht ohne die
Zustimmung der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats, der die Person übergeben hat,
an einen nicht der Union angehörenden Staat (Drittstaat) ausgeliefert werden. Die
Zustimmung wird im Einklang mit den Auslieferungsabkommen, die diesen
42
Artikel 28 Absatz 1 des EuHB-Rahmenbeschlusses gibt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit
mitzuteilen, dass in ihren Beziehungen zu anderen Mitgliedstaaten, die die gleiche Mitteilung
gemacht haben, ihre Zustimmung zur weiteren Übergabe oder Auslieferung als erteilt gilt. Den
der Kommission vorliegenden Informationen zufolge hat nur Rumänien von dieser Möglichkeit
Gebrauch gemacht.
43
Urteil des EuGH vom 28.6.2012, West, C-192/12 PPU, ECLI:EU:C:2012:404.
59
Mitgliedstaat binden, sowie nach seinen innerstaatlichen Rechtsvorschriften erteilt
(Artikel 28 Absatz 4 des EuHB-Rahmenbeschlusses).
Es ist denkbar, dass bei einem Mitgliedstaat gleichzeitig ein EuHB und ein
Auslieferungsersuchen eines Drittstaats für dieselbe Person eingehen, die sich in seinem
Hoheitsgebiet aufhält. Sie können dieselbe Handlung oder verschiedene Handlungen
betreffen. In dem Mitgliedstaat sind möglicherweise unterschiedliche Behörden für die
Entscheidung über die Vollstreckung des EuHB einerseits und des
Auslieferungsersuchens andererseits zuständig. In solchen Fällen sollten die Behörden
bei der Entscheidung anhand der unten aufgeführten Kriterien zusammenarbeiten.
Eurojust und das EJN können die beteiligten Staaten auf Anfrage beraten und die bei der
Koordinierung unterstützen.
d) die Tatsache, dass der Haftbefehl zur Strafverfolgung oder zur Vollstreckung
einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung
ausgestellt wurde.
Wenn das Auslieferungsersuchen eines Drittstaats an einen Mitgliedstaat gerichtet ist, der
über Vorschriften verfügt, die seine Staatsangehörigen vor Auslieferung schützen, und
das Ersuchen einen Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats betrifft, muss die
60
vollstreckende Justizbehörde im Einklang mit dem Urteil des Gerichtshofs in der
Rechtssache C-182/15, Petruhhin44, den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit der
betreffende Bürger besitzt, informieren und gegebenenfalls die Person diesem
Mitgliedstaat aufgrund eines von diesem ausgestellten EuHB übergeben.
„Die Art. 18 und 21 AEUV sind dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat, in den
sich ein Unionsbürger, der Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats ist,
begeben hat, im Fall eines Auslieferungsantrags eines Drittstaats, mit dem der
erstgenannte Mitgliedstaat ein Auslieferungsabkommen geschlossen hat,
verpflichtet ist, den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit der Unionsbürger
besitzt, zu informieren und ihm gegebenenfalls auf sein Ersuchen den
Unionsbürger im Einklang mit den Bestimmungen des
Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates … zu übergeben, sofern dieser
Mitgliedstaat nach seinem nationalen Recht für die Verfolgung dieser Person
wegen im Ausland begangener Straftaten zuständig ist.
Ein Mitgliedstaat, der mit einem Antrag eines Drittstaats auf Auslieferung eines
Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats befasst ist, muss prüfen, dass die
Auslieferung die in Art. 19 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union
verbürgten Rechte nicht beeinträchtigen wird.“
Falls bei einem Mitgliedstaat gleichzeitig ein EuHB und ein Auslieferungsersuchen des
IStGH für dieselbe Person eingehen, sollte(n) die zuständige(n) Behörde(n) alle oben in
Abschnitt 8.1.1 genannten Umstände prüfen. Jedoch haben die Verpflichtungen der
Mitgliedstaaten aus dem Statut des Internationalen Strafgerichtshofs Vorrang vor der
Vollstreckung des EuHB (Artikel 16 Absatz 4 des EuHB-Rahmenbeschlusses).
8.2. Vorherige Auslieferung aus einem Drittstaat und Grundsatz der Spezialität
Die Fristen nach Artikel 17 des EuHB-Rahmenbeschlusses (siehe Abschnitt 4.1 dieses
Handbuchs) beginnen erst an dem Tag zu laufen, an dem der Grundsatz der Spezialität
44
Urteil des Gerichtshofs vom 6. September 2016, Petruhhin, C-182/15, ECLI:EU:C:2016:630.
61
nicht mehr anzuwenden ist. Bis die Entscheidung des Drittstaats vorliegt, aus dem die
gesuchte Person ausgeliefert wurde, muss sich der Vollstreckungsmitgliedstaat davon
überzeugen, dass die materiellen Voraussetzungen für eine tatsächliche Übergabe
weiterhin gegeben sind (Artikel 21 des EuHB-Rahmenbeschlusses). Insbesondere muss
er gegebenenfalls die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine Flucht der Person zu
verhindern.
9. DURCHLIEFERUNG
a) die Identität und die Staatsangehörigkeit der Person, gegen die ein EuHB
erlassen wurde;
d) die Beschreibung der Umstände, unter denen die Straftat begangen wurde,
einschließlich der Tatzeit und des Tatorts.
Zur Erleichterung der Durchlieferung sollten diese Angaben so früh wie möglich
übermittelt werden, bevor die Durchlieferung organisiert wird. Die ausstellende
Justizbehörde sollte daher schon vor Vereinbarung eines Übergabetermins mit der
vollstreckenden Justizbehörde prüfen, ob eine Durchlieferung notwendig sein könnte.
Dies ist auch wichtig, um die in Artikel 23 des EuHB-Rahmenbeschlusses festgelegte
strenge Frist für die Übergabe der Person (in der Regel 10 Tage) einhalten zu können.
Die Angaben sollten der Behörde übermittelt werden, die in dem betreffenden
Mitgliedstaat für die Entgegennahme von Durchlieferungsersuchen zuständig ist.
Informationen zu diesen Behörden in den einzelnen Mitgliedstaaten finden sich auf der
EJN-Website (Gerichtsatlas, Fiches Belges). Die Angaben können der zuständigen
Behörde in jeder Form, die einen schriftlichen Nachweis ermöglicht, übermittelt werden,
einschließlich per E-Mail. Der Durchlieferungsmitgliedstaat muss seine Entscheidung auf
dem gleichen Weg mitteilen (Artikel 25 Absatz 3 des EuHB-Rahmenbeschlusses).
Die genannten Vorschriften finden keine Anwendung, wenn die Beförderung auf dem
Luftweg ohne planmäßige Zwischenlandung erfolgt. Falls es jedoch zu einer
außerplanmäßigen Landung kommt, muss der Ausstellungsmitgliedstaat der benannten
62
Behörde die oben erwähnten Informationen wie bei einer Durchlieferung auf dem Land-
oder Wasserweg übermitteln (Artikel 25 Absatz 4 des EuHB-Rahmenbeschlusses).
Ausnahmen von der Pflicht zur Genehmigung der Durchlieferung gelten, wenn es sich
bei der Person, gegen die der EuHB ergangen ist, um einen Staatsangehörigen oder
Gebietsansässigen des Durchlieferungsmitgliedstaats handelt. Falls der EuHB zum
Zwecke der Strafverfolgung ausgestellt wurde, kann der Durchlieferungsmitgliedstaat zur
Bedingung machen, dass die Person nach Gewährung rechtlichen Gehörs zur Verbüßung
der Freiheitsstrafe oder der freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung, die im
Ausstellungsmitgliedstaat gegen sie verhängt wird, in den Durchlieferungsstaat
rücküberstellt wird (Artikel 25 Absatz 1 des EuHB-Rahmenbeschlusses). Auf diese
Bedingung sollte Artikel 5 Absatz 3 des EuHB-Rahmenbeschlusses entsprechend
angewandt werden (siehe Abschnitt 5.8.2 dieses Handbuchs). Falls der EuHB zum
Zwecke der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden
Maßregel der Sicherung ausgestellt wurde, kann der Durchlieferungsmitgliedstaat die
Durchlieferung ablehnen.
Die vollstreckende Justizbehörde muss ihre Entscheidung über die Vollstreckung des
EuHB der ausstellenden Justizbehörde mitteilen (Artikel 22). Es ist ratsam, für diesen
Zweck das Standardformular in Anhang VII zu verwenden. Wenn die vollstreckende
Justizbehörde entscheidet, die Vollstreckung des EuHB abzulehnen, gibt diese Mitteilung
63
der ausstellenden Justizbehörde die Möglichkeit zu prüfen, ob der EuHB
aufrechtzuerhalten oder aufzuheben ist.
10.3. Prüfung der Aufrechterhaltung oder Aufhebung des EuHB durch die
ausstellende Justizbehörde
Der EuHB-Rahmenbeschluss bestimmt nicht, dass ein EuHB, dessen Vollstreckung von
einem Mitgliedstaat abgelehnt wurde, aufzuheben ist; er könnte noch von anderen
Mitgliedstaaten vollstreckt werden. Der EuHB und die entsprechende Ausschreibung im
SIS behalten daher unverändert ihre Gültigkeit, es sei denn, die ausstellende
Justizbehörde beschließt, den EuHB aufzuheben.
Für jeden bestehenden EuHB sollten jedoch stets berechtigte Gründe vorliegen. Bei der
Prüfung, ob der EuHB nach der Ablehnung seiner Vollstreckung durch einen
Mitgliedstaat aufrechtzuerhalten ist oder nicht, sollte die ausstellende Justizbehörde die
Umstände des Falles und das geltende nationale und Unionsrecht einschließlich der
Grundrechte berücksichtigen. Dabei könnten insbesondere folgende Fragen geprüft
werden:
b) Ist die Aufrechterhaltung des EuHB noch verhältnismäßig (siehe Abschnitt 2.4)?
Ausschreibungen in Bezug auf EuHBe sollten im SIS gelöscht werden, sobald die Person
übergeben worden ist.
64
11. VERFAHRENSRECHTE DER GESUCHTEN PERSON
Diese Rechte werden, wie in den Abschnitten 11.1 bis 11.8 erläutert, durch die
besonderen Rechtsakte zu den Verfahrensrechten gestärkt.
Das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzung nach der Richtlinie 2010/64/EU
des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf
Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren45 gilt auch für die
Vollstreckung eines EuHB.
Nach Artikel 2 Absatz 7 der Richtlinie 2010/64/EU müssen die zuständigen Behörden
des Vollstreckungsmitgliedstaats einer Person, die einem Verfahren zur Vollstreckung
eines EuHB unterliegt und die Verfahrenssprache nicht spricht oder versteht, folgende
Rechte einräumen:
Nach Artikel 3 Absatz 6 der Richtlinie 2010/64/EU müssen die zuständigen Behörden
des Vollstreckungsmitgliedstaats einer Person, die einem Verfahren zur Vollstreckung
eines EuHB unterliegt und die Sprache des EuHB nicht versteht, eine schriftliche
Übersetzung dieses Dokuments zur Verfügung stellen. Ausnahmsweise kann eine
mündliche Übersetzung oder eine mündliche Zusammenfassung unter der Bedingung zur
45
ABl. L 280 vom 26.10.2010, S. 1. Diese Richtlinie ist für Dänemark nicht bindend.
65
Verfügung gestellt werden, dass eine solche mündliche Übersetzung oder mündliche
Zusammenfassung einem fairen Verfahren nicht entgegensteht.
Die Dolmetschleistungen und Übersetzungen müssen eine für die Gewährleistung eines
fairen Verfahrens ausreichende Qualität aufweisen, insbesondere indem sichergestellt
wird, dass beschuldigte, angeschuldigte oder angeklagte Personen wissen, was ihnen zur
Last gelegt wird, und imstande sind, ihre Verteidigungsrechte wahrzunehmen. Es ist auch
darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten unabhängig vom Verfahrensausgang für die
Dolmetsch- und Übersetzungskosten aufkommen müssen.
Das Recht auf schriftliche Rechtsbelehrung bei der Festnahme gilt nach der
Richtlinie 2012/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012
über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren46 auch für Personen,
die für die Zwecke der Vollstreckung eines EuHB festgenommen werden.
Nach Artikel 5 der Richtlinie 2012/13/EU müssen Personen, die zum Zwecke der
Vollstreckung eines EuHB festgenommen werden, unverzüglich eine angemessene
Erklärung der Rechte erhalten, die Informationen über ihre Rechte gemäß dem jeweiligen
Recht, mit dem der EuHB-Rahmenbeschluss im Vollstreckungsmitgliedstaat umgesetzt
wird, erhalten. Ein Musterbeispiel einer Erklärung der Rechte ist in Anhang II der
Richtlinie 2012/13/EU enthalten (und in Anhang IX dieses Handbuchs wiedergegeben).
Jede Belehrung oder Unterrichtung ist nach dem Verfahren des betreffenden
Mitgliedstaats für Aufzeichnungen schriftlich festzuhalten. Beschuldigte, angeschuldigte
oder angeklagte Personen müssen das Recht haben, ein etwaiges Versäumnis oder die
etwaige Verweigerung einer Belehrung oder Unterrichtung nach den Verfahren des
innerstaatlichen Rechts anzufechten.
Personen, gegen die ein EuHB vorliegt, haben nach der Richtlinie 2013/48/EU des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2013 über das Recht auf
Zugang zu einem Rechtsbeistand in Strafverfahren und in Verfahren zur Vollstreckung
des Europäischen Haftbefehls sowie über das Recht auf Benachrichtigung eines Dritten
bei Freiheitsentzug und das Recht auf Kommunikation mit Dritten und mit
Konsularbehörden während des Freiheitsentzugs47 das Recht auf Zugang zu einem
Rechtsbeistand.
46
ABl. L 142 vom 1.6.2012, S. 1. Diese Richtlinie ist für Dänemark nicht bindend.
47
ABl. L 294 vom 6.11.2013, S. 1. Die Frist für die Umsetzung dieser Richtlinie ist
am 27. November 2016 abgelaufen. Die Richtlinie ist für Dänemark, das Vereinigte Königreich
und Irland nicht bindend.
66
Personen, gegen die ein EuHB vorliegt, haben nach ihrer Festnahme aufgrund eines
EuHB das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand im Vollstreckungsmitgliedstaat
(Artikel 10 Absätze 1, 2 und 3 der Richtlinie 2013/48/EU). Inhaltlich verleiht dieses
Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand im Vollstreckungsmitgliedstaat gesuchten
Personen die folgenden Rechte:
b) das Recht, mit einem Rechtsbeistand, der sie vertritt, zusammenzutreffen und
mit ihm zu kommunizieren;
c) das Recht, dass ihr Rechtsbeistand bei der Vernehmung durch die vollstreckende
Justizbehörde zugegen ist und gemäß den Verfahren des nationalen Rechts
daran teilnimmt.
Personen, gegen die ein EuHB vorliegt, haben ab dem Zeitpunkt ihrer Festnahme im
Vollstreckungsmitgliedstaat das Recht, mindestens einen von ihnen benannten Dritten,
beispielsweise einen Angehörigen oder einen Arbeitgeber, unverzüglich von dem
Freiheitsentzug benachrichtigen zu lassen48.
Personen, gegen die ein EuHB vorliegt, haben ab dem Zeitpunkt ihrer Festnahme im
Vollstreckungsmitgliedstaat das Recht, unverzüglich mit mindestens einem von ihnen
benannten Dritten, beispielsweise einem Angehörigen, zu kommunizieren49.
Personen, gegen die ein EuHB vorliegt und die nicht Staatsangehörige des
Vollstreckungsmitgliedstaats sind, haben ab dem Zeitpunkt ihrer Festnahme im
Vollstreckungsmitgliedstaat das Recht, die Konsularbehörden des Staates, dessen
Staatsangehörigkeit sie besitzen, unverzüglich von dem Freiheitsentzug informieren zu
lassen und mit ihnen zu kommunizieren50.
48
Artikel 5 der Richtlinie 2013/48/EU.
49
Artikel 6 der Richtlinie 2013/48/EU.
50
Artikel 7 der Richtlinie 2013/48/EU.
67
Sie haben zudem das Recht auf Besuch durch ihre Konsularbehörden, das Recht, sich mit
ihnen zu unterhalten und mit ihnen zu korrespondieren, sowie das Recht, dass ihre
Konsularbehörden für eine rechtliche Vertretung sorgen.
Für Kinder, gegen die ein EuHB vorliegt, gelten ab dem Zeitpunkt ihrer Festnahme
aufgrund eines EuHB im Vollstreckungsmitgliedstaat besondere Verfahrensgarantien51.
Sie betreffen insbesondere:
a) das Auskunftsrecht;
g) das Recht auf Begleitung durch den Träger der elterlichen Verantwortung
während des Verfahrens.
Personen, gegen die ein EuHB vorliegt, haben nach der Richtlinie (EU) 2016/1919 des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2016 über Prozesskostenhilfe
für Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren sowie für gesuchte
Personen in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls52 das Recht auf
Prozesskostenhilfe.
Zudem haben gesuchte Personen, die nach Artikel 10 Absätze 4 und 5 der
Richtlinie 2013/48/EU ihr Recht auf Benennung eines Rechtsbeistands im
Ausstellungsmitgliedstaat zur Unterstützung des Rechtsbeistands im
Vollstreckungsmitgliedstaat wahrnehmen, insoweit Anspruch auf Prozesskostenhilfe im
Ausstellungsmitgliedstaat, als Prozesskostenhilfe erforderlich ist, um den wirksamen
51
Richtlinie (EU) 2016/800 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2016 über
Verfahrensgarantien in Strafverfahren für Kinder, die Verdächtige oder beschuldigte Personen in
Strafverfahren sind (ABl. L 132 vom 21.5.2016, S. 1). Die Frist für die Umsetzung durch die
Mitgliedstaaten läuft am 11. Juni 2019 ab. Die Richtlinie ist für Dänemark, das Vereinigte
Königreich und Irland nicht bindend.
52
ABl. L 297 vom 4.11.2016, S. 1. Die Frist für die Umsetzung dieser Richtlinie läuft
am 25. Mai 2019 ab. Die Richtlinie ist für Dänemark, das Vereinigte Königreich und Irland nicht
bindend.
68
Zugang zu den Gerichten zu gewährleisten (Artikel 5 Absatz 2 der Richtlinie
(EU) 2016/1919).
69
ANHANG I – Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl,
inoffizielle konsolidierte Fassung1
Deutsche Fassung des Rahmenbeschlusses über den EuHB
(2002/584/JI)
gestützt auf den Vertrag über die Europäische Union, insbesondere auf Artikel 31
Buchstaben a und b und Artikel 34 Absatz 2 Buchstabe b,
(1) Nach den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tampere vom 15. und
16. Oktober 1999, insbesondere in Nummer 35 dieser Schlussfolgerungen, sollten
im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander die förmlichen Verfahren zur
Auslieferung von Personen, die sich nach einer rechtskräftigen Verurteilung der
Justiz zu entziehen suchen, abgeschafft und die Verfahren zur Auslieferung von
Personen, die der Begehung einer Straftat verdächtig sind, beschleunigt werden.
(3) Die Gesamtheit der Mitgliedstaaten oder einige von ihnen sind Vertragsparteien
verschiedener Übereinkünfte im Bereich der Auslieferung, unter anderem des
Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 und des
1
Die in dieser inoffiziellen konsolidierten Fassung enthaltenen Erwägungsgründe sind nur jene des
Rahmenbeschlusses 2002/584/JI. Die Erwägungsgründe des Rahmenbeschlusses 2009/299/JI,
durch den der Rahmenbeschluss 2002/584/JI geändert wurde, wurden nicht eingearbeitet.
2
ABl. C 332 vom 27.11.2001, S. 305.
3
Stellungnahme vom 9. Januar 2002 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).
4
ABl. C 12 E vom 15.1.2001, S. 10.
70
Europäischen Übereinkommens vom 27. Januar 1977 zur Bekämpfung des
Terrorismus. Die nordischen Staaten verfügen über Auslieferungsgesetze gleichen
Inhalts.
(4) Darüber hinaus sind die folgenden drei Übereinkünfte, die ganz oder teilweise
Auslieferungsfragen betreffen, von den Mitgliedstaaten gebilligt worden und sind
Teil des Besitzstandes der Union, nämlich: das Übereinkommen
vom 19. Juni 1990 zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen
vom 14. Juni 1985 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den
gemeinsamen Grenzen5 (mit Geltung für die Mitgliedstaaten, die Vertragsparteien
des genannten Übereinkommens sind), das Übereinkommen vom 10. März 1995
über das vereinfachte Auslieferungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der
Europäischen Union6 und das Übereinkommen vom 27. September 1996 über die
Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union7.
(5) Aus dem der Union gesetzten Ziel, sich zu einem Raum der Freiheit, der
Sicherheit und des Rechts zu entwickeln, ergibt sich die Abschaffung der
Auslieferung zwischen Mitgliedstaaten und deren Ersetzung durch ein System der
Übergabe zwischen Justizbehörden. Die Einführung eines neuen, vereinfachten
Systems der Übergabe von Personen, die einer Straftat verdächtigt werden oder
wegen einer Straftat verurteilt worden sind, für die Zwecke der strafrechtlichen
Verfolgung oder der Vollstreckung strafrechtlicher Urteile ermöglicht zudem die
Beseitigung der Komplexität und der Verzögerungsrisiken, die den derzeitigen
Auslieferungsverfahren innewohnen. Die bislang von klassischer Kooperation
geprägten Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten sind durch ein System des
freien Verkehrs strafrechtlicher justizieller Entscheidungen – und zwar sowohl in
der Phase vor der Urteilsverkündung als auch in der Phase danach – innerhalb des
Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu ersetzen.
5
ABl. L 239 vom 22.9.2000, S. 19.
6
ABl. C 78 vom 30.3.1995, S. 2.
7
ABl. C 313 vom 13.10.1996, S. 12.
71
(8) Entscheidungen zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls müssen
ausreichender Kontrolle unterliegen; dies bedeutet, dass eine Justizbehörde des
Mitgliedstaats, in dem die gesuchte Person festgenommen wurde, die
Entscheidung zur Übergabe dieser Person treffen muss.
(9) Die Rolle der Zentralbehörden bei der Vollstreckung eines Europäischen
Haftbefehls muss sich auf praktische und administrative Unterstützung
beschränken.
(10) Grundlage für den Mechanismus des Europäischen Haftbefehls ist ein hohes Maß
an Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten. Die Anwendung dieses Mechanismus
darf nur ausgesetzt werden, wenn eine schwere und anhaltende Verletzung der in
Artikel 6 Absatz 1 des Vertrags über die Europäische Union enthaltenen
Grundsätze durch einen Mitgliedstaat vorliegt und diese vom Rat gemäß Artikel 7
Absatz 1 des genannten Vertrags mit den Folgen von Artikel 7 Absatz 2
festgestellt wird.
(12) Der vorliegende Rahmenbeschluss achtet die Grundrechte und wahrt die in
Artikel 6 des Vertrags über die Europäische Union anerkannten Grundsätze, die
auch in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union8, insbesondere in
deren Kapitel VI, zum Ausdruck kommen. Keine Bestimmung des vorliegenden
Rahmenbeschlusses darf in dem Sinne ausgelegt werden, dass sie es untersagt, die
Übergabe einer Person, gegen die ein Europäischer Haftbefehl besteht,
abzulehnen, wenn objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der genannte
Haftbefehl zum Zwecke der Verfolgung oder Bestrafung einer Person aus
Gründen ihres Geschlechts, ihrer Rasse, Religion, ethnischen Herkunft,
Staatsangehörigkeit, Sprache oder politischen Überzeugung oder sexuellen
Ausrichtung erlassen wurde oder dass die Stellung dieser Person aus einem dieser
Gründe beeinträchtigt werden kann.
(13) Niemand sollte in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder an einen Staat
ausgeliefert werden, in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe,
der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder
Behandlung besteht.
8
ABl. C 364 vom 18.12.2000, S. 1.
72
personenbezogenen Daten gemäß den Grundsätzen dieses Übereinkommens zu
schützen –
KAPITEL I
ALLGEMEINE GRUNDSÄTZE
Artikel 1
(3) Dieser Rahmenbeschluss berührt nicht die Pflicht, die Grundrechte und die
allgemeinen Rechtsgrundsätze, wie sie in Artikel 6 des Vertrags über die
Europäische Union niedergelegt sind, zu achten.
Artikel 2
(1) Ein Europäischer Haftbefehl kann bei Handlungen erlassen werden, die nach
den Rechtsvorschriften des Ausstellungsmitgliedstaats mit einer Freiheitsstrafe
oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung im Höchstmaß von
mindestens zwölf Monaten bedroht sind, oder im Falle einer Verurteilung zu
einer Strafe oder der Anordnung einer Maßregel der Sicherung, deren Maß
mindestens vier Monate beträgt.
– Terrorismus,
73
– Menschenhandel,
– Korruption,
– Cyberkriminalität,
– Betrug,
74
– Vergewaltigung,
– Brandstiftung,
– Sabotage.
(3) Der Rat kann einstimmig und nach Anhörung des Europäischen Parlaments
nach Maßgabe von Artikel 39 Absatz 1 des Vertrags über die Europäische
Union (EUV) jederzeit beschließen, weitere Arten von Straftaten in die in
Absatz 2 enthaltene Liste aufzunehmen. Der Rat prüft im Licht des Berichts,
den die Kommission ihm nach Artikel 34 Absatz 3 unterbreitet, ob es sich
empfiehlt, diese Liste auszuweiten oder zu ändern.
(4) Bei anderen Straftaten als denen des Absatzes 2 kann die Übergabe davon
abhängig gemacht werden, dass die Handlungen, derentwegen der Europäische
Haftbefehl ausgestellt wurde, eine Straftat nach dem Recht des
Vollstreckungsmitgliedstaats darstellen, unabhängig von den
Tatbestandsmerkmalen oder der Bezeichnung der Straftat.
Artikel 3
Gründe, aus denen die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls abzulehnen ist
1. wenn die Straftat, aufgrund deren der Europäische Haftbefehl ergangen ist, im
Vollstreckungsstaat unter eine Amnestie fällt und dieser Staat nach seinem
eigenen Strafrecht für die Verfolgung der Straftat zuständig war;
3. wenn die Person, gegen die der Europäische Haftbefehl ergangen ist, nach dem
Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats aufgrund ihres Alters für die Handlung,
die diesem Haftbefehl zugrunde liegt, nicht strafrechtlich zur Verantwortung
gezogen werden kann.
75
Artikel 4
2. wenn die Person, gegen die der Europäische Haftbefehl ergangen ist, im
Vollstreckungsmitgliedstaat wegen derselben Handlung, aufgrund deren der
Europäische Haftbefehl ausgestellt worden ist, strafrechtlich verfolgt wird;
76
b) außerhalb des Hoheitsgebiets des Ausstellungsmitgliedstaats begangen
wurden, und die Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaats die
Verfolgung von außerhalb seines Hoheitsgebiets begangenen Straftaten
gleicher Art nicht zulassen.
Artikel 4a
a) rechtzeitig
und
ii) davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass eine Entscheidung auch dann
ergehen kann, wenn sie zu der Verhandlung nicht erscheint;
oder
oder
c) nachdem ihr die Entscheidung zugestellt und sie ausdrücklich von ihrem
Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder auf ein
Berufungsverfahren in Kenntnis gesetzt worden ist, an dem die Person
teilnehmen kann und bei dem der Sachverhalt, einschließlich neuer
Beweismittel, erneut geprüft werden und die ursprünglich ergangene
Entscheidung aufgehoben werden kann:
77
oder
oder
und
ii) von der Frist in Kenntnis gesetzt werden wird, über die sie gemäß
dem einschlägigen Europäischen Haftbefehl verfügt, um eine
Wiederaufnahme des Verfahrens bzw. ein Berufungsverfahren zu
beantragen.
(2) Wird der Europäische Haftbefehl zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder
einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung nach Maßgabe des
Absatzes 1 Buchstabe d ausgestellt und ist die betroffene Person zuvor nicht
offiziell davon in Kenntnis gesetzt worden, dass gegen sie ein Strafverfahren
eingeleitet wurde, so kann die Person, wenn sie von dem Inhalt des
Europäischen Haftbefehls in Kenntnis gesetzt wird, beantragen, dass sie vor
ihrer Übergabe eine Abschrift des Urteils erhält. Die Ausstellungsbehörde leitet
der gesuchten Person die Abschrift des Urteils unverzüglich über die
Vollstreckungsbehörde zu, sobald sie Kenntnis von dem Antrag erhalten hat.
Der Antrag der gesuchten Person darf weder das Übergabeverfahren noch die
Entscheidung über die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls verzögern.
Das Urteil wird der betroffenen Person ausschließlich informationshalber zur
Verfügung gestellt; die Zurverfügungstellung gilt weder als förmliche
Zustellung des Urteils noch wirkt sie sich auf Fristen aus, die für einen Antrag
auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder für ein Berufungsverfahren gelten.
(3) Wird eine Person nach Maßgabe des Absatzes 1 Buchstabe d übergeben und hat
diese Person eine Wiederaufnahme des Verfahrens oder ein Berufungsverfahren
beantragt, so wird die Haft der auf das entsprechende Verfahren wartenden
Person bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss im Einklang mit dem Recht des
Ausstellungsmitgliedstaates entweder regelmäßig oder auf Antrag der
betroffenen Person einer Überprüfung unterzogen. Eine solche Überprüfung
umfasst insbesondere die Prüfung der Frage, ob die Haft aufgehoben oder
ausgesetzt werden kann. Das Wiederaufnahmeverfahren oder
Berufungsverfahren beginnt ohne unnötige Verzögerung nach der Übergabe.
78
Artikel 5
1. [gestrichen]
2. Ist die Straftat, die dem Europäischen Haftbefehl zugrunde liegt, mit
lebenslanger Freiheitsstrafe oder einer lebenslangen freiheitsentziehenden
Maßregel der Sicherung bedroht, so kann die Vollstreckung des Europäischen
Haftbefehls an die Bedingung geknüpft werden, dass die Rechtsordnung des
Ausstellungsmitgliedstaats eine Überprüfung der verhängten Strafe – auf Antrag
oder spätestens nach 20 Jahren – oder Gnadenakte zulässt, die zur Aussetzung
der Vollstreckung der Strafe oder der Maßregel führen können und auf die die
betreffende Person nach dem innerstaatlichen Recht oder der Rechtspraxis des
Ausstellungsmitgliedstaats Anspruch hat.
3. Ist die Person, gegen die ein Europäischer Haftbefehl zum Zwecke der
Strafverfolgung ergangen ist, Staatsangehöriger des
Vollstreckungsmitgliedstaats oder in diesem wohnhaft, so kann die Übergabe
davon abhängig gemacht werden, dass die betreffende Person nach Gewährung
rechtlichen Gehörs zur Verbüßung der Freiheitsstrafe oder der
freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung, die im Ausstellungsmitgliedstaat
gegen sie verhängt wird, in den Vollstreckungsmitgliedstaat rücküberstellt wird.
Artikel 6
(3) Jeder Mitgliedstaat unterrichtet das Generalsekretariat des Rates über die nach
seinem Recht zuständige Justizbehörde.
Artikel 7
(1) Jeder Mitgliedstaat kann eine oder, sofern es seine Rechtsordnung vorsieht,
mehrere zentrale Behörden zur Unterstützung der zuständigen Justizbehörden
benennen.
79
(2) Ein Mitgliedstaat kann, wenn sich dies aufgrund des Aufbaus seines
Justizsystems als erforderlich erweist, seine zentrale(n) Behörde(n) mit der
administrativen Übermittlung und Entgegennahme der Europäischen
Haftbefehle sowie des gesamten übrigen sie betreffenden amtlichen
Schriftverkehrs betrauen.
Artikel 8
c) die Angabe, ob ein vollstreckbares Urteil, ein Haftbefehl oder eine andere
vollstreckbare justizielle Entscheidung mit gleicher Rechtswirkung nach
den Artikeln 1 und 2 vorliegt;
d) die Art und rechtliche Würdigung der Straftat, insbesondere in Bezug auf
Artikel 2;
e) die Beschreibung der Umstände, unter denen die Straftat begangen wurde,
einschließlich der Tatzeit, des Tatortes und der Art der Tatbeteiligung der
gesuchten Person;
f) im Fall eines rechtskräftigen Urteils die verhängte Strafe oder der für die
betreffende Straftat im Ausstellungsmitgliedstaat gesetzlich
vorgeschriebene Strafrahmen;
(2) Der Europäische Haftbefehl ist in die Amtssprache oder eine der Amtssprachen
des Vollstreckungsstaats zu übersetzen. Jeder Mitgliedstaat kann zum Zeitpunkt
der Annahme dieses Rahmenbeschlusses oder später in einer beim
Generalsekretariat des Rates hinterlegten Erklärung angeben, dass er eine
Übersetzung in eine oder mehrere weitere Amtssprachen der Organe der
Europäischen Gemeinschaften akzeptiert.
80
KAPITEL 2
ÜBERGABEVERFAHREN
Artikel 9
(1) Ist der Aufenthaltsort der gesuchten Person bekannt, so kann die ausstellende
Justizbehörde den Europäischen Haftbefehl direkt der vollstreckenden
Justizbehörde übermitteln.
(2) Die ausstellende Justizbehörde kann in allen Fällen beschließen, die gesuchte
Person im Schengener Informationssystem (SIS) ausschreiben zu lassen.
Während eines Übergangszeitraums, der so lange währt, bis das SIS in der Lage
ist, alle in Artikel 8 genannten Informationen zu übermitteln, steht die
Ausschreibung dem Europäischen Haftbefehl gleich, bis das Original bei der
vollstreckenden Justizbehörde in der gebührenden Form eingegangen ist.
Artikel 10
(2) Wenn die ausstellende Justizbehörde dies wünscht, kann die Übermittlung über
das gesicherte Telekommunikationssystem des Europäischen Justiziellen Netzes
erfolgen.
(3) Kann nicht auf das SIS zurückgegriffen werden, so kann die ausstellende
Justizbehörde für die Übermittlung des Europäischen Haftbefehls die Dienste
von Interpol in Anspruch nehmen.
9
Gemeinsame Maßnahme 98/428/JI vom 29. Juni 1998 zur Einrichtung eines Europäischen
Justiziellen Netzes (ABl. L 191 vom 7.7.1998, S. 4).
81
(4) Die ausstellende Justizbehörde kann den Europäischen Haftbefehl durch jedes
sichere Mittel, das die Erstellung einer schriftlichen Fassung unter Bedingungen
ermöglicht, die dem Vollstreckungsmitgliedsstaat die Feststellung der Echtheit
gestatten, übermitteln.
(5) Alle Schwierigkeiten in Verbindung mit der Übermittlung oder der Echtheit der
zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls erforderlichen Unterlagen
werden direkt zwischen den betreffenden Justizbehörden oder gegebenenfalls
unter Einschaltung der Zentralbehörden der Mitgliedstaaten behoben.
(6) Ist die Behörde, bei der ein Europäischer Haftbefehl eingeht, für dessen
Bearbeitung nicht zuständig, so übermittelt sie den Europäischen Haftbefehl von
Amtes wegen der zuständigen Behörde in ihrem Mitgliedstaat und setzt die
ausstellende Justizbehörde von diesem Umstand in Kenntnis.
Artikel 11
(2) Eine gesuchte Person, die zum Zwecke der Vollstreckung eines Europäischen
Haftbefehls festgenommen wird, hat nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts
des Vollstreckungsmitgliedstaats Anspruch darauf, einen Rechtsbeistand und
einen Dolmetscher hinzuzuziehen.
Artikel 12
Im Fall der Festnahme einer Person aufgrund eines Europäischen Haftbefehls entscheidet
die vollstreckende Justizbehörde, ob die gesuchte Person nach Maßgabe des Rechts des
Vollstreckungsmitgliedstaats in Haft zu halten ist. Eine vorläufige Haftentlassung nach
Maßgabe der innerstaatlichen Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaats ist
jederzeit möglich, sofern die zuständige Behörde dieses Mitgliedstaates die ihres
Erachtens erforderlichen Maßnahmen zur Verhinderung einer Flucht der gesuchten
Person trifft.
Artikel 13
(1) Gibt die festgenommene Person an, dass sie ihrer Übergabe zustimmt, so
werden diese Zustimmung und gegebenenfalls der ausdrückliche Verzicht auf
den Schutz des Grundsatzes der Spezialität nach Artikel 27 Absatz 2 vor der
82
vollstreckenden Justizbehörde nach dem innerstaatlichen Recht des
Vollstreckungsmitgliedstaats erklärt.
(2) Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, damit die Zustimmung
und gegebenenfalls der Verzicht nach Absatz 1 unter Bedingungen
entgegengenommen werden, die erkennen lassen, dass die Person sie freiwillig
und in vollem Bewusstsein der sich daraus ergebenden Folgen bekundet hat. Zu
diesem Zweck hat die gesuchte Person das Recht, einen Rechtsbeistand
beizuziehen.
(3) Die Zustimmung und gegebenenfalls der Verzicht nach Absatz 1 werden nach
dem im innerstaatlichen Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats vorgesehenen
Verfahren zu Protokoll genommen.
Artikel 14
Stimmt die festgenommene Person ihrer Übergabe nach Maßgabe des Artikels 13 nicht
zu, hat sie das Recht, von der vollstreckenden Justizbehörde nach den innerstaatlichen
Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaats vernommen zu werden.
Artikel 15
(2) Ist die vollstreckende Justizbehörde der Ansicht, dass die vom
Ausstellungsmitgliedstaat übermittelten Informationen nicht ausreichen, um
über die Übergabe entscheiden zu können, so bittet sie um die unverzügliche
Übermittlung der notwendigen zusätzlichen Informationen, insbesondere
hinsichtlich der Artikel 3 bis 5 und Artikel 8; sie kann eine Frist für den Erhalt
dieser zusätzlichen Informationen festsetzen, wobei die Frist nach Artikel 17 zu
beachten ist.
83
(3) Die ausstellende Justizbehörde kann der vollstreckenden Justizbehörde jederzeit
alle zusätzlichen sachdienlichen Informationen übermitteln.
Artikel 16
(1) Haben zwei oder mehr Mitgliedstaaten einen Europäischen Haftbefehl gegen
dieselbe Person erlassen, so entscheidet die vollstreckende Justizbehörde unter
gebührender Berücksichtigung aller Umstände, welcher dieser Europäischen
Haftbefehle vollstreckt wird; zu diesen Umständen gehören insbesondere die
Schwere und der Ort der Straftat, der Zeitpunkt, zu dem die Europäischen
Haftbefehle erlassen wurden, sowie die Tatsache, dass der Haftbefehl zur
Strafverfolgung oder zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer
freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung ausgestellt wurde.
(4) Diesen Artikel lässt die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aufgrund des
Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs unberührt.
Artikel 17
(1) Ein Europäischer Haftbefehl wird als Eilsache erledigt und vollstreckt.
(2) In den Fällen, in denen die gesuchte Person ihrer Übergabe zustimmt, sollte die
endgültige Entscheidung über die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls
innerhalb von zehn Tagen nach Erteilung der Zustimmung erfolgen.
(3) In den anderen Fällen sollte die endgültige Entscheidung über die Vollstreckung
des Europäischen Haftbefehls innerhalb von 60 Tagen nach der Festnahme der
gesuchten Person erfolgen.
(4) Kann in Sonderfällen der Europäische Haftbefehl nicht innerhalb der in den
Absätzen 2 bzw. 3 vorgesehenen Fristen vollstreckt werden, so setzt die
vollstreckende Justizbehörde die ausstellende Justizbehörde von diesem
10
Beschluss 2002/187/JI des Rates vom 28. Februar 2002 über die Errichtung von Eurojust zur
Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminalität (ABl. L 63 vom 6.3.2002, S. 1).
84
Umstand und von den jeweiligen Gründen unverzüglich in Kenntnis. In diesem
Fall können die Fristen um weitere 30 Tage verlängert werden.
(5) Solange noch keine endgültige Entscheidung über die Vollstreckung des
Europäischen Haftbefehls durch die vollstreckende Justizbehörde ergangen ist,
stellt diese sicher, dass die materiellen Voraussetzungen für eine tatsächliche
Übergabe der Person weiterhin gegeben sind.
Artikel 18
(1) Wurde der Europäische Haftbefehl zum Zwecke der Strafverfolgung erlassen, so
muss die vollstreckende Justizbehörde
(2) Die Bedingungen und die Dauer der vorübergehenden Überstellung werden in
gegenseitigem Einvernehmen zwischen der ausstellenden und der
vollstreckenden Justizbehörde festgelegt.
Artikel 19
(1) Die Vernehmung der gesuchten Person erfolgt durch eine Justizbehörde mit
Unterstützung einer Person, die nach dem Recht des Mitgliedstaats der
ersuchenden Justizbehörde bestimmt wird.
(2) Die Vernehmung der gesuchten Person erfolgt nach dem Recht des
Vollstreckungsmitgliedstaats und nach den im gegenseitigen Einvernehmen
85
zwischen der ausstellenden und der vollstreckenden Justizbehörde festgelegten
Bedingungen.
Artikel 20
(2) Ist eine Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaats für die Aufhebung des
Vorrechts oder der Immunität zuständig, befasst die vollstreckende
Justizbehörde sie unverzüglich mit einem entsprechenden Ersuchen. Ist eine
Behörde eines anderen Staates oder eine internationale Organisation für die
Aufhebung des Vorrechts oder der Immunität zuständig, ist sie von der
ausstellenden Justizbehörde mit einem entsprechenden Ersuchen zu befassen.
Artikel 21
86
Artikel 22
Artikel 23
(1) Die Übergabe der gesuchten Person erfolgt so bald wie möglich zu einem
zwischen den betreffenden Behörden vereinbarten Zeitpunkt.
(2) Die Übergabe erfolgt spätestens zehn Tage nach der endgültigen Entscheidung
über die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls.
(3) Ist die Übergabe der gesuchten Person innerhalb der in Absatz 2 genannten Frist
aufgrund von Umständen, die sich dem Einfluss der Mitgliedstaaten entziehen,
unmöglich, setzen sich die vollstreckende und die ausstellende Justizbehörde
unverzüglich miteinander in Verbindung und vereinbaren ein neues
Übergabedatum. In diesem Fall erfolgt die Übergabe binnen zehn Tagen nach
dem vereinbarten neuen Termin.
(5) Befindet sich die betreffende Person nach Ablauf der in den Absätzen 2 bis 4
genannten Fristen noch immer in Haft, wird sie freigelassen.
Artikel 24
(1) Die vollstreckende Justizbehörde kann nach der Entscheidung zur Vollstreckung
des Europäischen Haftbefehls die Übergabe der gesuchten Person aufschieben,
damit diese im Vollstreckungsstaat gerichtlich verfolgt werden oder, falls sie
bereits verurteilt worden ist, im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaats eine
Strafe verbüßen kann, die wegen einer anderen als der im Europäischen
Haftbefehl genannten Handlung gegen sie verhängt wurde.
(2) Statt die Übergabe aufzuschieben, kann die vollstreckende Justizbehörde die
gesuchte Person dem Ausstellungsstaat vorübergehend unter Bedingungen
87
übergeben, die von der vollstreckenden und der ausstellenden Justizbehörde
vereinbart werden. Die Vereinbarung muss in Schriftform erfolgen, und die
Bedingungen sind für alle Behörden des Ausstellungsmitgliedstaats verbindlich.
Artikel 25
Durchlieferung
a) die Identität und die Staatsangehörigkeit der Person, gegen die ein
Europäischer Haftbefehl erlassen wurde;
d) die Beschreibung der Umstände, unter denen die Straftat begangen wurde,
einschließlich der Tatzeit und des Tatortes.
Ist die Person, gegen die ein Europäischer Haftbefehl zum Zwecke der
Strafverfolgung ergangen ist, Staatsangehöriger des Durchlieferungsstaats oder
in diesem wohnhaft, so kann die Durchlieferung davon abhängig gemacht
werden, dass die Person nach Gewährung rechtlichen Gehörs zur Verbüßung der
Freiheitsstrafe oder der freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung, die im
Ausstellungsmitgliedstaat gegen sie verhängt wird, in den
Durchlieferungsmitgliedstaat rücküberstellt wird.
(2) Jeder Mitgliedstaat bezeichnet eine zuständige Behörde für die Entgegennahme
der Durchlieferungsersuchen und der erforderlichen Unterlagen sowie des
sonstigen amtlichen Schriftverkehrs im Zusammenhang mit
Durchlieferungsersuchen. Die Mitgliedstaaten teilen die bezeichneten Behörden
dem Generalsekretariat des Rates mit.
(3) Das Durchlieferungsersuchen und die Informationen nach Absatz 1 können der
nach Absatz 2 bezeichneten Behörde in jeder Form, die einen schriftlichen
Nachweis ermöglicht, übermittelt werden. Der Durchlieferungsmitgliedstaat teilt
seine Entscheidung auf dem gleichen Wege mit.
(4) Dieser Rahmenbeschluss findet keine Anwendung auf die Durchlieferung auf
dem Luftweg ohne eingeplante Zwischenlandung. Wenn es jedoch zu einer
außerplanmäßigen Landung kommt, übermittelt der Ausstellungsmitgliedstaat
der nach Absatz 2 bezeichneten Behörde die Informationen nach Absatz 1.
88
(5) Betrifft die Durchlieferung eine Person, die aus einem Drittstaat an einen
Mitgliedstaat ausgeliefert werden soll, so findet dieser Artikel entsprechende
Anwendung. Insbesondere gilt in diesem Fall der Ausdruck „Europäischer
Haftbefehl” als ersetzt durch „Auslieferungsersuchen”.
KAPITEL 3
Artikel 26
(1) Der Ausstellungsmitgliedstaat rechnet die Dauer der Haft aus der Vollstreckung
eines Europäischen Haftbefehls auf die Gesamtdauer des Freiheitsentzugs an,
die im Ausstellungsmitgliedstaat aufgrund der Verurteilung zu einer
Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung zu
verbüßen wäre.
(2) Dazu sind der ausstellenden Justizbehörde zum Zeitpunkt der Übergabe von der
vollstreckenden Justizbehörde oder der nach Artikel 7 bezeichneten
Zentralbehörde alle Angaben zur Dauer der Haft der aufgrund des Europäischen
Haftbefehls gesuchten Person zu übermitteln.
Artikel 27
(1) Jeder Mitgliedstaat kann dem Generalsekretariat des Rates mitteilen, dass in
seinen Beziehungen zu anderen Mitgliedstaaten, die die gleiche Mitteilung
gemacht haben, die Zustimmung dazu, dass eine Person wegen einer anderen
vor der Übergabe begangenen Handlung als derjenigen, die der Übergabe
zugrunde liegt, verfolgt, verurteilt oder zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe
oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung in Haft gehalten wird,
als erteilt gilt, sofern die vollstreckende Justizbehörde im Einzelfall in ihrer
Übergabeentscheidung keine anders lautende Erklärung abgibt.
(2) Außer in den in den Absätzen 1 und 3 vorgesehenen Fällen dürfen Personen, die
übergeben wurden, wegen einer vor der Übergabe begangenen anderen
Handlung als derjenigen, die der Übergabe zugrunde liegt, weder verfolgt noch
verurteilt noch einer freiheitsentziehenden Maßnahme unterworfen werden.
a) wenn die Person das Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates, dem sie übergeben
worden ist, innerhalb von 45 Tagen nach ihrer endgültigen Freilassung
nicht verlassen hat, obwohl sie dazu die Möglichkeit hatte, oder wenn sie
nach Verlassen dieses Gebiets dorthin zurückgekehrt ist;
89
b) wenn die Straftat nicht mit einer Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden
Maßregel der Sicherung bedroht ist;
d) wenn die Person der Vollstreckung einer Strafe oder Maßregel der
Sicherung ohne Freiheitsentzug, insbesondere einer Geldstrafe bzw. einer
vermögensrechtlichen Maßnahme oder der an deren Stelle tretenden
Maßnahme unterzogen wird, selbst wenn diese Strafe oder Maßnahme die
persönliche Freiheit einschränken kann;
e) wenn die Person ihre Zustimmung zur Übergabe und gegebenenfalls den
Verzicht auf die Anwendung des Grundsatzes der Spezialität gemäß
Artikel 13 erklärt hat;
f) wenn die Person nach ihrer Übergabe ausdrücklich auf die Anwendung
des Grundsatzes der Spezialität in Bezug auf bestimmte vor der Übergabe
begangene Handlungen verzichtet hat. Die Verzichterklärung wird vor den
zuständigen Justizbehörden des Ausstellungsmitgliedstaats abgegeben und
nach dessen innerstaatlichem Recht zu Protokoll genommen. Die
Verzichterklärung ist so abzufassen, dass aus ihr hervorgeht, dass die
betreffende Person sie freiwillig und in voller Kenntnis der sich daraus
ergebenden Folgen abgegeben hat. Zu diesem Zweck hat die Person das
Recht, einen Rechtsbeistand hinzuzuziehen;
g) wenn die vollstreckende Justizbehörde, die die Person übergeben hat, ihre
Zustimmung nach Absatz 4 gibt.
(4) Das Ersuchen um Zustimmung ist unter Beifügung der in Artikel 8 Absatz 1
erwähnten Angaben und einer Übersetzung gemäß Artikel 8 Absatz 2 an die
vollstreckende Justizbehörde zu richten. Die Zustimmung wird erteilt, wenn die
Straftat, derentwegen um Zustimmung ersucht wird, nach diesem
Rahmenbeschluss der Verpflichtung zur Übergabe unterliegt. Die Zustimmung
wird verweigert, wenn die in Artikel 3 genannten Gründe vorliegen; ansonsten
kann sie nur aus den in Artikel 4 genannten Gründen verweigert werden. Die
Entscheidung ist spätestens 30 Tage nach Eingang des Ersuchens zu treffen.
In den Fällen des Artikels 5 sind die dort vorgesehenen Garantien vom
Ausstellungsmitgliedstaat zu geben.
Artikel 28
(1) Jeder Mitgliedstaat kann dem Generalsekretariat des Rates mitteilen, dass in
seinen Beziehungen zu anderen Mitgliedstaaten, die die gleiche Mitteilung
gemacht haben, die Zustimmung dazu, dass eine Person einem anderen
Mitgliedstaat als dem Vollstreckungsmitgliedstaat aufgrund eines Europäischen
Haftbefehls, dem eine vor ihrer Übergabe begangene Handlung zugrunde liegt,
übergeben wird, als erteilt gilt, sofern die vollstreckende Justizbehörde im
90
Einzelfall in ihrer Übergabeentscheidung keine anders lautende Erklärung
abgibt.
a) wenn die gesuchte Person das Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, dem sie
übergeben worden ist, innerhalb von 45 Tagen nach ihrer endgültigen
Freilassung nicht verlassen hat, obwohl sie dazu die Möglichkeit hatte,
oder wenn sie nach Verlassen dieses Gebiets dorthin zurückgekehrt ist;
c) wenn der Grundsatz der Spezialität auf die gesuchte Person gemäß
Artikel 22 Absatz 3 Buchstaben a, e, f und g nicht anzuwenden ist.
In den in Artikel 5 genannten Fällen sind die dort vorgesehenen Garantien vom
Ausstellungsstaat zu geben.
(4) Ungeachtet des Absatzes 1 darf eine Person, die aufgrund eines Europäischen
Haftbefehls übergeben wurde, nicht ohne die Zustimmung der zuständigen
Behörden des Mitgliedstaats, der die Person übergeben hat, an einen Drittstaat
91
ausgeliefert werden. Die Zustimmung ist gemäß den Übereinkommen, die
diesen Mitgliedstaat binden, sowie gemäß seinen innerstaatlichen
Rechtsvorschriften zu geben.
Artikel 29
(1) Auf Verlangen der ausstellenden Justizbehörde oder von Amtes wegen
beschlagnahmt und übergibt die vollstreckende Justizbehörde nach Maßgabe
ihres innerstaatlichen Rechts die Gegenstände,
(2) Die in Absatz 1 erwähnten Gegenstände sind selbst dann zu übergeben, wenn
der Europäische Haftbefehl infolge des Todes oder der Flucht der gesuchten
Person nicht vollstreckt werden kann.
Artikel 30
Kosten
92
KAPITEL 4
ALLGEMEINE SCHLUSSBESTIMMUNGEN
Artikel 31
e) den Titel III Kapitel 4 des Übereinkommens vom 19. Juni 1990 zur
Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985
betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen
Grenzen.
(2) Es steht den Mitgliedstaaten frei, auch weiterhin die zum Zeitpunkt der
Annahme dieses Rahmenbeschlusses geltenden bilateralen oder multilateralen
Abkommen oder Übereinkünfte anzuwenden, sofern diese die Möglichkeit
bieten, über die Ziele dieses Beschlusses hinauszugehen, und zu einer weiteren
Vereinfachung oder Erleichterung der Verfahren zur Übergabe von Personen
beitragen, gegen die ein Europäischer Haftbefehl vorliegt.
93
vorliegt, insbesondere indem kürzere Fristen als nach Artikel 17 festgelegt
werden, die Liste der in Artikel 2 Absatz 2 angeführten Straftaten ausgeweitet
wird, die Ablehnungsgründe nach den Artikeln 3 und 4 zusätzlich eingeschränkt
werden oder der Schwellenwert nach Artikel 2 Absatz 1 oder Absatz 2 gesenkt
wird.
Die Abkommen und Übereinkünfte nach Unterabsatz 2 dürfen auf keinen Fall
die Beziehungen zu den Mitgliedstaaten beeinträchtigen, die nicht
Vertragspartei dieser Übereinkünfte sind.
Die Mitgliedstaaten unterrichten den Rat und die Kommission binnen drei
Monaten nach Inkrafttreten dieses Rahmenbeschlusses von den bestehenden
Abkommen oder Übereinkünften nach Unterabsatz 1, die sie auch weiterhin
anwenden wollen.
Die Mitgliedstaaten unterrichten den Rat und die Kommission ferner über alle
neuen Abkommen oder Übereinkünfte im Sinne von Unterabsatz 2 binnen drei
Monaten nach deren Unterzeichnung.
Artikel 32
Übergangsbestimmung
(1) Für die vor dem 1. Januar 2004 eingegangenen Auslieferungsersuchen gelten
weiterhin die im Bereich der Auslieferung bestehenden Instrumente. Für die
nach diesem Zeitpunkt eingegangenen Ersuchen gelten die von den
Mitgliedstaaten gemäß diesem Rahmenbeschluss erlassenen Bestimmungen.
Jeder Mitgliedstaat kann jedoch zum Zeitpunkt der Annahme dieses
Rahmenbeschlusses eine Erklärung abgegeben, dass er als
Vollstreckungsmitgliedstaat auch weiterhin Ersuchen im Zusammenhang mit
Handlungen, die vor einem von ihm festzulegenden Zeitpunkt begangen
wurden, nach der vor dem 1. Januar 2004 geltenden Auslieferungsregelung
behandeln wird. Der betreffende Zeitpunkt darf nicht nach dem 7. August 2002
liegen. Diese Erklärung wird im Amtsblatt veröffentlicht. Sie kann jederzeit
zurückgezogen werden.
Artikel 33
94
gestatten, die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls abzulehnen, wenn
es sich bei der gesuchten Person um einen österreichischen Staatsbürger handelt
und wenn die Handlung, derentwegen der Europäische Haftbefehl erlassen
worden ist, nach österreichischem Recht nicht strafbar ist.
Artikel 34
Durchführung
(2) Die Mitgliedstaaten teilen dem Generalsekretariat des Rates und der
Kommission den Wortlaut der Bestimmungen mit, die sie zur Umsetzung der
sich aus diesem Rahmenbeschluss ergebenden Verpflichtungen in ihr
innerstaatliches Recht erlassen haben. Dabei kann jeder Mitgliedstaat angeben,
dass er diesen Rahmenbeschluss in seinen Beziehungen zu den Mitgliedstaaten,
die die gleiche Mitteilung gemacht haben, unverzüglich anwendet.
(3) Auf der Grundlage von Informationen, die das Generalsekretariat des Rates
vorlegt, übermittelt die Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat
bis zum 31. Dezember 2004 einen Bericht über die Anwendung dieses
Rahmenbeschlusses, dem sie gegebenenfalls Gesetzgebungsvorschläge beifügt.
(4) Der Rat überprüft in der zweiten Hälfte des Jahres 2003 insbesondere die
praktische Umsetzung der Bestimmungen des vorliegenden Rahmenbeschlusses
in den Mitgliedstaaten sowie die Funktionsweise des SIS.
Artikel 35
Inkrafttreten
95
ANHANG II — EuHB-FORMBLATT, enthalten im Anhang des
EuHB-Rahmenbeschlusses
EUROPÄISCHER HAFTBEFEHL1
Dieser Haftbefehl ist von einer zuständigen Justizbehörde ausgestellt worden. Ich
beantrage, dass die unten genannte Person zum Zwecke der Strafverfolgung oder der
Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der
Sicherung festgenommen und übergeben wird.
a) Angaben zur Identität der gesuchten Person:
Familienname: .............................................................................................................................
Vorname(n): ................................................................................................................................
ggf. Geburtsname: .......................................................................................................................
ggf. Aliasname: ............................................................................................................................
Geschlecht: ..................................................................................................................................
Staatsangehörigkeit: ....................................................................................................................
Geburtsdatum: .............................................................................................................................
Geburtsort: ...................................................................................................................................
Wohnort und/oder bekannte Anschrift: .......................................................................................
......................................................................................................................................................
Falls bekannt: Sprache oder Sprachen, die die gesuchte Person versteht:
......................................................................................................................................................
Besondere Kennzeichen/Beschreibung der gesuchten Person: ...................................................
......................................................................................................................................................
Foto und Fingerabdrücke der gesuchten Person, sofern diese vorhanden sind und übermittelt
werden können, oder Kontaktadresse der Person, die diese oder ein DNS-Profil übermitteln
kann (sofern diese Daten zur Übermittlung verfügbar sind und nicht beigefügt waren).
1
Der Haftbefehl ist in einer der Amtssprachen des Vollstreckungsstaats oder in einer von diesem
Staat akzeptierten Sprache auszufertigen bzw. in eine solche Sprache zu übersetzen, wenn dieser
Staat bekannt ist.
96
b) Entscheidung, die dem Haftbefehl zugrunde liegt:
Art: ....................................................................................................................................
d) Geben Sie an, ob die Person zu der Verhandlung, die zu der Entscheidung geführt hat,
persönlich erschienen ist:
1. Ja, die Person ist zu der Verhandlung, die zu der Entscheidung geführt hat,
persönlich erschienen.
2. Nein, die Person ist zu der Verhandlung, die zu der Entscheidung geführt hat,
nicht persönlich erschienen.
3. Bitte geben Sie zu der unter Nummer 2 angekreuzten Möglichkeit an, dass eine der
folgenden Möglichkeiten zutrifft:
97
3.1a Die Person wurde am … (Tag/Monat/Jahr) persönlich vorgeladen und dabei
von dem vorgesehenen Termin und Ort der Verhandlung in Kenntnis gesetzt, die zu der
Entscheidung geführt hat, sowie davon in Kenntnis gesetzt, dass eine Entscheidung auch
dann ergehen kann, wenn sie zu der Verhandlung nicht erscheint;
ODER
3.1b die Person wurde nicht persönlich vorgeladen, aber auf andere Weise
tatsächlich offiziell von dem vorgesehenen Termin und Ort der Verhandlung, die zu der
Entscheidung geführt hat, in Kenntnis gesetzt, und zwar auf eine Weise, dass zweifelsfrei
nachgewiesen wurde, dass sie von der anberaumten Verhandlung Kenntnis hatte, sowie
davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass eine Entscheidung auch dann ergehen kann, wenn
sie zu der Verhandlung nicht erscheint;
ODER
3.2. die Person hat in Kenntnis der anberaumten Verhandlung ein Mandat an
einen Rechtsbeistand, der entweder von der betroffenen Person oder vom Staat bestellt
wurde, erteilt, sie bei der Verhandlung zu verteidigen, und ist bei der Verhandlung von
diesem Rechtsbeistand tatsächlich verteidigt worden;
ODER
die Person hat ausdrücklich erklärt, dass sie diese Entscheidung nicht anficht;
ODER
die Person hat innerhalb der geltenden Frist keine Wiederaufnahme des
Verfahrens bzw. kein Berufungsverfahren beantragt;
ODER
98
3.4. der Person wurde die Entscheidung nicht persönlich zugestellt, aber
- sie wird die Entscheidung unverzüglich nach der Übergabe persönlich zugestellt
erhalten, und
- sie wird bei Zustellung der Entscheidung ausdrücklich von ihrem Recht auf
Wiederaufnahme des Verfahrens oder auf ein Berufungsverfahren in Kenntnis
gesetzt werden, an dem die Person teilnehmen kann und bei dem der Sachverhalt,
einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft werden und die ursprünglich
ergangene Entscheidung aufgehoben werden kann, und
- sie wird von der Frist in Kenntnis gesetzt werden, über die sie verfügt, um eine
Wiederaufnahme des Verfahrens bzw. ein Berufungsverfahren zu beantragen, die …
Tage beträgt.
4. Bitte geben Sie zu der unter Nummer 3.1b, 3.2 oder 3.3 angekreuzten Möglichkeit
an, wie die entsprechende Voraussetzung erfüllt wurde:
………………………………………………………………………………………………
………………………………………………………………………………………………
e) Straftat(en)
Beschreibung der Umstände, unter denen die Straftat(en) begangen wurde(n), einschließlich Tatzeit
(Datum und Uhrzeit), Tatort und Art der Beteiligung der gesuchten Person an der(n) Straftat(en).
................................................................................................................................................................
................................................................................................................................................................
................................................................................................................................................................
Art und rechtliche Würdigung der Straftat(en) und anwendbare gesetzliche Bestimmungen:
................................................................................................................................................................
................................................................................................................................................................
99
................................................................................................................................................................
................................................................................................................................................................
................................................................................................................................................................
I. Bitte kreuzen Sie gegebenenfalls an, ob es sich um eine oder mehrere der folgenden – nach
dem Recht des Ausstellungsstaats definierten – Straftaten handelt, die im
Ausstellungsmitgliedstaat mit einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden
Maßnahme der Sicherung im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht sind:
Terrorismus
Menschenhandel
Korruption
Cyberkriminalität
100
Diebstahl in organisierter Form oder schwerer Raub
Betrug
Vergewaltigung
Brandstiftung
Flugzeug-/Schiffsentführung
Sabotage
II. Vollständige Beschreibung der Straftat oder der Straftaten, die nicht unter die Fälle nach
Abschnitt I fallen:
................................................................................................................................................................
................................................................................................................................................................
101
g) Dieser Haftbefehl betrifft auch die Beschlagnahme und Übergabe von Gegenständen, die als
Beweisstücke dienen können:
Dieser Haftbefehl betrifft auch die Beschlagnahme und Übergabe von Gegenständen, die die
gesuchte Person aus der Straftat erlangt hat.
h) Die Straftat/Straftaten, aufgrund deren dieser Haftbefehl ausgestellt wurde, ist/sind mit einer
lebenslangen Freiheitsstrafe oder einer lebenslangen Maßregel der Sicherung bedroht oder
hat/haben zur Verhängung einer solchen Strafe bzw. Maßregel geführt:
— Nach der Rechtsordnung des Ausstellungsmitgliedstaats kann die verhängte Strafe – auf
Antrag oder nach mindestens 20 Jahren – daraufhin überprüft werden, ob die Vollstreckung
dieser Strafe oder Maßregel auszusetzen ist,
und/oder
— nach der Rechtsordnung des Ausstellungsmitgliedstaats können Gnadenakte, auf die die
Person nach dem innerstaatlichen Recht oder der Rechtspraxis des Ausstellungsmitgliedstaats
Anspruch hat, mit dem Ziel der Nichtvollstreckung dieser Strafe oder Maßregel angewandt
werden.
Aktenzeichen: ..............................................................................................................................
Anschrift: .....................................................................................................................................
2
In die einzelnen Sprachfassungen ist eine Bezugnahme auf den „Träger“ der Justizbehörde
aufzunehmen.
102
E-Mail: .........................................................................................................................................
Kontaktdaten der Person, die die erforderlichen praktischen Vorkehrungen für die Übergabe
treffen kann: .................................................................................................................................
Im Fall der Benennung einer zentralen Behörde für die Übermittlung und administrative
Entgegennahme von Europäischen Haftbefehlen:
Name: ....................................................................................................................................................
Funktion (Titel/Dienstrang): .................................................................................................................
Datum: ...................................................................................................................................................
103
ANHANG III — LEITLINIEN FÜR DAS AUSFÜLLEN EINES
EuHB-FORMBLATTS
Dieser Haftbefehl ist von einer zuständigen Justizbehörde ausgestellt worden. Ich
beantrage, dass die unten genannte Person zum Zwecke der Strafverfolgung oder der
Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der
Sicherung festgenommen und übergeben wird.
Kommentar:
– Es wird dazu geraten, zum Abfassen eines EuHB den Kompendium-Assistenten
auf der Website des Europäischen Justiziellen Netzes (EJN) zu verwenden. Mit
diesem Online-Tool ist das Ausfüllen genauso einfach wie im Word-Format,
aber darüber hinaus bietet es eine Reihe moderner, benutzerfreundlicher
Funktionen wie etwa die Möglichkeit, die zuständigen vollstreckenden
Justizbehörden direkt aus dem EJN-Gerichtsatlas zu übernehmen, den Text des
Vordrucks sofort in der oder den vom Vollstreckungsmitgliedstaat akzeptierten
Sprache(n) aufzurufen, und die Abspeicherung und Versendung des Formblatts
per E-Mail.
– Des Weiteren ist es ratsam, das Formblatt in allen – und insbesondere in den von
anderen Mitgliedstaaten häufiger akzeptierten – Sprachen von der EJN-Website
(Rubrik Justiz-Bibliothek) herunterzuladen und auf Ihrem Computer zu
speichern.
– Ist ein Feld nicht relevant, tragen Sie „entfällt“ ein oder verdeutlichen sie,
z. B. durch ein Symbol (z. B. einen Gedankenstrich), dass Sie hierzu keine
Angaben machen können. Bitte nie ein Feld löschen oder das EuHB-Formblatt
anderweitig verändern.
– Bezieht sich der EuHB auf mehrere Straftaten, nummerieren Sie diese bitte
fortlaufend durch (1, 2, 3 usw.) und behalten Sie die Nummerierung im
gesamten Formblatt bei, insbesondere in Kasten b).
104
Kasten a)
Angaben zur Identifizierung der gesuchten Person
Kommentar:
Bitte füllen Sie nach Möglichkeit alle Felder aus.
ggf. Geburtsname:
Falls bekannt: Sprache oder Sprachen, die die gesuchte Person versteht:
105
Besondere Kennzeichen/Beschreibung der gesuchten Person: Kommentar: obligatorisches
Feld, sofern dazu Angaben gemacht werden können. Bitte geben Sie auch an, ob die
Person gefährlich und/oder möglicherweise bewaffnet ist.
Foto und Fingerabdrücke der gesuchten Person, sofern diese vorhanden sind und übermittelt werden
können, oder Kontaktadresse der Person, die diese oder ein DNS-Profil übermitteln kann (sofern
diese Daten zur Übermittlung verfügbar sind und nicht beigefügt waren). Kommentar: Falls
vorhanden, besteht die Pflicht zur Übermittlung der Daten über Interpol oder das SIS. Dies ist
unerlässlich, um sicherzugehen, dass die richtige Person festgenommen wird.
Überprüfen sie die Angaben ein zweites Mal, sollte es in derselben Akte zwei oder mehrere
Personen mit ähnlichem Namen (vielleicht in umgekehrter Reihenfolge oder mit geringfügigen
Abweichungen) geben.
106
Kasten b)
Angaben zu der Entscheidung, die dem EuHB zugrunde liegt
Kommentar:
Dieses Formblatt ist dem Zweck des EuHB entsprechend – Fälle von Strafverfolgung
und/oder Verurteilung – auszufüllen. Der in Kasten b) verwendete Ausdruck
„Entscheidung, die dem Haftbefehl zugrunde liegt“ bezieht sich auf eine vom EuHB zu
trennende „justizielle Entscheidung“. Als „justizielle Entscheidungen“ gelten
Entscheidungen von Behörden eines Mitgliedstaats, deren Aufgabe die Strafrechtspflege
ist. Polizeibehörden gehören nicht dazu. Ist die Entscheidung, die zu der
freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung geführt hat, beispielsweise in ein
Abwesenheitsurteil umgewandelt worden, sollte ein neuer EuHB (mit dem neuen Titel)
ausgestellt werden.
– b) 1. Angabe der Entscheidung, auf die sich der EuHB stützt (beispielsweise
richterliche Anordnung oder Haftbefehl vom tt/mm/jjjj zur Verhängung einer
Zwangsmaßnahme in Form der Untersuchungshaft). Hinweis: Wenn Feld b) 1.
ausgefüllt wurde, ist auch Feld c) 1. auszufüllen.
Art: Kommentar: Geben Sie die entsprechende richterliche Anordnung oder andere
justizielle Anordnung sowie das Ausstellungsdatum und das Aktenzeichen an.
2. Vollstreckbares Urteil: Kommentar: Ist das Urteil vollstreckbar, geben Sie bitte auch
das Datum an, an dem es rechtskräftig wurde.
Aktenzeichen: Kommentar: Geben Sie das Datum, das Aktenzeichen und die Art der
Entscheidung an. Belassen Sie die Aktenzeichen in der Originalsprache.
107
Kasten c)
Angaben zur Dauer der Freiheitsstrafe/freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung
Kommentar:
Dieser Abschnitt dient dem Nachweis, dass der EuHB die Voraussetzungen gemäß
Artikel 2 Absatz 1 des EuHB-Rahmenbeschlusses erfüllt. Im vorgerichtlichen Stadium
ist dabei das grundsätzlich mögliche Strafmaß und nach Verhängung der Strafe die
Länge der tatsächlich verhängten Strafe zugrunde zu legen. Füllen Sie wie schon in
Kasten b) die maßgeblichen Felder entsprechend dem Stadium des Strafverfahrens aus.
– c) 1. Geben Sie die mögliche Höchststrafe an. Bitte beachten Sie, dass gemäß
Artikel 2 Absatz 1 ein EuHB bei Straftaten erlassen werden kann, die mit einer
Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung im
Höchstmaß von mindestens zwölf Monaten bedroht sind. Wenn Feld b) 1.
ausgefüllt wurde, ist auch Feld c) 1. auszufüllen.
Noch zu verbüßende Strafe: Kommentar: Bei einer Strafe von unbestimmter, aber
mindestens viermonatiger Dauer ist anzugeben, dass noch mindestens vier Monate zu
verbüßen sind.
108
Kasten d)
Abwesenheitsurteile
d) Geben Sie an, ob die Person zu der Verhandlung, die zu der Entscheidung geführt hat, persönlich
erschienen ist:
1. Ja, die Person ist zu der Verhandlung, die zu der Entscheidung geführt hat, persönlich
erschienen.
2. Nein, die Person ist zu der Verhandlung, die zu der Entscheidung geführt hat, nicht
persönlich erschienen.
3. Bitte geben Sie zu der unter Nummer 2 angekreuzten Möglichkeit an, dass eine der
folgenden Möglichkeiten zutrifft:
3.1a Die Person wurde am … (Tag/Monat/Jahr) persönlich vorgeladen und dabei von
dem vorgesehenen Termin und Ort der Verhandlung in Kenntnis gesetzt, die zu
der Entscheidung geführt hat, sowie davon in Kenntnis gesetzt, dass eine
Entscheidung auch dann ergehen kann, wenn sie zu der Verhandlung nicht
erscheint;
ODER
3.1b die Person wurde nicht persönlich vorgeladen, aber auf andere Weise tatsächlich
offiziell von dem vorgesehenen Termin und Ort der Verhandlung, die zu der
Entscheidung geführt hat, in Kenntnis gesetzt, und zwar auf eine Weise, dass
zweifelsfrei nachgewiesen wurde, dass sie von der anberaumten Verhandlung
Kenntnis hatte, sowie davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass eine Entscheidung
auch dann ergehen kann, wenn sie zu der Verhandlung nicht erscheint;
ODER
3.2. die Person hat in Kenntnis der anberaumten Verhandlung ein Mandat an einen
Rechtsbeistand, der entweder von der betroffenen Person oder vom Staat
bestellt wurde, erteilt, sie bei der Verhandlung zu verteidigen, und ist bei der
Verhandlung von diesem Rechtsbeistand tatsächlich verteidigt worden;
ODER
3.3. der Person wurde die Entscheidung am … (Tag/Monat/Jahr) zugestellt, und sie
wurde ausdrücklich von ihrem Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder
auf ein Berufungsverfahren in Kenntnis gesetzt, an dem die Person teilnehmen
kann und bei dem der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut
geprüft werden und die ursprünglich ergangene Entscheidung aufgehoben
werden kann, und
die Person hat ausdrücklich erklärt, dass sie diese Entscheidung nicht anficht;
ODER
die Person hat innerhalb der geltenden Frist keine Wiederaufnahme des
Verfahrens bzw. kein Berufungsverfahren beantragt;
109
ODER
3.4. der Person wurde die Entscheidung nicht persönlich zugestellt, aber
– sie wird bei Zustellung der Entscheidung ausdrücklich von ihrem Recht
auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder auf ein Berufungsverfahren in
Kenntnis gesetzt werden, an dem die Person teilnehmen kann und bei
dem der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft
werden und die ursprünglich ergangene Entscheidung aufgehoben
werden kann, und
– sie wird von der Frist in Kenntnis gesetzt werden, über die sie verfügt,
um eine Wiederaufnahme des Verfahrens bzw. ein Berufungsverfahren
zu beantragen, die … Tage beträgt.
4. Bitte geben Sie zu der unter Nummer 3.1b, 3.2 oder 3.3 angekreuzten Möglichkeit an, wie
die entsprechende Voraussetzung erfüllt wurde:
....................................................................................................................…….....................
.................................................................................................................................................
110
Kasten e)
Straftaten
Kommentar:
Ob die Straftat zu den 32 Straftaten gehört, bei denen sich die Überprüfung der
beiderseitigen Strafbarkeit erübrigt, entscheidet die ausstellende Justizbehörde anhand
der Definition der Straftat im Strafrecht des Ausstellungsmitgliedstaats. Der Wortlaut des
einschlägigen Gesetzestextes braucht nicht in den EuHB aufgenommen oder ihm
beigefügt werden. So lassen sich auch unnötige Übersetzungen von Gesetzestexten
vermeiden.
Erforderlich ist hingegen eine ausführliche Beschreibung des Sachverhalts mit allen
sachdienlichen Informationen, damit die Behörden des Vollstreckungsmitgliedstaats
prüfen können, ob der Grundsatz der Spezialität Anwendung findet oder ob es Gründe
gibt, die Vollstreckung zu versagen, wie etwa den Grundsatz „ne bis in idem“ oder die
Verjährung der Tat.
– Erläutern Sie den genauen Sachverhalt, der Anlass für die Ausstellung des
EuHB gibt:
– Beschränken Sie sich auf die Fakten, die in Zusammenhang mit der Person
stehen, die übergeben werden soll.
– Machen Sie alle hierfür nötigen Angaben (verantwortliche Person, Art der
Tatbeteiligung oder Tatbegehung, Tatort und Tatzeit, Anzahl der Delikte,
Tatmittel, verursachter Schaden oder zugefügte Verletzungen, Vorsatz
oder Tatzweck, durch die Tat erlangter Vorteil usw.)
111
– Liegen mehrere Straftaten vor, beschreiben Sie die Tatbestände so, dass
Beschreibung und rechtliche Würdigung der Straftat zueinander passen.
– Verwenden Sie kurze und einfache Sätze, die sich leicht übersetzen lassen.
– Nehmen Sie eine rechtliche Würdigung der Straftat vor (gegen welche
Rechtsnorm im Strafgesetzbuch wurde verstoßen). Der Wortlaut der
einschlägigen Rechtsnormen braucht jedoch nicht in den EuHB aufgenommen
zu werden. Dies verursacht nur unnötigen Übersetzungsaufwand.
– Ordnet die ausstellende Justizbehörde die Tat einer der in der Liste der 32 unten
aufgeführten Straftaten zu und ist die Tat mit einer Freiheitsstrafe oder einer
freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung im Höchstmaß von mindestens
drei Jahren bedroht, ist das entsprechende Kästchen in der Liste anzukreuzen.
– Es empfiehlt sich, nach Möglichkeit nur ein Formblatt pro Haftbefehl und
Person zu verwenden. Betrifft dieser mehrere Straftaten, sollte klar
gekennzeichnet werden (z. B. durch Zusatz von „Straftat 1“, „Straftat 2“,
„Straftat 3“ usw.), welches Kreuz sich auf welche Straftat bezieht (siehe
insbesondere Kasten b)). Beachten Sie, dass in das SIS nur eine Ausschreibung
zur Festnahme eingegeben werden kann. Der Ausschreibung zur Festnahme
kann allerdings auch mehr als ein EuHB beigefügt werden.
– Hat ein Mitgliedstaat mehrere EuHBe für ein und dieselbe Person ausgestellt, so
stehen diese nicht in Konkurrenz zueinander.
112
e) Straftat(en)
Beschreibung der Umstände, unter denen die Straftat(en) begangen wurde(n), einschließlich Tatzeit
(Datum und Uhrzeit), Tatort und Art der Beteiligung der gesuchten Person an der(n) Straftat(en):
Kommentar: Wenn es beispielsweise um drei Straftaten geht, sollten zum besseren Verständnis
die Beschreibungen mit 1, 2 und 3 durchnummeriert werden. Verwenden Sie kurze Sätze, aber
seien Sie in der Darstellung des Sachverhalts vollständig und präzise.
…………………………………………………………………………………………………………
Art und rechtliche Würdigung der Straftat(en) und anwendbare gesetzliche Bestimmungen:
Kommentar: Ordnen Sie die Straftat rechtlich ein und geben Sie an, gegen welche Normen des
anwendbaren nationalen Rechtss damit verstoßen wird.
…………………………………….......................................……………….……...................................
....................................................................................................................……....................................
................................................................................................................................................................
I. Bitte kreuzen Sie gegebenenfalls an, ob es sich um eine oder mehrere der folgenden – nach
dem Recht des Ausstellungsstaats definierten – Straftaten handelt, die im
Ausstellungsmitgliedstaat mit einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden
Maßnahme der Sicherung im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht sind:
o Terrorismus
o Menschenhandel
o Korruption
o Cyberkriminalität
113
o Beihilfe zur illegalen Einreise und zum illegalen Aufenthalt
o Betrug
o Vergewaltigung
o Brandstiftung
o Flugzeug-/Schiffsentführung
o Sabotage
II. Vollständige Beschreibung der Straftat oder der Straftaten, die nicht unter die Fälle nach
Abschnitt I fallen. Kommentar: Alles bereits oben unter e) Vermerkte sollte nicht mehr in
Abschnitt II wiederholt werden. Außer einer vollständigen Beschreibung sind keine
weiteren Informationen zum innerstaatlichen Recht nötig.
Wurden die Tatumstände bereits oben erläutert, erübrigt sich eine erneute Schilderung. Sind die
Tatumstände eindeutig beschrieben, bitte keine Rechtsnormen beifügen. Diese Rubrik ist nur
auszufüllen, wenn die beiderseitige Strafbarkeit gegeben sein muss und Sie weitere Details zu
den Tatumständen vermerken müssen, die vorstehend noch nicht aufgeführt sind. Ein Richter
kann die beiderseitige Strafbarkeit auch prüfen, ohne den genauen Wortlaut der Rechtsnorm vor
sich zu haben, vorausgesetzt, er kennt die genauen Umstände des Falls. Die Gerichte einiger
114
Mitgliedstaaten verlangen allerdings Abschriften der Rechtsnorm.
.…….......................................................................................................................................................
...............................................................................................................................................................
115
Kasten f)
An dieser Stelle können auch Angaben gemacht werden, wenn besondere Vorkehrungen
bezüglich der Vollstreckung des EuHB zu treffen sind und zusätzliche Informationen –
neben der Möglichkeit der direkten Kontaktaufnahme – die Vollstreckung des EuHB
erleichtern können, zum Beispiel:
116
f) Sonstige für den Fall relevante Umstände (fakultative Angaben):
117
Kasten g)
Beschlagnahme
Kommentar:
– Kasten g) betrifft nicht die „persönliche Habe“. Geben Sie alles an, was als
Beweismittel herangezogen werden kann, z. B. Laptop, persönliche Unterlagen
oder Mobiltelefone, damit die Beschlagnahme der Gegenstände erfolgen kann.
g) Dieser Haftbefehl betrifft auch die Beschlagnahme und Übergabe von Gegenständen, die als
Beweisstücke dienen können:
Dieser Haftbefehl betrifft auch die Beschlagnahme und Übergabe von Gegenständen, die die
gesuchte Person aus der Straftat erlangt hat.
118
Kasten h)
Kommentar:
h) Die Straftat/Straftaten, aufgrund deren dieser Haftbefehl ausgestellt wurde, ist/sind mit einer
lebenslangen Freiheitsstrafe oder einer lebenslangen Maßregel der Sicherung bedroht oder
hat/haben zur Verhängung einer solchen Strafe bzw. Maßregel geführt:
Nach der Rechtsordnung des Ausstellungsmitgliedstaats kann die verhängte Strafe – auf
Antrag oder nach mindestens 20 Jahren – daraufhin überprüft werden, ob die
Vollstreckung dieser Strafe oder Maßregel auszusetzen ist,
und/oder
nach der Rechtsordnung des Ausstellungsmitgliedstaats können Gnadenakte, auf die die
Person nach dem innerstaatlichen Recht oder der Rechtspraxis des
Ausstellungsmitgliedstaats Anspruch hat, mit dem Ziel der Nichtvollstreckung dieser
Strafe oder Maßregel angewandt werden.
119
Kasten i)
Kommentar:
– Name ihres Vertreters: Bezugnahme auf den „Inhaber“ der richterlichen Gewalt
in den jeweiligen Sprachfassungen.
Aktenzeichen: ..............................................................................................................................
Anschrift: .....................................................................................................................................
120
Kontaktdaten der zentralen Behörde
Im Fall der Benennung einer zentralen Behörde für die Übermittlung und administrative
Entgegennahme von Europäischen Haftbefehlen:
121
Unterschrift der ausstellenden Justizbehörde und nähere Angaben zu der Behörde
Kommentar:
– Dies kann die Justizbehörde sein oder beispielsweise ein Urkundsbeamter der
Geschäftsstelle, der im Namen des Gerichts unterschreibt.
Unterschrift der ausstellenden Justizbehörde und/oder ihres Vertreters:
…….......................................................................................................................................................
Name:
……........................................................................................................................................................
Funktion (Titel/Dienstrang): ..................................................................................................................
Datum: ...................................................................................................................................................
(ggf.) amtlicher Stempel: Kommentar: Gemeint ist das Dienstsiegel, das die ausstellende
Justizbehörde kraft Gesetzes führen darf. Bitte stets anbringen, falls vorhanden.
122
ANHANG IV — SPRACHEN, IN DENEN EIN EUHB VON DEN
MITGLIEDSTAATEN AKZEPTIERT WIRD
Belgien: Französisch/Niederländisch/Deutsch
Bulgarien: Bulgarisch
Dänemark: Dänisch/Englisch/Schwedisch
Estland: Estnisch/Englisch
Frankreich: Französisch
Griechenland: Griechisch
Italien: Italienisch
Lettland: Lettisch/Englisch
Litauen Litauisch/Englisch
Luxemburg: Französisch/Deutsch/Englisch
Malta: Maltesisch/Englisch
Polen: Polnisch
123
Portugal Portugiesisch
Rumänien Rumänisch/Französisch/Englisch
Slowenien Slowenisch/Englisch
Zypern: Griechisch/Türkisch/Englisch
124
ANHANG V — LISTE VON URTEILEN DES GERICHTSHOFS
ZUM EUHB-RAHMENBESCHLUSS
C-404/15 und C-659/15 PPU, verbundene Rechtssachen Aranyosi und Căldăraru (Urteil
vom 5. April 2016)
125
Anhängig:
C-579/15, Popławski
C-191/16, Pisciotti
C-367/16, Piotrowski
C-496/16, Aranyosi
126
ANHANG VI — URTEILE DES GERICHTSHOFS ZUM
GRUNDSATZ NE BIS IN IDEM
Verbundene Rechtssachen C-187/01 und C-385/01, Gözütok und Brügge (Urteil
vom 11. Februar 2003)
– das maßgebende Kriterium für die Anwendung dieses Artikels das der
Identität der materiellen Tat, verstanden als das Vorhandensein eines
Komplexes unlösbar miteinander verbundener Tatsachen, ist, unabhängig
von der rechtlichen Qualifizierung dieser Tatsachen oder von dem
geschützten rechtlichen Interesse;
– die strafbaren Handlungen, die in der Ausfuhr und der Einfuhr derselben
Betäubungsmittel bestehen und in verschiedenen Vertragsstaaten des
genannten Übereinkommens strafrechtlich verfolgt worden sind,
grundsätzlich als „dieselbe Tat“ im Sinne des genannten Artikels 54
anzusehen sind, wobei die endgültige Beurteilung insoweit Sache der
zuständigen nationalen Gerichte ist.
127
Rechtssache C-467/04, Gasparini u. a. (Urteil vom 28. September 2006)
2. Der genannte Grundsatz findet keine Anwendung auf andere Personen als
diejenigen, die von einem Vertragsstaat rechtskräftig abgeurteilt worden sind.
3. Ein Strafgericht eines Vertragsstaats kann eine Ware nicht allein deshalb als in
seinem Hoheitsgebiet im freien Verkehr befindlich ansehen, weil das
Strafgericht eines anderen Vertragsstaats in Bezug auf dieselbe Ware festgestellt
hat, dass der Schmuggel verjährt sei.
– das maßgebende Kriterium für die Anwendung dieses Artikels das der
Identität der materiellen Tat, verstanden als das Vorhandensein eines
Komplexes unlösbar miteinander verbundener Tatsachen, ist, unabhängig
von der rechtlichen Qualifizierung dieser Tatsachen oder von dem
geschützten rechtlichen Interesse;
– es, was Drogenvergehen betrifft, nicht erforderlich ist, dass die in den
beiden betreffenden Vertragsstaaten in Rede stehenden Drogenmengen
oder die Personen, die angeblich an der Tat in den beiden Staaten beteiligt
waren, identisch sind;
– die strafbaren Handlungen, die in der Ausfuhr und der Einfuhr derselben
Betäubungsmittel bestehen und in verschiedenen Vertragsstaaten dieses
Übereinkommens strafrechtlich verfolgt worden sind, grundsätzlich als
„dieselbe Tat“ im Sinne des genannten Artikels 54 anzusehen sind, wobei
die abschließende Beurteilung Sache der zuständigen nationalen Gerichte
ist.
128
Rechtssache C-288/05, Kretzinger (Urteil vom 18. Juli 2007)
– das maßgebende Kriterium für die Anwendung dieses Artikels das der
Identität der materiellen Tat, verstanden als das Vorhandensein eines
Komplexes unlösbar miteinander verbundener Tatsachen, ist, unabhängig
von der rechtlichen Qualifizierung dieser Tatsachen oder von dem
geschützten rechtlichen Interesse;
2. Die von einem Gericht eines Vertragsstaats verhängte Sanktion ist im Sinne von
Art. 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens „bereits vollstreckt“
worden oder wird „gerade vollstreckt“, wenn der Angeklagte nach dem Recht
dieses Vertragsstaats zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, deren
Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist.
3. Die von einem Gericht eines Vertragsstaats verhängte Sanktion ist im Sinne von
Art. 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens weder „bereits
vollstreckt“ worden noch wird sie „gerade vollstreckt“, wenn der Angeklagte
kurzfristig in Polizei- und/oder Untersuchungshaft genommen worden ist und
dieser Freiheitsentzug nach dem Recht des Urteilsstaats auf eine spätere
Vollstreckung der Haftstrafe anzurechnen wäre.
4. Es kann nicht die Auslegung des Begriffs der Vollstreckung im Sinne von
Art. 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens beeinflussen, dass ein
Mitgliedstaat, in dem eine Person nach innerstaatlichem Recht rechtskräftig
verurteilt worden ist, aufgrund des EuHB-Rahmenbeschlusses und die
Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten einen EuHB ausstellen kann,
um diese Person zur Vollstreckung des Urteils festnehmen zu lassen.
– das maßgebende Kriterium für die Anwendung dieses Artikels das der Identität
der materiellen Tat, verstanden als das Vorhandensein eines Komplexes
unlösbar miteinander verbundener Tatsachen, ist, unabhängig von der
rechtlichen Qualifizierung dieser Tatsachen oder von dem geschützten
rechtlichen Interesse;
129
– verschiedene Taten, die u. a. darin bestehen, dass jemand in einem Vertragsstaat
aus dem Handel mit Betäubungsmitteln stammende Geldbeträge besitzt und
Geldbeträge gleicher Herkunft in Wechselstuben, die in einem anderen
Vertragsstaat liegen, in Umlauf bringt, nicht schon deshalb als „dieselbe Tat“ im
Sinne von Art. 54 des Übereinkommens zur Durchführung des
Übereinkommens von Schengen anzusehen sind, weil das zuständige nationale
Gericht feststellt, dass diese Taten durch einen einheitlichen Vorsatz verbunden
sind;
– es Sache dieses nationalen Gerichts ist zu prüfen, ob der Grad der Identität und
des Zusammenhangs aller zu vergleichenden tatsächlichen Umstände in
Anbetracht des vorerwähnten maßgebenden Kriteriums den Schluss zulässt, dass
es sich um „dieselbe Tat“ im Sinne von Art. 54 des Schengener
Durchführungsübereinkommens handelt.
Für die Zwecke der Ausstellung und Vollstreckung eines EuHB stellt der Begriff
„dieselbe Handlung“ in Art. 3 Nr. 2 des EuHB-Rahmenbeschlusses einen autonomen
Begriff des Unionsrechts dar.
130
In einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens, in dem die ausstellende Justizbehörde
auf ein Informationsersuchen der vollstreckenden Justizbehörde im Sinne des Art. 15
Abs. 2 des EuHB-Rahmenbeschlusses hin gemäß ihrem nationalen Recht und unter
Beachtung der Anforderungen, die sich aus dem in Art. 3 Nr. 2 des
EuHB-Rahmenbeschlusses aufgeführten Begriff „dieselbe Handlung“ ergeben,
ausdrücklich festgestellt hat, dass das zuvor im Rahmen ihrer Rechtsordnung erlassene
Urteil keine rechtskräftige Verurteilung wegen der in ihrem Haftbefehl bezeichneten
Handlungen darstellt und den in diesem Haftbefehl genannten
Strafverfolgungsmaßnahmen daher nicht entgegensteht, besteht für die vollstreckende
Justizbehörde kein Anlass, wegen dieses Urteils den in diesem Art. 3 Nr. 2 vorgesehenen
zwingenden Grund für die Ablehnung der Vollstreckung anzuwenden.
2. Art. 54 dieses Übereinkommens ist dahin auszulegen, dass die bloße Zahlung
der Geldstrafe, die gegen eine Person verhängt wurde, der mit der gleichen
Entscheidung eines Gerichts eines anderen Mitgliedstaats eine bislang nicht
vollstreckte Freiheitsstrafe auferlegt wurde, nicht den Schluss zulässt, dass die
Sanktion im Sinne dieser Bestimmung bereits vollstreckt worden ist oder gerade
vollstreckt wird.
131
ANHANG VII – STANDARDFORMULAR ZU EINER EuHB-ENTSCHEIDUNG
Dieses Formblatt ersetzt nicht die gemäß Artikel 22 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI zu übermittelnde Übergabeentscheidung und auch nicht
– soweit zutreffend und von der Ausstellungsbehörde gefordert – den vollen Wortlaut der justiziellen Entscheidung über den Europäischen Haftbefehl.
Az.
Az. AUSSTELLUNG: Az. SIS:
VOLLSTRECKUNG:
STAATSANGEHÖRIGKEIT DER
GESUCHTEN PERSON
-A- VOLLSTRECKT:
JA BEI TEILWEISER
VERICHT AUF DEN BEWILLIGUNG DER
ÜBERGABE GEBEN SIE
GRUNDSATZ DER JA BITTE AN, FÜR WELCHE
ZUSTIMMUNG DER GESUCHTEN STRAFTATEN DER EuHB
SPEZIALITÄT
PERSON (Art. 13 EuHB-RB) NICHT BEWILLIGT WIRD
NEIN (Art. 13 Abs. 2 NEIN
EuHB-RB)
KEINE NEIN
1
Hier ist folgende Fußnote einzufügen: „Das Datum ist, sofern bekannt, von der Behörde auszufüllen, die die Person überstellt. Es kann auch von der Behörde ausgefüllt
werden, an die die Person überstellt wird.“
132
ÜBERPRÜFUNG EINER LEBENSLANGEN
FREIHEITSSTRAFE
WEGEN STRAFVERFOLGUNG IM
NEIN..... JA
VORÜBERGEHENDE ÜBERGABE
BIS (DATUM ) (Art. 24 Abs. 2 EuHB-RB)
III.– BEMERKUNGEN:
133
ANHANG VIII — LISTE DER MITGLIEDSTAATEN, DEREN
RECHTSORDNUNG DIE ÜBERGABE WEGEN STRAFTATEN
ERLAUBT, DIE MIT EINEM NIEDRIGEREN STRAFMASS
BEDROHT SIND ALS IN ARTIKEL 2 ABSATZ 1 DES
RAHMENBESCHLUSSES ÜBER DEN EUROPÄISCHEN
HAFTBEFEHL ANGEGEBEN, WENN DIESE TATEN DAS
MERKMAL DER AKZESSORIETÄT ZU DER (DEN)
HAUPTTAT(EN) ERFÜLLEN1
Dänemark
Deutschland
Finnland
Frankreich
Lettland
Litauen
Österreich
Schweden
Slowakei
Slowenien
Tschechische Republik
Ungarn
1
Die Liste basiert auf den Antworten von 20 Mitgliedstaaten auf einen Fragebogen der
Kommission – sie spiegelt daher nicht unbedingt die Situation in allen Mitgliedstaaten wider. Der
Liste ist zu entnehmen, in welchen Mitgliedstaaten eine Übergabe bei Teilnahme an einer Straftat
prinzipiell möglich ist. Dies kann allerdings von verschiedenen Faktoren abhängig gemacht
werden, etwa dem Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit oder auch dem Ermessen der
vollstreckenden Justizbehörde im Einzelfall.
134
ANHANG IX — MUSTERBEISPIEL EINER RECHTSBELEHRUNG
FÜR PERSONEN, DIE AUF DER GRUNDLAGE EINES
EUROPÄISCHEN HAFTSBEFEHLS FESTGENOMMENEN
WERDEN
ANHANG II zur Richtlinie 2012/13/EU über das Recht auf Belehrung und
Unterrichtung in Strafverfahren1
Musterbeispiel der Erklärung der Rechte für Personen, die auf der Grundlage eines
Europäischen Haftbefehls festgenommen wurden
Mit diesem Muster soll den nationalen Behörden lediglich eine Hilfestellung für die
Abfassung ihrer Erklärung der Rechte auf nationaler Ebene gegeben werden. Die
Mitgliedstaaten sind nicht an die Nutzung dieses Musters gebunden. Bei der Erstellung
ihrer Erklärung der Rechte können die Mitgliedstaaten dieses Muster ändern, um es an
ihre nationalen Bestimmungen anzupassen und weitere zweckdienliche Informationen
hinzuzufügen.
Sie haben das Recht, über den Inhalt des Europäischen Haftbefehls, auf dessen
Grundlage Sie festgenommen wurden, informiert zu werden.
Sie haben das Recht, vertraulich mit einem Rechtsanwalt zu sprechen. Ein Rechtsanwalt
ist von der Polizei unabhängig. Wenn Sie Hilfe benötigen, um Kontakt mit einem
Rechtsanwalt aufzunehmen, bitten Sie die Polizei um Unterstützung; die Polizei muss
Ihnen behilflich sein. In manchen Fällen kann die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts
unentgeltlich sein. Bitten Sie die Polizei um weitere Auskünfte.
Wenn Sie die Sprache, die von der Polizei oder anderen zuständigen Behörden verwendet
wird, nicht sprechen oder nicht verstehen, haben Sie das Recht, kostenlos von einem
Dolmetscher unterstützt zu werden. Der Dolmetscher kann Sie beim Gespräch mit Ihrem
Rechtsanwalt unterstützen und muss den Inhalt dieses Gesprächs vertraulich behandeln.
Sie haben das Recht auf eine Übersetzung des Europäischen Haftbefehls in eine Sprache,
die Sie verstehen. Unter gewissen Umständen können Sie eine mündliche Übersetzung
oder Zusammenfassung erhalten.
1
ABl. L 142 vom 1.6.2012, S. 1.
135
D. MÖGLICHKEIT DER ZUSTIMMUNG
Sie können Ihrer Übergabe an den Staat, in dem Sie gesucht werden, zustimmen oder
nicht. Ihre Zustimmung würde das Verfahren beschleunigen. [Möglicher Zusatz einiger
Mitgliedstaaten: Es kann schwierig oder sogar unmöglich sein, diese Entscheidung zu
einem späteren Zeitpunkt zu ändern.] Bitten Sie die Behörden oder Ihren Rechtsanwalt
um weitere Informationen.
E. ANHÖRUNG
Wenn Sie Ihrer Übergabe nicht zustimmen, haben Sie das Recht, von einer Justizbehörde
gehört zu werden.
136