Heidenmauer (Wiesbaden)
Die Heidenmauer ist das bekannteste römische Denkmal in der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden, dem römischen Aquae Mattiacorum. Sie wurde um 370 n. Chr. unter Kaiser Valentinian I. errichtet und ist damit das älteste erhaltene Bauwerk der Stadt aus der Römerzeit.[1] In der wilhelminischen Zeit wurde sie zum Bau der Coulinstraße durchbrochen und im Stil der Zeit mit dem sogenannten Römertor ergänzt.
Lage
Die Heidenmauer befindet sich im Zentrum Wiesbadens und beginnt auf dem „Heidenberg“, von wo sie in östlicher Richtung talwärts verläuft und in der Straße „Am Römertor“ endet. In Höhe der Langgasse knickt sie stumpfwinklig ab und endet nahe der Marktkirche in einem mittelalterlichen Turm. Insgesamt ist sie auf einer Strecke von 520 m nachweisbar, wovon aber nur noch 80 m erhalten sind.
Anlage
Die Mauer bestand aus einem Gussmauerwerk, für das kein einheitliches Steinmaterial verwendet wurde. So finden sich auch Ziegel, kleinere Steine und Spolien mittelkaiserzeitlicher Steindenkmäler darin, stellenweise ist Ziegeldurchschuss erkennbar. Sie ist an der Basis 2,30 m stark, bis zu 10,00 m hoch, und ca. 80 m lang. Das Fundament ruht auf Holzpfählen von durchschnittlich 15 cm Durchmesser und 80 cm Länge. Einen Hinweis auf den Wehrgang gibt ein bei der neuzeitlichen Aufmauerung verbauter Zinnendeckstein. Aus seinen Maßen meinte Emil Ritterling eine Breite des Wehrgangs zwischen 1,52 und 1,57 m errechnen zu können.[2] Die Tatsache, dass die Mauer an beiden Seiten abbricht, hat zu verschiedenen Deutungen geführt:
- Die Mauer könnte noch während des Baus aufgegeben und niemals fertiggestellt worden sein.[3]
- Die Abschnitte, die nicht von der Mauer geschützt wurden, waren durch Feuchtigkeit oder Hanglage für einen Angriff weniger geeignet und könnten nur durch einen Graben oder Palisaden geschützt worden sein.[4]
- Weitere Befestigungen könnten durch Bodenerosion aufgrund der Hanglage nicht mehr nachweisbar sein.[5]
Im Mittelalter wurde die Heidenmauer in die Wiesbadener Stadtbefestigung einbezogen und ist heute das einzig verbliebene Teilstück davon. Gesicherte Nachweise, ob an der Heidenmauer in diesem Zusammenhang bauliche Änderungen vorgenommen wurden, bestehen bisher nicht.
Forschungsgeschichte
Das weitgehend sichtbare Monument hat bereits früh die Aufmerksamkeit von Gelehrten auf sich gezogen. Ihre Erforschung wurde anfangs besonders vom Verein für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung getragen. Mit dem römischen Wiesbaden und der Heidenmauer sind die Namen zweier bekannter Pioniere der Altertumsforschung verbunden: Karl August von Cohausen [6] und Emil Ritterling.[7]
Im 20. Jahrhundert beschäftigten sich Ferdinand Kutsch[8] und Helmut Schoppa[9] für den Nassauischen Altertumsverein bzw. das Museum Wiesbaden mit der Heidenmauer.
In jüngster Zeit wurde die bisherige Annahme, dass es sich um eine Wehrmauer handelt, in Frage gestellt. Der Architekt Martin Lauth glaubt in dem Bauwerk eine Wasserleitung zu sehen. Unter anderem bezieht er sich auf Reste von Pfeilern, die um 1839 beim Bau der Taunus-Eisenbahn im Salzbachtal südlich von Wiesbaden gefunden wurden.[10]
Römertor
1902 wurden die Reste der Heidenmauer für den Bau der Coulinstraße durchbrochen. Der damalige Wiesbadener Stadtbaumeister Felix August Helfgott Genzmer ließ 1903 das so genannte Römertor errichten, eine überdachte Holzkonstruktion in Anlehnung an die Trajansbrücke über die Donau aus dem Jahr 103 n. Chr.[11] 1979 wurde die bis dahin für die Öffentlichkeit nicht erreichbare Überquerung der Coulinstraße durch einen angefügten Treppenaufgang auf der Talseite und einen neuen Steg auf der Bergseite als Fußgängerquerung erschlossen. Im Rahmen einer 2012 beschlossenen Sanierung des Holzaufbaus werden diese Umbauten wieder entfernt und das Tor anschließend als Aussichtsplattform zugänglich sein.[12]
Unterhalb des Römertores wurden Kopien von in Wiesbaden gefundenen Steindenkmälern aus der Römerzeit aufgestellt und so ein Freilichtmuseum geschaffen. Darunter befinden sich Soldatengrabsteine,[13] eine Inschrift, die auf eine Wiederherstellung eines Dolichenus-Heiligtums hinweist[14] sowie die Bauinschrift für ein Versammlungshaus ortsansässiger Händler.[15] Die Originale befinden sich in der Sammlung Nassauischer Altertümer und sind derzeit nicht für die Öffentlichkeit zugänglich.
Kopien von Steindenkmälern aus der Sammlung Nassauischer Altertümer
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Grabstein des Reiters Dolanus Bessus.
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Bauinschrift für ein Versammlungshaus ortsansässiger Händler.
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Inschrift zur Wiederherstellung eines Dolichenus-Heiligtums.
Siehe auch
- Aquae Mattiacorum, antike römische Siedlung in Wiesbaden
- Geschichte der Stadt Wiesbaden
Literatur
- Baedeker Wiesbaden Rheingau. Karl Baedeker GmbH, Ostfildern-Kemnat, 2001, ISBN 3879540764
- Walter Czysz: Wiesbaden in der Römerzeit. Theiss, Stuttgart 1994 ISBN 3-8062-1088-8 S. 220–225.
- Jörg Lindenthal: Kulturelle Entdeckungen. Archäologische Denkmäler in Hessen. Jenior, Kassel 2004, S. 199f. ISBN 3-934377-73-4
- Jürgen Oldenstein: Kastell Alzey. Archäologische Untersuchungen im spätrömischen Lager und Studien zur Grenzverteidigung im Mainzer Dukat. Habilitationsschrift Universität Mainz 1992, S. 319f.(online, PDF, 14,9 MB)
- Hans-Günther Simon in: Dietwulf Baatz und Fritz-Rudolf Herrmann (Hrsg.): Die Römer in Hessen. 3. Auflage. 1989. Lizenzausgabe Nikol, Hamburg 2002, ISBN 3-933203-58-9, S. 490f.
Weblinks
- Commons: Heidenmauer – Sammlung von Bildern
Einzelnachweise
- ↑ W. Czysz 1994 S. 220, 222 und 225; H.-G. Simon in Baatz/ Herrmann 1989, S. 490; Lindenthal 2004, S. 200.
- ↑ Walter Czysz: Wiesbaden in der Römerzeit. Theiss, Stuttgart 1994, S. 224, mit weiteren Quellen.
- ↑ H.-G. Simon in Baatz/ Herrmann 1989, S. 491.
- ↑ W. Czysz 1994 S. 221;Lindenthal 2004 S. 200; wurde bereits in den 1870er Jahren von Karl August von Cohausen vermutet: A. v. Cohausen: Miscellen. Nassauische Annalen 12, 1873 S. 317 und ders.:Die Heidenmauer. Nass. Ann. 14, 1877 S. 410f.
- ↑ W. Czysz 1994 S. 221
- ↑ August von Cohausen: Die Heidenmauer. Nass. Ann. 14, 1877, S. 406–413.
- ↑ Emil Ritterling/ Ludwig Pallat: Römische Funde aus Wiesbaden. Annalen des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung 29, 1897/98 (1898), S. 115–169.
- ↑ Ferdinand Kutsch: Neue Funde zu einem valentinianischen Brückenkopf von Mainz. in: Festschrift für August Oxé, 1938, S. 206.
- ↑ Helmut Schoppa: Aquae Mattiacorum und Civitas Mattiacorum. Bonner Jahrbücher 172, 1972, S. 232; derselbe: Heidenmauer und castrum, quod moderno tempore Wisibada vocatur. Bodenaltertümer in Nassau 3, 1953.
- ↑ Martin Lauth: Wiesbaden - Aquae Mattiacae - die Stadt des Wassers: Die Heidenmauer in Wiesbaden – Vom Bollwerk zum Aquädukt. Nassauische Annalen 122, 2011; ISSN 0077-2887; S. 1-53; online (PDF; 4,9 MB)
- ↑ Wiesbadener Tagblatt vom 12. Sept. 2012, Bauliches Kleinod erhält neues Kleid [1]
- ↑ Wiesbadener Kurier vom 4. Sept. 2012, Seite 5, Der Fußgängerüberweg verschwindet
- ↑ u.a. CIL 13, 07585 (4, p 128).
- ↑ CIL 13, 07566a.
- ↑ CIL 13, 07587.
Koordinaten: 50° 5′ 3,6″ N, 8° 14′ 19,7″ O