Otto Ambros (Chemiker)

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Otto Ambros während der Nürnberger Prozesse

Otto Ambros (* 19. Mai 1901 in Weiden in der Oberpfalz; † 23. Juli 1990 in Mannheim) war ein deutscher Chemiker, verurteilter Kriegsverbrecher und Wehrwirtschaftsführer. Letzteres kennzeichnet seine maßgebliche Rolle in der Zusammenarbeit von NS-Staat und I.G. Farben.

Ambros, Sohn des Oberstudiendirektors Professor Carl Ambros und dessen Ehefrau Elsa, beendete seine Schullaufbahn 1920 mit dem Abitur in München.[1] Ab 1919 war er Zeitfreiwilliger bei einem Freikorps.[2] Ab 1920 studierte er an der Ludwig-Maximilians-Universität München Chemie.[3] An der Technischen Hochschule in München war er nicht als Student eingeschrieben, sondern als Hospitant in der landwirtschaftlichen Abteilung für drei Semester (Winterhalbjahr 1920/21 bis Winter-Halbjahr 1921/22).[4] 1921 wurde er Mitglied des Corps Suevia München.[5] Mit einer Doktorarbeit beim Nobelpreisträger Richard Willstätter wurde er 1925 zum Dr. phil. (magna cum laude) promoviert.[6]

Ab 1. April 1926 war er bei der BASF im Ammonlabor des Werkes Oppau tätig.[1] 1930 verbrachte er einen einjährigen Studienaufenthalt in Sumatra, Java, Ägypten und Ceylon.[7] Ab 1934 war Ambros Prokurist bei der I.G. Farben,[7] ab 1935 Geschäftsführer des Bunawerkes in Schkopau und ab 1936 in Ludwigshafen im Hauptausschuss „Pulver und Sprengstoffe“ tätig. Er war Giftgas- und Bunaexperte der I.G. Farben im „Sonderausschuß C“ zur Entwicklung chemischer Kampfstoffe. Er war federführend an der großtechnischen Herstellung der von Gerhard Schrader entdeckten chemischen Kampfstoffe Sarin und Tabun beteiligt. Von 1938 bis zum Kriegsende 1945 war Ambros Vorstandsmitglied des Technischen und Chemischen Ausschusses der I.G. Farben. Ambros beriet Carl Krauch ab 1940 bei der Erstellung des Vierjahresplans als Leiter der Abteilung Forschung und Entwicklung. Otto Ambros und der Chefbuchhalter der I.G. Farben Paul Dencker[8] waren Geschäftsführer der Anorgana GmbH, einer Tochtergesellschaft der I.G. Farben, die in ihren von der I.G. Farben ausgelagerten Betriebsstätten in Gendorf (Oberbayern), Dyhernfurth (Schlesien) und Falkenhagen bei Berlin (nicht bis Kriegsende fertiggestellt) chemische Kampfstoffe hergestellt hat.[9] Ambros war zudem Betriebsführer der Fabrik Dyhernfurth, die Sarin und Soman produzierte, sowie der Fabrik Gendorf, die den hautschädigenden chemischen Kampfstoff Senfgas (Lost) herstellte. Ambros, der den „Arbeitseinsatz“ von KZ-Häftlingen befürwortete, besuchte nach 1941 mehrmals das KZ Auschwitz III Monowitz.[2] Er leitete zudem die Abteilung Textilhilfsmittel und den Sonderausschuss Kunststoffe im Reichsministerium für Bewaffnung und Munition.[1]

Zum 1. Mai 1937 trat er der NSDAP bei (Mitgliedsnummer 6.099.289)[10] Am 30. Januar 1941 wurde Ambros Wehrwirtschaftsführer.[7] Als Wehrwirtschaftsführer für „Chemische Kampfstoffe“ erläuterte Ambros Mitte Mai 1943 im Führerhauptquartier Adolf Hitler persönlich die Auswirkungen der Nervengase Sarin und Tabun.[1] Im Oktober 1944 erhielt er die Todt-Nadel, im Februar 1945 wurde ihm das Ritterkreuz des Kriegsverdienstkreuzes verliehen.[7]

Die naturwissenschaftlich-mathematische Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau verlieh Otto Ambros am 15. November 1944 den Grad und die Rechte des Dr. rer. nat. honoris causa für „seine hervorragenden Verdienste um die Förderung der chemischen Technik auf makromolekularem Gebiet, um die Einführung von neuen Polymerisationsprozessen und um die Entwicklung der Kunststoffe und des Buna“.[11] Der Dekan der Fakultät, Kurt Walter Merz, lud Ambros für den 15. Dezember 1951 zu einen Festvortrag in feierlichem Rahmen mit Hinweis auf die Ehrenpromotion von 1944 ein.[12]

Einwanderungskarte nach Brasilien, ausgestellt 1952 für Otto Ambros

Ambros nahm nach Kriegsende seine Tätigkeit In Ludwigshafen/Oppau wieder auf, bevor er durch die Franzosen ab dem 21. Januar 1946 in dem Displaced Person-Camp Altschweier inhaftiert, am 2. Mai 1946 aber wieder entlassen wurde.[7] Für den I.G.-Farben-Prozess wurde Ambros am 11. Dezember 1946 erneut in Gewahrsam genommen.[13] Schwerpunkte der Anklage waren die Herstellung von Kampfstoffen und der Aufbau des IG Farben-Werks in Auschwitz. Walter Dürrfeld und Ambros galten im I.G.-Farben-Prozess als Hauptverantwortliche für das KZ Auschwitz III Monowitz und den Einsatz der dortigen Zwangsarbeiter bei der Errichtung des IG Farben-Werks Auschwitz bei hoher Fluktuation. Der Verteidiger von Ambros im Prozess war der Rechtsanwalt Karl Hoffmann, der in seinem Plädoyer für Ambros am 4. Juni 1948 mit der Behauptung glänzte: »Die in Auschwitz sterben mussten, haben andere auf dem Gewissen, nicht aber Otto Ambros.«.[14] Der Versuch der Verteidigung, Ambros als Techniker ohne politisches Bewusstsein, ohne Verantwortung und ohne Befehlsgewalt als den Ausführenden, aber den Staat mit seinen Machtorganen als verantwortlichen und Tod bringenden Entscheidungsträger darzustellen, scheiterte vor Gericht, das einen Notstand, in dem sich Ambros befunden haben könnte, nicht erkennen mochte.[15] Ambros wurde wie Dürrfeld zu acht Jahren Haft verurteilt.[16] Ambros wurde im Februar 1951 nach vier Jahren Haft vorzeitig aus dem Kriegsverbrechergefängnis Landsberg entlassen. Ambros’ Reisepass, ausgestellt von der Stadt Essen, datierte auf den 20. April 1951.

Otto Ambros hatte als Vorstand der I.G. Farben schon vor 1945 in engem Kontakt mit Ernst Boehringer, dem Mitinhaber der Boehringer Ingelheim, gestanden. Während der Haft im Kriegsverbrechergefängnis sorgte Ernst Boehringer für jede gewünschte Unterstützung nicht nur für Otto Ambros, sondern auch für Fritz ter Meer und andere Häftlinge in Landsberg sowie, falls gewünscht oder nötig, auch für deren Familien.[17] Am 15. Juni 1951 erhielt Ambros einen Beratervertrag von seinem Freund Ernst Boehringer.[18]

Ambros war ebenfalls tätig als Berater für das schottische Unternehmen Distillers Ltd., das seit 1958 die Lizenz für die Herstellung des Medikaments Thalidomid im Vereinigten Königreich hatte, für das französischen Unternehmen Pechiney, für Dow Chemical Europe und für W. R. Grace & Co. mit Sitz in New York.[19]

Als Aufsichtsratsmitglied war Ambros nach seiner Haftentlassung 1951 für folgende Unternehmen (von – bis) tätig:[19][20]

Von 1960 bis 1977 war Ambros Vorsitzender des Aufsichtsrats des Pharmaunternehmens Knoll AG in Ludwigshafen, das sich zu 74,9 % im Eigentum der Ludwigshafener Familie Arnsperger und zu 24,9 % im Eigentum der Grünenthal Chemie in Stolberg befand.[19][20]

1982 forderten 150 US-Kongressabgeordnete, J. Peter Grace als Vorsitzenden des President’s Private Sector Survey on Cost Control (PPSSCC, Grace-Kommission) wegen seiner Kommentare über Puerto Ricaner und seiner Kontakte zum verurteilten Kriegsverbrecher Otto Ambros abzuberufen.[22] Ambros war seit 1951 als technischer Berater für J. Peter Grace, langjähriger Präsident und CEO der W. R. Grace & Company, tätig, um Unterstützung bei der Entwicklung der Kohlevergasung für Grace & Co. zu leisten.[23] Ambros hatte deshalb seit 1951 mehrfach versucht, ein Visum für die USA zu erhalten. Dies gelang ihm wohl ausnahmsweise nur in den Jahren 1968, 1969 und 1971 mit der Unterstützung von J. Peter Grace, denn seine Verurteilung als Nazi-Kriegsverbrecher waren der US-Administration und später auch der US-Öffentlichkeit bekannt und verhinderte regelmäßig eine Visumerteilung zur Einreise in die USA.[24] Befürchtet wurde beispielsweise eine Einflussnahme von Ambros auf Graces Entscheidungen für den Präsidenten der Vereinigten Staaten als Vorsitzender des PPSSCC.[25] Auch das United States Department of Energy hatte 1979 Interesse an Ambros Kenntnissen im Bereich der Kohlevergasung und -verflüssigung.[26] Ambros Vertrag mit Grace wurde 1982 aufgelöst.[23]

Beirat Chemie Grünenthal ab 1982 [weitere Details folgen]

Er war außerdem Berater von Konrad Adenauer und Friedrich Flick.

1981 hatte ein amerikanischer Journalist die Gelegenheit, ein persönliches Interview mit Ambros in dessen Mannheimer Wohnung zu führen. Auf die Frage nach seinen Aktivitäten während des Zweiten Weltkrieges antwortete Ambros: „Das ist doch schon so lange her. Es hatte mit Juden zu tun. Wir denken darüber nicht mehr nach.“[27]

Nach seinem Ableben wurde er in einer Todesanzeige durch die BASF/Knoll AG gewürdigt: „Eine ausdrucksvolle Unternehmerpersönlichkeit von großer Ausstrahlungskraft.“[28]

Ambros war als Erfinder allein oder mit anderen Personen an 56 Patenten beteiligt.[29] 21 Patente stammen aus seiner Zeit bei der BASF in den Jahren 1927 bis 1931, 1942 und 1943 sowie 1975. An 14 Patenten war er während seiner Tätigkeit für die Hibernia AG und an 10 Patenten für Dynamit Nobel AG beteiligt. Die meisten seiner Patente und Patentanmeldungen sind inzwischen abgelaufen, 15 seiner Patente haben den Status "pending/ausstehend" und 3 Patente wurden zurückgezogen.

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. a b c d Hermann Weiß (Hrsg.): Biographisches Lexikon zum Dritten Reich. 1998, S. 22. Siehe auch Bild Einwanderungskarte nach Brasilien von 1952.
  2. a b Wollheim Memorial – Biografie Otto Ambros
  3. Hörner: Die in Auschwitz sterben mussten..., S. 199.
  4. Technische Hochschule in München: Berichte zum Personalstand mit namentlicher Nennung der Studierenden (Download von https://mediatum.ub.tum.de/1482394, https://mediatum.ub.tum.de/1483143 und https://mediatum.ub.tum.de/1483144 am 7. November 2024).
  5. Kösener Corpslisten 1996, 159/1975
  6. Dissertation: Über die Einheitlichkeit oder Komplexnatur pflanzlicher Proteasen. Über die proteolytische Wirkung des Kürbissaftes (Cucurbita Pepo).
  7. a b c d e Hörner: Die in Auschwitz sterben mussten..., S. 178.
  8. Bernd C. Wagner: Band 3 IG Auschwitz. 2000: Verlag K. G. Saur, S. 32.
  9. Chemische Apparatur, Band 28/1941, S. 176.
  10. Bundesarchiv R 9361-IX KARTEI/440229
  11. Universitätsarchiv Freiburg, B0015 Naturwissenschaftlich-mathematische Fakultät (1892–1971), 185: Ehrenpromotionen: Urkunde vom 15. November 1944.
  12. Universitätsarchiv Freiburg, B0015 Naturwissenschaftlich-mathematische Fakultät (1892–1971), 185: Ehrenpromotionen: Antwortschreiben von Ambros vom 3. Dezember 1951 auf Schreiben des Dekans der Naturwissenschaftlich-mathematischen Fakultät der Universität Freiburg vom 30. November 1951.
  13. BArch NS 5/VI 17512, Blatt 291: Der Tagesspiegel vom 12. Dezember 1946: Leiter der IG-Farben kommt vor Gericht.
  14. Nuremberg Military Tribunal Case VI, roll 59, page 15925: Plädoyer Rechtsanwalt Hofmann am 4. Juni 1948.
  15. Hörner: Die in Auschwitz sterben mussten..., S. 252.
  16. Bernd Boll: Fall 6: Der IG-Farben-Prozeß. In: Gerd R. Ueberschär: Die alliierten Prozesse gegen Kriegsverbrecher und Soldaten 1943–1952. Fischer, Frankfurt am Main 1999, ISBN 3-596-13589-3, S. 139f.
  17. Michael Kißener: Boehringer Ingelheim im Nationalsozialismus. Studien zur Geschichte eines mittelständischen chemisch-pharmazeutischen Unternehmens. Franz Steiner Verlag, 2015, S. 204.
  18. Michael Kißener: Boehringer Ingelheim im Nationalsozialismus. Studien zur Geschichte eines mittelständischen chemisch-pharmazeutischen Unternehmens.Franz Steiner Verlag, 2015, S. 205 und Fußnote 106 mit Hinweis auf Fundstelle Beratervertrag im Firmenarchiv Boehringer Ingelheim.
  19. a b c Ronald Reagan Presidential Library, Digital Library Collections, WHORM (White House Office of Record Management) Subject File Code: FG384, Bl. 82 ff.: Schreiben von Otto Ambros an J. Peter Grace Jr. vom 30. Januar 1980 mit von ihm autorisierter tabellarischer Auflistung von elf seiner Beratungstätigkeiten und Aufsichtsratsmandate (Download von URL: www.reaganlibrary.gov/public/2022-05/40-654-FG384-002-006-2022.pdf am 29.10.2023).
  20. a b Hoppenstedt: Leitende Männer der Wirtschaft, 1959 (S. 11), 1960 (S. 12), 1964 (S. 13), 1965 (S. 13), 1966 (S. 14), 1967 (S. 15) und 1968 (S. 14).
  21. Zeit Online: Wird Telefunken ein Börsenwert? Aus der ZEIT Nr. 30/1961 vom 21. Juli 1961. URL: https://www.zeit.de/1961/30/wird-telefunken-ein-boersenwert (Download am 29.10.2024).
  22. Ronald Reagan Presidential Library. Subject File Code: FG384, Bl. 108.
  23. a b Ronald Reagan Presidential Library: Subject File Code: FG384, Bl. 63: Schreiben von Fred F. Fielding, Berater des Präsidenten, an Senator Jepsen vom 6. August 1982.
  24. Ronald Reagan Presidential Library. Subject File Code: FG384, Bl. 79, 89 und 104.
  25. Ronald Reagan Presidential Library. Subject File Code: FG384, Bl. 67.
  26. Ronald Reagan Presidential Library. Subject File Code: FG384, Bl. 68 und 76: Memorandum für J. Peter Grace vom 18. Januar 1980, S. 4.
  27. Raul Hilberg: Die Vernichtung der europäischen Juden, Band 3 Frankfurt am Main 1990, S. 1163./Fußnote: Artikel aus San Francisco Chronicle vom 6. März 1982, S. 12.
  28. zitiert bei: Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Frankfurt am Main 2007, S. 15.
  29. Google Patents URL: https://patents.google.com/?inventor=otto+ambros&oq=otto+ambros (Download am 02.11.2024)