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ADB:Rott, Moritz

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Artikel „Rott, Moritz“ von Paul Schlenther in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 29 (1889), S. 383–385, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Rott,_Moritz&oldid=- (Version vom 3. Dezember 2024, 00:36 Uhr UTC)
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Rott: Moritz R., Schauspieler, geboren am 17. September 1796 zu Prag als Sohn des jüdischen Kaufmanns Rosenberg, † am 11. März 1867 zu Berlin. Er erhielt, namentlich unter der Obhut seiner Mutter, eine gute Erziehung und bezog als Student der Philosophie die Universität seiner Vaterstadt. Sein Vater aber bestimmte ihn zum Handelsstande und gab ihn 1813 in das Contor des Kaufmanns Schick. Seiner Neigung zur Bühne folgend, trotzte er dem Willen des Vaters und entfloh nach Wien, wo er 1817 im Josefstädtischen Theater sich versuchte. Nicht nur der Director Huber, sondern auch Koch, Bäuerle und Raimund sollen sich für sein Talent interessirt haben. Ganz naturalistisch debutirte er unter dem Namen Rott als Karl Moor und riß hin durch Kraft und Schönheit seiner Mittel. Ein Jahr zog er dann mit der Truppe des Grafen Pechy durch Galizien und Ungarn, bis es mit diesem problematischen Theaterunternehmen zum jähen Krach kam. Von 1818–20 spielte er mit gutem Fortschritt in Lemberg, dann gings über Olmütz und Linz nach Leipzig, wo er trotz einem nicht sehr erfolgreichen Gastspiel (er gab den Jaromir in Grillparzer’s „Ahnfrau“ und den Wallenfeld in Iffland’s Spielern) von Küstner engagirt und weitergebildet wurde. Doch 1821 war er bereits am Theater an der Wien, wo er seit 1824 auch die Regie führte. Ein Jahr später gab er diese Stellung auf und fröhnte seiner Lust zu Gastreisen. Im Juni 1826 trat er fünfmal im Berliner Hoftheater auf, u. A. als Wallenstein und König Philipp. Man dachte wohl schon daran, in ihm einen Beistand oder gar Ersatz für den leidenden Lemm zu finden, aber es kam damals noch nicht zu festen Entschlüssen. Man lobte vor allem sein kraftvoll tönendes Organ und seine männlich schöne Gestalt. Sein Feuer wurde als zu stark lodernd empfunden. Als Wallenstein verglich man ihn mit Esslair. Noch einmal kehrte er an wohlbekannte Stätten zurück. Zuerst ans Theater an der Wien, von wo aus er im Juni 1828 auch im Burgtheater gastirte, und dann nach Leipzig, dessen Theater damals zum kgl. sächs. Hofhalte gehörte. Als sich 1832 diese kurzlebige Hofbühne auflöste, stand R. vor der Wahl, nach Dresden oder nach Berlin zu gehn. Besonders Tieck warb für Dresden. Rott’s Berliner Gastspiel im Juni 1832 war jedoch an allen fünf Abenden so günstig, daß er mit einem Jahrgehalt von 1600 Thalern für das erste Fach der Heldenväter und Anstandsrollen verpflichtet wurde. Aber neben dem hinfälligen Lemm vergrößerte sich sein Rollenfach immer mehr, und als dieser 1837 starb, hoffte er auf Alleinherrschaft. Da störte Seydelmann, den er im Berliner Schauspielhause kommen und gehen sah, desto empfindlicher seine Kreise, und sein ehrgeiziges reizbares Künstlerblut kam oft in Aufregung, denn auch als Seydelmann allzu früh starb, bedrohte sein großer Schatten noch den Ueberlebenden, neben dem nun jüngere Kräfte aufkamen und sich größere Geltung verschafften, als R. lieb war. Besonders unter dem neuen schneidigen Intendanten v. Hülsen fühlte sich R. unbehaglich. Hülsen ließ es nicht an verbindlichen Zuschriften fehlen, bewilligte den oft begehrten Nachurlaub, zeigte ihm und seinem Rollenbegehr doch auch den Herrn. R. meldete sich krank und nahm zum 1. März 1856 unter huldvoller Anerkennung des Königs seine Pension. Als Theseus in Schiller’s „Phädra“ verabschiedete er sich. Als er dann seine noch nicht erlahmte Kraft auf Gastreisen erproben wollte, trat Hülsen mit einem sehr entschiedenen Veto dem königlichen Pensionär entgegen. Aber es kam doch zum Ausgleich, denn R. trat nicht bloß an seinen alten Lieblingsplätzen Prag, Breslau, Frankfurt a. M., sondern auch in Berlin selbst noch auf, freilich nur im Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater, das sich auf bürgerliche Stücke beschränkte.

Ein Urtheil über Rott’s künstlerische Persönlichkeit kann sich nur auf das Zeugniß einiger Kenner stützen, die ihn noch gesehen haben. Ich habe nicht nur [384] gedruckte Berichte über R. gelesen, deren Kenntniß ich zum Theil seiner in Berlin lebenden Wittwe verdanke, sondern auch Umfrage bei bewährten Beobachtern des Berliner Theaterwesens gehalten. Fast überall, wohin R. kam (und er liebte das Reisen), fand er ein begeistertes Publicum und die höchste Anerkennung der öffentlichen Berichterstattung. Wenn man ihn einen denkenden Künstler nannte, so schrieb man ihm das im Sinne des Lessing’schen Prinzen zur Ehre an. Freilich nicht immer. M. G. Saphir, der diesen Schauspieler recht ernst nahm und bei vieljähriger und genauer Bekanntschaft seiner Leistungen ihm unter kleinen Vorbehalten großes Lob spendete, meinte: „Rott wäre der erste und größte Künstler unserer Zeit, wenn er sich den denkenden Schauspieler abgewöhnen könnte“. Saphir deutete mit zahlreichen Gleichnissen an, wie er es meint: „Die Schauspielkunst ist nicht auf Denken und Studiren, sondern auf Fühlen und Ausströmen angewiesen. Nicht erworben, nicht erlernt, nicht eingeschult kann sie werden, sie muß Einem wie im Traume anfliegen, wie der Seidenwurm in seinen Cocon, muß sich der Schauspieler in seinen Gegenstand einspinnen, und dann als beschwingter Genius aus seinem Gespinnste losbrechen: So wie das Feuer von Natur aus der Pyramidenform zustrebt, so wie das Wasser von Natur aus die Kugelform annimmt, so nehmen Gefühl und Affect von selbst jenen Typus der Darstellung an, welchen man lange mit dem Ausdruck Naturkünstlerschaft bezeichnete“. Dem entgegen hält er die „Denk-, Meißel- und Formwebsucht“ neuerer Schauspieler, und sein Beispiel ist R. „Freilich flattert aus den Händen dieser denkenden Künstler die automatische Taube des Albertus Magnus in die Höhe, sie flattert und regt die Schwingen, sie ißt und trinkt, sie verbaut sogar, aber – sie vermag sich nicht künstlich fortzupflanzen, sie bringt nichts Lebendiges hervor, sie ist und bleibt Mechanismus“.

Rott’s glänzendste Zeit fiel ins vierte Decennium unseres Jahrhunderts, als Raupach’s Hohenstaufendramen die Bühne beherrschten. Ein Raupach’sches Stück, das Zeitbild „Vor hundert Jahren“ brachte ihm seine beste Spielrolle, den alten Dessauer, mit dem er überall Glück machte, nur nicht in Leipzig, wo er ihn 1844 gastweise neben andern Rollen spielte. Während er sonst mehrmals vorgerufen wurde, was damals noch etwas Ungewöhnliches war, hielt sich das Publicum dem Dessauer gegenüber zurück, und ein Kritiker schreibt: „Die guten Leipziger hätten wohl Herrn R. Beifall klatschen mögen; dem preußischen General aber wollten sie es nicht. Den Leuten hier hängt an jeder Haarspitze ein Tröpfchen Politik.“ Gleichzeitig mit Raupach kamen auch Karl Blum und Bauernfeld auf, die ebenfalls[WS 1] Rott’s Rollenfach bereicherten. In diesen Lustspielen gab er, wie mir ein damaliger Theaterbesucher erzählte, die humoristisch angeflognen, schließlich lächelnd resignirenden, feinen alten Lebemänner ganz ausgezeichnet. Er vereinigte vornehme, elegante Haltung ohne Mätzchen mit gutem Verständniß ohne prosaische Nüchternheit. Sehr viel mißfälliger äußert sich derselbe Gewährsmann über seine großen Charakterrollen, mit denen er so vielen Beifall fand, wie Wallenstein, Tell, Macbeth, Lear, Richard III., Hamlet: „Seine ganze Natur verbot ihm das, in der sich drei Dinge zu gleichen Theilen mischten: ein Drittel guter, liebenswürdiger, auch kluger und beinah superiorer Mann (denn er wußte über sich selbst zu scherzen), ein Drittel Genie und ein Drittel komischer Kauz. Dazu ein klangvolles, aber scherzhaft wirkendes Organ“. Er war ein dankbarer Gegenstand für geschickte Parodisten. In ähnlichem Sinne, wenn auch milder äußert sich ein andrer competenter Beurtheiler aus seinen verfliegenden Erinnerungen heraus: „Seine körperliche und geistige Veranlagung war nach den verschiedensten Richtungen hin zweifelsohne eine hervorragende, und seine ganze Erscheinung machte ihn für die Repräsentation von Helden sehr wol geeignet. Aber, bei aller Anerkennung seiner Vorzüge: Temperament, [385] Noblesse, intelligenter Auffassung u. s. w., schlich sich in sein Heldenpathos mitunter ein Anflug einer gewissen, allerdings schwer zu definirenden Gespreiztheit in Geste und Worten ein, wozu sich im Sprechton eine Art gutturaler Drucker gesellte.“ Auch diesem Beobachter gefiel R. am besten in Rollen aus der bürgerlichen Sphäre, wo er sich am reinsten und natürlichsten gab, obwol er selbst vielleicht die Darstellung solcher als eine Art von Herablassung betrachten mochte, so z. B. als Commerzienrath von Glittern in dem Töpfer’schen Lustspiel „Der reiche Mann oder die Wasserkur“, eine Rolle, in welcher er große Feinheit und Liebenswürdigkeit entfaltete. Rott’s vieljähriger Chef Küstner bestreitet nicht den Vorwurf „strenger Richter“, daß R. manierirt war, d. h. Eigenschaften zeigte, welche nicht aus dem innersten Wesen der dargestellten Dramen hervorgingen. Küstner führt dies auf das Streben zurück, in die Rolle mehr zu legen, als sie bietet; dadurch verwandelt sich leicht Kunst in Künsteln. Auch als dramatischer Dichter hat R. sich versucht. Außer einem meines Wissens im Manuscript stecken gebliebnen dreiactigen romantischen Originalschauspiel „Vergeltung“ nebst einem einactigen Vorspiel „die Verbannung“ schrieb er das dreiactige Lustspiel „Der Freiwerber“, welches F. W. Gubitz 1842 in seinem „Jahrbuch deutscher Bühnenspiele“ (Bd. 21, S. 75–130) herausgab. Es ist eine harmlose Liebescomödie unter wackern, wenig gekennzeichneten Leutchen, von denen die einzige schlechte Person eine Französin ist, welcher die von ihr irregeleitete junge Wittwe nachflucht: „Entsetzliches Weib! Furchtbare Führerin, die ihr Amt mißbrauchte und gute Keime schonungslos zertrat.“ Der Freiwerber, der im ungewohnten Räuschchen die beiden Töchter seines Principals verwechselt und dadurch nur eine sehr flüchtige Irrung anstiftet, ist ein alter Hagestolz von Contorfactotum, das der Dichter der Erinnerung an seine kaufmännische Jugendzeit nachgeschaffen haben mag. Ein Bühnenglück hat das Lustspiel nicht gemacht.

R. war in erster Ehe mit einem Fräulein v. Wurmser aus Linz verheirathet. Als diese Frau nach 20jähriger glücklicher Ehe starb, heirathete er eine Schwester der Sängerin Leopoldine Tuczek, die er zur Schauspielerin hatte ausbilden lassen und mit der er in den vierziger Jahren zusammen gastirte. Sie spielte die Margarethe nicht bloß in Goethe’s Faust, sondern auch in Shakespeare’s Richard III. Diese Ehe wurde getrennt und R. heirathete noch 1854 die treue Pflegerin seines leidenden Alters. Auf der Bühne hat er zum letzten Mal in Köln am 15. Januar 1860 als Wilhelm Tell gestanden.

Blum-Herloßsohn-Marggraff, Allg. Theaterlexikon VI. 1846. – Album des kgl. Schauspiels und der kgl. Oper zu Berlin. S. 61 ff. Berlin 1858.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: ebenfall’s