06 15 Motette
06 15 Motette
06 15 Motette
John Dunstable, geboren um 1390, gestorben 1453 (laut Grabinschrift: Fürst der Musik, Mathematiker, Astronom;
tätig sowohl in England wie auf dem Kontinent)
Wie?
„Schöner Klang“ als Neuheit
Aus: Kühn, Kompositionsgeschichte in Beispielen
Satztechnische Neuerungen im 15. Jahrhundert
► Lockerung:
Terzen und Sexten werden im Satzbild wichtiger
(Aufwertung „imperfekter Konsonanzen“)
► Erweiterung:
Auflösung und Vorbereitung der Dissonanzen
(Höhere Anzahl Akzidenzien)
► Disziplinierung:
Verbot von Parallelen perfekter Konsonanzen
f - e- d- e- f
c- h- a- h- c
a- g- d- a
► Alternative Bezeichnung als „canon sine pausis“ verweist auf Konflikt zwischen
automatisierter und verbleibender artifizieller Gestaltung (die ergänzte Stimme zu
den Quartparallelen kann Sexten und Oktaven über der Grundstimme bilden)
► Wörtliche Bezeichnung als falscher Bordun (Bass) verweist auf den Konflikt, dass die
Quarte im Gerüstsatz (in Relation zur tiefsten Stimme) als dissonant, im vollständigen
Satz (ohne Relation zur Hauptstimme) hingegen als konsonant gilt
Wann?
Gibt es eine musikalische Renaissance ?
CONTRA
► Antiker Einfluss zur falschen Zeit: „Renaissance“ erst um
1600 mit der Erfindung der Oper (sowie antiken Sujets)
► Antiker Einfluss zu wenig vorhanden: Einstimmige Musiké
von Prinzipien mehrstimmiger Musik fundamental geschieden
► Antiker Einfluss zu stark vorhanden: Einfluss der antiken
Musiktheorie gilt auch für das gesamte Mittelalter
PRO
► Bezug auf Antike ist für den Begriff nicht mehr wie im 19. Jahrhundert entscheidend
(Parallelen zu Entwicklungen in Baukunst / Malerei / Literatur sind wichtiger)
► Neue Formen musikalischer Subjektivität (Autorenbegriff / Sozialprestige)
► Abwehr veralteter Alternativkonzepte:
Epoche der „Niederländer“ (stattdessen: „frankoflämisch“)
„Signaturtechniken“ als Hinweise auf musikalische Subjektivität
BEISPIEL I
Johannes Ciconia als zentraler Komponist eines „Übergangs aus dem dunklen Zeitalter“ bezieht sich in mehreren
Motetten auf sein eigenes Musizieren und bezeichnet sich in seinem Theorietraktat „De proportionibus“ als „musicus
famosissimus“
BEISPIEL II
Guillaume Dufay integriert den eigenen Namenszug durch Zahlensymbole, Schlüsselung, Solmisationssilben in
einzelne seiner Kompositionen und regelt in seinem Testament, welche seiner eigenen Kompositionen bei seinem
Begräbnis mit welchen situationsbedingten Änderungen gesungen werden soll
A. Auftragsvergabe für Lesen (Singen) einer heiligen Messe als übliches Mittel zur Sündenvergabe (nach dem Tod)
B. Quantitative Aufrechnung der Sünden (bzw. der barmherzigen Gegenleistung) als „theologische Buchführung“
Abb. aus Boris Voigt, Memoria, Macht, Musik. Eine politische Ökonomie in vormodernen Gesellschaften
Wer?
Guillaume Du Fay (1397-1474)
► Geburtsdatum vermutet am 5. August 1397
(Ableitung aus Priesterweihe und Dedikationen,
Vermutung „illegitimer“ Geburt)
► Cambrai als Hauptwirkungsstätte (Ausbildung als
Chorknabe und Berufstätigkeit bis ins hohe Alter)
Typische Werkliste:
- Messen (unter 10 überliefert) und Motetten
(oftmals zu bedeutenden, besonderen Anlässen)
- Chansons (über 80 überliefert)
Dufay, Vasilissa ergo gaude (Anfangsteil, oben links und „Hauptteil“, unten rechts)
Was?
Gestaltungsformen und Verwendungsformen der Motette im 15. Jahrhundert
(und darüber hinaus)
A. Cantus-Firmus-Motette: Rationale Durchkonstruktion verschiedener Formteile durch ein vorgegebenes Modell
B. Liedmotette: Übernahme von Gestaltungsmitteln weltlicher Gattungen mit stärker „melodiezentriertem“ Satzbild
- Motette als unscharfer Gattungsbegriff, der in verschiedenen Epochen musikalische Verschiebungen erfährt
- Einfachste Ableitung aus dem französischen „mot“ (Wort), also Verwendung auch von neuen Textvorlagen
„Die mittelalterliche Motette war eine Gattung mit festgelegter Besetzung und Ausführung, dreistimmig, mehrtextig, mit zwei
bewegten vokalen Oberstimmen und einem in der Regel instrumental ausgeführten Tenor in langen Notenwerten. In der
Renaissance-Motette dagegen sind alle Stimmen vokalisiert, der drei- bis achtstimmige Satz unter Einbeziehung der Bassregion
ist strukturell homogener und strebt nach musikalischem Wohlklang. Alle Stimmen singen den gleichen, fast immer geistlichen
Text in lateinischer Sprache. Jede geistliche Textvorlage (mit Ausnahme des Mess-Ordinariums) wird verwendet.“
(Keil, Musikgeschichte im Überblick, S.88)
Wo?
Das überlieferte Notenbild und das
überlieferte Bild der Aufführung
Ockeghem, Deo Gratia, Kanon für 36 Stimmen
Warum?
Wo gibt es überall Musik?
Johannes Tinctoris:
Terminorum musicae diffinitorum (1496)
Messe Cantus magnus - Latein
- Geistliche Verwendung
Verständnis für Grundkonflikt zwischen einem weiterhin theologischen, auf das Jenseits
gerichteten Lebensverständnis und einem „Aufblühen“ weltlicher Musikformen