Wenden

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Wenden (auch Winden, lateinisch Venedi) bezeichnet diejenigen Westslawen, die vom 7. Jahrhundert an große Teile Nord- und Ostdeutschlands (Germania Slavica) bewohnten, heutzutage meist als Elbslawen bezeichnet. Sie dürfen nicht mit den „Windischen“ (Slowenen) im Alpenraum verwechselt werden, die zu den Südslawen gehören und deren deutsches Ethnonym auf dieselbe Wortwurzel wie „Wenden“ zurückgeht.

Wortherkunft

Das Ethnonym „Wenden“ ist in verschiedenen Varianten seit dem 6. Jahrhundert in der schriftlichen Überlieferung nachweisbar. Verwendet wurde es zuerst als unpräziser Sammelbegriff für verschiedene Gruppen von Menschen, heute als Slawen bezeichnet, und geht auf eine germanische Fremdbezeichnung zurück.

Im Lateinischen ist die Bezeichnung weiterhin Vandalia bzw. Vandalorum (Wendenland) geblieben.

Im östlichen Germanien, wo einst Wandalen wohnten, kamen mit der Völkerwanderung und den Anstürmen aus Asien späterhin verschiedene Volksgruppen, die dann zusammengefasst Wenden genannt wurden. Der polnische Chronist Vinzenz Kadlubek ging noch einen Schritt weiter und erfand die Wanda (Sage), um dem neu geschaffenen Herzogtum der Polanen eine weit zurückreichende Geschichte zu beschaffen. Kadlubeks vielfach wiederholte und als wahr ausgelegte Geschichte setzte Polen mit Wandalen gleich und nannte den Fluss, an dem seine „Wanda“ und ihr Volk lebte, „Wandalus“ (Weichsel).

Der Slawist Aleksander Brückner stellte folgendes über Mag. Vincenz Kadlubek und dessen Sagenerfindungen fest: „Nur ein einziger von allen, die sich je mit polnischer Urgeschichte beschäftigt haben, hat das Richtige eingesehen, der Lemberger Erzbischof Gregor von Sanok im XV. Jahrh. (…) (er hat) die Angabe des Mag. Vincentius zurückgewiesen (…) Gregor erkannte richtig, dass allein die falsche Gleichung Poloni = Vandali den Mag. Vincentius zur Ansetzung seiner Vanda verführt hatte und wies sie folgerichtig ab; alle seine Nachfolger sind weniger vorsichtig gewesen und haben nur Irrthümer auf Irrthümer gehäuft. Da die Polen keinerlei Tradition aufweisen konnten, hat Mag. Vincentius die Legenden erfunden.“[1]

Das Wort Wenden wird auch im Zusammenhang mit dem lateinischen (und altgriechischen) Namen Venetae gebracht, mit dem zur Zeitenwende und in der römischen Kaiserzeit drei verschiedene Völker bezeichnet wurden: Die keltischen Veneter lebten zur Zeit Caesars nördlich der Loiremündung in Gallien. Die Veneter der östlichen Alpen und nördlichen Adria haben kurze schriftliche Zeugnisse zurückgelassen und werden unsicher als italisch oder illyrisch eingeordnet. Die dritten Venetae oder Venedae waren im römischen Reich nur vom Hörensagen bekannt. Den Autoren Plinius, Tacitus, Ptolemaios und im frühesten Mittelalter Jordanes zufolge lebten sie im Baltikum oder anderweitig östlich der Weichsel. Nach der differenziertesten Darstellung des Ptolemäus dürften sie Balten gewesen sein. Als slawisch kommen nach seiner Beschreibung eher die Sulones und die Stavani infrage, deren Gebiet sich weit bis zu den Alauni (Alanen) erstreckte.[2]

Aus den überlieferten Aufzeichnungen frühmittelalterlicher Autoren wird allgemein geschlossen, das aus der Antike überkommene Wort sei mit dem Erscheinen der Slawen von den Germanen auf ihre neuen unbekannten slawischen Nachbarn übertragen worden, ähnlich wie welsch, Welsche oder Wallische, das etymologisch auf einen keltischen Stamm der Volcae zurückgeht und dann auf die Romanen (Schweiz, Italien), in Britannien auf die keltischen Cymrer (Kambrier) in Wales angewandt wurde.

Das finnische Wort für Russland ist „Venäjä“, das für Russen „Venäläiset“, die schwedischen Wörter sind „Ryssland“ bzw. „Ryss“. Die finnischen Wörter „Ruotsi“ und „Ruotsalaiset“ bezeichnen hingegen das Land und das Volk der Schweden – eine Erinnerung an den skandinavischen Ursprung der einst im Gebiet des heutigen Russland siedelnden Waräger und ein möglicher Hinweis auf eine von antiken Vorbildern unabhängige Bezeichnung für Slawen mit dem Wortstamm „ven…“.

Die Bezeichnung Wenden findet sich in diesem Sinne mehrfach:

  • Die Veneter an der mittleren Weichsel wurden Jordanes zufolge um 350 von den Ostgoten unterworfen.
  • Die im bairischen bzw. oberdeutschen Sprachraum übliche Version „Windisch“ wurde ursprünglich für slawische Nachbarn sowohl nördlich als auch südlich der Alpen gebraucht. Später bezeichnete „Wendisch“ bzw. „Wenden“ nur noch die Elbslawen, während „Windisch“ die Bezeichnung für die slowenische Sprache wurde.
    • Die Baiuwaren bezeichneten vor allem einen zu den Alpenslawen als Teil der Südslawen gerechneten Stamm als Windische. In Verbindung mit der zeitgenössischen Latinisierung als Veneti, Vineti, Vinedi könnte dies eine sekundäre Übertragung des ursprünglich auf die antiken Alpenbewohner bezogenen Namens sein. Die Eigenbezeichnung dieser Slawen war Karantanen, wahrscheinlich vom Charakter ihres Siedlungsgebietes hergeleitet: *car bedeutet „Felsen“. 631 wird in der Fredegar-Chronik Karantanien als marcha Vinedorum (‚Mark der Wenden/Windischen‘) genannt. Seine Bewohner gehören zu den Vorfahren der heutigen Slowenen, wie sie etwa seit dem 16. Jahrhundert heißen.
    • „Windisch“ ist allerdings auch Namensbestandteil mehrerer einstmals slawisch besiedelter Orte nördlich der Donau, etwa Windischeschenbach im Norden der Oberpfalz, der Weiler Windisch Bockenfeld westlich von Rothenburg ob der Tauber und Windischbuch beim nordbadischen Boxberg.

Zur Gleichsetzung der Bezeichnungen Wenden und Vandalen siehe hier: → Vandalen

„Wendisch“ und „Windisch“

„Windisch“ ist die traditionelle deutsche Bezeichnung für die slowenische Sprache. Seit dem Zerfall der Donaumonarchie wurde diese Bezeichnung aus politischen Gründen auf die Slowenischsprachigen in der Republik Österreich eingegrenzt und dem Slowenischen in Jugoslawien bzw. der Republik Slowenien gegenübergestellt. So ist im heutigen Österreich „Windische“ eine verbreitete Bezeichnung für die im Grenzgebiet lebenden Kärntner sowie die Eigenbezeichnung derjenigen, die diese Sprache (Mundart) verwenden, aber nicht als Slowenen gelten wollen.

„Wendisch“ (elbslawisch) und „Sorbisch“

Die deutsche Eigenbezeichnung der alteingesessenen Slawen in der (brandenburgischen) Niederlausitz ist Gegenstand von Auseinandersetzungen. Während die DDR die einheitlichen Bezeichnungen Sorben für die Slawen der Nieder- und Oberlausitz propagierte, verstehen sich viele Niederlausitzer als Wenden in Abgrenzung zu den Sorben in der (sächsischen) Oberlausitz. In diesem Sinne wird auch die slawische Sprache in der Niederlausitz als Wendisch oder Niedersorbisch bezeichnet, wovon sich das (Ober-)Sorbische in der Oberlausitz unterscheidet. Mittlerweile tritt nur die Bezeichnung Sorbisch als kulturelle Einheit und anerkannte Minderheit in der gesamten Lausitz heraus.

Geschichte

Wendenabbildung aus dem Sachsenspiegel. Die Frau (links) trägt den typischen Schläfenring, die Männer "gewundene" Beinwickel, die aber weder archäologisch noch aus Schriftquellen bekannt sind: ein "redendes" Bild für die Masse der Schriftunkundigen.
Wendische Hochzeit 1931 im Spreewald

Seit dem späten 6. Jahrhundert und im 7. Jahrhundert wanderten Slawen in die oben genannten Gebiete der Germania Slavica ein. Dabei wurden in der Zeit um 600 und in der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts zunächst die Gebiete entlang der Elbe und unteren Saale aufgesiedelt. Ab dem Ende des 7. Jahrhunderts und verstärkt im 8. Jahrhundert erfolgte die Besiedlung der nördlich davon liegenden Regionen bis zur Ostsee. Zu einer Herausbildung von „Stämmen“ und „Stammesverbänden“ (Ethnogenese) kam es erst in Folge der Landnahme in den neu erschlossenen Siedlungsräumen. Einen Höhepunkt der westslawischen Entwicklungsgeschichte stellt die frühe „Staatsbildung“ der Abodriten im Raum des heutigen Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburgs im 11. Jahrhundert dar. Die Slawen kämpften gegen Dänen und Deutsche um die Vorherrschaft im südlichen Ostseeraum (etwa im Wendenkreuzzug) und unterlagen schließlich. Auch auf den dänischen Inseln Lolland und Falster gab es slawische Siedlungen.

Im Laufe der mittelalterlichen Ostkolonisation ab dem 11. Jahrhundert, verstärkt aber erst im 12. Jahrhundert und 13. Jahrhundert, kam es zu einer Verschmelzung der Elbslawen mit den neu zugewanderten deutschen Siedlern und zur Herausbildung sogenannter „deutscher Neustämme“ der Brandenburger, Mecklenburger, Pommern, Schlesier und Ostpreußen (Die Ostpreußen sind jedoch nicht aus Deutschen und Wenden, sondern aus Deutschen, baltischen Pruzzen, Litauern und polnischen Masowiern entstanden). Die westslawischen Sprachen und Dialekte im Heiligen Römischen Reich wurden in einem jahrhundertelangen Prozess der Germanisierung – nicht selten durch Restriktionen (Gebrauchsverbote) – zurückgedrängt. Im 15. Jahrhundert wurde der Gebrauch der wendischen Sprache auf den Gerichten in Anhalt untersagt. Sie wurde jedoch im Alltag weiter verwendet, und noch Martin Luther schimpfte über „wendisch sprechende“ Bauern in der Gegend von Wittenberg. In einigen Gebieten wie im niedersächsischen Wendland (siehe auch Drawehn) oder in der brandenburgisch-sächsischen Lausitz konnten die Slawen ihre kulturelle Eigenständigkeit und ihre Sprachen bis weit ins 18. Jahrhundert beziehungsweise bis heute bewahren.

„Schwebendes Volkstum“ nach 1945

Ein recht widersprüchliches Schicksal erlebten die von der polnischen Regierung als „autochthone Slawen“ betrachteten Bevölkerungsteile der deutschen Ostgebiete nach 1945 (im südlichen Ostpreußen, Ostpommern und in Oberschlesien). Teilweise waren sie 1945 mit den anderen Bewohnern vor der Roten Armee in den Westen geflüchtet oder wurden unmittelbar nach Kriegsende als Deutsche vertrieben und gingen dann in der neuen Heimat in der deutschen Bevölkerung auf. Nach einer kurzen Übergangszeit hinderten die polnischen Behörden jedoch als Slawen betrachtete Bevölkerungsteile am Verlassen der Heimat und zwangen sie zu einer s.g. „Verifikation“ (weryfikacja)[3] als ethnische Polen. Sie sind nach 1945 teilweise im polnischen Volk aufgegangen (Masuren, Schlesier), haben zu ihrer eigenen Identität gefunden (Kaschuben in den ostpommerschen Landkreisen Bütow und Lauenburg) oder aber definieren sich nunmehr – sich der Polonisierung widersetzend – als deutsche Minderheit, mitunter auch einfach als „Schlesier“. Die Wissenschaft hatte diesen Zustand der nichteindeutigen Volkszugehörigkeit früher „schwebendes Volkstum“ genannt:[4][5][6][7] Diese Menschen waren der Abstammung nach eher Slawen, bedienten sich aber nur noch teilweise der slawischen Sprache (oft nur als „Haussprache“), fühlten sich aber eher als Deutsche. Nach 1945, als die deutschen Provinzen östlich der Oder an Polen fielen, sollten ihre Nachfahren zunächst „polonisiert“ (als eigentliche Slawen ins polnische Volk integriert) werden. Da sie sich dem aber widersetzten, weil sie sich inzwischen längst als Deutsche fühlten, ließ man sie schließlich in die Bundesrepublik Deutschland ausreisen.[8]

Geschichtsschreibung

Die „Wendische Geschichte“ von Krantz; Titelblatt des Drucks von 1636

Geschichtliches über die Wenden ist bereits von zeitgenössischen Chronisten aufgeschrieben worden, insbesondere von Thietmar von Merseburg, Adam von Bremen, Helmold von Bosau und Saxo Grammaticus, allerdings nicht unter langfristiger Perspektive. Im 15. Jahrhundert waren die Wenden in die im Rahmen der deutschen Ostsiedlung gebildeten Neustämme, an deren hochmittelalterlichem Landesausbau sie teilnahmen, zwischen Elbe und Oder, Ostsee und Fläming nahezu restlos integriert. Den ersten großen Rückblick auf die insoweit abgeschlossene Geschichte der Wenden gab 1519 der Hamburger Gelehrte Albert Krantz. Der Kurztitel “Wandalia“ seiner “Beschreibung Wendischer Geschicht“ zeigt, dass er im Rückgriff auf antike römische Schriftsteller die Wenden irrigerweise für die Nachkommen der Vandalen (nicht der Veneter) hielt, also eines ostgermanischen Stammes; allerdings war diese falsche Gleichsetzung bereits im Mittelalter gängig gewesen. Der auch in Lübeck tätig gewesene Staatsmann Krantz begann sein Werk mit den Worten:

„In diesem Strich deß Wendischen Lands Seewärts, an den die Wenden (welche die unserigen auch Sclauen heissen) vor Jahren und jetzt die Sachsen bewohnen, haben ehemals schöne herrliche Städte gelegen, deren Macht so groß gewesen, daß sie auch den gewaltigen Königen von Dennemarck offtmals zu schaffen gegeben, die nun theils gantz umbgekehret, theils aber wie sie außgemergelt zu geringen Flecken und Vorwercken seyn gemacht worden. Gleichwol seyn unter Regierung der Sachsen, an deren stadt andere, so Gott lob jetzt in vollem Reichthumb und Macht stehen, erbawet, die sich auch deß alten Nahmens dieser Länder nicht schämen und daher noch heutiges Tages die Wendischen Städt heissen. Umb deren willen bin ich desto williger gewesen, diese Wendische Historien zu schreiben. Unnd will nunmehr hinfort anzeigen, was diese Nation vor vndenklichen Jahren für Thaten außgerichtet, was für Fürsten darinn erzogen und geboren vnnd was noch jetzunder für schöne Städte in dieser gegend an der See vorhanden.“

Albert Krantz Wandalia

Im “V. Capitel“ fährt er fort:

„Nach dem die Sachsen diese Wendische länder unter sich vnnd in die eusserste Dienstbarkeit gebracht, ist dieser Nahme dermassen verächtlich, daß, wenn sie erzürnen, einen der Leibeigen vnd ihnen stets vnter den Füssen ligen muß, anderst nicht denn einen Sclauen schelten. Wenn wir aber vnser Vorfahren Geschichte vnd Thaten vns recht zu gemüht führen vnd erwegen, werden wir vns nicht für ein Laster, sondern für eine Ehre zu ziehen, daß wir von solchen Leuten hergeboren.“

Albert Krantz Wandalia

Krantz bezieht sich immer wieder auf die bekanntesten Chronisten Adam, Thietmar, Helmold und Saxo, wobei er vor allem das Rühmliche hervorhebt, zum Beispiel die von Adam geschilderte Pracht von Vineta. Das Heidentum der Slawen erwähnt er zwar auch, aber ohne die bei den Chronisten übliche Abscheu, denn für Krantz sind die Wenden ja ursprünglich ein Stamm der Germanen gewesen, die ebenso heidnisch waren. In ihrem Kampf gegen das Reich unterscheiden sich für ihn die Wenden nicht von den Dänen. Krantz behandelt alle slawischen Völker Europas, aber im Mittelpunkt seines Interesses steht das Land der Obotriten, auf dem das „Wendische Quartier“ der Hanse entstand. Auch auf die Mark Brandenburg geht er ein („Die Marck Brandenburg ist der vornembsten theile einer mit von den Wendischen landen“), zunächst auf den markgräflichen Besitz auf dem Westufer der Elbe:

„Vnd will ich erachten, daß zu den zeiten der dreyer Ottonum die Sachsen nach außtreibung der Wenden diese Länder albereit innegehabt. Denn auch Keiser Heinrich, Ottonis des grossen Vater, hat die eroberte Stadt Brandenburg zu einer Sächsischen Colonien gemachet vnnd dahin einen Marggraffen verordnet, dessen Nachkömmlinge einen herrlichen Tittel von ihm auff sich gestammet. […] Wie nun die Sachsen wiederumb sich gesterckt [nach dem Slawenaufstand 983], haben sie durch beider Herren Hertzogen Heinrich und Marggraf Albrechten macht den mehrer theil der Wenden erschlagen vnnd die vbrigen vertrieben.“

Albert Krantz Wandalia

Die märkischen Geschichtsschreiber Johann Christoph Bekmann (1641–1717) und Jacob Paul von Gundling (1673–1731) haben in ihren Geschichtswerken „Historische Beschreibung der Chur und Mark Brandenburg“ beziehungsweise „Leben und Thaten des Herrn Albrechten des Ersten, Markgrafen zur Brandenburg“ ausdrücklich Bezug genommen auf den „berühmten Skribenten Crantzius“, haben aber dessen Sicht auf die Wenden nichts qualitativ Neues hinzugefügt. Alle drei kannten die für die Entstehung der Mark Brandenburg wichtigste Quelle (Heinrich von Antwerpen, etwa 1150 bis 1230) nur in Bruchstücken ohne Kenntnis der Zusammenhänge und des Autors.

Dies war auch der Kenntnisstand Fontanes, als er 1873 im Band „Havelland“ seiner „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ das Kapitel schrieb: „Die Wenden und die Kolonisation der Mark durch die Zisterzienser.“ Wie auch Bekmann und Gundling übernahm er von Krantz die Stichworte „Ermordung und Vertreibung der Wenden durch die Sachsen“ und „Kolonie“ („Ostkolonisation“). Ohne die Quelle Heinrich von Antwerpen (und die heutigen Forschungsergebnisse) war ihnen nicht oder nicht ausreichend bewusst, dass Albrechts Zeitgenossen Pribislaw-Heinrich von Brandenburg und Jaxa von Köpenick bereits seit Geburt Christen waren, wie nahezu alle slawischen Fürsten dieser Zeit. Auch war ihnen der bereits zu Beginn seiner Regierungszeit von Pribislaw mit Albrecht dem Bären abgeschlossene Erbvertrag über seine Nachfolge im Hevellerland unbekannt. Die beiden klassischen Topoi der Geschichtsschreibung über die Wenden in der Mark Brandenburg, nämlich „blutiger Kampf“ und „Christianisierung“ haben daher nicht die Bedeutung, die die heutige Populärliteratur ihnen noch immer beimisst. Der Erbvertrag mit Pribislaw und das Christentum von Jaxa werden zwar inzwischen korrekt berichtet, ohne aber das Gesamtbild der Wenden als kampfwütige Heiden ohne Kultur (Fontane: „Unkultur“[9]) zu korrigieren. Dies ist um so erstaunlicher, als der Hamburger Staatsmann Krantz, der am Anfang der Geschichtsschreibung über die Wenden stand, es sich als Ehre anrechnete, von den Wenden abzustammen.

Siedlungsformen

Vereinfachtes Beispiel eines Rundlingsdorfes

Typisch für die Siedlungsform der Wenden sind Rundlingsdörfer. Die im Mittelalter während der Binnenkolonisation entstandene Dorfform weist eine hufeisenförmige Anordnung der Bauernhäuser und Grundstücke auf. Der Verbreitungsraum des Rundlings erstreckt sich streifenförmig zwischen der Ostsee und dem Erzgebirge in der damaligen Kontaktzone zwischen Deutschen und Slawen. Am besten erhalten haben sich Rundlingsdörfer in der wirtschaftschwachen Region des hannoverschen Wendlands. Die slawischen Siedlungsformen vor den Rundlingen sind bisher nicht ausreichend archäologisch erforscht.[10]

Religion und Kultur der Elbslawen

Bis in das 11. und 12. Jahrhundert hinein waren die nördlichen Elbslawen von nichtchristlichen Kulten dominiert. Während zunächst Heilige Haine und Gewässer als Kultorte verehrt wurden, bildeten sich im 10. und 11. Jahrhundert allmählich ein Priestertum und Kultstätten heraus, die oft auch überregionale Bedeutung hatten. Beispiele sind hier die Tempelburgen in Kap Arkona (Rügen) und Rethra. Wichtige slawischen Gottheiten waren Radegast und Triglaw. Die Götter der Götterwelt anderer slawischer Völker existierten auch hier, jedoch bildeten sich stärker als anderswo Stammesgottheiten heraus. Oftmals veränderten alte Götter ihre Bedeutung.

Die Slawen im Elbe-Saale-Gebiet und in der Lausitz gerieten schon früher unter den Einfluss der christlichen Kirche. 968 wurde das Erzbistum Magdeburg mit den Suffraganen Zeitz, Merseburg und Meißen eingerichtet und die Christianisierung weiter vorangetrieben.

Sprachen und Dialekte der Elbslawen

Jahrhundertelang war das Deutsche Reich östlich von Elbe und Saale zweisprachig. Neben den deutschen Dialekten wurden noch lange Zeit westslawische Sprachen und Dialekte gesprochen. Im 15. Jahrhundert starb der Dialekt der Ranen auf der Insel Rügen aus, erst im 18. Jahrhundert der polabische der Drevanen/Drevänopolaben im Hannoverschen Wendland. Der protestantische Teil der Kaschuben, die Slowinzen, die in Hinterpommern lebten, verloren ihr kaschubisches Idiom etwa um 1900. Die kaschubische Sprache wird allerdings noch heute weiter östlich im ehemaligen Westpreußen und der jetzigen polnischen Woiwodschaft Pommern gesprochen. Neben dem Kaschubischen ist die sorbische Sprache der Lausitzer Sorben die einzig noch verbliebene Sprache der Wenden. Die Zahl der Sorbischsprecher schätzt man heute auf 20.000 bis 30.000 Menschen, um 1900 noch etwa 150.000. Kaschubisch wird heute von 50.000 Menschen als Alltagssprache benutzt.

Elbslawische Stämme und Stammesverbände

Elbslawische Siedlung mit Bootssteg
im Oldenburger Wallmuseum
(ca. 8. bis 9. Jahrhundert)

In Quellen aus dem ostfränkisch-Deutschen Reich werden eine große Zahl von Stämmen und Stammesverbänden, insbesondere seit dem 8. Jahrhundert, genannt. Die größten Verbände waren die der Abodriten, Wilzen und Sorben (von Nord nach Süd). Jedoch bleibt häufig unklar, was sich hinter diesen Namen verbirgt. Es dürfte sich nicht, wie im 19. und 20. Jahrhundert zumeist angenommen, um festgefügte, homogene und scharf umrissene Gruppierungen gehandelt haben. Vielmehr ist von recht mobilen Gruppierungen auszugehen, die in ihrer Zusammensetzung und Abgrenzung relativ flexibel waren.

In der Beschreibung des so genannten Bayerischen Geographen (Geographus Bavarus) aus der Mitte des 9. Jahrhunderts mit späteren Überarbeitungen und Zusätzen werden die zu dieser Zeit bekannten Stämme und die Zahl der ihnen zugehörigen civitates – Siedlungskammern mit einer zentralen Burganlage und zugehörigen Siedlungen und kleinere Befestigungen – genannt (Völkertafel von St. Emmeram).

In den mittelalterlichen Quellen werden deutlich von den Sorben geschieden die

Böhmen und Oberpfalz

In der Oberpfalz ist der Name „Windisch“ nicht nur als Familienname anzutreffen, sondern ist auch Bestandteil von Ortsnamen wie Windischeschenbach und Windischbergerdorf. Während der Völkerwanderung waren heimatsuchende „Windische“ bis nach Slowenien (Windischgrätz), Böhmen (Windisch Kamnitz) und in die Oberpfalz gekommen und hatten spärlich besiedeltes Gebiet angetroffen. Bei ihnen wird die Problematik der Mehrdeutigkeit der Bezeichnung „Wenden“ besonders deutlich, weil sie weder zu den Elbslawen im engeren Sinne noch zu den Nordwestslawen im weiteren Sinne zu rechnen sind.

Ortsnamen

Folgende Orte und Ortsteile[11] führen das Wort Wenden und Wendisch, aber auch Windisch im Namen und nehmen – wenigstens teilweise – damit auf einen wendischen Ursprung Bezug. Nicht in jedem Falle ist bei diesen Ortsnamen sicher davon auszugehen, dass die Orte wendische Siedlungen waren. Einige liegen dafür allerdings zu sehr im deutschen Kerngebiet westlich der Elbe; ihre Ortsnamen dürften sich daher vom prähistorischen Bachnamen wend ableiten.[12] Mit dem Zusatz wendisch kann auch eine Richtung beschrieben worden sein.

Literatur

  • Sebastian Brather: Archäologie der westlichen Slawen. Siedlung, Wirtschaft und Gesellschaft im früh- und hochmittelalterlichen Ostmitteleuropa. In: Herbert Jankuhn, Heinrich Beck u. a. (Hrsg.): Reallexikon der germanischen Altertumskunde. Ergänzungsbände. 2. Auflage. Band 30. Walter de Gruyter Inc., Berlin, New York NY 2001, ISBN 3-11-017061-2.
  • Christian Lübke: Slaven zwischen Elbe/Saale und Oder. Wenden – Polaben – Elbslaven? Beobachtungen zur Namenwahl. In: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands. Nr. 41, 1991, S. 17–43.
  • Christian Lübke: Die Deutschen und das europäische Mittelalter. Das östliche Europa. 1. Auflage. Band 2. Siedler Verlag, München 2004, ISBN 3-88680-760-6.
  • Madlena Norberg: Sammelband zur sorbischen/wendischen Kultur und Identität. Sind die sorbische/wendische Sprache und Identität noch zu retten? In: Potsdamer Beiträge zur Sorabistik. Nr. 8. Universitäts-Verlag, Potsdam 2008, ISBN 978-3-940793-35-5 (kobv.de [PDF; abgerufen am 28. Februar 2010] PDF vom Opus- und Archivierungsdienst des Kooperativen Bibliotheksverbundes Berlin-Brandenburg).
  • Alfried Wieczorek, Hans-Martin Hinz (Hrsg.): Europas Mitte um 1000. Theiss, Stuttgart 2000, ISBN 3-8062-1545-6.
  • Felix Biermann, Thomas Kersting (Hrsg.): Beiträge der Sektion zur Slawischen Frühgeschichte des 5. Deutschen Archäologenkongresses in Frankfurt an der Oder, 4. bis 7. April 2005. Siedlung, Kommunikation und Wirtschaft im westslawischen Raum. Langenweißbach 2007.
  • Felix Biermann u. a. (Hrsg.): Beiträge der Sektion zur Slawischen Frühgeschichte der 17. Jahrestagung des Mittel- und Ostdeutschen Verbandes für Altertumsforschung in Halle an der Saale, 19. bis 21. März 2007. Siedlungsstrukturen und Burgen im westslawischen Raum. Langenweißbach 2009.
  • Roland Steinacher: Wenden, Slawen, Vandalen. Eine frühmittelalterliche pseudologische Gleichsetzung und ihr Nachleben bis ins 18. Jahrhundert. In: W. Pohl (Hrsg.): Auf der Suche nach den Ursprüngen. Von der Bedeutung des frühen Mittelalters. Wien 2004, S. 329–353. (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 8)
  • Jerzy Okulicz: Einige Aspekte der Ethnogenese der Balten und Slawen im Lichte archäologischer und sprachwissenschaftlicher Forschungen. Quaestiones medii aevi, Bd. 3, 1986, S. 7–34.
  • Julius Pokorny: Indogermanisches Etymologisches Wörterbuch. Francke, Bern/ München 1959.
  • Michał Parczewski: Die Anfänge der frühslawischen Kultur in Polen. Österreichische Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte, Wien 1993. (Veröffentlichungen der österreichischen Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte; Bd. 17)
  • Andrej Pleterski: Model etnogeneze Slovanov na osnovi nekaterih novejših raziskav / A model of an Ethnogenesis of Slavs based on Some Recent Research. In: Zgodovinski časopis. (= „Historische Zeitschrift“) 49, Nr. 4, 1995, ISSN 0350-5774, S. 537–556. (Englisch Zusammenfassung: Katalogeintrag bei Cobiss)
  • Alexander M. Schenker: The Dawn of Slavic: an Introduction to Slavic Philology. Yale University Press, New Haven 1996, ISBN 0-300-05846-2.

Frühe Werke

  • Albert Krantz: Wandalia. Des Fürtrefflichen Hochgelahrten Herrn Albert Crantzii Wandalia. Oder: Beschreibung Wendischer Geschicht: Darinnen der Wenden eigentlicher Vrspuung mancherley Völcker vnd vielfaltige Verwandlungen … Daraus was sol wol in … Königreichen … Wendischer vnd anderer Nationen in Dennemarcken/ Schweden/ Polen/ Vngarn/ Böhemen/ Oesterreich/ Mährern/ Schlesien/ Brandenburg/ Preussen/ Reussen/ Lieffland/ Pommern/ Mecklenburg/ Holstein. Junge, Lübeck 1636.
  • Theodor Fontane: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Die Wenden in der Mark. Band III. 1873.

Einzelnachweise

  1. A.Brückner, Archiv für slavische Philologie, V.Jagic 1901 Berlin, S. 224–230.
  2. Andrej Pleterski (Inštitut za arheologijo, Ljubljana): Modell der Ethnogenese der Slawen auf derGrundlage einiger neuerer Forschungen
  3. Jan Misztal: Weryfikacja narodowościowa na Śląsku Opolskim 1945-1950. Opole 1984
  4. Robert A. Beck: Schwebendes Volkstum im Gesinnungswandel: Eine sozial-psychologische Untersuchung. In: Schriftenreihe der Stadt der Auslandsdeutschen. Nr. 1. W. Kohlhammer, Stuttgart 1938 (books.google.com).
  5. Walter Kuhn: „Schwebendes Volkstum“ und künftige Landgestaltung in Südost-Oberschlesien. In: Neues Bauerntum. Nr. 33, 1941, S. 26–30 (books.google.com).
  6. Theodor Veiter: Das Recht der Volksgruppen und Sprachminderheiten in Österreich. Mit einer ethnosoziologischen Grundlegung und einem Anhang (Materialien). Braumüller, Wien 1970, S. 83, 291, 292 (books.google.com).
  7. Verband schlesischer Bauern: Schlesien und die deutsche Minderheit
  8. Stanisław Senft, Oppeln: Nationale Verifikation und Repolonisierung in Schlesien 1945-1950. Aus dem Ausstellungskatalog: „Wach auf mein Herz und denke!“ - Zur Geschichte der Beziehungen zwischen Schlesien und Berlin-Brandenburg. Hrsg.: Gesellschaft für interregionalen Kulturaustausch - Berlin / Stowarzyszenie Instytut Śląskie - Opole. Berlin/Oppeln 1995, ISBN 3-87466-248-9, ISBN 83-85716-36-X.
  9. Theodor Fontane: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Band 2. Berlin/Weimar 1994, S. 41.
  10. Hardt, Matthias: Das "slawische Dorf" und seine kolonisationszeitliche Umformung nach schriftlichen und historisch-geographischen Quellen. In: Siedlungsforschung. Archäologie – Geschichte – Geographie 17/1999, S. 269–291.
  11. J. Leupold: Orte mit "Wendisch" im Namen. In: Wendisch Evern-Informationen. Abgerufen am 28. Februar 2010.
  12. Hans Bahlow: Deutschlands geographische Namenwelt : etymologisches Lexikon der Fluss- und Ortsnamen alteuropäischer Herkunf. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1985, ISBN 978-3-518-37721-5, S. 529.