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EUROPÄISCHE

KOMMISSION

Brüssel, den 28.9.2017


C(2017) 6389 final

BEKANNTMACHUNG DER KOMMISSION

vom 28.9.2017

HANDBUCH MIT HINWEISEN ZUR AUSSTELLUNG UND VOLLSTRECKUNG


EINES EUROPÄISCHEN HAFTBEFEHLS

DE DE
INHALT
Abkürzungen .............................................................................................................................. 6
EINLEITUNG .......................................................................................................................... 11
1. Überblick über den Europäischen Haftbefehl (EuHB) .............................................. 11
1.1. Hintergrund des EuHB ............................................................................................... 11
1.2. Definition und wesentliche Merkmale des EuHB ...................................................... 11
1.3. Das EuHB-Formblatt.................................................................................................. 14
TEIL I: AUSSTELLUNG EINES EuHB ................................................................................ 15
2. Anforderungen an die Ausstellung eines EuHB ........................................................ 15
2.1. Anwendungsbereich des EuHB .................................................................................. 15
2.1.1. Strafverfolgung........................................................................................................... 15
2.1.2. Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel
der Sicherung.............................................................................................................. 16
2.1.3. Das Erfordernis einer vollstreckbaren justiziellen Entscheidung .............................. 17
2.2. Liste der 32 Straftaten, bei denen eine Übergabe ohne Überprüfung des
Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit erfolgt ..................................................... 18
2.3. Akzessorische Straftaten ............................................................................................ 18
2.4. Verhältnismäßigkeit ................................................................................................... 19
2.5. Sonstige von Unionsrechtsakten vorgesehene Maßnahmen im Bereich der
justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen ............................................................... 20
2.5.1. Europäische Ermittlungsanordnung (EEA) ................................................................ 21
2.5.2. Überstellung von Strafgefangenen ............................................................................. 22
2.5.3. Europäische Überwachungsanordnung ...................................................................... 23
2.5.4. Übertragung von Bewährungsentscheidungen und alternativen Sanktionen ............. 24
2.5.5. Geldstrafen und Geldbußen ........................................................................................ 25
2.5.6. Übertragung der Strafverfolgung ............................................................................... 25
2.6. Grundsatz der Spezialität – etwaige Strafverfolgung wegen anderer Straftaten ........ 25
3. Verfahren für den Erlass eines EuHB ........................................................................ 27
3.1. Andere anhängige Strafverfahren und EuHBe gegen dieselbe Person ...................... 27
3.1.1. Im Ausstellungsmitgliedstaat ..................................................................................... 27
3.1.2. In einem anderen Mitgliedstaat .................................................................................. 28
3.2. Ausfüllen des EuHB-Formblatts ................................................................................ 29

2
3.2.1. In allen Fällen notwendige Angaben .......................................................................... 29
3.2.2. Nützliche Zusatzinformationen der ausstellenden Justizbehörde .............................. 29
3.3. Übermittlung des EuHB ............................................................................................. 30
3.3.1. Wenn der Aufenthaltsort der gesuchten Person nicht bekannt ist .............................. 30
3.3.2. Wenn der Aufenthaltsort der gesuchten Person bekannt ist ....................................... 31
3.3.3. Übermittlung des EuHB an Mitgliedstaaten, die das SIS nicht nutzen ...................... 32
3.4. Übersetzung des EuHB .............................................................................................. 32
3.5. Nach Festnahme der gesuchten Person: Zusammenarbeit und Kommunikation
mit den zuständigen Behörden des Vollstreckungsmitgliedstaats ............................. 33
TEIL II: VOLLSTRECKUNG EINES EuHB ...................................................................... 34
4. Verfahren für die Vollstreckung eines EuHB ............................................................ 34
4.1. Fristen für die Entscheidung über die Vollstreckung des EuHB ............................... 34
4.2. Fristen für die Übergabe der gesuchten Person (nach der Entscheidung über die
Vollstreckung des EuHB)........................................................................................... 35
4.3. Übersetzung des EuHB .............................................................................................. 36
4.4. Kommunikation zwischen den zuständigen Justizbehörden der Mitgliedstaaten
vor der Entscheidung über die Übergabe ................................................................... 36
4.4.1. Wann sollte Kontakt aufgenommen werden? ............................................................ 36
4.4.2. Wie sollte Kontakt aufgenommen werden? ............................................................... 37
4.5. Pflicht der vollstreckenden Justizbehörde, nach der Entscheidung über die
Übergabe die ausstellende Justizbehörde zu unterrichten .......................................... 39
4.5.1. Unterrichtung über die Übergabeentscheidung .......................................................... 39
4.5.2. Unterrichtung über die Dauer der Haft ...................................................................... 40
4.6. Inhafthaltung der mit EuHB gesuchten Person im Vollstreckungsmitgliedstaat ....... 41
5. Entscheidung über die Übergabe................................................................................ 42
5.1. Allgemeine Pflicht zur Vollstreckung der EuHBe ..................................................... 42
5.2. Liste der 32 Straftaten, die eine Übergabe ohne Überprüfung des Vorliegens der
beiderseitigen Strafbarkeit zur Folge haben ............................................................... 42
5.3. Akzessorische Straftaten ............................................................................................ 43
5.4. Gründe für die Ablehnung der Vollstreckung ............................................................ 43
5.4.1. Zwingende Ablehnungsgründe .................................................................................. 44
5.4.2. Fakultative Ablehnungsgründe .................................................................................. 45
5.5. Abwesenheitsurteile ................................................................................................... 48

3
5.6. Grundrechtserwägungen der vollstreckenden Justizbehörde ..................................... 50
5.7. Verhältnismäßigkeit – Rolle des Vollstreckungsmitgliedstaats ................................. 52
5.8. Garantien, die der Ausstellungsmitgliedstaat zu gewähren hat.................................. 52
5.8.1. Überprüfung des lebenslangen Freiheitsentzugs ........................................................ 53
5.8.2. Rücküberstellung von Staatsangehörigen und Gebietsansässigen ............................. 53
5.9. Aufschub und vorübergehende Übergabe .................................................................. 54
5.9.1. Schwerwiegende humanitäre Gründe......................................................................... 54
5.9.2. Laufendes Strafverfahren oder Vollstreckung einer Freiheitsstrafe .......................... 55
5.9.3. Vorübergehende Übergabe statt Aufschub ................................................................ 55
5.9.4. Aufschub der Vollstreckung des EuHB wegen einer echten Gefahr
unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung der gesuchten Person ................... 56
5.10. Mehrere EuHBe gegen dieselbe Person ..................................................................... 56
5.10.1. Entscheidung, welcher EuHB vollstreckt wird .......................................................... 56
5.10.2. „Parallelverfahren“ ..................................................................................................... 57
6. Anrechnung der im Vollstreckungsmitgliedstaat verbüssten Haft ............................. 58
7. Weitere Übergabe ....................................................................................................... 58
7.1. An einen anderen Mitgliedstaat.................................................................................. 58
7.2. An einen Drittstaat ..................................................................................................... 59
8. Verpflichtungen im Verhältnis zu Drittstaaten .......................................................... 60
8.1. Gleichzeitiger Eingang von EuHBen und Auslieferungsersuchen für dieselbe
Person ......................................................................................................................... 60
8.1.1. Ersuchen von Drittstaaten .......................................................................................... 60
8.1.2. Ersuchen des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) ........................................... 61
8.2. Vorherige Auslieferung aus einem Drittstaat und Grundsatz der Spezialität ............ 61
9. Durchlieferung ........................................................................................................... 62
9.1. Durchlieferung durch einen anderen Mitgliedstaat .................................................... 62
9.2. Staatsangehörige und Gebietsansässige des Durchlieferungsmitgliedstaats .............. 63
9.3. Auslieferung aus einem Drittstaat an einen Mitgliedstaat ......................................... 63
10. Nicht vollstreckte EuHBe........................................................................................... 63
10.1. Verhinderung der erneuten Festnahme der Person im selben Mitgliedstaat .............. 63
10.2. Mitteilung an den Ausstellungsmitgliedstaat ............................................................. 63

4
10.3. Prüfung der Aufrechterhaltung oder Aufhebung des EuHB durch die
ausstellende Justizbehörde ......................................................................................... 64
10.4. Überprüfung von seit Langem bestehenden EuHBen im SIS .................................... 64
11. Verfahrensrechte der gesuchten Person ..................................................................... 65
11.1. Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzung ..................................................... 65
11.2. Recht auf Belehrung und Unterrichtung .................................................................... 66
11.3. Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand .............................................................. 66
11.4. Recht auf Benachrichtigung eines Dritten von dem Freiheitsentzug ......................... 67
11.5. Recht auf Kommunikation mit Dritten....................................................................... 67
11.6. Recht auf Kommunikation mit Konsularbehörden .................................................... 67
11.7. Besondere Rechte von Kindern .................................................................................. 68
11.8. Recht auf Prozesskostenhilfe ..................................................................................... 68
ANHANG I – Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, inoffizielle
konsolidierte Fassung ................................................................................................. 70
ANHANG II — EuHB-FORMBLATT, enthalten im Anhang des EuHB-
Rahmenbeschlusses .................................................................................................... 96
ANHANG III — LEITLINIEN FÜR DAS AUSFÜLLEN EINES EuHB-FORMBLATTS. 104
ANHANG IV — SPRACHEN, IN DENEN EIN EUHB VON DEN
MITGLIEDSTAATEN AKZEPTIERT WIRD ....................................................... 123
ANHANG V — LISTE VON URTEILEN DES GERICHTSHOFS ZUM EUHB-
RAHMENBESCHLUSS .......................................................................................... 125
ANHANG VI — URTEILE DES GERICHTSHOFS ZUM GRUNDSATZ NE BIS IN
IDEM ........................................................................................................................ 127
ANHANG VII – STANDARDFORMULAR ZU EINER EuHB-ENTSCHEIDUNG .......... 132
ANHANG VIII — LISTE DER MITGLIEDSTAATEN, DEREN RECHTSORDNUNG
DIE ÜBERGABE WEGEN STRAFTATEN ERLAUBT, DIE MIT EINEM
NIEDRIGEREN STRAFMASS BEDROHT SIND ALS IN ARTIKEL 2
ABSATZ 1 DES RAHMENBESCHLUSSES ÜBER DEN EUROPÄISCHEN
HAFTBEFEHL ANGEGEBEN, WENN DIESE TATEN DAS MERKMAL
DER AKZESSORIETÄT ZU DER (DEN) HAUPTTAT(EN) ERFÜLLEN .......... 134
ANHANG IX — MUSTERBEISPIEL EINER RECHTSBELEHRUNG FÜR
PERSONEN, DIE AUF DER GRUNDLAGE EINES EUROPÄISCHEN
HAFTSBEFEHLS FESTGENOMMENEN WERDEN........................................... 135

5
Abkürzungen

AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

EEA Europäische Ermittlungsanordnung

EJN Europäisches Justizielles Netz

EuHB Europäischer Haftbefehl

EuHB-Rahmenbeschluss Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002


über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren
zwischen den Mitgliedstaaten

SDÜ Schengener Durchführungsübereinkommen

SIRENE Antrag auf Zusatzinformationen bei der nationalen


Eingangsstelle

SIS Schengen-Informationssystem

6
Haftungsausschluss:

Dieses Handbuch ist weder rechtsverbindlich noch erschöpfend. Es berührt weder das
bestehende Unionsrecht noch seine künftige Entwicklung noch die verbindliche
Auslegung des Unionsrechts durch den Gerichtshof der Europäischen Union.

7
ERLASS EINES EUROPÄISCHEN HAFTBEFEHLS

Ablauf

(JB = Justizbehörde)

STRAFVERFAHREN IM AUSSTELLUNGSMITGLIEDSTAAT

STRAFVERFOLGUNG, 12 MONATE + STRAFE, 4 MONATE + (Art. 2 Abs. 1)


(Art. 2 Abs. 1)

gestützt auf NATIONALEN HAFTBEFEHL gestützt auf VOLLSTRECKBARES


(Art. 8 Abs. 1 Buchst. c) URTEIL (Art. 8 Abs. 1 Buchst. c)

ERLASS DES EuHB

AUFENTHALT BEKANNT AUFENTHALT UNBEKANNT

EuHB DIREKT AN DIE VOLLSTRECKENDE JB AUSSCHREIBUNG IM SIS durch


das nationale SIRENE-Büro

8
VOLLSTRECKUNG EINES EUROPÄISCHEN HAFTBEFEHLS

Ablauf

(JB = Justizbehörde)

FESTNAHME DER GESUCHTEN PERSON


FESTNAHME DER GESUCHTEN PERSON

• Inhafthaltung der gesuchten Person (Art. 12)

• Vernehmung der gesuchten Person (Art. 14)

• Verfahrensrechte der gesuchten Person (siehe


Abschnitt 11)

• Etwaige vom Vollstreckungsmitgliedstaat zu


gewährende Garantien (Art. 5)

• Etwaige Zusatzinformationen (Art. 15 Abs. 2)

GRÜNDE FÜR DIE ABLEHNUNG DER VOLLSTRECKUNG (Art. 3, 4 und 4a)

JA NEIN

ZUSTIMMUNG ZUR ÜBERGABE VERWEIGERUNG DER


(Art. 13) ZUSTIMMUNG

10 TAGE (Art. 17 Abs. 2) 60 TAGE (Art. 17 Abs. 3)

ENTSCHEIDUNG ÜBER DIE ÜBERGABE

MITTEILUNG AN DIE AUSSTELLENDE JB


(Art. 22)

ÜBERGABE BINNEN 10 TAGEN


(Art. 23)

ANRECHNUNG DER VERBÜSSTEN HAFT (Art. 26)

9
VORWORT

Dieses Handbuch ist eine revidierte Fassung des vom Rat 20081 herausgegebenen und
20102 überarbeiteten Handbuchs mit Hinweisen zum Ausstellen eines Europäischen
Haftbefehls. Nach Ablauf der im Vertrag von Lissabon vorgesehenen fünfjährigen
Übergangsfrist für Rechtsakte, die im Rahmen der ehemaligen „dritten Säule“ des
Vertrags erlassen worden sind3, wozu auch der Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates
vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren
zwischen den Mitgliedstaaten4 („EuHB-Rahmenbeschluss“) gehört, hat die Kommission
die Aktualisierung und Überarbeitung des Handbuchs übernommen.

In dieses Handbuch sind die Erfahrungen eingeflossen, die in den letzten 13 Jahren in der
Union mit der Anwendung des Europäischen Haftbefehls gemacht wurden. Das
Handbuch wurde aktualisiert, ergänzt und benutzerfreundlicher gestaltet. Zur
Vorbereitung der neuen Fassung hat die Kommission verschiedene Akteure und
Fachkreise, darunter Eurojust, das Sekretariat des Europäischen Justiziellen Netzes und
Regierungssachverständige der Mitgliedstaaten, sowie die Justizbehörden konsultiert.

Das Handbuch ist im Internet in allen Amtssprachen der Europäischen Union abrufbar
unter: https://e-justice.europa.eu.

1
8216/2/08 REV 2 COPEN 70 EJN 26 EUROJUST 31.
2
17195/1/10 REV 1 COPEN 275 EJN 72 EUROJUST 139.
3
Protokoll (Nr. 36) über die Übergangsbestimmungen.
4
ABl. L 190 vom 18.7.2002, S. 1.

10
EINLEITUNG

1. ÜBERBLICK ÜBER DEN EUROPÄISCHEN HAFTBEFEHL (EUHB)

1.1. Hintergrund des EuHB

Der Rahmenbeschluss über den EuHB wurde vom Rat am 13. Juni 2002 erlassen und die
Mitgliedstaaten mussten ihn bis zum 31. Dezember 2003 in innerstaatliches Recht
umsetzen. Seit dem 1. Januar 2004 hat die neue Übergaberegelung somit – mit einigen
wenigen Ausnahmen – die Auslieferungsregelungen ersetzt. Was die Übergabeverfahren
im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander betrifft, hat der Rahmenbeschluss die
diesbezüglichen Bestimmungen der folgenden Übereinkünfte ersetzt:

a) des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957


(SEV Nr. 024), des dazugehörigen Zusatzprotokolls vom 15. Oktober 1975
(SEV Nr. 086), des dazugehörigen Zweiten Zusatzprotokolls
vom 17. März 1978 (SEV Nr. 098) und des Europäischen Übereinkommens zur
Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Januar 1977 (SEV Nr. 090), soweit es
sich auf die Auslieferung bezieht;

b) des Übereinkommens zwischen den 12 Mitgliedstaaten der Europäischen


Gemeinschaften über die Vereinfachung und Modernisierung der Verfahren zur
Übermittlung von Auslieferungsersuchen vom 26. Mai 1989;

c) des Übereinkommens vom 10. März 1995 über das vereinfachte


Auslieferungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union5;

d) des Übereinkommens vom 27. September 1996 über die Auslieferung zwischen
den Mitgliedstaaten der Europäischen Union6;

e) den Titel III Kapitel 4 des Übereinkommens vom 19. Juni 1990 zur
Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985
betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen
Grenzen7.

1.2. Definition und wesentliche Merkmale des EuHB

Der EuHB ist eine in der Union vollstreckbare justizielle Entscheidung, die von einem
Mitgliedstaat erlassen und in einem anderen Mitgliedstaat auf der Grundlage des
Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung vollstreckt wird.

Der Gerichtshof hat in seinen Urteilen in der Rechtssache C-452/16 PPU, Poltorak8, und
der Rechtssache C-477/16 PPU, Kovalkovas9, darauf hingewiesen, dass der EuHB nach
Artikel 1 Absatz 1 des EuHB-Rahmenbeschlusses eine „justizielle Entscheidung“

5
ABl. C 78 vom 30.3.1995, S. 2.
6
ABl. C 313 vom 23.10.1996, S. 12.
7
ABl. L 239 vom 22.9.2000, S. 19.
8
Urteil des Gerichtshofs vom 10. November 2016, Poltorak, C-452/16 PPU, ECLI:EU:C:2016:858.
9
Urteil des Gerichtshofs vom 10. November 2016, Kovalkovas, C-477/16 PPU,
ECLI:EU:C:2016:861.

11
darstellt, die von einer „Justizbehörde“ im Sinne des Artikels 6 Absatz 1 dieses
Rahmenbeschlusses zu treffen ist. Der in Artikel 6 Absatz 1 des
EuHB-Rahmenbeschlusses verwendete Begriff „Justizbehörde“, so der Gerichtshof,
beschränke sich nicht allein auf die Richter oder Gerichte eines Mitgliedstaats, sondern
erfasse darüber hinaus die Behörden, die in der betreffenden Rechtsordnung zur
Mitwirkung bei der Rechtspflege berufen sind. Gleichwohl könne der Begriff
„Justizbehörde“ in der genannten Vorschrift nicht dahin ausgelegt werden, dass es
möglich wäre, ihn auch auf die Polizeibehörden oder auf ein Exekutivorgan eines
Mitgliedstaats wie ein Ministerium zu erstrecken; Entscheidungen solcher Stellen
könnten nicht als „justizielle Entscheidungen“ angesehen werden.

Der EuHB hat das herkömmliche Auslieferungssystem durch einfachere und schnellere
Verfahren für die Übergabe gesuchter Personen zu Zwecken der Strafverfolgung oder der
Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der
Sicherung ersetzt. Ein Haftbefehl kann ausgestellt werden für die Zwecke:

a) der Strafverfolgung bei Handlungen, die nach den Rechtsvorschriften des


Ausstellungsmitgliedstaats mit einer Freiheitsstrafe oder einer
freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung im Höchstmaß von mindestens
zwölf Monaten bedroht sind (während des Ermittlungsverfahrens, des
Zwischenverfahrens und des gerichtlichen Hauptverfahrens, bis das Urteil
rechtskräftig wird);

b) der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden Maßregel der


Sicherung von mindestens vier Monaten.

Buchstaben a und b sind nicht kumulativ.

Für Übergabeersuchen gibt es ein einheitliches Formular („EuHB-Formblatt“), sodass es


jetzt einfacher ist, einen EuHB auszustellen und zu bearbeiten. Vorher muss jedoch stets
unabhängig vom EuHB ein nationales vollstreckbares Urteil oder ein nationaler
Haftbefehl oder eine vergleichbare justizielle Entscheidung ergangen sein (siehe
Abschnitt 2.1.3).

Die zentralen Behörden, die zuvor im Auslieferungsverfahren eine maßgebliche Rolle


gespielt haben, sind nunmehr vom Entscheidungsprozess in EuHB-Verfahren
ausgeschlossen. Die Mitgliedstaaten können jedoch nach Artikel 7 des
EuHB-Rahmenbeschlusses zentrale Behörden zur Unterstützung der Justizbehörden,
insbesondere für die Übermittlung und Entgegennahme von EuHBen, benennen.

In den Mitgliedstaaten, in denen das Schengen-Informationssystem (SIS) in Betrieb ist


(zum Zeitpunkt der Herausgabe dieses Handbuchs alle Mitgliedstaaten außer Irland und
Zypern), spielen die nationalen SIRENE-Büros eine wichtige Rolle im Verfahren des
EuHB, wenn eine entsprechende Ausschreibung im SIS veranlasst worden ist. Die
Regeln und Verfahren für die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten bei Ausschreibungen
zur Festnahme auf der Grundlage eines EuHB sind in den Artikeln 24 bis 31 des
Beschlusses 2007/533/JI des Rates vom 12. Juni 2007 über die Einrichtung, den Betrieb

12
und die Nutzung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation (SIS II)10
(„SIS-II-Beschluss“) und Abschnitt 3 des SIRENE-Handbuchs11 festgelegt.

Der EuHB-Rahmenbeschluss spiegelt den Grundgedanken der Integration in einen


gemeinsamen Rechtsraum wider. Er ist das erste Rechtsinstrument, das eine
Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in Strafsachen auf der Grundlage der gegenseitigen
Anerkennung vorsieht. Entscheidungen des Ausstellungsmitgliedstaats sind allein auf
Grundlage rechtlicher Kriterien ohne weitere Formalitäten anzuerkennen.

Die Übergabe eigener Staatsangehöriger gilt als Grundsatz und allgemeine Regel, wobei
einige wenige Ausnahmen bestehen. Diese Ausnahmen betreffen die Vollstreckung von
Freiheitsstrafen und gelten in gleicher Weise auch für Gebietsangehörige. Die Praxis hat
gezeigt, dass etwa ein Fünftel aller Übergaben in der Union eigene Staatsangehörige
betreffen.

Die Gründe für die Ablehnung der Vollstreckung sind begrenzt und erschöpfend in den
Artikeln 3, 4 und 4a des EuHB-Rahmenbeschlusses aufgeführt. Die Prüfung der
beiderseitigen Strafbarkeit als Grund für die Ablehnung der Vollstreckung oder der
Übergabe entfällt bei 32 in Artikel 2 Absatz 2 des EuHB-Rahmenbeschlusses
aufgeführten Straftaten, wenn diese Straftaten im Ausstellungsmitgliedstaat nach der
Ausgestaltung in dessen Recht mit einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden
Maßregel der Sicherung im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht sind.

Eine Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit ist allerdings nach wie vor möglich, wenn
die in Rede stehenden Straftaten nach Ansicht der zuständigen Behörde des
Ausstellungsmitgliedstaats nicht von Artikel 2 Absatz 2 des EuHB-Rahmenbeschlusses
erfasst sind. Wie der Gerichtshof in seinem Urteil in der Rechtssache C-289/15,
Grundza12, festgestellt hat, obliegt es der zuständigen Behörde des
Vollstreckungsmitgliedstaats, im Zuge der Beurteilung der beiderseitigen Strafbarkeit zu
überprüfen, ob die der Straftat zugrunde liegenden Sachverhaltselemente als solche auch
im Vollstreckungsmitgliedstaat, wenn sie sich in dessen Hoheitsgebiet ereignet hätten,
einer strafrechtlichen Sanktion unterliegen würden (siehe Abschnitt 5.2).

Der EuHB-Rahmenbeschluss wurde zum 28. März 2011 durch den


Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates13 dahin geändert, dass Artikel 5 Nummer 1
gestrichen und ein neuer Artikel 4a über Entscheidungen eingefügt wurde, die im
Anschluss an eine Verhandlung ergangen sind, zu der die Person nicht persönlich
erschienen ist (Abwesenheitsurteil).

10
ABl. L 205 vom 7.8.2007, S. 63.
11
Durchführungsbeschluss (EU) 2016/1209 der Kommission vom 12. Juli 2016 zur Ersetzung des
Anhangs zum Durchführungsbeschluss 2013/115/EU über das SIRENE-Handbuch und andere
Durchführungsbestimmungen für das Schengener Informationssystem der zweiten Generation
(SIS II) (ABl. L 203 vom 28.7.2016, S. 35).
12
Urteil des Gerichtshofs vom 11. Januar 2017, Grundza, C-289/15, ECLI:EU:C:2017:4, Rn. 38.
13
Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 zur Änderung der
Rahmenbeschlüsse 2002/584/JI, 2005/214/JI, 2006/783/JI, 2008/909/JI und 2008/947/JI, zur
Stärkung der Verfahrensrechte von Personen und zur Förderung der Anwendung des Grundsatzes
der gegenseitigen Anerkennung auf Entscheidungen, die im Anschluss an eine Verhandlung
ergangen sind, zu der die betroffene Person nicht erschienen ist (ABl. L 81 vom 27.3.2009, S. 24).

13
1.3. Das EuHB-Formblatt

Der EuHB ist eine justizielle Entscheidung, die in der im Anhang des
EuHB-Rahmenbeschlusses vorgegebenen Form ausgestellt wird. Das Formblatt liegt in
allen Amtssprachen der Union vor. Nur dieses Formblatt darf verwendet werden. Es
darf nicht verändert werden. Der Rat wollte den Justizbehörden mit dem leicht
auszufüllenden und leicht anzuerkennenden Formblatt eine Arbeitshilfe zur Verfügung
stellen.

Durch die Verwendung des Formblatts werden zeitaufwendige und kostspielige


Übersetzungen vermieden und die Angaben leichter zugänglich gemacht. Da das
Formblatt prinzipiell die einzige Grundlage für die Festnahme und die spätere Übergabe
der gesuchten Person ist, sollte es mit besonderer Sorgfalt ausgefüllt werden, damit
unnötige Ersuchen um zusätzliche Angaben vermieden werden.

Das Formblatt kann entweder direkt online mithilfe des Kompendium-Assistenten auf
der Website des Europäischen Justiziellen Netzes (EJN) ausgefüllt oder als Word-Datei
aus der Justiz-Bibliothek der EJN-Website heruntergeladen werden (https://www.ejn-
crimjust.europa.eu).

Mit dem Online-Tool ist das Ausfüllen genauso einfach wie in einer Word-Datei, aber es
bietet darüber hinaus eine Reihe moderner, nützlicher und benutzerfreundlicher
Funktionen wie:

a) die Möglichkeit, die zuständige vollstreckende Justizbehörde direkt aus dem


EJN-Gerichtsatlas zu übernehmen;

b) das Formblatt in einer der vom Vollstreckungsmitgliedstaat akzeptierten


Sprachen aufzurufen;

c) das Formblatt abzuspeichern und per E-Mail zu versenden.

14
TEIL I: AUSSTELLUNG EINES EuHB

2. ANFORDERUNGEN AN DIE AUSSTELLUNG EINES EUHB

2.1. Anwendungsbereich des EuHB

Eine Justizbehörde kann einen EuHBl zu folgenden Zwecken ausstellen (Artikel 1


Absatz 1 des EuHB-Rahmenbeschlusses):

a) Strafverfolgung; oder

b) Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel


der Sicherung.

Buchstabe a betrifft Strafverfahren, die eine strafrechtliche Verfolgung der gesuchten


Person zulassen. Buchstabe b betrifft von einem Gericht wegen einer Straftat verhängte
vollstreckbare Freiheitsstrafen oder freiheitsentziehende Maßregeln der Sicherung. Ein
EuHB kann nicht für alle Straftaten ausgestellt werden, sondern, wie weiter unten im
Einzelnen ausgeführt wird, nur für hinreichend schwere Straftaten.

In manchen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen kann ein EuHB zur Vollstreckung einer


Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung bereits
ausgestellt werden, obwhol der Strafausspruch nicht rechtskräftig ist und noch gerichtlich
nachgeprüft werden kann. In anderen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen kann ein
EuHB dieser Art erst dann ausgestellt werden, wenn die Freiheitsstrafe oder die
freiheitsentziehende Maßregel der Sicherung rechtskräftig ist. Es wird empfohlen, dass
die vollstreckende Justizbehörde zwecks Vollstreckung des EuHB die rechtliche
Würdigung der ausstellenden Justizbehörde anerkennt, auch wenn sie in dieser Hinsicht
nicht ihrem eigenen Rechtssystem entspricht.

In diesem Zusammenhang sollten die ausstellenden Justizbehörden prüfen, ob die


Ausstellung eines EuHB im Einzelfall verhältnismäßig ist (siehe Abschnitt 2.4) und ob
nicht mit weniger einschneidenden Unionsmaßnahmen ein gleichwertiges Ergebnis
erreicht werden kann (siehe Abschnitt 2.5 des EuHB-Rahmenbeschlusses).

2.1.1. Strafverfolgung

Ein EuHB kann zur strafrechtlichen Verfolgung von Handlungen erlassen werden, die
nach innerstaatlichem Recht mit einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden
Maßregel der Sicherung im Höchstmaß von mindestens zwölf Monaten bedroht sind
(Artikel 2 Absatz 1).

Es handelt sich hierbei um das im nationalen Recht des Ausstellungsmitgliedstaats


vorgeschriebene Höchstmaß der Strafe. Das Strafhöchstmaß im Recht des
Vollstreckungsmitgliedstaats ist unbeachtlich.

15
Beschluss des Gerichtshofs in der Rechtssache C-463/15 PPU, Openbaar
Ministerie gegen A.14:

„Die Art. 2 Abs. 4 und 4 Nr. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates ...
sind dahin auszulegen, dass sie es nicht gestatten, die Übergabe aufgrund eines
Europäischen Haftbefehls im Vollstreckungsmitgliedstaat nicht nur davon
abhängig zu machen, dass die Handlung, derentwegen dieser Haftbefehl
ausgestellt wurde, eine Straftat nach dem Recht dieses Mitgliedstaats darstellt,
sondern auch davon, dass sie nach dem Recht dieses Staates mit einer
Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens zwölf Monaten bedroht ist.“

Die „Strafverfolgung“ umfasst zwar auch die vorgerichtliche Phase des Strafverfahrens,
doch dient der EuHB nicht der Überstellung von Personen allein zum Zwecke ihrer
Vernehmung als Beschuldigte. Hierfür kommen andere Instrumente wie die Europäische
Ermittlungsanordnung (EEA) in Betracht. In Abschnitt 2.5 wird kurz auf andere
Maßnahmen der justiziellen Zusammenarbeit eingegangen.

2.1.2. Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel


der Sicherung

Ein EuHB kann zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden
Maßregel der Sicherung von mindestens vier Monaten erlassen werden (Artikel 2
Absatz 1 des EuHB-Rahmenbeschlusses). Ist jedoch nur noch eine kurze Reststrafzeit zu
verbüßen, sollten die zuständigen Justizbehörden prüfen, ob der Erlass eines EuHB
verhältnismäßig ist (siehe die Abschnitte 2.4 und 2.5).

Innerstaatliche Vorschriften über eine vorzeitige oder bedingte Entlassung, eine


Strafaussetzung zur Bewährung oder ähnliche Vorschriften, die eine kürzere effektive
Haftzeit zur Folge haben und nach der Übergabe an den Ausstellungsmitgliedstaat
Anwendung finden können, sind für die Bestimmung der Mindestzeit von vier Monaten
unbeachtlich.

Es besteht kein Zusammenhang zwischen der tatsächlichen und der möglichen Haftdauer.
Ist eine Person beispielsweise wegen mehrerer Straftaten zu einer Gesamtstrafe von
mindestens vier Monaten verurteilt worden, kann der EuHB ungeachtet der für jede
einzelne Straftat geltenden möglichen Höchststrafe erlassen werden.

Ist bekannt, dass die Person in einem anderen Mitgliedstaat wohnt, sollten die
zuständigen Behörden des Ausstellungsmitgliedstaats die Möglichkeit prüfen, die
vollstreckbare Strafe auf den Wohnsitzmitgliedstaat zu übertragen, statt einen EuHB zu
erlassen. Bei dieser Prüfung sollten die sozialen Bindungen der Person und ihre Chancen
auf eine bessere Rehabilitation sowie andere Anforderungen nach Maßgabe des
Rahmenbeschlusses 2008/909/JI des Rates vom 27. November 2008 über die
Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen,
durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke
ihrer Vollstreckung in der Europäischen Union15 berücksichtigt werden (siehe
Abschnitt 2.5.2).

14
Beschluss des Gerichtshofs vom 25. September 2015, A., C-463/15 PPU, ECLI:EU:C:2015:634.
15
ABl. L 327 vom 5.12.2008, S. 27.

16
2.1.3. Das Erfordernis einer vollstreckbaren justiziellen Entscheidung

Vor Erlass des EuHB müssen sich die ausstellenden Justizbehörden stets vergewissern,
dass eine vollstreckbare justizielle Entscheidung vorliegt. Wie diese Entscheidung im
Einzelnen beschaffen sein muss, hängt vom Zweck des EuHB ab. Wird der EuHB zum
Zwecke der Strafverfolgung erlassen, muss von den zuständigen Justizbehörden des
Ausstellungsmitgliedstaats vorher ein nationaler Haftbefehl oder eine andere
vollstreckbare justizielle Entscheidung mit gleicher Rechtswirkung erlassen worden sein
(Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe c des EuHB-Rahmenbeschlusses). Der nationale
Haftbefehl oder die vollstreckbare justizielle Entscheidung ist, wie der Gerichtshof in
seinem Urteil in der Rechtssache C-241/15, Bob-Dogi16, bestätigt hat, nicht mit dem
EuHB identisch. Wird der EuHB zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer
freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung erlassen, muss zuvor ein vollstreckbares
innerstaatliches Urteil ergangen sein.

Der Gerichtshof befand in diesem Fall, dass das System des EuHB einen zweistufigen
Schutz der Verfahrens- und Grundrechte enthält, der der gesuchten Person
zugutekommen muss – der gerichtliche Schutz auf der ersten Stufe beim Erlass einer
nationalen justiziellen Entscheidung (wie z. B. eines nationalen Haftbefehls) und der
Schutz, der auf der zweiten Stufe bei der Ausstellung des EuHB zu gewährleisten ist. An
diesem zweistufigen gerichtlichen Schutz fehlt es prinzipiell, wenn vor der Ausstellung
eines EuHB keine durch eine nationale Justizbehörde getroffene innerstaatliche
Entscheidung, auf die sich der EuHB stützt, ergangen ist.

Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-241/15, Bob-Dogi:

„Art. 8 Abs. 1 Buchst. c des Rahmenbeschlusses 2002/584 ... ist dahin


auszulegen, dass die vollstreckende Justizbehörde einen Europäischen
Haftbefehl, der auf das Vorliegen eines „Haftbefehls“ im Sinne dieser
Bestimmung gestützt ist, jedoch keine Angabe über das Vorliegen eines
nationalen Haftbefehls enthält, nicht vollstrecken darf, wenn sie unter
Berücksichtigung der gemäß Art. 15 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses 2002/584 in
geänderter Fassung vorgelegten Informationen sowie aller anderen ihr zur
Verfügung stehenden Informationen feststellt, dass der Europäische Haftbefehl
nicht gültig ist, weil er ausgestellt wurde, ohne dass tatsächlich ein nationaler
Haftbefehl ausgestellt worden war, der nicht mit dem Europäischen Haftbefehl
identisch ist.“

Der Begriff der (nicht mit dem EuHB identischen) „justiziellen Entscheidung“ ist vom
Gerichtshof in seinem Urteil in der Rechtssache C-453/16 PPU, Özçelik17, weiter dahin
präzisiert worden, dass die Bestätigung eines nationalen Haftbefehls durch die
Staatsanwaltschaft, der zuvor von einer Polizeibehörde erlassen und Grundlage des
EuHB darstellt, eine „justizielle Entscheidung“ darstellt.

Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-453/16 PPU, Özçelik:

„Art. 8 Abs. 1 Buchst. c des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates ... ist
dahin auszulegen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Bestätigung

16
Urteil des Gerichtshofs vom 1. Juni 2016, Bob-Dogi, C-241/15, ECLI:EU:C:2016:385.
17
Urteil des Gerichtshofs vom 10. November 2016, Özçelik, C-453/16 PPU, ECLI:EU:C:2016:860.

17
eines zuvor von einer Polizeibehörde zur Strafverfolgung erlassenen nationalen
Haftbefehls durch die Staatsanwaltschaft eine ‚justizielle Entscheidung‘ im
Sinne dieser Vorschrift darstellt.“

Das Vorliegen der innerstaatlichen justiziellen Entscheidung muss im EuHB-Formblatt


beim Erlass des EuHB angegeben werden (Artikel 8 Absatz l Buchstabe c des
EuHB-Rahmenbeschlusses und Abschnitt 3.2 dieses Handbuchs). Die Entscheidung oder
der Haftbefehl braucht dem EuHB nicht beigefügt zu werden.

2.2. Liste der 32 Straftaten, bei denen eine Übergabe ohne Überprüfung des
Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit erfolgt

Vor Erlass des EuHB sollte die zuständige Justizbehörde prüfen, ob die Straftat(en) einer
der 32 Straftaten zuzuordnen ist (sind), bei denen das Vorliegen der beiderseitigen
Strafbarkeit nicht zu überprüfen ist. Die Liste der Straftaten findet sich in Artikel 2
Absatz 2 des EuHB-Rahmenbeschlusses sowie im EuHB-Formblatt, in dem die infrage
kommenden Straftaten „anzukreuzen“ sind.

Maßgebend ist das Recht des Ausstellungsmitgliedstaats. Dieser Grundsatz wurde vom
Gerichtshof in seinem Urteil in der Rechtssache C-303/05, Advocaten voor de Wereld18,
bestätigt. Danach verstößt Artikel 2 Absatz 2 des EuHB-Rahmenbeschlusses weder
gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen
noch gegen den Grundsatz der Gleichheit und Nichtdiskriminierung.

Die vollstreckende Justizbehörde darf nur bei Straftaten, die nicht in der Liste aufgeführt
sind, das Vorliegen der beiderseitigen Strafbarkeit prüfen (siehe Abschnitt 5.2).

2.3. Akzessorische Straftaten

Das Europäische Auslieferungsübereinkommen von 1957 enthält eine Bestimmung zu


akzessorischen Straftaten:

„Artikel 2 – Auslieferungsfähige strafbare Handlungen

(1) Ausgeliefert wird wegen Handlungen, die sowohl nach dem Recht des
ersuchenden als auch nach dem des ersuchten Staates mit einer
Freiheitsstrafe oder die Freiheit beschränkenden Maßregel der Sicherung
und Besserung im Höchstmaß von mindestens einem Jahr oder mit einer
schwereren Strafe bedroht sind. Ist im Hoheitsgebiet des ersuchenden
Staates eine Verurteilung zu einer Strafe erfolgt oder eine Maßregel der
Sicherung und Besserung angeordnet worden, so muss deren Maß
mindestens vier Monate betragen.

(2) Betrifft das Auslieferungsersuchen mehrere verschiedene Handlungen,


von denen jede sowohl nach dem Recht des ersuchenden als auch nach
dem des ersuchten Staates mit einer Freiheitsstrafe oder die Freiheit
beschränkenden Maßregel der Sicherung und Besserung bedroht ist, einige
aber die Bedingung hinsichtlich des Strafmaßes nicht erfüllen, so ist der

18
Urteil des Gerichtshofs vom 3. Mai 2007, Advocaten voor de Wereld, C-303/05,
ECLI:EU:C:2007:261, Rn. 48 bis 61.

18
ersuchte Staat berechtigt, die Auslieferung auch wegen dieser Handlungen
zu bewilligen.“

Im EuHB-Rahmenbeschluss gibt es keine vergleichbare Bestimmung. Die Übergabe


wegen einer Straftat, die mit einem niedrigeren Strafmaß als in Artikel 2 Absatz 1 des
EuHB-Rahmenbeschlusses bedroht ist, ist nicht geregelt, soweit es sich um eine
akzessorische Straftat handelt und die Haupttat die Anforderungen dieses
Rahmenbeschlusses an das Strafmaß erfüllt. In der Praxis lassen einige Mitgliedstaaten
die Übergabe in solchen Fällen zu, andere hingegen nicht.

In Anhang VIII sind die Mitgliedstaaten aufgeführt, deren Rechtsordnung die Übergabe
wegen einer akzessorischen Straftat vorsieht.

Die ausstellende Justizbehörde kann akzessorische Straftaten im EuHB-Formblatt


angeben, um die Einwilligung des Vollstreckungsmitgliedstaats zur Verfolgung dieser
Straftaten zu erlangen. Mindestens eine Straftat, für die der EuHB erlassen wird, muss
jedoch stets dem Strafmaß in Artikel 2 Absatz 1 des EuHB-Rahmenbeschlusses
entsprechen.

Lässt der Vollstreckungsmitgliedstaat eine Übergabe wegen akzessorischer Straftaten


nicht zu, könnte der Grundsatz der Spezialität (Artikel 27 des
EuHB-Rahmenbeschlusses) den Ausstellungsmitgliedstaat an der Verfolgung dieser
Straftaten hindern (siehe Abschnitt 2.6 dieses Handbuchs).

2.4. Verhältnismäßigkeit

Ein EuHB muss stets in einem angemessenen Verhältnis zu seinem Zweck stehen. Auch
wenn der Fall so gelagert ist, dass er von Artikel 2 Absatz 1 des
EuHB-Rahmenbeschlusses erfasst wird, sollten die ausstellenden Justizbehörden prüfen,
ob der Erlass eines EuHB in dem betreffenden Fall gerechtfertigt ist.

Angesichts der schwerwiegenden Folgen, die sich aus der Vollstreckung eines EuHB
hinsichtlich der persönlichen Freiheit der gesuchten Person ergeben, sowie der
Beschränkungen der Freizügigkeit, sollten die ausstellenden Justizbehörden vor der
Ausstellung eines EuHB anhand einer Reihe von Kriterien prüfen, ob es gerechtfertigt
ist, einen EuHB auszustellen.

Dabei könnten insbesondere folgende Kriterien herangezogen werden:

a) die Schwere der Straftat (beispielsweise die dadurch verursachte Schädigung


oder Gefährdung);

b) die zu erwartende Strafe, falls die Person der ihr zur Last gelegten Tat für
schuldig befunden wird (beispielsweise ob eine Freiheitsstrafe zu erwarten ist);

c) die Wahrscheinlichkeit, dass die Person nach ihrer Übergabe im


Ausstellungsmitgliedstaat in Haft genommen wird;

d) die Interessen der Opfer der Straftat.

Des Weiteren sollten die ausstellenden Justizbehörden prüfen, ob anstelle des EuHB
nicht andere Maßnahmen der justiziellen Zusammenarbeit genutzt werden könnten.

19
Andere Unionsrechtsinstrumente im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in
Strafsachen sehen eine Reihe anderer Maßnahmen vor, die in vielen Fällen effektiv, aber
weniger einschneidend sind (siehe Abschnitt 2.5).

Ganz allgemein ist die Durchführung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass eines
EuHB dazu angetan, das Vertrauen der mitgliedstaatlichen Behörden untereinander zu
stärken. Eine solche Prüfung trägt daher wesentlich zur effektiven Verwendung des
EuHB in der Union bei.

2.5. Sonstige von Unionsrechtsakten vorgesehene Maßnahmen im Bereich der


justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen

Vor Erlass eines EuHB sollten die ausstellenden Justizbehörden andere Möglichkeiten
sorgfältig prüfen.

Es gibt im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen mehrere von


Unionsrechtsakten vorgesehene Maßnahmen, die auf dem Grundsatz der gegenseitigen
Anerkennung beruhen und den EuHB ergänzen. In manchen Fällen können diese
Instrumente zweckmäßiger sein als der Europäische Haftbefehl. Hierzu zählen unter
anderem:

a) die Europäische Ermittlungsanordnung;

b) die Überstellung von Strafgefangenen;

c) die Übertragung von Bewährungsentscheidungen und alternativen Sanktionen;

d) die Europäische Überwachungsanordnung;

e) die Vollstreckung von Geldstrafen und Geldbußen.

Der Anwendungsbereich dieser Maßnahmen wird kurz in den Abschnitten 2.5.1 bis 2.5.5
erläutert. Die zuständigen Behörden können darüber hinaus die Möglichkeiten nutzen,
die andere internationale Instrumente wie das Übereinkommen des Europarats über die
Übertragung der Strafverfolgung vom 15. Mai 1972 (SEV Nr. 073) bieten (Näheres dazu
in Abschnitt 2.5.6).

Weitere Informationen über die praktische Anwendung der Unionsrechtsinstrumente im


Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen finden sich auf der EJN-Website:
www.ejn-crimjust.europa.eu.

Zu jedem Rechtsinstrument finden sich in der Justiz-Bibliothek der EJN-Website


umfassende, nützliche Informationen, darunter die im Amtsblatt der Europäischen Union
veröffentlichten Texte, Änderungsrechtsakte, Stand der Umsetzung, Formulare im
Word-Format, Bekanntmachungen, Erklärungen, Berichte, Handbücher und sonstige
praktische Hinweise. Um leichter auf die Unionsrechtsinstrumente für die justizielle
Zusammenarbeit und den Stand ihrer Umsetzung in den Mitgliedstaaten zugreifen zu
können, gibt es auf der Startseite der EJN-Website separate Zugangsmöglichkeiten
(Shortcuts).

20
In der vorgerichtlichen Phase des Strafverfahrens kommen unter anderem folgende
Maßnahmen in Betracht:

a) Erlass einer Europäischen Ermittlungsanordnung zur Vernehmung einer


beschuldigten Person in einem anderen Mitgliedstaat per Videoverbindung;

b) Erlass einer Europäischen Ermittlungsanordnung zur Vernehmung einer


beschuldigten Person in einem anderen Mitgliedstaat durch die dortigen
zuständigen Behörden;

c) Erlass einer Europäischen Überwachungsanordnung zur Unterstellung einer


beschuldigten Person unter eine durch ihren Wohnsitzmitgliedstaat in der
vorgerichtlichen Phase durchzuführende Überwachungsmaßnahme ohne
Freiheitsentzug;

d) Ausschreibung einer beschuldigten Person im SIS zwecks Feststellung ihres


Wohnsitzes oder Aufenthalts (Artikel 34 des SIS-II-Beschlusses): Solche
Ausschreibungen unterscheiden sich von Ausschreibungen zur Festnahme, auf
die weiter unten in Abschnitt 3.3.1 dieses Handbuchs eingegangen wird. Sobald
die Justizbehörde, die die Ausschreibung veranlasst hat, Kenntnis vom Wohnsitz
oder Aufenthaltsort erhält, muss sie die hieraus folgenden notwendigen
Folgemaßnahmen ergreifen (z. B. Verpflichtung der beschuldigten Person, vor
einer für die Strafverfolgung zuständigen Behörde zu erscheinen) und die
Ausschreibung im SIS nach Maßgabe von Absatz 6.5 des SIRENE-Handbuchs
löschen;

e) Verpflichtung einer sich im Vollstreckungsmitgliedstaat aufhaltenden


beschuldigten Person, vor einer für die Strafverfolgung zuständigen Behörde im
Ausstellungsmitgliedstaat zu erscheinen;

f) Aufforderung einer Person, sich freiwillig am Strafverfahren zu beteiligen.

Nach Abschluss des Strafverfahrens, d. h. nach dem Strafausspruch, kommen


insbesondere folgende Maßnahmen in Betracht:

a) Übertragung einer Freiheitsstrafe auf den Wohnsitzmitgliedstaat der verurteilten


Person zur Strafvollstreckung in diesem Mitgliedstaat;

b) Übertragung einer alternativen Sanktion (z. B. gemeinnützige Arbeit) oder einer


zur Bewährung ausgesetzten Strafe auf den Wohnsitzmitgliedstaat der
verurteilten Person zur Vollstreckung in diesem Mitgliedstaat.

2.5.1. Europäische Ermittlungsanordnung (EEA)

Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014
über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen19

Die EEA kann zur Erlangung von Beweisen aus einem anderen Mitgliedstaat verwendet
werden. Sie erfasst Ermittlungsmaßnahmen jedweder Art mit Ausnahme der Einsetzung
gemeinsamer Ermittlungsgruppen. Damit soll es einem Mitgliedstaat ermöglicht werden,

19
ABl. L 130 vom 1.5.2014, S. 1.

21
einen anderen Mitgliedstaat auf der Basis des Grundsatzes der gegenseitigen
Anerkennung um die Vornahme von Ermittlungshandlungen zu ersuchen. Europäischen
Ermittlungsanordnungen, die Maßnahmen zum Gegenstand haben, die es im
Vollstreckungsmitgliedstaat nicht gibt oder die dort nicht genutzt werden können, kann
dessen ungeachtet durch Rückgriff auf alternative Ermittlungsmaßnahmen Folge geleistet
werden.

Die EEA ist an die Stelle des Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen
zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union20 getreten und hat die bisher
lückenhafte Regelung in diesem Bereich abgelöst. Mit der Zusammenführung der
bestehenden Maßnahmen in einem einzigen neuen Rechtsinstrument soll die justizielle
Zusammenarbeit bei strafrechtlichen Ermittlungen schneller und effizienter
vonstattengehen. Eine EEA kann in Strafverfahren, aber – nach Validierung durch eine
Justizbehörde – auch in Verfahren eingesetzt werden, die von einer Verwaltungsbehörde
eingeleitet wurden, wenn diese Verfahren eine strafrechtliche Komponente aufweisen.
Die Mitgliedstaaten müssen innerhalb von 30 Tagen über die Anerkennung oder
Vollstreckung einer EEA entscheiden und die betreffende Ermittlungsmaßnahme
innerhalb von 90 Tagen nach Erlass dieser Entscheidung durchführen.

In bestimmten Fällen kann eine EEA auch zur Vernehmung einer beschuldigten Person
per Videoverbindung erlassen werden, um auf diese Weise festzustellen, ob gegen die
Person ein EuHB zu Strafverfolgungszwecken erlassen werden muss oder nicht.

Beispiel 1: Pierre ist vor kurzem von Mitgliedstaat A in den Mitgliedstaat B


gezogen. Es gibt Hinweise darauf, dass er als Gehilfe an einer schweren Straftat
in A beteiligt war. Die Behörden von A können jedoch erst dann über eine
etwaige Strafverfolgung entscheiden, nachdem sie ihn vernommen haben. Die
Justizbehörde von A kann eine EEA zur Vernehmung von Pierre in B per
Videoverbindung erlassen.

Beispiel 2: Eine andere Möglichkeit im Fall des Beispiels 1 bestünde darin, dass
die Justizbehörde von A eine EEA erlässt, mit der die zuständigen Behörden von
B um die Vernehmung von Pierre und die Vorlage eines schriftlichen
Vernehmungsprotokolls ersucht werden.

2.5.2. Überstellung von Strafgefangenen

Rahmenbeschluss 2008/909/JI des Rates vom 27. November 2008 über die Anwendung
des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die
eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer
Vollstreckung in der Europäischen Union

Der Rahmenbeschluss 2008/909/JI regelt die Überstellung verurteilter Strafgefangener in


den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen oder in dem sie ihren
gewöhnlichen Aufenthalt haben, oder in einen anderen Mitgliedstaat, zu dem sie eine
enge Verbindung haben. Rahmenbeschluss 2008/909/JI gilt auch dann, wenn sich die
verurteilte Person bereits in dem betreffenden Mitgliedstaat befindet. Die Zustimmung
der verurteilten Person zu ihrer Überstellung ist nicht mehr in allen Fällen erforderlich.

20
Übereinkommen gemäß Artikel 34 des Vertrags über die Europäische Union – vom Rat erstellt –
über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union
(ABl. C 197 vom 12.7.2000, S. 3).

22
Durch diesen Rahmenbeschluss wurde das Übereinkommen des Europarats
vom 21. März 1983 über die Überstellung verurteilter Personen (SEV Nr. 112) und
dessen Zusatzprotokoll vom 18. Dezember 1997 (SEV Nr. 167) im Verhältnis der
Mitgliedstaaten untereinander ersetzt.

In manchen Fällen könnte statt eines EuHB, der auf die Übergabe der Person zwecks
Verbüßung ihrer Strafe in dem Mitgliedstaat, in dem sie verurteilt wurde, gerichtet ist,
Rahmenbeschluss 2008/909/JI herangezogen werden, um die Strafe dort zu vollstrecken,
wo die verurteilte Person wohnt und unter Umständen eine bessere
Wiedereingliederungsprognose hat.

Artikel 25 des Rahmenbeschlusses 2008/909/JI enthält eine besondere Regelung für die
Vollstreckung von Freiheitsstrafen im Vollstreckungsmitgliedstaat in Fällen nach
Artikel 4 Nummer 6 und Artikel 5 Nummer 3 des EuHB-Rahmenbeschlusses (siehe die
Abschnitte 5.4.2 und 5.8.2 dieses Handbuchs). In Fällen, in denen Artikel 4 Nummer 6
oder Artikel 5 Nummer 3 des EuHB-Rahmenbeschlusses Anwendung findet, muss auch
der Rahmenbeschluss 2008/909/JI zur Übertragung der Strafe auf den Mitgliedstaat, in
dem sie vollstreckt werden soll, angewendet werden.

Beispiel 1:

Jerzy ist Staatsangehöriger des Mitgliedstaats B, wo er seinen gewöhnlichen


Aufenthalt hat. Bei einem Besuch in Mitgliedstaat A begeht er eine Straftat. Er
wird in A zu zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.

Die Behörden von A können die Strafe ohne Jerzys Zustimmung auf B zur
Vollstreckung übertragen, wenn sich dadurch seine Chance auf
Wiedereingliederung verbessert und andere Voraussetzungen des
Rahmenbeschlusses 2008/909/JI erfüllt sind.

Beispiel 2:

Gustav ist Staatsangehöriger des Mitgliedstaats B, lebt aber mit seiner Familie
in Mitgliedstaat A, wo er einer unbefristeten Erwerbstätigkeit nachgeht. In
Mitgliedstaat В wird er wegen einer Steuerstraftat zu einer Freiheitsstrafe
verurteilt. Statt einen EuHB zwecks Strafvollstreckung zu erlassen, können die
Behörden von B die Freiheitsstrafe auf A übertragen, so dass Gustav die Strafe
in A verbüßen kann.

2.5.3. Europäische Überwachungsanordnung

Rahmenbeschluss 2009/829/JI des Rates vom 23. Oktober 2009 über die Anwendung —
zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union — des Grundsatzes der
gegenseitigen Anerkennung auf Entscheidungen über Überwachungsmaßnahmen als
Alternative zur Untersuchungshaft21

Der Rahmenbeschluss 2009/829/JI sieht die Möglichkeit vor, dass eine


Überwachungsmaßnahme ohne Freiheitsentzug von dem Mitgliedstaat, in dem eine nicht
dort ansässige Person einer Straftat verdächtigt wird, auf den Mitgliedstaat übertragen
wird, in dem die Person wohnt. Damit kann eine beschuldigte Person bis zur

21
ABl. L 294 vom 11.11.2009, S. 20.

23
Gerichtsverhandlung im anderen Mitgliedstaat in ihrer gewöhnlichen Umgebung einer
Überwachungsmaßnahme unterstellt werden. Die Europäische Überwachungsanordnung
kann für alle vorgerichtlichen Überwachungsmaßnahmen ohne Freiheitsentzug wie
z. B. Reisebeschränkungen oder Meldeauflagen verwendet werden.

Ob eine Anordnung zur Übertragung einer Entscheidung über Überwachungsmaßnahmen


ergeht, entscheidet der die Strafverfolgung betreibende Mitgliedstaat. Welche Arten von
Überwachungsmaßnahmen infrage kommen, ergibt sich aus dem
Rahmenbeschluss 2009/829/JI und den diesbezüglichen Erklärungen der Mitgliedstaaten
(siehe EJN-Website). Die betroffene Person muss der Übertragung einer
Überwachungsmaßnahme zustimmen.

Beispiel: Sonia lebt und arbeitet in Mitgliedstaat B. Sie hält sich vorübergehend
in Mitgliedstaat A auf, wo gegen sie wegen Betrugs ermittelt wird. Die
Justizbehörde von A weiß, wo Sonia in B wohnt, und hält die Fluchtgefahr für
gering. Statt sie in A in Untersuchungshaft zu nehmen, kann die Justizbehörde
von A ihr zur Auflage machen, sich regelmäßig bei der Polizei in B zu melden.
Damit Sonia nach B zurückkehren und dort bis zur Gerichtsverhandlung, die in
A stattfindet, bleiben kann, kann die zuständige Behörde von A mit Sonias
Zustimmung eine Europäische Überwachungsanordnung erlassen, um die
Meldepflicht in B anerkennen und vollstrecken zu lassen.

2.5.4. Übertragung von Bewährungsentscheidungen und alternativen Sanktionen

Rahmenbeschluss 2008/947/JI des Rates vom 27. November 2008 über die Anwendung
des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile und
Bewährungsentscheidungen im Hinblick auf die Überwachung von
Bewährungsmaßnahmen und alternativen Sanktionen22

Der Rahmenbeschluss 2008/947/JI sieht die Anwendung des Grundsatzes der


gegenseitigen Anerkennung auf Alternativen zum Freiheitsentzug und auf Maßnahmen,
die eine vorzeitige Entlassung begünstigen, vor. Er bezieht sich auf die Phase nach
Abschluss des Strafverfahrens.

Dem Rahmenbeschluss zufolge kann ein anderer Mitgliedstaat als der, in dem die Person
verurteilt wurde, Bewährungsentscheidungen oder andere alternative Sanktionen
vollstrecken, sofern die Person dem zugestimmt hat.

Beispiel: Anna ist Staatsangehörige des Mitgliedstaats A. Sie verbringt ihre


Ferien in Mitgliedstaat B und wird dort straffällig. Sie kommt in B vor Gericht
und wird zu gemeinnütziger Arbeit anstelle einer Freiheitsstrafe verurteilt. Sie
kann nach A zurückkehren. In diesem Fall sind die Behörden von A verpflichtet,
die Verpflichtung zur Erbringung einer gemeinnützigen Leistung anzuerkennen
und Anna bei der Erfüllung dieser Verpflichtung zu überwachen.

22
ABl. L 337 vom 16.12.2008, S. 102.

24
2.5.5. Geldstrafen und Geldbußen

Rahmenbeschluss 2005/214/JI des Rates vom 24. Februar 2005 über die Anwendung des
Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen23

Der Rahmenbeschluss 2005/214/JI wendet den Grundsatz der gegenseitigen


Anerkennung auf von Justiz- oder Verwaltungsbehörden verhängte Geldstrafen und
Geldbußen an. Damit soll die Vollstreckung solcher Sanktionen in einem anderen
Mitgliedstaat als dem, in dem die Sanktionen verhängt wurden, erleichtert werden.
Entscheidungen einer Justiz- oder Verwaltungsbehörde, mit denen Geldstrafen oder
Geldbußen verhängt werden, können so direkt der zuständigen Behörde in einem anderen
Mitgliedstaat zur Anerkennung und Vollstreckung übermittelt werden, ohne dass es
weiterer Formalitäten bedarf.

Der Rahmenbeschluss 2005/214/JI erstreckt sich auf alle strafbaren Handlungen


(Artikel 1 Buchstabe a Ziffern i und ii) sowie auf „Zuwiderhandlungen gegen
Rechtsvorschriften“, vorausgesetzt, dass der Rechtsweg zu einem „in Strafsachen
zuständigen Gericht“ gegeben ist (auf letzteren Begriff ist der Gerichtshof insbesondere
in seinem Urteil in der Rechtssache C-60/12, Baláž24, Rn. 39 und 40, eingegangen).

Das Verfahren findet in Fällen mit grenzüberschreitendem Bezug Anwendung,


d. h. wenn eine in einem Mitgliedstaat verhängte Geldstrafe oder Geldbuße in dem
Mitgliedstaat vollstreckt werden soll, in dem der Täter wohnt oder in dem er über
Vermögen oder Einkommen verfügt.

In manchen Mitgliedstaaten kann eine nicht beglichene Geldstrafe oder Geldbuße in eine
Haftstrafe umgewandelt werden. In diesen Fällen kann zur Vollstreckung der Haftstrafe
ein EuHB ausgestellt werden. Bevor eine Geldstrafe in eine Haftstrafe umgewandelt
wird, sollte wenn möglich Rahmenbeschluss 2005/214/JI zur Durchsetzung finanzieller
Sanktionen herangezogen werden, um nicht auf den EuHB zurückgreifen zu müssen.

2.5.6. Übertragung der Strafverfolgung

In bestimmten Fällen sollte die Übertragung der Strafverfolgung auf den Mitgliedstaat, in
dem die beschuldigte Person wohnhaft ist, in Betracht gezogen werden. Rechtsgrundlage
ist das Übereinkommen des Europarats aus dem Jahr 1972 über die Übertragung der
Strafverfolgung. Bei den Mitgliedstaaten, die dieses Übereinkommen nicht ratifiziert
haben, kann die Übertragung der Strafverfolgung auf die allgemeine Zuständigkeit im
ersuchten Mitgliedstaat für die Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen gestützt werden.
Im letzteren Fall wird das Ersuchen in der Regel auf Artikel 21 des Europäischen
Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 (SEV Nr. 030)
gestützt.

2.6. Grundsatz der Spezialität – etwaige Strafverfolgung wegen anderer


Straftaten

Überstellte Personen dürfen normalerweise wegen einer vor ihrer Überstellung


begangenen anderen strafbaren Handlung als derjenigen, die ihrer Überstellung zugrunde
liegt, weder verfolgt, verurteilt noch einer anderweitigen freiheitsentziehenden

23
ABl. L 76 vom 22.3.2005, S. 16.
24
Urteil des Gerichtshofs vom 14. November 2013, Baláž, C-60/12, ECLI:EU:C:2013:733.

25
Maßnahme unterworfen werden. So lautet der in Artikel 27 des
EuHB-Rahmenbeschlusses verankerte Grundsatz der Spezialität.

Von diesem Grundsatz gibt es jedoch eine Reihe von Ausnahmen. Der
EuHB-Rahmenbeschluss gibt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit mitzuteilen, dass sie
in ihren Beziehungen zu anderen Mitgliedstaaten, die die gleiche Mitteilung gemacht
haben, auf die Anwendung des Grundsatzes der Spezialität verzichten, sofern die
vollstreckende Justizbehörde im Einzelfall in ihrer Übergabeentscheidung keine anders
lautende Erklärung abgibt (siehe Artikel 27 Absatz 1 des EuHB-Rahmenbeschlusses).
Den der Kommission vorliegenden Informationen zufolge haben nur Estland, Österreich
und Rumänien von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.

Gemäß Artikel 27 Absatz 3 des EuHB-Rahmenbeschlusses gilt der Grundsatz der


Spezialität des Weiteren nicht in folgenden Fällen:

„a) wenn die Person das Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates, dem sie übergeben
worden ist, innerhalb von 45 Tagen nach ihrer endgültigen Freilassung nicht
verlassen hat, obwohl sie dazu die Möglichkeit hatte, oder wenn sie nach
Verlassen dieses Gebiets dorthin zurückgekehrt ist;

b) wenn die Straftat nicht mit einer Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden


Maßregel der Sicherung bedroht ist;

c) wenn die Strafverfolgung nicht zur Anwendung einer die persönliche Freiheit
beschränkenden Maßnahme führt;

d) wenn die Person der Vollstreckung einer Strafe oder Maßregel der Sicherung
ohne Freiheitsentzug, insbesondere einer Geldstrafe bzw. einer
vermögensrechtlichen Maßnahme oder der an deren Stelle tretenden Maßnahme
unterzogen wird, selbst wenn diese Strafe oder Maßnahme die persönliche
Freiheit einschränken kann;

e) wenn die Person ihre Zustimmung zur Übergabe und gegebenenfalls den
Verzicht auf die Anwendung des Grundsatzes der Spezialität gemäß Artikel 13
erklärt hat;

f) wenn die Person nach ihrer Übergabe ausdrücklich auf die Anwendung des
Grundsatzes der Spezialität in Bezug auf bestimmte vor der Übergabe
begangene Handlungen verzichtet hat. Die Verzichterklärung wird vor den
zuständigen Justizbehörden des Ausstellungsmitgliedstaats abgegeben und nach
dessen innerstaatlichem Recht zu Protokoll genommen. Die Verzichterklärung
ist so abzufassen, dass aus ihr hervorgeht, dass die betreffende Person sie
freiwillig und in voller Kenntnis der sich daraus ergebenden Folgen abgegeben
hat. Zu diesem Zweck hat die Person das Recht, einen Rechtsbeistand
hinzuzuziehen“.

In anderen Fällen muss die Zustimmung des ursprünglichen Vollstreckungsmitgliedstaats


zur Strafverfolgung oder Strafvollstreckung wegen der anderen Straftaten eingeholt
werden (Artikel 27 Absatz 3 Buchstabe g des EuHB-Rahmenbeschlusses). Die
Zustimmung muss erteilt werden, wenn die Straftat, derentwegen um Zustimmung
ersucht wird, nach dem EuHB-Rahmenbeschluss der Verpflichtung zur Übergabe
unterliegt, es sei denn, es liegt ein zwingender oder fakultativer Ablehnungsgrund vor.

26
Die vollstreckende Justizbehörde kann ihre Zustimmung gegebenenfalls an eine der in
Artikel 5 des EuHB-Rahmenbeschlusses niedergelegten Bedingungen knüpfen, die
lebenslange Freiheitsstrafen und die Rücküberstellung eigener Staatsangehöriger oder
Gebietsansässiger betreffen (siehe Abschnitt 5.8 dieses Handbuchs). In solchen Fällen
muss der Ausstellungsmitgliedstaat geeignete Garantien bieten (Artikel 27 Absatz 4 des
EuHB-Rahmenbeschlusses).

Verfahren für den Verzicht auf die Anwendung des Grundsatzes der Spezialität –
Zustimmung der vollstreckenden Justizbehörde

Das Ersuchen um Zustimmung folgt demselben Verfahren wie ein regulärer EuHB und
muss dieselben Angaben enthalten. Die zuständige Justizbehörde übermittelt demnach
das Ersuchen um Zustimmung direkt der vollstreckenden Justizbehörde, die die Person
übergeben hat. Für die Übersetzung der Informationen, die nach Artikel 8 Absatz 1 in
dem Ersuchen anzugeben sind, gelten dieselben Regeln wie für den Europäischen
Haftbefehl. Die vollstreckende Justizbehörde muss ihre Entscheidung spätestens 30 Tage
nach Eingang des Ersuchens treffen (Artikel 27 Absatz 4).

In seinem Urteil in der Rechtssache C-388/08 PPU, Leymann und Pustovarov25, ging der
Gerichtshof der Frage nach, wie festgestellt werden kann, ob die in Rede stehende
Handlung im Sinne des Artikels 27 Absatz 2 des EuHB-Rahmenbeschlusses eine „andere
Handlung“ ist als diejenige, die der Übergabe zugrunde liegt, und die Durchführung des
in Artikel 27 Absatz 3 Buchstabe g und Artikel 27 Absatz 4 des Rahmenbeschlusses
vorgesehenen Zustimmungsverfahrens erforderlich macht. Der Gerichtshof entschied wie
folgt:

„[es] ist zu prüfen, ob die Tatbestandsmerkmale der Straftat nach deren


gesetzlicher Umschreibung im Ausstellungsmitgliedstaat diejenigen sind,
derentwegen die Person übergeben wurde, und ob sich die Angaben im
Europäischen Haftbefehl und diejenigen in dem späteren Verfahrensschriftstück
hinreichend entsprechen. Änderungen bei den zeitlichen und örtlichen
Umständen sind zulässig, sofern sie sich aus den Tatsachen ergeben, die in dem
im Ausstellungsmitgliedstaat bezüglich der im Haftbefehl beschriebenen
Verhaltensweisen durchgeführten Verfahren ermittelt wurden, nicht die Art der
Straftat verändern und keine Gründe für das Absehen von der Vollstreckung
nach den Art. 3 und 4 des Rahmenbeschlusses zur Folge haben.“

3. VERFAHREN FÜR DEN ERLASS EINES EUHB

3.1. Andere anhängige Strafverfahren und EuHBe gegen dieselbe Person

3.1.1. Im Ausstellungsmitgliedstaat

Vor Erlass eines EuHB sollte die zuständige Justizbehörde prüfen, ob im


Ausstellungsmitgliedstaat andere Strafverfahren oder andere EuHBe gegen die gesuchte
Person eingeleitet bzw. erlassen worden sind.

25
Urteil des Gerichtshofs vom 1. Dezember 2008, Leymann und Pustovarov, C-388/08 PPU,
ECLI:EU:C:2008:669.

27
Sind im Ausstellungsmitgliedstaat andere Strafverfahren gegen die gesuchte Person
anhängig oder liegen vollstreckbare Freiheitsstrafen vor, sollte sich die zuständige
Justizbehörde mit anderen nationalen Behörden ins Benehmen setzen, bevor ein EuHB
ausgestellt wird. Es muss sichergestellt sein, dass der EuHB alle Straftaten einschließt,
aufgrund deren die gesuchte Person verfolgt werden soll oder im
Ausstellungsmitgliedstaat verurteilt worden ist. Dies ist vor allem wegen des
Grundsatzes der Spezialität ratsam, der einer Strafverfolgung oder Strafvollstreckung
wegen anderer Straftaten als derjenigen, die der Übergabe der betreffenden Person durch
den Vollstreckungsmitgliedstaat zugrunde lagen, entgegenstehen kann (siehe
Abschnitt 2.6). Zwar ist es möglich, die Zustimmung der mit EuHB gesuchten Person
oder des Vollstreckungsmitgliedstaats zur Strafverfolgung oder Strafvollstreckung nach
der Übergabe einzuholen (siehe Artikel 27 Absatz 3 Buchstaben f und g des
EuHB-Rahmenbeschlusses), doch hat sich in der Praxis gezeigt, dass dies aufwendig
oder langwierig sein kann.

Sofern möglich, sollten alle Straftaten in den EuHB aufgenommen werden, da das
Verfahren im Vollstreckungsmitgliedstaat auf diese Weise schneller und effizienter
vonstattengeht. Liegt gegen dieselbe Person bereits ein EuHB vor, sollte dieser nach
Möglichkeit durch einen neuen EuHB ersetzt werden, in den die Straftaten aus dem alten
EuHB und die neuen Straftaten aufgenommen werden. Ist die Person bereits zur
Festnahme ausgeschrieben, sollte die Ausschreibung aktualisiert und der neue EuHB
angegeben werden. Es ist möglich, mehr als einen EuHB pro Ausschreibung zur
Festnahme einzugeben (siehe Abschnitt 3.1 des SIRENE-Handbuchs).

3.1.2. In einem anderen Mitgliedstaat

Gibt es Hinweise auf andere laufende Strafverfahren oder andere vollstreckbare


Freiheitsstrafen gegen die gesuchte Person in einem oder mehreren anderen
Mitgliedstaaten, kann es ratsam sein, vor Ausstellung des EuHB die Behörden dieser
anderen Mitgliedstaaten zu kontaktieren. Die Behörden der verschiedenen
Mitgliedstaaten könnten in solchen Fällen erwägen, sich untereinander abzusprechen,
welcher Mitgliedstaat den (ersten) EuHB erlassen sollte, und möglicherweise
beschließen, die Strafverfolgung auf einen Mitgliedstaat oder zumindest auf eine kleinere
Zahl von Mitgliedstaaten zu übertragen.

Die zuständigen Behörden sollten im SIS überprüfen, ob die gesuchte Person nicht
bereits von einem anderen Mitgliedstaat zur Festnahme ausgeschrieben worden ist. Ein
und dieselbe Person kann von mehreren Mitgliedstaaten zur Festnahme ausgeschrieben
werden. Im Falle einer Festnahme wird jeder betroffene Mitgliedstaat zeitgleich vom
SIRENE-Büro des Vollstreckungsmitgliedstaats informiert (siehe Abschnitt 3.2 des
SIRENE-Handbuchs).

Die zuständigen Behörden können sich auch an Eurojust und/oder die


EJN-Kontaktstellen wenden oder direkt an die zuständige Behörde des Mitgliedstaats26.

26
Eine allgemeine Einführung in die Aufgaben von Eurojust und EJN bietet das Dokument
„Internationale Zusammenarbeit in Strafsachen – Hilfestellung für die Praxis — Europäisches
Justizielles Netz und Eurojust — Können wir Ihnen helfen?“, das sowohl auf der Website des EJN
(https://www.ejn-crimjust.europa.eu) als auch auf der Website von Eurojust
(http://www.eurojust.europa.eu) abgerufen werden kann.

28
Es sei darauf hingewiesen, dass der Vollstreckungsmitgliedstaat, wenn er mehrere
EuHBe für die gesuchte Person erhalten hat, stets entscheiden muss, welchem
Mitgliedstaat die Person zu übergeben ist (siehe Abschnitt 5.10). Es könnte sich daher als
effizienter erweisen, wenn die ausstellenden Justizbehörden sich vor dem Erlass mehrerer
EuHBe darüber verständigen würden, welchem Mitgliedstaat die Person zuerst
übergeben werden soll. Die vollstreckende Justizbehörde ist zwar nicht an die
Vereinbarungen gebunden, die die ausstellenden Justizbehörden bei konkurrierenden
EuHBen untereinander getroffen haben, doch sollte die vollstreckende Justizbehörde
diese Vereinbarungen berücksichtigen.

Gibt es solche Vereinbarungen, ist es ratsam, Buchstabe f des EuHB-Formblatts


(Sonstige für den Fall relevante Umstände) auszufüllen, damit die vollstreckenden
Justizbehörden sofort Kenntnis davon erhalten.

3.2. Ausfüllen des EuHB-Formblatts

Detaillierte Leitlinien für das Ausfüllen des EuHB-Formblatts sind in Anhang III
enthalten.

3.2.1. In allen Fällen notwendige Angaben

Der vollstreckenden Justizbehörde sollten stets die notwendigen Mindestangaben


vorliegen, damit sie über die Übergabe entscheiden kann (siehe Artikel 15 Absatz 2 des
EuHB-Rahmenbeschlusses). Sie muss insbesondere in der Lage sein, die Identität der
betreffenden Person zu bestätigen, und sie muss prüfen können, ob Gründe für die
Ablehnung der Vollstreckung gegeben sind. Die ausstellende Justizbehörde sollte daher
beim Ausfüllen des EuHB-Formblatts besonders auf die Beschreibung der Straftat(en)
achten.

Welche Informationen im Einzelnen mitzuteilen sind, hängt von den Umständen des
betreffenden Falls ab. Es sollte jedoch bedacht werden, dass die Behörde, die den EuHB
entgegennimmt, möglicherweise wenig oder gar nichts über den dem Haftbefehl
zugrunde liegenden Fall oder die Rechtsordnung des Ausstellungsmitgliedstaats weiß.
Die ausstellenden Justizbehörden müssen daher unbedingt dafür sorgen, dass die
Angaben im EuHB klar, korrekt und vollständig sind. Wenn das Formblatt
ordnungsgemäß ausgefüllt worden ist, sind keine weiteren Unterlagen erforderlich.

Es hat sich gezeigt, dass Ersuchen um zusätzliche Informationen zwischen den


ausstellenden und den vollstreckenden Justizbehörden eine der Hauptursachen für
Verzögerungen bei der Vollstreckung EuHBe sind. Dabei kommt es häufig zu einer
Überschreitung der im EuHB-Rahmenbeschluss vorgegebenen Fristen (siehe
Abschnitt 4.1 zu den Fristen).

3.2.2. Nützliche Zusatzinformationen der ausstellenden Justizbehörde

Lichtbilder und Fingerabdrücke der gesuchten Person müssen, sofern vorhanden, in die
SIS-Ausschreibung aufgenommen werden. Darüber hinaus sind immer die Kontaktdaten
und die Mobiltelefonnummer der zuständigen Stelle und der verantwortlichen Person
anzugeben, sodass diese sofort benachrichtigt werden können, egal zu welcher Zeit die
gesuchte Person aufgefunden wird.

29
Ist zu erwarten, dass der Vollstreckungsmitgliedstaat vom Ausstellungsmitgliedstaat
Garantien nach Artikel 5 des EuHB-Rahmenbeschlusses verlangen wird, empfiehlt es
sich, die entsprechenden Angaben im Formblatt zu vermerken. Beispielsweise könnte die
ausstellende Justizbehörde bereits unter bestimmten Bedingungen ihre Zustimmung zur
Rücküberstellung der gesuchten Person an den Vollstreckungsmitgliedstaat signalisieren
(siehe Abschnitt 5.8).

3.3. Übermittlung des EuHB

Wie der EuHB übermittelt wird, hängt davon ab, ob der ausstellenden Justizbehörde der
Aufenthalt der gesuchten Person bekannt ist (Artikel 9 des EuHB-Rahmenbeschlusses).
In den meisten Fällen ist der Aufenthaltsort der gesuchten Person unbekannt oder
ungewiss, sodass der EuHB allen Mitgliedstaaten über das SIS übermittelt werden sollte.
Aber auch wenn der Aufenthaltsort der gesuchten Person bekannt ist, kann sich die
ausstellende Justizbehörde für eine Ausschreibung im SIS entscheiden (Artikel 9
Absatz 2 des EuHB-Rahmenbeschlusses).

3.3.1. Wenn der Aufenthaltsort der gesuchten Person nicht bekannt ist

Ist der Aufenthaltsort der gesuchten Person nicht bekannt, sollte der EuHB allen
Mitgliedstaaten übermittelt werden. Hierzu sollte die Person gemäß Artikel 26 des
SIS-II-Beschlusses im SIS zur Festnahme oder Übergabe ausgeschrieben werden. Dabei
ist darauf zu achten, dass die ausstellende Justizbehörde zuerst den EuHB ausstellt. Erst
danach kann sie eine Ausschreibung im SIS veranlassen.

Die ausstellende Justizbehörde sollte dem nationalen SIRENE-Büro gegebenenfalls eine


Kopie des Original-EuHB und alle relevanten Informationen zu der gesuchten Person
über die zuständige Polizeistelle zukommen lassen.

Das SIRENE-Büro des Ausstellungsmitgliedstaats prüft, ob die Informationen


vollständig sind (beispielsweise ob Lichtbilder und Fingerabdrücke vorhanden sind, die
hinzugefügt werden können), fügt der Ausschreibung eine Kopie des Original-EuHB
und, falls vorhanden, eine Übersetzung bei und validiert die Eingabe der Ausschreibung
im SIS. Außerdem übermittelt das SIRENE-Büro mit Formular A zusätzliche
Informationen über den Inhalt des EuHB. Das Formular A wird in englischer Sprache
ausgefertigt. Wichtig ist die Angabe in Feld 311, ob die Suche nach der Person auf das
Hoheitsgebiet bestimmter Mitgliedstaaten beschränkt werden soll (örtlich begrenzte
Fahndung).

Nach Eingang des Formulars A prüfen alle anderen SIRENE-Büros, ob die darin
enthaltenen Informationen und die Angaben im EuHB vollständig sind. Die
SIRENE-Büros können zudem nach Artikel 25 des SIS-II-Beschlusses unter richterlicher
Aufsicht prüfen, ob offensichtlich ist, dass die Vollstreckung des EuHB abzulehnen sein
wird, und in diesem Fall eine die Festnahme verhindernde Kennzeichnung hinzufügen.
Während dieser Überprüfung sollten die Nutzer weiterhin Zugang zu der Ausschreibung
haben. Die Ausschreibung bleibt für Nutzer sichtbar, wenn ein Mitgliedstaat den EuHB
nicht vollstreckt und deshalb beschließt, die Ausschreibung zu kennzeichnen. Die
gesuchte Person wird nicht festgenommen, sondern lediglich ausfindig gemacht
(Abschnitt 3.6 des SIRENE-Handbuchs).

Die empfangenden SIRENE-Büros durchsuchen auch die nationalen Datenbanken wie


Datenbanken der Polizei und Haftanstalten, um festzustellen, ob die gesuchte Person

30
ihnen bekannt oder sogar wegen einer anderen Straftat bereits in Haft ist. Wird die
Person auf der Grundlage dieser Überprüfung ausfindig gemacht, leitet das
SIRENE-Büro die im Formular A enthaltenen Informationen an die zuständige Behörde
weiter, die den EuHB vollstrecken wird.

Die Ausschreibung zur Festnahme ist für die zuständigen Behörden aller Mitgliedstaaten
(in der Regel Strafverfolgungs- und Justizbehörden) sichtbar. Wird die Person auf der
Grundlage der Ausschreibung im SIS in einem anderen Mitgliedstaat ausfindig gemacht
und festgenommen, teilt das nationale SIRENE-Büro dies der ausstellenden
Justizbehörde mit.

Eine Ausschreibung zur Festnahme im SIS, der eine Kopie des Original-EuHB
beigefügt ist, gilt als EuHB und hat die gleiche Wirkung (Artikel 31 Absatz 1
des SIS-II-Beschlusses). Seit Inbetriebnahme des SIS der zweiten Generation ist
die Übermittlung einer Kopie des Original-EuHB auf Papier nicht mehr
erforderlich, da diese Kopie der Ausschreibung direkt beigefügt wird. Die
ausstellende Justizbehörde muss allerdings nach Festnahme der gesuchten
Person dem Vollstreckungsmitgliedstaat unter Umständen nach wie vor eine
Übersetzung des EuHB übermitteln, da der Original-EuHB in der Sprache des
Ausstellungsstaats, das Formular A aber in englischer Sprache ausgefertigt ist.
Der Ausschreibung kann auch sofort eine Kopie der Übersetzung des EuHB in
eine oder mehrere Amtssprachen der Union beigefügt werden.

Auf der EJN-Website (http://www.ejn-crimjust.europa.eu) findet sich eine Liste der von
den Mitgliedstaaten zugelassenen Sprachen (siehe Abschnitt 3.4).

Die ausstellende Justizbehörde sollte dafür sorgen, dass die Ausschreibung im SIS nicht
länger als für den verfolgten Zweck erforderlich gespeichert wird (Artikel 44 Absatz 1
des SIS-II-Beschlusses). Das heißt, dass die Ausschreibung gelöscht werden muss, wenn
der EuHB aufgehoben (siehe Abschnitt 10.4 dieses Handbuchs) oder die Person
übergeben wurde (Abschnitt 3.11 des SIRENE-Handbuchs).

3.3.2. Wenn der Aufenthaltsort der gesuchten Person bekannt ist

Wenn der Aufenthaltsort der gesuchten Person bekannt ist, kann die ausstellende
Justizbehörde den EuHB direkt der zuständigen Behörde des
Vollstreckungsmitgliedstaats zur Vollstreckung übermitteln (Artikel 9 Absatz 1 des
EuHB-Rahmenbeschlusses).

Ist der ausstellenden Justizbehörde die zuständige vollstreckende Justizbehörde nicht


bekannt, muss sie insbesondere mithilfe der Kontaktstellen des Europäischen Justiziellen
Netzes Nachforschungen anstellen, um diese Information vom
Vollstreckungsmitgliedstaat zu erlangen (Artikel 10 Absatz 1 des
EuHB-Rahmenbeschlusses). Informationen und Kontaktdaten der zuständigen Behörden
der Mitgliedstaaten finden sich auch im Atlas auf der EJN-Website
(http://www.ejn-crimjust.europa.eu).

Um die Fluchtgefahr zu verringern, kann die ausstellende Justizbehörde den EuHB auch
ihrem nationalen SIRENE-Büro übermitteln, das ihn über das SIS an die anderen
Mitgliedstaaten weiterleitet (siehe Abschnitt 3.3.1). Über die Ausschreibung im SIS
erfahren die Polizeistellen der Mitgliedstaaten, dass die Person zur Festnahme
ausgeschrieben ist. Es sollte jedoch allen SIRENE-Büros unmissverständlich angezeigt

31
werden, dass der Aufenthaltsort der Person bekannt ist, um unnötige Nachforschungen zu
vermeiden.

3.3.3. Übermittlung des EuHB an Mitgliedstaaten, die das SIS nicht nutzen

Das SIS wird derzeit von Irland und Zypern nicht genutzt. Muss ein EuHB diesen
Mitgliedstaaten übermittelt werden, kann der Haftbefehl entweder über das betreffende
Nationale Zentralbüro von Interpol oder direkt übermittelt werden. Die Übermittlung
über Interpol ist in Artikel 10 Absatz 3 des EuHB-Rahmenbeschlusses vorgesehen.

Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass eine Interpol-Ausschreibung in einigen


Mitgliedstaaten keine Grundlage für eine Festnahme ist. Daher muss klar angegeben
werden, dass der Ausschreibung ein EuHB zugrunde liegt, weil ein EuHB stets die
Verpflichtung zur Festnahme der gesuchten Person begründet.

3.4. Übersetzung des EuHB

Das EuHB-Formblatt muss in der Amtssprache oder in einer der Amtssprachen des
Vollstreckungsmitgliedstaats ausgefüllt oder in diese Sprache übersetzt werden. Wenn
der Vollstreckungsmitgliedstaat jedoch in einer Erklärung angegeben hat, dass er eine
Übersetzung in eine Amtssprache der Organe der Union akzeptiert, kann der EuHB
alternativ auch in eine oder mehrere dieser Sprachen übersetzt werden (Artikel 8
Absatz 2 des EuHB-Rahmenbeschlusses).

Auf der EJN-Website (http://www.ejn-crimjust.europa.eu – Fiches Belges) findet sich


eine Liste der von den Mitgliedstaaten zugelassenen Sprachen.

Wird der EuHB über das SIS übermittelt, kann der Ausstellungsmitgliedstaat der
Ausschreibung nach Artikel 27 Absatz 2 des SIS-II-Beschlusses eine Übersetzung des
Haftbefehls in eine oder mehrere andere Amtssprachen der Organe der Union beifügen.
Diese Übersetzungen sowie die Formulare A dürften als Grundlage für die in
Abschnitt 3.3.1 dieses Handbuchs genannten Überprüfungen ausreichen. Die Pflicht zur
Übersetzung des EuHB in eine vom Vollstreckungsmitgliedstaat zugelassene Sprache
bleibt allerdings bestehen.

Ist der Ort der Festnahme der gesuchten Person absehbar, empfiehlt es sich, den EuHB
gleich in die Sprache dieses Mitgliedstaats zu übersetzen. Auf diese Weise können die
kurzen Fristen für die Vollstreckung eines EuHB leichter eingehalten werden.

Wird ein EuHB direkt der vollstreckenden Justizbehörde übermittelt, muss eine
Übersetzung beigefügt werden. Da EuHBe als Eilsache erledigt und vollstreckt werden
(Artikel 17 Absatz 1 des EuHB-Rahmenbeschlusses), sollte der
Ausstellungsmitgliedstaat die Übersetzung so schnell wie möglich, in jedem Fall aber
innerhalb der Frist, den der Mitgliedstaat für die Entgegennahme eines übersetzten EuHB
gesetzt hat (siehe Abschnitt 4.3 dieses Handbuchs), übermitteln.

Dabei sollte darauf geachtet werden, dass das Standard-EuHB-Formblatt, das in allen
24 Amtssprachen der Union vorliegt, verwendet wird. Auf der EJN-Website sind alle
Sprachfassungen sowohl in PDF als auch in Word verfügbar (Justiz-Bibliothek und
Kompendium-Assistent).

32
3.5. Nach Festnahme der gesuchten Person: Zusammenarbeit und
Kommunikation mit den zuständigen Behörden des
Vollstreckungsmitgliedstaats

Nach Festnahme der gesuchten Person in einem anderen Mitgliedstaat sollten die
zuständigen Behörden des Ausstellungsmitgliedstaats rasch auf Informationsanfragen
oder andere Ersuchen der Behörden des Vollstreckungsmitgliedstaats reagieren. Die
zuständigen Behörden des Ausstellungsmitgliedstaats werden auf TEIL II dieses
Handbuchs verwiesen, der Leitlinien für eine gute Zusammenarbeit und Kommunikation
mit den zuständigen Behörden des Vollstreckungsmitgliedstaats enthält. EJN oder
Eurojust können behilflich sein, wenn es bei der Kommunikation Probleme gibt. Auch
die SIRENE-Büros helfen regelmäßig bei der Kommunikation, wenn die Person nach
einer Ausschreibung zur Festnahme im SIS festgenommen worden ist.

Falls die ausstellende Justizbehörde beschließt, den EuHB zurückzuziehen, sollte sie dies
der vollstreckenden Justizbehörde unverzüglich mitteilen, vor allem dann, wenn der
gesuchten Person die Freiheit entzogen wurde. Sie muss auch sicherstellen, dass die
Ausschreibung im SIS gelöscht wird.

Die ausstellende Justizbehörde kann der vollstreckenden Justizbehörde jederzeit alle


zusätzlichen sachdienlichen Informationen übermitteln (Artikel 15 Absatz 3 des
EuHB-Rahmenbeschlusses).

33
TEIL II: VOLLSTRECKUNG EINES EuHB

4. VERFAHREN FÜR DIE VOLLSTRECKUNG EINES EUHB

4.1. Fristen für die Entscheidung über die Vollstreckung des EuHB

Für die Vollstreckung eines EuHB gelten strenge Fristen. Die Fristen richten sich danach,
ob die mit EuHB gesuchte Person ihrer Übergabe zustimmt. Es wird mit Nachdruck
darauf hingewiesen, dass alle EuHBe trotz der Fristen als Eilsache erledigt und
vollstreckt werden müssen (Artikel 17 Absatz 1 des EuHB-Rahmenbeschlusses).

Wenn die gesuchte Person ihrer Übergabe zustimmt, sollte die endgültige Entscheidung
über die Vollstreckung des EuHB innerhalb von zehn Tagen nach Erteilung der
Zustimmung erfolgen (Artikel 17 Absatz 2 des EuHB-Rahmenbeschlusses).

Wenn die Person ihrer Übergabe nicht zustimmt, sollte die endgültige Entscheidung über
die Vollstreckung des EuHB innerhalb von 60 Tagen nach der Festnahme der
gesuchten Person erfolgen (Artikel 17 Absatz 3 des EuHB-Rahmenbeschlusses).

Nach dem EuHB-Rahmenbeschluss ist die Zustimmung grundsätzlich unwiderruflich.


Jeder Mitgliedstaat kann jedoch vorsehen, dass die Zustimmung und gegebenenfalls der
Verzicht auf den Schutz des Grundsatzes der Spezialität (siehe Abschnitt 2.6) nach den
anwendbaren Vorschriften seines innerstaatlichen Rechts widerruflich sein können.
Wenn die gesuchte Person ihre Zustimmung widerruft, gilt nicht mehr die ursprüngliche
Frist von zehn Tagen, sondern die ab dem Tag der Festnahme laufende Frist von
60 Tagen (Artikel 13 Absatz 4 des EuHB-Rahmenbeschlusses). Bei der Berechnung
dieser Frist wird der Zeitraum zwischen dem Zeitpunkt, zu dem die Zustimmung erklärt
wurde, und dem Zeitpunkt, zu dem sie widerrufen wurde, nicht berücksichtigt.

Wenn in einem Sonderfall der EuHB nicht innerhalb der oben genannten geltenden
Fristen vollstreckt werden kann, können die Fristen ausnahmsweise um weitere 30 Tage
verlängert werden. In einem solchen Fall muss die vollstreckende Justizbehörde die
ausstellende Justizbehörde von diesem Umstand und von den jeweiligen Gründen
unverzüglich in Kenntnis zu setzen (Artikel 17 Absatz 4 des EuHB-Rahmenbeschlusses).

Wie der Gerichtshof in seinem Urteil in der Rechtssache C-168/13 PPU, Jeremy F.27,
entschieden hat, muss ein in einer nationalen Regelung gegen die Übergabeentscheidung
etwaig vorgesehener Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung in jedem Fall unter
Einhaltung der Fristen ausgeübt werden, die im EuHB-Rahmenbeschluss für den Erlass
einer endgültigen Entscheidung vorgesehen sind.

In seinem Urteil in der Rechtssache C-237/15 PPU, Lanigan28, hat der Gerichtshof
festgestellt, dass der Ablauf der Fristen für eine Entscheidung über die Vollstreckung
eines EuHB das zuständige Gericht nicht seiner Verpflichtung zum Erlass einer
diesbezüglichen Entscheidung enthebt und einer Inhafthaltung der gesuchten Person an
sich nicht entgegensteht. Jedoch muss die Freilassung der Person angeordnet und mit den

27
Urteil des Gerichtshofs vom 30. Mai 2013, Jeremy F., C-168/13 PPU, ECLI:EU:C:2013:358.
28
Urteil des Gerichtshofs vom 16. Juli 2015, Lanigan, C-237/15 PPU, ECLI:EU:C:2015:474.

34
erforderlichen Maßnahmen zur Verhinderung ihrer Flucht verbunden werden, wenn die
Haftdauer übermäßig lang ist.

Pflicht, Eurojust von Verzögerungen in Kenntnis zu setzen

Wenn ein Mitgliedstaat die Fristen nicht einhalten kann, müssen die zuständigen
Behörden Eurojust von diesem Umstand und von den Gründen der Verzögerung in
Kenntnis setzen (Artikel 17 Absatz 7 des EuHB-Rahmenbeschlusses). Angesichts der
zentralen Bedeutung, die der Einhaltung der Fristen für die Funktionsweise des EuHB
zukommt, überwacht Eurojust die ihr zur Kenntnis gebrachten Fälle, in denen die Fristen
nicht eingehalten werden konnten. Auf diese Weise kann Eurojust zur Feststellung der
Probleme beitragen, die zu Verzögerungen führen. In vielen Fällen kann Eurojust den
zuständigen Behörden helfen, die Fristen einzuhalten, indem sie beispielsweise den
Informationsaustausch zwischen den zuständigen Behörden erleichtert.

4.2. Fristen für die Übergabe der gesuchten Person (nach der Entscheidung
über die Vollstreckung des EuHB)

Die Frist für die Übergabe der gesuchten Person beginnt unmittelbar nach Erlass der
endgültigen Entscheidung über die Vollstreckung des EuHB zu laufen. Die zuständigen
Behörden sollten die Übergabe der Person so bald wie möglich regeln und vereinbaren
(Artikel 23 Absatz 1 des EuHB-Rahmenbeschlusses). In jedem Fall muss die Übergabe
spätestens zehn Tage nach der endgültigen Entscheidung über die Vollstreckung des
EuHB erfolgen (Artikel 23 Absatz 2 des EuHB-Rahmenbeschlusses). Aus diesem Grund
ist es erforderlich, dass die praktischen Modalitäten der Übergabe unverzüglich
vereinbart werden.

Wenn die Übergabe der betreffenden Person innerhalb der Frist von zehn Tagen
aufgrund von Umständen, die sich dem Einfluss der Mitgliedstaaten entziehen,
unmöglich ist, müssen sich die vollstreckende und die ausstellende Justizbehörde
unverzüglich miteinander in Verbindung setzen und einen neuen Übergabetermin
vereinbaren. In diesem Fall muss die Übergabe innerhalb von zehn Tagen nach dem
vereinbarten neuen Termin erfolgen (Artikel 23 Absatz 3 des
EuHB-Rahmenbeschlusses).

In seinem Urteil in der Rechtssache C-640/15, Vilkas29, gelangte der Gerichtshof zu dem
Ergebnis, dass die vollstreckende Justizbehörde mit der ausstellenden Justizbehörde
einen neuen Übergabetermin vereinbaren kann, auch wenn bereits zwei
Übergabeversuche am Widerstand der Person gescheitert sind, sofern dieser Widerstand
für die Behörden nicht vorhersehbar war und die Folgen des Widerstands für die
Übergabe trotz Anwendung der gebotenen Sorgfalt durch die Behörden nicht vermieden
werden konnten, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist. Die Behörden
bleiben auch nach Ablauf der in Artikel 23 des EuHB-Rahmenbeschlusses festgelegten
Fristen verpflichtet, einen neuen Übergabetermin zu vereinbaren.

Zur Aussetzung der Übergabe aus schwerwiegenden humanitären Gründen, zum Beispiel
wegen einer schweren Erkrankung der gesuchten Person, siehe Abschnitt 5.9.1.

29
Urteil des Grichtshofs vom 25. Januar 2017, Vilkas, C-640/15, ECLI:EU:C:2017:39.

35
4.3. Übersetzung des EuHB

Die vollstreckende Justizbehörde kann eine Frist für den Eingang einer Übersetzung des
EuHB in eine der Amtssprachen des Vollstreckungsmitgliedstaats oder eine andere
Sprache, die dieser Mitgliedstaat zu akzeptieren angegeben hat, bestimmen. Den
vollstreckenden Justizbehörden wird dringend empfohlen, eine Frist zwischen sechs und
zehn Kalendertagen zu setzen.

Die Erfahrung hat gezeigt, dass eine Frist von weniger als sechs Tagen für eine
Übersetzung in angemessener Qualität häufig zu kurz ist. Eine Frist von mehr als zehn
Tagen hingegen könnte als übermäßige Verlängerung des Verfahrens angesehen werden,
vor allem, wenn sich die betreffende Person in Haft befindet.

4.4. Kommunikation zwischen den zuständigen Justizbehörden der


Mitgliedstaaten vor der Entscheidung über die Übergabe

4.4.1. Wann sollte Kontakt aufgenommen werden?

Zusätzliche Angaben, die für eine Entscheidung über die Übergabe erforderlich sind

Ersuchen um zusätzliche Angaben sollten eine Ausnahme bilden. Die Kommunikation


sollte über die SIRENE-Büros mithilfe des entsprechenden Formulars (Formular M)
erfolgen. Der Funktionsweise des EuHB liegt die allgemeine Vermutung zugrunde, dass
die vollstreckende Justizbehörde auf der Grundlage der Angaben im EuHB über die
Übergabe entscheiden kann. Diese Vermutung beruht auf dem Grundsatz der
gegenseitigen Anerkennung und auf der Notwendigkeit, rasch über die Übergabe zu
entscheiden. Dennoch sind in manchen Fällen Ersuchen um zusätzliche Angaben
notwendig, um die Pflicht zur Vollstreckung eines EuHB erfüllen zu können.

Wenn die vom Ausstellungsmitgliedstaat übermittelten Angaben nicht ausreichen, um


der vollstreckenden Justizbehörde eine Entscheidung über die Übergabe zu ermöglichen,
muss die vollstreckende Justizbehörde Kontakt zur ausstellenden Justizbehörde
aufnehmen, um die notwendigen zusätzlichen Angaben einzuholen. Es ist darauf
hinzuweisen, dass dies im EuHB-Rahmenbeschluss als Pflicht der vollstreckenden
Justizbehörde vorgesehen ist (Artikel 15 Absatz 2).

In der Kommunikation zwischen der ausstellenden und der vollstreckenden Justizbehörde


im Vorfeld der Übergabeentscheidung sollte es in erster Linie um zusätzliche Angaben
gehen, die für die Entscheidung über die Übergabe von Belang sind (siehe
Abschnitt 5.6). Ersuchen um zusätzliche Angaben sollten sich vor allem auf den
vorgeschriebenen Inhalt des EuHB-Formblatts beziehen, der benötigt wird, um prüfen zu
können, ob der EuHB vollstreckt werden kann und ob Ablehnungsgründe vorliegen.

Im Einklang mit dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung darf die vollstreckende
Justizbehörde die Begründetheit der Entscheidungen der Justizbehörden des
Ausstellungsmitgliedstaats nicht infrage stellen.

Die Kommunikation sollte stets so rasch wie möglich, in jedem Fall aber innerhalb der in
Artikel 17 des EuHB-Rahmenbeschlusses festgelegten Fristen für den EuHB erfolgen.

36
Ein typischer Fall, in dem ein Ersuchen um zusätzliche Angaben erforderlich sein kann,
liegt vor, wenn

a) ein einschlägiger Teil des EuHB-Formblatts nicht ausgefüllt ist;

b) der Inhalt des EuHB unklar ist;

c) der EuHB einen offensichtlichen Fehler enthält;

d) unsicher ist, ob aufgrund des EuHB die richtige Person festgenommen wurde.

Vor Geltendmachung eines Ablehnungsgrundes

In vielen Fällen könnte sich die vollstreckende Justizbehörde mit der ausstellenden
Justizbehörde in Verbindung setzen, bevor sie über die Geltendmachung eines Grundes
für die Ablehnung der Vollstreckung entscheidet. Dies kann zum Beispiel nützlich sein,
um zu ermitteln, ob andere Maßnahmen der justiziellen Zusammenarbeit angewandt
werden könnten, falls der EuHB nicht vollstreckt werden kann.

Sonstige Gründe für eine Kontaktaufnahme

Eine zusätzliche Kontaktaufnahme könnte zum Beispiel auch notwendig sein,

a) um beim Ausstellungsmitgliedstaat Garantien im Zusammenhang mit


lebenslangen Freiheitsstrafen zu erwirken oder um Staatsangehörige oder
Gebietsansässige zur Verbüßung von Freiheitsstrafen im
Vollstreckungsmitgliedstaat zu überstellen (siehe Abschnitt 5.8); und

b) wenn gegen eine Person mehrere EuHBe vorliegen (siehe Abschnitt 5.10).

4.4.2. Wie sollte Kontakt aufgenommen werden?

Der EuHB basiert auf dem Grundsatz des direkten Kontakts zwischen den zuständigen
Behörden. Die direkte Kommunikation zwischen der ausstellenden und der
vollstreckenden Justizbehörde hat den Vorteil, schnell und zuverlässig zu sein.

Die Kommunikation muss jedoch über die zentralen Behörden erfolgen, wenn der
Mitgliedstaat gemäß Artikel 7 des EuHB-Rahmenbeschlusses eine zentrale Behörde für
den amtlichen Schriftverkehr benannt hat. Informationen zu den Mitgliedstaaten, die von
dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, finden sich auf der EJN-Website
(https://www.ejn-crimjust.europa.eu).

Gerichtsatlas (Kontaktdaten)

Die Kontaktdaten der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten finden sich im Atlas auf
der EJN-Website (https://www.ejn-crimjust.europa.eu). Der Atlas soll dazu dienen, die
für die Entgegennahme der zu vollstreckenden Entscheidung örtlich zuständige Behörde
zu ermitteln und sich mit der zuständigen Person in Verbindung zu setzen, um praktische
Fragen in Bezug auf den EuHB und andere Instrumente zu erörtern, die der gegenseitigen
Anerkennung unterliegen.

37
Kommunikationsmittel

Der EuHB-Rahmenbeschluss enthält keine besonderen Vorschriften über die Form oder
das Verfahren der Kommunikation nach Eingang des EuHB. In Betracht kommen alle
verfügbaren hinreichend sicheren Mittel (z. B. Telefon oder E-Mail). Am effizientesten
ist es, direkt und möglichst formlos zu kommunizieren und nach Möglichkeit die
Verwendung einer gemeinsamen Sprache zu vereinbaren.

Es ist ratsam, die Sprache in der schriftlichen Kommunikation so einfach wie möglich zu
halten. Ausdrücke und Begriffe, die in verschiedenen Rechtsordnungen unterschiedliche
Konnotationen haben könnten, sollten vermieden oder aber erläutert werden. Dies trägt
dazu bei, Missverständnisse und Probleme mit Übersetzungen zu vermeiden.

Eine gute Kommunikation hilft dabei, das Verfahren zügig durchzuführen,


Missverständnisse zu vermeiden und die in Artikel 17 des EuHB-Rahmenbeschlusses
festgelegten kurzen Fristen einzuhalten (siehe die Abschnitte 4.1 und 4.2 dieses
Handbuchs zu den Fristen).

Dringlichkeit

Die ausstellende Justizbehörde muss Ersuchen um zusätzliche Angaben als Eilsache


behandeln. Die vollstreckende Justizbehörde kann eine (angemessene) Frist für den
Erhalt dieser Informationen festsetzen, wobei die Frist nach Artikel 17 des
EuHB-Rahmenbeschlusses zu beachten ist (Artikel 15 Absatz 2 des
EuHB-Rahmenbeschlusses).

Die zuständigen Behörden sollten auch den Verzögerungen Rechnung tragen, die durch
Ersuchen um zusätzliche Angaben verursacht werden können, und versuchen, solche
Verzögerungen möglichst gering zu halten.

Erleichterung der Kommunikation durch Eurojust- oder EJN-Kontaktstellen

Die Kontaktstellen des EJN oder die nationalen Mitglieder von Eurojust können die
Kommunikation mit Behörden der anderen Mitgliedstaaten erleichtern. Sowohl das EJN
als auch Eurojust kann eine rasche, formlose Kontaktaufnahme zwischen Vertretern der
Rechtsordnungen aller Mitgliedstaaten vermitteln.

Das EJN oder Eurojust unter Berücksichtigung ihrer besonderen Aufgaben in Anspruch
zu nehmen, ist insbesondere in dringenden Fällen sowie dann ratsam, wenn es schwierig
ist, die richtige Behörde zu erreichen.

Beispielsweise können die EJN-Website (Gerichtsatlas, Fiches Belges) und die


EJN-Kontaktstellen bei der Ermittlung der zuständigen vollstreckenden Justizbehörde
helfen und Auskunft über die besonderen Anforderungen im Vollstreckungsmitgliedstaat
geben. Im Falle wiederholter Verzögerungen oder mehrfacher Ablehnung der
Vollstreckung oder im Falle sich überschneidender EuHBe sollte hingegen das nationale
Eurojust-Mitglied angesprochen werden. Zudem kann für die Übermittlung des EuHB
das gesicherte Telekommunikationssystem des EJN genutzt werden, wie in Artikel 10
Absatz 2 des EuHB-Rahmenbeschlusses vorgesehen. Es hat sich bewährt, auf dem
EuHB-Formblatt anzugeben, ob EJN-Kontaktstellen oder nationale Eurojust-Mitglieder

38
oder andere für den Fall zuständige Personen an der Ausarbeitung des EuHB beteiligt
waren30.

Rolle der SIRENE-Büros

Bei SIS-Ausschreibungen zur Festnahme sind für den Informationsaustausch im


Anschluss an den Zeitpunkt, zu dem die Person gefunden wird (der „Treffer“), bis
mindestens zum Beginn des förmlichen Übergabeverfahrens die SIRENE-Büros
verantwortlich. Die Justizbehörden sollten das SIRENE-Büro über die Entwicklungen
zwischen dem Treffer und der endgültigen Entscheidung über die Vollstreckung des
EuHB auf dem Laufenden halten.

4.5. Pflicht der vollstreckenden Justizbehörde, nach der Entscheidung über die
Übergabe die ausstellende Justizbehörde zu unterrichten

Nachdem die vollstreckende Justizbehörde entschieden hat, ob die mit EuHB gesuchte
Person übergeben wird oder nicht, ist sie verpflichtet, den Ausstellungsmitgliedstaat über
ihre Entscheidung und über die Dauer der Haft zu unterrichten.

4.5.1. Unterrichtung über die Übergabeentscheidung

Die vollstreckende Justizbehörde muss der ausstellenden Justizbehörde die Entscheidung


über die Übergabe mitteilen. Unabhängig davon, ob die Person übergeben wird oder
nicht, muss diese Mitteilung nach der Entscheidung unverzüglich erfolgen, damit die
Behörden des Ausstellungsmitgliedstaats geeignete Maßnahmen treffen können. Diese
Pflicht zur unverzüglichen Unterrichtung des Ausstellungsmitgliedstaats über die
Entscheidung ergibt sich aus Artikel 22 des EuHB-Rahmenbeschlusses.

Es ist ratsam, für diesen Zweck das Standardformular in Anhang VII dieses Handbuchs
zu verwenden. Ferner wird der vollstreckenden Justizbehörde empfohlen, der
ausstellenden Justizbehörde die Entscheidung direkt zu übermitteln, da dies eine
schnelle, klare Kommunikation erleichtert (siehe Abschnitt 4.4.2).

Eine Ablehnung der Vollstreckung eines EuHB ist zu begründen (Artikel 17 Absatz 6 des
EuHB-Rahmenbeschlusses).

Es ist wichtig, dass die vollstreckenden Justizbehörden genau angeben, welche


Straftat(en) der Übergabe zugrunde lag(en). Dies ist wegen des in Artikel 27 des
EuHB-Rahmenbeschlusses verankerten Grundsatzes der Spezialität von Belang (siehe
Abschnitt 2.6 dieses Handbuchs). Der Grundsatz der Spezialität könnte den
Ausstellungsmitgliedstaat daran hindern, andere als die der Übergabe zugrunde liegenden
Straftaten zu verfolgen, die vor der Übergabe begangen wurden.

Wenn der EuHB in das SIS eingegeben wurde, sollte die vollstreckende Justizbehörde
ihre Entscheidung dem SIRENE-Büro ihres Mitgliedstaats mitteilen.

30
Eine allgemeine Einführung in die Aufgaben von Eurojust und EJN bietet das Dokument
„Internationale Zusammenarbeit in Strafsachen – Hilfestellung für die Praxis — Europäisches
Justizielles Netz und Eurojust — Können wir Ihnen helfen?“, das sowohl auf der Website des EJN
(https://www.ejn-crimjust.europa.eu) als auch auf der Website von Eurojust
(http://www.eurojust.europa.eu) abgerufen werden kann.

39
4.5.2. Unterrichtung über die Dauer der Haft

Der ausstellenden Justizbehörde sind alle Angaben zur Dauer der Haft, welche die
gesuchte Person aufgrund des EuHB verbüßt hat, zu übermitteln. Der
EuHB-Rahmenbeschluss schreibt vor, dass diese Angaben zum Zeitpunkt der
Übergabe übermittelt werden (Artikel 26 Absatz 2 des EuHB-Rahmenbeschlusses). Die
Angaben können von der vollstreckenden Justizbehörde oder der benannten
Zentralbehörde übermittelt werden.

Es ist wichtig, dass die Behörden des Ausstellungsmitgliedstaats die genaue Haftdauer
kennen. Denn dieser Zeitraum muss auf die rechtskräftig verhängte Freiheitsstrafe oder
freiheitsentziehende Maßregel der Sicherung angerechnet werden (Artikel 26 Absatz 1
des EuHB-Rahmenbeschlusses).

Im Standardformular in Anhang VII ist ein Feld für die Angabe der Dauer der Haft
vorgesehen.

In seinem Urteil in der Rechtssache C-294/16 PPU, JZ31, hat der Gerichtshof Folgendes
entschieden:

„47 … ist der Begriff ‚Haft‘ im Sinne von Art. 26 Abs. 1 des
Rahmenbeschlusses 2002/584 dahin auszulegen, dass er neben der
Inhaftierung jede dem Betroffenen auferlegte Maßnahme oder
Gesamtheit von Maßnahmen umfasst, durch die ihm aufgrund ihrer Art,
ihrer Dauer, ihrer Wirkungen und ihrer Durchführungsmodalitäten die
Freiheit in einer der Inhaftierung vergleichbaren Weise entzogen wird.

53 Bei der Umsetzung von Art. 26 Abs. 1 des


Rahmenbeschlusses 2002/584 muss die Justizbehörde des
Ausstellungsmitgliedstaats des Europäischen Haftbefehls prüfen, ob die
gegenüber dem Betroffenen im Vollstreckungsmitgliedstaat
angeordneten Maßnahmen einem Freiheitsentzug in dem in Rn. 47 des
vorliegenden Urteils genannten Sinne gleichzustellen sind und daher
eine Haft im Sinne von Art. 26 Abs. 1 darstellen. Kommt die
Justizbehörde im Rahmen ihrer Prüfung zu dem Ergebnis, dass dies der
Fall ist, ist sie nach Art. 26 Abs. 1 verpflichtet, die Gesamtdauer des
Zeitraums, in dem die Maßnahmen angewendet wurden, auf die Dauer
der von dieser Person im Ausstellungsmitgliedstaat des Europäischen
Haftbefehls zu verbüßenden Freiheitsstrafe anzurechnen.

55 Da sich Art. 26 Abs. 1 darauf beschränkt, ein Mindestschutzniveau der


Grundrechte der im Europäischen Haftbefehl bezeichneten Person
vorzuschreiben, kann er jedoch, wie der Generalanwalt in Nr. 72 seiner
Schlussanträge ausgeführt hat, nicht dahin ausgelegt werden, dass er
die Justizbehörde des Ausstellungsmitgliedstaats des Haftbefehls daran
hindert, auf der Grundlage allein des nationalen Rechts einen Zeitraum,

31
Urteil des Gerichtshofs vom 28. Juli 2016, JZ, C-294/16 PPU, ECLI:EU:C:2016:610.

40
in dem die Person im Vollstreckungsmitgliedstaat keinen
freiheitsentziehenden, sondern freiheitsbeschränkenden Maßnahmen
unterworfen war, ganz oder teilweise auf die Gesamtdauer des von ihr
im Ausstellungsmitgliedstaat zu verbüßenden Freiheitsentzugs
anzurechnen.

56 Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Justizbehörde des


Ausstellungsmitgliedstaats des Europäischen Haftbefehls bei der in
Rn. 53 des vorliegenden Urteils angesprochenen Prüfung auf der
Grundlage von Art. 26 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses 2002/584 die
zuständige Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaats um alle
Informationen ersuchen kann, deren Übermittlung für notwendig
erachtet wird.“

4.6. Inhafthaltung der mit EuHB gesuchten Person im


Vollstreckungsmitgliedstaat

Nach der Festnahme der mit EuHB gesuchten Person aufgrund des EuHB muss die
vollstreckende Justizbehörde entscheiden, ob die Person bis zur Entscheidung über die
Vollstreckung des EuHB in Haft zu halten oder freizulassen ist. Haft ist daher nicht
unbedingt erforderlich, und eine vorläufige Haftentlassung nach Maßgabe der
innerstaatlichen Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaats ist jederzeit
möglich (Artikel 12 des EuHB-Rahmenbeschlusses).

Wenn die Person nicht in Haft gehalten wird, ist die zuständige Behörde des
Vollstreckungsmitgliedstaats verpflichtet, alle Maßnahmen zu treffen, die sie zur
Verhinderung einer Flucht der Person für erforderlich erachtet(Artikel 12 des
EuHB-Rahmenbeschlusses). Zu diesen Maßnahmen könnten zum Beispiel Reiseverbote
oder eine Meldeauflage und eine elektronische Überwachung gehören.

Die Haftentscheidung ist nach nationalem Recht und im Einklang mit Artikel 6 der
Charta der Grundrechte der Europäischen Union, nach dem jeder Mensch das Recht auf
Freiheit und Sicherheit hat, zu treffen.

In seinem Urteil in der Rechtssache C-237/15 PPU, Lanigan, hat der Gerichtshof
festgestellt:

„Die Art. 15 Abs. 1 und 17 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates …


sind dahin auszulegen, dass die vollstreckende Justizbehörde auch nach Ablauf
der in Art. 17 festgelegten Fristen zum Erlass der Entscheidung über die
Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls verpflichtet bleibt.

Art. 12 des Rahmenbeschlusses ist in Verbindung mit dessen Art. 17 im Licht


von Art. 6 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin
auszulegen, dass er in einem solchen Fall der Inhafthaltung der gesuchten
Person nach Maßgabe des Rechts des Vollstreckungsmitgliedstaats nicht
entgegensteht, auch wenn die gesamte Haftdauer dieser Person die betreffenden
Fristen überschreitet, sofern sie nicht in Anbetracht der Merkmale des
Verfahrens, das in dem Fall, um den es im Ausgangsverfahren geht, angewandt
wurde, übermäßig lang ist; dies zu prüfen ist Sache des vorlegenden Gerichts.
Entscheidet die vollstreckende Justizbehörde, die Inhaftierung der gesuchten
Person zu beenden, muss sie deren vorläufige Freilassung mit den ihres

41
Erachtens zur Verhinderung einer Flucht erforderlichen Maßnahmen verbinden
und sicherstellen, dass die materiellen Voraussetzungen für eine tatsächliche
Übergabe der Person weiterhin gegeben sind, solange noch keine endgültige
Entscheidung über die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls ergangen
ist.“

5. ENTSCHEIDUNG ÜBER DIE ÜBERGABE

5.1. Allgemeine Pflicht zur Vollstreckung der EuHBe

Die vollstreckende Justizbehörde hat grundsätzlich die Pflicht, jeden EuHB nach dem
Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung und gemäß den Bestimmungen des
EuHB-Rahmenbeschlusses (Artikel 1) zu vollstrecken. Auf diese Bestimmungen wird in
den Abschnitten 5 bis 8 dieses Handbuchs eingegangen. Der Entscheidung über die
Übergabe muss innerhalb der in Abschnitt 4 dieses Handbuchs genannten Fristen
nachgekommen werden.

Zudem müssen die zuständigen Behörden gewährleisten, dass die in Abschnitt 11


genannten Mindestverfahrensrechte der gesuchten Person geachtet werden.

5.2. Liste der 32 Straftaten, die eine Übergabe ohne Überprüfung des
Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit zur Folge haben

Die vollstreckende Justizbehörde hat zu prüfen, ob von der ausstellenden Justizbehörde


festgestellte Straftaten einer der in Artikel 2 Absatz 2 des EuHB-Rahmenbeschlusses
aufgelisteten 32 Straftaten zuzuordnen sind. Nur bei Straftaten, die nicht in der Liste
aufgeführt sind, darf die vollstreckende Justizbehörde das Vorliegen der beiderseitigen
Strafbarkeit prüfen.

Es ist mit Nachdruck darauf hinzuweisen, dass für die Definition der Straftat und das
Höchstmaß der Strafe allein das Recht des Ausstellungsmitgliedstaats maßgebend ist.
Die vollstreckende Justizbehörde muss anerkennen, was die ausstellende Justizbehörde
im EuHB angegeben hat.

Inseinem Urteil in der Rechtssache C-289/15, Grundza, hat der Gerichtshof Artikel 7
Absatz 3 und Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe d des Rahmenbeschlusses 2008/909/JI
ausgelegt (und zwar wie geprüft werden muss, ob die Voraussetzung der beiderseitigen
Strafbarkeit erfüllt ist). Der Gerichtshof hat wie folgt entschieden:

„38 … dass es der zuständigen Behörde des Vollstreckungsstaats obliegt,


im Zuge der Beurteilung der beiderseitigen Strafbarkeit zu überprüfen,
ob die der Straftat zugrunde liegenden Sachverhaltselemente, wie sie in
dem von der zuständigen Stelle des Ausstellungsstaats erlassenen Urteil
wiedergegeben werden, als solche auch im Vollstreckungsstaat, wenn
sie sich in dessen Hoheitsgebiet ereignet hätten, einer strafrechtlichen
Sanktion unterliegen würden.

49 Im Rahmen der Beurteilung der beiderseitigen Strafbarkeit hat die


zuständige Behörde des Vollstreckungsstaats … nicht zu prüfen, ob das

42
vom Ausstellungsstaat geschützte Interesse verletzt wurde, sondern ob
dann, wenn die betreffende Straftat im Hoheitsgebiet des
Mitgliedstaats, dem diese Behörde zuzurechnen ist, begangen worden
wäre, ein ähnliches, vom nationalen Recht dieses Staates geschütztes
Interesse als verletzt gegolten hätte.“

Falls die vollstreckende Justizbehörde der Auffassung ist, dass in dieser Hinsicht ein
offensichtlicher Fehler vorliegt, sollte sie sich mit der ausstellenden Justizbehörde in
Verbindung setzen und eine Klärung herbeiführen (siehe Abschnitt 4.4 zur
Kommunikation zwischen den Justizbehörden).

5.3. Akzessorische Straftaten

Von „akzessorischen Straftaten“ spricht man im Zusammenhang mit einer oder mehrerer
Straftaten, die mit einem niedrigeren als dem in Artikel 2 Absatz 1 des
EuHB-Rahmenbeschlusses angegebenen Strafmaß bedroht sind. Solche Straftaten
können als akzessorische Straftaten in den EuHB aufgenommen werden. Die ausstellende
Justizbehörde kann solche Straftaten im EuHB-Formblatt angeben, auch wenn sie nicht
in den Anwendungsbereich des EuHB fallen (siehe Abschnitt 2.3).

Der EuHB muss jedoch für mindestens eine Straftat erlassen werden, die dem Strafmaß
in Artikel 2 Absatz 1 des EuHB-Rahmenbeschlusses entspricht.

Im EuHB-Rahmenbeschluss selbst ist nicht ausdrücklich geregelt, wie die Übergabe


wegen akzessorischer Straftaten zu behandeln ist. Einige Mitgliedstaaten lassen sie zu,
andere nicht. Wenn der Vollstreckungsmitgliedstaat eine solche Übergabe nicht zulässt,
kann der Grundsatz der Spezialität den Ausstellungsmitgliedstaat an der Verfolgung
dieser Straftaten hindern (siehe Abschnitt 2.6 zum Grundsatz der Spezialität).

Falls der EuHB akzessorische Straftaten umfasst, sollte die vollstreckende Justizbehörde
in der Übergabeentscheidung klar angeben, ob die Übergabe auch die akzessorischen
Straftaten betrifft. Mit der Übergabe wegen der akzessorischen Straftaten erhält der
Ausstellungsmitgliedstaat die Zuständigkeit für die Verfolgung dieser Straftaten oder die
Vollstreckung einer entsprechenden Freiheitsstrafe.

In Anhang VIII sind die Mitgliedstaaten aufgeführt, deren Rechtsordnung die


Möglichkeit einer Übergabe wegen akzessorischer Straftaten vorsieht.

5.4. Gründe für die Ablehnung der Vollstreckung

Die (in Artikel 1 Absatz 2 des EuHB-Rahmenbeschlusses verankerte) allgemeine Pflicht


zur Vollstreckung der EuHBe wird durch die zwingenden bzw. fakultativen
Ablehnungsgründe eingeschränkt (Artikel 3, 4 und 4a des EuHB-Rahmenbeschlusses).
Es ist darauf hinzuweisen, dass dies nach dem EuHB-Rahmenbeschluss die einzigen
Gründe sind, auf die sich die vollstreckende Justizbehörde berufen kann, um die
Vollstreckung abzulehnen. Fakultative Ablehnungsgründe kann die vollstreckende
Justizbehörde nur geltend machen, wenn sie in das für sie geltende nationale Recht
umgesetzt wurden. Der Gerichtshof hat klargestellt, dass die Gründe abschließend
aufgezählt sind (insbesondere in seinen Urteilen in der Rechtssache C-123/08,

43
Wolzenburg, Rn. 57, und in den verbundenen Rechtssachen C-404/15 und
C-659/15 PPU, Aranyosi und Căldăraru, Rn. 8032).

Die vollstreckende Justizbehörde kann sich mit der ausstellenden Justizbehörde in


Verbindung setzen, bevor sie über die Ablehnung der Übergabe entscheidet. Dies könnte
ratsam sein, wenn unsicher ist, ob ein Ablehnungsgrund besteht. Bevor die
vollstreckende Justizbehörde die Ablehnungsentscheidung trifft, könnte sie auch
eruieren, welche anderen Maßnahmen möglich wären, wie zum Beispiel die Überstellung
von Strafgefangenen (siehe Abschnitt 4.4 zur Kommunikation zwischen den
Justizbehörden und Abschnitt 2.5 zu sonstigen Maßnahmen der Union im Bereich der
justiziellen Zusammenarbeit).

Wenn entschieden wurde, die Übergabe abzulehnen, kann die gesuchte Person nicht
länger aufgrund des EuHB in Haft gehalten werden.

5.4.1. Zwingende Ablehnungsgründe

Wenn mindestens einer der zwingenden Ablehnungsgründe vorliegt, muss die


vollstreckende Justizbehörde die Vollstreckung des EuHB ablehnen (Artikel 3 des
EuHB-Rahmenbeschlusses). Sobald die vollstreckende Justizbehörde feststellt, dass einer
dieser Ablehnungsgründe zutrifft, hat sie daher die Vollstreckung abzulehnen. Diese
Gründe sind in Artikel 3 des EuHB-Rahmenbeschlusses festgelegt.

Amnestie (Artikel 3 Nummer 1)

Die Straftat, aufgrund deren der EuHB ergangen ist, fällt im Vollstreckungsmitgliedstaat
unter eine Amnestie. Ferner muss der Vollstreckungsmitgliedstaat nach seinem eigenen
Strafrecht für die Verfolgung der Straftat zuständig gewesen sein.

Grundsatz „ne bis in idem“ (Artikel 3 Nummer 2)

Aus den der vollstreckenden Justizbehörde vorliegenden Informationen ergibt sich, dass
die gesuchte Person wegen derselben Handlung von einem Mitgliedstaat bereits
rechtskräftig verurteilt worden ist. Darüber hinaus wird verlangt, dass im Fall einer
Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder
nach dem Recht des Urteilsmitgliedstaats nicht mehr vollstreckt werden kann.

Der Gerichtshof hat sich in mehreren Rechtssachen zur Auslegung des Grundsatzes
„ne bis in idem“ im Zusammenhang mit Artikel 54 des Übereinkommens zur
Durchführung des Übereinkommens von Schengen (SDÜ) geäußert. Diese
Rechtsprechung ist nach dem Urteil in der Rechtssache C-261/09, Mantello33, auf den
EuHB-Rahmenbeschluss anwendbar und klärt Begriffe wie „rechtskräftige
Verurteilung“, „dieselbe Handlung“ und „Vollstreckung der Sanktion“. In seinem Urteil
in der Rechtssache C-129/14 PPU, Spasic34, hat der Gerichtshof entscheiden, dass
Artikel 54 SDÜ als solcher mit Artikel 50 der Charta der Grundrechte der Europäischen
Union vereinbar ist, in dem dieser Grundsatz verankert ist.

32
Urteil des Gerichtshofs vom 6. Oktober 2009, Wolzenburg, C-123/08, ECLI:EU:C:2009:616;
Urteil des Gerichtshofs vom 5. April 2016, Aranyosi und Căldăraru, C-404/15 und C-659/15 PPU,
ECLI:EU:C:2016:198.
33
Urteil des Gerichtshofs vom 16. November 2010, Mantello, C-261/09, ECLI:EU:C:2010:683.
34
Urteil des Gerichtshofs vom 27. Mai 2014, Spasic, C-129/14 PPU, ECLI:EU:C:2014:586.

44
Anhang VI enthält Zusammenfassungen von Urteilen des Gerichtshofs zum Grundsatz
„ne bis in idem“.

Artikel 54 SDÜ

„Wer durch eine Vertragspartei rechtskräftig abgeurteilt worden ist, darf durch
eine andere Vertragspartei wegen derselben Tat nicht verfolgt werden,
vorausgesetzt, dass im Fall einer Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt
worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht
mehr vollstreckt werden kann.“

Artikel 50 der Charta

„Recht, wegen derselben Straftat nicht zweimal strafrechtlich verfolgt oder


bestraft zu werden

Niemand darf wegen einer Straftat, derentwegen er bereits in der Union nach
dem Gesetz rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem
Strafverfahren erneut verfolgt oder bestraft werden.“

Mangelnde Strafmündigkeit (Artikel 3 Nummer 3)

Die gesuchte Person kann nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats aufgrund
ihres Alters für die Handlung, die dem Haftbefehl zugrunde liegt, nicht strafrechtlich zur
Verantwortung gezogen werden.

Das Alter der Strafmündigkeit ist in den Mitgliedstaaten unterschiedlich geregelt. Auch
der Zeitpunkt, zu dem dieses Alter im konkreten Fall erreicht sein muss, ist verschieden.
Dies kann beispielsweise der Zeitpunkt sein, zu dem die mutmaßliche Straftat begangen
wurde, oder der Zeitpunkt, zu dem die Person angeklagt wird.

Ein Ablehnungsgrund liegt vor, wenn gegen die gesuchte Person wegen ihres Alters im
Vollstreckungsmitgliedstaat nur ein Zivil- oder Verwaltungs-, aber kein Strafverfahren
eingeleitet werden könnte.

5.4.2. Fakultative Ablehnungsgründe

Wenn einer der fakultativen Ablehnungsgründe vorliegt, die in nationales Recht


umgesetzt wurden, kann die vollstreckende Justizbehörde die Vollstreckung des EuHB je
nach den Umständen des Falles ablehnen. Diese Gründe sind in Artikel 4 des
EuHB-Rahmenbeschlusses festgelegt.

Fehlen der beiderseitigen Strafbarkeit (Artikel 4 Nummer 1)

Die Handlung, aufgrund deren der EuHB ergangen ist, stellt nach dem Recht des
Vollstreckungsmitgliedstaats keine Straftat dar.

Dies gilt nur für Straftaten, die nicht in der Liste des Artikels 2 Absatz 2 des
EuHB-Rahmenbeschlusses unter den Straftaten aufgeführt sind, bei denen die
Überprüfung des Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit entfällt. Dieser fakultative
Ablehnungsgrund kann jedoch auch vorliegen, wenn die Handlung zwar einer der in
Artikel 2 Absatz 2 des EuHB-Rahmenbeschlusses aufgelisteten Straftaten entspricht,

45
diese aber nach dem Recht des Ausstellungsmitgliedstaats mit einer Freiheitsstrafe oder
einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung im Höchstmaß von weniger als drei
Jahren bedroht ist, und wenn diese Handlung nach dem Recht des
Vollstreckungsmitgliedstaats keine Straftat darstellt. In seinem Urteil in der Rechtssache
C-289/15, Grundza, hat der Gerichtshof präzisiert, wie geprüft werden muss, ob die
Voraussetzung der beiderseitigen Strafbarkeit erfüllt ist (siehe Abschnitt 5.2).

In Steuer-, Zoll- und Währungsangelegenheiten kann die Vollstreckung des EuHB nicht
aus dem Grund abgelehnt werden, dass das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats keine
gleichartigen Steuern vorschreibt oder keine gleichartigen Steuer-, Zoll- und
Währungsbestimmungen enthält wie das Recht des Ausstellungsmitgliedstaats.

Strafverfolgung im Vollstreckungsmitgliedstaat anhängig (Artikel 4 Nummer 2)

Die Person, gegen die der EuHB ergangen ist, wird im Vollstreckungsmitgliedstaat
wegen derselben Handlung, aufgrund deren der EuHB ausgestellt worden ist,
strafrechtlich verfolgt.

Strafverfolgung wegen derselben Straftat im Vollstreckungsmitgliedstaat


ausgeschlossen (Artikel 4 Nummer 3)

Die Justizbehörden des Vollstreckungsmitgliedstaats haben beschlossen, wegen der


Straftat, aufgrund deren der EuHB ausgestellt worden ist, kein Verfahren einzuleiten
bzw. das Verfahren einzustellen, oder es ist gegen die gesuchte Person in einem
Mitgliedstaat aufgrund derselben Handlung eine rechtskräftige Entscheidung ergangen,
die einer weiteren Strafverfolgung entgegensteht.

Siehe auch Abschnitt 5.4.1 zum Grundsatz „ne bis in idem“.

Strafverfolgung oder Strafvollstreckung verjährt (Artikel 4 Nummer 4)

Die Strafverfolgung oder die Strafvollstreckung ist nach den Rechtsvorschriften des
Vollstreckungsmitgliedstaats verjährt, und die Handlungen fielen nach seinem eigenen
Strafrecht in seine Zuständigkeit.

Siehe auch Abschnitt 5.4.1 zum Grundsatz „ne bis in idem“.

Rechtskräftige Verurteilung in einem Drittstaat (Artikel 4 Nummer 5)

Aus den der vollstreckenden Justizbehörde vorliegenden Informationen ergibt sich, dass
die gesuchte Person wegen derselben Handlung von einem Drittstaat rechtskräftig
verurteilt worden ist, vorausgesetzt, dass im Fall einer Verurteilung die Sanktion bereits
vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaats
nicht mehr vollstreckt werden kann.

Vollstreckungsmitgliedstaat übernimmt Vollstreckung der Sanktion (Artikel 4


Nummer 6)

Wenn der EuHB zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden
Maßregel der Sicherung ausgestellt worden ist und sich die gesuchte Person im
Vollstreckungsmitgliedstaat aufhält, dessen Staatsangehöriger ist oder dort ihren
Wohnsitz hat, kann die vollstreckende Justizbehörde prüfen, ob die Sanktion in ihrem

46
Mitgliedstaat vollstreckt werden könnte, anstatt die Person dem
Ausstellungsmitgliedstaat zu übergeben.

Artikel 25 des Rahmenbeschlusses 2008/909/JI enthält auch eine besondere Regelung


betreffend die Vollstreckung von Freiheitsstrafen im Vollstreckungsmitgliedstaat in
Fällen nach Artikel 4 Nummer 6 des EuHB-Rahmenbeschlusses (siehe Abschnitt 2.5.2
dieses Handbuchs). Dier Rahmenbeschluss 2008/909/JI ist an die Stelle des
Übereinkommens von 1983 und seines Zusatzprotokolls getreten. Daher muss der
Rahmenbeschluss 2008/909/JI zur Übertragung der Strafe auf den Mitgliedstaat, in dem
sie vollstreckt werden soll, herangezogen werden.

Nach dem Rahmenbeschluss 2008/909/JI ist die Zustimmung der verurteilten Person zu
ihrer Überstellung nicht mehr in jedem Fall erforderlich.

In seinem Urteil in der Rechtssache C-66/08, Kozłowski35, hat der Gerichtshof


festgestellt, dass die Begriffe „sich aufhält“ und „ihren Wohnsitz hat“ in Artikel 4
Nummer 6 des EuHB-Rahmenbeschlusses einheitlich ausgelegt werden müssen, da sie
sich auf autonome Begriffe des Unionsrechts beziehen. Sie stehen jeweils für
Situationen, in denen die gesuchte Person entweder ihren tatsächlichen Wohnsitz im
Vollstreckungsmitgliedstaat begründet hat oder infolge eines beständigen Verweilens
von gewisser Dauer in diesem Mitgliedstaat Bindungen zu diesem Staat von ähnlicher
Intensität aufgebaut hat, wie sie sich aus einem Wohnsitz ergeben. Ob die Person „sich
aufhält“, ist anhand einer Gesamtschau mehrerer objektiver Kriterien zu ermitteln, zu
denen die Dauer, die Art und die Bedingungen des Verweilens der gesuchten Person
sowie ihre familiären und wirtschaftlichen Verbindungen zum
Vollstreckungsmitgliedstaat gehören.

Wie der Gerichtshof in seinem Urteil in der Rechtssache C-123/08, Wolzenburg, in


Bezug auf Artikel 4 Nummer 6 des EuHB-Rahmenbeschlusses und den Grundsatz der
Gleichbehandlung der Unionsbürger entschieden hat, waren innerstaatliche
Rechtsvorschriften, nach denen ein EuHB zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe im
Falle zugewanderter Unionsbürger nur dann nicht vollstreckt wurde, wenn sich diese
rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen im nationalen Hoheitsgebiet aufgehalten
hatten, mit dem damaligen Artikel 12 des Vertrags zur Gründung der Europäischen
Gemeinschaft (jetzt Artikel 18 AEUV) vereinbar. Ein Mitgliedstaat darf für die
Anwendung des fakultativen Ablehnungsgrundes in Artikel 4 Nummer 6 des
EuHB-Rahmenbeschlusses jedoch keine ergänzenden verwaltungsrechtlichen
Anforderungen wie den Besitz einer unbefristeten Aufenthaltsgenehmigung stellen.

In seinem Urteil in der Rechtssache C-42/11, Lopes da Silva Jorge36, hat der Gerichtshof
festgestellt, dass Artikel 4 Nummer 6 des EuHB-Rahmenbeschlusses und Artikel 18
AEUV dahingehend auszulegen sind, dass ein Mitgliedstaat im Rahmen der Umsetzung
des Artikels 4 Nummer 6 des EuHB-Rahmenbeschlusses zwar die Fälle, in denen sich
die nationale vollstreckende Justizbehörde weigern kann, eine in den
Anwendungsbereich dieser Bestimmung fallende Person zu übergeben, begrenzen kann,
jedoch Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten, die sich in seinem Hoheitsgebiet
aufhalten oder dort ihren Wohnsitz haben, nicht ungeachtet ihrer Bindungen zu diesem

35
Urteil des Gerichtshofs vom 17. Juli 2008, Kozłowski, C-66/08, ECLI:EU:C:2008:437.
36
Urteil des Gerichtshofs vom 5. September 2012, Lopes da Silva Jorge, C-42/11,
ECLI:EU:C:2012:517.

47
Mitgliedstaat von diesem Anwendungsbereich automatisch völlig ausschließen darf. Die
nationalen Gerichte müssen das Recht anhand des Wortlauts und des Zwecks des
EuHB-Rahmenbeschlusses auslegen, um dessen volle Wirksamkeit zu gewährleisten.

Extraterritorialität (Straftaten, die außerhalb des Hoheitsgebiets des


Ausstellungsmitgliedstaats begangen wurden) (Artikel 4 Nummer 7)

Der EuHB erstreckt sich auf Straftaten, die

a) nach den Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaats ganz oder zum


Teil in dessen Hoheitsgebiet oder an einem diesem gleichgestellten Ort
begangen worden sind; oder

b) außerhalb des Hoheitsgebiets des Ausstellungsmitgliedstaats begangen wurden,


und die Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaats die Verfolgung von
außerhalb seines Hoheitsgebiets begangenen Straftaten gleicher Art nicht
zulassen.

5.5. Abwesenheitsurteile

Der EuHB-Rahmenbeschluss wurde durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI dahin


geändert, dass Artikel 5 Absatz 1 gestrichen und ein neuer Artikel 4a über
Abwesenheitsurteile eingefügt wurde. Diese Vorschriften betreffen Fälle, in denen bei
einer vollstreckenden Justizbehörde ein EuHB zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe
eingeht, die im Ausstellungsmitgliedstaat in einem Verfahren verhängt wurde, zu dem die
Person nicht erschienen war.

Artikel 4a enthält einen fakultativen Ablehnungsgrund. Die Vollstreckung eines zur


Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung
ausgestellten EuHB kann abgelehnt werden, wenn die Person nicht zu der Verhandlung
erschienen ist, die zu der Entscheidung geführt hat (Abwesenheitsurteil).

Von dieser Vorschrift gibt es jedoch eine Reihe von Ausnahmen. Eine vollstreckende
Justizbehörde kann die Vollstreckung eines auf ein Abwesenheitsurteil gestützten EuHB
nicht ablehnen, wenn aus dem EuHB hervorgeht, dass die Person im Einklang mit den
weiteren verfahrensrechtlichen Vorschriften des nationalen Rechts des
Ausstellungsmitgliedstaats

a) rechtzeitig

i) entweder persönlich vorgeladen wurde und dabei von dem vorgesehenen


Termin und Ort der Verhandlung in Kenntnis gesetzt wurde, die zu der
Entscheidung geführt hat, oder auf andere Weise tatsächlich offiziell von
dem vorgesehenen Termin und Ort dieser Verhandlung in Kenntnis
gesetzt wurde, und zwar auf eine Weise, dass zweifelsfrei nachgewiesen
wurde, dass sie von der anberaumten Verhandlung Kenntnis hatte, und

ii) davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass eine Entscheidung auch dann
ergehen kann, wenn sie zu der Verhandlung nicht erscheint; oder

b) in Kenntnis der anberaumten Verhandlung ein Mandat an einen Rechtsbeistand,


der entweder von der betroffenen Person oder vom Staat bestellt wurde, erteilt

48
hat, sie bei der Verhandlung zu verteidigen, und bei der Verhandlung von
diesem Rechtsbeistand tatsächlich verteidigt worden ist; oder

c) nachdem ihr die Entscheidung zugestellt und sie ausdrücklich von ihrem Recht
auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder auf ein Berufungsverfahren in
Kenntnis gesetzt worden ist, an dem die Person teilnehmen kann und bei dem
der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft werden und
die ursprünglich ergangene Entscheidung aufgehoben werden kann:

i) ausdrücklich erklärt hat, dass sie die Entscheidung nicht anficht, oder

ii) innerhalb der geltenden Frist keine Wiederaufnahme des Verfahrens


bzw. kein Berufungsverfahren beantragt hat; oder

d) die Entscheidung nicht persönlich zugestellt erhalten hat, aber

i) sie unverzüglich nach der Übergabe persönlich zugestellt erhalten wird


und ausdrücklich von ihrem Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens
oder auf ein Berufungsverfahren in Kenntnis gesetzt werden wird, an dem
die Person teilnehmen kann und bei dem der Sachverhalt, einschließlich
neuer Beweismittel, erneut geprüft werden und die ursprünglich ergangene
Entscheidung aufgehoben werden kann, und

ii) von der Frist in Kenntnis gesetzt werden wird, über die sie gemäß dem
einschlägigen EuHB verfügt, um eine Wiederaufnahme des Verfahrens
bzw. ein Berufungsverfahren zu beantragen.

Im Urteil in der Rechtssache C-399/11, Melloni37, ging es um die Frage, ob Artikel 4a


Absatz 1 des EuHB-Rahmenbeschlusses dahin auszulegen ist, dass er die vollstreckende
Justizbehörde unter den in dieser Bestimmung genannten Umständen daran hindert, die
Vollstreckung eines zur Vollstreckung eines Urteils ausgestellten EuHB von der
Bedingung abhängig zu machen, dass die in Abwesenheit ausgesprochene Verurteilung
im Ausstellungsmitgliedstaat überprüft werden kann.

Nach Auffassung des Gerichtshofs sieht Artikel 4a Absatz 1 des


EuHB-Rahmenbeschlusses einen fakultativen Grund für die Ablehnung der
Vollstreckung eines zur Vollstreckung eines Urteils ausgestellten EuHB vor, wenn die
betreffende Person in Abwesenheit verurteilt wurde. Von dieser Möglichkeit bestehen
jedoch vier Ausnahmen, die in Artikel 4a Absatz 1 Buchstaben a bis d festgelegt sind.
Der Gerichtshof hat festgestellt, dass die vollstreckende Justizbehörde in diesen vier
Fällen die Übergabe einer in Abwesenheit verurteilten Person nicht von der Möglichkeit
einer Überprüfung der Verurteilung in ihrer Anwesenheit abhängig machen darf.

In seinem Urteil in der Rechtssache C-108/16 PPU, Dworzecki38, hat der Gerichtshof
festgestellt:

„Art. 4a Abs. 1 Buchst. a Ziff. i des Rahmenbeschlusses 2002/584 … ist dahin


auszulegen, dass eine Vorladung wie die im Ausgangsverfahren in Rede
stehende, die nicht dem Betroffenen selbst zugestellt, sondern an dessen

37
Urteil des Gerichtshofs vom 26. Februar 2013, Melloni, C-399/11, ECLI:EU:C:2013:107.
38
Urteil des Gerichtshofs vom 24. Mai 2016, Dworzecki, C-108/16 PPU, ECLI:EU:C:2016:346.

49
Anschrift einem dort wohnenden Erwachsenen übergeben wurde, der sich
verpflichtete, sie dem Betroffenen auszuhändigen, ohne dass sich dem
Europäischen Haftbefehl entnehmen lässt, ob und gegebenenfalls wann er sie
dem Betroffenen tatsächlich ausgehändigt hat, die in der genannten Bestimmung
aufgestellten Voraussetzungen für sich genommen nicht erfüllt.“

5.6. Grundrechtserwägungen der vollstreckenden Justizbehörde

Die Ablehnung der Vollstreckung wegen einer Verletzung der Grundrechte der
gesuchten Person im Ausstellungsmitgliedstaat ist im EuHB-Rahmenbeschluss nicht
geregelt.

In Artikel 1 Absatz 3 in Verbindung mit den Erwägungsgründen 12 und 13 des


EuHB-Rahmenbeschlusses wird jedoch klargestellt, dass im Zusammenhang mit dem
EuHB die Grundrechte und die allgemeinen Rechtsgrundsätze zu achten sind.

In seinem Urteil in den verbundenen Rechtssachen C-404/15 und C-659/15 PPU,


Aranyosi und Căldăraru, hat der Gerichtshof entschieden,

„dass die vollstreckende Justizbehörde, sofern sie über objektive, zuverlässige,


genaue und gebührend aktualisierte Angaben verfügt, die das Vorliegen
systemischer oder allgemeiner, bestimmte Personengruppen oder bestimmte
Haftanstalten betreffender Mängel der Haftbedingungen im
Ausstellungsmitgliedstaat belegen, konkret und genau prüfen muss, ob es
ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme gibt, dass
die Person, gegen die sich ein zum Zweck der Strafverfolgung oder der
Vollstreckung einer Freiheitsstrafe erlassener Haftbefehl richtet, aufgrund der
Bedingungen ihrer Inhaftierung in diesem Mitgliedstaat einer echten Gefahr
unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta
der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt sein wird, falls sie ihm
übergeben wird. Dabei muss die vollstreckende Justizbehörde die ausstellende
Justizbehörde um zusätzliche Informationen bitten, und Letztere muss diese
Informationen, nachdem sie erforderlichenfalls die oder eine der zentralen
Behörden des Ausstellungsmitgliedstaats im Sinne von Art. 7 des
Rahmenbeschlusses um Unterstützung ersucht hat, innerhalb der im Ersuchen
gesetzten Frist übermitteln. Die vollstreckende Justizbehörde muss ihre
Entscheidung über die Übergabe der betreffenden Person aufschieben, bis sie
die zusätzlichen Informationen erhalten hat, die es ihr gestatten, das Vorliegen
einer solchen Gefahr auszuschließen. Kann das Vorliegen einer solchen Gefahr
nicht innerhalb einer angemessenen Frist ausgeschlossen werden, muss die
vollstreckende Justizbehörde darüber entscheiden, ob das Übergabeverfahren zu
beenden ist.“

Wenn die Justizbehörde des Vollstreckungsmitgliedstaats über Anhaltspunkte dafür


verfügt, dass wegen der allgemeinen Haftbedingungen eine echte Gefahr unmenschlicher
oder erniedrigender Behandlung von Häftlingen im Ausstellungsmitgliedstaat besteht,
muss sie das im Urteil des Gerichtshofs in den verbundenen Rechtssachen C-404/15 und
C-659/15 PPU, Aranyosi und Căldăraru (Rn. 89 bis 104) beschriebene Verfahren
befolgen.

50
Vorgehen der nationalen vollstreckenden Justizbehörden, wenn sie über Anhaltspunkte
dafür verfügen, dass eine echte Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung
von Häftlingen im Ausstellungsmitgliedstaat besteht

Es sind folgende Verfahrensschritte einzuhalten:

1. Prüfung, ob wegen der allgemeinen Haftbedingungen eine echte Gefahr


unmenschlicher und erniedrigender Behandlung der betreffenden Person
besteht:

– auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend


aktualisierter Informationen, die unter anderem aus Urteilen
internationaler Gerichte, etwa des Europäischen Gerichtshofs für
Menschenrechte, aus Urteilen von Gerichten des
Ausstellungsmitgliedstaats oder aus Entscheidungen, Berichten und
anderen Schriftstücken von Organen des Europarats oder aus dem System
der Vereinten Nationen stammen können.

2. Wenn eine solche Gefahr aufgrund der allgemeinen Haftbedingungen


festgestellt worden ist, Prüfung, ob es ernsthafte und durch Tatsachen
bestätigte Gründe für die Annahme gibt, dass eine solche echte Gefahr
unmenschlicher und erniedrigender Behandlung unter den besonderen
Umständen des Falles für die betreffende Person besteht:

– Nachfragepflicht auf der Grundlage des Artikels 15 Absatz 2 des EuHB-


Rahmenbeschlusses: Die ausstellende Justizbehörde wird gebeten,
unverzüglich alle notwendigen zusätzlichen Informationen über die
Bedingungen zu übermitteln, unter denen die gesuchte Person inhaftiert
werden soll;

– Möglichkeit der Anfrage, ob es Mechanismen zur Überprüfung der


Haftbedingungen gibt;

– Möglichkeit, eine Antwortfrist festzusetzen, wobei die für die Sammlung


der Informationen nötige Zeit und die Frist nach Artikel 17 des
EuHB-Rahmenbeschlusses zu berücksichtigen sind.

3. Wenn anhand der von der ausstellenden Justizbehörde erhaltenen


Informationen und sonstiger Informationen, über die die vollstreckende
Justizbehörde verfügt, (und in Erwartung der endgültigen Entscheidung
über den Europäischen Haftbefehl) eine echte Gefahr unmenschlicher und
erniedrigender Behandlung für die betreffende Person festgestellt worden
ist:

– Pflicht, die Vollstreckung des in Rede stehenden Europäischen


Haftbefehls aufzuschieben. Eurojust muss (nach Artikel 17 Absatz 7 des
EuHB-Rahmenbeschlusses) in Kenntnis gesetzt werden;

– Möglichkeit, die betreffende Person in Haft zu behalten, allerdings nur,


wenn das Verfahren zur Vollstreckung des EuHB mit hinreichender
Sorgfalt durchgeführt worden ist und keine übermäßig lange Inhaftierung

51
vorliegt (im Einklang mit dem Urteil in der Rechtssache C-237/15 PPU,
Lanigan, Rn. 58, 59 und 60), wobei der durch Artikel 48 der Charta
gewährleisteten Unschuldsvermutung gebührend Rechnung zu tragen und
nach Artikel 52 Absatz 1 der Charta der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu
beachten ist;

– Möglichkeit oder sogar Pflicht zur vorläufigen Freilassung der


betreffenden Person, verbunden mit Maßnahmen zur Verhinderung der
Flucht.

4. Endgültige Entscheidung:

– Wenn die vollstreckende Justizbehörde auf der Grundlage der von der
ausstellenden Justizbehörde erhaltenen Informationen die Gefahr
unmenschlicher und erniedrigender Behandlung der gesuchten Person
ausschließen kann, muss sie über die Vollstreckung des EuHB
entscheiden.

– Wenn die vollstreckende Justizbehörde feststellt, dass die Gefahr


unmenschlicher und erniedrigender Behandlung nicht innerhalb einer
angemessenen Frist ausgeschlossen werden kann, muss sie darüber
entscheiden, ob das Übergabeverfahren zu beenden ist.

5.7. Verhältnismäßigkeit – Rolle des Vollstreckungsmitgliedstaats

Der EuHB-Rahmenbeschluss gibt dem Vollstreckungsmitgliedstaat nicht die


Möglichkeit, die Verhältnismäßigkeit eines EuHB zu prüfen. Dies entspricht dem
Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung. Sollten im Vollstreckungsmitgliedstaat ernste
Bedenken hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit eines eingegangenen EuHB bestehen, so
sind die ausstellende und die vollstreckende Justizbehörde aufgefordert, sich direkt
miteinander in Verbindung zu setzen. Solche Fälle dürften jedoch nur unter
außergewöhnlichen Umständen auftreten. Im Rahmen von Konsultationen finden die
zuständigen Justizbehörden möglicherweise eine bessere Lösung (siehe Abschnitt 4.4 zur
Kommunikation zwischen den zuständigen Behörden). So könnte je nach den Umständen
des Falles der EuHB aufgehoben und eine andere im nationalen Recht oder im
Unionsrecht vorgesehene Maßnahme angewandt werden.

In einem solchen Fall können die Justizbehörden auch Eurojust oder die
EJN-Kontaktstellen konsultieren. Diese Einrichtungen können die Kommunikation
erleichtern und bei der Suche nach Lösungen behilflich sein.

5.8. Garantien, die der Ausstellungsmitgliedstaat zu gewähren hat

Nach Artikel 5 des EuHB-Rahmenbeschlusses kann die Vollstreckung des EuHB durch
die vollstreckende Justizbehörde nach dem für sie geltenden nationalen Recht an
bestimmte Bedingungen geknüpft werden. Diese Bedingungen können sich auf die
Überprüfung des lebenslangen Freiheitsentzugs und die Rücküberstellung von
Staatsangehörigen des Vollstreckungsmitgliedstaats zur Verbüßung der Freiheitsstrafe in
diesen Mitgliedstaat beziehen.

Diese Garantien können unmittelbar im nationalen Recht des Ausstellungsmitgliedstaats


vorgesehen sein oder im Wege einer Vereinbarung zwischen den zuständigen Behörden

52
des Ausstellungs- und des Vollstreckungsmitgliedstaats gewährt werden. Sie dürfen
jedoch nur den in Artikel 5 des EuHB-Rahmenbeschlusses festgelegten Inhalt haben, wie
der Gerichtshof (insbesondere in seinen Urteilen in den verbundenen Rechtssachen
C-404/15 und C-659/15 PPU, Aranyosi und Căldăraru, Rn. 80, und in der Rechtssache
C-237/15 PPU, Lanigan, Rn. 36) bestätigt hat.

Hinweis: Artikel 5 Nummer 1, der eine Garantie in Bezug auf die Wiederaufnahme des
Verfahrens im Falle von Abwesenheitsurteilen vorsah, ist mit dem
Rahmenbeschluss 2009/299/JI gestrichen und durch den neuen Artikel 4a ersetzt worden,
der umfassendere Bestimmungen zu Abwesenheitsurteilen enthält (siehe Abschnitt 5.5
dieses Handbuchs).

In seinem Urteil in der Rechtssache C-306/09, I. B.39, ist der Gerichtshof zu folgendem
Ergebnis gelangt:

„Die Art. 4 Nr. 6 und 5 Nr. 3 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates …
sind dahin auszulegen, dass, wenn der betreffende Vollstreckungsmitgliedstaat
Art. 5 Nrn. 1 und 3 dieses Rahmenbeschlusses in sein nationales Recht
umgesetzt hat, die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls, der zur
Vollstreckung einer Strafe ausgestellt wurde, die im Sinne dieses Art. 5 Nr. 1 in
Abwesenheit verhängt worden ist, an die Bedingung geknüpft werden kann,
dass die betroffene Person, die Staatsangehöriger des
Vollstreckungsmitgliedstaats oder dort wohnhaft ist, in diesen Staat
rücküberstellt wird, um gegebenenfalls dort die Strafe zu verbüßen, die im
Anschluss an ein wieder aufgenommenes und in ihrer Anwesenheit
durchgeführtes Verfahren im Ausstellungsmitgliedstaat gegen sie verhängt
wird.“

5.8.1. Überprüfung des lebenslangen Freiheitsentzugs

Wenn dem EuHB eine Straftat zugrunde liegt, die mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder
einer lebenslangen freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung bedroht ist, kann der
Vollstreckungsmitgliedstaat vom Ausstellungsmitgliedstaat eine Überprüfungsgarantie
verlangen (Artikel 5 Nummer 2 des EuHB-Rahmenbeschlusses).

Die lebenslange Freiheitsstrafe wird in einer Strafvollzugsanstalt verbüßt. Bei einer


lebenslangen freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung erfolgt die
Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik oder einer ähnlichen Einrichtung.

Die Garantie kann vom Ausstellungsmitgliedstaat gewährt werden, indem er nachweist,


dass die Strafe oder Maßregel der Sicherung in seiner Rechtsordnung auf Antrag oder
spätestens nach 20 Jahren überprüft werden kann. Alternativ reicht als Garantie aus, dass
die Person nach dem Recht oder der Praxis des Ausstellungsmitgliedstaats Gnadenakte
beantragen kann, um zu erreichen, dass die Strafe oder die Maßregel nicht vollstreckt
wird.

5.8.2. Rücküberstellung von Staatsangehörigen und Gebietsansässigen

Der EuHB-Rahmenbeschluss sieht die Möglichkeit vor, dass die gesuchte Person
rücküberstellt wird, damit sie die Freiheitsstrafe in ihrem Heimatland verbüßt. Wenn die

39
Urteil des Gerichtshofs vom 21. Oktober 2010, I. B., C-306/09, ECLI:EU:C:2010:626.

53
Person, gegen die ein EuHB zum Zwecke der Strafverfolgung ergangen ist,
Staatsangehöriger des Vollstreckungsmitgliedstaats oder dort wohnhaft ist, kann der
Vollstreckungsmitgliedstaat nach Artikel 5 Nummer 3 des EuHB-Rahmenbeschlusses
zur Bedingung machen, dass der Ausstellungsmitgliedstaat die betreffende Person zur
Verbüßung der Freiheitsstrafe oder der freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung,
die im Ausstellungsmitgliedstaat gegen sie verhängt wird, in sein Hoheitsgebiet
rücküberstellt.

Die Bedingung sollte durch den Vollstreckungsmitgliedstaat eindeutig festgelegt werden.


Nach Möglichkeit sollten sich der Ausstellungs- und der Vollstreckungsmitgliedstaat
über die Einzelheiten dieser Bedingung einigen, bevor der Vollstreckungsmitgliedstaat
über die Übergabe entscheidet.

Wenn schon vor der Ausstellung des EuHB bekannt ist, dass die gesuchte Person
Staatsangehöriger des Vollstreckungsmitgliedstaats oder dort wohnhaft ist, sollte die
ausstellende Justizbehörde ihre Zustimmung zu einer möglichen
Rücküberstellungsbedingung bereits auf dem EuHB-Formblatt erteilen.

Der Ausstellungsmitgliedstaat hat dafür zu sorgen, dass diese Bedingung erfüllt wird.
Wenn das Urteil, mit dem die Freiheitsstrafe oder die freiheitsentziehende Maßregel der
Sicherung gegen die übergebene Person verhängt wurde, rechtskräftig wird, muss der
Ausstellungsmitgliedstaat sich mit dem Vollstreckungsstaat in Verbindung setzen, um
die Rücküberstellung zu regeln. Der Ausstellungsmitgliedstaat sollte sicherstellen, dass
das Urteil in die Sprache des Vollstreckungsmitgliedstaats übersetzt wird.

Artikel 25 des Rahmenbeschlusses 2008/909/JI enthält auch eine besondere Regelung


betreffend die Vollstreckung von Freiheitsstrafen im Vollstreckungsmitgliedstaat in
Fällen nach Artikel 5 Nummer 3 des EuHB-Rahmenbeschlusses. Auf die Übertragung
der Sanktion auf den Vollsteckungsmitgliedstaat, in dem sie vollstreckt werden soll, sind
das Verfahren und die Bedingungen anzuwenden, die im Rahmenbeschluss 2008/909/JI
festgelegt sind (siehe Abschnitt 2.5.2 dieses Handbuchs).

5.9. Aufschub und vorübergehende Übergabe

5.9.1. Schwerwiegende humanitäre Gründe

Wenn die vollstreckende Justizbehörde entschieden hat, den EuHB zu vollstrecken,


beginnt die Frist von zehn Tagen für die Übergabe der Person zu laufen (wie in
Abschnitt 4.2 erläutert). Die vollstreckende Justizbehörde kann jedoch in
Ausnahmefällen beschließen, die Übergabe aus schwerwiegenden humanitären Gründen
vorübergehend aufzuschieben. Ein solcher Grund liegt zum Beispiel vor, wenn ernsthafte
Gründe für die Annahme bestehen, dass die Übergabe offensichtlich eine Gefährdung für
Leib oder Leben der gesuchten Person darstellt (Artikel 23 Absatz 4 des
EuHB-Rahmenbeschlusses).

Die Vollstreckung des EuHB muss dann erfolgen, sobald diese Gründe nicht mehr
gegeben sind. Die vollstreckende Justizbehörde muss die ausstellende Justizbehörde
unverzüglich davon in Kenntnis setzen und einen neuen Übergabetermin vereinbaren. In
diesem Fall hat die Übergabe innerhalb von zehn Tagen nach dem vereinbarten neuen
Termin zu erfolgen. Nach Ablauf dieser Frist darf die Person vom
Vollstreckungsmitgliedstaat nicht länger in Haft gehalten werden und muss freigelassen
werden (Artikel 23 Absatz 5 des EuHB-Rahmenbeschlusses).

54
Wenn solche humanitären Gründe auf unbestimmte Zeit oder dauerhaft vorliegen,
könnten die ausstellende und die vollstreckende Justizbehörde einander konsultieren und
Alternativen zum EuHB erörtern. So könnte etwa die Möglichkeit geprüft werden, das
Verfahren oder die Freiheitsstrafe auf den Vollstreckungsmitgliedstaat zu übertragen
oder den EuHB aufzuheben (z. B. im Falle einer schweren dauerhaften Erkrankung).

5.9.2. Laufendes Strafverfahren oder Vollstreckung einer Freiheitsstrafe

Die vollstreckende Justizbehörde kann nach der Entscheidung zur Vollstreckung des
EuHB die Übergabe aufschieben, damit die betreffende Person im
Vollstreckungsmitgliedstaat wegen einer anderen Straftat gerichtlich verfolgt werden
kann (Artikel 24 Absatz 1 des EuHB-Rahmenbeschlusses).

In einem solchen Fall sollte die Übergabe unmittelbar nach Durchführung der
Strafverfolgung zu einem von der ausstellenden und der vollstreckenden Justizbehörde
vereinbarten Termin erfolgen.

Wenn die Person bereits wegen einer anderen Straftat verurteilt worden ist, kann die
Übergabe aufgeschoben werden, damit die Person die wegen dieser Straftat verhängte
Strafe im Vollstreckungsmitgliedstaat verbüßen kann (Artikel 24 Absatz 1 des
EuHB-Rahmenbeschlusses).

In diesem Fall sollte die Übergabe zu einem von der ausstellenden und der
vollstreckenden Justizbehörde vereinbarten Termin erfolgen, nachdem die Person die
Strafe verbüßt hat.

Hinweis: Falls das Strafverfahren im Vollstreckungsmitgliedstaat dieselbe Straftat


betrifft, die auch dem EuHB zugrunde liegt, kann der Vollstreckungsmitgliedstaat die
Vollstreckung des EuHB (für diese Straftat) ablehnen (siehe Artikel 4 Nummer 2 des
EuHB-Rahmenbeschlusses und Abschnitt 5.4.2 dieses Handbuchs). Wenn die
Voraussetzungen des Artikels 3 Nummer 2 des EuHB-Rahmenbeschlusses erfüllt sind,
muss die Vollstreckung des EuHB abgelehnt werden (siehe Abschnitt 5.4.1 dieses
Handbuchs).

5.9.3. Vorübergehende Übergabe statt Aufschub

In den in Abschnitt 5.9.2 beschriebenen Fällen kann die vollstreckende Justizbehörde die
gesuchte Person dem Ausstellungsmitgliedstaat vorübergehend übergeben, statt die
Übergabe aufzuschieben, damit die Person strafrechtlich verfolgt oder ein bereits
ergangenes Urteil vollstreckt werden kann (Artikel 24 Absatz 2 des
EuHB-Rahmenbeschlusses).

Die ausstellende und die vollstreckende Justizbehörde müssen die Bedingungen dieser
vorübergehenden Übergabe schriftlich und eindeutig vereinbaren. Die Vereinbarung ist
für alle Behörden im Ausstellungsmitgliedstaat verbindlich (Artikel 24 Absatz 2 des
EuHB-Rahmenbeschlusses).

Mit einer vorübergehenden Übergabe kann verhindert werden, dass sich das Verfahren
im Ausstellungsmitgliedstaat erheblich verzögert, weil die Person im
Vollstreckungsmitgliedstaat strafrechtlich verfolgt wird oder bereits verurteilt wurde.

55
5.9.4. Aufschub der Vollstreckung des EuHB wegen einer echten Gefahr
unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung der gesuchten Person

Im Einklang mit dem Urteil des Gerichtshofs in den verbundenen Rechtssachen C-404/15
und C-659/15 PPU, Aranyosi und Căldăraru, ist die Vollstreckung des EuHB
aufzuschieben, aber nicht aufzugeben, wenn anhand der von der ausstellenden
Justizbehörde erhaltenen Informationen und sonstiger Informationen, über die die
vollstreckende Justizbehörde verfügt, (und in Erwartung der endgültigen Entscheidung
über den Europäischen Haftbefehl) eine echte Gefahr unmenschlicher und erniedrigender
Behandlung für die gesuchte Person festgestellt worden ist. Wenn die vollstreckende
Justizbehörde über einen solchen Aufschub entscheidet, hat der
Vollstreckungsmitgliedstaat nach Artikel 17 Absatz 7 des EuHB-Rahmenbeschlusses
Eurojust von diesem Umstand und von den Gründen der Verzögerung in Kenntnis zu
setzen (siehe die Abschnitte 5.6 und 4.1 dieses Handbuchs).

5.10. Mehrere EuHBe gegen dieselbe Person

5.10.1. Entscheidung, welcher EuHB vollstreckt wird

Gegen dieselbe Person können wegen derselben Handlung oder wegen verschiedener
Handlungen mehrere EuHBe vorliegen, die von den Behörden eines oder mehrerer
Mitgliedstaaten ausgestellt wurden. Die folgenden Leitlinien gelten unabhängig davon,
ob die Europäischen Haftbefehle wegen derselben Handlung oder wegen verschiedener
Handlungen ausgestellt wurden.

Wenn mehrere EuHBe gegen dieselbe Person vorliegen, entscheidet die vollstreckende
Justizbehörde unter gebührender Berücksichtigung aller Umstände (Artikel 16 des
EuHB-Rahmenbeschlusses).

Bevor die vollstreckende Justizbehörde entscheidet, sollte sie versuchen, eine


Abstimmung zwischen den Justizbehörden zu erreichen, die die EuHBe ausgestellt
haben. Falls sich die ausstellenden Justizbehörden bereits im Voraus miteinander
abgestimmt haben, sollte die vollstreckende Justizbehörde dies berücksichtigen; sie ist
nach dem EuHB-Rahmenbeschluss jedoch nicht an solche Vereinbarungen gebunden.

Die vollstreckende Justizbehörde kann auch Eurojust hinzuziehen (Artikel 16 Absatz 2


des EuHB-Rahmenbeschlusses). Eurojust kann die Abstimmung erleichtern und
beschleunigen und auf Ersuchen eine Stellungnahme zu den konkurrierenden EuHBen
abgeben. Im Idealfall sollte die Entscheidung, welcher EuHB vollstreckt wird, auf der
Zustimmung aller ausstellenden Justizbehörden beruhen.

Unabhängig davon, ob die ausstellenden Justizbehörden eine Einigung erzielen, sollte die
vollstreckende Justizbehörde bei der Prüfung, welcher von mehreren EuHBen vollstreckt
wird, insbesondere folgende Faktoren berücksichtigen (Artikel 16 Absatz 1 des
EuHB-Rahmenbeschlusses):

a) die Schwere der Straftaten;

b) den Ort der Begehung der Straftaten;

c) den Zeitpunkt, zu dem die EuHBe erlassen wurden;

56
d) die Tatsache, dass der Haftbefehl zur Strafverfolgung oder zur Vollstreckung
einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung
ausgestellt wurde.

Diese Aufzählung ist nicht abschließend. Welcher dieser Faktoren Vorrang hat, ist nicht
streng geregelt, sondern muss im Einzelfall geprüft werden. Auf jeden Fall hat die
vollstreckende Justizbehörde nach Artikel 16 des EuHB-Rahmenbeschlusses alle
Umstände gebührend zu berücksichtigen. Eine simple Entscheidung nach dem Prinzip
„Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ sollte vermieden werden.

Die vollstreckenden Justizbehörden können auch die Eurojust-Leitlinien für die


Entscheidung über konkurrierende EuHBe zurate ziehen, die dem
Eurojust-Jahresbericht 2004 beigefügt sind (abrufbar unter www.eurojust.europa.eu).

Bei der Entscheidung über die Übergabe ist wichtig, dass die vollstreckende
Justizbehörde genau angibt, welcher EuHB der Übergabe zugrunde liegt. Ferner muss
das SIRENE-Büro des Vollstreckungsmitgliedstaats jedem betroffenen Mitgliedstaat ein
Formular G übersenden (Abschnitt 3.2 des SIRENE-Handbuchs).

Die Prüfung, welcher EuHB vollstreckt wird, sollte sich nur auf die EuHBe beziehen, die
vollstreckbar sind. Die vollstreckende Justizbehörde könnte daher zunächst jeden EuHB
daraufhin prüfen, ob er für sich genommen vollstreckbar wäre. Falls auf einen der
EuHBe ein Ablehnungsgrund zutrifft, könnte sie aus Gründen der Klarheit die getrennte
Entscheidung erlassen, diesen EuHB nicht zu vollstrecken.

5.10.2. „Parallelverfahren“

Wenn zwei oder mehr Mitgliedstaaten EuHBe wegen Straftaten ausgestellt haben, die
denselben Sachverhalt und dieselbe Person betreffen, sind die zuständigen Behörden
verpflichtet, sich miteinander in Verbindung zu setzen und zusammenzuarbeiten. Diese
Pflicht ergibt sich aus dem Rahmenbeschluss 2009/948/JI vom 30. November 2009 zur
Vermeidung und Beilegung von Kompetenzkonflikten in Strafverfahren40. In diesen
Fällen sollten sich die zuständigen Behörden nach den für sie geltenden nationalen
Rechtsvorschriften zur Umsetzung dieses Rahmenbeschlusses richten.

Wenn keine Einigung erzielt werden kann, müssen die beteiligten zuständigen Behörden
die Sache Eurojust vorlegen, sofern der Fall in die Zuständigkeit von Eurojust fällt41.
Eurojust kann auch in anderen Fällen konsultiert werden.

Die Mitgliedstaaten, bei denen solche parallelen Europäischen Haftbefehle eingehen,


sollten die zuständigen Behörden der Ausstellungsmitgliedstaaten von den
Parallelverfahren in Kenntnis setzen.

Die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, die die Europäischen Haftbefehle


ausgestellt haben, sollten die vollstreckende Justizbehörde über ihre Mitwirkung an der
Lösung des Zuständigkeitskonflikts und eine dabei erzielte Einigung unterrichten.

40
ABl. L 328 vom 15.12.2009, S. 42.
41
Siehe den Beschluss 2002/187/JI des Rates vom 28. Februar 2002 über die Errichtung von
Eurojust zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminalität (ABl. L 63 vom 6.3.2002,
S. 1).

57
6. ANRECHNUNG DER IM VOLLSTRECKUNGSMITGLIEDSTAAT VERBÜSSTEN HAFT

Nachdem die gesuchte Person übergeben worden ist, muss der Ausstellungsmitgliedstaat
der aufgrund des EuHB verbüßten Haft Rechnung tragen. Die Dauer dieser Haft ist auf
die Gesamtdauer der im Ausstellungsmitgliedstaat zu verbüßenden Freiheitsstrafe oder
freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung anzurechnen (Artikel 26 des
EuHB-Rahmenbeschlusses). Falls die Person freigesprochen wird, finden
möglicherweise Schadensersatzvorschriften des Ausstellungsmitgliedstaats Anwendung.

Deshalb muss die vollstreckende Justizbehörde oder die zentrale Behörde des
Ausstellungsmitgliedstaats, wie in Abschnitt 4.5.2 beschrieben, alle Angaben zur Dauer
der aufgrund des EuHB verbüßten Haft bereitstellen. Diese Angaben sind zum Zeitpunkt
der Übergabe bereitzustellen (siehe auch das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache
C-294/16 PPU, JZ).

7. WEITERE ÜBERGABE

7.1. An einen anderen Mitgliedstaat

Nachdem die gesuchte Person aufgrund des EuHB dem Ausstellungsmitgliedstaat


übergeben worden ist, muss dieser möglicherweise über die Vollstreckung eines von
einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten anderen EuHB entscheiden, der dieselbe
Person betrifft. Nach Artikel 28 Absatz 2 des EuHB-Rahmenbeschlusses kann der
Ausstellungsmitgliedstaat die Person anschließend ohne die Zustimmung des
ursprünglichen Vollstreckungsmitgliedstaats einem anderen Mitgliedstaat übergeben,

a) wenn die gesuchte Person das Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, dem sie
übergeben worden ist, innerhalb von 45 Tagen nach ihrer endgültigen
Freilassung nicht verlassen hat, obwohl sie dazu die Möglichkeit hatte, oder
wenn sie nach Verlassen dieses Gebiets dorthin zurückgekehrt ist;

b) wenn die gesuchte Person ihrer Übergabe an einen anderen Mitgliedstaat als den
Vollstreckungsmitgliedstaat aufgrund eines EuHB zustimmt.

Die Zustimmung der gesuchten Person wird vor den zuständigen Justizbehörden
des Ausstellungsmitgliedstaats erteilt. Sie muss nach dessen innerstaatlichem
Recht zu Protokoll genommen werden. Die Zustimmungserklärung ist so
abzufassen, dass aus ihr hervorgeht, dass die betreffende Person sie freiwillig
und in voller Kenntnis der sich daraus ergebenden Folgen gegeben hat;

c) wenn der Grundsatz der Spezialität auf die gesuchte Person nicht anzuwenden
ist. Wenn der Grundsatz der Spezialität zur Anwendung kommt, verhindert er,
dass der gesuchten Person wegen anderer Straftaten als denjenigen, die ihrer
Übergabe zugrunde lagen, die Freiheit entzogen wird, und verhindert damit auch
eine weitere Übergabe (siehe Abschnitt 2.6).

58
In anderen Fällen ist die Zustimmung des ursprünglichen Vollstreckungsmitgliedstaats
zu einer weiteren Übergabe einzuholen42. Die Zustimmung muss erteilt werden, wenn die
Straftat, derentwegen um Zustimmung ersucht wird, nach dem EuHB-Rahmenbeschluss
der Verpflichtung zur Übergabe unterliegt, es sei denn, es liegt ein zwingender oder
fakultativer Ablehnungsgrund vor.

Die vollstreckende Justizbehörde kann ihre Zustimmung gegebenenfalls an eine der in


Artikel 5 des EuHB-Rahmenbeschlusses niedergelegten Bedingungen knüpfen, die
lebenslange Freiheitsstrafen und die Rücküberstellung eigener Staatsangehöriger oder
Gebietsansässiger betreffen (siehe Abschnitt 5.8 dieses Handbuchs). In solchen Fällen
muss der Ausstellungsmitgliedstaat geeignete Garantien bieten (Artikel 28 Absatz 3 des
EuHB-Rahmenbeschlusses).

Die weitere Übergabe einer aufgrund mehrerer aufeinanderfolgender EuHBe mehr als
einmal zwischen den Mitgliedstaaten übergebenen Person an einen anderen als den
Mitgliedstaat, der sie zuletzt übergeben hat, hängt nur von der Zustimmung des
Mitgliedstaats ab, der diese letzte Übergabe vorgenommen hat (siehe Urteil des
Gerichtshofs in der Rechtssache C-192/12 PPU, West43).

Verfahren

Das Ersuchen um Zustimmung folgt demselben Verfahren wie ein regulärer EuHB und
muss dieselben Angaben enthalten. Die zuständige Justizbehörde übermittelt das
Ersuchen um Zustimmung direkt der vollstreckenden Justizbehörde, die die Person
übergeben hat. Für die Übersetzung der Informationen, die nach Artikel 8 Absatz 1 des
EuHB-Rahmenbeschlusses in dem Ersuchen anzugeben sind, gelten dieselben
Vorschriften wie für den EuHB. Die vollstreckende Justizbehörde muss ihre
Entscheidung spätestens 30 Tage nach Eingang des Ersuchens treffen (Artikel 28
Absatz 3 des EuHB-Rahmenbeschlusses).

Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-192/12 PPU, West:

„Art. 28 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI … ist dahin auszulegen,


dass die weitere Übergabe einer aufgrund mehrerer aufeinanderfolgender
Europäischer Haftbefehle mehr als einmal zwischen den Mitgliedstaaten
übergebenen Person an einen anderen als den Mitgliedstaat, der sie zuletzt
übergeben hat, nur von der Zustimmung des Mitgliedstaats abhängt, der diese
letzte Übergabe vorgenommen hat.“

7.2. An einen Drittstaat

Eine Person, die aufgrund eines EuHB übergeben wurde, darf nicht ohne die
Zustimmung der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats, der die Person übergeben hat,
an einen nicht der Union angehörenden Staat (Drittstaat) ausgeliefert werden. Die
Zustimmung wird im Einklang mit den Auslieferungsabkommen, die diesen

42
Artikel 28 Absatz 1 des EuHB-Rahmenbeschlusses gibt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit
mitzuteilen, dass in ihren Beziehungen zu anderen Mitgliedstaaten, die die gleiche Mitteilung
gemacht haben, ihre Zustimmung zur weiteren Übergabe oder Auslieferung als erteilt gilt. Den
der Kommission vorliegenden Informationen zufolge hat nur Rumänien von dieser Möglichkeit
Gebrauch gemacht.
43
Urteil des EuGH vom 28.6.2012, West, C-192/12 PPU, ECLI:EU:C:2012:404.

59
Mitgliedstaat binden, sowie nach seinen innerstaatlichen Rechtsvorschriften erteilt
(Artikel 28 Absatz 4 des EuHB-Rahmenbeschlusses).

8. VERPFLICHTUNGEN IM VERHÄLTNIS ZU DRITTSTAATEN

8.1. Gleichzeitiger Eingang von EuHBen und Auslieferungsersuchen für


dieselbe Person

8.1.1. Ersuchen von Drittstaaten

Es ist denkbar, dass bei einem Mitgliedstaat gleichzeitig ein EuHB und ein
Auslieferungsersuchen eines Drittstaats für dieselbe Person eingehen, die sich in seinem
Hoheitsgebiet aufhält. Sie können dieselbe Handlung oder verschiedene Handlungen
betreffen. In dem Mitgliedstaat sind möglicherweise unterschiedliche Behörden für die
Entscheidung über die Vollstreckung des EuHB einerseits und des
Auslieferungsersuchens andererseits zuständig. In solchen Fällen sollten die Behörden
bei der Entscheidung anhand der unten aufgeführten Kriterien zusammenarbeiten.
Eurojust und das EJN können die beteiligten Staaten auf Anfrage beraten und die bei der
Koordinierung unterstützen.

Im EuHB-Rahmenbeschluss ist nicht geregelt, welches Ersuchen Vorrang haben sollte.


Nach Artikel 16 Absatz 3 des EuHB-Rahmenbeschlusses muss der Mitgliedstaat alle
Umstände gebührend berücksichtigen, insbesondere die in Artikel 16 Absatz 1 des
EuHB-Rahmenbeschlusses genannten Kriterien für die Entscheidung, welches von
mehreren dieselbe Person betreffenden Ersuchen vollstreckt wird.

Die zuständigen Behörden sollten daher folgende Faktoren berücksichtigen:

a) die Schwere der Straftaten;

b) den Ort der Straftaten;

c) den Zeitpunkt, zu dem der EuHB und das Auslieferungsersuchen erlassen


wurden;

d) die Tatsache, dass der Haftbefehl zur Strafverfolgung oder zur Vollstreckung
einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung
ausgestellt wurde.

Die vollstreckenden Justizbehörden können auch die Eurojust-Leitlinien für die


Entscheidung über konkurrierende EuHBe zurate ziehen, die dem
Eurojust-Jahresbericht 2004 beigefügt sind (abrufbar unter www.eurojust.europa.eu).

Außerdem sind möglicherweise etwaige im einschlägigen Auslieferungsabkommen


angegebenen Kriterien zu berücksichtigen. Diese könnten insbesondere die Gründe für
die Ablehnung der Auslieferung und Vorschriften für den Fall des Vorliegens mehrerer
Auslieferungsersuchen betreffen.

Wenn das Auslieferungsersuchen eines Drittstaats an einen Mitgliedstaat gerichtet ist, der
über Vorschriften verfügt, die seine Staatsangehörigen vor Auslieferung schützen, und
das Ersuchen einen Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats betrifft, muss die

60
vollstreckende Justizbehörde im Einklang mit dem Urteil des Gerichtshofs in der
Rechtssache C-182/15, Petruhhin44, den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit der
betreffende Bürger besitzt, informieren und gegebenenfalls die Person diesem
Mitgliedstaat aufgrund eines von diesem ausgestellten EuHB übergeben.

„Die Art. 18 und 21 AEUV sind dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat, in den
sich ein Unionsbürger, der Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats ist,
begeben hat, im Fall eines Auslieferungsantrags eines Drittstaats, mit dem der
erstgenannte Mitgliedstaat ein Auslieferungsabkommen geschlossen hat,
verpflichtet ist, den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit der Unionsbürger
besitzt, zu informieren und ihm gegebenenfalls auf sein Ersuchen den
Unionsbürger im Einklang mit den Bestimmungen des
Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates … zu übergeben, sofern dieser
Mitgliedstaat nach seinem nationalen Recht für die Verfolgung dieser Person
wegen im Ausland begangener Straftaten zuständig ist.

Ein Mitgliedstaat, der mit einem Antrag eines Drittstaats auf Auslieferung eines
Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats befasst ist, muss prüfen, dass die
Auslieferung die in Art. 19 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union
verbürgten Rechte nicht beeinträchtigen wird.“

8.1.2. Ersuchen des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH)

Falls bei einem Mitgliedstaat gleichzeitig ein EuHB und ein Auslieferungsersuchen des
IStGH für dieselbe Person eingehen, sollte(n) die zuständige(n) Behörde(n) alle oben in
Abschnitt 8.1.1 genannten Umstände prüfen. Jedoch haben die Verpflichtungen der
Mitgliedstaaten aus dem Statut des Internationalen Strafgerichtshofs Vorrang vor der
Vollstreckung des EuHB (Artikel 16 Absatz 4 des EuHB-Rahmenbeschlusses).

8.2. Vorherige Auslieferung aus einem Drittstaat und Grundsatz der Spezialität

Falls die gesuchte Person von einem Drittstaat an den Vollstreckungsmitgliedstaat


ausgeliefert wurde, könnte die Auslieferung je nach den Vorschriften des einschlägigen
Auslieferungsabkommens zur Anwendung des Grundsatzes der Spezialität führen. Nach
diesem Grundsatz kann die ausgelieferte Person nur wegen der Straftat(en), die der
Auslieferung zugrunde lag(en), verfolgt oder einer freiheitsentziehenden Maßnahme
unterworfen werden. Der EuHB-Rahmenbeschluss berührt nicht die Verpflichtung, in
diesen Fällen den Grundsatz der Spezialität zu wahren (Artikel 21 des
EuHB-Rahmenbeschlusses). Der Vollstreckungsmitgliedstaat kann daher daran gehindert
sein, die Person ohne Zustimmung des Staates zu übergeben, der sie ausgeliefert hat.

Für diese Fälle schreibt der EuHB-Rahmenbeschluss vor, dass der


Vollstreckungsmitgliedstaat die erforderlichen Maßnahmen trifft, um unverzüglich die
Zustimmung des Drittstaats (der die gesuchte Person ausgeliefert hat) einzuholen, damit
die Person dem Mitgliedstaat übergeben werden kann, der den EuHB ausgestellt hat
(Artikel 21 des EuHB-Rahmenbeschlusses).

Die Fristen nach Artikel 17 des EuHB-Rahmenbeschlusses (siehe Abschnitt 4.1 dieses
Handbuchs) beginnen erst an dem Tag zu laufen, an dem der Grundsatz der Spezialität

44
Urteil des Gerichtshofs vom 6. September 2016, Petruhhin, C-182/15, ECLI:EU:C:2016:630.

61
nicht mehr anzuwenden ist. Bis die Entscheidung des Drittstaats vorliegt, aus dem die
gesuchte Person ausgeliefert wurde, muss sich der Vollstreckungsmitgliedstaat davon
überzeugen, dass die materiellen Voraussetzungen für eine tatsächliche Übergabe
weiterhin gegeben sind (Artikel 21 des EuHB-Rahmenbeschlusses). Insbesondere muss
er gegebenenfalls die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine Flucht der Person zu
verhindern.

9. DURCHLIEFERUNG

9.1. Durchlieferung durch einen anderen Mitgliedstaat

Mit Durchlieferung (Artikel 25 des EuHB-Rahmenbeschlusses) ist der Fall gemeint,


dass die mit EuHB gesuchte Person dem Ausstellungsmitgliedstaat vom
Vollstreckungsmitgliedstaat auf dem Land- oder Wasserweg über das Hoheitsgebiet
eines dritten Mitgliedstaats überstellt wird. In solchen Fällen hat der dritte Mitgliedstaat
die Durchlieferung zu genehmigen. Die zuständige Behörde des
Ausstellungsmitgliedstaats muss dem dritten Mitgliedstaat jedoch folgende Angaben
übermitteln:

a) die Identität und die Staatsangehörigkeit der Person, gegen die ein EuHB
erlassen wurde;

b) das Vorliegen eines EuHB;

c) die Art und die rechtliche Würdigung der Straftat;

d) die Beschreibung der Umstände, unter denen die Straftat begangen wurde,
einschließlich der Tatzeit und des Tatorts.

Zur Erleichterung der Durchlieferung sollten diese Angaben so früh wie möglich
übermittelt werden, bevor die Durchlieferung organisiert wird. Die ausstellende
Justizbehörde sollte daher schon vor Vereinbarung eines Übergabetermins mit der
vollstreckenden Justizbehörde prüfen, ob eine Durchlieferung notwendig sein könnte.
Dies ist auch wichtig, um die in Artikel 23 des EuHB-Rahmenbeschlusses festgelegte
strenge Frist für die Übergabe der Person (in der Regel 10 Tage) einhalten zu können.

Die Angaben sollten der Behörde übermittelt werden, die in dem betreffenden
Mitgliedstaat für die Entgegennahme von Durchlieferungsersuchen zuständig ist.
Informationen zu diesen Behörden in den einzelnen Mitgliedstaaten finden sich auf der
EJN-Website (Gerichtsatlas, Fiches Belges). Die Angaben können der zuständigen
Behörde in jeder Form, die einen schriftlichen Nachweis ermöglicht, übermittelt werden,
einschließlich per E-Mail. Der Durchlieferungsmitgliedstaat muss seine Entscheidung auf
dem gleichen Weg mitteilen (Artikel 25 Absatz 3 des EuHB-Rahmenbeschlusses).

Im EuHB-Rahmenbeschluss ist zwar keine Frist für Durchlieferungsersuchen festgelegt,


der Durchlieferungsstaat sollte sie jedoch unverzüglich bearbeiten.

Die genannten Vorschriften finden keine Anwendung, wenn die Beförderung auf dem
Luftweg ohne planmäßige Zwischenlandung erfolgt. Falls es jedoch zu einer
außerplanmäßigen Landung kommt, muss der Ausstellungsmitgliedstaat der benannten

62
Behörde die oben erwähnten Informationen wie bei einer Durchlieferung auf dem Land-
oder Wasserweg übermitteln (Artikel 25 Absatz 4 des EuHB-Rahmenbeschlusses).

9.2. Staatsangehörige und Gebietsansässige des Durchlieferungsmitgliedstaats

Ausnahmen von der Pflicht zur Genehmigung der Durchlieferung gelten, wenn es sich
bei der Person, gegen die der EuHB ergangen ist, um einen Staatsangehörigen oder
Gebietsansässigen des Durchlieferungsmitgliedstaats handelt. Falls der EuHB zum
Zwecke der Strafverfolgung ausgestellt wurde, kann der Durchlieferungsmitgliedstaat zur
Bedingung machen, dass die Person nach Gewährung rechtlichen Gehörs zur Verbüßung
der Freiheitsstrafe oder der freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung, die im
Ausstellungsmitgliedstaat gegen sie verhängt wird, in den Durchlieferungsstaat
rücküberstellt wird (Artikel 25 Absatz 1 des EuHB-Rahmenbeschlusses). Auf diese
Bedingung sollte Artikel 5 Absatz 3 des EuHB-Rahmenbeschlusses entsprechend
angewandt werden (siehe Abschnitt 5.8.2 dieses Handbuchs). Falls der EuHB zum
Zwecke der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden
Maßregel der Sicherung ausgestellt wurde, kann der Durchlieferungsmitgliedstaat die
Durchlieferung ablehnen.

9.3. Auslieferung aus einem Drittstaat an einen Mitgliedstaat

Der EuHB-Rahmenbeschluss betrifft zwar nicht unmittelbar die Auslieferung aus


Drittstaaten, jedoch finden die in den Abschnitten 9.1 und 9.2 dieses Handbuchs
vorgestellten Vorschriften des Artikels 25 des EuHB-Rahmenbeschlusses über die
Durchlieferung auf die Auslieferung aus einem Drittstaat an einen Mitgliedstaat
entsprechende Anwendung. In diesem Fall gilt der Ausdruck „Europäischer Haftbefehl“
in Artikel 25 des EuHB-Rahmenbeschlusses als durch „Auslieferungsersuchen“ ersetzt
(Artikel 25 Absatz 5).

10. NICHT VOLLSTRECKTE EUHBE

10.1. Verhinderung der erneuten Festnahme der Person im selben Mitgliedstaat

Wenn die vollstreckende Justizbehörde entscheidet, den EuHB nicht zu vollstrecken,


muss die zuständige Behörde dieses Mitgliedstaats sicherstellen, dass der abgelehnte
EuHB in seinem Hoheitsgebiet nicht mehr zur Festnahme der gesuchten Person führen
kann. Zu diesem Zweck muss sie folgende Schritte unternehmen, damit

a) die entsprechende Ausschreibung im SIS „gekennzeichnet“ wird; und

b) gegebenenfalls die entsprechenden Ausschreibungen in den innerstaatlichen


Systemen in dieser Hinsicht aufgehoben werden. Zu weiteren Informationen
über das Verfahren für die Kennzeichnung siehe Abschnitt 2.6 des
SIRENE-Handbuchs.

10.2. Mitteilung an den Ausstellungsmitgliedstaat

Die vollstreckende Justizbehörde muss ihre Entscheidung über die Vollstreckung des
EuHB der ausstellenden Justizbehörde mitteilen (Artikel 22). Es ist ratsam, für diesen
Zweck das Standardformular in Anhang VII zu verwenden. Wenn die vollstreckende
Justizbehörde entscheidet, die Vollstreckung des EuHB abzulehnen, gibt diese Mitteilung

63
der ausstellenden Justizbehörde die Möglichkeit zu prüfen, ob der EuHB
aufrechtzuerhalten oder aufzuheben ist.

10.3. Prüfung der Aufrechterhaltung oder Aufhebung des EuHB durch die
ausstellende Justizbehörde

Der EuHB-Rahmenbeschluss bestimmt nicht, dass ein EuHB, dessen Vollstreckung von
einem Mitgliedstaat abgelehnt wurde, aufzuheben ist; er könnte noch von anderen
Mitgliedstaaten vollstreckt werden. Der EuHB und die entsprechende Ausschreibung im
SIS behalten daher unverändert ihre Gültigkeit, es sei denn, die ausstellende
Justizbehörde beschließt, den EuHB aufzuheben.

Für jeden bestehenden EuHB sollten jedoch stets berechtigte Gründe vorliegen. Bei der
Prüfung, ob der EuHB nach der Ablehnung seiner Vollstreckung durch einen
Mitgliedstaat aufrechtzuerhalten ist oder nicht, sollte die ausstellende Justizbehörde die
Umstände des Falles und das geltende nationale und Unionsrecht einschließlich der
Grundrechte berücksichtigen. Dabei könnten insbesondere folgende Fragen geprüft
werden:

a) Ist es wahrscheinlich, dass der von der vollstreckenden Justizbehörde geltend


gemachte zwingende Ablehnungsgrund auch von anderen Mitgliedstaaten
geltend gemacht würde? Dies ist insbesondere im Zusammenhang mit dem
Grundsatz „ne bis in idem“ (Artikel 3 Nummer 2 des
EuHB-Rahmenbeschlusses) von Belang.

b) Ist die Aufrechterhaltung des EuHB noch verhältnismäßig (siehe Abschnitt 2.4)?

c) Ist der EuHB die einzige wahrscheinlich wirksame Maßnahme (siehe


Abschnitt 2.5)?

10.4. Überprüfung von seit Langem bestehenden EuHBen im SIS

Jede ausstellende Justizbehörde sollte ihre Ausschreibungen im SIS im Auge behalten.


Sie muss möglicherweise die Verjährungsfristen für die betreffenden Straftaten und
Änderungen der Strafprozess- und sonstigen innerstaatlichen Rechtsvorschriften
beachten, die sich auf die Stellung der gesuchten Person auswirken.

Nach dem SIS-II-Beschluss dürfen in das SIS eingegebene Ausschreibungen von


Personen nur so lange gespeichert werden, bis der Zweck, für den sie eingegeben
wurden, erfüllt ist (Artikel 44 Absatz 1 des SIS-II-Beschlusses). Sobald Gründe für einen
EuHB nicht mehr bestehen, muss die zuständige Behörde des Ausstellungsmitgliedstaats
ihn im SIS löschen. In das SIS eingegebene EuHBe werden dort drei Jahre lang
gespeichert (sofern sie nicht für einen kürzeren Zeitraum ausgestellt wurden) und dann
automatisch gelöscht (Artikel 44 Absatz 5) des SIS-II-Beschlusses. Die ausstellende
Justizbehörde sollte daher auf jeden Fall innerhalb von drei Jahren nach Eingabe des
EuHB in das SIS über seine Verlängerung entscheiden. Die Mitgliedstaaten können auch
einen kürzeren Überprüfungszeitraum festlegen (Artikel 44 Absatz 3 des
SIS-II-Beschlusses).

Ausschreibungen in Bezug auf EuHBe sollten im SIS gelöscht werden, sobald die Person
übergeben worden ist.

64
11. VERFAHRENSRECHTE DER GESUCHTEN PERSON

Der EuHB-Rahmenbeschluss garantiert der gesuchten Person verschiedene


Verfahrensrechte. Nach Artikel 11 des EuHB-Rahmenbeschlusses hat die gesuchte
Person das Recht, von dem Europäischen Haftbefehl, seinem Inhalt und der Möglichkeit,
der Übergabe zuzustimmen, unterrichtet zu werden, und sie hat Anspruch auf einen
Rechtsbeistand und einen Dolmetscher. Diese Rechte müssen im Einklang mit dem
nationalen Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats gewährt werden. Auch andere
Bestimmungen des EuHB-Rahmenbeschlusses enthalten Rechte der gesuchten Person,
insbesondere Artikel 4a Absatz 2 (Recht auf Unterrichtung über ein Abwesenheitsurteil),
Artikel 13 Absatz 2 (Rechtsbeistand bei der Entscheidung über die Zustimmung), die
Artikel 14 und 19 (Anspruch auf rechtliches Gehör) sowie Artikel 23 Absatz 5
(Freilassung nach Ablauf der Frist für die Übergabe der Person).

Diese Rechte werden, wie in den Abschnitten 11.1 bis 11.8 erläutert, durch die
besonderen Rechtsakte zu den Verfahrensrechten gestärkt.

11.1. Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzung

Das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzung nach der Richtlinie 2010/64/EU
des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf
Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren45 gilt auch für die
Vollstreckung eines EuHB.

Nach Artikel 2 Absatz 7 der Richtlinie 2010/64/EU müssen die zuständigen Behörden
des Vollstreckungsmitgliedstaats einer Person, die einem Verfahren zur Vollstreckung
eines EuHB unterliegt und die Verfahrenssprache nicht spricht oder versteht, folgende
Rechte einräumen:

a) das Recht auf unverzügliche Bereitstellung von Dolmetschleistungen bei


Ermittlungs- und Justizbehörden, einschließlich während polizeilicher
Vernehmungen, sämtlicher Gerichtsverhandlungen sowie aller erforderlicher
Zwischenverhandlungen;

b) das Recht auf Dolmetschleistungen für die Verständigung zwischen


beschuldigten, angeschuldigten oder angeklagten Personen und ihrem
Rechtsbeistand in unmittelbarem Zusammenhang mit jedweden Vernehmungen
und Verhandlungen während des Verfahrens oder bei der Einlegung von
Rechtsmitteln oder anderen verfahrensrechtlichen Anträgen;

c) das Recht, eine Entscheidung, dass keine Dolmetschleistungen benötigt werden,


anzufechten, sowie die Möglichkeit, zu beanstanden, dass die Qualität der
bereitgestellten Dolmetschleistungen für die Gewährleistung eines fairen
Verfahrens unzureichend ist.

Nach Artikel 3 Absatz 6 der Richtlinie 2010/64/EU müssen die zuständigen Behörden
des Vollstreckungsmitgliedstaats einer Person, die einem Verfahren zur Vollstreckung
eines EuHB unterliegt und die Sprache des EuHB nicht versteht, eine schriftliche
Übersetzung dieses Dokuments zur Verfügung stellen. Ausnahmsweise kann eine
mündliche Übersetzung oder eine mündliche Zusammenfassung unter der Bedingung zur

45
ABl. L 280 vom 26.10.2010, S. 1. Diese Richtlinie ist für Dänemark nicht bindend.

65
Verfügung gestellt werden, dass eine solche mündliche Übersetzung oder mündliche
Zusammenfassung einem fairen Verfahren nicht entgegensteht.

Die Dolmetschleistungen und Übersetzungen müssen eine für die Gewährleistung eines
fairen Verfahrens ausreichende Qualität aufweisen, insbesondere indem sichergestellt
wird, dass beschuldigte, angeschuldigte oder angeklagte Personen wissen, was ihnen zur
Last gelegt wird, und imstande sind, ihre Verteidigungsrechte wahrzunehmen. Es ist auch
darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten unabhängig vom Verfahrensausgang für die
Dolmetsch- und Übersetzungskosten aufkommen müssen.

11.2. Recht auf Belehrung und Unterrichtung

Das Recht auf schriftliche Rechtsbelehrung bei der Festnahme gilt nach der
Richtlinie 2012/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012
über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren46 auch für Personen,
die für die Zwecke der Vollstreckung eines EuHB festgenommen werden.

Nach Artikel 5 der Richtlinie 2012/13/EU müssen Personen, die zum Zwecke der
Vollstreckung eines EuHB festgenommen werden, unverzüglich eine angemessene
Erklärung der Rechte erhalten, die Informationen über ihre Rechte gemäß dem jeweiligen
Recht, mit dem der EuHB-Rahmenbeschluss im Vollstreckungsmitgliedstaat umgesetzt
wird, erhalten. Ein Musterbeispiel einer Erklärung der Rechte ist in Anhang II der
Richtlinie 2012/13/EU enthalten (und in Anhang IX dieses Handbuchs wiedergegeben).

Jede Belehrung oder Unterrichtung ist nach dem Verfahren des betreffenden
Mitgliedstaats für Aufzeichnungen schriftlich festzuhalten. Beschuldigte, angeschuldigte
oder angeklagte Personen müssen das Recht haben, ein etwaiges Versäumnis oder die
etwaige Verweigerung einer Belehrung oder Unterrichtung nach den Verfahren des
innerstaatlichen Rechts anzufechten.

11.3. Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand

Personen, gegen die ein EuHB vorliegt, haben nach der Richtlinie 2013/48/EU des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2013 über das Recht auf
Zugang zu einem Rechtsbeistand in Strafverfahren und in Verfahren zur Vollstreckung
des Europäischen Haftbefehls sowie über das Recht auf Benachrichtigung eines Dritten
bei Freiheitsentzug und das Recht auf Kommunikation mit Dritten und mit
Konsularbehörden während des Freiheitsentzugs47 das Recht auf Zugang zu einem
Rechtsbeistand.

46
ABl. L 142 vom 1.6.2012, S. 1. Diese Richtlinie ist für Dänemark nicht bindend.
47
ABl. L 294 vom 6.11.2013, S. 1. Die Frist für die Umsetzung dieser Richtlinie ist
am 27. November 2016 abgelaufen. Die Richtlinie ist für Dänemark, das Vereinigte Königreich
und Irland nicht bindend.

66
Personen, gegen die ein EuHB vorliegt, haben nach ihrer Festnahme aufgrund eines
EuHB das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand im Vollstreckungsmitgliedstaat
(Artikel 10 Absätze 1, 2 und 3 der Richtlinie 2013/48/EU). Inhaltlich verleiht dieses
Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand im Vollstreckungsmitgliedstaat gesuchten
Personen die folgenden Rechte:

a) das Recht auf in zeitlicher und verfahrensrechtlicher Hinsicht dergestalt


gewährten Zugang zu einem Rechtsbeistand, dass gesuchte Personen ihre
Rechte wirksam und in jedem Fall unverzüglich ab dem Entzug der Freiheit
ausüben können;

b) das Recht, mit einem Rechtsbeistand, der sie vertritt, zusammenzutreffen und
mit ihm zu kommunizieren;

c) das Recht, dass ihr Rechtsbeistand bei der Vernehmung durch die vollstreckende
Justizbehörde zugegen ist und gemäß den Verfahren des nationalen Rechts
daran teilnimmt.

Zudem haben gesuchte Personen das Recht, einen Rechtsbeistand im


Ausstellungsmitgliedstaat zu benennen (Artikel 10 Absätze 4, 5 und 6 der
Richtlinie 2013/48/EU). Die Rolle dieses Rechtsbeistands besteht darin, den
Rechtsbeistand im Vollstreckungsmitgliedstaat zu unterstützen, indem er ihn mit
Informationen versorgt und berät, damit die gesuchte Person ihre Rechte nach dem
EuHB-Rahmenbeschluss wirksam ausüben kann.

11.4. Recht auf Benachrichtigung eines Dritten von dem Freiheitsentzug

Personen, gegen die ein EuHB vorliegt, haben ab dem Zeitpunkt ihrer Festnahme im
Vollstreckungsmitgliedstaat das Recht, mindestens einen von ihnen benannten Dritten,
beispielsweise einen Angehörigen oder einen Arbeitgeber, unverzüglich von dem
Freiheitsentzug benachrichtigen zu lassen48.

11.5. Recht auf Kommunikation mit Dritten

Personen, gegen die ein EuHB vorliegt, haben ab dem Zeitpunkt ihrer Festnahme im
Vollstreckungsmitgliedstaat das Recht, unverzüglich mit mindestens einem von ihnen
benannten Dritten, beispielsweise einem Angehörigen, zu kommunizieren49.

11.6. Recht auf Kommunikation mit Konsularbehörden

Personen, gegen die ein EuHB vorliegt und die nicht Staatsangehörige des
Vollstreckungsmitgliedstaats sind, haben ab dem Zeitpunkt ihrer Festnahme im
Vollstreckungsmitgliedstaat das Recht, die Konsularbehörden des Staates, dessen
Staatsangehörigkeit sie besitzen, unverzüglich von dem Freiheitsentzug informieren zu
lassen und mit ihnen zu kommunizieren50.

48
Artikel 5 der Richtlinie 2013/48/EU.
49
Artikel 6 der Richtlinie 2013/48/EU.
50
Artikel 7 der Richtlinie 2013/48/EU.

67
Sie haben zudem das Recht auf Besuch durch ihre Konsularbehörden, das Recht, sich mit
ihnen zu unterhalten und mit ihnen zu korrespondieren, sowie das Recht, dass ihre
Konsularbehörden für eine rechtliche Vertretung sorgen.

11.7. Besondere Rechte von Kindern

Für Kinder, gegen die ein EuHB vorliegt, gelten ab dem Zeitpunkt ihrer Festnahme
aufgrund eines EuHB im Vollstreckungsmitgliedstaat besondere Verfahrensgarantien51.
Sie betreffen insbesondere:

a) das Auskunftsrecht;

b) das Recht auf Information des Trägers der elterlichen Verantwortung;

c) das Recht auf Unterstützung durch einen Rechtsbeistand;

d) das Recht auf eine medizinische Untersuchung;

e) das Recht auf besondere Behandlung bei Freiheitsentzug;

f) das Recht auf Schutz der Privatsphäre;

g) das Recht auf Begleitung durch den Träger der elterlichen Verantwortung
während des Verfahrens.

11.8. Recht auf Prozesskostenhilfe

Personen, gegen die ein EuHB vorliegt, haben nach der Richtlinie (EU) 2016/1919 des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2016 über Prozesskostenhilfe
für Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren sowie für gesuchte
Personen in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls52 das Recht auf
Prozesskostenhilfe.

Personen, gegen die ein EuHB vorliegt, haben im Vollstreckungsmitgliedstaat ab dem


Zeitpunkt ihrer Festnahme aufgrund eines EuHB bis zu ihrer Übergabe oder bis zu dem
Zeitpunkt, zu dem die Entscheidung, sie nicht zu übergeben, rechtskräftig geworden ist,
das Recht auf Prozesskostenhilfe (Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie (EU) 2016/1919).

Zudem haben gesuchte Personen, die nach Artikel 10 Absätze 4 und 5 der
Richtlinie 2013/48/EU ihr Recht auf Benennung eines Rechtsbeistands im
Ausstellungsmitgliedstaat zur Unterstützung des Rechtsbeistands im
Vollstreckungsmitgliedstaat wahrnehmen, insoweit Anspruch auf Prozesskostenhilfe im
Ausstellungsmitgliedstaat, als Prozesskostenhilfe erforderlich ist, um den wirksamen

51
Richtlinie (EU) 2016/800 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2016 über
Verfahrensgarantien in Strafverfahren für Kinder, die Verdächtige oder beschuldigte Personen in
Strafverfahren sind (ABl. L 132 vom 21.5.2016, S. 1). Die Frist für die Umsetzung durch die
Mitgliedstaaten läuft am 11. Juni 2019 ab. Die Richtlinie ist für Dänemark, das Vereinigte
Königreich und Irland nicht bindend.
52
ABl. L 297 vom 4.11.2016, S. 1. Die Frist für die Umsetzung dieser Richtlinie läuft
am 25. Mai 2019 ab. Die Richtlinie ist für Dänemark, das Vereinigte Königreich und Irland nicht
bindend.

68
Zugang zu den Gerichten zu gewährleisten (Artikel 5 Absatz 2 der Richtlinie
(EU) 2016/1919).

In beiden Fällen können die Mitgliedstaaten die im sinngemäß für Prozesskostenhilfe in


EuHB-Verfahren geltenden Artikel 4 Absatz 3 der Richtlinie (EU) 2016/1919
vorgesehenen Kriterien für die Bedürftigkeitsprüfung anwenden (Artikel 5 Absatz 3
derselben Richtlinie). Bei einer solchen Bedürftigkeitsprüfung ist demnach sämtlichen
relevanten und objektiven Kriterien Rechnung zu tragen, zu denen beispielsweise
Einkommen, Vermögen und familiäre Verhältnisse der betroffenen Person, die Kosten
der Unterstützung durch einen Rechtsanwalt und der Lebensstandard in diesem
Mitgliedstaat gehören, um festzustellen, ob eine gesuchte Person gemäß den in diesem
Mitgliedstaat geltenden Kriterien nicht über ausreichende Mittel zur Bezahlung der
Unterstützung durch einen Rechtsanwalt verfügt.

69
ANHANG I – Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl,
inoffizielle konsolidierte Fassung1
Deutsche Fassung des Rahmenbeschlusses über den EuHB

RAHMENBESCHLUSS DES RATES

vom 13. Juni 2002

über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den


Mitgliedstaaten

(2002/584/JI)

DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION –

gestützt auf den Vertrag über die Europäische Union, insbesondere auf Artikel 31
Buchstaben a und b und Artikel 34 Absatz 2 Buchstabe b,

auf Vorschlag der Kommission2,

nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments3,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1) Nach den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tampere vom 15. und
16. Oktober 1999, insbesondere in Nummer 35 dieser Schlussfolgerungen, sollten
im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander die förmlichen Verfahren zur
Auslieferung von Personen, die sich nach einer rechtskräftigen Verurteilung der
Justiz zu entziehen suchen, abgeschafft und die Verfahren zur Auslieferung von
Personen, die der Begehung einer Straftat verdächtig sind, beschleunigt werden.

(2) Im Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen


Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen, das in Nummer 37 der
Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tampere vorgesehen war und
das der Rat am 30. November 2000 angenommen hat4, wird die Frage der
gegenseitigen Vollstreckung von Haftbefehlen behandelt.

(3) Die Gesamtheit der Mitgliedstaaten oder einige von ihnen sind Vertragsparteien
verschiedener Übereinkünfte im Bereich der Auslieferung, unter anderem des
Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 und des

1
Die in dieser inoffiziellen konsolidierten Fassung enthaltenen Erwägungsgründe sind nur jene des
Rahmenbeschlusses 2002/584/JI. Die Erwägungsgründe des Rahmenbeschlusses 2009/299/JI,
durch den der Rahmenbeschluss 2002/584/JI geändert wurde, wurden nicht eingearbeitet.
2
ABl. C 332 vom 27.11.2001, S. 305.
3
Stellungnahme vom 9. Januar 2002 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).
4
ABl. C 12 E vom 15.1.2001, S. 10.

70
Europäischen Übereinkommens vom 27. Januar 1977 zur Bekämpfung des
Terrorismus. Die nordischen Staaten verfügen über Auslieferungsgesetze gleichen
Inhalts.

(4) Darüber hinaus sind die folgenden drei Übereinkünfte, die ganz oder teilweise
Auslieferungsfragen betreffen, von den Mitgliedstaaten gebilligt worden und sind
Teil des Besitzstandes der Union, nämlich: das Übereinkommen
vom 19. Juni 1990 zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen
vom 14. Juni 1985 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den
gemeinsamen Grenzen5 (mit Geltung für die Mitgliedstaaten, die Vertragsparteien
des genannten Übereinkommens sind), das Übereinkommen vom 10. März 1995
über das vereinfachte Auslieferungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der
Europäischen Union6 und das Übereinkommen vom 27. September 1996 über die
Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union7.

(5) Aus dem der Union gesetzten Ziel, sich zu einem Raum der Freiheit, der
Sicherheit und des Rechts zu entwickeln, ergibt sich die Abschaffung der
Auslieferung zwischen Mitgliedstaaten und deren Ersetzung durch ein System der
Übergabe zwischen Justizbehörden. Die Einführung eines neuen, vereinfachten
Systems der Übergabe von Personen, die einer Straftat verdächtigt werden oder
wegen einer Straftat verurteilt worden sind, für die Zwecke der strafrechtlichen
Verfolgung oder der Vollstreckung strafrechtlicher Urteile ermöglicht zudem die
Beseitigung der Komplexität und der Verzögerungsrisiken, die den derzeitigen
Auslieferungsverfahren innewohnen. Die bislang von klassischer Kooperation
geprägten Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten sind durch ein System des
freien Verkehrs strafrechtlicher justizieller Entscheidungen – und zwar sowohl in
der Phase vor der Urteilsverkündung als auch in der Phase danach – innerhalb des
Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu ersetzen.

(6) Der Europäische Haftbefehl im Sinne des vorliegenden Rahmenbeschlusses stellt


im strafrechtlichen Bereich die erste konkrete Verwirklichung des vom
Europäischen Rat als „Eckstein“ der justiziellen Zusammenarbeit qualifizierten
Prinzips der gegenseitigen Anerkennung dar.

(7) Da das Ziel der Ersetzung des auf dem Europäischen


Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 beruhenden
multilateralen Auslieferungssystems von den Mitgliedstaaten durch einseitiges
Vorgehen nicht ausreichend erreicht werden kann und daher wegen seines
Umfangs und seiner Wirkungen besser auf Unionsebene zu erreichen ist, kann der
Rat gemäß dem Subsidiaritätsprinzip nach Artikel 2 des Vertrags über die
Europäische Union und Artikel 5 des Vertrags zur Gründung der Europäischen
Gemeinschaft Maßnahmen erlassen. Entsprechend dem
Verhältnismäßigkeitsprinzip nach dem letztgenannten Artikel geht der
vorliegende Rahmenbeschluss nicht über das für die Erreichung des genannten
Ziels erforderliche Maß hinaus.

5
ABl. L 239 vom 22.9.2000, S. 19.
6
ABl. C 78 vom 30.3.1995, S. 2.
7
ABl. C 313 vom 13.10.1996, S. 12.

71
(8) Entscheidungen zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls müssen
ausreichender Kontrolle unterliegen; dies bedeutet, dass eine Justizbehörde des
Mitgliedstaats, in dem die gesuchte Person festgenommen wurde, die
Entscheidung zur Übergabe dieser Person treffen muss.

(9) Die Rolle der Zentralbehörden bei der Vollstreckung eines Europäischen
Haftbefehls muss sich auf praktische und administrative Unterstützung
beschränken.

(10) Grundlage für den Mechanismus des Europäischen Haftbefehls ist ein hohes Maß
an Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten. Die Anwendung dieses Mechanismus
darf nur ausgesetzt werden, wenn eine schwere und anhaltende Verletzung der in
Artikel 6 Absatz 1 des Vertrags über die Europäische Union enthaltenen
Grundsätze durch einen Mitgliedstaat vorliegt und diese vom Rat gemäß Artikel 7
Absatz 1 des genannten Vertrags mit den Folgen von Artikel 7 Absatz 2
festgestellt wird.

(11) Der Europäische Haftbefehl soll in den Beziehungen zwischen Mitgliedstaaten


alle früheren Instrumente bezüglich der Auslieferung ersetzen, einschließlich der
Bestimmungen von Titel III des Übereinkommens zur Durchführung des
Übereinkommens von Schengen, die die Auslieferung betreffen.

(12) Der vorliegende Rahmenbeschluss achtet die Grundrechte und wahrt die in
Artikel 6 des Vertrags über die Europäische Union anerkannten Grundsätze, die
auch in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union8, insbesondere in
deren Kapitel VI, zum Ausdruck kommen. Keine Bestimmung des vorliegenden
Rahmenbeschlusses darf in dem Sinne ausgelegt werden, dass sie es untersagt, die
Übergabe einer Person, gegen die ein Europäischer Haftbefehl besteht,
abzulehnen, wenn objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der genannte
Haftbefehl zum Zwecke der Verfolgung oder Bestrafung einer Person aus
Gründen ihres Geschlechts, ihrer Rasse, Religion, ethnischen Herkunft,
Staatsangehörigkeit, Sprache oder politischen Überzeugung oder sexuellen
Ausrichtung erlassen wurde oder dass die Stellung dieser Person aus einem dieser
Gründe beeinträchtigt werden kann.

Der vorliegende Rahmenbeschluss belässt jedem Mitgliedstaat die Freiheit zur


Anwendung seiner verfassungsmäßigen Regelung des Anspruchs auf ein
ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren, der Vereinigungsfreiheit, der Pressefreiheit
und der Freiheit der Meinungsäußerung in anderen Medien.

(13) Niemand sollte in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder an einen Staat
ausgeliefert werden, in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe,
der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder
Behandlung besteht.

(14) Da alle Mitgliedstaaten das Übereinkommen des Europarates


vom 28. Januar 1981 zum Schutz des Menschen bei der automatischen
Verarbeitung personenbezogener Daten ratifiziert haben, sind die bei der
Durchführung des vorliegenden Rahmenbeschlusses zu verarbeitenden

8
ABl. C 364 vom 18.12.2000, S. 1.

72
personenbezogenen Daten gemäß den Grundsätzen dieses Übereinkommens zu
schützen –

HAT FOLGENDEN RAHMENBESCHLUSS ERLASSEN:

KAPITEL I

ALLGEMEINE GRUNDSÄTZE

Artikel 1

Definition des Europäischen Haftbefehls und Verpflichtung zu seiner Vollstreckung

(1) Bei dem Europäischen Haftbefehl handelt es sich um eine justizielle


Entscheidung, die in einem Mitgliedstaat ergangen ist und die Festnahme und
Übergabe einer gesuchten Person durch einen anderen Mitgliedstaat zur
Strafverfolgung oder zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer
freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung bezweckt.

(2) Die Mitgliedstaaten vollstrecken jeden Europäischen Haftbefehl nach dem


Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung und gemäß den Bestimmungen
dieses Rahmenbeschlusses.

(3) Dieser Rahmenbeschluss berührt nicht die Pflicht, die Grundrechte und die
allgemeinen Rechtsgrundsätze, wie sie in Artikel 6 des Vertrags über die
Europäische Union niedergelegt sind, zu achten.

Artikel 2

Anwendungsbereich des Europäischen Haftbefehls

(1) Ein Europäischer Haftbefehl kann bei Handlungen erlassen werden, die nach
den Rechtsvorschriften des Ausstellungsmitgliedstaats mit einer Freiheitsstrafe
oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung im Höchstmaß von
mindestens zwölf Monaten bedroht sind, oder im Falle einer Verurteilung zu
einer Strafe oder der Anordnung einer Maßregel der Sicherung, deren Maß
mindestens vier Monate beträgt.

(2) Bei den nachstehenden Straftaten erfolgt, wenn sie im Ausstellungsmitgliedstaat


nach der Ausgestaltung in dessen Recht mit einer Freiheitsstrafe oder einer
freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung im Höchstmaß von mindestens
drei Jahren bedroht sind, eine Übergabe aufgrund eines Europäischen
Haftbefehls nach Maßgabe dieses Rahmenbeschlusses und ohne Überprüfung
des Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit:

– Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung,

– Terrorismus,

73
– Menschenhandel,

– sexuelle Ausbeutung von Kindern und Kinderpornografie,

– illegaler Handel mit Drogen und psychotropen Stoffen,

– illegaler Handel mit Waffen, Munition und Sprengstoffen,

– Korruption,

– Betrugsdelikte, einschließlich Betrug zum Nachteil der finanziellen


Interessen der Europäischen Gemeinschaften im Sinne des
Übereinkommens vom 26. Juli 1995 über den Schutz der finanziellen
Interessen der Europäischen Gemeinschaften,

– Wäsche von Erträgen aus Straftaten,

– Geldfälschung, einschließlich der Euro-Fälschung,

– Cyberkriminalität,

– Umweltkriminalität, einschließlich des illegalen Handels mit bedrohten


Tierarten oder mit bedrohten Pflanzen- und Baumarten,

– Beihilfe zur illegalen Einreise und zum illegalen Aufenthalt,

– vorsätzliche Tötung, schwere Körperverletzung,

– illegaler Handel mit Organen und menschlichem Gewebe,

– Entführung, Freiheitsberaubung und Geiselnahme,

– Rassismus und Fremdenfeindlichkeit,

– Diebstahl in organisierter Form oder mit Waffen,

– illegaler Handel mit Kulturgütern, einschließlich Antiquitäten und


Kunstgegenstände,

– Betrug,

– Erpressung und Schutzgelderpressung,

– Nachahmung und Produktpiraterie,

– Fälschung von amtlichen Dokumenten und Handel damit,

– Fälschung von Zahlungsmitteln,

– illegaler Handel mit Hormonen und anderen Wachstumsförderern,

– illegaler Handel mit nuklearen und radioaktiven Substanzen,

– Handel mit gestohlenen Kraftfahrzeugen,

74
– Vergewaltigung,

– Brandstiftung,

– Verbrechen, die in die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs


fallen,

– Flugzeug- und Schiffsentführung,

– Sabotage.

(3) Der Rat kann einstimmig und nach Anhörung des Europäischen Parlaments
nach Maßgabe von Artikel 39 Absatz 1 des Vertrags über die Europäische
Union (EUV) jederzeit beschließen, weitere Arten von Straftaten in die in
Absatz 2 enthaltene Liste aufzunehmen. Der Rat prüft im Licht des Berichts,
den die Kommission ihm nach Artikel 34 Absatz 3 unterbreitet, ob es sich
empfiehlt, diese Liste auszuweiten oder zu ändern.

(4) Bei anderen Straftaten als denen des Absatzes 2 kann die Übergabe davon
abhängig gemacht werden, dass die Handlungen, derentwegen der Europäische
Haftbefehl ausgestellt wurde, eine Straftat nach dem Recht des
Vollstreckungsmitgliedstaats darstellen, unabhängig von den
Tatbestandsmerkmalen oder der Bezeichnung der Straftat.

Artikel 3

Gründe, aus denen die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls abzulehnen ist

Die Justizbehörde des Vollstreckungsstaats (nachstehend „vollstreckende Justizbehörde“


genannt) lehnt die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls ab,

1. wenn die Straftat, aufgrund deren der Europäische Haftbefehl ergangen ist, im
Vollstreckungsstaat unter eine Amnestie fällt und dieser Staat nach seinem
eigenen Strafrecht für die Verfolgung der Straftat zuständig war;

2. wenn sich aus den der vollstreckenden Justizbehörde vorliegenden


Informationen ergibt, dass die gesuchte Person wegen derselben Handlung von
einem Mitgliedstaat rechtskräftig verurteilt worden ist, vorausgesetzt, dass im
Fall einer Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade
vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsmitgliedstaats nicht mehr
vollstreckt werden kann;

3. wenn die Person, gegen die der Europäische Haftbefehl ergangen ist, nach dem
Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats aufgrund ihres Alters für die Handlung,
die diesem Haftbefehl zugrunde liegt, nicht strafrechtlich zur Verantwortung
gezogen werden kann.

75
Artikel 4

Gründe, aus denen die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls abgelehnt


werden kann

Die vollstreckende Justizbehörde kann die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls


verweigern,

1. wenn in einem der in Artikel 2 Absatz 4 genannten Fälle die Handlung,


aufgrund deren der Europäische Haftbefehl ergangen ist, nach dem Recht des
Vollstreckungsmitgliedstaats keine Straftat darstellt; in Steuer-, Zoll- und
Währungsangelegenheiten kann die Vollstreckung des Europäischen
Haftbefehls jedoch nicht aus dem Grund abgelehnt werden, dass das Recht des
Vollstreckungsmitgliedstaats keine gleichartigen Steuern vorschreibt oder keine
gleichartigen Steuer-, Zoll- und Währungsbestimmungen enthält wie das Recht
des Ausstellungsmitgliedstaats;

2. wenn die Person, gegen die der Europäische Haftbefehl ergangen ist, im
Vollstreckungsmitgliedstaat wegen derselben Handlung, aufgrund deren der
Europäische Haftbefehl ausgestellt worden ist, strafrechtlich verfolgt wird;

3. wenn die Justizbehörden des Vollstreckungsmitgliedstaats beschlossen haben,


wegen der Straftat, aufgrund deren der Europäische Haftbefehl ausgestellt
worden ist, kein Verfahren einzuleiten bzw. das Verfahren einzustellen, oder
wenn gegen die gesuchte Person in einem Mitgliedstaat aufgrund derselben
Handlung eine rechtskräftige Entscheidung ergangen ist, die einer weiteren
Strafverfolgung entgegensteht;

4. wenn die Strafverfolgung oder die Strafvollstreckung nach den


Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaats verjährt ist und hinsichtlich
der Handlungen nach seinem eigenen Strafrecht Gerichtsbarkeit bestand;

5. wenn sich aus den der vollstreckenden Justizbehörde vorliegenden


Informationen ergibt, dass die gesuchte Person wegen derselben Handlung von
einem Drittstaat rechtskräftig verurteilt worden ist, vorausgesetzt, dass im Fall
einer Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt
wird oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden kann;

6. wenn der Europäische Haftbefehl zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder


einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung ausgestellt worden ist, sich
die gesuchte Person im Vollstreckungsmitgliedstaat aufhält, dessen
Staatsangehöriger ist oder dort ihren Wohnsitz hat und dieser Staat sich
verpflichtet, die Strafe oder die Maßregel der Sicherung nach seinem
innerstaatlichen Recht zu vollstrecken;

7. wenn der Europäische Haftbefehl sich auf Straftaten erstreckt, die

a) nach den Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaats ganz oder


zum Teil in dessen Hoheitsgebiet oder an einem diesem gleichgestellten
Ort begangen worden sind; oder

76
b) außerhalb des Hoheitsgebiets des Ausstellungsmitgliedstaats begangen
wurden, und die Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaats die
Verfolgung von außerhalb seines Hoheitsgebiets begangenen Straftaten
gleicher Art nicht zulassen.

Artikel 4a

Entscheidungen, die im Anschluss an eine Verhandlung ergangen sind, zu der die


Person nicht persönlich erschienen ist

(1) Die vollstreckende Justizbehörde kann die Vollstreckung eines zur


Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden Maßregel der
Sicherung ausgestellten Europäischen Haftbefehls auch verweigern, wenn die
Person nicht persönlich zu der Verhandlung erschienen ist, die zu der
Entscheidung geführt hat, es sei denn, aus dem Europäischen Haftbefehl geht
hervor, dass die Person im Einklang mit den weiteren verfahrensrechtlichen
Vorschriften des einzelstaatlichen Rechts des Ausstellungsmitgliedstaats

a) rechtzeitig

i) entweder persönlich vorgeladen wurde und dabei von dem


vorgesehenen Termin und Ort der Verhandlung in Kenntnis gesetzt
wurde, die zu der Entscheidung geführt hat, oder auf andere Weise
tatsächlich offiziell von dem vorgesehenen Termin und Ort dieser
Verhandlung in Kenntnis gesetzt wurde, und zwar auf eine Weise,
dass zweifelsfrei nachgewiesen wurde, dass sie von der anberaumten
Verhandlung Kenntnis hatte,

und

ii) davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass eine Entscheidung auch dann
ergehen kann, wenn sie zu der Verhandlung nicht erscheint;

oder

b) in Kenntnis der anberaumten Verhandlung ein Mandat an einen


Rechtsbeistand, der entweder von der betroffenen Person oder vom Staat
bestellt wurde, erteilt hat, sie bei der Verhandlung zu verteidigen, und bei
der Verhandlung von diesem Rechtsbeistand tatsächlich verteidigt worden
ist;

oder

c) nachdem ihr die Entscheidung zugestellt und sie ausdrücklich von ihrem
Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder auf ein
Berufungsverfahren in Kenntnis gesetzt worden ist, an dem die Person
teilnehmen kann und bei dem der Sachverhalt, einschließlich neuer
Beweismittel, erneut geprüft werden und die ursprünglich ergangene
Entscheidung aufgehoben werden kann:

i) ausdrücklich erklärt hat, dass sie die Entscheidung nicht anficht;

77
oder

ii) innerhalb der geltenden Frist keine Wiederaufnahme des Verfahrens


bzw. kein Berufungsverfahren beantragt hat;

oder

d) die Entscheidung nicht persönlich zugestellt erhalten hat, aber

i) sie unverzüglich nach der Übergabe persönlich zugestellt erhalten


wird und ausdrücklich von ihrem Recht auf Wiederaufnahme des
Verfahrens oder auf ein Berufungsverfahren in Kenntnis gesetzt
werden wird, an dem die Person teilnehmen kann und bei dem der
Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft
werden und die ursprünglich ergangene Entscheidung aufgehoben
werden kann,

und

ii) von der Frist in Kenntnis gesetzt werden wird, über die sie gemäß
dem einschlägigen Europäischen Haftbefehl verfügt, um eine
Wiederaufnahme des Verfahrens bzw. ein Berufungsverfahren zu
beantragen.

(2) Wird der Europäische Haftbefehl zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder
einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung nach Maßgabe des
Absatzes 1 Buchstabe d ausgestellt und ist die betroffene Person zuvor nicht
offiziell davon in Kenntnis gesetzt worden, dass gegen sie ein Strafverfahren
eingeleitet wurde, so kann die Person, wenn sie von dem Inhalt des
Europäischen Haftbefehls in Kenntnis gesetzt wird, beantragen, dass sie vor
ihrer Übergabe eine Abschrift des Urteils erhält. Die Ausstellungsbehörde leitet
der gesuchten Person die Abschrift des Urteils unverzüglich über die
Vollstreckungsbehörde zu, sobald sie Kenntnis von dem Antrag erhalten hat.
Der Antrag der gesuchten Person darf weder das Übergabeverfahren noch die
Entscheidung über die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls verzögern.
Das Urteil wird der betroffenen Person ausschließlich informationshalber zur
Verfügung gestellt; die Zurverfügungstellung gilt weder als förmliche
Zustellung des Urteils noch wirkt sie sich auf Fristen aus, die für einen Antrag
auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder für ein Berufungsverfahren gelten.

(3) Wird eine Person nach Maßgabe des Absatzes 1 Buchstabe d übergeben und hat
diese Person eine Wiederaufnahme des Verfahrens oder ein Berufungsverfahren
beantragt, so wird die Haft der auf das entsprechende Verfahren wartenden
Person bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss im Einklang mit dem Recht des
Ausstellungsmitgliedstaates entweder regelmäßig oder auf Antrag der
betroffenen Person einer Überprüfung unterzogen. Eine solche Überprüfung
umfasst insbesondere die Prüfung der Frage, ob die Haft aufgehoben oder
ausgesetzt werden kann. Das Wiederaufnahmeverfahren oder
Berufungsverfahren beginnt ohne unnötige Verzögerung nach der Übergabe.

78
Artikel 5

Vom Ausstellungsmitgliedstaat in bestimmten Fällen zu gewährende Garantien

Die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls durch die vollstreckende Justizbehörde


kann nach dem Recht dieses Staates an eine der folgenden Bedingungen geknüpft
werden:

1. [gestrichen]

2. Ist die Straftat, die dem Europäischen Haftbefehl zugrunde liegt, mit
lebenslanger Freiheitsstrafe oder einer lebenslangen freiheitsentziehenden
Maßregel der Sicherung bedroht, so kann die Vollstreckung des Europäischen
Haftbefehls an die Bedingung geknüpft werden, dass die Rechtsordnung des
Ausstellungsmitgliedstaats eine Überprüfung der verhängten Strafe – auf Antrag
oder spätestens nach 20 Jahren – oder Gnadenakte zulässt, die zur Aussetzung
der Vollstreckung der Strafe oder der Maßregel führen können und auf die die
betreffende Person nach dem innerstaatlichen Recht oder der Rechtspraxis des
Ausstellungsmitgliedstaats Anspruch hat.

3. Ist die Person, gegen die ein Europäischer Haftbefehl zum Zwecke der
Strafverfolgung ergangen ist, Staatsangehöriger des
Vollstreckungsmitgliedstaats oder in diesem wohnhaft, so kann die Übergabe
davon abhängig gemacht werden, dass die betreffende Person nach Gewährung
rechtlichen Gehörs zur Verbüßung der Freiheitsstrafe oder der
freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung, die im Ausstellungsmitgliedstaat
gegen sie verhängt wird, in den Vollstreckungsmitgliedstaat rücküberstellt wird.

Artikel 6

Bestimmung der zuständigen Behörden

(1) Ausstellende Justizbehörde ist die Justizbehörde des Ausstellungsmitgliedstaats,


die nach dem Recht dieses Staats für die Ausstellung eines Europäischen
Haftbefehls zuständig ist.

(2) Vollstreckende Justizbehörde ist die Justizbehörde des


Vollstreckungsmitgliedstaats, die nach dem Recht dieses Staats zuständig für die
Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls ist.

(3) Jeder Mitgliedstaat unterrichtet das Generalsekretariat des Rates über die nach
seinem Recht zuständige Justizbehörde.

Artikel 7

Beteiligung der zentralen Behörde

(1) Jeder Mitgliedstaat kann eine oder, sofern es seine Rechtsordnung vorsieht,
mehrere zentrale Behörden zur Unterstützung der zuständigen Justizbehörden
benennen.

79
(2) Ein Mitgliedstaat kann, wenn sich dies aufgrund des Aufbaus seines
Justizsystems als erforderlich erweist, seine zentrale(n) Behörde(n) mit der
administrativen Übermittlung und Entgegennahme der Europäischen
Haftbefehle sowie des gesamten übrigen sie betreffenden amtlichen
Schriftverkehrs betrauen.

Ein Mitgliedstaat, der von den in diesem Artikel vorgesehenen Möglichkeiten


Gebrauch machen möchte, übermittelt dem Generalsekretariat des Rates die
Angaben über die von ihm benannte(n) zentrale(n) Behörde(n). Diese Angaben
sind für alle Behörden des Ausstellungsmitgliedstaats verbindlich.

Artikel 8

Inhalt und Form des Europäischen Haftbefehls

(1) Der Europäische Haftbefehl enthält entsprechend dem im Anhang beigefügten


Formblatt folgende Informationen:

a) die Identität und die Staatsangehörigkeit der gesuchten Person;

b) Name, Adresse, Telefon- und Telefaxnummer sowie E-Mail-Adresse der


ausstellenden Justizbehörde;

c) die Angabe, ob ein vollstreckbares Urteil, ein Haftbefehl oder eine andere
vollstreckbare justizielle Entscheidung mit gleicher Rechtswirkung nach
den Artikeln 1 und 2 vorliegt;

d) die Art und rechtliche Würdigung der Straftat, insbesondere in Bezug auf
Artikel 2;

e) die Beschreibung der Umstände, unter denen die Straftat begangen wurde,
einschließlich der Tatzeit, des Tatortes und der Art der Tatbeteiligung der
gesuchten Person;

f) im Fall eines rechtskräftigen Urteils die verhängte Strafe oder der für die
betreffende Straftat im Ausstellungsmitgliedstaat gesetzlich
vorgeschriebene Strafrahmen;

g) soweit möglich, die anderen Folgen der Straftat.

(2) Der Europäische Haftbefehl ist in die Amtssprache oder eine der Amtssprachen
des Vollstreckungsstaats zu übersetzen. Jeder Mitgliedstaat kann zum Zeitpunkt
der Annahme dieses Rahmenbeschlusses oder später in einer beim
Generalsekretariat des Rates hinterlegten Erklärung angeben, dass er eine
Übersetzung in eine oder mehrere weitere Amtssprachen der Organe der
Europäischen Gemeinschaften akzeptiert.

80
KAPITEL 2

ÜBERGABEVERFAHREN

Artikel 9

Übermittlung eines Europäischen Haftbefehls

(1) Ist der Aufenthaltsort der gesuchten Person bekannt, so kann die ausstellende
Justizbehörde den Europäischen Haftbefehl direkt der vollstreckenden
Justizbehörde übermitteln.

(2) Die ausstellende Justizbehörde kann in allen Fällen beschließen, die gesuchte
Person im Schengener Informationssystem (SIS) ausschreiben zu lassen.

(3) Eine derartige Ausschreibung erfolgt gemäß Artikel 95 des Übereinkommens


vom 19. Juni 1990 zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen
vom 14. Juni 1985 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den
gemeinsamen Grenzen. Eine Ausschreibung im SIS steht einem Europäischen
Haftbefehl, dem die in Artikel 8 Absatz 1 angegebenen Informationen beigefügt
sind, gleich.

Während eines Übergangszeitraums, der so lange währt, bis das SIS in der Lage
ist, alle in Artikel 8 genannten Informationen zu übermitteln, steht die
Ausschreibung dem Europäischen Haftbefehl gleich, bis das Original bei der
vollstreckenden Justizbehörde in der gebührenden Form eingegangen ist.

Artikel 10

Modalitäten der Übermittlung eines Europäischen Haftbefehls

(1) Ist der ausstellenden Justizbehörde die zuständige vollstreckende Justizbehörde


nicht bekannt, so stellt sie insbesondere mit Hilfe der Kontaktstellen des
Europäischen Justiziellen Netzes9 die erforderlichen Nachforschungen an, um
diese Information vom Vollstreckungsmitgliedstaat zu erlangen.

(2) Wenn die ausstellende Justizbehörde dies wünscht, kann die Übermittlung über
das gesicherte Telekommunikationssystem des Europäischen Justiziellen Netzes
erfolgen.

(3) Kann nicht auf das SIS zurückgegriffen werden, so kann die ausstellende
Justizbehörde für die Übermittlung des Europäischen Haftbefehls die Dienste
von Interpol in Anspruch nehmen.

9
Gemeinsame Maßnahme 98/428/JI vom 29. Juni 1998 zur Einrichtung eines Europäischen
Justiziellen Netzes (ABl. L 191 vom 7.7.1998, S. 4).

81
(4) Die ausstellende Justizbehörde kann den Europäischen Haftbefehl durch jedes
sichere Mittel, das die Erstellung einer schriftlichen Fassung unter Bedingungen
ermöglicht, die dem Vollstreckungsmitgliedsstaat die Feststellung der Echtheit
gestatten, übermitteln.

(5) Alle Schwierigkeiten in Verbindung mit der Übermittlung oder der Echtheit der
zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls erforderlichen Unterlagen
werden direkt zwischen den betreffenden Justizbehörden oder gegebenenfalls
unter Einschaltung der Zentralbehörden der Mitgliedstaaten behoben.

(6) Ist die Behörde, bei der ein Europäischer Haftbefehl eingeht, für dessen
Bearbeitung nicht zuständig, so übermittelt sie den Europäischen Haftbefehl von
Amtes wegen der zuständigen Behörde in ihrem Mitgliedstaat und setzt die
ausstellende Justizbehörde von diesem Umstand in Kenntnis.

Artikel 11

Rechte der gesuchten Person

(1) Wird eine gesuchte Person festgenommen, so unterrichtet die zuständige


Justizbehörde des Vollstreckungsmitgliedstaats entsprechend dessen
innerstaatlichem Recht die betreffende Person von dem Europäischen
Haftbefehl, von dessen Inhalt sowie davon, dass sie ihrer Übergabe an die
ausstellende Justizbehörde zustimmen kann.

(2) Eine gesuchte Person, die zum Zwecke der Vollstreckung eines Europäischen
Haftbefehls festgenommen wird, hat nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts
des Vollstreckungsmitgliedstaats Anspruch darauf, einen Rechtsbeistand und
einen Dolmetscher hinzuzuziehen.

Artikel 12

Inhafthaltung der gesuchten Person

Im Fall der Festnahme einer Person aufgrund eines Europäischen Haftbefehls entscheidet
die vollstreckende Justizbehörde, ob die gesuchte Person nach Maßgabe des Rechts des
Vollstreckungsmitgliedstaats in Haft zu halten ist. Eine vorläufige Haftentlassung nach
Maßgabe der innerstaatlichen Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaats ist
jederzeit möglich, sofern die zuständige Behörde dieses Mitgliedstaates die ihres
Erachtens erforderlichen Maßnahmen zur Verhinderung einer Flucht der gesuchten
Person trifft.

Artikel 13

Zustimmung zur Übergabe

(1) Gibt die festgenommene Person an, dass sie ihrer Übergabe zustimmt, so
werden diese Zustimmung und gegebenenfalls der ausdrückliche Verzicht auf
den Schutz des Grundsatzes der Spezialität nach Artikel 27 Absatz 2 vor der

82
vollstreckenden Justizbehörde nach dem innerstaatlichen Recht des
Vollstreckungsmitgliedstaats erklärt.

(2) Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, damit die Zustimmung
und gegebenenfalls der Verzicht nach Absatz 1 unter Bedingungen
entgegengenommen werden, die erkennen lassen, dass die Person sie freiwillig
und in vollem Bewusstsein der sich daraus ergebenden Folgen bekundet hat. Zu
diesem Zweck hat die gesuchte Person das Recht, einen Rechtsbeistand
beizuziehen.

(3) Die Zustimmung und gegebenenfalls der Verzicht nach Absatz 1 werden nach
dem im innerstaatlichen Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats vorgesehenen
Verfahren zu Protokoll genommen.

(4) Die Zustimmung ist grundsätzlich unwiderruflich. Jeder Mitgliedstaat kann


vorsehen, dass die Zustimmung und gegebenenfalls der Verzicht nach den
anwendbaren Vorschriften des innerstaatlichen Rechts widerruflich sein können.
In diesem Fall wird der Zeitraum zwischen dem Zeitpunkt, zu dem die
Zustimmung erklärt wurde, und dem Zeitpunkt, zu dem sie widerrufen wurde,
bei der Berechnung der in Artikel 17 vorgesehenen Fristen nicht berücksichtigt.
Ein Mitgliedstaat, der von dieser Möglichkeit Gebrauch machen will, teilt dies
dem Generalsekretariat des Rates bei der Annahme dieses Rahmenbeschlusses
mit und gibt die Modalitäten, nach denen die Zustimmung widerrufen werden
kann, sowie jede Änderung dieser Modalitäten an.

Artikel 14

Vernehmung der gesuchten Person

Stimmt die festgenommene Person ihrer Übergabe nach Maßgabe des Artikels 13 nicht
zu, hat sie das Recht, von der vollstreckenden Justizbehörde nach den innerstaatlichen
Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaats vernommen zu werden.

Artikel 15

Entscheidung über die Übergabe

(1) Die vollstreckende Justizbehörde entscheidet über die Übergabe der


betreffenden Person nach Maßgabe dieses Rahmenbeschlusses und innerhalb
der darin vorgesehenen Fristen.

(2) Ist die vollstreckende Justizbehörde der Ansicht, dass die vom
Ausstellungsmitgliedstaat übermittelten Informationen nicht ausreichen, um
über die Übergabe entscheiden zu können, so bittet sie um die unverzügliche
Übermittlung der notwendigen zusätzlichen Informationen, insbesondere
hinsichtlich der Artikel 3 bis 5 und Artikel 8; sie kann eine Frist für den Erhalt
dieser zusätzlichen Informationen festsetzen, wobei die Frist nach Artikel 17 zu
beachten ist.

83
(3) Die ausstellende Justizbehörde kann der vollstreckenden Justizbehörde jederzeit
alle zusätzlichen sachdienlichen Informationen übermitteln.

Artikel 16

Entscheidung bei Mehrfachersuchen

(1) Haben zwei oder mehr Mitgliedstaaten einen Europäischen Haftbefehl gegen
dieselbe Person erlassen, so entscheidet die vollstreckende Justizbehörde unter
gebührender Berücksichtigung aller Umstände, welcher dieser Europäischen
Haftbefehle vollstreckt wird; zu diesen Umständen gehören insbesondere die
Schwere und der Ort der Straftat, der Zeitpunkt, zu dem die Europäischen
Haftbefehle erlassen wurden, sowie die Tatsache, dass der Haftbefehl zur
Strafverfolgung oder zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer
freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung ausgestellt wurde.

(2) Um die Entscheidung nach Absatz 1 zu treffen, kann die vollstreckende


Justizbehörde Eurojust10 um Stellungnahme ersuchen.

(3) Bei Zusammentreffen eines Europäischen Haftbefehls mit einem


Auslieferungsersuchen eines Drittstaats entscheidet die zuständige Behörde des
Vollstreckungsmitgliedstaats unter gebührender Berücksichtigung aller
Umstände, insbesondere der in Absatz 1 genannten Umstände sowie der in dem
anwendbaren Übereinkommen oder Abkommen beschriebenen Umstände, ob
der Europäische Haftbefehl oder das Auslieferungsersuchen Vorrang hat.

(4) Diesen Artikel lässt die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aufgrund des
Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs unberührt.

Artikel 17

Fristen und Modalitäten der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls

(1) Ein Europäischer Haftbefehl wird als Eilsache erledigt und vollstreckt.

(2) In den Fällen, in denen die gesuchte Person ihrer Übergabe zustimmt, sollte die
endgültige Entscheidung über die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls
innerhalb von zehn Tagen nach Erteilung der Zustimmung erfolgen.

(3) In den anderen Fällen sollte die endgültige Entscheidung über die Vollstreckung
des Europäischen Haftbefehls innerhalb von 60 Tagen nach der Festnahme der
gesuchten Person erfolgen.

(4) Kann in Sonderfällen der Europäische Haftbefehl nicht innerhalb der in den
Absätzen 2 bzw. 3 vorgesehenen Fristen vollstreckt werden, so setzt die
vollstreckende Justizbehörde die ausstellende Justizbehörde von diesem

10
Beschluss 2002/187/JI des Rates vom 28. Februar 2002 über die Errichtung von Eurojust zur
Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminalität (ABl. L 63 vom 6.3.2002, S. 1).

84
Umstand und von den jeweiligen Gründen unverzüglich in Kenntnis. In diesem
Fall können die Fristen um weitere 30 Tage verlängert werden.

(5) Solange noch keine endgültige Entscheidung über die Vollstreckung des
Europäischen Haftbefehls durch die vollstreckende Justizbehörde ergangen ist,
stellt diese sicher, dass die materiellen Voraussetzungen für eine tatsächliche
Übergabe der Person weiterhin gegeben sind.

(6) Eine Ablehnung der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls ist zu


begründen.

(7) Kann ein Mitgliedstaat bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände die in


diesem Artikel vorgesehenen Fristen nicht einhalten, so setzt er Eurojust von
diesem Umstand und von den Gründen der Verzögerung in Kenntnis. Außerdem
teilt ein Mitgliedstaat, der wiederholt Verzögerungen bei der Vollstreckung von
Europäischen Haftbefehlen durch einen anderen Mitgliedstaat ausgesetzt
gewesen ist, diesen Umstand dem Rat mit, damit eine Beurteilung der
Umsetzung dieses Rahmenbeschlusses auf Ebene der Mitgliedstaaten erfolgen
kann.

Artikel 18

Lage in Erwartung der Entscheidung

(1) Wurde der Europäische Haftbefehl zum Zwecke der Strafverfolgung erlassen, so
muss die vollstreckende Justizbehörde

a) entweder akzeptieren, dass die gesuchte Person nach Artikel 19


vernommen wird;

b) oder akzeptieren, dass die gesuchte Person vorübergehend überstellt wird.

(2) Die Bedingungen und die Dauer der vorübergehenden Überstellung werden in
gegenseitigem Einvernehmen zwischen der ausstellenden und der
vollstreckenden Justizbehörde festgelegt.

(3) Im Falle der vorübergehenden Überstellung muss die betreffende Person


Gelegenheit haben, in den Vollstreckungsmitgliedstaat zurückzukehren, um dort
den sie betreffenden Gerichtsverhandlungen, die im Rahmen des
Übergabeverfahrens stattfinden, beizuwohnen.

Artikel 19

Vernehmung der Person in Erwartung der Entscheidung

(1) Die Vernehmung der gesuchten Person erfolgt durch eine Justizbehörde mit
Unterstützung einer Person, die nach dem Recht des Mitgliedstaats der
ersuchenden Justizbehörde bestimmt wird.

(2) Die Vernehmung der gesuchten Person erfolgt nach dem Recht des
Vollstreckungsmitgliedstaats und nach den im gegenseitigen Einvernehmen

85
zwischen der ausstellenden und der vollstreckenden Justizbehörde festgelegten
Bedingungen.

(3) Die zuständige vollstreckende Justizbehörde kann eine andere Justizbehörde


ihres Mitgliedstaats anweisen, an der Vernehmung der gesuchten Person
teilzunehmen, um die ordnungsgemäße Anwendung dieses Artikels und der
festgelegten Bedingungen zu gewährleisten.

Artikel 20

Vorrechte und Immunitäten

(1) Genießt die gesuchte Person im Vollstreckungsmitgliedstaat ein Vorrecht oder


eine Strafverfolgungs- oder -vollstreckungsimmunität, so beginnen die Fristen
nach Artikel 17 nur zu laufen, wenn die vollstreckende Justizbehörde davon
unterrichtet worden ist, dass das Vorrecht oder die Immunität aufgehoben
wurde; in diesem Fall beginnt die Frist am Tag der Unterrichtung.

Der Vollstreckungsmitgliedstaat trägt dafür Sorge, dass die materiellen


Voraussetzungen für eine tatsächliche Übergabe weiterhin gegeben sind, wenn
die Person kein solches Vorrecht oder keine solche Immunität mehr genießt.

(2) Ist eine Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaats für die Aufhebung des
Vorrechts oder der Immunität zuständig, befasst die vollstreckende
Justizbehörde sie unverzüglich mit einem entsprechenden Ersuchen. Ist eine
Behörde eines anderen Staates oder eine internationale Organisation für die
Aufhebung des Vorrechts oder der Immunität zuständig, ist sie von der
ausstellenden Justizbehörde mit einem entsprechenden Ersuchen zu befassen.

Artikel 21

Konkurrierende internationale Verpflichtungen

Von diesem Rahmenbeschluss unberührt bleiben die Verpflichtungen des


Vollstreckungsmitgliedstaats in den Fällen, in denen die gesuchte Person an diesen
Mitgliedstaat durch einen Drittstaat ausgeliefert worden ist, und wenn auf diese Person
aufgrund der ihrer Auslieferung zugrunde liegenden Vereinbarung der Grundsatz der
Spezialität anzuwenden ist. Der Vollstreckungsmitgliedstaat trifft die erforderlichen
Maßnahmen, um unverzüglich die Zustimmung des Drittstaates einzuholen, der die
gesuchte Person ausgeliefert hat, damit sie dem Ausstellungsstaat übergeben werden
kann. Die Fristen nach Artikel 17 beginnen erst an dem Tage zu laufen, an dem der
Grundsatz der Spezialität nicht mehr anzuwenden ist. Bis die Entscheidung des Staates
vorliegt, aus dem die gesuchte Person ausgeliefert wurde, überzeugt sich der
Vollstreckungsmitgliedstaat davon, dass die materiellen Voraussetzungen für eine
tatsächliche Übergabe weiterhin gegeben sind.

86
Artikel 22

Mitteilung der Entscheidung

Die vollstreckende Justizbehörde teilt der ausstellenden Justizbehörde unverzüglich ihre


Entscheidung über die Vollstreckung oder Nichtvollstreckung des Europäischen
Haftbefehls mit.

Artikel 23

Frist für die Übergabe der Person

(1) Die Übergabe der gesuchten Person erfolgt so bald wie möglich zu einem
zwischen den betreffenden Behörden vereinbarten Zeitpunkt.

(2) Die Übergabe erfolgt spätestens zehn Tage nach der endgültigen Entscheidung
über die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls.

(3) Ist die Übergabe der gesuchten Person innerhalb der in Absatz 2 genannten Frist
aufgrund von Umständen, die sich dem Einfluss der Mitgliedstaaten entziehen,
unmöglich, setzen sich die vollstreckende und die ausstellende Justizbehörde
unverzüglich miteinander in Verbindung und vereinbaren ein neues
Übergabedatum. In diesem Fall erfolgt die Übergabe binnen zehn Tagen nach
dem vereinbarten neuen Termin.

(4) Die Übergabe kann aus schwerwiegenden humanitären Gründen, z. B. wenn


ernsthafte Gründe für die Annahme bestehen, dass die Vollstreckung
offensichtlich eine Gefährdung für Leib oder Leben der gesuchten Person
darstellt, ausnahmsweise ausgesetzt werden. Die Vollstreckung des
Europäischen Haftbefehls erfolgt, sobald diese Gründe nicht mehr gegeben sind.
Die vollstreckende Justizbehörde setzt die ausstellende Justizbehörde
unverzüglich davon in Kenntnis und vereinbart ein neues Übergabedatum. In
diesem Fall erfolgt die Übergabe binnen zehn Tagen nach dem vereinbarten
neuen Termin.

(5) Befindet sich die betreffende Person nach Ablauf der in den Absätzen 2 bis 4
genannten Fristen noch immer in Haft, wird sie freigelassen.

Artikel 24

Aufgeschobene oder bedingte Übergabe

(1) Die vollstreckende Justizbehörde kann nach der Entscheidung zur Vollstreckung
des Europäischen Haftbefehls die Übergabe der gesuchten Person aufschieben,
damit diese im Vollstreckungsstaat gerichtlich verfolgt werden oder, falls sie
bereits verurteilt worden ist, im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaats eine
Strafe verbüßen kann, die wegen einer anderen als der im Europäischen
Haftbefehl genannten Handlung gegen sie verhängt wurde.

(2) Statt die Übergabe aufzuschieben, kann die vollstreckende Justizbehörde die
gesuchte Person dem Ausstellungsstaat vorübergehend unter Bedingungen

87
übergeben, die von der vollstreckenden und der ausstellenden Justizbehörde
vereinbart werden. Die Vereinbarung muss in Schriftform erfolgen, und die
Bedingungen sind für alle Behörden des Ausstellungsmitgliedstaats verbindlich.

Artikel 25

Durchlieferung

(1) Jeder Mitgliedstaat bewilligt die Durchlieferung einer gesuchten Person zu


Zwecken der Übergabe durch sein Hoheitsgebiet, es sei denn, er macht von der
Möglichkeit der Ablehnung Gebrauch, wenn die Durchlieferung eines seiner
Staats- oder Gebietsangehörigen zum Zwecke der Vollstreckung einer
Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung
beantragt wird; die Genehmigung hängt von der Übermittlung folgender
Angaben ab:

a) die Identität und die Staatsangehörigkeit der Person, gegen die ein
Europäischer Haftbefehl erlassen wurde;

b) das Vorliegen eines Europäischen Haftbefehls;

c) die Art und die rechtliche Würdigung der Straftat;

d) die Beschreibung der Umstände, unter denen die Straftat begangen wurde,
einschließlich der Tatzeit und des Tatortes.

Ist die Person, gegen die ein Europäischer Haftbefehl zum Zwecke der
Strafverfolgung ergangen ist, Staatsangehöriger des Durchlieferungsstaats oder
in diesem wohnhaft, so kann die Durchlieferung davon abhängig gemacht
werden, dass die Person nach Gewährung rechtlichen Gehörs zur Verbüßung der
Freiheitsstrafe oder der freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung, die im
Ausstellungsmitgliedstaat gegen sie verhängt wird, in den
Durchlieferungsmitgliedstaat rücküberstellt wird.

(2) Jeder Mitgliedstaat bezeichnet eine zuständige Behörde für die Entgegennahme
der Durchlieferungsersuchen und der erforderlichen Unterlagen sowie des
sonstigen amtlichen Schriftverkehrs im Zusammenhang mit
Durchlieferungsersuchen. Die Mitgliedstaaten teilen die bezeichneten Behörden
dem Generalsekretariat des Rates mit.

(3) Das Durchlieferungsersuchen und die Informationen nach Absatz 1 können der
nach Absatz 2 bezeichneten Behörde in jeder Form, die einen schriftlichen
Nachweis ermöglicht, übermittelt werden. Der Durchlieferungsmitgliedstaat teilt
seine Entscheidung auf dem gleichen Wege mit.

(4) Dieser Rahmenbeschluss findet keine Anwendung auf die Durchlieferung auf
dem Luftweg ohne eingeplante Zwischenlandung. Wenn es jedoch zu einer
außerplanmäßigen Landung kommt, übermittelt der Ausstellungsmitgliedstaat
der nach Absatz 2 bezeichneten Behörde die Informationen nach Absatz 1.

88
(5) Betrifft die Durchlieferung eine Person, die aus einem Drittstaat an einen
Mitgliedstaat ausgeliefert werden soll, so findet dieser Artikel entsprechende
Anwendung. Insbesondere gilt in diesem Fall der Ausdruck „Europäischer
Haftbefehl” als ersetzt durch „Auslieferungsersuchen”.

KAPITEL 3

WIRKUNG DER ÜBERGABE

Artikel 26

Anrechnung der im Vollstreckungsstaat verbüßten Haft

(1) Der Ausstellungsmitgliedstaat rechnet die Dauer der Haft aus der Vollstreckung
eines Europäischen Haftbefehls auf die Gesamtdauer des Freiheitsentzugs an,
die im Ausstellungsmitgliedstaat aufgrund der Verurteilung zu einer
Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung zu
verbüßen wäre.

(2) Dazu sind der ausstellenden Justizbehörde zum Zeitpunkt der Übergabe von der
vollstreckenden Justizbehörde oder der nach Artikel 7 bezeichneten
Zentralbehörde alle Angaben zur Dauer der Haft der aufgrund des Europäischen
Haftbefehls gesuchten Person zu übermitteln.

Artikel 27

Etwaige Strafverfolgung wegen anderer Straftaten

(1) Jeder Mitgliedstaat kann dem Generalsekretariat des Rates mitteilen, dass in
seinen Beziehungen zu anderen Mitgliedstaaten, die die gleiche Mitteilung
gemacht haben, die Zustimmung dazu, dass eine Person wegen einer anderen
vor der Übergabe begangenen Handlung als derjenigen, die der Übergabe
zugrunde liegt, verfolgt, verurteilt oder zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe
oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung in Haft gehalten wird,
als erteilt gilt, sofern die vollstreckende Justizbehörde im Einzelfall in ihrer
Übergabeentscheidung keine anders lautende Erklärung abgibt.

(2) Außer in den in den Absätzen 1 und 3 vorgesehenen Fällen dürfen Personen, die
übergeben wurden, wegen einer vor der Übergabe begangenen anderen
Handlung als derjenigen, die der Übergabe zugrunde liegt, weder verfolgt noch
verurteilt noch einer freiheitsentziehenden Maßnahme unterworfen werden.

(3) Absatz 2 findet in folgenden Fällen keine Anwendung:

a) wenn die Person das Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates, dem sie übergeben
worden ist, innerhalb von 45 Tagen nach ihrer endgültigen Freilassung
nicht verlassen hat, obwohl sie dazu die Möglichkeit hatte, oder wenn sie
nach Verlassen dieses Gebiets dorthin zurückgekehrt ist;

89
b) wenn die Straftat nicht mit einer Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden
Maßregel der Sicherung bedroht ist;

c) wenn die Strafverfolgung nicht zur Anwendung einer die persönliche


Freiheit beschränkenden Maßnahme führt;

d) wenn die Person der Vollstreckung einer Strafe oder Maßregel der
Sicherung ohne Freiheitsentzug, insbesondere einer Geldstrafe bzw. einer
vermögensrechtlichen Maßnahme oder der an deren Stelle tretenden
Maßnahme unterzogen wird, selbst wenn diese Strafe oder Maßnahme die
persönliche Freiheit einschränken kann;

e) wenn die Person ihre Zustimmung zur Übergabe und gegebenenfalls den
Verzicht auf die Anwendung des Grundsatzes der Spezialität gemäß
Artikel 13 erklärt hat;

f) wenn die Person nach ihrer Übergabe ausdrücklich auf die Anwendung
des Grundsatzes der Spezialität in Bezug auf bestimmte vor der Übergabe
begangene Handlungen verzichtet hat. Die Verzichterklärung wird vor den
zuständigen Justizbehörden des Ausstellungsmitgliedstaats abgegeben und
nach dessen innerstaatlichem Recht zu Protokoll genommen. Die
Verzichterklärung ist so abzufassen, dass aus ihr hervorgeht, dass die
betreffende Person sie freiwillig und in voller Kenntnis der sich daraus
ergebenden Folgen abgegeben hat. Zu diesem Zweck hat die Person das
Recht, einen Rechtsbeistand hinzuzuziehen;

g) wenn die vollstreckende Justizbehörde, die die Person übergeben hat, ihre
Zustimmung nach Absatz 4 gibt.

(4) Das Ersuchen um Zustimmung ist unter Beifügung der in Artikel 8 Absatz 1
erwähnten Angaben und einer Übersetzung gemäß Artikel 8 Absatz 2 an die
vollstreckende Justizbehörde zu richten. Die Zustimmung wird erteilt, wenn die
Straftat, derentwegen um Zustimmung ersucht wird, nach diesem
Rahmenbeschluss der Verpflichtung zur Übergabe unterliegt. Die Zustimmung
wird verweigert, wenn die in Artikel 3 genannten Gründe vorliegen; ansonsten
kann sie nur aus den in Artikel 4 genannten Gründen verweigert werden. Die
Entscheidung ist spätestens 30 Tage nach Eingang des Ersuchens zu treffen.

In den Fällen des Artikels 5 sind die dort vorgesehenen Garantien vom
Ausstellungsmitgliedstaat zu geben.

Artikel 28

Weitere Übergabe oder Auslieferung

(1) Jeder Mitgliedstaat kann dem Generalsekretariat des Rates mitteilen, dass in
seinen Beziehungen zu anderen Mitgliedstaaten, die die gleiche Mitteilung
gemacht haben, die Zustimmung dazu, dass eine Person einem anderen
Mitgliedstaat als dem Vollstreckungsmitgliedstaat aufgrund eines Europäischen
Haftbefehls, dem eine vor ihrer Übergabe begangene Handlung zugrunde liegt,
übergeben wird, als erteilt gilt, sofern die vollstreckende Justizbehörde im

90
Einzelfall in ihrer Übergabeentscheidung keine anders lautende Erklärung
abgibt.

(2) In jedem Fall können Personen, die dem Ausstellungsmitgliedstaat aufgrund


eines Europäischen Haftbefehls übergeben wurden, ohne die Zustimmung des
Vollstreckungsmitgliedstaats einem anderen Mitgliedstaat als dem
Vollstreckungsmitgliedstaat aufgrund eines Europäischen Haftbefehls, dem eine
vor der Übergabe begangene Handlung zugrunde liegt, in den folgenden Fällen
übergeben werden:

a) wenn die gesuchte Person das Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, dem sie
übergeben worden ist, innerhalb von 45 Tagen nach ihrer endgültigen
Freilassung nicht verlassen hat, obwohl sie dazu die Möglichkeit hatte,
oder wenn sie nach Verlassen dieses Gebiets dorthin zurückgekehrt ist;

b) wenn die gesuchte Person ihrer Übergabe an einen anderen Mitgliedstaat


als den Vollstreckungsmitgliedstaat aufgrund eines Europäischen
Haftbefehls zustimmt. Die Zustimmung wird vor den zuständigen
Justizbehörden des Ausstellungsmitgliedstaats erklärt und nach dessen
innerstaatlichem Recht zu Protokoll genommen. Die
Zustimmungserklärung ist so abzufassen, dass aus ihr hervorgeht, dass die
betreffende Person sie freiwillig und in voller Kenntnis der sich daraus
ergebenden Folgen gegeben hat. Zu diesem Zweck hat die gesuchte
Person das Recht, einen Rechtsbeistand hinzuzuziehen;

c) wenn der Grundsatz der Spezialität auf die gesuchte Person gemäß
Artikel 22 Absatz 3 Buchstaben a, e, f und g nicht anzuwenden ist.

(3) Die vollstreckende Justizbehörde stimmt der Übergabe an einen anderen


Mitgliedstaat gemäß den folgenden Bestimmungen zu:

a) Das Ersuchen um Zustimmung ist gemäß Artikel 9 unter Beifügung der in


Artikel 8 Absatz 1 erwähnten Informationen und der in Artikel 8 Absatz 2
vorgesehenen Übersetzung zu stellen.

b) Die Zustimmung wird erteilt, wenn die Straftat, derentwegen um


Zustimmung ersucht wird, nach diesem Rahmenbeschluss der
Verpflichtung zur Übergabe unterliegt.

c) Die Entscheidung ist spätestens 30 Tage nach Eingang des Ersuchens zu


treffen.

d) Die Zustimmung wird verweigert, wenn die in Artikel 3 genannten


Gründe vorliegen; ansonsten kann sie nur aus den in Artikel 4 genannten
Gründen verweigert werden.

In den in Artikel 5 genannten Fällen sind die dort vorgesehenen Garantien vom
Ausstellungsstaat zu geben.

(4) Ungeachtet des Absatzes 1 darf eine Person, die aufgrund eines Europäischen
Haftbefehls übergeben wurde, nicht ohne die Zustimmung der zuständigen
Behörden des Mitgliedstaats, der die Person übergeben hat, an einen Drittstaat

91
ausgeliefert werden. Die Zustimmung ist gemäß den Übereinkommen, die
diesen Mitgliedstaat binden, sowie gemäß seinen innerstaatlichen
Rechtsvorschriften zu geben.

Artikel 29

Übergabe von Gegenständen

(1) Auf Verlangen der ausstellenden Justizbehörde oder von Amtes wegen
beschlagnahmt und übergibt die vollstreckende Justizbehörde nach Maßgabe
ihres innerstaatlichen Rechts die Gegenstände,

a) die als Beweisstücke dienen können; oder

b) die die gesuchte Person aus der Straftat erlangt hat.

(2) Die in Absatz 1 erwähnten Gegenstände sind selbst dann zu übergeben, wenn
der Europäische Haftbefehl infolge des Todes oder der Flucht der gesuchten
Person nicht vollstreckt werden kann.

(3) Unterliegen die in Absatz 1 genannten Gegenstände im Hoheitsgebiet des


Vollstreckungsmitgliedstaats der Beschlagnahme oder Einziehung, so kann er
sie, wenn sie für ein anhängiges Strafverfahren benötigt werden, vorübergehend
zurückbehalten oder unter der Bedingung der Rückgabe an den
Ausstellungsmitgliedstaat herausgeben.

(4) Rechte des Vollstreckungsmitgliedstaats oder Dritter an den in Absatz 1


genannten Gegenständen bleiben vorbehalten. Bestehen solche Rechte, so sind
die Gegenstände vom Ausstellungsmitgliedstaat nach Abschluss des
Strafverfahrens unverzüglich und kostenlos dem Vollstreckungsmitgliedstaat
zurückzugeben.

Artikel 30

Kosten

(1) Kosten, die durch die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls im


Hoheitsgebiet des Vollstreckungsmitgliedstaats entstehen, gehen zu dessen
Lasten.

(2) Alle sonstigen Kosten gehen zu Lasten des Ausstellungsmitgliedstaats.

92
KAPITEL 4

ALLGEMEINE SCHLUSSBESTIMMUNGEN

Artikel 31

Verhältnis zu anderen Übereinkommen

(1) Dieser Rahmenbeschluss ersetzt am 1. Januar 2004 die entsprechenden


Bestimmungen der folgenden in den Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten
im Bereich der Auslieferung geltenden Übereinkommen, unbeschadet von deren
Anwendbarkeit in den Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und
Drittstaaten:

a) das Europäische Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957,


das dazugehörige Zusatzprotokoll vom 15. Oktober 1975, das
dazugehörige Zweite Zusatzprotokoll vom 17. März 1978 und das
Europäische Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus
vom 27. Januar 1977, soweit es sich auf die Auslieferung bezieht;

b) das Übereinkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen


Gemeinschaften über die Vereinfachung und Modernisierung der
Verfahren zur Übermittlung von Auslieferungsersuchen
vom 26. Mai 1989;

c) das Übereinkommen vom 10. März 1995 über das vereinfachte


Auslieferungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen
Union und

d) das Übereinkommen vom 27. September 1996 über die Auslieferung


zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union;

e) den Titel III Kapitel 4 des Übereinkommens vom 19. Juni 1990 zur
Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985
betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen
Grenzen.

(2) Es steht den Mitgliedstaaten frei, auch weiterhin die zum Zeitpunkt der
Annahme dieses Rahmenbeschlusses geltenden bilateralen oder multilateralen
Abkommen oder Übereinkünfte anzuwenden, sofern diese die Möglichkeit
bieten, über die Ziele dieses Beschlusses hinauszugehen, und zu einer weiteren
Vereinfachung oder Erleichterung der Verfahren zur Übergabe von Personen
beitragen, gegen die ein Europäischer Haftbefehl vorliegt.

Es steht den Mitgliedstaaten frei, nach Inkrafttreten dieses Rahmenbeschlusses


bilaterale oder multilaterale Abkommen oder Übereinkünfte zu schließen, sofern
diese die Möglichkeit bieten, über die Vorschriften dieses Beschlusses
hinauszugehen, und zu einer Vereinfachung oder Erleichterung der Verfahren
zur Übergabe von Personen beitragen, gegen die ein Europäischer Haftbefehl

93
vorliegt, insbesondere indem kürzere Fristen als nach Artikel 17 festgelegt
werden, die Liste der in Artikel 2 Absatz 2 angeführten Straftaten ausgeweitet
wird, die Ablehnungsgründe nach den Artikeln 3 und 4 zusätzlich eingeschränkt
werden oder der Schwellenwert nach Artikel 2 Absatz 1 oder Absatz 2 gesenkt
wird.

Die Abkommen und Übereinkünfte nach Unterabsatz 2 dürfen auf keinen Fall
die Beziehungen zu den Mitgliedstaaten beeinträchtigen, die nicht
Vertragspartei dieser Übereinkünfte sind.

Die Mitgliedstaaten unterrichten den Rat und die Kommission binnen drei
Monaten nach Inkrafttreten dieses Rahmenbeschlusses von den bestehenden
Abkommen oder Übereinkünften nach Unterabsatz 1, die sie auch weiterhin
anwenden wollen.

Die Mitgliedstaaten unterrichten den Rat und die Kommission ferner über alle
neuen Abkommen oder Übereinkünfte im Sinne von Unterabsatz 2 binnen drei
Monaten nach deren Unterzeichnung.

(3) Soweit die in Absatz 1 genannten Abkommen oder Übereinkünfte für


Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten oder für Hoheitsgebiete, deren auswärtige
Beziehungen ein Mitgliedstaat wahrnimmt, gelten, auf die dieser
Rahmenbeschluss keine Anwendung findet, sind diese Instrumente weiterhin für
die Beziehungen zwischen diesen Hoheitsgebieten und den übrigen
Mitgliedstaaten maßgebend.

Artikel 32

Übergangsbestimmung

(1) Für die vor dem 1. Januar 2004 eingegangenen Auslieferungsersuchen gelten
weiterhin die im Bereich der Auslieferung bestehenden Instrumente. Für die
nach diesem Zeitpunkt eingegangenen Ersuchen gelten die von den
Mitgliedstaaten gemäß diesem Rahmenbeschluss erlassenen Bestimmungen.
Jeder Mitgliedstaat kann jedoch zum Zeitpunkt der Annahme dieses
Rahmenbeschlusses eine Erklärung abgegeben, dass er als
Vollstreckungsmitgliedstaat auch weiterhin Ersuchen im Zusammenhang mit
Handlungen, die vor einem von ihm festzulegenden Zeitpunkt begangen
wurden, nach der vor dem 1. Januar 2004 geltenden Auslieferungsregelung
behandeln wird. Der betreffende Zeitpunkt darf nicht nach dem 7. August 2002
liegen. Diese Erklärung wird im Amtsblatt veröffentlicht. Sie kann jederzeit
zurückgezogen werden.

Artikel 33

Bestimmung betreffend Österreich und Gibraltar

(1) Solange Österreich Artikel 12 Absatz 1 seines Auslieferungs- und


Rechtshilfegesetzes nicht geändert hat, spätestens jedoch bis
zum 31. Dezember 2008, darf Österreich seinen vollstreckenden Justizbehörden

94
gestatten, die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls abzulehnen, wenn
es sich bei der gesuchten Person um einen österreichischen Staatsbürger handelt
und wenn die Handlung, derentwegen der Europäische Haftbefehl erlassen
worden ist, nach österreichischem Recht nicht strafbar ist.

(2) Dieser Rahmenbeschluss findet auch auf Gibraltar Anwendung.

Artikel 34

Durchführung

(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um diesem


Rahmenbeschluss bis zum 31. Dezember 2003 nachzukommen.

(2) Die Mitgliedstaaten teilen dem Generalsekretariat des Rates und der
Kommission den Wortlaut der Bestimmungen mit, die sie zur Umsetzung der
sich aus diesem Rahmenbeschluss ergebenden Verpflichtungen in ihr
innerstaatliches Recht erlassen haben. Dabei kann jeder Mitgliedstaat angeben,
dass er diesen Rahmenbeschluss in seinen Beziehungen zu den Mitgliedstaaten,
die die gleiche Mitteilung gemacht haben, unverzüglich anwendet.

Das Generalsekretariat des Rates übermittelt den Mitgliedstaaten und der


Kommission die nach Artikel 7 Absatz 2, Artikel 8 Absatz 2, Artikel 13
Absatz 4 und Artikel 25 Absatz 2 eingegangenen Informationen. Es trägt auch
für die Veröffentlichung im Amtsblatt Sorge.

(3) Auf der Grundlage von Informationen, die das Generalsekretariat des Rates
vorlegt, übermittelt die Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat
bis zum 31. Dezember 2004 einen Bericht über die Anwendung dieses
Rahmenbeschlusses, dem sie gegebenenfalls Gesetzgebungsvorschläge beifügt.

(4) Der Rat überprüft in der zweiten Hälfte des Jahres 2003 insbesondere die
praktische Umsetzung der Bestimmungen des vorliegenden Rahmenbeschlusses
in den Mitgliedstaaten sowie die Funktionsweise des SIS.

Artikel 35

Inkrafttreten

Dieser Rahmenbeschluss tritt am zwanzigsten Tag nach seiner Veröffentlichung im


Amtsblatt in Kraft.

Geschehen zu Luxemburg am 13. Juni 2002

Im Namen des Rates


Der Präsident
M. RAJOY BREY

95
ANHANG II — EuHB-FORMBLATT, enthalten im Anhang des
EuHB-Rahmenbeschlusses

EUROPÄISCHER HAFTBEFEHL1

Dieser Haftbefehl ist von einer zuständigen Justizbehörde ausgestellt worden. Ich
beantrage, dass die unten genannte Person zum Zwecke der Strafverfolgung oder der
Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der
Sicherung festgenommen und übergeben wird.
a) Angaben zur Identität der gesuchten Person:
Familienname: .............................................................................................................................
Vorname(n): ................................................................................................................................
ggf. Geburtsname: .......................................................................................................................
ggf. Aliasname: ............................................................................................................................
Geschlecht: ..................................................................................................................................
Staatsangehörigkeit: ....................................................................................................................
Geburtsdatum: .............................................................................................................................
Geburtsort: ...................................................................................................................................
Wohnort und/oder bekannte Anschrift: .......................................................................................
......................................................................................................................................................
Falls bekannt: Sprache oder Sprachen, die die gesuchte Person versteht:
......................................................................................................................................................
Besondere Kennzeichen/Beschreibung der gesuchten Person: ...................................................
......................................................................................................................................................

Foto und Fingerabdrücke der gesuchten Person, sofern diese vorhanden sind und übermittelt
werden können, oder Kontaktadresse der Person, die diese oder ein DNS-Profil übermitteln
kann (sofern diese Daten zur Übermittlung verfügbar sind und nicht beigefügt waren).

1
Der Haftbefehl ist in einer der Amtssprachen des Vollstreckungsstaats oder in einer von diesem
Staat akzeptierten Sprache auszufertigen bzw. in eine solche Sprache zu übersetzen, wenn dieser
Staat bekannt ist.

96
b) Entscheidung, die dem Haftbefehl zugrunde liegt:

1. Haftbefehl oder justizielle Entscheidung mit gleicher Wirkung: .....................................

Art: ....................................................................................................................................

2. Vollstreckbares Urteil: ......................................................................................................


............................................................................................................................................
Aktenzeichen: ....................................................................................................................

c) Angaben zur Dauer der Strafe:

1. Höchstdauer der Freiheitsstrafe oder der freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung,


die für die Straftat(en) verhängt werden kann:
......................................................................................................................................................
......................................................................................................................................................

2. Dauer der verhängten Freiheitsstrafe oder der freiheitsentziehenden Maßregel der


Sicherung:
......................................................................................................................................................

Noch zu verbüßende Strafe: ...............................................................................................


......................................................................................................................................................
......................................................................................................................................................

d) Geben Sie an, ob die Person zu der Verhandlung, die zu der Entscheidung geführt hat,
persönlich erschienen ist:

1. Ja, die Person ist zu der Verhandlung, die zu der Entscheidung geführt hat,
persönlich erschienen.

2. Nein, die Person ist zu der Verhandlung, die zu der Entscheidung geführt hat,
nicht persönlich erschienen.

3. Bitte geben Sie zu der unter Nummer 2 angekreuzten Möglichkeit an, dass eine der
folgenden Möglichkeiten zutrifft:

97
3.1a Die Person wurde am … (Tag/Monat/Jahr) persönlich vorgeladen und dabei
von dem vorgesehenen Termin und Ort der Verhandlung in Kenntnis gesetzt, die zu der
Entscheidung geführt hat, sowie davon in Kenntnis gesetzt, dass eine Entscheidung auch
dann ergehen kann, wenn sie zu der Verhandlung nicht erscheint;

ODER

3.1b die Person wurde nicht persönlich vorgeladen, aber auf andere Weise
tatsächlich offiziell von dem vorgesehenen Termin und Ort der Verhandlung, die zu der
Entscheidung geführt hat, in Kenntnis gesetzt, und zwar auf eine Weise, dass zweifelsfrei
nachgewiesen wurde, dass sie von der anberaumten Verhandlung Kenntnis hatte, sowie
davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass eine Entscheidung auch dann ergehen kann, wenn
sie zu der Verhandlung nicht erscheint;

ODER

3.2. die Person hat in Kenntnis der anberaumten Verhandlung ein Mandat an
einen Rechtsbeistand, der entweder von der betroffenen Person oder vom Staat bestellt
wurde, erteilt, sie bei der Verhandlung zu verteidigen, und ist bei der Verhandlung von
diesem Rechtsbeistand tatsächlich verteidigt worden;

ODER

3.3. der Person wurde die Entscheidung am … (Tag/Monat/Jahr) zugestellt, und


sie wurde ausdrücklich von ihrem Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder auf ein
Berufungsverfahren in Kenntnis gesetzt, an dem die Person teilnehmen kann und bei dem
der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft werden und die
ursprünglich ergangene Entscheidung aufgehoben werden kann, und

die Person hat ausdrücklich erklärt, dass sie diese Entscheidung nicht anficht;

ODER

die Person hat innerhalb der geltenden Frist keine Wiederaufnahme des
Verfahrens bzw. kein Berufungsverfahren beantragt;
ODER

98
3.4. der Person wurde die Entscheidung nicht persönlich zugestellt, aber

- sie wird die Entscheidung unverzüglich nach der Übergabe persönlich zugestellt
erhalten, und

- sie wird bei Zustellung der Entscheidung ausdrücklich von ihrem Recht auf
Wiederaufnahme des Verfahrens oder auf ein Berufungsverfahren in Kenntnis
gesetzt werden, an dem die Person teilnehmen kann und bei dem der Sachverhalt,
einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft werden und die ursprünglich
ergangene Entscheidung aufgehoben werden kann, und

- sie wird von der Frist in Kenntnis gesetzt werden, über die sie verfügt, um eine
Wiederaufnahme des Verfahrens bzw. ein Berufungsverfahren zu beantragen, die …
Tage beträgt.

4. Bitte geben Sie zu der unter Nummer 3.1b, 3.2 oder 3.3 angekreuzten Möglichkeit
an, wie die entsprechende Voraussetzung erfüllt wurde:

………………………………………………………………………………………………
………………………………………………………………………………………………

e) Straftat(en)

Dieser Haftbefehl bezieht sich auf insgesamt ......... Straftat(en)

Beschreibung der Umstände, unter denen die Straftat(en) begangen wurde(n), einschließlich Tatzeit
(Datum und Uhrzeit), Tatort und Art der Beteiligung der gesuchten Person an der(n) Straftat(en).
................................................................................................................................................................
................................................................................................................................................................
................................................................................................................................................................

Art und rechtliche Würdigung der Straftat(en) und anwendbare gesetzliche Bestimmungen:
................................................................................................................................................................
................................................................................................................................................................

99
................................................................................................................................................................
................................................................................................................................................................
................................................................................................................................................................

I. Bitte kreuzen Sie gegebenenfalls an, ob es sich um eine oder mehrere der folgenden – nach
dem Recht des Ausstellungsstaats definierten – Straftaten handelt, die im
Ausstellungsmitgliedstaat mit einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden
Maßnahme der Sicherung im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht sind:

Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung

Terrorismus

Menschenhandel

sexuelle Ausbeutung von Kindern und Kinderpornografie

illegaler Handel mit Drogen und psychotropen Stoffen

illegaler Handel mit Waffen, Munition und Sprengstoffen

Korruption

Betrugsdelikte einschließlich Betrug zum Nachteil der finanziellen Interessen der


Europäischen Gemeinschaften im Sinne des Übereinkommens vom 26. Juli 1995 über den
Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften

Wäsche von Erträgen aus Straftaten

Geldfälschung einschließlich der Euro-Fälschung

Cyberkriminalität

Umweltkriminalität einschließlich illegaler Handel mit bedrohten Tierarten oder mit


bedrohten Pflanzen- und Baumarten

Beihilfe zur illegalen Einreise und zum illegalen Aufenthalt

vorsätzliche Tötung, schwere Körperverletzung

illegaler Handel mit Organen und menschlichem Gewebe

Entführung, Freiheitsberaubung und Geiselnahme

Rassismus und Fremdenfeindlichkeit

100
Diebstahl in organisierter Form oder schwerer Raub

illegaler Handel mit Kulturgütern einschließlich Antiquitäten und Kunstgegenstände

Betrug

Erpressung und Schutzgelderpressung

Nachahmung und Produktpiraterie

Fälschung von amtlichen Dokumenten und Handel damit

Fälschung von Zahlungsmitteln

illegaler Handel mit Hormonen und anderen Wachstumsförderern

illegaler Handel mit nuklearen und radioaktiven Substanzen

Handel mit gestohlenen Kraftfahrzeugen

Vergewaltigung

Brandstiftung

Verbrechen, die in die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs fallen

Flugzeug-/Schiffsentführung

Sabotage

II. Vollständige Beschreibung der Straftat oder der Straftaten, die nicht unter die Fälle nach
Abschnitt I fallen:

................................................................................................................................................................
................................................................................................................................................................

f) Sonstige für den Fall relevante Umstände (fakultative Angaben):


(NB: Hierunter könnten Bemerkungen zur Extraterritorialität, zur Unterbrechung der
Verjährungsfristen und zu sonstigen Folgen der Straftat fallen).
................................................................................................................................................................
................................................................................................................................................................

101
g) Dieser Haftbefehl betrifft auch die Beschlagnahme und Übergabe von Gegenständen, die als
Beweisstücke dienen können:

Dieser Haftbefehl betrifft auch die Beschlagnahme und Übergabe von Gegenständen, die die
gesuchte Person aus der Straftat erlangt hat.

Beschreibung (und Lokalisierung) der Gegenstände (falls bekannt):


......................................................................................................................................................
......................................................................................................................................................
......................................................................................................................................................

h) Die Straftat/Straftaten, aufgrund deren dieser Haftbefehl ausgestellt wurde, ist/sind mit einer
lebenslangen Freiheitsstrafe oder einer lebenslangen Maßregel der Sicherung bedroht oder
hat/haben zur Verhängung einer solchen Strafe bzw. Maßregel geführt:

— Nach der Rechtsordnung des Ausstellungsmitgliedstaats kann die verhängte Strafe – auf
Antrag oder nach mindestens 20 Jahren – daraufhin überprüft werden, ob die Vollstreckung
dieser Strafe oder Maßregel auszusetzen ist,

und/oder

— nach der Rechtsordnung des Ausstellungsmitgliedstaats können Gnadenakte, auf die die
Person nach dem innerstaatlichen Recht oder der Rechtspraxis des Ausstellungsmitgliedstaats
Anspruch hat, mit dem Ziel der Nichtvollstreckung dieser Strafe oder Maßregel angewandt
werden.

i) Justizbehörde, die den Haftbefehl ausgestellt hat:


Offizielle Bezeichnung: ...............................................................................................................

Name ihres Vertreters2: ...............................................................................................................

Funktion (Titel/Dienstrang): ........................................................................................................

Aktenzeichen: ..............................................................................................................................
Anschrift: .....................................................................................................................................

Telefonnummer: (Ländervorwahl) (Ortsnetzkennzahl) (...) ........................................................


Fax-Nummer: (Ländervorwahl) (Ortsnetzkennzahl) (...) ............................................................

2
In die einzelnen Sprachfassungen ist eine Bezugnahme auf den „Träger“ der Justizbehörde
aufzunehmen.

102
E-Mail: .........................................................................................................................................
Kontaktdaten der Person, die die erforderlichen praktischen Vorkehrungen für die Übergabe
treffen kann: .................................................................................................................................

Im Fall der Benennung einer zentralen Behörde für die Übermittlung und administrative
Entgegennahme von Europäischen Haftbefehlen:

Bezeichnung der zentralen Behörde: ...........................................................................................


......................................................................................................................................................
ggf. zu kontaktierende Person (Titel/Dienstrang und Name): .....................................................
......................................................................................................................................................
Anschrift: ................................................................................................
.......................................................................................................................................................
Telefonnummer: (Ländervorwahl) (Ortsnetzkennzahl) (...) ........................................................
Fax-Nr.: (Ländervorwahl) (Ortsnetzkennzahl) (...) .....................................................................
E-Mail: .........................................................................................................................................

Unterschrift der ausstellenden Justizbehörde und/oder ihres Vertreters:


...............................................................................................................................................................

Name: ....................................................................................................................................................
Funktion (Titel/Dienstrang): .................................................................................................................
Datum: ...................................................................................................................................................

(ggf.) amtlicher Stempel

103
ANHANG III — LEITLINIEN FÜR DAS AUSFÜLLEN EINES
EuHB-FORMBLATTS
Dieser Haftbefehl ist von einer zuständigen Justizbehörde ausgestellt worden. Ich
beantrage, dass die unten genannte Person zum Zwecke der Strafverfolgung oder der
Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der
Sicherung festgenommen und übergeben wird.

Kommentar:
– Es wird dazu geraten, zum Abfassen eines EuHB den Kompendium-Assistenten
auf der Website des Europäischen Justiziellen Netzes (EJN) zu verwenden. Mit
diesem Online-Tool ist das Ausfüllen genauso einfach wie im Word-Format,
aber darüber hinaus bietet es eine Reihe moderner, benutzerfreundlicher
Funktionen wie etwa die Möglichkeit, die zuständigen vollstreckenden
Justizbehörden direkt aus dem EJN-Gerichtsatlas zu übernehmen, den Text des
Vordrucks sofort in der oder den vom Vollstreckungsmitgliedstaat akzeptierten
Sprache(n) aufzurufen, und die Abspeicherung und Versendung des Formblatts
per E-Mail.

– Es wird empfohlen, das Formblatt im Word-Format in der Sprache der


ausstellenden Justizbehörde (also in Ihrer Sprache) von der EJN-Website
(Rubrik Justiz-Bibliothek) herunterzuladen und es lokal auf Ihrem Computer
abzuspeichern für den Fall, dass die Website bei dringendem Bedarf gerade
nicht zugänglich ist.

– Des Weiteren ist es ratsam, das Formblatt in allen – und insbesondere in den von
anderen Mitgliedstaaten häufiger akzeptierten – Sprachen von der EJN-Website
(Rubrik Justiz-Bibliothek) herunterzuladen und auf Ihrem Computer zu
speichern.

– Wenn Sie das Formblatt im Word-Format verwenden, füllen Sie es bitte


elektronisch (nicht handschriftlich) in Ihrer Muttersprache aus. Wenn Sie den
Kompendium-Assistenten benutzen, erfolgt das Ausfüllen immer elektronisch.

– Ist ein Feld nicht relevant, tragen Sie „entfällt“ ein oder verdeutlichen sie,
z. B. durch ein Symbol (z. B. einen Gedankenstrich), dass Sie hierzu keine
Angaben machen können. Bitte nie ein Feld löschen oder das EuHB-Formblatt
anderweitig verändern.

– Bezieht sich der EuHB auf mehrere Straftaten, nummerieren Sie diese bitte
fortlaufend durch (1, 2, 3 usw.) und behalten Sie die Nummerierung im
gesamten Formblatt bei, insbesondere in Kasten b).

104
Kasten a)
Angaben zur Identifizierung der gesuchten Person
Kommentar:
Bitte füllen Sie nach Möglichkeit alle Felder aus.

a) Angaben zur Identität der gesuchten Person:

Familienname: Kommentar: obligatorisches Feld. Geben Sie auch etwaige frühere


offizielle Namen an, sofern bekannt, und schreiben Sie ihn in der Schreibweise der
Landessprache; der Name sollte nicht übersetzt werden. Achten Sie auf die richtige
Reihenfolge der Namen, d. h. vergewissern Sie sich, dass Sie beim Familiennamen nicht
den Vornamen angeben, und prüfen Sie zur Sicherheit nochmals nach, wenn in der Akte
zwei oder mehrere Personen mit ähnlichen Namen (vielleicht in unterschiedlicher
Reihenfolge oder mit kleinen Abweichungen) auftauchen.

Vorname(n): Kommentar: obligatorisches Feld.

ggf. Geburtsname:

ggf. Aliasname: Kommentar: Dazu gehören auch Falschnamen. Spitznamen bitte in


Klammern setzen. Bedient sich die Person einer falschen Identität, so sollte diese in allen
Feldern angegeben werden, so z.B. falsches Geburtsdatum und falsche Anschrift.

Geschlecht: Kommentar: obligatorisches Feld.

Staatsangehörigkeit: Kommentar: obligatorisches Feld. Bei mehreren


Staatsangehörigkeiten bitte alle angeben.

Geburtsdatum: Kommentar: obligatorisches Feld.

Geburtsort: Kommentar: obligatorisches Feld, sofern bekannt.

Wohnort und/oder bekannte Anschrift: Kommentar: obligatorisches Feld, sofern bekannt.


Andernfalls bitte „unbekannt“ eintragen.

Falls bekannt: Sprache oder Sprachen, die die gesuchte Person versteht:

105
Besondere Kennzeichen/Beschreibung der gesuchten Person: Kommentar: obligatorisches
Feld, sofern dazu Angaben gemacht werden können. Bitte geben Sie auch an, ob die
Person gefährlich und/oder möglicherweise bewaffnet ist.

Foto und Fingerabdrücke der gesuchten Person, sofern diese vorhanden sind und übermittelt werden
können, oder Kontaktadresse der Person, die diese oder ein DNS-Profil übermitteln kann (sofern
diese Daten zur Übermittlung verfügbar sind und nicht beigefügt waren). Kommentar: Falls
vorhanden, besteht die Pflicht zur Übermittlung der Daten über Interpol oder das SIS. Dies ist
unerlässlich, um sicherzugehen, dass die richtige Person festgenommen wird.

Überprüfen sie die Angaben ein zweites Mal, sollte es in derselben Akte zwei oder mehrere
Personen mit ähnlichem Namen (vielleicht in umgekehrter Reihenfolge oder mit geringfügigen
Abweichungen) geben.

106
Kasten b)
Angaben zu der Entscheidung, die dem EuHB zugrunde liegt
Kommentar:
Dieses Formblatt ist dem Zweck des EuHB entsprechend – Fälle von Strafverfolgung
und/oder Verurteilung – auszufüllen. Der in Kasten b) verwendete Ausdruck
„Entscheidung, die dem Haftbefehl zugrunde liegt“ bezieht sich auf eine vom EuHB zu
trennende „justizielle Entscheidung“. Als „justizielle Entscheidungen“ gelten
Entscheidungen von Behörden eines Mitgliedstaats, deren Aufgabe die Strafrechtspflege
ist. Polizeibehörden gehören nicht dazu. Ist die Entscheidung, die zu der
freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung geführt hat, beispielsweise in ein
Abwesenheitsurteil umgewandelt worden, sollte ein neuer EuHB (mit dem neuen Titel)
ausgestellt werden.

Vorgerichtliches Stadium (Ausstellung des EuHB zum Zwecke der Strafverfolgung)

– b) 1. Angabe der Entscheidung, auf die sich der EuHB stützt (beispielsweise
richterliche Anordnung oder Haftbefehl vom tt/mm/jjjj zur Verhängung einer
Zwangsmaßnahme in Form der Untersuchungshaft). Hinweis: Wenn Feld b) 1.
ausgefüllt wurde, ist auch Feld c) 1. auszufüllen.

Nachgerichtliches Stadium (Ausstellung des EuHB zur Vollstreckung einer


Freiheitsstrafe/eines Abwesenheitsurteils)

– b) 1. Bei Ausstellung eines EuHB nach Aburteilung in Abwesenheit ist die


entsprechende gerichtliche Entscheidung anzuführen.

– b) 2. Urteil bzw. Entscheidung, die am tt/mm/jjjj rechtskräftig wurde, unter


Angabe des Aktenzeichens und des erkennenden Gerichts. Verhängte Strafen,
die – wie es in einigen Mitgliedstaaten der Fall ist – noch nicht vollstreckbar
sind, solange noch Rechtsmittel eingelegt werden können und sie noch nicht
rechtskräftig sind, sind unter b) 1. und NICHT unter b) 2. anzugeben.

Hinweis: Wenn Feld b) 2. ausgefüllt wurde, ist auch Feld c) 2. auszufüllen.

b) Entscheidung, die dem Haftbefehl zugrunde liegt:

1. Haftbefehl oder justizielle Entscheidung mit gleicher Wirkung:

Art: Kommentar: Geben Sie die entsprechende richterliche Anordnung oder andere
justizielle Anordnung sowie das Ausstellungsdatum und das Aktenzeichen an.

2. Vollstreckbares Urteil: Kommentar: Ist das Urteil vollstreckbar, geben Sie bitte auch
das Datum an, an dem es rechtskräftig wurde.

Aktenzeichen: Kommentar: Geben Sie das Datum, das Aktenzeichen und die Art der
Entscheidung an. Belassen Sie die Aktenzeichen in der Originalsprache.

107
Kasten c)
Angaben zur Dauer der Freiheitsstrafe/freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung
Kommentar:
Dieser Abschnitt dient dem Nachweis, dass der EuHB die Voraussetzungen gemäß
Artikel 2 Absatz 1 des EuHB-Rahmenbeschlusses erfüllt. Im vorgerichtlichen Stadium
ist dabei das grundsätzlich mögliche Strafmaß und nach Verhängung der Strafe die
Länge der tatsächlich verhängten Strafe zugrunde zu legen. Füllen Sie wie schon in
Kasten b) die maßgeblichen Felder entsprechend dem Stadium des Strafverfahrens aus.

Vorgerichtliches Stadium (Ausstellung des EuHB zum Zwecke der Strafverfolgung)

– c) 1. Geben Sie die mögliche Höchststrafe an. Bitte beachten Sie, dass gemäß
Artikel 2 Absatz 1 ein EuHB bei Straftaten erlassen werden kann, die mit einer
Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung im
Höchstmaß von mindestens zwölf Monaten bedroht sind. Wenn Feld b) 1.
ausgefüllt wurde, ist auch Feld c) 1. auszufüllen.

Nachgerichtliches Stadium (Ausstellung des EuHB zur Vollstreckung einer


Freiheitsstrafe/eines Abwesenheitsurteils)

– c) 2. Geben Sie die Dauer der verhängten Freiheitsstrafe oder


freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung an. Bitte beachten Sie, dass
gemäß Artikel 2 Absatz 1 ein EuHB bei einer Verurteilung zu einer Strafe oder
Anordnung einer Maßregel der Sicherung, deren Maß mindestens vier Monate
beträgt, erlassen werden kann. Wenn Feld b) 2. ausgefüllt wurde, ist auch
Feld c) 2. auszufüllen.

– c) 2. Angabe in Jahren, Monaten und Tagen. Zu beachten ist, dass im


EuHB-Rahmenbeschluss in Bezug auf die noch zu verbüßende Reststrafe keine
Mindestdauer festgelegt ist. Es empfiehlt sich, die Verhältnismäßigkeit der
Ausstellung eines EuHB sorgfältig abzuwägen, wenn die noch zu verbüßende
Reststrafe weniger als vier Monate beträgt, auch wenn ursprünglich eine Strafe
von vier oder mehr Monaten verhängt wurde.

c) Angaben zur Dauer der Strafe:

1. Höchstdauer der Freiheitsstrafe oder der freiheitsentziehenden Maßregel der


Sicherung, die für die Straftat(en) verhängt werden kann:

2. Dauer der verhängten Freiheitsstrafe oder der freiheitsentziehenden Maßregel der


Sicherung: Kommentar: Bei Verhängung einer Freiheitsstrafe oder einer
freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung kann diese von unbestimmter
Dauer sein, z. B. lebenslange Freiheitsstrafe oder Strafe in Verbindung mit
psychiatrischer Behandlung.

Noch zu verbüßende Strafe: Kommentar: Bei einer Strafe von unbestimmter, aber
mindestens viermonatiger Dauer ist anzugeben, dass noch mindestens vier Monate zu
verbüßen sind.

108
Kasten d)
Abwesenheitsurteile
d) Geben Sie an, ob die Person zu der Verhandlung, die zu der Entscheidung geführt hat, persönlich
erschienen ist:

1. Ja, die Person ist zu der Verhandlung, die zu der Entscheidung geführt hat, persönlich
erschienen.

2. Nein, die Person ist zu der Verhandlung, die zu der Entscheidung geführt hat, nicht
persönlich erschienen.

3. Bitte geben Sie zu der unter Nummer 2 angekreuzten Möglichkeit an, dass eine der
folgenden Möglichkeiten zutrifft:

3.1a Die Person wurde am … (Tag/Monat/Jahr) persönlich vorgeladen und dabei von
dem vorgesehenen Termin und Ort der Verhandlung in Kenntnis gesetzt, die zu
der Entscheidung geführt hat, sowie davon in Kenntnis gesetzt, dass eine
Entscheidung auch dann ergehen kann, wenn sie zu der Verhandlung nicht
erscheint;

ODER

3.1b die Person wurde nicht persönlich vorgeladen, aber auf andere Weise tatsächlich
offiziell von dem vorgesehenen Termin und Ort der Verhandlung, die zu der
Entscheidung geführt hat, in Kenntnis gesetzt, und zwar auf eine Weise, dass
zweifelsfrei nachgewiesen wurde, dass sie von der anberaumten Verhandlung
Kenntnis hatte, sowie davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass eine Entscheidung
auch dann ergehen kann, wenn sie zu der Verhandlung nicht erscheint;

ODER

3.2. die Person hat in Kenntnis der anberaumten Verhandlung ein Mandat an einen
Rechtsbeistand, der entweder von der betroffenen Person oder vom Staat
bestellt wurde, erteilt, sie bei der Verhandlung zu verteidigen, und ist bei der
Verhandlung von diesem Rechtsbeistand tatsächlich verteidigt worden;

ODER

3.3. der Person wurde die Entscheidung am … (Tag/Monat/Jahr) zugestellt, und sie
wurde ausdrücklich von ihrem Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder
auf ein Berufungsverfahren in Kenntnis gesetzt, an dem die Person teilnehmen
kann und bei dem der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut
geprüft werden und die ursprünglich ergangene Entscheidung aufgehoben
werden kann, und

die Person hat ausdrücklich erklärt, dass sie diese Entscheidung nicht anficht;

ODER

die Person hat innerhalb der geltenden Frist keine Wiederaufnahme des
Verfahrens bzw. kein Berufungsverfahren beantragt;

109
ODER

3.4. der Person wurde die Entscheidung nicht persönlich zugestellt, aber

– sie wird die Entscheidung unverzüglich nach der Übergabe persönlich


zugestellt erhalten, und

– sie wird bei Zustellung der Entscheidung ausdrücklich von ihrem Recht
auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder auf ein Berufungsverfahren in
Kenntnis gesetzt werden, an dem die Person teilnehmen kann und bei
dem der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft
werden und die ursprünglich ergangene Entscheidung aufgehoben
werden kann, und

– sie wird von der Frist in Kenntnis gesetzt werden, über die sie verfügt,
um eine Wiederaufnahme des Verfahrens bzw. ein Berufungsverfahren
zu beantragen, die … Tage beträgt.

4. Bitte geben Sie zu der unter Nummer 3.1b, 3.2 oder 3.3 angekreuzten Möglichkeit an, wie
die entsprechende Voraussetzung erfüllt wurde:
....................................................................................................................…….....................
.................................................................................................................................................

110
Kasten e)

Straftaten

Kommentar:

Ob die Straftat zu den 32 Straftaten gehört, bei denen sich die Überprüfung der
beiderseitigen Strafbarkeit erübrigt, entscheidet die ausstellende Justizbehörde anhand
der Definition der Straftat im Strafrecht des Ausstellungsmitgliedstaats. Der Wortlaut des
einschlägigen Gesetzestextes braucht nicht in den EuHB aufgenommen oder ihm
beigefügt werden. So lassen sich auch unnötige Übersetzungen von Gesetzestexten
vermeiden.

Erforderlich ist hingegen eine ausführliche Beschreibung des Sachverhalts mit allen
sachdienlichen Informationen, damit die Behörden des Vollstreckungsmitgliedstaats
prüfen können, ob der Grundsatz der Spezialität Anwendung findet oder ob es Gründe
gibt, die Vollstreckung zu versagen, wie etwa den Grundsatz „ne bis in idem“ oder die
Verjährung der Tat.

Vorgerichtliches und nachgerichtliches Stadium

– Geben Sie die Zahl der zutreffenden Straftaten an.

– die angegebene Anzahl der Straftaten sollte mit deren Beschreibung im


Einklang stehen.

– Beachten Sie die Ausführungen im Handbuch zu akzessorischen


Straftaten, bevor Sie entscheiden, ob Sie sie aufnehmen oder nicht
(Abschnitt 2.3).

– Erläutern Sie den genauen Sachverhalt, der Anlass für die Ausstellung des
EuHB gibt:

– Beschränken Sie sich auf die Fakten, die in Zusammenhang mit der Person
stehen, die übergeben werden soll.

– Machen Sie alle hierfür nötigen Angaben (verantwortliche Person, Art der
Tatbeteiligung oder Tatbegehung, Tatort und Tatzeit, Anzahl der Delikte,
Tatmittel, verursachter Schaden oder zugefügte Verletzungen, Vorsatz
oder Tatzweck, durch die Tat erlangter Vorteil usw.)

– Die Sachverhaltsdarstellung sollte aus einer kurzen Zusammenfassung und


nicht aus einer Komplettabschrift ganzer Seiten der Akte bestehen. In
komplexeren Fällen, vor allem wenn das Prinzip der beiderseitigen
Strafbarkeit greift (nicht aufgelistete Straftaten), kann allerdings eine
längere Beschreibung notwendig werden, um die wichtigsten
Sachverhaltselemente herauszuarbeiten. Führen Sie in diesem Fall alle
wesentlichen Umstände an, die der vollstreckenden Justizbehörde eine
Entscheidung über den EuHB ermöglichen und anhand deren sie
feststellen kann, ob es etwa Gründe für eine Ablehnung oder die
Anwendung des Grundsatzes der Spezialität gibt.

111
– Liegen mehrere Straftaten vor, beschreiben Sie die Tatbestände so, dass
Beschreibung und rechtliche Würdigung der Straftat zueinander passen.

– Verwenden Sie kurze und einfache Sätze, die sich leicht übersetzen lassen.

– Kurze Beschreibungen sind auch sinnvoll für den Fall einer


Ausschreibung im SIS durch das nationale SIRENE-Büro.

– Nehmen Sie eine rechtliche Würdigung der Straftat vor (gegen welche
Rechtsnorm im Strafgesetzbuch wurde verstoßen). Der Wortlaut der
einschlägigen Rechtsnormen braucht jedoch nicht in den EuHB aufgenommen
zu werden. Dies verursacht nur unnötigen Übersetzungsaufwand.

– Ordnet die ausstellende Justizbehörde die Tat einer der in der Liste der 32 unten
aufgeführten Straftaten zu und ist die Tat mit einer Freiheitsstrafe oder einer
freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung im Höchstmaß von mindestens
drei Jahren bedroht, ist das entsprechende Kästchen in der Liste anzukreuzen.

– Es empfiehlt sich, nach Möglichkeit nur ein Formblatt pro Haftbefehl und
Person zu verwenden. Betrifft dieser mehrere Straftaten, sollte klar
gekennzeichnet werden (z. B. durch Zusatz von „Straftat 1“, „Straftat 2“,
„Straftat 3“ usw.), welches Kreuz sich auf welche Straftat bezieht (siehe
insbesondere Kasten b)). Beachten Sie, dass in das SIS nur eine Ausschreibung
zur Festnahme eingegeben werden kann. Der Ausschreibung zur Festnahme
kann allerdings auch mehr als ein EuHB beigefügt werden.

– Hat ein Mitgliedstaat mehrere EuHBe für ein und dieselbe Person ausgestellt, so
stehen diese nicht in Konkurrenz zueinander.

112
e) Straftat(en)

Dieser Haftbefehl bezieht sich auf insgesamt ................. Straftat(en).

Beschreibung der Umstände, unter denen die Straftat(en) begangen wurde(n), einschließlich Tatzeit
(Datum und Uhrzeit), Tatort und Art der Beteiligung der gesuchten Person an der(n) Straftat(en):
Kommentar: Wenn es beispielsweise um drei Straftaten geht, sollten zum besseren Verständnis
die Beschreibungen mit 1, 2 und 3 durchnummeriert werden. Verwenden Sie kurze Sätze, aber
seien Sie in der Darstellung des Sachverhalts vollständig und präzise.
…………………………………………………………………………………………………………

Art und rechtliche Würdigung der Straftat(en) und anwendbare gesetzliche Bestimmungen:
Kommentar: Ordnen Sie die Straftat rechtlich ein und geben Sie an, gegen welche Normen des
anwendbaren nationalen Rechtss damit verstoßen wird.
…………………………………….......................................……………….……...................................
....................................................................................................................……....................................
................................................................................................................................................................

I. Bitte kreuzen Sie gegebenenfalls an, ob es sich um eine oder mehrere der folgenden – nach
dem Recht des Ausstellungsstaats definierten – Straftaten handelt, die im
Ausstellungsmitgliedstaat mit einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden
Maßnahme der Sicherung im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht sind:

o Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung

o Terrorismus

o Menschenhandel

o sexuelle Ausbeutung von Kindern und Kinderpornografie

o illegaler Handel mit Drogen und psychotropen Stoffen

o illegaler Handel mit Waffen, Munition und Sprengstoffen

o Korruption

o Betrugsdelikte einschließlich Betrug zum Nachteil der finanziellen Interessen der


Europäischen Gemeinschaften im Sinne des Übereinkommens vom 26. Juli 1995 über den
Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften

o Wäsche von Erträgen aus Straftaten

o Geldfälschung einschließlich der Euro-Fälschung

o Cyberkriminalität

o Umweltkriminalität einschließlich illegaler Handel mit bedrohten Tierarten oder mit


bedrohten Pflanzen- und Baumarten

113
o Beihilfe zur illegalen Einreise und zum illegalen Aufenthalt

o vorsätzliche Tötung, schwere Körperverletzung

o illegaler Handel mit Organen und menschlichem Gewebe

o Entführung, Freiheitsberaubung und Geiselnahme

o Rassismus und Fremdenfeindlichkeit

o Diebstahl in organisierter Form oder schwerer Raub

o illegaler Handel mit Kulturgütern einschließlich Antiquitäten und Kunstgegenstände

o Betrug

o Erpressung und Schutzgelderpressung

o Nachahmung und Produktpiraterie

o Fälschung von amtlichen Dokumenten und Handel damit

o Fälschung von Zahlungsmitteln

o illegaler Handel mit Hormonen und anderen Wachstumsförderern

o illegaler Handel mit nuklearen und radioaktiven Substanzen

o Handel mit gestohlenen Kraftfahrzeugen

o Vergewaltigung

o Brandstiftung

o Verbrechen, die in die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs fallen

o Flugzeug-/Schiffsentführung

o Sabotage

II. Vollständige Beschreibung der Straftat oder der Straftaten, die nicht unter die Fälle nach
Abschnitt I fallen. Kommentar: Alles bereits oben unter e) Vermerkte sollte nicht mehr in
Abschnitt II wiederholt werden. Außer einer vollständigen Beschreibung sind keine
weiteren Informationen zum innerstaatlichen Recht nötig.

Wurden die Tatumstände bereits oben erläutert, erübrigt sich eine erneute Schilderung. Sind die
Tatumstände eindeutig beschrieben, bitte keine Rechtsnormen beifügen. Diese Rubrik ist nur
auszufüllen, wenn die beiderseitige Strafbarkeit gegeben sein muss und Sie weitere Details zu
den Tatumständen vermerken müssen, die vorstehend noch nicht aufgeführt sind. Ein Richter
kann die beiderseitige Strafbarkeit auch prüfen, ohne den genauen Wortlaut der Rechtsnorm vor
sich zu haben, vorausgesetzt, er kennt die genauen Umstände des Falls. Die Gerichte einiger

114
Mitgliedstaaten verlangen allerdings Abschriften der Rechtsnorm.

.…….......................................................................................................................................................
...............................................................................................................................................................

115
Kasten f)

Sonstige für den Fall relevante Umstände (fakultative Angaben):


Kommentar:

Dieser Abschnitt muss nicht ausgefüllt werden.

Er kann für Bemerkungen zur Extraterritorialität, zur Unterbrechung von


Verjährungsfristen und zu sonstigen Folgen der Straftat verwendet werden.
Normalerweise ist es nicht nötig, auf Unterbrechungen von Verjährungsfristen
hinzuweisen; wenn allerdings die Straftat schon sehr weit zurückliegt, kann ein solcher
Hinweis nützlich sein.

An dieser Stelle können auch Angaben gemacht werden, wenn besondere Vorkehrungen
bezüglich der Vollstreckung des EuHB zu treffen sind und zusätzliche Informationen –
neben der Möglichkeit der direkten Kontaktaufnahme – die Vollstreckung des EuHB
erleichtern können, zum Beispiel:

– Hinweis auf etwaige Beschränkungen der Kontakte zu Dritten nach der


Festnahme oder auf die Gefahr der Vernichtung von Beweismitteln oder das
Risiko einer erneuten Straffälligkeit.

– Aufzählung von Umständen, die es gemäß Rahmenbeschluss 2008/909/JI


wahrscheinlich machen, dass die gesuchte Person die Voraussetzungen erfüllt,
um gemäß Artikel 5 Absatz 3 des EuHB-Rahmenbeschlusses zur Verbüßung der
Freiheitsstrafe in den Vollstreckungsmitgliedstaat rücküberstellt zu werden
(z. B. weil sie im Vollstreckungsmitgliedstaat wohnhaft ist, dort arbeitet oder
familiäre Bindungen hat, etc.).

– Ersuchen um Zustimmung nach Artikel 27 Absatz 4 des


EuHB-Rahmenbeschlusses.

– Andere Ersuchen um justizielle Zusammenarbeit, etwa zur gleichzeitigen


Ausführung einer Europäischen Ermittlungsanordnung.

– Bezug zu anderen EuHBen.

– Etwaige Vereinbarungen zwischen den ausstellenden Justizbehörden im Falle


konkurrierender EuHBe (vor allem solche, die bei
Eurojust-Koordinierungssitzungen getroffen wurden), damit die vollstreckende
Justizbehörde sofort im Bilde ist und sie berücksichtigen kann.

– Angaben gemäß Richtlinie 2013/48/EU zum Rechtsbeistand im


Ausstellungsmitgliedstaat, der den Rechtsbeistand im
Vollstreckungsmitgliedstaat unterstützen kann (Wahl- oder Pflichtverteidiger).

– Informationen über etwaige vorausgegangene Überwachungsmaßnahmen gemäß


Artikel 22 des Rahmenbeschlusses 2009/829/JI (Verstoß gegen die
Überwachungsmaßnahmen).

116
f) Sonstige für den Fall relevante Umstände (fakultative Angaben):

(NB: Hierunter könnten Bemerkungen zur Extraterritorialität, zur Unterbrechung der


Verjährungsfristen und zu sonstigen Folgen der Straftat fallen).
……........................................................................................................................................................
................................................................................................................................................................

117
Kasten g)

Beschlagnahme

Kommentar:

Vorgerichtliches Stadium (Ausstellung des EuHB zum Zwecke der Strafverfolgung)

– Kurze Beschreibung des gesuchten Gegenstands (z. B. Mobiltelefon, Laptop,


Computer, Tablet, Waffe, Identitäts-/Reisedokument usw.). Falls Sie hiervon
keinen Gebrauch machen möchten, tragen Sie bitte „entfällt“ ein.

– Beschreiben Sie beispielsweise die Waffe, deren Beschlagnahme erbeten wird.

– Machen Sie gegebenenfalls Angaben zu einer gesondert ausgefertigten


Europäischen Ermittlungsanordnung oder einer Sicherstellungsentscheidung.

– Kasten g) betrifft nicht die „persönliche Habe“. Geben Sie alles an, was als
Beweismittel herangezogen werden kann, z. B. Laptop, persönliche Unterlagen
oder Mobiltelefone, damit die Beschlagnahme der Gegenstände erfolgen kann.
g) Dieser Haftbefehl betrifft auch die Beschlagnahme und Übergabe von Gegenständen, die als
Beweisstücke dienen können:

Dieser Haftbefehl betrifft auch die Beschlagnahme und Übergabe von Gegenständen, die die
gesuchte Person aus der Straftat erlangt hat.

Beschreibung (und Lokalisierung) der Gegenstände (falls bekannt):


.......................................................................................................................................................
.......................................................................................................................................................
.......................................................................................................................................................

118
Kasten h)

Kommentar:

Die Gedankenstriche wurden in Kästchen umgewandelt – bitte Zutreffendes ankreuzen.


Falls das Gesetz keine lebenslange Freiheitsstrafe kennt, bitte „entfällt“ eintragen.

Vorgerichtliches Stadium (Ausstellung des EuHB zum Zwecke der Strafverfolgung)

– Bitte ankreuzen, falls zutreffend.

Nachgerichtliches Stadium (Ausstellung des EuHB zur Vollstreckung einer


Freiheitsstrafe/eines Abwesenheitsurteils)

– Bitte ankreuzen, falls zutreffend.

h) Die Straftat/Straftaten, aufgrund deren dieser Haftbefehl ausgestellt wurde, ist/sind mit einer
lebenslangen Freiheitsstrafe oder einer lebenslangen Maßregel der Sicherung bedroht oder
hat/haben zur Verhängung einer solchen Strafe bzw. Maßregel geführt:

Nach der Rechtsordnung des Ausstellungsmitgliedstaats kann die verhängte Strafe – auf
Antrag oder nach mindestens 20 Jahren – daraufhin überprüft werden, ob die
Vollstreckung dieser Strafe oder Maßregel auszusetzen ist,

und/oder

nach der Rechtsordnung des Ausstellungsmitgliedstaats können Gnadenakte, auf die die
Person nach dem innerstaatlichen Recht oder der Rechtspraxis des
Ausstellungsmitgliedstaats Anspruch hat, mit dem Ziel der Nichtvollstreckung dieser
Strafe oder Maßregel angewandt werden.

119
Kasten i)

Angaben zur ausstellenden Justizbehörde

Kommentar:

– Name ihres Vertreters: Bezugnahme auf den „Inhaber“ der richterlichen Gewalt
in den jeweiligen Sprachfassungen.

– Geben Sie die Anschrift der ausstellenden Justizbehörde an.

– Geben Sie Telefonnummer, Fax-Nummer und E-Mail-Adresse der ausstellenden


Justizbehörde an, vorzugsweise solche, unter denen die Behörde rund um die
Uhr erreichbar ist.

– Kontaktdaten für die praktische Abwicklung: Geben Sie nach Möglichkeit


Namen und Kontaktdaten eines Justizbeamten an, der eine einschlägige
Fremdsprache beherrscht.

i) Justizbehörde, die den Haftbefehl ausgestellt hat:


Offizielle Bezeichnung: ...............................................................................................................

Name ihres Vertreters: ..................................................................................................................

Funktion (Titel/Dienstrang): ........................................................................................................

Aktenzeichen: ..............................................................................................................................
Anschrift: .....................................................................................................................................

Telefonnummer: (Ländervorwahl) (Ortsnetzkennzahl) (...) .........................................................


Fax-Nr.: (Ländervorwahl) (Ortsnetzkennzahl) (...) ......................................................................
E-Mail: Kommentar: Geben Sie eine offizielle E-Mail-Adresse an, die häufig konsultiert
wird ..............................................................................................................................................
Kontaktdaten der Person, die die erforderlichen praktischen Vorkehrungen für die Übergabe
treffen kann: .................................................................................................................................

120
Kontaktdaten der zentralen Behörde
Im Fall der Benennung einer zentralen Behörde für die Übermittlung und administrative
Entgegennahme von Europäischen Haftbefehlen:

Bezeichnung der zentralen Behörde: ...........................................................................................


.......................................................................................................................................................
ggf. zu kontaktierende Person (Titel/Dienstrang und Name): .....................................................
.......................................................................................................................................................
Anschrift: .....................................................................................................................................
……...............................................................................................................................................
Telefonnummer: (Ländervorwahl) (Ortsnetzkennzahl) (...) .........................................................
Fax-Nr.: (Ländervorwahl) (Ortsnetzkennzahl) (...) ......................................................................
E-Mail: .........................................................................................................................................

121
Unterschrift der ausstellenden Justizbehörde und nähere Angaben zu der Behörde

Kommentar:

– Dies kann die Justizbehörde sein oder beispielsweise ein Urkundsbeamter der
Geschäftsstelle, der im Namen des Gerichts unterschreibt.
Unterschrift der ausstellenden Justizbehörde und/oder ihres Vertreters:
…….......................................................................................................................................................

Name:
……........................................................................................................................................................
Funktion (Titel/Dienstrang): ..................................................................................................................
Datum: ...................................................................................................................................................

(ggf.) amtlicher Stempel: Kommentar: Gemeint ist das Dienstsiegel, das die ausstellende
Justizbehörde kraft Gesetzes führen darf. Bitte stets anbringen, falls vorhanden.

122
ANHANG IV — SPRACHEN, IN DENEN EIN EUHB VON DEN
MITGLIEDSTAATEN AKZEPTIERT WIRD

Gemäß Artikel 8 Absatz 2 des EuHB-Rahmenbeschlusses haben die Mitgliedstaaten die


folgenden Angaben bezüglich der Sprachen, in denen ein EuHB akzeptiert wird,
gemacht:

Belgien: Französisch/Niederländisch/Deutsch

Bulgarien: Bulgarisch

Dänemark: Dänisch/Englisch/Schwedisch

Deutschland: Deutschland verfährt nach dem Gegenseitigkeitsprinzip (d. h. ein


EuHB wird in der Amtssprache eines Mitgliedstaats
entgegengenommen, wenn dieser umgekehrt einen von einer
deutschen Justizbehörde in deutscher Sprache ausgestellten EuHB
akzeptiert).

Estland: Estnisch/Englisch

Finnland: Finnisch/ Schwedisch/Englisch

Frankreich: Französisch

Griechenland: Griechisch

Irland: Irisch oder Englisch oder ggf. eine vom Justizministerium


vorgegebene Sprache oder einen EuHB mit einer Übersetzung ins
Irische oder Englische.

Italien: Italienisch

Lettland: Lettisch/Englisch

Litauen Litauisch/Englisch

Luxemburg: Französisch/Deutsch/Englisch

Malta: Maltesisch/Englisch

Niederlande: Niederländisch, Englisch oder jede andere Amtssprache der Union


bei gleichzeitiger Vorlage einer englischen Übersetzung.

Österreich: Deutsch sowie jede andere Sprache nach dem


Gegenseitigkeitsprinzip (d. h. ein EuHB wird in der Amtssprache
eines Mitgliedstaats entgegengenommen, wenn dieser umgekehrt
einen von einer österreichischen Justizbehörde in deutscher
Sprache ausgestellten EuHB akzeptiert).

Polen: Polnisch

123
Portugal Portugiesisch

Rumänien Rumänisch/Französisch/Englisch

Schweden: Schwedisch/Dänisch/Norwegisch/Englisch oder eine Übersetzung


in eine dieser Sprachen.

Slowakei: Slowakisch oder aufgrund bestehender bilateraler Abkommen


Deutsch im Verhältnis zu Österreich, Tschechisch im Verhältnis
zur Tschechischen Republik und Polnisch im Verhältnis zu Polen.

Slowenien Slowenisch/Englisch

Spanien Spanisch. Wird ein EuHB im Wege einer SIS-Ausschreibung


ausgestellt, so veranlasst die vollstreckende Justizbehörde ggf. eine
Übersetzung ins Spanische.

Tschechische Tschechisch; von der Slowakischen Republik akzeptiert die


Republik: Tschechische Republik einen EuHB auf Slowakisch oder mit
beigefügter slowakischer Übersetzung und von Österreich einen
EuHB in deutscher Sprache.

Ungarn: Ungarisch oder eine ungarische Übersetzung des EuHB. Gegenüber


Mitgliedstaaten, die einen EuHB nicht nur in ihrer oder einer ihrer
Amtssprachen akzeptieren, nimmt Ungarn auch einen in englischer,
französischer oder deutscher Sprache ausgestellten oder in eine
dieser Sprachen übersetzten EuHB an.

Zypern: Griechisch/Türkisch/Englisch

124
ANHANG V — LISTE VON URTEILEN DES GERICHTSHOFS
ZUM EUHB-RAHMENBESCHLUSS

C-303/05, Advocaten voor de Wereld (Urteil vom 3. Mai 2007)

C-66/08, Kozłowski (Urteil vom 17. Juli 2008)

C-296/08 PPU, Santesteban Goicoechea (Urteil vom 12. August 2008)

C-388/08 PPU, Leymann und Pustovarov (Urteil vom 1. Dezember 2008)

C-123/08, Wolzenburg (Urteil vom 6. Oktober 2009)

C-306/09, I.B. Urteil vom 21. Oktober 2010)

C-261/09, Mantello (Urteil vom 16. November 2010)

C-192/12 PPU, West (Urteil vom 28. Juni 2012)

C-42/11, Lopes da Silva Jorge (Urteil vom 5. September 2012)

C-396/11, Radu (Urteil vom 29. Januar 2013)

C-399/11, Melloni (Urteil vom 26. Februar 2013)

C-168/13 PPU, Jeremy F. (Urteil vom 30. Mai 2013)

C-237/15 PPU, Lanigan (Urteil vom 16. Juli 2015)

C-463/15 PPU, A. (Beschluss vom 25. September 2015)

C-404/15 und C-659/15 PPU, verbundene Rechtssachen Aranyosi und Căldăraru (Urteil
vom 5. April 2016)

C-108/16 PPU, Dworzecki (Urteil vom 24. Mai 2016)

C-241/15, Bob-Dogi (Urteil vom 1. Juni 2016)

C-294/16 PPU, JZ (Urteil vom 28. Juli 2016)

C-182/15, Petruhhin (Urteil vom 6. September 2016)

C-452/16 PPU, Poltorak (Urteil vom 10. November 2016)

C-477/16 PPU, Kovalkovas (Urteil vom 10. November 2016)

C-453/16 PPU, Özçelik (Urteil vom 10. November 2016)

C-640/16, Vilkas (Urteil vom 25. Januar 2017)

125
Anhängig:

C-579/15, Popławski

C-473/15, Schotthöfer & Steiner

C-191/16, Pisciotti

C-367/16, Piotrowski

C-496/16, Aranyosi

126
ANHANG VI — URTEILE DES GERICHTSHOFS ZUM
GRUNDSATZ NE BIS IN IDEM
Verbundene Rechtssachen C-187/01 und C-385/01, Gözütok und Brügge (Urteil
vom 11. Februar 2003)

Das in Artikel 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens aufgestellte Verbot


der Doppelbestrafung gilt auch für zum Strafklageverbrauch führende Verfahren der in
den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art, in denen die Staatsanwaltschaft eines
Mitgliedstaats ohne Mitwirkung eines Gerichts ein in diesem Mitgliedstaat eingeleitetes
Strafverfahren einstellt, nachdem der Beschuldigte bestimmte Auflagen erfüllt und
insbesondere einen bestimmten, von der Staatsanwaltschaft festgesetzten Geldbetrag
entrichtet hat.

Rechtssache C-469/03, Miraglia (Urteil vom 10. März 2005)

Das in Artikel 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens verankerte Verbot der


Doppelbestrafung findet keine Anwendung auf eine Entscheidung der Gerichte eines
Mitgliedstaats, mit der ein Verfahren für beendet erklärt wird, nachdem die
Staatsanwaltschaft beschlossen hat, die Strafverfolgung nur deshalb nicht fortzusetzen,
weil in einem anderen Mitgliedstaat Strafverfolgungsmaßnahmen gegen denselben
Beschuldigten wegen derselben Tat eingeleitet worden sind, und ohne dass eine Prüfung
in der Sache erfolgt ist.

Rechtssache C-436/04, Van Esbroeck (Urteil vom 9. März 2006)

1. Der in Artikel 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens niedergelegte


Grundsatz ne bis in idem ist auf ein Strafverfahren anzuwenden, das in einem
Vertragsstaat wegen einer Tat eingeleitet worden ist, die in einem anderen
Vertragsstaat bereits zur Verurteilung des Betroffenen geführt hat, auch wenn
das genannte Übereinkommen in diesem letztgenannten Staat zum Zeitpunkt der
Verkündung dieser Verurteilung noch nicht in Kraft war, sofern es in den
betreffenden Vertragsstaaten zu dem Zeitpunkt, zu dem das mit einem zweiten
Verfahren befasste Gericht die Voraussetzungen für die Anwendung des
Grundsatzes ne bis in idem geprüft hat, in Kraft war.

2. Artikel 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens ist dahin


auszulegen, dass

– das maßgebende Kriterium für die Anwendung dieses Artikels das der
Identität der materiellen Tat, verstanden als das Vorhandensein eines
Komplexes unlösbar miteinander verbundener Tatsachen, ist, unabhängig
von der rechtlichen Qualifizierung dieser Tatsachen oder von dem
geschützten rechtlichen Interesse;

– die strafbaren Handlungen, die in der Ausfuhr und der Einfuhr derselben
Betäubungsmittel bestehen und in verschiedenen Vertragsstaaten des
genannten Übereinkommens strafrechtlich verfolgt worden sind,
grundsätzlich als „dieselbe Tat“ im Sinne des genannten Artikels 54
anzusehen sind, wobei die endgültige Beurteilung insoweit Sache der
zuständigen nationalen Gerichte ist.

127
Rechtssache C-467/04, Gasparini u. a. (Urteil vom 28. September 2006)

1. Der in Artikel 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens verankerte


Grundsatz ne bis in idem findet auf die in einem Strafverfahren ergangene
Entscheidung des Gerichts eines Vertragsstaats Anwendung, mit der ein
Angeklagter rechtskräftig wegen Verjährung der Straftat freigesprochen wird,
die Anlass zur Strafverfolgung gegeben hat.

2. Der genannte Grundsatz findet keine Anwendung auf andere Personen als
diejenigen, die von einem Vertragsstaat rechtskräftig abgeurteilt worden sind.

3. Ein Strafgericht eines Vertragsstaats kann eine Ware nicht allein deshalb als in
seinem Hoheitsgebiet im freien Verkehr befindlich ansehen, weil das
Strafgericht eines anderen Vertragsstaats in Bezug auf dieselbe Ware festgestellt
hat, dass der Schmuggel verjährt sei.

4. In der Vermarktung einer Ware in einem anderen Mitgliedstaat im Anschluss an


ihre Einfuhr in den Mitgliedstaat, in dem der Freispruch ergangen ist, liegt eine
Handlung, die Bestandteil „derselben Tat“ im Sinne des genannten Artikels 54
sein kann.

Rechtssache C-150/05, Van Straaten (Urteil vom 28. September 2006)

1. Artikel 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens ist dahin


auszulegen, dass

– das maßgebende Kriterium für die Anwendung dieses Artikels das der
Identität der materiellen Tat, verstanden als das Vorhandensein eines
Komplexes unlösbar miteinander verbundener Tatsachen, ist, unabhängig
von der rechtlichen Qualifizierung dieser Tatsachen oder von dem
geschützten rechtlichen Interesse;

– es, was Drogenvergehen betrifft, nicht erforderlich ist, dass die in den
beiden betreffenden Vertragsstaaten in Rede stehenden Drogenmengen
oder die Personen, die angeblich an der Tat in den beiden Staaten beteiligt
waren, identisch sind;

– die strafbaren Handlungen, die in der Ausfuhr und der Einfuhr derselben
Betäubungsmittel bestehen und in verschiedenen Vertragsstaaten dieses
Übereinkommens strafrechtlich verfolgt worden sind, grundsätzlich als
„dieselbe Tat“ im Sinne des genannten Artikels 54 anzusehen sind, wobei
die abschließende Beurteilung Sache der zuständigen nationalen Gerichte
ist.

2. Der in Artikel 54 dieses Übereinkommens verankerte Grundsatz ne bis in idem


ist auf eine Entscheidung der Justiz eines Vertragsstaats anwendbar, mit der ein
Angeklagter rechtskräftig aus Mangel an Beweisen freigesprochen wird.

128
Rechtssache C-288/05, Kretzinger (Urteil vom 18. Juli 2007)

1. Artikel 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens ist dahin


auszulegen, dass

– das maßgebende Kriterium für die Anwendung dieses Artikels das der
Identität der materiellen Tat, verstanden als das Vorhandensein eines
Komplexes unlösbar miteinander verbundener Tatsachen, ist, unabhängig
von der rechtlichen Qualifizierung dieser Tatsachen oder von dem
geschützten rechtlichen Interesse;

– Handlungen, die in der Übernahme geschmuggelten ausländischen Tabaks


in einem Vertragsstaat sowie in der Einfuhr in einen anderen Vertragsstaat
und dem dortigen Besitz bestehen und sich dadurch auszeichnen, dass der
in zwei Vertragsstaaten verfolgte Angeklagte von Anfang an vorhatte, den
Tabak nach der ersten Übernahme über mehrere Vertragsstaaten zu einem
endgültigen Bestimmungsort zu transportieren, Vorgänge sind, die unter
den Begriff „dieselbe Tat“ im Sinne dieses Art. 54 fallen können. Die
endgültige Beurteilung ist insoweit Sache der zuständigen nationalen
Instanzen.

2. Die von einem Gericht eines Vertragsstaats verhängte Sanktion ist im Sinne von
Art. 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens „bereits vollstreckt“
worden oder wird „gerade vollstreckt“, wenn der Angeklagte nach dem Recht
dieses Vertragsstaats zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, deren
Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist.

3. Die von einem Gericht eines Vertragsstaats verhängte Sanktion ist im Sinne von
Art. 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens weder „bereits
vollstreckt“ worden noch wird sie „gerade vollstreckt“, wenn der Angeklagte
kurzfristig in Polizei- und/oder Untersuchungshaft genommen worden ist und
dieser Freiheitsentzug nach dem Recht des Urteilsstaats auf eine spätere
Vollstreckung der Haftstrafe anzurechnen wäre.

4. Es kann nicht die Auslegung des Begriffs der Vollstreckung im Sinne von
Art. 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens beeinflussen, dass ein
Mitgliedstaat, in dem eine Person nach innerstaatlichem Recht rechtskräftig
verurteilt worden ist, aufgrund des EuHB-Rahmenbeschlusses und die
Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten einen EuHB ausstellen kann,
um diese Person zur Vollstreckung des Urteils festnehmen zu lassen.

Rechtssache C-367/05, Kraaijenbrink (Urteil vom 18. Juli 2007)

Artikel 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens ist dahin auszulegen, dass

– das maßgebende Kriterium für die Anwendung dieses Artikels das der Identität
der materiellen Tat, verstanden als das Vorhandensein eines Komplexes
unlösbar miteinander verbundener Tatsachen, ist, unabhängig von der
rechtlichen Qualifizierung dieser Tatsachen oder von dem geschützten
rechtlichen Interesse;

129
– verschiedene Taten, die u. a. darin bestehen, dass jemand in einem Vertragsstaat
aus dem Handel mit Betäubungsmitteln stammende Geldbeträge besitzt und
Geldbeträge gleicher Herkunft in Wechselstuben, die in einem anderen
Vertragsstaat liegen, in Umlauf bringt, nicht schon deshalb als „dieselbe Tat“ im
Sinne von Art. 54 des Übereinkommens zur Durchführung des
Übereinkommens von Schengen anzusehen sind, weil das zuständige nationale
Gericht feststellt, dass diese Taten durch einen einheitlichen Vorsatz verbunden
sind;

– es Sache dieses nationalen Gerichts ist zu prüfen, ob der Grad der Identität und
des Zusammenhangs aller zu vergleichenden tatsächlichen Umstände in
Anbetracht des vorerwähnten maßgebenden Kriteriums den Schluss zulässt, dass
es sich um „dieselbe Tat“ im Sinne von Art. 54 des Schengener
Durchführungsübereinkommens handelt.

Rechtssache C-297/07, Bourquain (Urteil vom 11. Dezember 2008)

Das in Art. 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens niedergelegte Verbot der


Doppelbestrafung findet auf ein Strafverfahren Anwendung, das in einem Vertragsstaat
wegen einer Tat eingeleitet wird, für die der Angeklagte bereits in einem anderen
Vertragsstaat rechtskräftig abgeurteilt worden ist, auch wenn die Strafe, zu der er
verurteilt wurde, nach dem Recht des Urteilsstaats wegen im Recht dieses Staates
bestehender verfahrensrechtlicher Besonderheiten nie unmittelbar vollstreckt werden
konnte.

Rechtssache C-491/07, Turanský (Urteil vom 22. Dezember 2008)

Das in Art. 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens niedergelegte Verbot der


Doppelbestrafung ist nicht auf eine Entscheidung anwendbar, mit der eine Behörde eines
Vertragsstaats nach sachlicher Prüfung des ihr unterbreiteten Sachverhalts in einem
Stadium, zu dem gegen einen einer Straftat Verdächtigen noch keine Beschuldigung
erhoben worden ist, die Strafverfolgung einstellt, wenn diese Einstellungsentscheidung
nach dem nationalen Recht dieses Staates die Strafklage nicht endgültig verbraucht und
damit in diesem Staat kein Hindernis für eine erneute Strafverfolgung wegen derselben
Tat bildet.

Rechtssache C-398/12, M. (Urteil vom 5. Juni 2014)

Art. 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens ist dahin auszulegen, dass ein


Einstellungsbeschluss ohne Eröffnung des Hauptverfahrens, der in dem Vertragsstaat, in
dem dieser Beschluss ergangen ist, erneute Ermittlungen aufgrund des gleichen
Sachverhalts gegen die Person, zu deren Gunsten dieser Beschluss ergangen ist,
verhindert, sofern keine neuen Belastungstatsachen gegen Letztere auftauchen, als eine
rechtskräftige Aburteilung im Sinne dieses Artikels anzusehen ist und somit erneute
Ermittlungen wegen derselben Tat gegen dieselbe Person in einem anderen Vertragsstaat
ausschließt.

Rechtssache C-261/09, Mantello (Urteil vom 16. November 2010)

Für die Zwecke der Ausstellung und Vollstreckung eines EuHB stellt der Begriff
„dieselbe Handlung“ in Art. 3 Nr. 2 des EuHB-Rahmenbeschlusses einen autonomen
Begriff des Unionsrechts dar.

130
In einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens, in dem die ausstellende Justizbehörde
auf ein Informationsersuchen der vollstreckenden Justizbehörde im Sinne des Art. 15
Abs. 2 des EuHB-Rahmenbeschlusses hin gemäß ihrem nationalen Recht und unter
Beachtung der Anforderungen, die sich aus dem in Art. 3 Nr. 2 des
EuHB-Rahmenbeschlusses aufgeführten Begriff „dieselbe Handlung“ ergeben,
ausdrücklich festgestellt hat, dass das zuvor im Rahmen ihrer Rechtsordnung erlassene
Urteil keine rechtskräftige Verurteilung wegen der in ihrem Haftbefehl bezeichneten
Handlungen darstellt und den in diesem Haftbefehl genannten
Strafverfolgungsmaßnahmen daher nicht entgegensteht, besteht für die vollstreckende
Justizbehörde kein Anlass, wegen dieses Urteils den in diesem Art. 3 Nr. 2 vorgesehenen
zwingenden Grund für die Ablehnung der Vollstreckung anzuwenden.

Rechtssache C-129/14 PPU, Spasic (Urteil vom 27. Mai 2014)

1. Art. 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens, der die Anwendung


des Grundsatzes ne bis in idem von der Bedingung abhängig macht, dass im Fall
einer Verurteilung die Sanktion „bereits vollstreckt worden ist“ oder „gerade
vollstreckt wird“, ist mit Art. 50 der Charta der Grundrechte der Europäischen
Union vereinbar, der diesen Grundsatz verbürgt.

2. Art. 54 dieses Übereinkommens ist dahin auszulegen, dass die bloße Zahlung
der Geldstrafe, die gegen eine Person verhängt wurde, der mit der gleichen
Entscheidung eines Gerichts eines anderen Mitgliedstaats eine bislang nicht
vollstreckte Freiheitsstrafe auferlegt wurde, nicht den Schluss zulässt, dass die
Sanktion im Sinne dieser Bestimmung bereits vollstreckt worden ist oder gerade
vollstreckt wird.

Rechtssache C-486/14, Kossowski (Urteil vom 29. Juni 2016)

Das Verbot der Doppelbestrafung gemäß Art. 54 des Schengener


Durchführungsübereinkommens in Verbindung mit Art. 50 der Charta der Grundrechte
der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass ein Beschluss der Staatsanwaltschaft,
mit dem das Strafverfahren beendet und das Ermittlungsverfahren gegen eine Person
vorbehaltlich der Wiedereröffnung des Strafverfahrens oder der Aufhebung des
Beschlusses ohne die Auferlegung von Sanktionen endgültig eingestellt wird, nicht als
rechtskräftige Entscheidung im Sinne dieser Vorschriften eingestuft werden kann, wenn
aus der Begründung dieses Beschlusses hervorgeht, dass dieses Verfahren eingestellt
wurde, ohne dass eingehende Ermittlungen durchgeführt worden wären, wobei die
unterlassene Vernehmung des Geschädigten und eines möglichen Zeugen ein Indiz für
das Fehlen solcher Ermittlungen darstellt.

131
ANHANG VII – STANDARDFORMULAR ZU EINER EuHB-ENTSCHEIDUNG

Dieses Formblatt ersetzt nicht die gemäß Artikel 22 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI zu übermittelnde Übergabeentscheidung und auch nicht
– soweit zutreffend und von der Ausstellungsbehörde gefordert – den vollen Wortlaut der justiziellen Entscheidung über den Europäischen Haftbefehl.

I.– FESTSTELLUNG DES EuHB

Az.
Az. AUSSTELLUNG: Az. SIS:
VOLLSTRECKUNG:

AUSSTELLUNGSBEHÖRDE: DATUM DER AUSSTELLUNG:

VOLLSTRECKENDE BEHÖRDE: GESUCHTE PERSON

STAATSANGEHÖRIGKEIT DER
GESUCHTEN PERSON

II.- RECHTSKRÄFTIGE ENTSCHEIDUNG ÜBER DEN EuHB

Az. DER BEHÖRDE BZW. URTEIL ODER GERICHTSBESCHLUSS NR. VOM

-A- VOLLSTRECKT:

JA BEI TEILWEISER
VERICHT AUF DEN BEWILLIGUNG DER
ÜBERGABE GEBEN SIE
GRUNDSATZ DER JA BITTE AN, FÜR WELCHE
ZUSTIMMUNG DER GESUCHTEN STRAFTATEN DER EuHB
SPEZIALITÄT
PERSON (Art. 13 EuHB-RB) NICHT BEWILLIGT WIRD
NEIN (Art. 13 Abs. 2 NEIN

EuHB-RB)

BEGINN (TAG/UHRZEIT DER


FESTNAHME): ERNEUTE VORLADUNG

IM VOLLSTRECKUNGSSTAAT VERFAHREN IN NEUVERHANDLUNG


HAFT
VERBÜSSTE HAFT BIS ZUR ENDE (TAG/UHRZEIT DER ABWESENHEIT JA
KEINES VON BEIDEM ERFORDERLICH (Voraussetzungen des
1
ÜBERGABE (Art. 26 EuHB-RB) ÜBERGABE): (Art. 4a EuHB-RB) Art. 4a sind erfüllt)

KEINE NEIN

1
Hier ist folgende Fußnote einzufügen: „Das Datum ist, sofern bekannt, von der Behörde auszufüllen, die die Person überstellt. Es kann auch von der Behörde ausgefüllt
werden, an die die Person überstellt wird.“

132
ÜBERPRÜFUNG EINER LEBENSLANGEN
FREIHEITSSTRAFE
WEGEN STRAFVERFOLGUNG IM

(Art. 5 Abs. 2 EuHB-RB) VOLLSTRECKUNGSMITGLIEDSTAAT


VERSCHIEBUNG

GARANTIEN (Art. 24 Abs. 1


RÜCKÜBERSTELLUNG VON PERSONEN, DIE JA
EuHB-RB) GESAMTDAUER
(Art. 5 EuHB-RB) STAATSANGEHÖRIGE DES ZUR VERBÜSSUNG EINER
DER
VOLLSTRECKUNGSMITGLIEDSTAATS ODER DORT STRAFE IM
VERHÄNGTEN
WOHNHAFT SIND VOLLSTRECKUNGSMITGLIEDSTAAT
STRAFE
(Art. 5 Abs. 3 EuHB-RB)
NEIN

NEIN..... JA
VORÜBERGEHENDE ÜBERGABE
BIS (DATUM ) (Art. 24 Abs. 2 EuHB-RB)

1.1.1. ZWINGENDE ABLEHUNGSGRÜNDE: 1.1.2. GRÜNDE NACH NATIONALEM RECHT

GRUNDSATZ NE BIS IN IDEM (Art. 3 Abs. 2 EuHB-RB)


BITTE ANGEBEN:
STRAFUNMÜNDIGKEIT (Art. 3 Abs. 3 EuHB-RB)

AMNESTIE (Art. 3 Abs. 1 EuHB-RB)

III.– BEMERKUNGEN:

Ort, Datum und Unterschrift der zuständigen Behörde im Vollstreckungsmitgliedstaat

AN DIE ZUSTÄNDIGE BEHÖRDE IM VOLLSTRECKUNGSMITGLIEDSTAAT

133
ANHANG VIII — LISTE DER MITGLIEDSTAATEN, DEREN
RECHTSORDNUNG DIE ÜBERGABE WEGEN STRAFTATEN
ERLAUBT, DIE MIT EINEM NIEDRIGEREN STRAFMASS
BEDROHT SIND ALS IN ARTIKEL 2 ABSATZ 1 DES
RAHMENBESCHLUSSES ÜBER DEN EUROPÄISCHEN
HAFTBEFEHL ANGEGEBEN, WENN DIESE TATEN DAS
MERKMAL DER AKZESSORIETÄT ZU DER (DEN)
HAUPTTAT(EN) ERFÜLLEN1

Dänemark

Deutschland

Finnland

Frankreich

Lettland

Litauen

Österreich

Schweden

Slowakei

Slowenien

Tschechische Republik

Ungarn

1
Die Liste basiert auf den Antworten von 20 Mitgliedstaaten auf einen Fragebogen der
Kommission – sie spiegelt daher nicht unbedingt die Situation in allen Mitgliedstaaten wider. Der
Liste ist zu entnehmen, in welchen Mitgliedstaaten eine Übergabe bei Teilnahme an einer Straftat
prinzipiell möglich ist. Dies kann allerdings von verschiedenen Faktoren abhängig gemacht
werden, etwa dem Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit oder auch dem Ermessen der
vollstreckenden Justizbehörde im Einzelfall.

134
ANHANG IX — MUSTERBEISPIEL EINER RECHTSBELEHRUNG
FÜR PERSONEN, DIE AUF DER GRUNDLAGE EINES
EUROPÄISCHEN HAFTSBEFEHLS FESTGENOMMENEN
WERDEN

ANHANG II zur Richtlinie 2012/13/EU über das Recht auf Belehrung und
Unterrichtung in Strafverfahren1

Musterbeispiel der Erklärung der Rechte für Personen, die auf der Grundlage eines
Europäischen Haftbefehls festgenommen wurden

Mit diesem Muster soll den nationalen Behörden lediglich eine Hilfestellung für die
Abfassung ihrer Erklärung der Rechte auf nationaler Ebene gegeben werden. Die
Mitgliedstaaten sind nicht an die Nutzung dieses Musters gebunden. Bei der Erstellung
ihrer Erklärung der Rechte können die Mitgliedstaaten dieses Muster ändern, um es an
ihre nationalen Bestimmungen anzupassen und weitere zweckdienliche Informationen
hinzuzufügen.

A. INFORMATIONEN ÜBER DEN EUROPÄISCHEN HAFTBEFEHL

Sie haben das Recht, über den Inhalt des Europäischen Haftbefehls, auf dessen
Grundlage Sie festgenommen wurden, informiert zu werden.

B. HINZUZIEHUNG EINES RECHTSANWALTS

Sie haben das Recht, vertraulich mit einem Rechtsanwalt zu sprechen. Ein Rechtsanwalt
ist von der Polizei unabhängig. Wenn Sie Hilfe benötigen, um Kontakt mit einem
Rechtsanwalt aufzunehmen, bitten Sie die Polizei um Unterstützung; die Polizei muss
Ihnen behilflich sein. In manchen Fällen kann die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts
unentgeltlich sein. Bitten Sie die Polizei um weitere Auskünfte.

C. DOLMETSCHLEISTUNGEN UND ÜBERSETZUNGEN

Wenn Sie die Sprache, die von der Polizei oder anderen zuständigen Behörden verwendet
wird, nicht sprechen oder nicht verstehen, haben Sie das Recht, kostenlos von einem
Dolmetscher unterstützt zu werden. Der Dolmetscher kann Sie beim Gespräch mit Ihrem
Rechtsanwalt unterstützen und muss den Inhalt dieses Gesprächs vertraulich behandeln.
Sie haben das Recht auf eine Übersetzung des Europäischen Haftbefehls in eine Sprache,
die Sie verstehen. Unter gewissen Umständen können Sie eine mündliche Übersetzung
oder Zusammenfassung erhalten.

1
ABl. L 142 vom 1.6.2012, S. 1.

135
D. MÖGLICHKEIT DER ZUSTIMMUNG

Sie können Ihrer Übergabe an den Staat, in dem Sie gesucht werden, zustimmen oder
nicht. Ihre Zustimmung würde das Verfahren beschleunigen. [Möglicher Zusatz einiger
Mitgliedstaaten: Es kann schwierig oder sogar unmöglich sein, diese Entscheidung zu
einem späteren Zeitpunkt zu ändern.] Bitten Sie die Behörden oder Ihren Rechtsanwalt
um weitere Informationen.

E. ANHÖRUNG

Wenn Sie Ihrer Übergabe nicht zustimmen, haben Sie das Recht, von einer Justizbehörde
gehört zu werden.

136

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