Laura Himmelreich

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Laura Himmelreich (* 1983 in München) ist eine deutsche Journalistin.

Leben

Himmelreich studierte Politikwissenschaft sowie Wirtschafts- und Sozialgeschichte in Göttingen und Prag. Danach besuchte sie von 2009 bis 2010 die Henri-Nannen-Journalistenschule[1] in Hamburg und schrieb als freie Journalistin u. a. für die Süddeutsche Zeitung, Die Zeit, Spiegel Online und das Nachrichtenmagazin Stern. Zu ihren Themenschwerpunkten gehörten Wirtschaft, Nachhaltigkeit und Sozialpolitik. Ab 2010 war sie Redakteurin im Ressort Politik[2] im Berliner Büro des Stern,[3] für den sie u. a. regelmäßig über die Piratenpartei und die FDP berichtete.

2012 wurde ihre Sozialreportage Eine Reise ohne Wiederkehr für den Deutschen Reporterpreis in der Kategorie Beste Reportage nominiert[4] und 2013 im Rahmen des Hansel-Mieth-Preises ausgezeichnet.[5] Der Herrenwitz, ein Porträt über Rainer Brüderle im Stern, löste eine bundesweite Debatte über Sexismus und sexuelle Belästigung von Frauen aus.[6]

Zum 1. Juni 2016 wechselte Himmelreich als Chefredakteurin zur deutschen Online-Ausgabe des Lifestyle- und Jugendmagazins Vice.[7] Im September 2018 wurde sie Chefredakteurin aller deutschsprachigen Ausgaben. Die österreichische Redaktion kritisierte die Strukturänderung und verließ geschlossen das Unternehmen.[8] Im Juni 2019 verließ Himmelreich Vice.[9] Seit November 2019 ist sie stellvertretende Chefredakteurin Digital der Funke Zentralredaktion.[10]

2017 wurde Himmelreich zusammen mit Hans-Martin Tillack und Ulrich Neumann für ihre investigative Recherche zu prekären Arbeitsverhältnissen bei der Drogeriekette Rossmann, die 2016 unter dem Titel Rossmanns Tagelöhner im Stern erschien, in der Kategorie „Investigative Leistung“ für den Nannen-Preis nominiert.[11]

2017 wählte die Jury des Medium Magazins Himmelreich auf den dritten Platz in der Kategorie „Chefredaktion des Jahres 2017“.[12]

Feature „Der Herrenwitz“

In dem Porträt Der Herrenwitz im Stern vom 24. Januar 2013 schilderte sie eine anzügliche Bemerkung[13] des FDP-Spitzenkandidaten am Abend des Dreikönigstreffens der FDP am 6. Januar 2012. Demnach habe Brüderle in einer Hotelbar auf ihren Busen geschaut und gesagt: „Sie können ein Dirndl auch ausfüllen.“[14] Neben dieser Begebenheit zeichnet Himmelreich mit Schilderungen weiterer Situationen das Bild eines Mannes in „Dauererotisierung“, der Schlüpfrigkeiten ihrer Popularität wegen nutze.

Sexismusdebatte

Verstärkt durch die auf Twitter unter dem Hashtag #aufschrei geführte Debatte über sexistische Bemerkungen und Übergriffe, denen sich Frauen in ihrem alltäglichen Leben ausgesetzt sehen, wurde die Sexismus-Debatte auch ein beherrschendes Thema in Print-Medien und Fernsehsendungen wie den Talkshows Markus Lanz, Maybrit Illner[15] und Günther Jauch[16] sowie in der internationalen Presse[17] und „schwappte bis in die USA“.[18][19] Die Süddeutsche Zeitung befand, dass Laura Himmelreich mit ihrem Stern-Artikel über Rainer Brüderle die Sexismus-Debatte maßgeblich mit angestoßen habe.[20]

Reaktionen der FDP

FDP-Vorstandsmitglied Wolfgang Kubicki warf Laura Himmelreich einen journalistischen „Tabubruch“ vor, da sie den „geschützten Bereich“ vertraulicher Hintergrundgespräche öffentlich gemacht habe[21]. Die FDP-Politikerin Koch-Mehrin begrüßte es, dass Himmelreich den Mut gehabt habe, in ihrem Artikel „das Thema Anzüglichkeiten so offen zu benennen“.[22] Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) wertete Anfang Februar 2013 die Äußerung Brüderles als Kompliment: „Ein Kompliment ist doch was anderes, als wenn jemand tatsächlich übergriffig ist.“ – „Wenn ich auch ein Dirndl tragen kann und das steht mir gut, wo ist denn da die Beleidigung? Also ich möchte wirklich, dass man hier mal die Kirche im Dorf lässt.“[23] Brüderle selbst äußerte sich zunächst nicht zu den Vorwürfen. Beim ZDF-Sommerinterview 2013 sagte er in diesem Zusammenhang: „Es gibt Themen, zu denen muss man sich nicht äußern“.[24] Erst im April 2014 meldete er sich öffentlich zu Wort und erklärte, die Bemerkung sei in Anwesenheit zahlreicher anderer Journalisten gefallen, von denen sich keiner, auch Himmelreich selbst nicht, beschwert habe. Vielmehr habe Himmelreich ihn auch nach dem Vorfall auf mehreren Terminen begleitet: „Sie ist mit mir im Auto mitgefahren. Das macht doch niemand, der sich belästigt fühlt. Sie hat sich ein Jahr lang nicht bei mir beschwert.“ ([25])

Reaktionen in der Presse

Khuê Pham wies in Die Zeit darauf hin, dass Himmelreich den Begriff „sexuelle Belästigung“ selbst nie verwendet habe.[3]

Anja Maier kommentierte in der taz, dass Himmelreich „nun ausgerechnet sie, das Opfer von Brüderles Sexismus, für ihre Kritiker zur Täterin“ werde.[26] Das Nachrichtenmagazin Focus,[27] die linke politische Wochenzeitung Jungle World[28] und die Boulevardzeitung Bild[29] berichteten im Februar 2013 darüber, dass Himmelreich „acht Monate nach ihrer Barbegegnung“[27] selbst in einem Artikel im Stern[30] über Ilse Aigner geschrieben habe: „Bodenständig ist sie geblieben, und dirndltauglich ist sie eh.“[27]

Frühere Übergriffe durch Politiker

Als Reaktion auf Himmelreichs Bericht äußerten mehrere Journalistinnen, dass sie selbst verbale und körperliche Übergriffe durch Politiker erlebt und diese zum Teil jahrelang für sich behalten hätten. In der Berliner Morgenpost schilderte Inga Griese, dass sie Verstörung und Wehrlosigkeit empfunden habe, als ihr bei einem Hintergrundgespräch Anfang der 1990er-Jahre Willy Brandt seine Hand auf ihr Knie gelegt habe, betonte aber andererseits, dass sie Hans-Dietrich Genschers Satz „Ich wüsste schon gern, wie Ihre Lippenstiftfarbe schmeckt“ unproblematisch fand und bei einer Veranstaltung Anfang der 1980er-Jahre neben Uwe Barschel sitzend „viel gekichert“ habe.[31] Die NDR-Korrespondentin Gesine Enwaldt berichtete von einem Gespräch mit Brüderle, bei dem „es von seiner Seite aus nur noch um Anmache“ gegangen sei, was sie als „extrem unangenehm empfunden“ und später verdrängt habe. Hanni Hüsch sagte, sie habe verbale Übergriffigkeit durch Brüderle in ihrer Zeit als Berlin-Korrespondentin in den Jahren 1998–2005 erlebt und meinte, ihm sei der Ruf vorausgeeilt, „dass es nicht zwanghaft schicklich ist, mit dem in einem Zimmer alleine zu sein“. Die Panorama-Reporterin Patricia Schlesinger schilderte, wie ihr ein FDP-Politiker am Ende eines Aufnahmetermins ungefragt die Hand aufs Knie gelegt habe, während das Kamerateam noch am Zusammenpacken gewesen sei.[32]

Einzelnachweise

  1. Das Netzwerk – Süddeutsche Zeitung Magazin
  2. Bildunterschrift in der Printfassung zum Porträt über Rainer Brüderle im Magazin Stern (Ausgabe Nr. 5/2013) S. 47.
  3. a b Khuê Pham: Sexismus-Debatte Alle fragen: Warum erst jetzt? Wie die »stern«-Reporterin Laura Himmelreich von der Debatte über ihr Porträt Rainer Brüderles überrollt wurde. In: Die Zeit. Nr. 6/2013, 31. Januar 2013 (zeit.de [abgerufen am 16. Februar 2013]).
  4. Deutscher Reporterpreis. Die Nominierungen 2012. In: Reporterforum. Reporter Forum e.V. Hamburg, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 2. Februar 2013; abgerufen am 4. Juli 2013.
  5. Zeitenspiegel Hansel Mieth Preis. Die Sieger 2013. In: Agentur Zeitenspiegel. Zeitenspiegel Online, abgerufen am 11. September 2013.
  6. Rainer Brüderle: Der spitze Kandidat. – Stern.de, 23. Januar 2013
  7. Deutsches Vice.com holt stern-Reporterin Laura Himmelreich als Chefredakteurin meedia.de, 4. April 2016
  8. Laura Himmelreich zum Vice-Exodus in Austria: “Möchte nicht Chefin von Leuten sein, die nicht zu meinem Team gehören wollen” meedia.de, 14. August 2018
  9. Führungswechsel bei “Vice”: Felix Dachsel wird neuer Chefredakteur der DACH-Region, Laura Himmelreich geht meedia.de, 28. Juni 2019
  10. Ex-Vice-Chefin Laura Himmelreich wird stellvertretende Chefredakteurin Digital bei Funke meedia.de, 2. Oktober 2019
  11. Nominierte für den Nannen Preis 2017 stehen fest. presseportal.de, abgerufen am 9. November 2017.
  12. Laura Himmelreich. medium magazin, abgerufen am 19. Juli 2018.
  13. Himmelreich schreibt von einem Handkuss; Hannah Beitzer davon, dass Brüderle sich der „Reporterin mit zweideutigen Anspielungen und Berührungen“ genähert habe. Netzfeministin Anne Wizorek. Männer, ihr habt doch ein Gehirn! In: Süddeutsche Zeitung. 11. Februar 2013.
  14. Daniel Bax, Astrid Geisler, Hanna Gersmann, Anja Maier: Die ganz alltägliche Anmache, in: taz vom 24. Januar 2013.
  15. Sexismus: Brüderle-Talk bei Illner mit Kubicki und Roth – Der Spiegel Online, 1. Februar 2013.
  16. Melanie Mühl: #Dirndl bei #Jauch. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 28. Januar 2013
  17. Zum Beispiel: Frédéric Lemaître: Le déclin du mâle blanc allemand. In: Le Monde. 7. Februar 2013, Online
  18. Sexismus-Debatte bei Markus Lanz: „Brüderle ist auf sein Alter reduziert worden“ – „Ein eiskalter Vorgang“ – FOCUS Online
  19. Meliassa Eddy, Chris Cottrell: German Politician’s Remark Stirs Outcry Over Sexism. In: The New York Times. 28. Januar 2013.
  20. Lena Jakat: Mit flachen Witzen gegen den #aufschrei. In: Süddeutsche Zeitung. 28. Januar 2013 (TV-Kritik zu Günther Jauch).
  21. Kubicki wirft „Stern“ Tabubruch vor Handelsblatt vom 26. Januar 2013
  22. Birgit Baumann: Sexismusvorwürfe gegen Brüderle erregen Berlin. In: Der Standard. 26./27. Januar 2013.
  23. Justizministerin: Brüderles „Dirndl“-Äußerung waren ein Kompliment. dapd. 1. Februar 2013. Abgerufen am 7. März 2013.
  24. Video Berlin direkt: Sommerinterview mit Rainer Brüderle (21. Juli 2013, 19:10 Uhr, 18:41 Min.) in der ZDFmediathek, abgerufen am 3. Februar 2014.
  25. Rainer Brüderle bricht sein Schweigen In: Handelsblatt. 6. April 2014
  26. Die hässliche Wahrheit - 24. Januar 2013.
  27. a b c Sexismus-Debatte – Auch Frau Himmelreich mag den Dirndl-Vergleich In: Focus. 4. Februar 2013.
  28. Spitzenjournalismus In: Jungle World. 7. Februar 2013.
  29. „Dirndltauglich“ – So schrieb die Stern-Reporterin über Ilse Aigner. In: Bild. 1. Februar 2013
  30. Stern Nr. 39, 2012.
  31. Inga Griese: Als Willy Brandt seine Hand auf mein Knie legte… Herrenwitz oder Übergriff? Unsere Autorin hat es erlebt. In: Berliner Morgenpost. 27. Januar 2013 (morgenpost.de [abgerufen am 17. Februar 2013]).
  32. „Es ging nur noch um Anmache…“ Norddeutscher Rundfunk, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 13. Februar 2013; abgerufen am 17. Februar 2013.